Gender-Gesundheitsbericht Schweiz 2006 - Gender Campus
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1.3.3. Theoretische Erklärungsansätze für die Geschlechterunterschiede<br />
Die Gesundheits- und Krankheitsprofile von Frauen und Männern werden sowohl von<br />
biologischen als auch sozio-kulturellen Faktoren beeinflusst. Um die Geschlechterunterschiede<br />
hinsichtlich Gesundheit und Krankheit erklären zu können, müssen beide Faktoren<br />
berücksichtigt werden. In der gesundheitswissenschaftlichen Literatur herrscht Konsens,<br />
dass vor allem psychosoziale Unterschiede – also Unterschiede in Einstellung und<br />
Verhalten, in Lebensweisen und Lebenswelten – für die Geschlechterunterschiede relevant<br />
sind, während biologische Faktoren von nachrangiger Bedeutung sind (Doyal, 2004;<br />
Kolip, 2003; Courtenay, 2000). Männlichkeit und Weiblichkeit werden durch spezifische<br />
Sozialisationserfahrungen geprägt, in denen geschlechtsspezifische Verhaltensweisen<br />
erlernt und reproduziert werden. Neben dem Verhalten sind auch die Verhältnisse innerhalb<br />
der Gesellschaft, d.h. die Lebens- und Arbeitswelten von Männern und Frauen geschlechtlich<br />
geprägt.<br />
Im Folgenden werden die wichtigsten theoretischen Erklärungsansätze für die Geschlechterunterschiede<br />
in Gesundheit und Krankheit vorgestellt. Dabei ist es zunächst<br />
sinnvoll, Geschlecht in seiner biologischen (sex) und sozialen (gender) Ausprägung zu<br />
betrachten, um dann auf die geschlechtsspezifische Sozialisation sowie die Lebensbedingungen<br />
von Männern und Frauen einzugehen. Auch wenn die bereits vorliegenden<br />
theoretischen Überlegungen noch keine umfassenden Theorien darstellen, um gesundheitsbezogene<br />
Geschlechterunterschiede unter Berücksichtigung aller Einflussfaktoren<br />
zu erklären, können sie zumindest teilweise die Ursachen für die empirisch vorgefundenen<br />
Unterschiede aufdecken helfen.<br />
Die Konzepte sex und gender<br />
Die aus dem Englischsprachigen stammende begriffliche Trennung zur Bezeichnung<br />
biologischer und soziokultureller Geschlechtlichkeit wurde zunächst vor allem in der<br />
Frauenforschung verwendet. Sie diente in erster Linie dazu, die Festschreibung von<br />
Weiblichkeit und Männlichkeit auf rein biologische Begründungen zu hinterfragen und<br />
den Einfluss gesellschaftlicher Gegebenheiten auf das Geschlecht aufzuzeigen. Mit dem<br />
Begriff des biologischen Geschlechts (sex) wird auf die anatomischen, physiologischen<br />
und genetischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen verwiesen, während das<br />
soziale Geschlecht (gender) die sozial und kulturell verankerten Unterschiede beschreibt.<br />
Damit steht der Begriff sex für die biologischen Kriterien zur Beschreibung von Männern<br />
und Frauen, während gender die sozial konstruierten Rollen mit den entsprechenden<br />
Verhaltensweisen (Geschlechterrollen) bezeichnet, die für Männer und Frauen als jeweils<br />
gesellschaftlich angemessen und charakteristisch gelten.<br />
Die Trennung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht wurde im Rahmen gesundheitsbezogener<br />
Forschung zunächst in der Frauengesundheitsforschung und nun<br />
auch zunehmend in der Männer- und geschlechtervergleichenden Gesundheitsforschung<br />
aufgegriffen (Doyal, 2004; Altgeld, 2004; Hurrelmann & Kolip, 2002; Courtenay, 2000).<br />
Sie dient dazu, aufzuzeigen, dass Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht nur<br />
hinsichtlich ihrer Biologie zu begründen sind, sondern auch hinsichtlich ihrer spezifischen<br />
Verhaltensweisen sowie Lebens- und Arbeitsbedingungen. Anders formuliert: Zwar unterscheiden<br />
sich Frauen und Männer biologisch voneinander, aber anknüpfend an diese<br />
biologischen Unterschiede werden an Frauen und Männer unterschiedliche Erwartungen<br />
gestellt, wie sie sich zu verhalten haben, welche gesellschaftliche Position sie einzu-<br />
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