Gender-Gesundheitsbericht Schweiz 2006 - Gender Campus
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Beschwerden äussern als Männer, medizinische Leistungen häufiger in Anspruch nehmen,<br />
mehr psycho-vegetativ wirkende Medikamente als Männer verschrieben bekommen<br />
und dass Frauen im Medizinsystem anders behandelt werden als Männer» (S. 118).<br />
Als weitere Erklärungsansätze für die Geschlechtsunterschiede bei psychischen Störungen<br />
werden zwei Erklärungsmuster herangezogen (Merbach, Singer & Brähler, 2002):<br />
biologische und sozial-gesellschaftliche Gründe. Biologische Erklärungen beziehen sich<br />
zum einen auf genetische Einflüsse, die z.B. anhand von Zwillingsstudien erhoben worden<br />
sind, die aber keine eindeutigen Zusammenhänge oder höchstens moderate Varianzaufklärungen<br />
zeigen. Zum anderen werden hormonelle Erklärungsansätze diskutiert,<br />
wobei auch deren Einflüsse unterschiedliche Interpretationen zulassen und kontrovers<br />
diskutiert werden. Bei den Auswirkungen des sozialen Umfelds werden vier Punkte genannt:<br />
1. Affektive, Angst- und somatoforme Störungen sind oft die Folgen von Gewalterfahrungen,<br />
die Frauen in allen Gesellschaften häufiger erleiden müssen als Männer<br />
(siehe hierzu Kapitel 3.7).<br />
2. Die soziale Lage in unserer Gesellschaft benachteiligt Frauen: Sie sind in einer<br />
sozial schwächeren Position (was zu passiven Bewältigungsstrategien führen<br />
kann), sie ziehen weniger Vorteile aus Ehe und Familie als Männer und sie sind<br />
vermehrt arbeitslos (wobei hier Berufstätigkeit wegen dem Einkommen, dem<br />
Status und der sozialen Unterstützung als protektiver Faktor angesehen wird).<br />
3. Die gesellschaftlich und kulturell determinierten Geschlechterrollen veranlassen<br />
Männer einerseits, ihre Emotionen und Beschwerden zu unterdrücken. Andererseits<br />
erleben Männer die Rollenveränderungen der Frauen in den letzten zwanzig<br />
Jahren als derart verunsichernd, dass sie sich zu männlichen Reaktionsformen<br />
wie Aggressivität, Kontrolle, Macht oder Dominanz provoziert fühlen. Kompensatorisch<br />
dazu sind die weiblichen Rollen angelegt: Attribute wie Wärme, Einfühlsamkeit,<br />
Emotionalität und die Sorge um andere sowie um gesundheitliche Belange<br />
werden eher Frauen zugeschrieben, was häufig als Argument für eine höhere<br />
Inanspruchnahme medizinischer Leistungen von Frauen herangezogen wird.<br />
Das Aufsuchen einer Arztpraxis ist für Frauen eher nicht mit einem Autoritätsverlust<br />
konnotiert, für Männer hingegen eher schon. Allerdings werden in modernen<br />
feministischen Theorien diese Rollenzuschreibungen als zu statisch kritisiert und<br />
schreiben deren Entstehung eher Interaktionsprozessen (sowohl innerhalb der<br />
Gruppe der Frauen und Männer als auch zwischen diesen beiden Gruppen) zu<br />
(Courtenay, 2000; Maschewsky-Schneider, Sonntag & Klesse, 1999).<br />
4. Da Geschlechtsrollenstereotype für Frauen Merkmale wie Abhängigkeit, Ängstlichkeit,<br />
Unterordnung oder Hilflosigkeit denen der PatientInnenrolle ähneln, können<br />
Frauen auch eher zu Patientinnen werden und bekommen auch eher eine<br />
psychische Störung zugeschrieben. Dies kann einerseits mit der Rollenzuschreibung<br />
durch die Ärztin bzw. den Arzt erklärt werden. Andererseits ist es auch<br />
möglich, dass Frauen die beschriebenen Rollenmerkmale so weit internalisiert<br />
haben, dass sie diese gerade im ärztlichen Kontakt zeigen.<br />
Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 123