09.01.2013 Aufrufe

Gender-Gesundheitsbericht Schweiz 2006 - Gender Campus

Gender-Gesundheitsbericht Schweiz 2006 - Gender Campus

Gender-Gesundheitsbericht Schweiz 2006 - Gender Campus

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> <strong>Schweiz</strong> <strong>2006</strong><br />

Grundlagen zur Entwicklung von forschungs-<br />

und handlungsbezogenen Aktivitäten


Impressum<br />

© Bundesamt für Gesundheit (BAG)<br />

Reproduktion mit Quellenangabe gestattet<br />

Herausgeber: Bundesamt für Gesundheit<br />

Publikationszeitpunkt: November <strong>2006</strong><br />

Die namentlich gezeichneten Beiträge geben die Meinung der<br />

Autorinnen und Autoren wieder. Diese entspricht nicht zwangsläufig<br />

der Auffassung des Bundesamt für Gesundheit.<br />

Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier


<strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> <strong>Schweiz</strong> 7<br />

Rapport sanitaire suisse axé sur le genre 11<br />

Rapporto sulla salute specifica alle donne e agli uomini<br />

in Svizzera 16<br />

<strong>Gender</strong> Health Report Switzerland 20<br />

Dank 24<br />

1. Einleitung 26<br />

1.1. Gesundheitspolitische Verankerung 28<br />

Verena Hanselmann<br />

1.2. <strong>Gender</strong> Mainstreaming<br />

Petra Kolip<br />

30<br />

1.2.1. Von der Frauen- zur Geschlechterperspektive 30<br />

1.2.2. Was bedeutet und was will <strong>Gender</strong> Mainstreaming? 32<br />

1.3. Gesundheit und Geschlecht: epidemiologischer Überblick und<br />

erste Erklärungsansätze für die Geschlechterunterschiede 34<br />

Julia Lademann<br />

1.3.1. Überblick über die Geschlechterunterschiede in Gesundheit und<br />

Krankheit 35<br />

1.3.2. Ableitung eines geschlechtsspezifischen Präventionspotenzials und<br />

Versorgungsbedarfs 44<br />

1.3.3. Theoretische Erklärungsansätze für die Geschlechterunterschiede 45<br />

2. Demografische und sozioökonomische Determinanten<br />

der Gesundheit 53<br />

Petra Kolip<br />

2.1. Demografische Situation 53<br />

2.2. Bildung 55<br />

2.3. Erwerbsbeteiligung 55<br />

2.4. Politische Teilhabe 59


3. Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> 60<br />

3.1. Gesundheitliche Chancengleichheit 60<br />

3.1.1. Alter 61<br />

Julia Lademann<br />

3.1.2. Haushaltseinkommen und Bildungsniveau 63<br />

Julia Lademann<br />

3.1.3. Landesteile und Herkunft 67<br />

Julia Lademann<br />

3.1.4. Migration und Gesundheit 69<br />

Luzia Jurt<br />

3.1.5. Armut und Gesundheit 74<br />

Ueli Mäder, Claudia Meier, Hector Schmassmann<br />

3.2. Reproduktive Gesundheit und ein gesunder Lebensanfang<br />

Linda Nartey und Nicole Graf<br />

83<br />

3.2.1. Geburtenrate und Säuglingssterblichkeit 83<br />

3.2.2. Familienplanung und Kontrazeption 84<br />

3.2.3. Schwangerschaft 86<br />

3.2.4. Geburt 88<br />

3.2.5. Unterstützungsangebote nach der Geburt 89<br />

3.2.6. Lebensbedingungen junger Eltern 89<br />

3.2.7. Forschungs- und Handlungsbedarf 92<br />

3.3. Gesundheit junger Menschen<br />

Melanie Hirtz und Sibylle Nideröst<br />

94<br />

3.3.1. Die Adoleszenz als gesundheitsrelevante Lebensphase 94<br />

3.3.2. Gesundheitszustand junger Menschen 95<br />

3.3.3. Gesundheitsrelevantes Verhalten junger Menschen 98<br />

3.3.4. Erklärungsansätze für die Geschlechterunterschiede 103<br />

3.3.5. Forschungs- und Handlungsbedarf 104<br />

3.4. Altern in Gesundheit<br />

Margreet Duetz Schmucki und Gisela Bähler<br />

107<br />

3.4.1. Lebenserwartung, behinderungsfreie Lebensjahre und Mortalität 108<br />

3.4.2. Lebensqualität und subjektive Gesundheit 109<br />

3.4.3. Häufige Krankheiten und Störungen im Alter 110<br />

3.4.4. Erklärungsansätze für die Geschlechterunterschiede im Alter 112<br />

3.4.5. Gesundheitliche Versorgung 114<br />

3.4.6. Handlungsbedarf in Gesundheitsförderung und Prävention 116


3.5. Verbesserung der psychischen Gesundheit 119<br />

Heinz Bolliger-Salzmann<br />

3.5.1. Psychisches Wohlbefinden und Arbeitsstress 119<br />

3.5.2. Klassifikation und Epidemiologie psychischer Störungen 121<br />

3.5.3. Essstörungen 124<br />

3.5.4. Potenzielle Folgen psychischer Störungen: Suizid 125<br />

3.5.5. Forschungs- und Handlungsbedarf 126<br />

3.6. Verringerung der übertragbaren und nicht übertragbaren<br />

Krankheiten 129<br />

Petra Kolip<br />

3.6.1. Epidemiologischer Überblick in geschlechtervergleichender<br />

Perspektive Todesursachen 130<br />

3.6.2. Ausgewählte Krankheiten im Geschlechtervergleich 133<br />

3.6.3. Forschungs- und Handlungsbedarf 143<br />

3.7. Verringerung von auf Gewalteinwirkung und Unfälle<br />

zurückzuführende Verletzungen 146<br />

Petra Kolip<br />

3.7.1. Unfälle und Gewalteinwirkung als Todesursache 146<br />

3.7.2. Morbidität durch Unfälle 147<br />

3.7.3. Morbidität durch Gewalterfahrung 149<br />

3.7.4. Forschungs- und Handlungsbedarf 151<br />

3.8. Eine gesunde und sichere natürliche Umwelt<br />

Andrea Pauli und Claudia Hornberg<br />

153<br />

3.8.1. Informations- und Datenquellen zur Umweltsituation in der <strong>Schweiz</strong> 153<br />

3.8.2. Umweltbezogene Gesundheitsstörungen in der <strong>Schweiz</strong>er Bevölkerung 154<br />

3.8.3. Analysen und Bewertungen im Kontext Umwelt und Gesundheit aus<br />

der <strong>Gender</strong>-Perspektive 155<br />

3.8.4. <strong>Gender</strong>-Relevanz in der Umwelt bezogenen Gesundheitsforschung 156<br />

3.8.5. Gesundheitsförderung und Prävention 157<br />

3.8.6. Ausblick 158<br />

3.9. Gesundheitsrelevantes Verhalten<br />

Sandra Kuntsche und Gerhard Gmel<br />

3.9.1. Epidemiologische Befunde zu Indikatoren des gesundheitsrelevanten<br />

163<br />

Verhaltens im Geschlechtervergleich 163<br />

3.9.2. Erklärungsansätze für die Geschlechtsunterschiede 176<br />

3.9.3. Forschungs- und Handlungsbedarf 178


4. Diskussion und Schlussfolgerungen 182<br />

Julia Lademann und Petra Kolip<br />

4.1. Ziel und Zweck der <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung 182<br />

4.2. Ursachen der gesundheitlichen Unterschiede zwischen den<br />

Geschlechtern<br />

4.2.1. Geschlechtsspezifische Körpersozialisation und gesundheitsbezogene<br />

183<br />

Verhaltensweisen 183<br />

4.2.2. Geschlechtsspezifische Arbeits- und Lebensbedingungen 184<br />

4.2.3. Biologische Faktoren 185<br />

4.2.4. Geschlechtsspezifische Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem 185<br />

4.2.5. Methodische Probleme 185<br />

4.3. Ursachen der gesundheitlichen Unterschiede innerhalb der<br />

Geschlechter 186<br />

4.4. <strong>Gender</strong> Mainstreaming in der <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung und<br />

gesundheitlichen Versorgung 187<br />

4.5. Gesundheitsziele und Geschlecht: Situation und Handlungsbedarf 192<br />

4.5.1. Ziel: Gesundheitliche Chancengleichheit 192<br />

4.5.2. Ziel: Reproduktive Gesundheit und ein gesunder Lebensanfang 193<br />

4.5.3. Ziel: Gesundheit junger Menschen 195<br />

4.5.4. Ziel: Altern in Gesundheit 196<br />

4.5.5. Ziel: Verbesserung der psychischen Gesundheit 197<br />

4.5.6. Ziel: Verringerung übertragbarer und nicht übertragbarer Krankheiten<br />

4.5.7. Ziel: Verringerung von auf Gewalteinwirkungen und Unfälle<br />

198<br />

zurückzuführende Verletzungen 199<br />

4.5.8. Ziel: Eine gesunde und sichere natürliche Umwelt 200<br />

4.5.9. Ziele: Gesünder leben und Verringerung der durch gesundheitsriskantes<br />

Verhalten verursachten Schäden 201<br />

4.6. Handlungsempfehlungen 202<br />

Tabellen-Anhang 208<br />

Kapitel 2 208<br />

Kapitel 3.1 212


<strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> <strong>Schweiz</strong> 1<br />

<strong>Gesundheitsbericht</strong>e stellen eine zentrale Planungsgrundlage für Massnahmen zur Verbesserung<br />

der gesundheitlichen Situation der Bevölkerung dar. In den vergangenen Jahrzehnten<br />

hat sich gezeigt, dass die Gesundheitschancen in der Bevölkerung ungleich verteilt<br />

sind. So unterscheiden sich Frauen und Männer hinsichtlich Lebenserwartung und<br />

Sterblichkeit, sie sind von Krankheiten in unterschiedlichem Masse betroffen und weisen<br />

damit differenzierte Gesundheitsprofile auf. Darüber hinaus unterscheiden sie sich in der<br />

Nutzung des Gesundheitssystems und zeigen Differenzen hinsichtlich gesundheitsrelevanter<br />

Verhaltensweisen, so dass auch von differenziellen Präventionspotenzialen auszugehen<br />

ist. Auch die biologischen, sozialen und gesellschaftlichen Einflussfaktoren auf<br />

Gesundheit und Krankheit differieren zwischen den Geschlechtern und müssen bei der<br />

Planung gesundheitsbezogener Massnahmen berücksichtigt werden.<br />

Mittlerweile stellt <strong>Gender</strong> Mainstreaming eine zentrale Strategie dar, die sowohl zur gesundheitlichen<br />

Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern als auch zu Qualitätsverbesserungen<br />

in der gesundheitlichen Versorgung von Frauen und Männern beitragen<br />

soll. Der <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> orientiert sich an den Gesundheitszielen 2 :<br />

G<br />

E<br />

N<br />

D<br />

E<br />

R<br />

M<br />

A<br />

I<br />

N<br />

S<br />

T<br />

R<br />

E<br />

A<br />

M<br />

Gesundheitliche Chancengleichheit<br />

Reproduktive Gesundheit und ein gesunder<br />

Lebensanfang<br />

Gesundheit junger Menschen<br />

Altern in Gesundheit<br />

Verbesserung der psychischen Gesundheit<br />

Verringerung von übertragbaren und nichtübertragbaren<br />

Krankheiten<br />

Verringerung von Verletzungen durch Gewalteinwirkung<br />

und Unfällen<br />

Gesunde und sichere natürliche Umwelt<br />

Gesünder leben und Verringerung riskanter<br />

Verhaltensweisen<br />

1 Der <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> <strong>Schweiz</strong> wurde im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit von<br />

folgenden AutorInnen erstellt: Gisela Bähler, Dr. Heinz Bolliger-Salzmann, Dr. Margreet Duetz<br />

Schmucki, Gerhard Gmel, Nicole Graf, Verena Hanselmann, Melanie Hirtz, Prof. Dr. Claudia<br />

Hornberg, Dr. Luzia Jurt, Prof. Dr. Petra Kolip, Sandra Kuntsche, Julia Lademann, Prof. Dr. Ueli<br />

Mäder, Dr. Claudia Meier, Linda Nartey, Sibylle Nideröst, Andrea Pauli und Dr. Hector Schmassmann.<br />

2 <strong>Schweiz</strong>erische Gesellschaft für Prävention und Gesundheitswesen (Hrsg.) (2002). Gesundheitsziele<br />

für die <strong>Schweiz</strong>. Gesundheit für alle im 21. Jahrhundert (WHO Europa), Bern.<br />

Zusammenfassung <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> <strong>Schweiz</strong> | 7


Er präsentiert die epidemiologischen Befunde aus einer <strong>Gender</strong>-Perspektive, interpretiert<br />

die Befunde vor dem Hintergrund der Diskussion um die Bedeutung von sex und gender<br />

und formuliert Handlungsempfehlungen.<br />

Hinsichtlich gesundheitlicher Chancengleichheit sind neben dem Faktor Geschlecht auch<br />

Alter, sozio-ökonomische Situation und Herkunft zu unterscheiden. Dabei zeigt sich, dass<br />

Geschlechterunterschiede in verschiedenen Altersklassen oder sozialen Schichten unterschiedlich<br />

ausfallen können. So steigt beispielsweise die Einschätzung des subjektiven<br />

Gesundheitszustandes mit zunehmendem Haushaltseinkommen bei Männern an, während<br />

dies für Frauen nicht zutrifft. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist gerade<br />

in der höchsten Einkommensklasse am prägnantesten. Demnach scheinen für Frauen<br />

in höheren sozialen Schichten andere als sozio-ökonomische Faktoren für die Beurteilung<br />

ihres subjektiven Gesundheitszustandes von Belang zu sein.<br />

Reproduktive Gesundheit wird derzeit in erster Linie vor dem Hintergrund des kontinuierlichen<br />

Rückgangs der jährlichen Geburtenrate diskutiert. Um diesen Trend zu stoppen,<br />

sind vor allem die familienergänzenden Betreuungsangebote auszuweiten. Dies ist notwendig,<br />

damit sowohl für Frauen als auch für Männer eine Vereinbarkeit von Familienund<br />

Berufsarbeit ermöglicht werden kann. Die Versorgungsangebote rund um Schwangerschaft<br />

und Geburt können durch ein Übermass an Diagnostik (z.B. im Bereich der<br />

Pränataldiagnostik) und Intervention (Kaiserschnittraten liegen mit knapp 30% auf europäisch<br />

hohem Niveau) zu einer Medikalisierung führen und sind daher eher den Bedürfnissen<br />

der Frauen und ihren Partnern gemäss zu entwickeln.<br />

Die Gesundheit junger Menschen, d.h. von Kindern und Jugendlichen ist vergleichsweise<br />

gut. Ein Blick auf die Haupttodesursachen verdeutlicht, in welchen Bereichen dennoch<br />

ein grosses Präventionspotenzial liegt: Unfälle machen mit 30% bis 40% die häufigste<br />

Todesursache bei Kindern und Jugendlichen männlichen Geschlechts aus Geschlechterunterschiede<br />

zeigen sich auch in einigen Bereichen des Suchtmittelkonsums. Für das<br />

Rauchen lässt sich festhalten, dass sich die Unterschiede in Bezug auf die Prävalenzraten<br />

verringern. Die Angleichung der Geschlechter findet sich aber nur auf dieser oberflächlichen<br />

Ebene, qualitative Konsumunterschiede wie die Menge des Konsums und die genutzten<br />

Tabakprodukte bleiben dagegen bestehen. Der Alkoholkonsum ist bei den Jungen<br />

deutlich höher als bei den Mädchen, auch wenn dieser Unterschied im Trend ebenfalls<br />

kleiner wird. Die geschlechtsdifferenzierten Verhaltensweisen bei Kindern und Jugendlichen<br />

müssen in künftigen Präventionsansätzen auch bei diesen Zielgruppen mehr<br />

reflektiert und aufgenommen werden.<br />

Durch die gestiegene Lebenserwartung wird dem Altern in Gesundheit zunehmende<br />

Beachtung geschenkt. Hinsichtlich der gesundheitlichen Situation unterscheiden sich<br />

Frauen und Männer auch im Alter, was wiederum die Entwicklung geschlechtersensibler<br />

Versorgungs- und Präventionsangebote notwendig macht. So steigt das Risiko, an Demenz<br />

zu erkranken, mit zunehmendem Alter an, wobei Frauen zwischen 75 und 90 Jahren<br />

– im Vergleich zu Männern – überproportional betroffen sind. Auffallend ist dagegen<br />

die hohe Suizidrate bei Männern im Alter, vor allem die der über 85-Jährigen.<br />

Die Verbesserung der psychischen Gesundheit der Bevölkerung gilt aus Public-Health-<br />

Perspektive als eine der grössten Herausforderungen. Ein geschlechterdifferenzierender<br />

Blick zeigt, dass Frauen und Männer in unterschiedlichem Masse von psychischen Störungen<br />

und Befindlichkeitsbeeinträchtigungen betroffen sind. Die häufig formulierte Einschätzung,<br />

Frauen litten häufiger unter psychischen Erkrankungen, lässt sich allerdings<br />

Zusammenfassung <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> <strong>Schweiz</strong> | 8


nur mit Einschränkungen bestätigen, denn je nach Geschlecht lassen sich spezifische<br />

Krankheitsprofile identifizieren. Darüber hinaus gilt es, die Geschlechterstereotypisierung<br />

im Bereich psychischer Krankheiten in den Blick zu nehmen. Es gibt Hinweise darauf,<br />

dass die epidemiologischen Erhebungsinstrumente ein Geschlechter-Bias aufweisen, da<br />

z.B. männertypische Belastungreaktionen auf Stress nicht erfasst werden; Ähnliches gilt<br />

für die Diagnostik hinsichtlich Depressionen. Die Erarbeitung geschlechtersensibler Instrumente<br />

ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, da die Geschlechtsunterschiede zwar<br />

vielfach belegt, die Ursachen hierfür jedoch kaum erforscht sind.<br />

Zur Verringerung übertragbarer und nicht übertragbarer Krankheiten muss das Prinzip des<br />

<strong>Gender</strong> Mainstreaming stärker in die klinische und gesundheitswissenschaftliche Forschung<br />

sowie in die gesundheitliche Versorgung integriert werden. So zeigen die epidemiologischen<br />

Daten, dass es vor allem im mittleren Lebensalter eindeutige geschlechtsspezifische<br />

Morbiditäts- und Mortalitätsmuster gibt. Herz-Kreislauf-Krankheiten und<br />

Krebserkrankungen sind für Frauen und Männer als Todesursachen relevant, während<br />

Unfälle als Todesursache vor allem in der Gruppe der Männer von Bedeutung sind. Hinter<br />

den Geschlechterunterschieden in der Mortalität stehen vor allem ein geschlechtsspezifisches<br />

gesundheitliches Risikoverhalten sowie gesundheitsgefährdendere Lebens- und<br />

Arbeitsbedingungen von Männern. Frauen und Männer sind von vielen Krankheiten in<br />

unterschiedlichem Masse betroffen, allerdings sind die Geschlechterunterschiede bislang<br />

kaum ausführlich untersucht. Eine Ausnahme bilden die Herzkrankheiten: Hier zeigt sich,<br />

dass Symptome von Frauen fehlgedeutet werden, eine beiden Geschlechtern angemessene<br />

Diagnostik nicht zur Verfügung steht und darüber hinaus spezifische Diagnostik und<br />

Therapie Frauen und Männern in unterschiedlichem Masse zugute kommt. Diese Erkenntnisse<br />

können zu einer deutlichen Verbesserung der Versorgungsqualität und Erhöhung<br />

von Geschlechtergerechtigkeit im Gesundheitssystem genutzt werden.<br />

Zur Verringerung von Verletzungen durch Gewalteinwirkungen und Unfällen ist ein besonderes<br />

Augenmerk auf jüngere Männer bis ins mittlere Lebensalter zu richten. Insgesamt<br />

haben Männer – im Vergleich zu Frauen – ein etwa 2,5-fach erhöhtes Risiko, aufgrund<br />

von Gewalteinwirkungen und Unfällen zu versterben. Forschungs- und Interventionsbedarf<br />

besteht im Zusammenhang mit Unfällen vor allem zu der Frage, wie eine geschlechtergerechte<br />

Ansprache gelingen kann, welche die identitätsstiftenden Momente<br />

gesundheitsriskanten Verhaltens (z.B. im Strassenverkehr) junger Männer aufnimmt.<br />

Sowohl Frauen als auch Männer sind Opfer von Gewalt. Während Männer tendenziell<br />

eher von ausserhäuslichen Gewalterfahrungen betroffen sind, sehen sich Frauen hingegen<br />

der Gewalt im sozialen Nahbereich häufiger ausgesetzt. Gewalt stellt ein Problem<br />

dar, welches im Kontext gesundheitlicher Intervention und Prävention künftig mehr Aufmerksamkeit<br />

zu schenken ist und ohne eine explizite Berücksichtung von Geschlecht<br />

nicht adäquat zu bearbeiten ist.<br />

Um einen <strong>Gender</strong>-Ansatz zur Erhaltung einer gesunden und sicheren natürlichen Umwelt<br />

gezielt zu fördern, ist die Erhebung geschlechterdifferenzierter Daten und die Schaffung<br />

einer genderorientierten Datenbasis als zentrales Kriterium in die Umweltforschung zu<br />

implementieren. Die Relevanz von <strong>Gender</strong>-Aspekten zeigt sich z.B. in der arbeitsplatzbedingten<br />

und alltagsrelevanten Chemikalienbelastung. Toxikokinetische Besonderheiten<br />

und unterschiedliche Empfindlichkeiten gegenüber Schadstoffen können zu geschlechtsspezifischen<br />

Differenzen in der Belastung mit Umweltchemikalien führen. Männer und<br />

Frauen sind zudem in ungleicher Weise von raum- und verkehrsplanerischen Massnah-<br />

Zusammenfassung <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> <strong>Schweiz</strong> | 9


men betroffen und zeigen ein unterschiedliches Verhalten in der Verkehrsnutzung. Zahlreiche<br />

Forschungsvorhaben im Kontext Umwelt und Gesundheit knüpfen unmittelbar an<br />

<strong>Gender</strong>-Fragen an, eine getrennte Analyse der Befunde nach Geschlechtern bleibt jedoch<br />

in der Regel aus. Fehlendes «Know-how» hinsichtlich der möglichen Einbeziehung von<br />

<strong>Gender</strong>-Perspektiven scheint speziell im Bereich der Umweltforschung als zentrales Hindernis,<br />

demzufolge geschlechtervergleichende Datenbestände in der <strong>Schweiz</strong> noch<br />

weitgehend ausstehen.<br />

Mit Blick auf die Morbidität und Mortalität von Frauen und Männern kommt dem gesundheitsrelevanten<br />

Verhalten eine grosse Bedeutung für die Geschlechterunterschiede<br />

zu. So unterscheiden sich Frauen und Männer hinsichtlich körperlicher Bewegung sowie<br />

im Ernährungsverhalten. Allerdings ist bei der körperlichen Aktivität zu berücksichtigen,<br />

dass eine Verzerrung durch das Erhebungsinstrument nicht ausgeschlossen werden<br />

kann: Männer treiben zwar häufiger Sport; werden aber auch alltägliche Bewegungsformen<br />

erfasst, so schwinden die Geschlechterunterschiede. Hinsichtlich der betrachteten<br />

Substanzen zeigt sich, dass sich insbesondere bezüglich des Konsums legaler Substanzen<br />

wie Alkohol und Tabak eine zunehmende Annäherung der Konsumprävalenzen in<br />

den jüngeren Altersgruppen beobachten lässt. Zwar konsumieren Männer auch heute<br />

noch häufiger und in der Regel auch mehr, aber die Kluft zwischen den Geschlechtern<br />

wird zunehmend geringer. Obwohl die Geschlechterunterschiede mittlerweile vielfach<br />

belegt sind und auch in internationalen Studien nachgewiesen werden, ist die Kenntnis<br />

über deren Ursachen vergleichsweise gering. Es fehlt an Grundlagenforschung, die sich<br />

gezielt den Ursachen für die Unterschiede im gesundheitsrelevanten Verhalten widmet,<br />

die insbesondere der Frage nach einer weiteren sozialen Differenzierung nachgeht und<br />

die Rahmenbedingungen für Gesundheitsverhalten beleuchtet, um Ansatzpunkte für<br />

geschlechtergerechte Präventionsangebote identifizieren zu können.<br />

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Ziele des <strong>Gender</strong> Mainstreaming,<br />

− die Erhöhung gesundheitlicher Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern<br />

− und Qualitätsverbesserungen im Gesundheitswesen durch zielgruppenspezifische,<br />

d.h. geschlechtersensible Angebote,<br />

bislang nur ansatzweise erreicht wurden. Der <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> bietet eine<br />

Grundlage für eine vertiefende Analyse hinsichtlich dieser Zielrichtungen. Gesundheitspolitischer<br />

und wissenschaftlicher Handlungsbedarf ergibt sich vor allem hinsichtlich Prioritätensetzung<br />

sowie der Operationalisierung des weiteren Forschungs- und Handlungsbedarfes.<br />

Für Forschung, Politik und Praxis gleichermassen relevant ist die konsequente<br />

Umsetzung von <strong>Gender</strong> Mainstreaming, was eine strukturelle Verankerung von <strong>Gender</strong>-<br />

Kompetenz in diesen Bereichen voraussetzt. In der Praxis sind die Gesundheitsprofessionen<br />

für Geschlechterbelange zu sensibilisieren und zu qualifizieren und die Vernetzung<br />

und Verbreitung von Modellen guter Praxis voranzutreiben.<br />

Zusammenfassung <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> <strong>Schweiz</strong> | 10


Rapport sanitaire suisse axé sur le genre 3<br />

Les rapports sanitaires constituent des références indispensables à la mise au point de<br />

mesures visant à améliorer la santé de la population. Les dernières décennies ont montré<br />

que les expériences en matière de santé ne sont pas les mêmes au sein de la population.<br />

Ainsi, l’espérance de vie n’est pas la même chez les hommes et chez les femmes,<br />

le taux de mortalité non plus. Ils sont touchés par les maladies de manière disproportionnelle<br />

et présentent des profils de santé différenciés. Nous avons par ailleurs relevé des<br />

différences sur le plan de l’utilisation du système de santé et des comportements liés à<br />

la santé, ce qui donne à penser que les efforts à fournir en termes de prévention doivent<br />

également être différenciés. Les facteurs biologiques, sociaux et médico-sociaux ayant<br />

une influence sur la santé et la maladie diffèrent également selon le sexe et doivent être<br />

pris en considération dans l’élaboration des mesures de santé publique.<br />

Le <strong>Gender</strong> Mainstreaming est désormais considéré comme la stratégie centrale censée<br />

contribuer autant à l’égalité des chances entre les sexes dans le domaine de la santé<br />

qu’à des améliorations qualitatives des prestations de santé offertes aux femmes et aux<br />

hommes. Le rapport sanitaire axé sur le genre fait ressortir les objectifs sanitaires 4 suivants<br />

:<br />

G<br />

E<br />

N<br />

D<br />

E<br />

R<br />

M<br />

A<br />

I<br />

N<br />

S<br />

T<br />

R<br />

E<br />

A<br />

M<br />

L’égalité des chances dans le domaine de la santé<br />

La santé reproductive et un bon état de santé au cours<br />

des premières années de la vie<br />

La santé des jeunes<br />

Vieillir en bonne santé<br />

Améliorer la santé psychique<br />

Réduire les maladies transmissibles et<br />

non transmissibles<br />

Réduire les blessures dues aux actes de violence<br />

et aux accidents<br />

Un environnement naturel sain et sûr<br />

Vivre plus sainement et réduire les comportements à<br />

risque<br />

3 Le rapport sanitaire suisse axé sur le genre a été établi à la demande de l’Office fédéral de la santé<br />

publique par les auteurs suivants: Gisela Bähler, Dr Heinz Bolliger-Salzmann, Dr Margreet Duetz<br />

Schmucki, Gerhard Gmel, Nicole Graf, Verena Hanselmann, Melanie Hirtz, Prof. Dr Claudia Hornberg,<br />

Dr Luzia Jurt, Prof. Dr Petra Kolip, Sandra Kuntsche, Julia Lademann, Prof. Dr Ueli Mäder, Dr Claudia<br />

Meier, Linda Nartey, Sibylle Nideröst, Andrea Pauli et Dr Hector Schmassmann.<br />

4 Société suisse de santé publique (éditeur) (2002) ; Objectifs sanitaires pour la Suisse. Santé pour<br />

tous au XXI e s. (OMS Europe), Berne<br />

Résumé du rapport sanitaire suisse axé sur le genre | 11


Il présente les résultats épidémiologiques à partir d’une perspective axée sur le genre,<br />

analyse les résultats en fonction du débat sur l’importance du sexe et du genre et comporte<br />

des recommandations.<br />

Outre le sexe, l’âge, la situation socioéconomique et l’origine régionale et culturelle sont<br />

des facteurs qui doivent également être différenciés en matière d’égalité des chances<br />

dans le domaine de la santé. Nous constatons ainsi que les différences entre les sexes<br />

sont plus ou moins marquées selon les classes d’âge ou les couches sociales. Par<br />

exemple, plus le revenu du ménage augmente, plus le niveau de l’état de santé subjectif<br />

est élevé chez les hommes, ce qui n’est pas le cas chez les femmes. C’est dans la catégorie<br />

de revenu la plus élevée que la différence entre les sexes est la plus flagrante :<br />

chez les femmes issues de couches sociales élevées, il semble en effet que des facteurs<br />

autres que les facteurs socioéconomiques jouent un rôle lors de l’autoévaluation de<br />

leur état de santé.<br />

La santé reproductive fait actuellement l’objet d’une étude prioritaire, étant donné le<br />

recul continu du taux de natalité annuel. Pour stopper cette tendance, il faut avant tout<br />

étendre les offres de prise en charge visant à aider les familles. Ceci est indispensable<br />

pour permettre à la fois aux femmes et aux hommes de concilier leur vie de famille et<br />

leur vie professionnelle. Les offres de prestation liées à la grossesse et à la naissance<br />

peuvent conduire à une médicalisation en raison d’un excès de diagnostics (p. ex. dans le<br />

domaine du diagnostic prénatal) et d’interventions (avec près de 30 %, le taux de césariennes<br />

est aussi élevé que le taux européen) et doivent par conséquent être mises au<br />

point dans le souci de répondre aux besoins des femmes et de leurs partenaires.<br />

En comparaison, les jeunes, c’est-à-dire les enfants et les adolescents, sont en bonne<br />

santé. L’étude des principales causes de décès met en évidence les domaines nécessitant<br />

davantage d’efforts en termes de prévention : les accidents (30 % à 40 % des décès)<br />

constituent la cause de décès la plus fréquente chez les enfants et les adolescents,<br />

le plus souvent de sexe masculin. Des différences entre les sexes ressortent également<br />

dans certains domaines de consommation de drogues. En ce qui concerne le tabac, nous<br />

pouvons constater que les différences entre les taux de prévalence s’estompent et que<br />

les valeurs tendent à s’équilibrer entre les deux sexes. Toutefois, les différences en matière<br />

de consommation, comme p. ex. la quantité consommée et les produits du tabac<br />

utilisés, subsistent. La consommation d’alcool est nettement plus élevée chez les garçons<br />

que chez les filles, même si cette différence tend également à diminuer. Les comportements<br />

différenciés selon le sexe chez les enfants et les adolescents doivent être<br />

davantage mis en valeur pour ces groupes cibles et être intégrés dans les futures approches<br />

de prévention.<br />

Avec l’augmentation de l’espérance de vie, l’objectif de vieillir en bonne santé est de<br />

plus en plus pris en considération. En ce qui concerne l’état de santé, les hommes et les<br />

femmes se différencient également au niveau de l’âge, ce qui rend nécessaire la mise au<br />

point d’offres de prestations de santé et de prévention adaptées à chaque sexe. Le risque<br />

de contracter une démence augmente avec l’âge, mais les femmes entre 75 et 90<br />

ans sont touchées de manière disproportionnelle par rapport aux hommes. En revanche,<br />

le taux de suicide élevé chez les hommes d’un certain âge est surprenant, particulièrement<br />

chez les hommes de plus de 85 ans.<br />

Résumé du rapport sanitaire suisse axé sur le genre | 12


Dans une perspective de santé publique, l’amélioration de la santé psychique de la population<br />

est l’un des plus grands défis à relever. L’étude effectuant des différenciations<br />

entre les sexes indique que les hommes et les femmes sont touchés de manière inégale<br />

par des dysfonctionnements et des troubles psychiques. Nombreux sont ceux qui estiment<br />

que ce sont les femmes qui souffrent le plus souvent de maladies psychiques.<br />

Nous ne pouvons toutefois confirmer qu’en partie cette affirmation car on identifie des<br />

profils pathologiques spécifiques en fonction de chaque sexe. De plus, il faut étudier de<br />

plus près la stéréotypie des sexes dans le domaine des maladies psychiques. Nous disposons<br />

d’informations montrant que les instruments d’étude épidémiologique présentent<br />

des partis pris spécifiques à chaque sexe, étant donné, p. ex., que les réactions<br />

masculines typiques en cas de stress ne sont pas prises en considération ; le même<br />

constat s’applique aux diagnostics en cas de dépression. La mise au point d’instruments<br />

adaptés à chaque sexe est extrêmement importante car si les différences entre les<br />

sexes ont été prouvées de multiples façons, les causes de ces différences n’ont quant à<br />

elles pas fait l’objet d’études suffisantes.<br />

Pour la réduction des maladies transmissibles et non transmissibles, le principe du <strong>Gender</strong><br />

Mainstreaming doit être davantage intégré dans la recherche clinique et sanitaire<br />

ainsi que dans les prestations de soins. Les données épidémiologiques montrent que<br />

c’est principalement vers le milieu de la vie que l’on rencontre des exemples précis de<br />

morbidité et de mortalité spécifiques à chaque sexe. Les maladies cardiovasculaires et<br />

les cancers sont une cause de décès autant chez les femmes que chez les hommes,<br />

alors que les décès par accident sont surtout élevés dans le groupe des hommes. En ce<br />

qui concerne la mortalité, les différences entre les sexes s’expliquent par un comportement<br />

sanitaire à risque spécifique à chaque sexe ainsi que par des conditions de vie et<br />

de travail masculines plus dangereuses pour la santé. Les hommes et les femmes sont<br />

concernés de manière inégale par de nombreuses maladies, mais les différences entre<br />

les sexes n’ont pas fait l’objet d’études suffisamment détaillées jusqu’à présent. Les<br />

maladies cardiaques forment une exception : il est évident que les symptômes sont souvent<br />

mal interprétés par les femmes, qu’un diagnostic adapté aux deux sexes est inexistant<br />

et aussi que les hommes et les femmes bénéficient de manière inégale du diagnostic<br />

et de la thérapie spécifiques. Si elles sont prises en considération, ces constatations<br />

permettront d’améliorer de manière considérable la qualité des prestations et<br />

d’augmenter l’équité entre les hommes et les femmes au sein du système de santé<br />

publique.<br />

En ce qui concerne la réduction des blessures dues aux actes de violence et aux accidents,<br />

il convient de s’intéresser plus particulièrement aux hommes d’âge jeune à<br />

moyen. Au total, les hommes présentent un risque 2,5 fois plus élevé que les femmes<br />

de décéder des suites d’actes de violence et d’accidents. En ce qui concerne les accidents,<br />

il est indispensable de procéder à des recherches et d’intervenir, surtout sur le<br />

point suivant : parvenir à un discours adapté à chaque sexe qui intègrerait les caractéristiques<br />

du comportement à risque (p. ex. sur la route) des hommes jeunes. Les femmes<br />

tout comme les hommes sont victimes d’actes de violence. Alors que les hommes sont<br />

Résumé du rapport sanitaire suisse axé sur le genre | 13


plutôt exposés à des actes de violence hors du foyer, les femmes sont en revanche souvent<br />

victimes d'actes de violence au sein de leur environnement social proche. La violence<br />

pose un problème auquel il faudra accorder plus d’importance à l’avenir dans le<br />

contexte de l’intervention et de la prévention sanitaire, et qui ne peut pas être traité de<br />

manière adéquate sans tenir compte du sexe de manière explicite.<br />

Pour faire progresser de manière ciblée une approche axée sur le genre en vue de<br />

conserver un environnement naturel sain et sûr, la collecte de données différenciées<br />

selon le sexe et la création d’une banque de données axée sur le genre doivent devenir<br />

les piliers de la recherche sur l’environnement. L’importance des aspects liés au genre<br />

est visible p. ex. dans l’exposition aux produits chimiques subie par les personnes à leur<br />

poste de travail et au quotidien. Les particularités toxicocinétiques et les sensibilités différentes<br />

aux substances nocives peuvent conduire à des différences spécifiques à chaque<br />

sexe en ce qui concerne l’exposition aux produits chimiques présents dans<br />

l’environnement. De plus, les hommes et les femmes sont concernés de manière inégale<br />

par les mesures d’aménagement du territoire et de l’espace routier et présentent un<br />

comportement différent en matière d’utilisation des moyens de transport. De nombreux<br />

projets de recherche effectués dans le domaine de l’environnement et de la santé sont<br />

directement liés aux questions du genre, mais en règle générale, une analyse séparée<br />

des résultats selon le sexe reste inexistante. Le manque de savoir-faire en matière<br />

d’intégration éventuelle des perspectives du genre semble être un obstacle central, spécialement<br />

dans le domaine de la recherche sur l’environnement : des données de comparaison<br />

entre les sexes n’ont toujours pas été fournies pour la Suisse.<br />

Sur le plan de la morbidité et de la mortalité des hommes et des femmes, le comportement<br />

adopté vis-à-vis de la santé met particulièrement en évidence des différences entre<br />

les sexes. Les hommes et les femmes ont une activité physique et un comportement<br />

alimentaire différents. Cependant sur le plan de l’activité physique, il faut souligner qu’on<br />

ne peut pas exclure une distorsion due à l’instrument d’étude : les hommes ont une<br />

activité physique plus importante, mais si l’on prend également en considération les différents<br />

types d’activités quotidiennes, les différences entre les sexes s’estompent. En<br />

ce qui concerne les substances considérées, nous assistons à un rapprochement croissant<br />

des prévalences de consommation chez les groupes d’âge les plus jeunes, notamment<br />

en ce qui concerne la consommation des substances légales comme l’alcool et le<br />

tabac. Il est certain que les hommes consomment aujourd’hui encore plus fréquemment<br />

que les femmes et en règle générale en plus grande quantité, mais le fossé entre les<br />

sexes est de moins en moins important. Bien que les différences entre les sexes aient<br />

été démontrées de multiples façons et qu’elles aient été également prouvées par plusieurs<br />

études internationales, nous avons très peu d’informations sur les causes de ces<br />

différences. Il manque une recherche fondamentale qui se consacrerait de manière ciblée<br />

aux causes des différences constatées dans le comportement adopté vis-à-vis de la<br />

santé, qui s’intéresserait notamment à l’éventualité d’une autre différenciation sociale et<br />

qui éclairerait les conditions cadres du comportement que les individus adoptent vis-à-vis<br />

de leur santé de façon à pouvoir déterminer des méthodes d’approche pour les offres de<br />

prévention adaptées à chaque sexe.<br />

Résumé du rapport sanitaire suisse axé sur le genre | 14


Pour résumer, nous constatons que les objectifs du <strong>Gender</strong> Mainstreaming, à savoir<br />

− l’augmentation de l’égalité des chances entre les sexes dans le domaine de la santé<br />

− et les améliorations qualitatives dans la santé publique grâce à des offres spécifiques<br />

au groupe cible, c’est-à-dire adaptées à chaque sexe,<br />

n’ont, jusqu’à présent, été atteints que dans les grandes lignes. Le rapport sanitaire axé<br />

sur le genre sert de base solide à une analyse approfondie axée sur ces objectifs. Il est<br />

urgent que la science et la politique de santé publique agissent, fixent des priorités et<br />

opérationnalisent le futur besoin de recherche et d’action. La mise en œuvre efficace du<br />

<strong>Gender</strong> Mainstreaming est tout aussi importante dans le cadre de la recherche, de la<br />

politique et de la pratique et implique un ancrage structurel de la compétence en matière<br />

de genre dans ces domaines. Dans la pratique, les professions de la santé doivent être<br />

qualifiées et sensibilisées aux intérêts de chaque sexe et il faudra encourager<br />

l’interconnexion ainsi que l’extension des modèles pour lesquels les expériences se seront<br />

révélées convaincantes.<br />

Résumé du rapport sanitaire suisse axé sur le genre | 15


Rapporto sulla salute specifica alle donne e agli<br />

uomini in Svizzera 5<br />

I rapporti sulla salute costituiscono un elemento essenziale per la pianificazione di misure<br />

atte a conseguire un miglioramento della salute della popolazione. Nei decenni passati si<br />

è evidenziata una disuguaglianza delle opportunità presso la popolazione nell'ambito della<br />

salute. Ad esempio, sono state riscontrate divergenze tra uomo e donna per quanto riguarda<br />

le aspettative di vita e la mortalità, la morbidità ed il profilo della salute. È stato<br />

rilevato, inoltre, un diverso utilizzo del sistema sanitario e differenze di comportamento<br />

rilevanti dal punto di vista degli effetti sulla salute. Da ciò risulta quindi un potenziale di<br />

prevenzione molto differenziato. Un altro aspetto da considerare nella pianificazione di<br />

programmi per la salute sono inoltre i fattori biologici e sociali che assumono un ruolo<br />

primario per la salute e le malattie e che differiscono tra uomini e donne.<br />

Oggi il gender mainstreaming rappresenta una strategia primaria il cui obiettivo è il raggiungimento<br />

delle pari opportunità tra uomini e donne sia nel campo della salute sia ai fini<br />

di un miglioramento qualitativo dell’assistenza sanitaria a uomini e donne. Il rapporto sulla<br />

salute specifica alle donne e agli uomini si prefigge il raggiungimento dei seguenti obiettivi<br />

di salute 6 :<br />

G<br />

E<br />

N<br />

D<br />

E<br />

R<br />

M<br />

A<br />

I<br />

N<br />

S<br />

T<br />

R<br />

E<br />

A<br />

M<br />

Pari opportunità nell'ambito della salute<br />

Salute riproduttiva e un inizio sano della vita<br />

Salute dei giovani<br />

Invecchiare in salute<br />

Miglioramento della salute psichica<br />

Riduzione delle malattie infettive e non infettive<br />

Riduzione delle lesioni provocate da atti di violenza e da<br />

infortuni<br />

Ambiente naturale sano e sicuro<br />

Vivere in modo più sano e riduzione dei comportamenti a<br />

rischio<br />

5 Il rapporto sulla salute specifica alle donne e agli uomini in Svizzera è stato realizzato, su<br />

commissione dell’Ufficio federale della sanità pubblica, dai seguenti autori: Gisela Bähler, dott. Heinz<br />

Bolliger-Salzmann, dott. Margreet Duetz Schmucki, Gerhard Gmel, Nicole Graf, Verena Hanselmann,<br />

Melanie Hirtz, prof. dott. Claudia Hornberg, dott. Luzia Jurt, prof. dott. Petra Kolip, Sandra Kuntsche,<br />

Julia Lademann, prof. dott. Ueli Mäder, dott. Claudia Meier, Linda Nartey, Sibylle Nideröst, Andrea<br />

Pauli e dott. Hector Schmassmann.<br />

6 <strong>Schweiz</strong>erische Gesellschaft für Prävention und Gesundheitswesen (Hrsg.): Gesundheitsziele für die<br />

<strong>Schweiz</strong>. Gesundheit für alle im 21. Jahrhundert (OMS Europa), Berna (D/F).<br />

Sintesi del rapporto sulla salute specifica alle donne e agli uomini in Svizzera | 16


La relazione presenta i dati epidemiologici secondo la differenza dei sessi, interpreta i dati<br />

sullo sfondo della discussione sul ruolo assunto dal genere in tale contesto e propone<br />

raccomandazioni per un piano di azione.<br />

Per quanto riguarda le pari opportunità nel campo della salute bisogna tenere presente,<br />

oltre al fattore genere, anche l’età, la situazione socio-economica e l'origine. In tale contesto<br />

è stato rilevato che le differenze tra i sessi assumono andamenti diversi a seconda<br />

della classe di età o della fascia sociale. Un esempio: negli uomini, diversamente dalle<br />

donne, la valutazione soggettiva del proprio stato di salute è migliore quanto più alto è il<br />

reddito percepito. La differenza tra i sessi è più marcata proprio all'interno delle classi di<br />

reddito più alte. Ne consegue che per donne appartenenti alle fascie sociali più agiate, il<br />

giudizio sul proprio stato di salute non è correlato a fattori socio-economici.<br />

La salute riproduttiva è un tema che viene discusso oggi soprattutto nell'ottica della continua<br />

riduzione del tasso annuo di natalità. Per poter invertire questa tendenza sarà necessario<br />

potenziare gli interventi a sostegno della famiglia e della natalità. Ciò dovrà essere<br />

realizzato per permettere a donne e uomini di conciliare la famiglia con il lavoro. L'offerta<br />

sanitaria relativa al percorso nascita può condurre - per un eccesso di interventi<br />

diagnostici (ad es. diagnosi prenatale) e chirurgici (il tasso di parti cesarei pari al 30% è<br />

uno dei più alti in Europa) - ad una medicalizzazione e dovrà quindi essere sviluppata tenendo<br />

conto delle esigenze delle donne e dei loro partner.<br />

In paragone, la salute dei giovani, vale a dire dei bambini e dei ragazzi, è da considerarsi<br />

buona. Uno sguardo attento alle principali cause dei decessi evidenzia le aree in cui vi è<br />

ancora un grosso potenziale per la prevenzione: gli infortuni rappresentano - con una<br />

quota che va dal 30% al 40% - la principale causa di decesso tra i bambini e i ragazzi di<br />

sesso maschile. Le differenze tra i diversi sessi si evidenziano anche in alcune aree di<br />

consumo di sostanze che generano dipendenza. Per quanto riguarda il fumo si nota una<br />

riduzione delle divergenze relative ai tassi di prevalenza. Il paragone tra i due sessi si<br />

limita a questo piano superficiale. Rimangono per contro le differenze qualitative relative<br />

alla quantità consumata e al tipo di tabacco utilizzato. Il consumo di alcol è notevolmente<br />

superiore presso i ragazzi che non le ragazze, con una tendenza alla riduzione delle divergenze.<br />

Anche per questo gruppo target occorrerà studiare, nei futuri approcci nel campo<br />

della prevenzione, i comportamenti di bambini e ragazzi, privilegiando un’ottica di genere.<br />

L’incremento delle aspettative di vita rende sempre più attuale il tema relativo a Invecchiare<br />

in salute. Anche per la salute di persone anziane si nota una differenza tra donne e<br />

uomini e ciò rende necessaria la messa a punto di programmi di assistenza e prevenzione<br />

differenziati a seconda del genere. Il rischio di ammalarsi di demenza senile aumenta con<br />

l’età: le donne con un’età tra i 75 e i 90 anni sono colpite in proporzione maggiore rispetto<br />

agli uomini. Per gli uomini, invece, si riscontra un tasso più elevato di suicidi in età<br />

avanzata, soprattutto per gli uomini con più di 85 anni.<br />

Il miglioramento della salute psichica della popolazione rappresenta una delle sfide più<br />

importanti nel campo della sanità pubblica. Una valutazione differenziata per genere rivela<br />

che donne e uomini sono colpiti in modo diverso da disturbi psichici e comportamentali.<br />

L’opinione spesso ricorrente secondo la quale le donne sarebbero colpite più spesso da<br />

malattie psichiche trova conferma solo limitatamente, in quanto in base al genere è possibile<br />

identificare profili specifici di malattie. Inoltre sarà necessario rivolgere più attenzione<br />

alla stereotipizzazione dei sessi in relazione a malattie psichiche. Ci sono motivi per<br />

credere che gli strumenti di rilevazione epidemiologica presentino un gender bias – ad es.<br />

Sintesi del rapporto sulla salute specifica alle donne e agli uomini in Svizzera | 17


le reazioni tipiche di un uomo allo stress non vengono considerate; lo stesso vale per la<br />

diagnosi delle depressioni. Lo sviluppo di strumenti gender sensitive riveste pertanto<br />

grande importanza per studiare le cause delle differenze di genere dimostrate ma mai<br />

approfondite.<br />

Ai fini della riduzione di malattie infettive e non infettive sarà necessario integrare maggiormente<br />

il principio del gender mainstreaming nelle ricerche cliniche e nei lavori scientifici<br />

aventi per tema la salute, oltre che nell’assistenza sanitaria. I dati epidemiologici evidenziano,<br />

soprattutto verso la mezza età, l’esistenza di evidenti modelli di morbidità e di<br />

mortalità gender specific. Le patologie cardiocircolatorie e neoplastiche hanno pari incidenza<br />

sul decesso di uomini e donne, mentre gli infortuni sono responsabili soprattutto<br />

del decesso di uomini. Le differenze di genere nella mortalità sono attribuibili soprattutto<br />

a comportamenti a rischio gender specific e a condizioni di vita e di lavoro a rischio per gli<br />

uomini. Le donne e gli uomini sono colpiti da molte malattie in misura diversa, ma queste<br />

differenze di genere, fino ad oggi, non sono state studiate nei dettagli. Un’eccezione è<br />

costituita dalle patologie cardiache: qui si evidenzia che i sintomi delle donne vengono<br />

interpretati erroneamente, non esistono metodi diagnostici adatti ad entrambi i sessi e le<br />

misure diagnostiche e terapeutiche specifiche vengono offerte a uomini e donne in misura<br />

diversa. Questi risultati dovranno essere utilizzati per conseguire un netto miglioramento<br />

della qualità assistenziale e un incremento della parità tra i sessi nel sistema sanitario.<br />

Per ottenere una riduzione delle lesioni provocate da atti di violenza e da infortuni sarà<br />

necessario concentrare l’attenzione sui uomini - dall’età giovane fino alla mezza età. Gli<br />

uomini presentano in totale un rischio di 2,5 volte maggiore rispetto alle donne di morire<br />

in seguito ad atti di violenza e a infortuni. Vi è necessità di ricerca e d'intervento per dare<br />

una risposta alla ricerca del linguaggio gender specific più idoneo da adottare nel quadro<br />

di comportamenti a rischio (ad es. guida pericolosa) di ragazzi che si trovano nel pieno<br />

sviluppo della loro identità maschile. Uomini e donne sono vittime di atti di violenza. Mentre<br />

gli uomini tendenzialmente sperimentano la violenza soprattutto in ambienti extrafamiliari,<br />

le donne sono più spesso sottoposte a violenza in un ambito sociale più ristretto.<br />

La violenza rappresenta un problema, cui si dovrà dedicare maggiore attenzione in futuro<br />

nell’ambito degli interventi sanitari e della prevenzione; tuttavia ciò non sarà possibile<br />

senza una differenziazione esplicita in base al genere.<br />

Per promuovere in modo mirato un approccio gender specific ai fini del mantenimento di<br />

un ambiente naturale sano e sicuro, bisognerà implementare la rilevazione di dati differenziati<br />

per genere e la creazione di un banca dati orientata al genere come criterio primario<br />

della ricerca ambientale. La rilevanza degli aspetti legati al genere si fa notare, ad esempio,<br />

nell’esposizione a sostanze chimiche sul lavoro e nella vita quotidiana. Caratteristiche<br />

tossicocinetiche e una diversa sensibilità nei confronti delle sostanze nocive possono<br />

causare differenze gender specific nel carico di sostanze chimiche ambientali alle<br />

quali uomini e donne sono sottoposti. Uomini e donne sono interessati in misura diversa<br />

da interventi di pianificazione del territorio e stradale e mostrano comportamenti diversi<br />

relativi all’utilizzo dei mezzi di circolazione. In diversi progetti di ricerca aventi per tema<br />

l’ambiente e la salute vengono considerati gli aspetti di genere, ma di regola si rinuncia<br />

Sintesi del rapporto sulla salute specifica alle donne e agli uomini in Svizzera | 18


ad effettuare un'analisi dei dati, separata per genere. La mancanza di know-how relativo<br />

alla possibile considerazione di aspetti di genere sembra essere il maggiore ostacolo nel<br />

campo della ricerca ambientale. Di conseguenza in Svizzera mancano quasi del tutto dati<br />

differenziati per genere.<br />

Per quanto riguarda la morbidità e la mortalità esistono notevoli differenze tra uomini e<br />

donne nell'ambito del comportamento a rischio. Esiste, ad esempio, una differenza tra<br />

uomini e donne nell'ambito dell'attività fisica e delle abitudini alimentari. Per quanto riguarda<br />

l’attività fisica, va tuttavia detto che non è possibile escludere una distorsione<br />

dovuta allo strumento di rilevazione: se è vero che gli uomini fanno più sport, va anche<br />

detto che, se si considera l’attività fisica quotidiana, le differenze si riducono notevolmente.<br />

Per quanto riguarda le sostanze considerate, si osserva che la prevalenza al consumo<br />

in paticolare di sostanze legali quali l’alcool e il tabacco, tra ragazze e ragazzi tende ad<br />

avvicinarsi nelle fascie di età più giovani. È vero che gli uomini consumano ancora oggi<br />

queste sostanze più spesso e di regola anche in quantità maggiori, ma la discrepanza tra i<br />

sessi tende a diminuire. Sebbene le differenze causate dal genere siano state dimostrate<br />

in diversi studi, anche internazionali, non si hanno ancora conoscenze sufficienti delle<br />

cause che le determinano. Non esiste una ricerca di base che si occupi in modo mirato<br />

dello studio delle cause delle differenze nei comportamenti a rischio e, in particolare, che<br />

approfondisca la questione di un’ulteriore differenziazione sociale e faccia luce sulle condizioni<br />

di contorno dei comportamenti a rischio al fine di identificare punti di approccio per<br />

un’offerta preventiva gender specific.<br />

In sintesi possiamo concludere che le finalità del gender mainstreaming, vale a dire<br />

− l’incremento delle pari opportunità di salute tra i sessi<br />

− e i miglioramenti qualitativi in campo sanitario grazie a offerte specifiche per gruppo<br />

target e gender sensitive,<br />

sono state raggiunte solo in minima parte. Il rapporto sulla salute specifica alle donne e<br />

agli uomini offre una base per un’analisi più approfondita di tali finalità. Sono necessari<br />

interventi nel campo sanitario e in quello scientifico, soprattutto per la definizione delle<br />

priorità e dell’operalizzazione della ricerca nonché degli interventi. Una coerente applicazione<br />

del gender mainstreaming riscontra pari importanza nella ricerca, nella politica e<br />

nella prassi. Ciò presuppone che le competenze inerenti alla tematica di genere siano<br />

strutturalmente ancorate nei tre ambiti summenzionati. Nella prassi sarà necessario sensibilizzare<br />

le professioni sanitarie, nonché adeguarne le qualifiche, alle tematiche gender.<br />

Si dovrà inoltre creare una rete di connessioni per modelli pratici efficaci e cercare di<br />

diffonderli.<br />

Sintesi del rapporto sulla salute specifica alle donne e agli uomini in Svizzera | 19


<strong>Gender</strong> Health Report Switzerland 7<br />

Health reports constitute a central basis for the planning of measures aimed at improving<br />

public health. In recent decades, it has emerged that health chances are unequally distributed<br />

among the population. Women and men have different life expectancies and<br />

mortality rates for instance; they are affected by diseases to different extents and thus<br />

display differing health profiles. Furthermore, they differ in their use of the health system<br />

and display differences in terms of health-relevant behaviour, so that we can also assume<br />

differing prevention potentials. Biological, social and societal factors influencing<br />

health and disease also differ between the genders, and these must also be taken into<br />

account in planning health-related measures.<br />

<strong>Gender</strong> mainstreaming is now a central strategy, which is intended to contribute to both<br />

equal health opportunities for men and women and to quality enhancements in health<br />

provisions for both genders. The <strong>Gender</strong> Health Report is written in line with the health<br />

targets 8 published by the Swiss Society for Public Health:<br />

G<br />

E<br />

N<br />

D<br />

E<br />

R<br />

M<br />

A<br />

I<br />

N<br />

S<br />

T<br />

R<br />

E<br />

A<br />

M<br />

Equal health opportunities<br />

Reproductive health and a healthy start in life<br />

Young people’s health<br />

Healthy aging<br />

Improvement of mental health<br />

Reduction of infectious and non-infectious diseases<br />

Reduction of injuries due to violence and accidents<br />

Healthy and safe natural environment<br />

Healthier living and reduction of high-risk behaviour<br />

7<br />

The <strong>Gender</strong> Health Report Switzerland was commissioned by the Federal Office of Public Health<br />

and produced by the following authors: Gisela Bähler, Dr. Heinz Bolliger-Salzmann, Dr. Margreet<br />

Duetz Schmucki, Gerhard Gmel, Nicole Graf, Verena Hanselmann, Melanie Hirtz, Prof. Dr. Claudia<br />

Hornberg, Dr. Luzia Jurt, Prof. Dr. Petra Kolip, Sandra Kuntsche, Julia Lademann, Prof. Dr. Ueli<br />

Mäder, Dr. Claudia Meier, Linda Nartey, Sibylle Nideröst, Andrea Pauli and Dr. Hector Schmassmann.<br />

8<br />

Swiss Society for Public Health (publisher) (2002). Health targets for Switzerland. Health for all in the<br />

21st century (WHO Europe). Bern.<br />

Summary <strong>Gender</strong> Health Report Switzerland | 20


The report presents the epidemiological findings from a gender perspective, interprets<br />

the findings in the light of the discussion on the significance of sex and gender and formulates<br />

recommendations for action.<br />

With regard to equal health opportunities, a distinction must not only be made between<br />

genders, but also between the factors of age, socioeconomic situation and origin. It has<br />

been shown that gender differences may be more pronounced depending on age group<br />

or social class. For example, men’s subjective assessment of their state of health improves<br />

with increasing household income, whereas this does not apply to women. The<br />

difference between the genders is most pronounced in the highest income class. According<br />

to these findings, factors other than socioeconomic aspects appear to play a role<br />

in the subjective assessment of the state of health of women in higher social classes.<br />

Reproductive health currently tends to be discussed against the backdrop of the continual<br />

reduction in the annual birth rate. In order to counter this trend, extra-familial care<br />

provisions need to be extended. This is necessary so as to be able to reconcile family<br />

and work for women and men. Due to an excess of diagnostic measures (e.g. in prenatal<br />

diagnosis) and intervention (caesarean sections are at a high level on the European scale,<br />

at almost 30%), care provisions for pregnancy and birth may lead to medicalisation and<br />

should therefore be developed more in line with the needs of women and their partners.<br />

Young people’s health, i.e. the health of children and juveniles, is comparatively good.<br />

Nevertheless, the main causes of death indicate the areas in which major prevention<br />

potential lies: accidents are the most common cause of child and juvenile death among<br />

males accounting for 30% to 40%. There are also gender differences in some areas of<br />

addictive drug consumption. In the case of smoking, we can establish that the differences<br />

with regard to prevalence rates are diminishing. However, this assimilation of the<br />

genders is only occurring at a superficial level while qualitative differences in consumption<br />

such as the quantity consumed and the tobacco products used remain. Boys’ alcohol<br />

consumption is significantly higher than among girls, although this difference is becoming<br />

less pronounced. <strong>Gender</strong>-differentiated behaviour among children and juveniles must<br />

also be better reflected and acted upon in future preventative approaches for these target<br />

groups.<br />

Due to increased life expectancy, greater attention is being given to healthy aging.<br />

Women and men also differ in terms of their health situation in old age, which in turn<br />

necessitates the development of gender-sensitive care and prevention offerings. The risk<br />

of suffering from dementia, for example, increases with age, whereby women between<br />

the age of 75 and 90 are over-proportionately affected in comparison to men. In contrast,<br />

the high suicide rate among men in old age, especially among the over-85s, is particularly<br />

striking.<br />

From the public health perspective, the improvement of mental health in the population<br />

is seen as one of the greatest challenges. A gender lens shows that women and men<br />

are affected by mental health issues to a different extent. However, the common assumption<br />

that women more frequently suffer from mental illness can only be confirmed<br />

with reservations, as specific disease profiles can be identified according to gender.<br />

Summary <strong>Gender</strong> Health Report Switzerland | 21


Moreover, there is a need to take a closer look at gender stereotypes in the field of mental<br />

health. There are indications that epidemiological research instruments display a gender<br />

bias; typical male reactions to stress are not registered, for example, and there is a<br />

similar problem concerning the diagnosis of depression. The development of gendersensitive<br />

instruments is important not least because although there is much evidence for<br />

the existence of gender differences, their causes have as yet hardly been investigated.<br />

For the reduction of infectious and non-infectious diseases, the principle of gender mainstreaming<br />

must be more strongly integrated into clinical and public health research, and<br />

into healthcare provision itself. Epidemiological data show, for example, that there are<br />

clear gender-specific morbidity and mortality rates, particularly in middle age. Cardiovascular<br />

diseases and cancer are relevant causes of death for women and men, whereas<br />

accidents are mainly significant causes of death among men. The grounds for gender<br />

differences in mortality can primarily be attributed to gender-specific health-risk behaviour<br />

and more dangerous living and working conditions for men. Women and men are<br />

affected to a different extent by many diseases, however, so far these gender differences<br />

have not been comprehensively studied. One exception is in the area of heart<br />

disease: here it emerges that women’s symptoms are misinterpreted, there is no available<br />

diagnosis suitable for both genders, and furthermore women and men benefit from<br />

specific diagnosis and therapy to different extents. These findings can be used to significantly<br />

enhance the quality of care and to increase gender equality in the health system.<br />

In order to reduce injuries due to violence and accidents, particular attention should be<br />

given to younger men up to middle age. Overall, men are roughly 2.5 times more at risk<br />

than women of dying as a result of violence and accidents. There is a need for research<br />

and intervention in connection with accidents, particularly on the issue of how men and<br />

women can be justly addressed in order to tackle the identity-forming aspects of highrisk<br />

behaviour among young men (e.g. in traffic). Both women and men are victims of<br />

violence. However, whereas men tend to experience non-domestic violence, women are<br />

more frequently exposed to violence in their closer social circle. Violence constitutes a<br />

problem that must receive more attention in the context of health-related intervention<br />

and prevention in future, and cannot be dealt with adequately without explicitly taking<br />

gender into account.<br />

To promote a gender-based approach to maintaining a healthy and safe natural environment,<br />

gender-differentiated data collection and the creation of a gender-oriented database<br />

must be implemented as central criteria in environmental studies. The relevancy of<br />

gender aspects is demonstrated, for example, in workplace-related and everyday exposure<br />

to chemicals. Specific toxicokinetic features and differing sensitivities to toxic substances<br />

can lead to gender-specific differences in exposure to chemicals in the everyday<br />

environment. Men and women are also differently affected by urban and traffic planning<br />

measures and exhibit differing transport use behaviour. Numerous research projects in<br />

the context of health and the environment directly touch on gender issues, however they<br />

do not usually analyse their findings separately by gender. Insufficient “know-how” regarding<br />

the possible integration of gender perspectives appears to be a central obstacle<br />

in the field of environmental studies in particular; as a result, no significant gendercomparative<br />

data are available in Switzerland.<br />

Summary <strong>Gender</strong> Health Report Switzerland | 22


With regard to the morbidity and mortality of women and men, gender differences are<br />

highly significant for health-relevant behaviour. For instance, women and men exhibit<br />

different exercise and nutritional behaviour patterns. However, we must bear in mind<br />

that a distortion in physical activity cannot be ruled out due to the investigation instrument:<br />

although men practise sport more frequently, when everyday forms of physical<br />

exercise are also taken into account, the gender difference is reduced. In terms of the<br />

substances covered by the study, it was possible to observe an increasing convergence<br />

in consumption prevalence of legal substances such as alcohol and tobacco, particularly<br />

in the younger age groups. Although men still consume more frequently and in larger<br />

amounts than women, the gender gap is closing. Although there is now extensive evidence<br />

of gender differences and amply supported in international studies, we have comparatively<br />

little knowledge of their causes. There is insufficient foundational research<br />

devoted to finding the causes of differences in health-relevant behaviour, particularly<br />

pursuing the question of a further social differentiation and exploring the basic conditions<br />

of health behaviour in order to identify approaches for offering prevention measures to<br />

suit both genders.<br />

To summarise, the objectives of gender mainstreaming,<br />

− an increase in equal health opportunities between women and men<br />

− and quality improvements in the health sector through target-group-specific,<br />

i.e. gender-sensitive provisions,<br />

have so far only been achieved to a very limited extent. The <strong>Gender</strong> Health Report provides<br />

a basis for a more in-depth analysis regarding these objectives. There is a particular<br />

need for action on the health policy and research level regarding the setting of priorities<br />

and the operationalisation of the further need for research and action. Strict implementation<br />

of gender mainstreaming is equally relevant for research, policy and practice, requiring<br />

a structural anchoring of gender competence in these areas. Health professionals<br />

must be sensitised and qualified to deal with gender issues and the networking and<br />

propagation of best-practice models must be promoted.<br />

Summary <strong>Gender</strong> Health Report Switzerland | 23


Dank<br />

Wir bedanken uns herzlich bei den Autorinnen und Autoren sowie bei den Mitgliedern<br />

der Strategiegruppe, die mit ihrem Engagement und ihrer Expertise zum Gelingen dieses<br />

Berichts beigetragen haben.<br />

AutorInnen<br />

Kolip, Petra, Prof. Dr.<br />

Institut für Public Health und Pflegeforschung<br />

Universität Bremen<br />

Lademann, Julia<br />

Institut für Public Health und Pflegeforschung<br />

Universität Bremen<br />

Hanselmann, Verena<br />

Bundesamt für Gesundheit<br />

Bern<br />

Migration und Gesundheit<br />

Jurt, Luzia, Dr.<br />

Institut Forschung und soziale Innovation<br />

Fachhochschule Aargau<br />

Armut und Gesundheit<br />

Mäder, Ueli, Prof. Dr.<br />

Institut für Soziologie<br />

Universität Basel<br />

Meier, Claudia, Dr.<br />

Institut Vorschulstufe und Primarstufe<br />

Pädagogische Hochschule Bern<br />

Schmassmann, Hector, Dr.<br />

Institut für Bauingenieurswesen<br />

Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik<br />

Fachhochschule beider Basel<br />

Nordwestschweiz, Muttenz<br />

Reproduktive Gesundheit und gesunder Lebensanfang<br />

Graf, Nicole<br />

Institut für Sozial- und Präventivmedizin<br />

Universität Bern<br />

Nartey, Linda<br />

Institut für Sozial- und Präventivmedizin<br />

Universität Bern<br />

Dank | 24


Gesundheit junger Menschen<br />

Nideröst, Sibylle<br />

Institut Forschung und soziale Innovation<br />

Fachhochschule Aargau<br />

Hirtz, Melanie<br />

Institut Forschung und soziale Innovation<br />

Fachhochschule Aargau<br />

Altern in Gesundheit<br />

Duetz-Schmucki, Margreet, Dr.<br />

Institut für Sozial- und Präventivmedizin<br />

Universität Bern<br />

Baehler, Gisela<br />

Institut für Sozial- und Präventivmedizin<br />

Universität Bern<br />

Psychische Gesundheit<br />

Bolliger-Salzmann, Heinz, Dr.<br />

Institut für Sozial- und Präventivmedizin<br />

Universität Bern<br />

Umwelt und Gesundheit<br />

Pauli, Andrea<br />

Fakultät für Gesundheitswissenschaften<br />

Universität Bielefeld<br />

Hornberg, Claudia, Prof. Dr.<br />

Fakultät für Gesundheitswissenschaften<br />

Universität Bielefeld<br />

Gesundheitsverhalten<br />

Gmel, Gerhard<br />

<strong>Schweiz</strong>erische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme<br />

Lausanne<br />

Kuntsche, Sandra<br />

<strong>Schweiz</strong>erische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme<br />

Lausanne<br />

Mitglieder der Strategiegruppe<br />

Dr. Christian Affolter (BAG), Ursula Ulrich-Vögtlin (BAG), Thomas Spang (BAG), Markus Jann (BAG),<br />

Prof. Dr. Ilona Kickbusch (BAG), Ruth Genner, dipl. Lm.-Ing. ETH (Nationalrätin), Dr. rer. pol. Remo Gysin<br />

(Nationalrat), Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger (DieSie – Wiener Programm für Frauengesundheit),<br />

PD Dr. Katharina Meyer (Gesundheitsobservatorium OBSAN), Dr. med. Ueli Grüninger (KMH), Dr. Patricia<br />

Schulz (EBG), Doris Summermatter (Gesundheitsförderung <strong>Schweiz</strong>), Dr. Matthias Bopp (ISPM Zürich),<br />

René Setz (Radix Gesundheitsförderung), PD Dr. med. Elisabeth Zemp (ISPM Basel), Michel Graf (SFA),<br />

Enrico Violi (Kantonale Fachstelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern, Zürich).<br />

Dank | 25


1. Einleitung<br />

<strong>Gesundheitsbericht</strong>e sind eine der wichtigsten Grundlagen für die Planung von Massnahmen<br />

zur Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung sowie eine Entscheidungsgrundlage<br />

für die Frage, in welchen Bereichen eine Prioritätensetzung notwendig ist. Sie<br />

geben einerseits Hinweise darauf, in welchen Bereichen des gesundheitlichen Versorgungssystems<br />

ungleiche Gesundheitschancen zu beobachten sind, die durch gezielte<br />

Interventionen abgebaut werden können. Aus ihnen lassen sich andererseits Ansatzpunkte<br />

für die Entwicklung oder Verbesserung von Angeboten in Prävention, Diagnostik,<br />

Therapie, Rehabilitation und Pflege ableiten, um Morbidität und Mortalität zu verringern.<br />

Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen<br />

ist dabei zu fragen, wie die vorhandenen Mittel am besten eingesetzt werden können.<br />

Eine zielgruppengerechte Angebotsentwicklung ist dabei ein wichtiger Schlüssel zur<br />

adäquaten Ressourcenallokation: Leistungen des Gesundheitswesens müssen bedarfsgerecht,<br />

d.h. der gesundheitlichen Situation der Menschen, angepasst sein.<br />

In den vergangenen Jahren ist deutlich geworden, dass die Gesundheitschancen zwischen<br />

Frauen und Männern ungleich verteilt sind, weil sich die Rahmenbedingungen für<br />

Gesundheit je nach Geschlecht unterscheiden, Männer und Frauen in unterschiedlichem<br />

Masse das Gesundheitssystem nutzen (und von den Angeboten in unterschiedlichem<br />

Masse erreicht werden) und Männer und Frauen sich im Umgang mit dem Körper und in<br />

gesundheitsrelevanten Verhalten unterscheiden. Geschlechtersensible <strong>Gesundheitsbericht</strong>e<br />

können diese Unterschiede aufdecken und damit Ansatzpunkte für eine gezielte<br />

Angebotsentwicklung liefern. Die Berücksichtigung des Geschlechts ist eine von mehreren<br />

Möglichkeiten, zu einer Qualitätsverbesserung im Gesundheitswesen beizutragen<br />

(Kuhlmann & Kolip, 2005).<br />

Mit den ersten Frauengesundheitsberichten, die in den 1990er-Jahren im deutschsprachigen<br />

Raum entstanden sind, wurde eine Sensibilisierung für die Bedeutung der Kategorie<br />

Geschlecht in der <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung eingeleitet. Lagen in den 1990er-<br />

Jahren noch kaum geschlechterdifferenziert aufbereitete Daten vor, hat sich die Situation<br />

mittlerweile verbessert, und zahlreiche Indikatoren der <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung<br />

können geschlechtervergleichend dargestellt werden. In den «allgemeinen» <strong>Gesundheitsbericht</strong>en<br />

und ihren zugrunde liegenden Gesundheitsbefragungen werden die Daten<br />

inzwischen nach Geschlechtern getrennt erhoben und präsentiert, die ersichtlichen Unterschiede<br />

werden aber meist nicht weiter analysiert, und aus den Unterschieden werden<br />

nur selten Konsequenzen für die gesundheitliche Versorgung einschliesslich Prävention<br />

und Gesundheitsförderung gezogen. Daher werden in dem vorliegenden <strong>Gender</strong>-<br />

<strong>Gesundheitsbericht</strong> die geschlechtsspezifischen Daten vergleichend präsentiert und<br />

hinsichtlich der Ursachen ihrer Differenzen und Gemeinsamkeiten diskutiert. Dies unterscheidet<br />

eine geschlechtervergleichende von einer geschlechtersensiblen <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung:<br />

Unter Berücksichtigung eines bio-psycho-sozialen Erklärungsmodells,<br />

das biologische und soziale Faktoren gleichermassen berücksichtigt, können Ansatzpunkte<br />

und Möglichkeiten identifiziert werden, die gesundheitliche Chancengleichheit von<br />

Frauen und Männern durchzusetzen und die Qualität des gesundheitlichen Versorgungssystems<br />

zu verbessern.<br />

Einleitung | 26


Geschlechterspezifische und geschlechtersensible <strong>Gesundheitsbericht</strong>e haben das Ziel,<br />

Ansatzpunkte für die Verbesserung der Gesundheit von Frauen und Männern zu identifizieren.<br />

Im Zentrum steht die Frage, welchen Einfluss das Geschlecht in unterschiedlichen<br />

Lebensphasen und bei unterschiedlichen Krankheiten oder in gesundheitlichen<br />

Problembereichen ausübt. Ziel ist es, die spezifischen Gesundheitsprofile von Frauen<br />

und Männern herauszuarbeiten, um geschlechtsspezifischen Präventions- und Interventionsbedarf<br />

zu erkennen und Möglichkeiten zu gesundheitspolitischen Interventionen<br />

aufzuzeigen.<br />

Der vorliegende Bericht knüpft an den Frauengesundheitsbericht von 1996 an. Er nimmt<br />

dessen Themen auf, verfolgt sie weiter und beleuchtet sie aus explizit geschlechtervergleichender<br />

Sicht. Der <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> ist ein erster Versuch, die Gesundheit<br />

beider Geschlechter in der <strong>Schweiz</strong> vergleichend zu beleuchten. Durch das Anknüpfen an<br />

den Frauengesundheitsbericht scheint allerdings die Frauenperspektive stärker durch als<br />

die Männerperspektive, nicht zuletzt, weil es bislang nur wenige Studien zur Gesundheits-<br />

und Lebenssituation von Männern gibt, die eine eigene theoretische Verankerung<br />

aufweisen. Auch muss nach wie vor festgestellt werden, dass das medizinische Versorgungsmodell<br />

von einem «männlichen Normmodell» ausgeht – bei einem geschlechtervergleichenden<br />

Blick fallen deshalb häufig die Aspekte ins Auge, bei denen Frauen benachteiligt<br />

werden.<br />

Mit dem Rückgriff auf ein bio-psycho-soziales Gesundheitsmodell war bei der Erstellung<br />

des Berichtes die Hoffnung verbunden, nicht nur auf Krankheiten, sondern auch auf Gesundheit<br />

und Wohlbefinden eingehen zu können, um eine salutogenetische Sichtweise<br />

in der <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung zu stärken. Leider ist dies nur zum Teil gelungen,<br />

weil in der <strong>Schweiz</strong>, wie in vielen anderen Ländern, kaum positive Gesundheitsindikatoren<br />

formuliert werden, die quantitative Aussagen zulassen. Dort, wo sie vorlagen, z.B. im<br />

Bereich der psychischen Gesundheit, wurden sie aufgenommen, aber sie können noch<br />

kein Gegengewicht zu den Krankheitsindikatoren setzen. Auch bei der Analyse der Einflussfaktoren<br />

war es das Ziel, nicht nur Risikofaktoren zu analysieren, sondern auch jene<br />

Einflussfaktoren zu benennen, die im Sinne eines salutogenetischen Ansatzes nutzbar<br />

gemacht werden können (z.B. strukturelle Angebote zur Erleichterung der Vereinbarkeit<br />

der Erwerbstätigkeit für Frauen und Männer). Wenn zukünftig eine bessere Verbindung<br />

der Sozial- mit der <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung gelingt, ist zu erwarten, dass spätere<br />

<strong>Gesundheitsbericht</strong>e einen deutlicheren Akzent auf den Schutzfaktoren und Ressourcen<br />

tragen.<br />

Der Bericht orientiert sich an den Gesundheitszielen für die <strong>Schweiz</strong>, um die Diskussion<br />

zu den Gesundheitszielen um die <strong>Gender</strong>-Perspektive zu erweitern. Mit dieser Konzeption<br />

sind gewisse Einschränkungen verbunden, da bestimmte Themen ausgeblendet<br />

werden und die geschlechtsspezifischen Gesundheitsprofile nicht so deutlich herausgearbeitet<br />

werden können, wie es bei einer Orientierung z.B. an Lebensphasen möglich<br />

gewesen wäre. Dennoch gibt er zahlreiche Hinweise, wo geschlechtsspezifische Präventionspotenziale<br />

liegen und in welchen Bereichen das Gesundheitswesen gendersensibel<br />

weiterentwickelt werden muss, um eine höhere Qualität zu erreichen.<br />

Einleitung | 27


1.1. Gesundheitspolitische Verankerung<br />

Verena Hanselmann<br />

Die gesundheitspolitische Begründung des <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>s für die <strong>Schweiz</strong><br />

ergibt sich zum einen aus internationalen Kooperationen, die eine Realisierung des <strong>Gender</strong>-Mainstreaming-Prinzips<br />

ihrer Mitgliedsstaaten einfordern. Darüber hinaus stellt der<br />

vorliegende Bericht eine konsequente Weiterführung des für die <strong>Schweiz</strong> 1999 verabschiedeten<br />

Aktionsplans zur Gleichstellung von Männern und Frauen dar. Schliesslich<br />

bilden die im Jahr 2002 für die <strong>Schweiz</strong> formulierten Gesundheitsziele eine weitere gesundheitspolitische<br />

Grundlage des <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>s, da diese als ausdrückliches<br />

Ziel den Abbau gesundheitlicher Ungleichheit beinhalten.<br />

Internationale Kooperationen<br />

Die <strong>Schweiz</strong> ist aufgrund ihrer Mitgliedschaft in verschiedenen internationalen Organisationen<br />

die Verpflichtungen zur Umsetzung des <strong>Gender</strong>-Mainstreaming-Ansatzes in Public<br />

Health-Programmen eingegangen. So ist die <strong>Schweiz</strong> seit 1963 Mitglied des Europarats.<br />

1998 hat eine Kommission von RegierungsvertreterInnen die Empfehlung des Europarats<br />

bezüglich <strong>Gender</strong> Mainstreaming angenommen. Diese besagt, dass in allen Bereichen<br />

und auf allen Ebenen der Blickwinkel der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern<br />

eingenommen werden muss (Europarat Ministerkomitee, 1998).<br />

Auch die WHO fordert im Madrid Statement alle Mitgliedsstaaten auf, <strong>Gender</strong> Mainstreaming<br />

aktiv in alle öffentlichen Programme, die Auswirkungen auf die Gesundheit<br />

haben, zu integrieren (WHO, 2001).<br />

Bereits 1979 wurde das Übereinkommen CEDAW (Convention on the Elimination of All<br />

Forms of Discrimination against Women) von den UN unterzeichnet. Im Jahr 1997 wurde<br />

dieses Übereinkommen von der <strong>Schweiz</strong> ratifiziert, und im Januar 2003 hat die <strong>Schweiz</strong><br />

dem CEDAW-Ausschuss in New York einen ersten Bericht zur Umsetzung der in<br />

CEDAW geforderten Massnahmen in der <strong>Schweiz</strong> präsentiert (EBG, 2003). Die erreichten<br />

Fortschritte (z.B. die Entwicklung frauenspezifischer Sucht- und HIV/Aids-Projekte<br />

und die Einrichtung einer nationalen Fachstelle <strong>Gender</strong> Health am Bundesamt für Gesundheit)<br />

wurden in der Antwort des Ausschusses auf den Bericht lobend gewertet.<br />

Zudem wurden der <strong>Schweiz</strong> Empfehlungen zur besseren Umsetzung des Übereinkommens<br />

unterbreitet (z.B. hinsichtlich der Themen Gewalt gegen Frauen und Lohnungleichheit<br />

bei gleichwertiger Arbeit).<br />

<strong>Schweiz</strong>erischer Frauengesundheitsbericht<br />

Als Ausgangspunkt für den <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> der <strong>Schweiz</strong> dient der <strong>Schweiz</strong>er<br />

Frauengesundheitsbericht von 1996 (SNF, 1996). Dieser Bericht wurde im Vorfeld der<br />

4. UN-Weltfrauenkonferenz von Beijing (1995) im Rahmen der Initiative «Investing in<br />

Women’s Health» (WHO, 1994) vom Bundesamt für Gesundheit in Auftrag gegeben. Der<br />

Bericht sollte als Grundlagendokument für die Erarbeitung einer nationalen Gesundheitspolitik<br />

dienen, die auch Frauenanliegen ernst nimmt. Wichtiger Bestandteil des Berichts<br />

war deshalb die Zusammenstellung einer gesundheitspolitischen Agenda für Frauen,<br />

welche die bestehenden Informationslücken und den daraus erkennbaren Handlungsbedarf<br />

aufzeigte.<br />

Einleitung | 28


Folgearbeiten zur 4. UN-Weltfrauenkonferenz<br />

Der Aktionsplan zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der <strong>Schweiz</strong> ist das Ergebnis<br />

einer interdepartementalen Arbeitsgruppe, die vom Bundesrat 1996 den Auftrag<br />

erhielt, einen Massnahmenkatalog zur Förderung der Gleichstellung in verschiedenen<br />

Bereichen auszuarbeiten. Dieser wurde im Rahmen von Folgearbeiten zur UN-<br />

Weltfrauenkonferenz von Beijing 1995 erstellt und im März 1999 vom Bundesrat verabschiedet<br />

(EBG, 1999). Der Aktionsplan ist formal zwar nicht verbindlich, jedoch moralisch<br />

und politisch verpflichtend – aufgrund der an der Weltfrauenkonferenz von allen Teilnehmerstaaten<br />

verabschiedeten Aktionsplattform zur Verwirklichung der rechtlichen und<br />

faktischen Gleichstellung der Geschlechter. Zum Themenbereich Gesundheit wurden<br />

insgesamt fünf strategische Ziele definiert: Die Sicherung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung<br />

für Frauen, die Entwicklung geschlechtsspezifischer Präventionskonzepte,<br />

die Förderung sexueller und reproduktiver Gesundheit, die Förderung von Forschung und<br />

Bildung im Gesundheitsbereich sowie die Bereitstellung finanzieller Mittel für Frauengesundheit.<br />

Ein Teil dieser Ziele wurde inzwischen durch konkrete Massnahmen angegangen, wie<br />

ein Bericht des Bundesrates aufzeigt (EBG, 2002). Dazu zählt insbesondere die Etablierung<br />

einer nationalen Fachstelle <strong>Gender</strong> Health innerhalb des Bundesamtes für Gesundheit<br />

im Dezember 2001 – die sich in den Anfangszeiten v.a. der Zielgruppe sozial benachteiligter<br />

Frauen widmete – sowie die Aufarbeitung des Themas «Gesundheitskosten und<br />

Geschlecht» (Camenzind & Meier, 2004). Als nationales Koordinations-, Wissens- und<br />

Informationszentrum beteiligt sich die Fachstelle <strong>Gender</strong> Health 9 an einer geschlechtergerechten<br />

und geschlechtsspezifischen Gesundheitspolitik. Hierzu gehört einerseits die<br />

Garantie des gleichberechtigten Zugangs für Frauen und Männer zu Angeboten der Gesundheitsversorgung,<br />

-förderung und Prävention und andererseits die Bereitstellung empirischer<br />

und theoretischer Grundlagen, wie sie in einem gendersensitiven <strong>Gesundheitsbericht</strong><br />

erarbeitet werden, der die unterschiedlichen Bedürfnisse und Ressourcen von<br />

Frauen und Männern darlegt. Weitere frauenspezifische Präventionsprogramme zu den<br />

Themen Aids und Drogen wurden bereits im Vorfeld der 4. UN-Weltfrauenkonferenz vom<br />

Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Auftrag gegeben und nach der Konferenz intensiviert<br />

und noch gezielter ausgerichtet.<br />

Im Suchtbereich war dies die 1995 publizierte Studie «Frauen-Sucht-Perspektiven», deren<br />

Erkenntnisse durch die Schaffung eines spezifischen Mandates (1997) zur frauengerechten<br />

Suchtarbeit umgesetzt werden sollten. 2001 wurde dieses Mandat um die Förderung<br />

männergerechter Suchtarbeit erweitert. Der Erfolg dieser Frauen- und Männergerechten<br />

Suchtarbeit wird durch zahlreiche Präventionsprojekte und Publikationen be-<br />

legt. 10<br />

Im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit wurde von Seiten des BAG Mitte<br />

der 1990er-Jahre das Schwergewicht auf die HIV/Aidsprävention gelegt. Dazu zählt<br />

das während 1994–1998 durchgeführte Aktionsprogramm «Gesundheit von Frauen –<br />

Schwerpunkt HIV/Aids-Prävention». Die Aids-Hilfe <strong>Schweiz</strong> begann im Auftrag des BAG<br />

bereits zu Beginn der 1990er-Jahre spezifische Frauen- und Männerpräventionsprojekte<br />

9 Infolge einer BAG-internen Reorganisation wurde 2004 die Fachstelle zu einem Fachbereich <strong>Gender</strong><br />

Health innerhalb der Sektion Chancengleichheit und Gesundheit<br />

(www.bag.admin.ch/themen/gesundheitspolitik/00394/00402; www.genderhealth.ch;<br />

www.gendercampus.ch/C12/Forschungsnetzwerk%20<strong>Gender</strong>%20Heal/default.aspx 13.07.05).<br />

10 www.bag.admin.ch/themen/drogen/00042/00638 sowie www.drugsandgender.ch<br />

Einleitung | 29


zu initiieren, die auch noch heute ihre Relevanz haben. 11 1992 entstand beispielsweise in<br />

diesem Rahmen für die Zielgruppe der ausländischen Sexworkerinnen das Projekt «Barfüsser»<br />

(Aids-Prävention im Sexgewerbe [ApiS]), 1995 wurde das nationale Forschungsprogramm<br />

«MSM» (Männer, die Sex mit Männern haben) gestartet; 1999 begannen die<br />

Präventionsaktivitäten des Projektes «Don Juan», das sich an die Zielgruppe der heterosexuellen<br />

Freier richtet. Ab Anfang 2000 gab das BAG u.a. aufgrund von parlamentarischen<br />

Vorstössen erste Projekte im spezifischen Bereich der sexuellen und reproduktiven<br />

Gesundheit in Auftrag. Dazu zählt die Studie bzgl. Beratungsangebot zur sexuellen<br />

und reproduktiven Gesundheit in der <strong>Schweiz</strong> (Klaue et al. 2002) oder das 2004 gestartete<br />

Kooperationsprojekt «Amorix», das im Auftrag von «bildung + gesundheit – Netzwerk<br />

<strong>Schweiz</strong>» 12 gemeinsam von den Dachverbänden Aids-Hilfe <strong>Schweiz</strong> AHS und der<br />

<strong>Schweiz</strong>erischen Stiftung für sexuelle und reproduktive Gesundheit PLANeS geführt<br />

wird. Das Ziel von «Amorix» ist u.a. die Integration der Sexualpädagogik und HIV-<br />

Prävention in alle kantonalen Lehrpläne. 13<br />

Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong><br />

Die Darstellung geschlechtsspezifischer und geschlechtervergleichender Gesundheitsdaten<br />

in dem vorliegenden Bericht erfolgt in Anlehnung an die «Gesundheitsziele für die<br />

<strong>Schweiz</strong>» (SGPG, 2002), für deren Erarbeitung das vom WHO-Regionalbüro für Europa<br />

verabschiedete Konzept «Gesundheit 21» als Grundlage diente. Die 21 Gesundheitsziele<br />

für die <strong>Schweiz</strong> sind Empfehlungen für eine gesundheitsfördernde Gesamtpolitik, um<br />

mehr Lebensqualität für alle zu definieren und bestehende Ungleichheiten abzubauen. In<br />

dem vorliegenden <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> beziehen sich die geschlechterdifferenzierten<br />

und -vergleichenden Daten auf die Gesundheitsziele, um daraus einen geschlechtsspezifischen<br />

Interventionsbedarf ableiten zu können.<br />

1.2. <strong>Gender</strong> Mainstreaming<br />

Petra Kolip<br />

1.2.1. Von der Frauen- zur Geschlechterperspektive<br />

Die ersten Frauengesundheitsberichte im deutschsprachigen Raum wurden in den<br />

1990er-Jahren erstellt und standen in der Tradition der Frauengesundheitsbewegung und<br />

der Frauengesundheitsforschung. 14 Sie knüpften an die theoretischen Arbeiten der Frauenbewegung<br />

an und hatten das Ziel, die gesundheitliche Benachteiligung von Frauen zu<br />

beleuchten. Sie fokussierten auf die gesundheitlichen Probleme von Frauen und lieferten<br />

wesentliche Hinweise zu einer Verbesserung ihrer gesundheitlichen Versorgung. Das<br />

Verdienst der Frauengesundheitsberichte liegt u.a. darin, dass sie von einem bio-psychosozialen<br />

Verständnis von Gesundheit ausgingen und die Gesundheit von Frauen in ihren<br />

11 Vgl. hierzu www.aids.ch<br />

12 Das Programm «bildung + gesundheit – Netzwerk <strong>Schweiz</strong>» ist ein gemeinsames Projekt der<br />

<strong>Schweiz</strong>erischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) und des BAG.<br />

13 Vgl. hierzu www.bildungundgesundheit.ch/dyn/1466.asp<br />

14 Genannt seien hier neben dem Frauengesundheitsbericht für die <strong>Schweiz</strong> 1996 (SNF, 1996) der<br />

Frauengesundheitsbericht für Deutschland (BMFSFJ, 2001) sowie der Mitte der 1990er-Jahre<br />

erstellte Frauengesundheitsbericht Wien, o.J.<br />

Einleitung | 30


Lebenskontext einbetteten. Damit wurde deutlich, dass sich Aspekte der Frauengesundheit<br />

nicht auf die reproduktive Gesundheit beschränken lassen, sondern dass z.B. auch<br />

das Thema Gewalt auf die Agenda von Public Health und Medizin geschrieben werden<br />

muss. Das Ziel der Frauengesundheitsberichte war und ist es, einen Beitrag zur Verbesserung<br />

der gesundheitlichen Chancengleichheit zu leisten, indem die Bereiche herausgearbeitet<br />

werden, in denen aus Frauenperspektive ein Handlungsbedarf besteht.<br />

Die Frauengesundheitsberichte stützten sich wesentlich auf die Arbeit der Frauengesundheitsforschung<br />

seit den 1980er-Jahren. Dies war einerseits ein Vorteil, denn damit<br />

war eine klare (auch feministisch-politische) Verankerung verbunden, die durch ihre Parteilichkeit<br />

und die Theorie-Praxis-Verbindung immer auf eine konkrete Verbesserung der<br />

gesundheitlichen Lage von Frauen abzielte. Es war zugleich ein Nachteil, weil damit der<br />

Mythos von Frauen als dem benachteiligten und zu fördernden Geschlecht transportiert<br />

wurde und eine breite politische Verankerung fehlte (siehe ausführlicher: Kuhlmann &<br />

Kolip, 2005). Frauengesundheitsaktivitäten gerieten so zu etwas, dass «man» sich nur in<br />

Schönwetterperioden und bei vollen Haushaltskassen leisten kann. Durch <strong>Gender</strong><br />

Mainstreaming (s.u.) kann dieser Nachteil reduziert und die geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung<br />

breiter verankert werden.<br />

Im Laufe der vergangenen Jahre haben sich die Frauengesundheitsbewegung und ihre<br />

akademische Schwester, die Frauengesundheitsforschung, weiterentwickelt. So ist<br />

zunehmend die Heterogenität von Frauen in den Blick geraten, denn die Lebenslagen<br />

von Frauen differieren mit der Bildung, dem Einkommen und dem beruflichen Status.<br />

Verändert hat sich auch der thematische Zuschnitt der Forschungsaktivitäten und es ist –<br />

zumindest partiell – gelungen, die Frauengesundheitsforschung zu verankern. So wurde<br />

2003 in der <strong>Schweiz</strong> das nationale Forschungsnetzwerk <strong>Gender</strong> Health gegründet, das in<br />

der Aufbauphase vom Bundesamt für Gesundheit gefördert wird, langfristig aber z.B. an<br />

einer Universität strukturell verankert werden müsste. Das Forschungsnetzwerk fördert<br />

den Austausch zwischen den ForscherInnen zu Themen der Frauen- und/oder Männergesundheit<br />

bzw. zur geschlechtervergleichenden Gesundheitsforschung und soll einen<br />

Überblick und Transparenz hinsichtlich entsprechender Vorhaben schaffen. Dazu zählt die<br />

Erstellung und Pflege einer Datenbank, in der die Forschungsvorhaben dokumentiert<br />

werden. Die Gründung des Netzwerks markiert bereits eine weitere thematische Öffnung:<br />

von der Frauen- zur Geschlechterperspektive. Nicht mehr nur Frauen stehen im<br />

Zentrum des Interesses, sondern die geschlechtsspezifischen Gesundheitsbedürfnisse<br />

werden analysiert. Im Zuge dieses Perspektivenwechsels sind einige spannende Arbeiten<br />

entstanden, die ein neues Licht auf das Geschlechterverhältnis im Gesundheitswesen<br />

werfen (für ein Beispiel siehe die Studie «Gesundheitskosten nach Geschlecht»,<br />

herausgegeben von Camenzind & Meier, 2004; vgl. Kasten 1.2-1).<br />

Kasten1.2-1<br />

Gesundheitskosten nach Geschlecht (herausgegeben von Camenzind & Meier, 2004)<br />

Dass Frauen höhere Kosten im Gesundheitswesen verursachen, gilt als allgemein gültige Tatsache.<br />

Dabei werden in der Regel nur die Krankenversicherungsleistungen betrachtet, die lediglich ein Drittel<br />

der Gesundheitskosten erfassen. Andere Finanzierungsträger bleiben ebenso unbeachtet wie die informellen<br />

Pflegeleistungen von Familienangehörigen. In dem von Camenzind und Meier herausgegebenen<br />

Band wird das Vorurteil der höheren von Frauen verursachten Gesundheitskosten auf der Grundlage<br />

eines Datenpools der santésuisse überprüft. Die Auswertungen zeigen, dass ein Grossteil der Un-<br />

Einleitung | 31


terschiede zum einen auf die höhere Lebenserwartung von Frauen zurückgeführt werden kann. Da<br />

Frauen eine höhere Lebenserwartung haben als Männer, übernehmen sie in der Regel die Pflege des<br />

Partners, während sie im eigenen Pflegefall auf finanzierte Pflegeleistungen zurückgreifen müssen.<br />

Auch tragen die Kosten im Zusammenhang mit Verhütung, Schwangerschaft und Geburt, die bislang<br />

ausschliesslich durch die Krankenversicherung der Frauen, nicht aber die der Männer getragen werden,<br />

zu dem Unterschied bei. Würden Männer hälftig an diesen Kosten beteiligt, fielen die Unterschiede<br />

deutlich geringer aus. Schliesslich zeigen die AutorInnen der Studie, dass Frauen den Grossteil der<br />

informellen Pflegeleistungen übernehmen. Werden diese Leistungen in einer Gesamtbilanz berücksichtigt,<br />

lasten die Gesundheitskosten weit weniger eindeutig auf Frauenseite.<br />

1.2.2. Was bedeutet und was will <strong>Gender</strong> Mainstreaming?<br />

1999 erschien der erste deutschsprachige Männergesundheitsbericht in Wien (Magistrat<br />

der Stadt Wien), und mit ihm setzte eine Diskussion ein, ob nicht ein Blick auf beide Geschlechter<br />

lohnenswert sei, um die jeweils spezifischen Gesundheitsbedürfnisse und<br />

-bedarfe von Frauen und Männern und die geschlechtsspezifischen Präventionspotenziale<br />

ermitteln zu können. Diese Überlegungen betten sich in eine breitere Debatte zur Umsetzung<br />

des Konzepts <strong>Gender</strong>-Mainstreaming ein. Was hat es mit diesem Konzept auf<br />

sich? Das <strong>Gender</strong> Mainstreaming-Konzept wurde ursprünglich im Kontext der Entwicklungshilfepolitik<br />

entwickelt und auf der 3. Weltfrauenkonferenz 1985 in Nairobi als Strategie<br />

diskutiert, die Wertvorstellungen und die sozialen Lebensbedingungen von Frauen<br />

stärker in der Entwicklungszusammenarbeit zu berücksichtigen. Auf der 4. Weltfrauenkonferenz<br />

1995 in Beijing wurde <strong>Gender</strong> Mainstreaming als zentrale Strategie verabschiedet<br />

und avanciert seitdem zum internationalen Schlüsselbegriff für die Gleichstellung<br />

der Geschlechter. Er ist in aller Munde, ohne dass allerdings allen Beteiligten immer<br />

klar ist, was sich dahinter verbirgt. Bislang fehlt eine gelungene deutsche Übersetzung<br />

für den Begriff. Möglicherweise ist dies mit ein Grund dafür, weshalb das Konzept in<br />

vielen Bereichen als zu sperrig wahrgenommen wird. Der Begriff <strong>Gender</strong> Mainstreaming<br />

setzt sich aus zwei Komponenten zusammen:<br />

− «<strong>Gender</strong>» bezieht sich auf das soziale Geschlecht, auf die Lebensbedingungen von<br />

Frauen und Männern, auf geschlechtsspezifische Rollenzuschreibungen, Werte,<br />

Macht und Einfluss. Er ist als Gegenbegriff zum biologischen Geschlecht («sex»)<br />

gemeint, der auf die unterschiedliche biologische Ausstattung von Frauen und Männern<br />

Bezug nimmt. Die Differenzierung zwischen dem biologischen und sozialen<br />

Geschlecht, sex und gender, die in den 1980er-Jahren in der Frauenbewegung erarbeitet<br />

wurde, macht deutlich, dass es zwar biologische Unterschiede zwischen den<br />

Geschlechtern gibt, dass an diese Unterschiede aber spezifische Rollenerwartungen<br />

geknüpft werden, die für die Positionierung von Frauen und Männern in der Gesellschaft<br />

wesentlich bedeutsamer sind (siehe auch Kapitel 1.3).<br />

− «Mainstreaming» bringt zum Ausdruck, dass eine Thematik, die bislang allenfalls<br />

am Rande betrachtet wurde, nun in das Zentrum gerückt wird, in den «Hauptstrom»<br />

einfliessen soll.<br />

Das Konzept <strong>Gender</strong> Mainstreaming löst sich damit von einem Blick auf die Benachteiligung<br />

von Frauen und nimmt beide Geschlechter sowie das Verhältnis der Geschlechter<br />

zueinander in den Blick. Die Weltgesundheitsorganisation hebt 2001 in ihrem Madrid<br />

Statement «Mainstreaming gender equity in health» die Bedeutung des Geschlechts als<br />

Determinante, die den Zugang zu und die Kontrolle über Gesundheitsressourcen beein-<br />

Einleitung | 32


flusst, hervor und fordert alle Mitgliedsstaaten auf, <strong>Gender</strong> Mainstreaming zu etablieren.<br />

Die WHO hält dies für die effektivste Strategie, um die gesundheitliche Ungleichheit<br />

zwischen den Geschlechtern abzubauen. <strong>Gender</strong> Mainstreaming folgt dabei einer doppelten<br />

Zielsetzung: 1. der Durchsetzung der gesundheitlichen Chancengleichheit zwischen<br />

den Geschlechtern und 2. der Qualitätsverbesserung im Gesundheitssystem in<br />

allen Phasen der gesundheitlichen Versorgung einschliesslich der Prävention und Gesundheitsförderung.<br />

Durchsetzung gesundheitlicher Chancengleichheit zwischen den<br />

Geschlechtern<br />

Die Arbeiten der Frauengesundheitsforschung und die bestehenden geschlechtsspezifischen<br />

und geschlechtervergleichenden <strong>Gesundheitsbericht</strong>e haben gezeigt, dass sich<br />

Frauen und Männer in zahlreichen Gesundheitsindikatoren unterscheiden und dass sie<br />

auch hinsichtlich der Rahmenbedingungen für Gesundheit differieren (für einen Überblick<br />

siehe z.B. Hurrelmann & Kolip, 2002, Lademann & Kolip, 2005). Mit der Strategie des<br />

<strong>Gender</strong> Mainstreaming sollen Männer und Frauen gleiche Zugangschancen zu den gesundheitlichen<br />

Ressourcen haben, und die Bedürfnisse von Frauen und Männern müssen<br />

gleichermassen im Gesundheitswesen berücksichtigt werden. Angestrebt wird dabei<br />

nicht – wie häufig missverstanden wird –, dass Frauen und Männer den gleichen<br />

Gesundheitszustand erreichen, sondern dass sie die gleichen Chancen haben, ihre Gesundheitspotenziale<br />

auszuschöpfen (vgl. Doyal, 2000). Dies verlangt eine doppelte Strategie<br />

(Peter & Thönen, 2004). Zum einen geht es um die Herstellung horizontaler Gleichheit:<br />

Dort, wo Frauen und Männer die gleichen Gesundheitsbedürfnisse haben, sollen sie<br />

auch die gleichen Gesundheitsleistungen erhalten – aus zahlreichen Studien, z.B. zur<br />

Medikamentenversorgung nach einem Herzinfarkt, wissen wir, dass dies längst nicht<br />

immer der Fall ist (siehe hierzu Kapitel 3.6). Zum anderen soll vertikale Gerechtigkeit<br />

hergestellt werden: Dort, wo Frauen und Männer unterschiedliche Gesundheitsbedürfnisse<br />

haben, sollen sie auch unterschiedliche Gesundheitsleistungen erhalten. Dabei ist<br />

zu berücksichtigen, dass die Geschlechterkategorie eng mit Sozial- und Lebenslagen<br />

verwoben ist, sodass gegebenenfalls weitere Differenzierungen – beispielsweise nach<br />

Bildungsstatus, sexueller Orientierung oder Migrationshintergrund – notwendig werden<br />

(siehe hierzu auch Kapitel 3).<br />

Voraussetzung für <strong>Gender</strong> Mainstreaming im Gesundheitswesen ist eine geschlechtersensible<br />

Analyse vorhandener Daten. Aus dieser können dann ggf. geschlechtsspezifische<br />

Interventionen abgeleitet werden. Dies bedeutet nicht, dass frauenspezifische Projekte<br />

obsolet werden, aber es impliziert, dass da, wo Männer benachteiligt sind oder<br />

einen spezifischen Interventionsbedarf haben (weil sie z.B., wie bei Unfällen, in besonderem<br />

Masse betroffen sind), gezielte Massnahmen notwendig werden. Die Grundlage für<br />

eine solche Bestandsaufnahme ist, dass die einschlägigen Gesundheitsindikatoren geschlechterdifferenziert<br />

erfasst und zur Verfügung gestellt werden und dass Studien<br />

durchgeführt werden, die die Gesundheitsbedürfnisse von Frauen und Männern detailliert<br />

erfassen. Während beim letztgenannten Punkt noch erheblicher Forschungsbedarf<br />

besteht (z.B. zur geschlechtersensiblen Diagnostik psychischer Erkrankungen und zu<br />

daraus abgeleitetem Versorgungsbedarf oder den Ansatzpunkten für geschlechteradäquate<br />

Präventionsmassnahmen, die z.B. die Bedeutung gesundheitsriskanten Verhaltens<br />

für männliche und weibliche Identität reflektieren und aufgreifen), lässt sich zum erstge-<br />

Einleitung | 33


nannten Punkt festhalten, dass sich die Datenlage in den vergangenen Jahren erfreulicherweise<br />

verändert hat. Lagen vor einigen Jahren viele Indikatoren noch nicht einmal<br />

nach Geschlechtern getrennt vor, gibt es mittlerweile viele Bereiche, in denen eine geschlechtervergleichende<br />

Bestandsaufnahme möglich ist. 15 Diese müssten aber zukünftig<br />

weiter differenziert werden, damit zu einer geschlechtervergleichenden Analyse auch<br />

eine geschlechtersensible hinzutreten kann, indem die Lebensbedingungen und Rahmenbedingungen<br />

für Gesundheit ebenfalls in den Blick genommen werden können.<br />

Qualitätsverbesserung im Gesundheitswesen<br />

Die zweite Zielsetzung bezieht sich darauf, dass bei den bisherigen gesundheitsbezogenen<br />

Interventionen (Prävention, Therapie, Rehabilitation, Pflege) das Geschlecht nur selten<br />

eine Rolle spielte. Dadurch waren viele Massnahmen nicht zielgruppenspezifisch<br />

genug, um eine grosse Wirkung zu zeigen. Für viele Versorgungsbereiche lässt sich zeigen,<br />

dass die Orientierung an einem vermeintlich geschlechtsneutralen Versorgungsmodell<br />

weder den Bedürfnissen von Frauen noch den Bedürfnissen von Männern angemessen<br />

Rechnung getragen wird. So zeigen Studien im Bereich der Suchtprävention, dass<br />

von den Angeboten schulischer Suchtprävention in der Regel jene Gruppen am wenigsten<br />

profitieren, die sie am meisten nötig haben, z.B. sozial schlecht integrierte Jungen<br />

(z.B. Leppin et al., 1999). In der Behandlung eines Herzinfarktes zeigt sich Umgekehrtes:<br />

Das geschlechtsneutrale Behandlungsmodell ignoriert, dass sich die Symptome eines<br />

Herzinfarktes bei Männern und Frauen unterscheiden können, dass die Behandlung auf<br />

Geschlechterunterschiede keine Rücksicht nimmt und folglich die Konsequenzen eines<br />

Herzinfarktes bei Frauen und Männern unterschiedlich sind (z.B. Bisig & Gutzwiller, 2002;<br />

Kuhlmann & Kolip, 2005). <strong>Gender</strong> Mainstreaming hat hier das Ziel, für alle Massnahmen<br />

zu prüfen, ob Frauen und Männer, Mädchen und Jungen, gleichermassen erreicht werden,<br />

ob spezifische Zugänge gewählt werden müssen und/oder ob die Methoden für<br />

beide Geschlechter angemessen sind. Für einige Bereiche, z.B. Prävention und Gesundheitsförderung,<br />

wurden Instrumente entwickelt, die sich für eine Geschlechtersensibilisierung<br />

eignen und die sowohl in Prävention und Gesundheitsförderung als auch in der<br />

gesundheitlichen Versorgung zu einer Qualitätsverbesserung beitragen können (z.B. der<br />

Kriterienkatalog, der von Gesundheitsförderung <strong>Schweiz</strong> entwickelt wurde:<br />

www.promotionsante.ch).<br />

1.3. Gesundheit und Geschlecht:<br />

epidemiologischer Überblick und erste Erklärungsansätze<br />

für die Geschlechterunterschiede<br />

Julia Lademann<br />

Der Wissensstand zu Gesundheit und Krankheit bei Frauen und Männern in der <strong>Schweiz</strong><br />

hat sich mittlerweile dank der zunehmend differenzierten Datenaufbereitung und <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung<br />

deutlich verbessert. Diese Daten zusammenzutragen und im<br />

Hinblick auf Geschlecht als einen die Gesundheit entscheidend beeinflussenden Faktor<br />

15<br />

Für einige Bereiche, z.B. die Unfallstatistik oder die Inanspruchnahme von SPITEX, gilt dies allerdings<br />

noch immer nicht oder nur sehr eingeschränkt.<br />

Einleitung | 34


zu analysieren, stellt das Hauptziel des vorliegenden Berichtes dar. Das folgende Kapitel<br />

liefert einen ersten Überblick zu den Unterschieden in Gesundheit und Krankheit bei<br />

Frauen und Männern. Anhand dieser geschlechtsspezifischen Gesundheitsprofile können<br />

erste Schlussfolgerungen hinsichtlich einer geschlechtsspezifischen gesundheitlichen<br />

Versorgung, einschliesslich Gesundheitsförderung und Prävention, gezogen werden.<br />

Auch wird deutlich werden, dass Frauen und Männer keine homogene Gruppe sind und<br />

der Vergleich der Gesundheitsindikatoren nach Geschlecht allenfalls ein erster Einstieg in<br />

die Entwicklung zielgruppengerechter Angebote sein kann, der weitere Differenzierungen<br />

z.B. nach Alter, sozialer Schicht, ethnischer Zugehörigkeit oder sexueller Orientierung<br />

folgen müssen. Des Weiteren werden in diesem Kapitel die wichtigsten theoretischen<br />

Erklärungsansätze vorgestellt, um Ursachen für gesundheitsbezogene Geschlechterunterschiede<br />

aufzudecken. Hier wird deutlich, dass es längst nicht nur die Frauen sind,<br />

die gesundheitlich benachteiligt sind, sondern dass sich in jeder Lebensphase geschlechtsspezifische<br />

Morbiditäts- und Mortalitätsprofile zeichnen lassen, die darauf verweisen,<br />

dass sich in Abhängigkeit vom gewählten Indikator für Frauen und Männer unterschiedliche<br />

Handlungskonsequenzen für Prävention und Versorgung ergeben.<br />

1.3.1. Überblick über die Geschlechterunterschiede in Gesundheit und<br />

Krankheit<br />

In den folgenden Abschnitten wird ein erster Überblick zu Mortalität und Morbidität von<br />

Frauen und Männern präsentiert, um die wichtigsten Geschlechterunterschiede zu verdeutlichen.<br />

Eine vertiefte Darstellung erfolgt in den Kapiteln 3.1 bis 3.9, die sich thematisch<br />

an den Gesundheitszielen für die <strong>Schweiz</strong> orientieren.<br />

Lebenserwartung, potenzielle verlorene Lebensjahre, Mortalität und<br />

behinderungsfreie Lebensjahre<br />

Wie in fast allen Ländern der Welt gibt es auch in der <strong>Schweiz</strong> einen markanten Geschlechterunterschied<br />

in der Lebenserwartung: Zum Zeitpunkt der Geburt liegt die Differenz<br />

bei gut 5 Jahren. Die Lebenserwartung beträgt bei Frauen 83,0 Jahre und bei Männern<br />

77,9 Jahre. Mit zunehmendem Alter sinkt der Unterschied der ferneren Lebenserwartung<br />

zwischen Männern und Frauen. So betrug er 2002 im Alter von 65 Jahren noch<br />

3,6 Jahre zugunsten der Frauen (BFS, 2005c).<br />

Aufgrund vorzeitiger Sterblichkeit zwischen dem 1. und 70. Lebensjahr gehen bei Männern<br />

deutlich mehr Lebensjahre verloren als bei Frauen. Im Jahr 2002 waren dies 3956<br />

Lebensjahre je 100’000 Männer, bei den Frauen betrug dieser Wert dagegen 2092 Jahre<br />

(Obsan, Indikator 2.3.1, standardisiert auf europäische Standardbevölkerung). Bei Frauen<br />

wie bei Männern zeigt sich über den Zeitraum von 1981 bis 2003 eine Abnahme der<br />

verlorenen potenziellen Lebensjahre, 16 die bei beiden Geschlechtern ungefähr gleich<br />

gross ausfällt (37% bei den Frauen, 42% bei den Männern). Die meisten potenziellen<br />

Lebensjahre gehen sowohl bei Frauen als auch bei Männern aufgrund von Krebserkrankungen<br />

verloren, aber deren Anteil ist bei Frauen mit 43% deutlich höher als bei Männern,<br />

bei denen der Anteil 25% ausmacht (BFS, 2005b).<br />

16<br />

Summe der Differenzen zwischen dem Todesalter der einzelnen Verstorbenen und dem potenziell<br />

erreichbaren Mindestalter von 70 Jahren.<br />

Einleitung | 35


Werden alle Todesfälle in den Blick genommen, erweisen sich Erkrankungen des Kreislaufsystems<br />

(die wichtigste Einzeltodesursache ist hier der Herzinfarkt) sowie Krebserkrankungen<br />

als die häufigsten Todesursachen sowohl bei Frauen als auch bei Männern.<br />

Allerdings zeigt ein Vergleich der altersstandardisierten Sterberaten deutliche Unterschiede<br />

zwischen den Geschlechtern: Über alle Todesursachen liegen sie im Jahr 2002<br />

für Männer bei 699 und für Frauen bei 438 Todesfällen pro 100’000 EinwohnerInnen<br />

(BFS, 2005b). Damit haben Männer ein 1,6-fach erhöhtes Sterblichkeitsrisiko im Vergleich<br />

zu Frauen. Frauen weisen in allen Altersgruppen eine tiefere Sterbeziffer auf als<br />

Männer (vgl. Tabelle 1.3-1)<br />

Tabelle 1.3-1: Altersspezifische Sterbeziffern nach Altersgruppen und Geschlecht pro 100’000 Personen<br />

der ständigen <strong>Schweiz</strong>er Wohnbevölkerung 2000 (Obsan, 2004, Indikator 2.2.1.1)<br />

1–14 Jahre 15–44 Jahre 45–64 Jahre 65–84 Jahre<br />

Männer 20 114 588 3’883<br />

Frauen 13 53 330 2’322<br />

Für die verschiedenen Todesursachen fallen die Geschlechterdifferenzen unterschiedlich<br />

stark aus. Während das Sterblichkeitsrisiko beispielsweise durch eine alkoholisch bedingte<br />

Leberzirrhose als Einzeltodesursache bei Männern im Vergleich zu Frauen um das 2,7fache<br />

erhöht ist, ist der Geschlechterunterschied bei Diabetes mellitus als Einzeltodesursache<br />

gering (vgl. Tabelle 1.3-2).<br />

Tabelle 1.3-2: Altersstandardisierte Sterbeziffern pro 100’000 EinwohnerInnen für wichtige Todesursachen<br />

bei Männern und Frauen sowie Sex Ratio 17 im Jahr 2001 (BFS, 2005a)<br />

Todesursachen Männer Frauen Sex Ratio<br />

Gesamt 716,0 434,0 1.6<br />

Kreislaufkrankheiten 250,0 156,0 1.6<br />

Bösartige Krebskrankheiten 211,0 120,0 1.8<br />

Unfälle und Gewalt 60,1 24,4 2.5<br />

Erkrankungen der Atmungsorgane 45,8 22,0 2.1<br />

Diabetes mellitus 14,9 11,9 1.3<br />

Infektionskrankheiten 9,1 4,6 2.0<br />

Alkoholische Leberzirrhose 9,4 3,0 3.1<br />

Wie die geschlechtsspezifischen Mortalitätsraten durch andere Faktoren überlagert werden,<br />

zeigt eine Sonderauswertung der deutschen Todesursachenstatistik, in der neben<br />

dem Geschlecht auch der Zivilstand betrachtet wurde (Kolip, 2005). Das Risiko, vor dem<br />

65. Lebensjahr zu versterben, ist bei nicht verheirateten Personen höher als bei verheirateten.<br />

18 In der Gruppe der Frauen fällt dieser Unterschied wesentlich geringer aus als bei<br />

den Männern.<br />

17<br />

Sex Ratio = Geschlechterquotient; Verhältnis der Sterblichkeit je 100’000 Männer zur Sterblichkeit<br />

je 100’000 Frauen<br />

18<br />

Leider differenziert die Todesursachenstatistik bei den nicht verheirateten Personen nicht danach, ob<br />

sie mit jemandem zusammenleben oder nicht, so dass es hier zu einer Unterschätzung des Effektes<br />

kommen kann.<br />

Einleitung | 36


Vergleicht man Männer und Frauen hinsichtlich der bei guter Gesundheit verbrachten<br />

Lebensjahre (behinderungsfreie Lebenserwartung: healthy life expectancy), so unterscheiden<br />

sie sich in ähnlicher Weise wie hinsichtlich der gesamten Lebenserwartung:<br />

<strong>Schweiz</strong>erinnen konnten im Jahr 2002 mit einer behinderungsfreien Lebenserwartung<br />

von 75,3 Jahren rechnen, <strong>Schweiz</strong>er mit 71,1 Jahren (WHO, 2004). Zwar müssen Frauen<br />

mit ihrer höheren Lebenserwartung auch mit mehr «ungesunden», also bei schlechter<br />

Gesundheit verbrachten, Jahren rechnen als Männer (8,1 Jahre versus 6,6 Jahre im Jahr<br />

2002; WHO, 2004), aber die Ausweitung der behinderungsfreien Lebensjahre verlief<br />

innerhalb der letzten 20 Jahre bei Frauen günstiger als bei Männern (Höpflinger & Hugentobler,<br />

2003).<br />

Subjektive Gesundheit und Inanspruchnahme des Gesundheitswesens<br />

Geschlechterunterschiede lassen sich nicht nur in der Mortalität beobachten, sondern<br />

auch hinsichtlich der Morbidität und subjektiven Einschätzung des Gesundheitszustands.<br />

Die meisten <strong>Schweiz</strong>erinnen und <strong>Schweiz</strong>er, nämlich 84% und 88%, nehmen ihren gesundheitlichen<br />

Zustand als gut oder ausgezeichnet wahr; als schlecht oder sehr schlecht<br />

bezeichnen ihn 3% der Männer und 4% der Frauen (BFS, 2005c). Das Geschlechterparadox<br />

(Kolip, 2003) gilt auch in der <strong>Schweiz</strong>: Frauen leben zwar länger als Männer, schätzen<br />

aber ihren Gesundheitszustand signifikant schlechter ein als diese. Dies zeigt sich sowohl<br />

hinsichtlich ihrer Einschätzung zur psychischen wie auch zur körperlichen Befindlichkeit.<br />

So geben Frauen signifikant seltener als Männer an, sich psychisch ausgeglichen<br />

zu fühlen. Es schätzen 56,3% der Männer ihre psychische Ausgeglichenheit als sehr<br />

hoch ein, bei den Frauen sind es 53,7% – über psychische Unausgeglichenheit berichten<br />

21,5% der befragten Frauen und 19,8% der Männer (<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung<br />

2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> 19 ). In Bezug auf körperliche<br />

Beschwerden sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern noch prägnanter.<br />

Während knapp 51% der Männer angeben, keine bzw. kaum körperliche Beschwerden<br />

zu haben, sind es bei den Frauen lediglich 32%. Umgekehrt leiden mit 30% die befragten<br />

Frauen nahezu doppelt so häufig unter starken Beschwerden wie Männer mit knapp<br />

16% (vgl. Abbildung 1.3-1).<br />

19 Für den <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> werden verschiedene Datenquellen genutzt. Neben den<br />

Routinestatistiken wurde auch die <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung von 2002 ausgewertet.<br />

Dabei wurden neben dem Geschlecht auch die Variablen Alter, Schulbildung, Haushaltseinkommen,<br />

Erwerbstätigkeit, Nationalität und Wohnregion berücksichtigt. Die Auswertungen sind jeweils mit<br />

«Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>» gekennzeichnet.<br />

Einleitung | 37


Männer Frauen<br />

Abbildung 1.3-1: Prozentuale Verteilung körperlicher Beschwerden bei Männern und Frauen<br />

(<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Die Datenlage zur objektiven Morbidität innerhalb der <strong>Schweiz</strong>er Bevölkerung ist nicht so<br />

umfänglich wie jene zur Mortalität. Allerdings können eine Reihe an Informationen beispielsweise<br />

über die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen wie Arztbesuchen<br />

und Krankenhausaufenthalten gewonnen werden. 82,1% der Frauen und 71,3% der<br />

Männer haben im Jahr 2002 einen Arzt aufgesucht, 13,0% der Frauen und 10,6% der<br />

Männer waren im Spital. Der Geschlechterunterschied verringert sich, wenn Arzt- und<br />

Spitalbesuche von Frauen nicht berücksichtigt werden, die mit Verhütung, Schwangerschaft<br />

und Geburt im Zusammenhang stehen. Gleichwohl finden sich Unterschiede zwischen<br />

Frauen und Männern. So haben im Rahmen der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung<br />

zwar jeweils etwa 90% der Frauen und Männer angegeben, einen Hausarzt bzw.<br />

eine Hausärztin zu haben – allerdings haben diese/n innerhalb der letzten zwölf Monate<br />

70,1% der befragten Frauen und dagegen 67,7% der befragten Männer konsultiert.<br />

Wegen psychischer Probleme begeben sich Frauen gemäss der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung<br />

sogar doppelt so häufig wie Männer in eine therapeutische Behandlung<br />

(6% versus 3%). Auffallend ist der noch höhere Anteil unter den Frauen mit einem<br />

hohen Bildungsniveau. Von diesen begeben sich aufgrund psychischer Probleme 9,8% in<br />

Behandlung, während es von den gleich hoch gebildeten Männern lediglich 3,3% sind<br />

(<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>).<br />

Im Alter zählen depressive Erkrankungen zu den häufigsten gesundheitlichen<br />

Problemen, von denen über 65-jährige Frauen nicht nur in der <strong>Schweiz</strong>, sondern<br />

auch international etwa doppelt so häufig betroffen sind wie gleichaltrige Männer<br />

(Höpflinger & Hugentobler, 2003).<br />

Auch bei den Spitaldiagnosen von Männern und Frauen in Krankenhäusern der Grundund<br />

Zentrumsversorgung zeigt sich eine geschlechtsspezifische Nutzung. So zählen zu<br />

den häufigsten Diagnosen im Jahr 2003 bei den Männern bis zum 40. Lebensjahr Frakturen<br />

und Verletzungen, während bei den höheren Altersgruppen ischämische Herzkrankheiten<br />

und Leistenbrüche die meisten Spitaldiagnosen darstellen. Frauen sind im jungen<br />

und mittleren Lebensalter vor allem aufgrund einer Spontangeburt im Spital, während bei<br />

den über 40-Jährigen Arthrose und andere Gelenkerkrankungen sowie Frakturen (v.a.<br />

Oberschenkelhalsfrakturen) zum Krankenhausaufenthalt führen (BFS, 2005a).<br />

Einleitung | 38


Bereits bei der Betrachtung der behinderungsfreien Lebenszeit wurde deutlich, dass die<br />

längere Lebenserwartung der Frauen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen verbunden<br />

ist. Das <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsobservatorium formuliert den Geschlechterunterschied<br />

prägnant: «Vom mittleren Lebensalter an leiden Männer mehr an Krankheiten,<br />

die zum Tode führen. Frauen hingegen entwickeln chronische Krankheiten im psychosomatischen<br />

und psychischen Bereich. Doch auch an lebensbedrohlichen Krankheiten<br />

sterben sie später als Männer. Die längere Lebenszeit der Frauen geht mit Behinderungen<br />

und Einschränkungen einher» (Obsan, 2004, Indikator 2.6.2, S. 1).<br />

Ein Blick auf die Behinderungen stützt diese Aussage. In allen Altersgruppen geben mehr<br />

Frauen als Männer an, unter lang dauernden körperlichen oder psychischen Krankheiten<br />

oder Behinderungen 20 zu leiden (vgl. Tabelle 1.3-3). Darüber hinaus fällt auf, dass der<br />

Anteil der Behinderung ab dem 35. Lebensjahr mit der Schulbildung variiert: je höher die<br />

Bildung, desto geringer der Anteil lang dauernder Krankheiten oder Behinderungen.<br />

Tabelle 1.3-3: Prozentualer Anteil der Bevölkerung mit lang dauernden körperlichen oder psychischen<br />

Krankheiten bzw. Behinderungen nach Altersgruppe, Schulbildung und Geschlecht (Obsan, 2004,<br />

Indikator 2.6.2)<br />

Männer<br />

obligatorische Schule<br />

Männer<br />

höhere Schulbildung<br />

Frauen<br />

obligatorische Schule<br />

Frauen<br />

höhere Schulbildung<br />

15–34 Jahre 34–54 Jahre 55–74 Jahre 75+ Jahre<br />

7,7%<br />

7,9%<br />

9,4%<br />

9,6%<br />

17,8%<br />

11,7%<br />

23,4%<br />

15,9%<br />

25,6%<br />

20,4%<br />

31,0%<br />

21,2%<br />

31,2%<br />

29,3%<br />

34,3%<br />

30,0%<br />

Betrachtet man die Bezüger von Invaliditätsrenten, lässt sich ein anderes Bild zeichnen:<br />

Hier fällt auf, dass bei einem Invaliditätsgrad von 40 bis 49% die Frauen, bei einem Invaliditätsgrad<br />

von 70 bis100% die Männer überwiegen (vgl. Tabelle 1.3-4).<br />

Tabelle 1.3-4: Bezüger von Invaliditätsrenten nach Invaliditätsgrad und Geschlecht im Jahr 2004<br />

(BFS, 2005c)<br />

Invaliditätsgrad Frauen Männer<br />

40-49% 4’901 3’856<br />

50-59% 19’815 20’499<br />

60-69% 7’512 8’356<br />

70-100% 75’393 101’735<br />

20 Das Obsan gibt folgende Definition: «Lang dauernde Krankheiten und Behinderung bedürfen häufig<br />

andauernder und wiederkehrender Behandlungsmassnahmen (...). In diesen Indikator gehen selbst<br />

berichtete chronische körperliche und/oder psychische Krankheiten bzw. Behinderungen ein.»<br />

(Obsan, 2004, Indikator 2.6.2).<br />

Einleitung | 39


Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Frauen über mehr Beschwerden berichten<br />

als Männer – ob hierhinter ein tatsächlich höheres Ausmass an Beschwerden steht oder<br />

nur ein unterschiedliches Berichtsverhalten, muss an dieser Stelle offen bleiben. Besonders<br />

auffällig ist die schlechtere psychische Befindlichkeit der Frauen und die höhere<br />

Unfallhäufigkeit der Männer, die sich u. a. in den Spitaldiagnosen spiegelt.<br />

Zur Inanspruchnahme gesundheitlicher Dienstleistungen ist festzuhalten, dass Frauen im<br />

mittleren Lebensalter zwar häufiger zum Arzt bzw. zur Ärztin gehen und auch häufiger im<br />

Spital sind, diese Praxis- und Spitalbesuche aber meist in engem Zusammenhang mit<br />

Verhütung, Schwangerschaft und Geburt stehen. Wird die Statistik um diese Inanspruchnahmeanlässe<br />

bereinigt, verringern sich auch die Geschlechterunterschiede (zu den ökonomischen<br />

Aspekten siehe Camenzind & Meier, 2004).<br />

Gesundheitsrelevante Verhaltensweisen<br />

Das geschlechtsspezifische Mortalitäts- und Morbiditätsprofil lässt sich zu einem nicht<br />

unerheblichen Teil auf das stärkere Ausmass gesundheitsriskanter Verhaltensweisen bei<br />

Männern zurückführen. So schätzten im Jahr 2002 90,6% aller befragten Frauen ihre<br />

Lebenseinstellung als «gesundheitsorientiert» ein, während es bei den Männern 85,6%<br />

waren (BFS, 2005c). Was ihre Ernährungsgewohnheiten betrifft, geben 76% der Frauen,<br />

aber nur knapp 62% der Männer an, sich «ernährungsbewusst» zu verhalten. Interessant<br />

ist, dass der Anteil ernährungsbewusster Frauen sich zwischen 1992 und 2002 kaum<br />

verändert hat bzw. von 76,4% auf 76,1% sogar leicht gesunken ist, während sich der<br />

Anteil ernährungsbewusster Männer von 58,3% auf 61,6% erhöht hat (BFS, 2005c).<br />

Dennoch sind beide Geschlechter von Übergewicht 21 und Adipositas 22 als Risikofaktoren<br />

für viele Erkrankungen zunehmend, aber unterschiedlich betroffen. Während im Jahr<br />

1992 noch 18,3% der Frauen und 34,0% der Männer übergewichtig waren, sind es im<br />

Jahr 2002 21,8% der <strong>Schweiz</strong>erinnen und 37,5% der <strong>Schweiz</strong>er. Der Geschlechterunterschied<br />

zeigt sich bei Adipositas nicht so eindrücklich, doch auch diese nimmt bei beiden<br />

Geschlechtern zu, und zwar bei Frauen von 5,0% im Jahr 1992 auf 7,5% im Jahr 2002<br />

und bei Männern von 6,3% auf 7,9% (Schneider & Schmid, 2004).<br />

Auch hinsichtlich des Tabakkonsums als bedeutsame gesundheitsriskante Verhaltensweise<br />

bestehen nach wie vor deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu<br />

Ungunsten der männlichen Bevölkerung. Derzeit rauchen in der <strong>Schweiz</strong> 36,0% der<br />

Männer und 25,5% der Frauen. Allerdings ist in den letzten zehn Jahren der Anteil der<br />

Frauen, die niemals geraucht haben, von 59,8% auf 58,4% leicht gesunken – während<br />

der Anteil der Männer, die niemals geraucht haben, von 37,6% auf 40,2% angestiegen<br />

ist. Unter den Frauen sind es vor allem die jüngeren, die im Vergleich zur älteren Generation<br />

mittlerweile deutlich vermehrt Tabak konsumieren (vgl. Abbildung 1.3-2).<br />

21 BMI 25–29,9<br />

22 BMI >30<br />

Einleitung | 40


Abbildung 1.3-2: Tabakkonsum nach Geschlecht und Altersgruppen im Jahr 2002 in Prozent (BFS, 2005c)<br />

Zieht man die Bildung als weiteres Differenzierungskriterium beim Tabakkonsum hinzu,<br />

so zeigt sich, dass zwar bei Männern, nicht aber bei Frauen ein Zusammenhang erkennbar<br />

ist. Während der Anteil an Raucherinnen über alle erfassten Bildungsstufen zwischen<br />

24% und 26% liegt, sinkt der Anteil der Männer, die rauchen, von etwa 40% mit obligatorischem<br />

Schulabschluss auf knapp 31% bei Männern mit einem Schulabschluss der<br />

Tertiärstufe. Bei denjenigen, die bislang nie geraucht haben, zeigt sich, dass bei Frauen<br />

der Anteil mit zunehmendem Bildungsniveau von etwa 63% auf knapp 55% sinkt, während<br />

es sich bei den Männern umgekehrt verhält und der Anteil der Nie-Raucher mit<br />

zunehmender Bildung von etwa 40% auf 43% steigt (BFS, 2005c). Der hohe Anteil der<br />

Nie-Raucherinnen mit niedrigem Bildungsabschluss spiegelt vermutlich den oben benannten<br />

Generationenunterschied bei Frauen hinsichtlich des Rauchens wider, da die<br />

älteren Frauen – im Vergleich zu Männern ihres Alters und im Vergleich zu jüngeren<br />

Frauen – eine weniger hohe Bildung abgeschlossen haben.<br />

Beim Alkoholkonsum als potenziell gesundheitsriskante Verhaltensweise zeigt sich, dass<br />

zwischen 1992 und 2002 sowohl bei Männern als auch bei Frauen die Trinkhäufigkeit<br />

gesunken ist und der Anteil der Abstinenten unter den Männern von 9% auf 14% und<br />

bei den Frauen von 22% auf 30% angestiegen ist (BFS, 2005c). Auch hier zeigen sich<br />

Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die sich im Vergleich zum Tabakkonsum<br />

noch deutlicher ausnehmen. So beträgt der Anteil derjenigen, die täglich Alkohol konsumieren<br />

bei den Frauen 10% und bei den Männern 22% (vgl. Abbildung 1.3-3).<br />

Einleitung | 41


Abbildung 1.3-3: Alkoholkonsum (täglich = ein- bis mehrmals täglich, wöchentlich = ein- bis mehrmals<br />

wöchentlich) bei Männern und Frauen im Jahr 2002 in Prozent (BFS, 2005c)<br />

Die Häufigkeit des Alkoholkonsums steigt mit zunehmendem Alter sowohl bei Männern<br />

als auch bei Frauen, wobei ein deutlicher Geschlechterunterschied bestehen bleibt. So<br />

trinken etwa 18% der 70-jährigen und älteren Frauen täglich Alkohol, während es bei den<br />

gleichaltrigen Männern 48% sind. Differenziert man auch beim Alkoholkonsum nach dem<br />

Bildungsstand, so zeigen sich folgende geschlechtsspezifische Zusammenhänge: Bei<br />

Frauen steigt ein täglicher Alkoholkonsum mit zunehmender Bildung – nämlich von etwa<br />

11% unter denjenigen mit obligatorischem Schulabschluss auf 13% bei den Frauen mit<br />

einem Abschluss der Tertiärstufe. Dagegen sinkt bei Männern der tägliche Alkoholkonsum<br />

mit steigendem Bildungsabschluss, und zwar von rund 27% auf etwa 22%. Die<br />

höchsten Anteile derjenigen, die selten bzw. gar keinen Alkohol konsumieren, sind allerdings<br />

sowohl bei Männern als auch bei Frauen mit einem niedrigen Bildungsniveau zu<br />

finden: bei Männern 40% versus 23% mit hohem Bildungsniveau und bei Frauen 68%<br />

versus 42% (BFS, 2005c). Dieser Befund verweist darauf, dass ein tiefes Bildungsniveau<br />

nicht in allen Fällen mit gesundheitsriskantem Verhalten einhergeht.<br />

Während mehr Männer rauchen und auch häufiger Alkohol konsumieren, nehmen Frauen<br />

häufiger psychotrope Medikamente ein. So beträgt der Anteil an Frauen, die täglich ein<br />

Schlafmittel einnehmen, 3,2%, bei den Männern sind es 1,3% – ähnlich verhält es sich<br />

bei den Beruhigungsmitteln (BFS, 2005c). Eine entscheidende Rolle beim Konsum dieser<br />

Arzneimittel spielt das Alter: Unter den 70-jährigen Frauen nehmen etwa 11% täglich ein<br />

Schlafmittel und knapp 5% täglich ein Beruhigungsmittel ein; bei den gleichaltrigen Männern<br />

sind es knapp 7%, die täglich ein Schlafmittel und etwa 4%, die täglich ein Beruhigungsmittel<br />

konsumieren (BFS, 2005c). Bezieht man den Bildungsstand ein, so zeigt<br />

sich, dass sowohl bei Männern als auch bei Frauen die Einnahme von Schlaf- und Beruhigungsmitteln<br />

bei denjenigen mit dem niedrigsten Bildungsniveau am höchsten ist.<br />

Einleitung | 42


Ein weiterer wichtiger Aspekt gesundheitsbeeinflussender Verhaltensweisen bezieht<br />

sich auf die körperliche Aktivität. Dazu zählen nicht nur sportliche, sondern auch bewegungsintensive<br />

Alltagsaktivitäten, beispielsweise das regelmässige Zufussgehen oder<br />

Velofahren zum Einkauf, zum Arbeitsplatz sowie Gärtnern oder Spazierengehen. Während<br />

sich Männer eher sportlich betätigen, sind Frauen eher im Alltag körperlich aktiv:<br />

Etwa 68% der Männer treiben in ihrer Freizeit mindestens einmal wöchentlich Sport<br />

(59% der Frauen), dagegen sind 48% der Frauen täglich zu Fuss oder mit dem Velo unterwegs<br />

(36% der Männer), (BFS, 2005c).<br />

Zur Früherkennung gesundheitlicher Risiken werden entsprechende Untersuchungen<br />

eher von Frauen als von Männern in Anspruch genommen. So nahm gemäss der<br />

<strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung 2002 in den letzten zwölf Monaten ein grösserer<br />

Anteil unter den Frauen als unter den Männern an solchen Untersuchungen teil –<br />

lediglich hinsichtlich der Überprüfung von Haut und Muttermalen sind die Unterschiede<br />

zwischen den Geschlechtern minimal (vgl. Abbildung 1.3-4).<br />

Abbildung 1.3-4: Inanspruchnahme von Früherkennungsuntersuchungen durch Frauen und Männer in<br />

den letzten zwölf Monaten in Prozent (BFS, 2003a)<br />

Die höhere Inanspruchnahme von Früherkennungsuntersuchungen durch Frauen im Vergleich<br />

zu Männern geht zum einen mit deren allgemein häufigeren Arztbesuchen einher<br />

und zum anderen mit den regelmässigen Besuchen bei der Gynäkologin bzw. dem Gynäkologen.<br />

Letzteres dient oftmals gezielt der Früherkennung von Risikomerkmalen für<br />

Brust- und Gebärmutterkrebs, oder es werden im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft<br />

Blutdruck und Blutzuckerwerte kontrolliert.<br />

Hinsichtlich gesundheitsrelevanter Verhaltensweisen kann zusammenfassend festgestellt<br />

werden, dass sich Frauen in den meisten Bereichen gesundheitsbewusster verhalten<br />

als Männer. Darüber hinaus werden Unterschiede innerhalb der Gruppe der Frauen<br />

und Männer deutlich, wenn Alter und soziale Schicht als weitere Differenzierungskriterien<br />

betrachtet werden. Bei der Ableitung geschlechtsspezifischer Massnahmen für Gesundheitsförderung<br />

und Prävention gilt es, dies zu berücksichtigen.<br />

Einleitung | 43


1.3.2. Ableitung eines geschlechtsspezifischen Präventionspotenzials und<br />

Versorgungsbedarfs<br />

Die aufgezeigten Geschlechterunterschiede in Gesundheit und Krankheit machen deutlich,<br />

dass präventive, kurative und andere therapeutische sowie rehabilitative und pflegerische<br />

Versorgung entsprechend auszurichten sind. Als eine erste Schlussfolgerung aus<br />

dem beschriebenen Geschlechterparadox lässt sich ableiten, dass für Männer eine Verringerung<br />

von Risikofaktoren zur Vermeidung vorzeitiger Sterblichkeit in den Vordergrund<br />

zu stellen ist, während für Frauen vor allem Massnahmen zur Verringerung körperlicher<br />

und psychischer Beschwerden ergriffen werden müssen. Werden die Ursachen für die<br />

deutlich höhere Sterblichkeit bei Männern in den Blick genommen, so zeigt sich, dass<br />

diese in erster Linie mit gesundheitsriskantem Verhalten erklärt werden können: Krebsund<br />

Kreislauferkrankungen, Unfälle und Gewalt sowie die alkoholische Leberzirrhose<br />

lassen sich zum grossen Teil auf den – im Vergleich zu Frauen – höheren Konsum von<br />

Tabak und Alkohol sowie eine weniger ernährungsbewusste Lebensweise zurückführen;<br />

hinzu kommt, dass Männer berufsbedingt bestimmten Risikofaktoren ausgesetzt sind,<br />

die eher zu Unfällen und Verletzungen führen, und sie sich gleichzeitig auch in ihrer Freizeit<br />

offenbar eher riskant verhalten als Frauen.<br />

Neben dem Geschlecht spielen allerdings noch weitere Faktoren eine entscheidende<br />

Rolle, wenn es darum gehen soll, eine zielgruppengerechte gesundheitliche Versorgung<br />

anzubieten. So zeigt dieser erste geschlechtervergleichende Überblick, dass beispielsweise<br />

Alter und Bildungsstand den Gesundheitszustand bzw. das Gesundheitsverhalten<br />

von Frauen und Männern in unterschiedlicher Weise beeinflussen. Da Rauchen als Risikofaktor<br />

unter der männlichen Bevölkerung weiter verbreitet ist als unter der weiblichen,<br />

ist es einerseits erfreulich zu konstatieren, dass Ansätze zur Tabakprävention innerhalb<br />

der letzten zehn Jahre offenbar bei Männern greifen. Allerdings zeigen die präventiven<br />

Bemühungen bei Frauen keine vergleichbaren Auswirkungen, wobei es vor allem die<br />

jungen <strong>Schweiz</strong>erinnen sind, die zunehmend rauchen. Auch sind Frauen offenbar über<br />

alle Bildungsschichten hinweg mit Angeboten zur Tabakprävention anzusprechen, während<br />

es bei Männern vor allem die bildungsfernen Schichten sind, die im Vergleich zu<br />

den höher Gebildeten mehr konsumieren. Auch was den Alkoholkonsum als zentralem<br />

Risikofaktor für Krebserkrankungen, für Unfälle und Verletzungen sowie Lebererkrankungen<br />

angeht, unterscheiden sich Frauen und Männer in ihren Konsummustern nicht nur<br />

hinsichtlich des Geschlechts, sondern auch hinsichtlich anderer Faktoren. Ähnlich wie<br />

beim Tabakkonsum trinken vor allem Männer mit einem niedrigen Bildungsabschluss<br />

häufig Alkohol – dagegen konsumieren Frauen mit höherem Bildungsabschluss häufiger<br />

Alkohol als Frauen bildungsferner Schichten. Solche und weitere geschlechtsspezifische<br />

Konsummuster bedürfen einer genauen Betrachtung sowie einer weiteren Differenzierung<br />

wie hier beispielhaft für Alter und Bildungsstand dargestellt. Indem diese Muster<br />

beschrieben und hinsichtlich ihrer Ursachen beleuchtet werden, können gezielte Präventionsprogramme<br />

entwickelt werden.<br />

Einleitung | 44


1.3.3. Theoretische Erklärungsansätze für die Geschlechterunterschiede<br />

Die Gesundheits- und Krankheitsprofile von Frauen und Männern werden sowohl von<br />

biologischen als auch sozio-kulturellen Faktoren beeinflusst. Um die Geschlechterunterschiede<br />

hinsichtlich Gesundheit und Krankheit erklären zu können, müssen beide Faktoren<br />

berücksichtigt werden. In der gesundheitswissenschaftlichen Literatur herrscht Konsens,<br />

dass vor allem psychosoziale Unterschiede – also Unterschiede in Einstellung und<br />

Verhalten, in Lebensweisen und Lebenswelten – für die Geschlechterunterschiede relevant<br />

sind, während biologische Faktoren von nachrangiger Bedeutung sind (Doyal, 2004;<br />

Kolip, 2003; Courtenay, 2000). Männlichkeit und Weiblichkeit werden durch spezifische<br />

Sozialisationserfahrungen geprägt, in denen geschlechtsspezifische Verhaltensweisen<br />

erlernt und reproduziert werden. Neben dem Verhalten sind auch die Verhältnisse innerhalb<br />

der Gesellschaft, d.h. die Lebens- und Arbeitswelten von Männern und Frauen geschlechtlich<br />

geprägt.<br />

Im Folgenden werden die wichtigsten theoretischen Erklärungsansätze für die Geschlechterunterschiede<br />

in Gesundheit und Krankheit vorgestellt. Dabei ist es zunächst<br />

sinnvoll, Geschlecht in seiner biologischen (sex) und sozialen (gender) Ausprägung zu<br />

betrachten, um dann auf die geschlechtsspezifische Sozialisation sowie die Lebensbedingungen<br />

von Männern und Frauen einzugehen. Auch wenn die bereits vorliegenden<br />

theoretischen Überlegungen noch keine umfassenden Theorien darstellen, um gesundheitsbezogene<br />

Geschlechterunterschiede unter Berücksichtigung aller Einflussfaktoren<br />

zu erklären, können sie zumindest teilweise die Ursachen für die empirisch vorgefundenen<br />

Unterschiede aufdecken helfen.<br />

Die Konzepte sex und gender<br />

Die aus dem Englischsprachigen stammende begriffliche Trennung zur Bezeichnung<br />

biologischer und soziokultureller Geschlechtlichkeit wurde zunächst vor allem in der<br />

Frauenforschung verwendet. Sie diente in erster Linie dazu, die Festschreibung von<br />

Weiblichkeit und Männlichkeit auf rein biologische Begründungen zu hinterfragen und<br />

den Einfluss gesellschaftlicher Gegebenheiten auf das Geschlecht aufzuzeigen. Mit dem<br />

Begriff des biologischen Geschlechts (sex) wird auf die anatomischen, physiologischen<br />

und genetischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen verwiesen, während das<br />

soziale Geschlecht (gender) die sozial und kulturell verankerten Unterschiede beschreibt.<br />

Damit steht der Begriff sex für die biologischen Kriterien zur Beschreibung von Männern<br />

und Frauen, während gender die sozial konstruierten Rollen mit den entsprechenden<br />

Verhaltensweisen (Geschlechterrollen) bezeichnet, die für Männer und Frauen als jeweils<br />

gesellschaftlich angemessen und charakteristisch gelten.<br />

Die Trennung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht wurde im Rahmen gesundheitsbezogener<br />

Forschung zunächst in der Frauengesundheitsforschung und nun<br />

auch zunehmend in der Männer- und geschlechtervergleichenden Gesundheitsforschung<br />

aufgegriffen (Doyal, 2004; Altgeld, 2004; Hurrelmann & Kolip, 2002; Courtenay, 2000).<br />

Sie dient dazu, aufzuzeigen, dass Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht nur<br />

hinsichtlich ihrer Biologie zu begründen sind, sondern auch hinsichtlich ihrer spezifischen<br />

Verhaltensweisen sowie Lebens- und Arbeitsbedingungen. Anders formuliert: Zwar unterscheiden<br />

sich Frauen und Männer biologisch voneinander, aber anknüpfend an diese<br />

biologischen Unterschiede werden an Frauen und Männer unterschiedliche Erwartungen<br />

gestellt, wie sie sich zu verhalten haben, welche gesellschaftliche Position sie einzu-<br />

Einleitung | 45


nehmen haben, für welche Aufgaben sie Verantwortung tragen usw. Was dabei als «typisch<br />

weiblich» oder «typisch männlich» gilt, unterliegt gesellschaftlichen Definitionsprozessen<br />

und ist damit variabel. Um ein Beispiel zu nennen: Bis vor etwa zwei Jahrzehnten<br />

galt Rauchen als etwas typisch Männliches. Diesen Nimbus hat der Tabakkonsum verloren<br />

(mit Ausnahme des Zigarre- und Pfeiferauchens), heute rauchen in den jüngeren<br />

Bevölkerungsgruppen mehr Mädchen als Jungen, und das Rauchen von Zigaretten eignet<br />

sich nicht mehr zur Stilisierung von Männlichkeit.<br />

Darüber hinaus wirken biologisches und soziales Geschlecht auf die Gesundheit von<br />

Männern und Frauen nicht unabhängig voneinander, sondern die Auswirkungen von sex<br />

und gender können eng miteinander verwoben sein, wie Payne (2002) am Beispiel von<br />

Rauchen und Lungenkrebs aufgezeigt hat (vgl. Kasten 1.3-1).<br />

Kasten 1.3-1<br />

Die Interaktion des biologischen und sozialen Geschlechts am Beispiel Rauchen und<br />

Lungenkrebs<br />

Das biologische und das soziale Geschlecht sind eng miteinander verwoben, wie Sarah Payne in ihrem<br />

richtungweisenden Aufsatz «Smoke like a man, die like a man» (2002) aufgezeigt hat. Sie hat den Zusammenhang<br />

zwischen Rauchen und Lungenkrebs analysiert und die Frage gestellt, welchen Einfluss<br />

das biologische und das soziale Geschlecht haben.<br />

Ihr Ausgangspunkt sind drei Beobachtungen: 1.) In industrialisierten Ländern sinkt die Lungenkrebshäufigkeit<br />

bei den Männern, sie steigt aber bei den Frauen. 2.) Wird hinsichtlich der Menge gerauchter<br />

Zigaretten unterschieden, ist das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, in jeder Gruppe bei Frauen<br />

höher als bei Männern. Und 3.) erkranken Frauen und Männer an unterschiedlichen Formen des Lungenkrebses;<br />

so sind Frauen häufiger vom so genannten Adenokarzinom und von aggressiveren, kleinzelligen<br />

Krebsformen betroffen.<br />

Zur Erklärung dieser Unterschiede führt Sarah Payne sowohl biologische als auch soziale Faktoren an, in<br />

die jeweils sex und gender hineinspielen. So scheint das Lungengewebe von Frauen empfindlicher auf<br />

Rauch zu reagieren, ein biologischer Faktor. Aber Frauen und Männer unterscheiden sich auch in ihren<br />

Motiven, zu Zigaretten zu greifen: Frauen rauchen offenbar häufiger als Männer, um Stresssituationen<br />

abzumildern – ihnen fällt deshalb möglicherweise das Aufhören schwerer. Ein entscheidender Faktor<br />

scheint zudem der Teer- und Kondensatgehalt zu sein: steigen RaucherInnen auf «leichtere» Zigaretten<br />

um, was Frauen häufiger tun als Männer, gleichen sie den geringeren Schadstoffgehalt durch tiefere<br />

Züge aus. Diese tiefere Inhalation erhöht das Risiko für ein Adenokarzinom. In diesem Zusammenhang<br />

spielen auch die Rauchgewohnheiten eine Rolle. An vielen Arbeitsplätzen ist das Rauchen verboten,<br />

und Frauen arbeiten häufiger an diesen Plätzen. Eine Zigarette vor der Tür wird schneller geraucht, die<br />

Züge sind tiefer und erfolgen häufiger und das Risiko für Adenokarzinom steigt.<br />

Bezogen auf gesundheitliche Belange wird die biologische Unterscheidung zwischen<br />

Frauen und Männern in erster Linie bezüglich ihrer reproduktiven Gesundheit und anatomisch<br />

unterschiedlichen primären und sekundären Geschlechtsorgane vorgenommen. In<br />

der medizinischen Versorgung zeigt sich dies beispielsweise in der Spezialisierung der<br />

Gynäkologie (Frauenheilkunde) und dem sich zunehmend dazu etablierenden Pendant,<br />

der Andrologie (Männerheilkunde) bzw. Urologie für Männer. Darüber hinaus gibt es weitere<br />

physiologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die ihren Gesundheitsstatus<br />

entscheidend prägen können. So reagiert z.B. das Körpergewebe von Frauen und<br />

Männern unterschiedlich auf Suchtstoffe und Kanzerogene. Allerdings kann die unterschiedliche<br />

biologische «Grundausstattung» von Frauen und Männern nur zu einem geringen<br />

Anteil zur Erklärung der deutlichen Unterschiede in Morbidität und Mortalität beitragen.<br />

So wird beispielsweise der Beitrag biologischer Faktoren zur höheren Lebenserwartung<br />

der Frauen lediglich auf etwa ein bis zwei Jahre eingeschätzt (Luy, 2002a, Luy,<br />

Einleitung | 46


2002b). Eine grössere Rolle spielen dagegen geschlechtsspezifische Verhaltensweisen<br />

und Lebensbedingungen, die durch die Betrachtung von gender als Analysekategorie<br />

gesundheitlicher Belange deutlich werden. Auswirkungen des sozialen Geschlechts auf<br />

die Gesundheit zeigen sich beispielsweise, wenn man den Umgang von Männern und<br />

Frauen mit ihrem Körper betrachtet: Es lässt sich feststellen, dass Frauen ein eher «fürsorgliches»<br />

Gesundheitsverhalten an den Tag legen, während Männer eher risikoreich<br />

mit ihrem Körper umgehen (zur geschlechtsspezifischen Körpersozialisation s.u.). Darüber<br />

hinaus führen nicht nur die eigenen Verhaltensweisen zu Auswirkungen auf die<br />

Gesundheit von Männern und Frauen, sondern auch die gesellschaftlichen Bilder der<br />

Geschlechter und die darauf hin zugespitzten Geschlechterstereotypen. Diese Geschlechterstereotypen<br />

können beispielsweise eine ärztliche Diagnose beeinflussen, indem<br />

bei Frauen psychosomatische und bei Männern somatische Aspekte in den Vordergrund<br />

gestellt werden. Zwar ist bekannt, dass Frauen gesundheitliche Beschwerden eher<br />

in einen psychosozialen Kontext betten als Männer, so dass eine entsprechende Diagnosestellung<br />

nicht nur durch die geschlechterstereotype «Brille» von ÄrztInnen, sondern<br />

auch durch entsprechende Darstellungsweisen der Frauen und Männer bedingt ist. Allerdings<br />

konnte im Rahmen einer amerikanischen Studie aufgezeigt werden, dass auch bei<br />

gleicher Darstellung von Symptomen durch Frauen und Männer eine unterschiedliche<br />

ärztliche Behandlung erfolgt und zwar zu Ungunsten von Frauen (Schulman et al.,<br />

1999). 23 Um die Bedeutung des Geschlechts bei der Interpretation von Unterschieden im<br />

Gesundheitszustand verstehen zu können, ist es neben einer Betrachtung von Männern<br />

und Frauen auch notwendig, deren Verhältnis zueinander zu analysieren, da sie ihr jeweiliges<br />

Geschlecht nicht unabhängig voneinander (re)präsentieren. Dies ist vor allem deshalb<br />

von Bedeutung, da das gesellschaftliche Verhältnis zwischen Männern und Frauen<br />

die Ausprägungen des sozialen Geschlechts entscheidend beeinflusst und damit auch<br />

deren gesundheitliche Lage. So kann beispielsweise die empirisch immer noch vorfindbare<br />

Arbeitsteilung in der Familienarbeit (Frauen engagieren sich innerhalb sozialer Netze<br />

im Vergleich zu Männern deutlich mehr in der Versorgung von Kindern und Pflegebedürftigen,<br />

vgl. Kapitel 2) die Lebensumstände und damit auch die gesundheitliche Situation<br />

von Frauen entscheidend prägen. Auf Seiten der Männer kann das ebenso empirisch<br />

vorfindbare höhere Engagement in körperlich besonders belastenden und mit hohen<br />

gesundheitlichen Risiken verbundenen Berufen deren gesundheitliche Situation ebenfalls<br />

stark beeinflussen.<br />

In der postfeministischen Debatte wird mittlerweile die Grenzziehung zwischen sex und<br />

gender kritisch in Frage gestellt, da auch das biologische Geschlecht als gesellschaftlichkulturelles<br />

Konstrukt «entlarvt» wurde (z.B. Butler, 1999). Diese Position bleibt in der<br />

Frauengesundheitsforschung nicht unkritisiert, denn «poststrukturalistische Konzepte,<br />

die die leibliche Existenz und gesundheitsbezogene Belange marginalisieren, müssen<br />

sich die Frage gefallen lassen, wessen Interessen und welche Diskurse sie letztlich stützen.»<br />

(Kuhlmann & Babitsch, 2000, S. 42). Die Unterscheidung von sex und gender kann<br />

innerhalb gesundheitswissenschaftlicher Forschung 24 als hilfreiches Instrument eingesetzt<br />

werden, um Unterschiede zwischen Männern und Frauen hinsichtlich ihrer Ge-<br />

23<br />

In dieser Studie, die Unterschiede in der Behandlung von Herzkrankheiten in den Blick nimmt, wurde<br />

auch eine Benachteiligung von dunkelhäutigen im Vergleich zu hellhäutigen Menschen nachgewiesen.<br />

24<br />

Verstanden als multidisziplinäre Forschung aus den Bereichen Medizin, Pflege, Pharmazie, Versorgungsforschung,<br />

Gesundheitsökonomie usw.<br />

Einleitung | 47


sundheit aufdecken und zum Teil auch erklären zu können (Kuhlmann & Kolip, 2005).<br />

Dabei ist eine kritische Reflexion von sex und gender notwendig, da beide Konstrukte<br />

durch weiter gehende Erkenntnisse regelmässig zu aktualisieren sind. Im Folgenden wird<br />

auf die Ausbildung und Bedeutung bzw. Auswirkungen des sozialen Geschlechts eingegangen,<br />

um gesundheitsbeeinflussende Verhaltensweisen (Sozialisation) und Verhältnisse<br />

(Lebensbedingungen) bei Frauen und Männern zu beleuchten.<br />

Geschlechtsspezifische (Körper-)Sozialisation<br />

Wie bereits aufgezeigt, sind die Geschlechterunterschiede in der Mortalität von Frauen<br />

und Männern in ganz erheblichem Masse auf verhaltensbedingte Unterschiede zurückzuführen:<br />

Männer verhalten sich in vielen Bereichen gesundheitsriskanter als Frauen. Diese<br />

unterschiedlichen Verhaltensweisen beruhen zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auf<br />

geschlechtsspezifischen Ausprägungen der Geschlechterrollen. Frauen und Männer füllen<br />

unterschiedliche Rollen aus, die allerdings auch mit einem geschlechtsspezifischen<br />

Umgang mit dem Körper verbunden sind und langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit<br />

haben.<br />

Die geschlechtsspezifische (Körper-)Sozialisation kann sich darin äussern, dass Frauen<br />

und Männer unterschiedlich sensibel auf körperliche und damit gesundheitsrelevante<br />

Vorgänge reagieren. So gilt es als typisch «männliches» Verhalten, gesundheitliche Risiken<br />

bewusst in Kauf zu nehmen und eigene körperliche sowie psychische Grenzen weit<br />

zu überschreiten bzw. Warnsignale wie Schmerzen zu verleugnen oder lange auszuhalten,<br />

um nicht Hilfe und Unterstützung in Anspruch nehmen zu müssen. So wird die geringere<br />

Überlebenszeit von Männern mit einem Melanom damit erklärt, dass sie die Körpersignale<br />

lange ignorieren und in einem deutlich späteren Stadium einen Arzt oder eine<br />

Ärztin aufsuchen. Dagegen gilt eine sich um gesundheitliche Belange sorgende Haltung<br />

sich selbst sowie anderen gegenüber als typisch «weibliche» Angelegenheit. Das bedeutet,<br />

dass sowohl Männer als auch Frauen ihre geschlechtsspezifische Identität über entsprechende<br />

gesundheitsrelevante Verhaltensweisen ausbilden (Doyal, 2004; Raithel,<br />

2004; Courtenay, 2000; Hollstein, 2000; Kolip, 1997). Damit bergen geschlechtsspezifische<br />

Verhaltensweisen sowohl gesundheitliche Risiken als auch Ressourcen, die es<br />

entsprechend zu minimieren bzw. zu fördern gilt (Altgeld, 2004).<br />

Lebensbedingungen von Frauen und Männern<br />

Neben den geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen sind auch die Lebens- und Arbeitswelten<br />

und damit die Verhältnisse, in denen Männer und Frauen leben, geschlechtsspezifisch<br />

geprägt. So sind – wie in vielen anderen industrialisierten Ländern –<br />

auch in der <strong>Schweiz</strong> Frauen und Männer in unterschiedlichem Masse in Familien- und<br />

Erwerbsarbeit eingebunden. Haus- und Familienarbeit sowie Hilfeleistungen innerhalb<br />

sozialer Netze stellen wichtige, allerdings unbezahlte gesellschaftliche Arbeitsleistungen<br />

dar, die nicht zuletzt deshalb ein nur geringes soziales Prestige geniessen und die in erster<br />

Linie von Frauen erbracht werden. Insgesamt gesehen verwenden Frauen in der<br />

<strong>Schweiz</strong> im Schnitt fast doppelt so viel Zeit wie Männer für Haus- und Familienarbeit,<br />

während Männer in höherem Masse erwerbstätig sind (siehe Kapitel 2). Zur Haus- und<br />

Familienarbeit zählt nicht nur die Versorgung der eigenen Kinder und der Wohnung bzw.<br />

des Hauses, sondern auch die Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger. Frauen übernehmen<br />

in verstärktem Masse die Pflege von (Ehe-)Partnern, während sie selbst – auf-<br />

Einleitung | 48


grund ihrer höheren Lebenserwartung – oftmals auf Spitex oder stationäre Betreuung<br />

angewiesen sind. Daneben übernehmen vor allem Töchter und Schwiegertöchter die<br />

häusliche Versorgung pflegebedürftiger (Schwieger-)Eltern. Die gesellschaftliche Bedeutung<br />

dieser informellen Pflegeleistungen wird nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass<br />

diese unentgeltlich erbracht werden, vernachlässigt, doch es gibt erste Untersuchungen,<br />

die auf deren ökonomischen Wert für die <strong>Schweiz</strong> hinweisen (Camenzind & Meier, 2004,<br />

vgl. Kasten 1.2-1).<br />

Unterschiede hinsichtlich beruflicher Risiken ergeben sich für Frauen und Männer durch<br />

die immer noch stark geschlechtsspezifisch geprägte Berufswahl. Diesbezüglich lassen<br />

sich innerhalb der letzten 20 Jahre nur wenige Veränderungen feststellen. So wählen<br />

junge Frauen in erster Linie personenbezogene Dienstleistungsberufe, während von<br />

jungen Männern industrielle, gewerbliche und technische Berufe favorisiert werden.<br />

Daraus ergibt sich, dass Männer vor allem an Arbeitsplätzen tätig sind, die durch körperliche<br />

Belastungen, Lärm, Schmutz, Hitze und Stress gekennzeichnet sind, während Frauen<br />

z.B. in Dienstleistungsberufen mit sozialem Stress sowie einem geringen Handlungsspielraum<br />

und Autonomie konfrontiert sind. Gemäss der <strong>Schweiz</strong>erischen Arbeitskräfteerhebung<br />

aus dem Jahr 2001 zeigt sich, dass Frauen häufiger unter atypischen Arbeitsbedingungen<br />

erwerbstätig sind als Männer. So betrifft «Arbeit auf Abruf» mit 66% vor<br />

allem Frauen; darunter fallen auch Arbeitsverhältnisse, die kein garantiertes Minimum an<br />

Arbeitsstunden beinhalten, und auch davon sind mit 64% mehr Frauen betroffen als<br />

Männer. Auch Heimarbeit wird mit 78% ganz überwiegend von Frauen geleistet<br />

(www.bfs.admin.ch Pressemitteilung des BFS von 2001).<br />

Während Männer ganz überwiegend einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, sind Frauen<br />

vor allem als Mütter in Teilzeit erwerbstätig. Einerseits bietet Teilzeitarbeit die Möglichkeit,<br />

sich familiär zu engagieren, andererseits muss im Vergleich zur Vollzeitbeschäftigung<br />

eine schlechtere soziale Absicherung in Kauf genommen werden, und es bieten<br />

sich weniger Karrierechancen, was mehr Frauen als Männer betrifft (siehe Kapitel 2).<br />

Hinsichtlich der beruflichen Stellung sind Frauen daher auch seltener in leitenden Positionen<br />

vertreten als Männer. Darüber hinaus werden Frauen auch bei gleicher Bildung<br />

und gleicher beruflicher Stellung um bis zu einem Fünftel niedriger entlohnt als Männer<br />

(siehe Kapitel 2). Die Benachteiligung, die sich für Frauen aus ihrer geringeren beruflichen<br />

Stellung im Vergleich zu Männern ergibt, bezieht sich vor allem auf ökonomische Aspekte<br />

sowie auf das soziale Ansehen. Damit sind Frauen von gesundheitlichen Risiken aufgrund<br />

sozialer Ungleichheit besonders betroffen, während Männer eher von beruflichen<br />

Risiken betroffen sind. Der vom Bundesamt für Statistik im Jahr 2003 herausgegebene<br />

dritte Bericht zur Gleichstellung von Frauen und Männern kommt daher auch zum<br />

Schluss, dass sich die meisten Lebensbereiche für Männer als vorteilhafter erweisen als<br />

für Frauen (BFS, 2003b). So sind Frauen mit schwierigen Lebenssituationen häufiger<br />

konfrontiert als Männer. Dies bezieht sich auf die geschlechtsspezifische Rollenverteilung<br />

im Haushalt, der damit zusammenhängenden Problematik der Vereinbarkeit von<br />

Familie und Beruf (vgl. Kasten 1.3.2), sowie der höheren Betroffenheit von Armut. Unter<br />

einer Häufung schlechter Lebensbedingungen sowie erhöhter Unzufriedenheit leiden vor<br />

allem allein erziehende Frauen sowie Frauen, die eine Erwerbstätigkeit suchen. Aber<br />

auch AusländerInnen beiderlei Geschlechts sowie Männer in Familienhaushalten mit drei<br />

und mehr Kindern zählen zu denjenigen, die unter schlechten Bedingungen leben und<br />

damit ein hohes Mass an gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu befürchten haben.<br />

Einleitung | 49


Sowohl das soziale Geschlecht (gender) als auch die Lebensbedingungen von Frauen<br />

und Männern sowie die Geschlechterverhältnisse stellen gesellschaftliche Konstrukte dar<br />

bzw. sind gesellschaftlich bedingt. Sie sind nicht nur kulturell, sondern auch historisch<br />

beeinflusst, d.h. sie verändern sich bzw. sind veränderbar. Dies wird beispielsweise<br />

sichtbar an der zunehmenden Beteiligung von Frauen in der Erwerbstätigkeit, was als<br />

vormals typisch «männliche» Domäne galt, sowie einer bislang zwar weit weniger deutlichen,<br />

aber doch in der Tendenz erkennbaren zunehmenden Beteiligung von Männern<br />

in der Familienarbeit, einer bislang typisch «weiblichen» Domäne. Auch hinsichtlich konkreter<br />

gesundheitsbezogener Verhaltensweisen wie dem Tabak- und Alkoholkonsum<br />

werden traditionelle soziale Geschlechtergrenzen durchlässiger, und so gelten das Zigarettenrauchen<br />

und Trinken von Alkohol mittlerweile nicht mehr als ausgesprochen «unweibliche»<br />

Eigenschaften, was entsprechende Auswirkungen auf die gesundheitliche<br />

Situation von Frauen hat. Diese Beispiele machen deutlich, dass einmal erworbene<br />

Kenntnisse über Geschlechterunterschiede hinsichtlich Gesundheit und Krankheit nicht<br />

schlussendlich gewonnen werden können, sondern einer ständigen Überprüfung und<br />

Aktualisierung bedürfen.<br />

Kasten 1.3-2<br />

Auswirkungen der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit bei Frauen und Männern auf<br />

die Gesundheit<br />

Die schwedische Arbeitsmedizinerin Marianne Frankenhaeuser hat bereits in den 1980er-Jahren untersucht,<br />

welchen Einfluss die unterschiedlichen Vereinbarkeitschancen auf die Gesundheit von Frauen<br />

und Männern ausüben. Sie hat Frauen und Männer in der gleichen beruflichen Position – im mittleren<br />

Management einer schwedischen Automobilfirma – und gleicher familiären Konstellation untersucht. Ihr<br />

Hauptaugenmerk galt dem beruflichen Stress. Dazu hat sie sich nicht auf Befragungsdaten gestützt,<br />

sondern alle zwei Stunden Blut- bzw. Urinproben genommen, aus denen Stresshormone bestimmt<br />

wurden. Abbildung 1.3-5 zeigt den Noradrenalinpegel im Tagesverlauf. Bis 17 Uhr verlaufen die Kurven<br />

der Männer annähernd parallel zu jenen der Frauen, wobei der Noradrenalinpegel bei Frauen höher ist<br />

als bei den Männern. Ab 17 Uhr entwickeln sich die Kurven gegenläufig: Der Noradrenalinpegel der Frau<br />

steigt an, über das Tageshöchst hinaus, der der Männer sinkt. Während Männer also in eine Entspannungsphase<br />

eintreten, geht bei Frauen nach Feierabend die «zweite Schicht» los.<br />

Abbildung 1.3-5: Entwicklung des Stresshormons Noradrenalin bei berufstätigen Frauen und Männern<br />

im mittleren Management einer schwedischen Automobilfirma (Frankenhaeuser et al., 1989)<br />

Einleitung | 50


Literatur<br />

Altgeld, T. (Hrsg.) (2004). Männergesundheit. Neue Herausforderungen für Gesundheitsförderung und<br />

Prävention. Weinheim: Juventa.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2005a). Medizinische Statistik 2003. Tabellen der Gesundheitsstatistik.<br />

Neuchâtel: Bundesamt für Statistik.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2005b). Todesursachenstatistik. Ursachen der Sterblichkeit 2001 und<br />

2002 Neuchâtel: Bundesamt für Statistik.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2005c). Statistisches Jahrbuch der <strong>Schweiz</strong> 2005. Zürich:<br />

Verlag Neue Züricher Zeitung.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2003a). <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung. Erste Ergebnisse.<br />

Neuchâtel: Bundesamt für Statistik.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2003b). Auf dem Weg zur Gleichstellung? Frauen und Männer in der<br />

<strong>Schweiz</strong>. Neuchâtel: Bundesamt für Statistik.<br />

Bisig, B. & Gutzwiller, F. (Hrsg.) (2002). Frau und Herz. Epidemiologie, Prävention und Behandlung der<br />

koronaren Herzkrankheit bei Frauen in der <strong>Schweiz</strong>. Bern: Hans Huber.<br />

BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2001). Bericht zur gesundheitlichen<br />

Situation von Frauen in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme unter Berücksichtigung<br />

der unterschiedlichen Entwicklung in West- und Ostdeutschland. Stuttgart:<br />

Kohlhammer.<br />

Butler, J. (1999). Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt/M.:<br />

Suhrkamp.<br />

Camenzind, P. & Meier, C. (Hrsg.) (2004). Gesundheitskosten und Geschlecht. Eine genderbezogene<br />

Datenanalyse für die <strong>Schweiz</strong>. Bern: Hans Huber.<br />

Courtenay, W.H. (2000). Constructions of masculinity and their influence on men’s well-being: A theory<br />

of gender and health. Social Science & Medicine, 50, 1385–1401.<br />

Doyal, L. (2004). Sex und <strong>Gender</strong>: Fünf Herausforderungen für Epidemiologinnen und Epidemiologen.<br />

Gesundheitswesen, 66, 153–157.<br />

Doyal, L. (2000). <strong>Gender</strong> equity in health: debates and dilemmas. Social Science and Medicine , 51,<br />

931–939.<br />

Frankenhaeuser, M., Lundberg, U., Fredrikson, M., Melin, M., Tuomisto, M., Myrsten, A.L., Hedman, M.,<br />

Bergman-Lsman, B. & Wallin, L. (1989). Stress on and off the job as related to sex and<br />

occupational status in white-collar workers. Journal of Organizational Behavior, 10,<br />

321–346.<br />

EBG – Eidgenössisches Büro für Gleichstellung (Hrsg.) (1999). Gleichstellung von Frau und Mann.<br />

Aktionsplan der <strong>Schweiz</strong>. Bern.<br />

EBG – Eidgenössisches Büro für Gleichstellung (Hrsg.) (2002). Umsetzung des Aktionsplans der <strong>Schweiz</strong><br />

«Gleichstellung von Frau und Mann» durch die Bundesbehörden. Bericht des Bundesrates<br />

in Beantwortung des Postulats 00.3222 der Kommission 00.016-NR. Bern.<br />

EBG – Eidgenössisches Büro für Gleichstellung (Hrsg.) (2003). Erster und zweiter Bericht der <strong>Schweiz</strong><br />

über die Umsetzung des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung<br />

der Frau (CEDAW). Bern.<br />

Europarat Ministerkomitee (1998). <strong>Gender</strong> Mainstreaming. Konzeptueller Rahmen, Methodologie und<br />

Beschreibung bewährter Praktiken, Schlussbericht über die Tätigkeit der Group of<br />

Specialists on Mainstreaming (EG-S-MS) (Expertengruppe für Mainstreaming).<br />

Höpflinger, F. & Hugentobler, V. (2003). Pflegebedürftigkeit in der <strong>Schweiz</strong>. Prognosen und Szenarien<br />

für das 21. Jahrhundert. Bern: Hans Huber.<br />

Hollstein, W. (2000). Männlichkeit ist eine hochriskante Lebensform. Traditionelle Männlichkeit und ihre<br />

Folgen für Krankheit und Gesundheit. Dr. med. Mabuse. Zeitschrift im Gesundheitswesen,<br />

125, 30–34.<br />

Hurrelmann, K. & Kolip, P. (Hrsg.) (2002). Geschlecht, Gesundheit und Krankheit. Frauen und Männer<br />

im Vergleich. Bern: Hans Huber.<br />

Kolip, P. (2005). The association between gender, family status and mortality. Journal of Public Health,<br />

13, 309–312.<br />

Einleitung | 51


Kolip, P. (2003). Frauen und Männer. In F.W. Schwartz, B. Badura, R. Busse, R. Leidl, H. Raspe,<br />

J. Siegrist & U. Walter (Hrsg.), Das Public Health Buch. Gesundheit und Gesundheitswesen.<br />

2., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage (S. 642–653). München:<br />

Urban & Fischer.<br />

Kolip, P. (1997). Geschlecht und Gesundheit im Jugendalter. Die Konstruktion von Geschlechtlichkeit<br />

über somatische Kulturen. Opladen: Leske+Budrich.<br />

Kuhlmann, E. & Babitsch, B. (2000). Körperdiskurse, Körperkonzepte. Wechselnde Blicke zwischen<br />

feministischen Theorien und Frauengesundheitsforschung. Zeitschrift für Frauenforschung<br />

und Geschlechterstudien, 18 (3), 27–46.<br />

Kuhlmann, E. & Kolip, P. (2005). <strong>Gender</strong> und Public Health. Grundlegende Orientierungen für Forschung,<br />

Praxis und Politik. Weinheim: Juventa.<br />

Lademann, J. & Kolip, P. (2005). Gesundheit von Frauen und Männern im mittleren Lebensalter.<br />

Schwerpunktheft der <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung des Bundes. Berlin: Robert Koch-<br />

Institut, im Druck.<br />

Leppin, A., Pieper, E., Szirmak, Z., Freitag, M. & Hurrelmann, K. (1999). Prävention auf den zweiten und<br />

dritten Blick: Differentielle Effekte eines kompetenzorientierten Suchtpräventionsprogramms.<br />

In P. Kolip (Hrsg.), Programme gegen Sucht. Internationale Ansätze zur<br />

Suchtprävention im Jugendalter (S. 215–234). Weinheim: Juventa.<br />

Luy, M. (2002a). Die geschlechtsspezifischen Sterblichkeitsunterschiede – Zeit für eine Zwischenbilanz.<br />

Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 35, 412–429.<br />

Luy, M. (2002b). Warum Frauen länger leben. Erkenntnisse aus einem Vergleich von Kloster- und<br />

Allgemeinbevölkerung. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung beim Statistischen<br />

Bundesamt, Heft 106, Wiesbaden.<br />

Magistrat der Stadt Wien (o.J.). 1. Wiener Frauengesundheitsbericht. Wien: Magistrat.<br />

Magistrat der Stadt Wien (1999). Wiener Männergesundheitsbericht 1999. Wien: Magistrat.<br />

Obsan – <strong>Schweiz</strong>erisches Gesundheitsobservatorium (2004). Gesundheitsmonitoring nach Indikatoren.<br />

www.obsan.ch<br />

Payne, S. (2001). Smoke like a man, die like a man? A review of the relationship between gernder, sex<br />

and lung cancer. Social Science & Medicine, 53, 1067–1080.<br />

Peter, F. & Thönen, S. (2004). Geschlechterspezifische Gesundheitskosten – eine Literaturübersicht. In<br />

P. Camenzind & C. Meier, C. (Hrsg.), Gesundheitskosten und Geschlecht. Eine genderbezogene<br />

Datenanalyse für die <strong>Schweiz</strong> (S. 32–43). Bern: Hans Huber.<br />

Raithel, J. (2004). Riskante Verhaltensweisen bei Jungen. Zum Erklärungshorizont risikoqualitativ differenter<br />

Verhaltensformen. In T. Altgeld (Hrsg.), Männergesundheit. Neue Herausforderungen<br />

für Gesundheitsförderung und Prävention (S. 137–154). Weinheim: Juventa.<br />

Schneider, H. & Schmid, A. (2004). Die Kosten der Adipositas in der <strong>Schweiz</strong>. Bern: Bundesamt für<br />

Gesundheit.<br />

Schulman, K.A., Berlin, J.A., Harless, W. et al. (1999). The effect of race and sex on physicians’ recommendations<br />

for cardiac catheterization. The New England Journal of Medicine, 8,<br />

618–626.<br />

SGPG – <strong>Schweiz</strong>erische Gesellschaft für Prävention und Gesundheitswesen (Hrsg.) (2002). Gesundheitsziele<br />

für die <strong>Schweiz</strong>. Gesundheit für alle im 21. Jahrhundert (WHO Europa). Bern.<br />

SNF – <strong>Schweiz</strong>erischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Hrsg.) (1996).<br />

<strong>Schweiz</strong>erischer Frauengesundheitsbericht. Daten für Taten. Bern: <strong>Schweiz</strong>erischer<br />

Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.<br />

WHO – World Health Organisation (2004). World Health Report 2002 (www.who.int).<br />

WHO – World Health Organisation (2001). Madrid Statement. Mainstreaming gender equity in health:<br />

the need to move forward. Madrid.<br />

WHO – World Health Organisation, Regionalbüro Europa (Hrsg.) (1994). Vienna Statement on Investing in<br />

Women's Health in the Countries of Central and Eastern Europe.<br />

Einleitung | 52


2. Demografische und sozioökonomische<br />

Determinanten der Gesundheit<br />

Petra Kolip<br />

Der Überblick über die theoretischen Erklärungsansätze hat gezeigt, dass der Gesundheitszustand<br />

der Bevölkerung nur vor dem Hintergrund eines bio-psycho-sozialen Modells<br />

beschreibbar und erklärbar ist: Zahlreiche psychosoziale Faktoren beeinflussen den<br />

Gesundheitszustand, das gesundheitsrelevante Verhalten und die Inanspruchnahme<br />

medizinischer Leistungen. In diesem Kapitel wird ein Überblick über die demografischen<br />

und sozioökonomischen Determinanten der Gesundheit gegeben. Das Kapitel knüpft<br />

dazu an den Frauengesundheitsbericht von 1996 an, der im Zusammenhang mit der Initiative<br />

der WHO «Investing in Women’s Health» entstand, führt die dort zusammengestellten<br />

Indikatoren fort und ergänzt sie um weitere Aspekte. Die dem Text zugrunde<br />

liegenden Tabellen sind im Anhang zum Kapitel zusammengestellt.<br />

2.1. Demografische Situation<br />

Ende 2003 lebten in der <strong>Schweiz</strong> 7,4 Mio. Menschen (vgl. Tabelle 2.1). 25 Der Anteil der<br />

Frauen an der Bevölkerung (51,1%) überwiegt, allerdings ist das Geschlechterverhältnis<br />

in den verschiedenen Altersgruppen durchaus unterschiedlich. Auf 36’902 neugeborene<br />

Jungen kamen im Jahr 2003 34'946 Mädchen; das entspricht einem Verhältnis von<br />

100 : 105,6 (Mädchen zu Jungen). Während in den jungen Bevölkerungsgruppen der<br />

Knabenanteil überwiegt und in den mittleren Lebensjahren annähernd ausgewogen ist,<br />

dreht sich das Geschlechterverhältnis ab dem 60. Lebensjahr dauerhaft um. Ab dem<br />

85. Lebensjahr kommen auf einen Mann mehr als zwei Frauen.<br />

Das bereits im Frauengesundheitsbericht 1996 dokumentierte Bevölkerungswachstum<br />

hat sich somit auch in den vergangenen zehn Jahren fortgesetzt. Es verteilt sich unterschiedlich<br />

auf verschiedene Bevölkerungsgruppen: Während die <strong>Schweiz</strong>er Bevölkerung<br />

um 2,8% gewachsen ist – dieser Anstieg geht vor allem auf Einbürgerungen zurück<br />

(BFS, 2004) – beträgt der Anstieg in der ausländischen Bevölkerung 14,9%. Entsprechend<br />

ist der Anteil der Ausländer und Ausländerinnen an der Bevölkerung von 1993 auf<br />

2003 um 1,9 Prozentpunkte auf 20,4% gestiegen. Der Frauenanteil an der Gesamtbevölkerung<br />

ist mit 51,1% gegenüber 1993 unverändert. Er ist in der <strong>Schweiz</strong>er Bevölkerung<br />

leicht gesunken (von 52,5% auf 52,1%) und in der ausländischen Bevölkerung leicht<br />

angestiegen (von 45,0% auf 47,2%; vgl. Tabelle 2.2).<br />

Ähnlich wie in anderen industrialisierten Ländern (United Nations, 2004) ist auch in der<br />

<strong>Schweiz</strong> die Geburtenrate gesunken, sie betrug im Jahr 2003 9,8 auf 1000 EinwohnerInnen.<br />

Die Todesfälle sind ebenfalls gesunken (auf 8,6 pro 1000 Einwohner und Einwohnerinnen),<br />

so dass das natürliche Bevölkerungswachstum (Geburtenraten je 1000 minus<br />

Todesfälle je 1000) nach wie vor mit 1,2/1000 positiv ausfällt (vgl. Tabellen 2.4 und 2.5;<br />

siehe hierzu auch Kapitel 3.2).<br />

25<br />

Sofern nicht anders vermerkt, entstammen die Daten dieses Kapitels dem Statistischen Jahrbuch für<br />

die <strong>Schweiz</strong> 2005 (BFS, 2005).<br />

Demografische und sozioökonomische Determinanten der Gesundheit | 53


Die Fertilitätsrate, also die durchschnittliche Geburtenzahl je Frau, ist auf 1,39 leicht gesunken<br />

(vgl. Tabelle 2.6). Der Anteil der Kinder, die vor dem 25. Lebensjahr der Mutter<br />

zur Welt kamen, lag 2003 bei 11,7%. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert,<br />

dass das mittlere Alter der Mutter bei der Geburt des ersten Kindes im Jahr 2003 bei<br />

29,1 Jahren lag und damit weiter angestiegen ist. Dies verweist darauf, dass die Familiengründung<br />

zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt, da Frauen inzwischen zunächst einmal<br />

eine eigene Ausbildung abschliessen und sich im Beruf etablieren wollen, ehe sie in die<br />

Familienphase eintreten. Hierfür spricht auch, dass das Durchschnittsalter bei der ersten<br />

Eheschliessung ebenfalls angestiegen ist und für Frauen bei 28,4, für Männer bei 30,6<br />

Jahren liegt (vgl. Tabelle 2.7). Die Zahl der Eheschliessungen ist weiter gesunken und lag<br />

2003 bei 5,4/1000 (1993: 6,2/1000). Die Scheidungsrate ist mit 2,3/1000 leicht gestiegen<br />

(vgl. Tabelle 2.8).<br />

Die Lebensformen sind vielfältig geworden, der Trend zu kleinen Haushalten insbesondere<br />

in städtischen Gebieten hat sich in den vergangenen Jahren weiter fortgesetzt. Mit<br />

der sinkenden Heiratsquote haben Einelternhaushalte und nicht eheliche Lebensgemeinschaften<br />

an Bedeutung gewonnen. Trotz des Rückgangs an Eheschliessungen ist das<br />

Zusammenleben mit einem Partner bzw. einer Partnerin und mindestens einem Kind die<br />

Hauptlebensform (vgl. Tabelle 2.9): 48,5% der Männer und 52,3% der Frauen leben in<br />

dieser Haushaltszusammensetzung. Der Anteil der Personen, die ohne PartnerIn und<br />

ohne Kind leben, nimmt zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr ab. Der grösste Geschlechterunterschied<br />

ist in der Gruppe der Personen zu finden, die ohne Partner oder<br />

Partnerin, aber mit mindestens einem Kind zusammenleben: Während in der Gruppe der<br />

Frauen dies auf 5,5% aller Haushalte zutrifft (und hier insbesondere ehemals verheiratete<br />

Frauen umfasst), sind es in der Gruppe der Männer lediglich 0,6%, die in dieser Konstellation<br />

leben. Anders formuliert: Einelternfamilien werden neun Mal häufiger von Frauen<br />

geführt. Dieses Ergebnis verweist darauf, dass nach einer Ehescheidung das Sorgerecht<br />

trotz einer Änderung des Scheidungsrechts im Jahr 2000, das die Beantragung des gemeinsamen<br />

Sorgerechts möglich macht, noch immer vor allem von den Frauen wahrgenommen<br />

wird. Laut Familienbericht 2004 des Eidg. Departements des Innern erhalten zu<br />

66% die Mütter und zu 7% die Väter das Sorgerecht, in 25% der Scheidungsfälle wird<br />

das Sorgerecht gemeinsam ausgeübt (EDI, 2004).<br />

Die Lebensform ist eng verknüpft mit den materiellen Ressourcen. Nimmt man das Median-Äquivalenzeinkommen<br />

als Indikator und definiert Einkommensschwäche bei 70%<br />

(d.h., die Person lebt in einem Haushalt, der über weniger als 70% des Median-<br />

Äquivalenzeinkommens verfügt), so zeigt sich folgendes Bild (BFS, 2003): Im Durchschnitt<br />

sind 23,8% der in der <strong>Schweiz</strong> lebenden Personen als einkommensschwach zu<br />

klassifizieren. Allein lebende Frauen im Rentenalter, Personen mit drei oder mehr Kindern<br />

und Alleinerziehende sind überproportional häufig, allein lebende Frauen und Männer im<br />

erwerbsfähigen Alter sowie PartnerInnen in 2-Personen-Haushalten sind unterproportional<br />

häufig von Einkommensschwäche betroffen. Frauen tragen in Paarhaushalten weniger<br />

zum Familieneinkommen bei. Dieser Zusammenhang gilt umso stärker, je mehr Kinder<br />

zu versorgen sind. Anders formuliert: Je mehr Kinder, desto abhängiger sind Frauen<br />

vom Einkommen des Partners. Hingegen ist ihr Anteil an der Haus- und Familienarbeit<br />

grösser (zum Themenkomplex Armut und Gesundheit aus Geschlechterperspektive siehe<br />

Kapitel 3.1.5).<br />

Demografische und sozioökonomische Determinanten der Gesundheit | 54


Lohnenswert ist auch ein Blick auf die 1-Personen-Haushalte: Rund 15% leben allein. Der<br />

Anteil der Frauen ist hier mit 56% grösser als der Anteil der Männer (BFS, 2004). Während<br />

bei den Frauen die über 64-Jährigen die grösste Gruppe ausmachen – hier handelt<br />

es sich vor allem um Frauen, die ihre Ehemänner überleben – sind es bei den Männern<br />

überwiegend unter 40-Jährige. Bei den über 75-Jährigen leben 65% der Frauen alleine,<br />

bei den Männern dieser Altersgruppe sind es nur 27%. Dieses Geschlechterverhältnis<br />

hat wesentliche Auswirkungen auf Pflegesituationen in höheren Lebensaltern: Während<br />

ein Grossteil der Männer im Falle von Pflegebedürftigkeit von ihren Frauen unterstützt<br />

werden können, gilt dies für ältere Frauen nicht in gleichem Masse.<br />

2.2. Bildung<br />

Frauen verfügen seltener als Männer über eine nachobligatorische Bildung, ihr Anteil an<br />

den höheren Abschlüssen ist geringer, obwohl sie in der obligatorischen Schule mehr<br />

Erfolg haben (BFS, 2003). Allerdings verringern sich in den jüngeren Altersgruppen die<br />

Unterschiede. Von der Bildungsexpansion der vergangenen Jahrzehnte haben vor allem<br />

die Frauen profitiert, wie folgende Zahlen belegen (vgl. Tabelle 2.10): Haben in der Altersgruppe<br />

der über 65-Jährigen 53,2% der Frauen nur eine obligatorische Schulausbildung<br />

(25,1% der Männer), so sind es bei den 25- bis 34-Jährigen nur noch 15,9% der<br />

Frauen und 11,1% der Männer. Das veränderte Bildungsniveau trägt massgeblich zu<br />

anderen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen wie der stärkeren Erwerbsbeteiligung<br />

von Frauen und veränderten Familienstrukturen bei (BFS, 2003).<br />

Frauen haben einen Anteil von 56% an den Maturitätsabschlüssen (vgl. Tabelle 2.11).<br />

Der Frauenanteil bei den Studierenden beträgt 48,1% (universitäre Hochschulen) bzw.<br />

38,9% (Fachhochschulen). An den Universitätsabschlüssen haben Frauen einen Anteil<br />

von 46,6% (universitäre Hochschulen) bzw. 32,4% (Fachhochschulen). Diesen hohen<br />

Raten steht ein deutlich niedrigerer Anteil an Universitätspositionen gegenüber: Je höher<br />

die akademische Stufe, desto geringer der Frauenanteil: Der Frauenanteil an den Doktoraten<br />

beträgt 36,7%, ihr Anteil an AssistentInnen und wissenschaftlichen MitarbeiterInnen<br />

beträgt 34,9%. Nur 10,2% der Professuren sind mit Frauen besetzt.<br />

Für die gesundheitliche Versorgung relevant ist der Anteil der Medizinerinnen an allen<br />

ärztlich Tätigen. Dieser ist kontinuierlich gestiegen und betrug im Jahr 2002 30,7%<br />

(vgl. Tabelle 2.12). Für die Pflegeberufe gilt dies nicht: Die Zahl der Pflegefachmänner<br />

(Niveau I und II) stieg im Zeitraum von 1995 bis 2002 von 250 auf 339, die der Pflegefachfrauen<br />

von 1848 auf 2804; der Männeranteil verringerte sich damit von 12% auf<br />

11%. Der Anteil der männlichen Pflegeassistenten ist von 13% auf 8% zurückgegangen.<br />

2.3. Erwerbsbeteiligung<br />

Der Anteil der Frauen an der Erwerbsbevölkerung ist weiter gestiegen und lag im Jahr<br />

2004 bei 45,3% (vgl. Tabelle 2.13). Die Erwerbsquote der Frauen ist im Zeitraum von<br />

1960 auf 2000 von 33% auf 50% gestiegen, die der Männer ist mit 66% auf 63% fast<br />

stabil geblieben (BFS, 2004). Eine Ursache für diese Entwicklung ist in der Strukturveränderung<br />

des Arbeitsmarktes in der <strong>Schweiz</strong> zu sehen: Mit dem Ausbau des Dienstleistungssektors<br />

hat die Erwerbsbeteiligung von Frauen zugenommen. Der Arbeitsmarkt ist<br />

Demografische und sozioökonomische Determinanten der Gesundheit | 55


nach wie vor geschlechtsspezifisch segregriert: Frauen arbeiten überwiegend in technischen,<br />

pflegerischen oder kaufmännischen, Männer überwiegend in handwerklichen<br />

Berufen (BFS, 2003). Die berufliche Stellung der Frauen ist schlechter: Nur jede vierte<br />

angestellte Frau, aber jeder zweite angestellte Mann hat eine Führungsfunktion (BFS,<br />

2003). Auch ist der Anteil der Frauen, welche ins höhere Kader aufsteigen, viermal kleiner<br />

als bei den Männern (Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und<br />

Mann und Bundesamt für Statistik, 2000).<br />

Ein Blick auf die Erwerbsquoten in unterschiedlichen Altersgruppen zeigt, dass diese bei<br />

Frauen und Männern zwischen 25 und 54 Jahren am höchsten liegen und anders als in<br />

der jüngsten Altersgruppe (15 bis 24 Jahre) bei Frauen und Männern um etwa 15 Prozentpunkte<br />

divergieren (vgl. Tabelle 2.14). Hinter diesen Zahlen stehen aber unterschiedliche<br />

Zeitkontingente: Während 89,2% der Männer Vollzeit beschäftigt sind (Umfang<br />

mindestens 90%), sind es bei den Frauen lediglich 43,5%. 6,4% der Männer, aber<br />

29,2% der Frauen arbeiten zwischen 50 und 89%, 4,5% der Männer und 27,3% der<br />

Frauen arbeiten weniger als 50% (BFS, 2005). Während über 60% der Frauen familiäre<br />

Gründe für die Teilzeitbeschäftigung angeben, sind es bei den Männern 17%, die diesen<br />

Grund benennen (Schmid & Schön-Bühlmann, 2003).<br />

Seit einigen Jahrzehnten lässt sich eine zunehmende Erwerbsbeteiligung von Müttern<br />

beobachten, obwohl eine Erwerbsausfallversicherung für Mütter erst seit Juli 2005 in<br />

Kraft ist (siehe hierzu Kapitel 3.2.6). Während die Erwerbsbeteiligung bei den kinderlosen<br />

Frauen zwischen 25 und 45 Jahren von 1990 bis 2000 fast konstant blieb (von 88,1% auf<br />

90,8%), stieg sie bei den Frauen gleichen Alters mit mindestens einem Kind zwischen 0<br />

und 6 Jahren von 39,6% auf 62,2% (BFS, 2004). Mütter steigen im Vergleich zu früheren<br />

Jahrzehnten gar nicht erst aus dem Arbeitsprozess aus oder deutlich früher wieder ins<br />

Erwerbsleben ein, allerdings reduzieren sie meist ihr Pensum und gehen dann vor allem<br />

einer Teilzeitbeschäftigung nach: Der Anteil der Frauen mit einem kleinen Teilzeitpensum<br />

ist bei Müttern mit Kind(ern) unter 15 Jahren mehr als doppelt so hoch wie bei Frauen<br />

ohne Kind(er) unter 15 Jahre (BFS, 2003). Je älter das Kind, desto höher ist die Erwerbsquote:<br />

Bei Müttern, deren jüngstes Kind zwischen 7 und 14 Jahren alt ist, lag die Erwerbsquote<br />

bei 75,7%, bei Müttern mit einem jüngsten Kind zwischen 15 und 20 Jahren<br />

bei 83,3%. In diesen Trends spiegelt sich eine veränderte Einstellung zur Vereinbarkeit<br />

von Erwerbsarbeit und Kindererziehung wider, die das traditionelle Bild einer Mutter, die<br />

ausschliesslich für die Kinder da ist, aufweicht. Die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und<br />

Familie stellt sich also vor allem für Frauen. Dies verdeutlicht auch ein Blick auf die Erwerbsmodelle<br />

in Paarhaushalten mit und ohne Kind(er) unter 15 Jahren (vgl. Abbildung<br />

2.1): Während männliche Partner mit Kind(ern) unter 15 Jahren weiterhin einer Vollbeschäftigung<br />

nachgehen, reduzieren Frauen mit Kindern unter 15 Jahren im Vergleich zu<br />

Frauen in Paarhaushalten ohne Kinder ihr Arbeitspensum. Nur in 1,6% der Familienhaushalte<br />

gehen beide Partner einer Teilzeitbeschäftigung nach. Anders formuliert: Während<br />

Frauen das Ausmass ihrer Erwerbsarbeit an die Familienkonstellation anpassen, gilt dies<br />

für Männer umgekehrt nicht. Dies spiegelt gesellschaftliche Vorstellungen der Arbeitsteilung<br />

zwischen Frauen und Männern wider. Die Auswirkungen auf die Gesundheit von<br />

Frauen und Männern, die mit dieser Aufgabenverteilung einhergehen (z.B. Überlastung<br />

der Männer aufgrund von Hauptverantwortung als «Ernährer»; Vereinbarkeitsproblematik<br />

bei Frauen) sind bislang wenig untersucht; der Forschungsbedarf ist dabei für die männliche<br />

Bevölkerung grösser als für die weibliche.<br />

Demografische und sozioökonomische Determinanten der Gesundheit | 56


Aus gesundheitswissenschaftlicher und gesundheitspolitischer Perspektive ist nicht nur<br />

die Haushaltsstruktur, sondern auch die Arbeitsverteilung im Haushalt von Bedeutung,<br />

denn zeitliche Belastungen in verschiedenen Lebensbereichen können ebenso zu Überforderung<br />

und damit zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führen wie ungleiche Vereinbarkeitschancen.<br />

Die Arbeitsverteilung im Haushalt weist nach wie vor geschlechtsspezifische<br />

Muster auf: Während Frauen mit durchschnittlich 31 Stunden pro Woche den<br />

grössten Teil der Haus- und Familienarbeit übernehmen, engagieren sich die Männer mit<br />

nur durchschnittlich 17 Stunden im Haushalt und bei der Kindererziehung – nicht zuletzt<br />

aufgrund ihrer höheren Einbindung in die Erwerbsarbeit. Leben Kinder mit im Haushalt,<br />

erhöht sich der Aufwand bei beiden Geschlechtern, bei Frauen aber deutlicher als bei<br />

Männern. Die Verantwortung für die Haus- und Familienarbeit liegt trotz einer verstärkten<br />

Einbindung von Frauen in den Arbeitsmarkt noch immer fast ausschliesslich bei Frauen<br />

(siehe hierzu auch Kapitel 3.2). In 80% der Paarhaushalte sind Frauen für die Haus- und<br />

Familienarbeit verantwortlich; leben Kinder mit im Haushalt, trifft dies sogar auf 90% der<br />

Haushalte zu. Je jünger die Kinder, desto grösser ist das Ausmass der mütterlichen<br />

Haus- und Familienarbeit. Dieser Zusammenhang gilt zwar auch für Väter, aber auf deutlich<br />

tieferem Niveau und nur, solange das jüngste Kind unter sieben Jahren ist (Schmid &<br />

Schön-Bühlmann, 2003).<br />

Abbildung 2.1: Erwerbsmodelle in Paarhaushalten mit und ohne Kind(er) unter 15 Jahren (BFS, 2003)<br />

Die traditionelle Arbeitsteilung innerhalb der Paarbeziehung, die Frauen auf den häuslichen,<br />

Männer auf den ausserhäuslichen Bereich verweist, hat sich also etwas aufgeweicht.<br />

Aber während Frauen nun die Möglichkeit haben, eine weitere Rolle – zumindest<br />

in Form einer Teilzeitbeschäftigung – auszufüllen, bleibt das männliche Rollenmodell<br />

nahezu unverändert (Buchmann, 2002). Hinter den genannten Zahlen spiegelt sich ein<br />

Familienmodell wider, das Männer noch immer auf die Rolle des Familienernährers verpflichtet<br />

– wenn auch nicht als Alleinernährer, sondern in Kombination mit der Teilzeitbeschäftigung<br />

der Partnerin. Zunehmend wird dieses Modell auch in seinen Auswirkungen<br />

auf die Gesundheit der Männer thematisiert. Es mehren sich die Stimmen, die darauf<br />

hinweisen, dass die Zahl der Männer wächst, die mit der Geburt eines Kindes gerne ihr<br />

Arbeitspensum reduzieren würden. Auswertungen des Haushaltspanels zeigen auch,<br />

dass unter den wenigen Teilzeit beschäftigten Männern überwiegend jene zwischen 25<br />

Demografische und sozioökonomische Determinanten der Gesundheit | 57


und 54 Jahren mit mindestens einem Kind unter 15 Jahren zu finden sind. Es kann somit<br />

vermutet werden, dass es sich hier um eine – vielleicht wachsende – Gruppe handelt, die<br />

durch Teilzeitarbeit versucht, Familie und Beruf miteinander zu verbinden (Schmid &<br />

Schön-Bühlmann, 2003). Wie bei Frauen auch ist dieser Schritt aber in der Regel mit<br />

Karriereeinbussen verbunden. Das Thema ist aber inzwischen auf die Agenda gerückt,<br />

und es haben sich erste Beratungsstellen etabliert, die Frauen und Männer in Fragen der<br />

Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienarbeit beraten.<br />

Der Anspruch, dass Frauen und Männer für die gleiche Arbeit auch gleich entlohnt werden,<br />

ist indes noch nicht erreicht (vgl. Tabelle 2.15). Frauen erhalten je nach Anforderungsniveau<br />

etwa 80 bis 86% des Lohnes eines männlichen Beschäftigten. Erklären lässt<br />

sich diese Lohnungleichheit zum Teil durch das geringere Ausbildungsniveau von Frauen,<br />

ihre überproportionale Verteilung in Branchen mit tiefen Lohnniveaus und durch die geringere<br />

Zahl an Dienstjahren (z.B. durch familienbedingte Unterbrüche). Sie muss aber<br />

vor allem gewertet werden als direkte Lohndiskriminierung (Eidgenössisches Büro für die<br />

Gleichstellung von Frau und Mann und Bundesamt für Statistik, 2000). So wirkt sich die<br />

Eheschliessung bei Männern lohnsteigernd aus, während eine Heirat bei Frauen mit<br />

Lohneinbussen verbunden ist. Auch schlagen sich zusätzliche Ausbildungsjahre bei<br />

Männern deutlicher in erhöhtem Lohn nieder als bei Frauen. Das Eidgenössische Büro<br />

für die Gleichstellung von Frau und Mann und das Bundesamt für Statistik (2003) schätzen,<br />

dass in der <strong>Schweiz</strong> rund 60% der Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern auf<br />

diskriminierendes Verhalten und etwa 40% auf persönliche Merkmale (Ausbildung, Erfahrung,<br />

Dienstalter) zurückzuführen ist.<br />

Die Erwerbslosenquote 26 ist in der <strong>Schweiz</strong> im europäischen Vergleich mit 4,1% noch<br />

immer niedrig, lediglich Luxemburg und die Niederlande weisen niedrigere Erwerbslosenquoten<br />

auf. Die Frauenerwerbslosigkeit ist gleich hoch wie die der Männer (vgl.<br />

Tab. 2.16). Zu berücksichtigen ist aber, dass sich Frauen und Männer im Falle der Erwerbslosigkeit<br />

im Meldeverhalten unterscheiden: Während 46% der Männer nicht beim<br />

Arbeitsamt gemeldet sind, gilt dies für 67% der Frauen. Es ist zu vermuten, dass es sich<br />

hierbei überwiegend um Frauen handelt, die nach einer Familienphase wieder in den<br />

Beruf einsteigen wollen (BFS, 2003). Zu den Auswirkungen der Arbeitslosigkeit vor dem<br />

Hintergrund geschlechtsspezifischer Rollenerwartungen besteht noch erheblicher Forschungsbedarf.<br />

26 Die amtliche Statistik differenziert zwischen Arbeitslosigkeit und Erwerbslosigkeit. Dem Begriff<br />

«arbeitslos» liegt die Statistik des seco (Staatssekretariat für Wirtschaft) zugrunde. Er bezieht sich<br />

auf Arbeit suchende, die bei einem Arbeitsamt registriert, ohne Arbeit und innerhalb von 30 Tagen<br />

vermittlungsfähig sind. Dem Begriff «erwerbslos» liegt die Definition des Bundesamts für Statistik<br />

zugrunde. Er bezieht sich auf Personen, die in der Referenzwoche nicht erwerbstätig waren, in den<br />

vier vorangegangenen Wochen aktiv eine Arbeit gesucht haben und innerhalb der folgenden vier<br />

Wochen mit einer Arbeit beginnen könnten. Die Definition umfasst also auch ausgesteuerte<br />

Personen und entspricht damit internationalen Normen.<br />

Demografische und sozioökonomische Determinanten der Gesundheit | 58


2.4. Politische Teilhabe<br />

Zwar wächst der Frauenanteil in der Politik beständig, aber den 53% wahlberechtigten<br />

Frauen stehen noch immer nur etwa 25% Frauen in den Parlamenten und Regierungen<br />

gegenüber (vgl. Tabelle 2.17). Frauen sind hier – ähnlich wie in den meisten europäischen<br />

Ländern – nach wie vor unterrepräsentiert. Nur eine von sieben BundesrätInnen ist<br />

weiblichen Geschlechts, die zweite Frau der vorhergehenden Wahlperiode wurde 2003<br />

nicht wiedergewählt. Der Frauenanteil nach den Nationalratswahlen 2003 beträgt 26,0%<br />

(53 von 200 Sitzen), im Ständerat beträgt der Frauenanteil 23,9% (11 von 46 Sitzen, gegenüber<br />

1999 zwei Frauen mehr). Der durchschnittliche Anteil von Frauen in den kantonalen<br />

Parlamenten beträgt 24,2% und schwankt je nach Partei zwischen 11,4% bei der<br />

SVP und 45,5% bei den Grünen. Auch auf der Ebene der kantonalen Regierungen liegt<br />

der Frauenanteil mit durchschnittlich 22,8% nicht höher. Von einer gleichberechtigten<br />

politischen Teilhabe von Frauen und Männern kann also (noch) keine Rede sein.<br />

Literatur<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2003). Auf dem Weg zur Gleichstellung? Frauen und Männer in der<br />

<strong>Schweiz</strong>. Dritter statistischer Bericht. Neuchâtel: Bundesamt für Statistik.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2005). Statistisches Jahrbuch der <strong>Schweiz</strong> 2005. Zürich:<br />

Verlag Neue Züricher Zeitung.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2004). Statistisches Jahrbuch der <strong>Schweiz</strong> 2004. Zürich:<br />

Verlag Neue Zürcher Zeitung.<br />

Buchmann, M. et al. (2002). Halb drinnen – halb draussen. Analysen zur Arbeitsmarktintegration von<br />

Frauen in der <strong>Schweiz</strong>.<br />

Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann und Bundesamt für Statistik (2000).<br />

Auf dem Weg zur Lohngleichheit? Vergleich der Frauen- und Männerlöhne anhand der<br />

Lohnstrukturerhebungen (LSE) von 1994 und 1996. Kurzfassung. Bern und Neuchâtel.<br />

EDI – Eidgenössisches Departement des Innern (Hrsg.) (2004). Familienbericht 2004: Strukturelle<br />

Anforderungen an eine bedürfnisgerechte Familienpolitik. Bern: EDI.<br />

Schmid, B. & Schön-Bühlmann, J. (2003). Rollenteilung im Haushalt. In Bundesamt für Statistik (Hrsg.),<br />

Auf dem Weg zur Gleichstellung? Frauen und Männer in der <strong>Schweiz</strong> (S. 131–149).<br />

Neuchâtel: Bundesamt für Statistik.<br />

United Nations (2004). World Fertility Report 2003. UN Department of Economic and Social Affaires.<br />

Population Division. Verfügbar unter www.un.org./esa<br />

Demografische und sozioökonomische Determinanten der Gesundheit | 59


3. Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele<br />

für die <strong>Schweiz</strong><br />

Mit den Gesundheitszielen für die <strong>Schweiz</strong>, die sich an der Agenda 21 der WHO (Regionalbüro<br />

Europa) orientieren, wurde erstmals der Versuch unternommen, Gesundheitsziele<br />

auf unterschiedlichen Ebenen zu definieren und den Zielerreichungsgrad zu operationalisieren.<br />

In einige Ziele wurde bereits die Geschlechterdimension mit aufgenommen, bei<br />

anderen allenfalls implizit berücksichtigt (SGPG, 2002). Mit dem folgenden Kapitel sollen<br />

für die Gesundheitsziele 2 bis 12 geschlechterdifferenzierte Daten zur Verfügung gestellt<br />

werden, um auf dieser Grundlage einen geschlechtsspezifischen Interventionsbedarf<br />

ableiten zu können. 27<br />

3.1. Gesundheitliche Chancengleichheit<br />

Ziel 2: Gesundheitliche Chancengleichheit<br />

Bis zum Jahr 2020 sollte das Gesundheitsgefälle zwischen sozioökonomischen Gruppen<br />

innerhalb der Länder durch eine wesentliche Verbesserung der Gesundheit von benachteiligten<br />

Gruppen in allen Mitgliedsstaaten um mindestens ein Viertel verringert werden.<br />

Das Ziel «Gesundheitliche Chancengleichheit» fokussiert die Verringerung gesundheitlicher<br />

Ungleichheit zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Gesundheitliche Ungleichheit<br />

wird in erster Linie durch sozioökonomische Faktoren (v.a. Armut), Geschlecht<br />

und Alter bestimmt. Hinzu kommen regionale Unterschiede sowie Migration, die beide<br />

wiederum zumindest teilweise durch bestimmte sozioökonomische Bedingungen geprägt<br />

sind. In den folgenden Abschnitten sollen daher die in Kapitel 1.4 skizzierten Geschlechterunterschiede<br />

weiter differenziert werden, um damit deutlich zu machen, das<br />

die Geschlechterkategorie mit anderen Variablen sozialer Differenzierung interagiert und<br />

häufig sogar von diesen überlagert wird. Im Zentrum stehen dabei die folgenden Determinanten:<br />

1. Alter<br />

2. Haushaltseinkommen und Bildungsniveau<br />

3. Landesteile/Sprachregionen sowie Herkunft (<strong>Schweiz</strong>, Ausland)<br />

Für diese Differenzierung wird exemplarisch auf einzelne Mortalitäts- und Morbiditätsdaten<br />

zurückgegriffen. Ergänzt wird dieser Überblick durch zwei Exkurse, die auf den Zusammenhang<br />

zwischen Migration und Gesundheit einerseits und Armut und Gesundheit<br />

andererseits jeweils aus <strong>Gender</strong>-Perspektive fokussieren.<br />

Die Daten zur Morbidität in den Abschnitten 3.1.1 bis 3.1.3 liefern die Auswertungen der<br />

Indikatoren «subjektiver Gesundheitszustand», «körperliche Beschwerden» und «psychische<br />

Ausgeglichenheit» der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung 2002. Hierbei gilt<br />

es, zu berücksichtigen, dass es sich um Daten handelt, die auf einer Selbsteinschätzung<br />

beruhen und damit subjektive Befindlichkeiten abbilden. Aufgrund der geschlechtsspezi-<br />

27<br />

Die übrigen Gesundheitsziele 1 und 13 bis 21 eignen sich nicht zur Bearbeitung im Rahmen einer<br />

<strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 60


fischen Körpersozialisation nehmen Frauen und Männer ihre eigene körperliche sowie<br />

psychische Befindlichkeit jeweils verschieden wahr (siehe Kapitel 1.4.3) und unterscheiden<br />

sich daher auch darin, ob und wie sie darüber berichten. Daher können die aus der<br />

Gesundheitsbefragung vorgefundenen Geschlechterunterschiede nicht nur Ausdruck der<br />

tatsächlichen Befindlichkeit von Frauen und Männern darstellen, sondern auch ein Abbild<br />

ihrer geschlechtsspezifischen Bereitschaft sein, über das eigene körperliche und psychische<br />

Befinden Auskunft zu geben.<br />

3.1.1. Alter<br />

Julia Lademann<br />

Wie bereits überblicksartig dargestellt, gibt es deutliche Geschlechterunterschiede hinsichtlich<br />

Lebenserwartung und Mortalität (siehe Kapitel 1.4.1). Die Sterbeziffer liegt für<br />

alle Altersgruppen bei den Männern um das 1,7-fache höher als bei Frauen. Der Geschlechterunterschied<br />

besteht bereits in der Kindheit, zeigt sich im mittleren Lebensalter<br />

am prägnantesten und sinkt dann mit zunehmendem Alter ab (vgl. Tabelle 3.1-1). Die<br />

Geschlechterunterschiede in der Sterblichkeit betreffen in erster Linie das jüngere und<br />

mittlere Lebensalter, was vor allem auf die höhere Mortalität der Männer infolge von<br />

Unfällen und Suiziden zurückzuführen ist (siehe Kapitel 3.7).<br />

Tabelle 3.1-1: Sterbeziffern nach Alter und Geschlecht (Anzahl der Sterbefälle pro 100’000 Personen der<br />

ständigen <strong>Schweiz</strong>er Wohnbevölkerung 2001; BFS, 2005) und Sex Ratio 28<br />

Altersgruppe Männer Frauen Sex Ratio<br />

1–14 Jahre 18,6 13,9 1.3<br />

15–44 Jahre 105,2 51,1 2.1<br />

45–64 Jahre 565,8 312,1 1.8<br />

65–84 Jahre 3'735,0 2'217,0 1.7<br />

85+ Jahre 17'558,0 14'453,0 1.2<br />

Alle Altersgruppen<br />

716,0<br />

434,0<br />

Zwar leben Frauen länger als Männer, sie schätzen aber ihren Gesundheitszustand als<br />

signifikant schlechter ein (siehe Kapitel 1.4.1). Auch wenn die eigene Gesundheit mit<br />

zunehmendem Alter weniger gut eingeschätzt wird, bleibt der Geschlechterunterschied<br />

in allen Altersgruppen bestehen. Besonders deutlich zeigt sich der Unterschied zwischen<br />

Frauen und Männern bei denjenigen, die ihre Gesundheit als «schlecht» und «sehr<br />

schlecht» einschätzen, bei den 35–49-Jährigen sowie bei den über 65-Jährigen, während<br />

sich bei den 15–34- und den 50–64-Jährigen keine Geschlechterunterschiede ausmachen<br />

lassen (vgl. Abbildung 3.1-1).<br />

28<br />

Sex Ratio = Geschlechterquotient; Verhältnis der Sterblichkeit je 100’000 Männer zur Sterblichkeit<br />

je 100’000 Frauen.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 61<br />

1.7


Abbildung 3.1-1: Subjektiver Gesundheitszustand «schlecht» und «sehr schlecht» nach Alter<br />

und Geschlecht (<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<br />

<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Warum sich Frauen in der Altersgruppe der 35–49-Jährigen im Vergleich zu Männern<br />

vermehrt gesundheitlich «schlecht» und «sehr schlecht» fühlen, lässt sich nicht nur mit<br />

den Angaben zu körperlichen Beschwerden erklären, da die Geschlechterunterschiede<br />

diesbezüglich in allen Altersklassen prägnant sind. Der Anteil derjenigen, die angeben,<br />

starke Beschwerden zu haben, steigt bei den 15–34-jährigen Männern von 12,6% bis auf<br />

18,5% bei den über 65-Jährigen; bei Frauen in diesen Altersgruppen steigt der Anteil von<br />

27,0% auf 34,9% (vgl. Abbildung 3.1-2).<br />

Abbildung 3.1-2: Starke körperliche Beschwerden nach Alter und Geschlecht (<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung<br />

2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Etwas anders stellt sich das Bild für die Anteile bei Frauen und Männern in den<br />

verschiedenen Altersgruppen dar, die über keine bzw. kaum Beschwerden berichten.<br />

Hier kann bei den Männern eine mehr oder weniger kontinuierliche Abnahme von 52,3%<br />

(15–34 Jahre) auf 50,0% (35–49 Jahre) und 51,4% (50–64 Jahre) bis 48,2% (über 65<br />

Jahre) beobachtet werden. Dagegen steigt bei den Frauen der Anteil derjenigen, die über<br />

keine bzw. kaum Beschwerden berichten, mit zunehmenden Alter zunächst an, und<br />

zwar: von 30,5% bei den 15–34-Jährigen über 33,8% (35–49 Jahre) auf 35,2% der 50–<br />

64-Jährigen, um dann bei den über 65-Jährigen mit 30,4% wieder auf das Niveau der<br />

jüngsten Altersgruppe abzufallen (vgl. Tabelle 3.1-2, Anhang). Der Zusammenhang<br />

zwischen starken körperlichen Beschwerden und dem Alter ist demnach für beide<br />

Geschlechter – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung – relevant.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 62


Im Gegensatz zu den Angaben zur körperlichen Beschwerdefreiheit fühlen sich mit zunehmendem<br />

Alter sowohl Frauen als auch Männer psychisch ausgeglichener (vgl. Tabelle<br />

3.1-3, Anhang). Es zeigt sich auch hier ein Geschlechterunterschied, der allerdings<br />

lediglich bei den 15–34-Jährigen sowie bei den über 65-Jährigen signifikant ausfällt: In<br />

diesen Altersgruppen fühlen sich deutlich mehr Frauen als Männer psychisch unausgeglichen<br />

(vgl. Abbildung 3.1-3). 29<br />

Abbildung 3.1-3: Niedrige psychische Ausgeglichenheit nach Alter und Geschlecht<br />

(<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es sowohl Unterschiede in Mortalität und<br />

Morbidität zwischen den Geschlechtern, aber auch innerhalb eines Geschlechts gibt.<br />

Hinsichtlich der Mortalität zeigt sich erwartungsgemäss, dass mit zunehmendem Alter<br />

sowohl Männer als auch Frauen vermehrt versterben. Bezogen auf den Geschlechterunterschied<br />

zeigt sich, dass das Ausmass der Übersterblichkeit auf Seiten der Männer mit<br />

zunehmendem Alter abnimmt. Eine gute gesundheitliche Befindlichkeit von Frauen und<br />

Männern sinkt ebenfalls mit zunehmendem Alter, lediglich die psychische Ausgeglichenheit<br />

nimmt bei beiden Geschlechtern im Alter zu. Der Geschlechterunterschied in den<br />

Angaben zur subjektiven Gesundheit zeigt sich bei fast allen Altersgruppen und fällt zu<br />

Ungunsten der Frauen aus.<br />

3.1.2. Haushaltseinkommen und Bildungsniveau<br />

Julia Lademann<br />

Die Einschätzung des eigenen gesundheitlichen Zustandes ist deutlich mit sozioökonomischen<br />

Faktoren verknüpft (siehe Kapitel 3.1.5). So lässt sich zeigen, dass der Anteil<br />

derjenigen, die ihren Gesundheitszustand als «sehr gut» und «gut» einschätzen, mit der<br />

Höhe des Haushaltseinkommens kontinuierlich ansteigt. Die Unterschiede zwischen den<br />

29 Bei dem Konstrukt der «psychischen Ausgeglichenheit» handelt es sich um einen Index, der in der<br />

<strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung über Fragen zur psychischen Befindlichkeit (mit den<br />

Antwortmöglichkeiten: energievoll, nervös/gereizt, ausgeglichen/gelassen, verstimmt) erhoben wird.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 63


Geschlechtern erweisen sich in den verschiedenen Einkommensklassen als nicht einheitlich.<br />

Während sich Männer mit zunehmendem Einkommen gesundheitlich «sehr gut»<br />

und «gut» fühlen, trifft dies für Frauen nicht zu. Unter ihnen sinkt dagegen der entsprechende<br />

Anteil in der höchsten Einkommensklasse – im Vergleich zur vorherigen – ab (vgl.<br />

Abbildung 3.1-4).<br />

Abbildung 3.1-4: Subjektiver Gesundheitszustand «sehr gut» und «gut» nach Haushalteinkommen und<br />

Geschlecht (Einteilung nach Äquivalenz-Haushaltseinkommen in Quintile, <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung<br />

2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist gerade in der höchsten Einkommensklasse<br />

am prägnantesten. Demnach scheinen für Frauen in höheren sozialen Schichten<br />

andere als sozioökonomische Faktoren für die Beurteilung ihres subjektiven Gesundheitszustandes<br />

von besonderem Belang zu sein.<br />

Der Zusammenhang zwischen der Höhe des Haushaltseinkommens und des gesundheitlichen<br />

Zustands zeigt sich ebenfalls bei den Angaben über körperliche Beschwerden,<br />

wenn auch nicht so ausgeprägt wie bei der Einschätzung zum subjektiven Gesundheitszustand.<br />

Allerdings erweisen sich die Unterschiede zwischen den Geschlechtern – im<br />

Vergleich zu den Angaben über den subjektiven Gesundheitszustand – als noch eindrücklicher<br />

und bleiben über alle Einkommensgruppen hinweg bestehen (vgl. Abbildungen<br />

3.1-4 und 3.1-5).<br />

Abbildung 3.1-5: Keine bzw. kaum körperliche Beschwerden nach Haushaltseinkommen und Geschlecht<br />

(<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 64


Die Anteile derjenigen, die keine bzw. kaum körperliche Beschwerden äussern, liegen<br />

sowohl bei Frauen als auch bei Männern mit 36,2% bzw. 53,6% in der höchsten Gehaltsstufe<br />

deutlich über dem <strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt (Frauen 32,4%, Männer 50,7%).<br />

Dagegen klagen unter denjenigen der niedrigsten Einkommensklasse überdurchschnittlich<br />

viele Frauen (32,3%) und Männer (18,1%) über starke körperliche Beschwerden<br />

(<strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt: Frauen 30,0%, Männer 15,7%).<br />

Ähnlich verhält es sich bei der Einschätzung der psychischen Ausgeglichenheit. Vergleicht<br />

man die Angaben der Frauen und Männern aus der niedrigsten und höchsten<br />

Einkommensklasse, wird deutlich, dass ein sehr hohes Einkommen mit einem hohen<br />

Anteil an <strong>Schweiz</strong>ern (59,4%) und <strong>Schweiz</strong>erinnen (59,2%) korreliert, die sich psychisch<br />

ausgeglichen fühlen (<strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt: Männer 56,3%, Frauen 53,7%). Geschlechterunterschiede<br />

zeigen sich vor allem in der untersten Einkommenskategorie,<br />

während die Unterschiede in der höchsten Einkommenskategorie zwischen Männern<br />

und Frauen nur noch minimal sind. Psychisch unausgeglichen fühlen sich insbesondere<br />

Frauen in der niedrigsten Einkommensklasse (24,0%). Dagegen unterscheidet sich der<br />

Anteil der Männer, die eine niedrige psychische Ausgeglichenheit angeben, in der niedrigsten<br />

und höchsten Einkommensklasse kaum voneinander (19,1% und 18,4%), (vgl.<br />

Abbildung 3.1-6).<br />

niedrige psychische Ausgeglichenheit hohe psychische Ausgeglichenheit<br />

Abbildung 3.1-6: Niedrige und hohe psychische Ausgeglichenheit nach Haushaltseinkommen und<br />

Geschlecht (<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<br />

<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Zieht man die Bildung als weiteren Faktor der sozialen Schicht in Betracht, so zeigt sich,<br />

dass mit steigendem Niveau – von der obligatorischen Schule bis zur Tertiärstufe – der<br />

Anteil derjenigen, die ihren Gesundheitszustand als «sehr gut» und «gut» einschätzen,<br />

ansteigt: Bei den Männern von 81,3% (obligatorische Schule) auf 92,2% (Tertiärstufe)<br />

respektive bei den Frauen von 75,2% auf 89,7%, d.h., auch unter Berücksichtigung der<br />

Schulbildung bleibt der Geschlechterunterschied bestehen. Anders als bei dem ökonomischen<br />

Faktor Haushaltseinkommen, bei welchem sich der prägnanteste Geschlechterunterschied<br />

in der Einschätzung zum eigenen Gesundheitszustand zu Ungunsten der<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 65


Frauen innerhalb der Bevölkerung mit der höchsten Einkommensklasse zeigt (vgl. Abbildung<br />

3.1-4), findet sich dieser hinsichtlich Bildung bei den schulisch wenig gebildeten<br />

Männern und Frauen und damit bei sozial eher tiefen Schichten (vgl. Tabelle 3.1-4, Anhang).<br />

Nimmt man die körperliche Befindlichkeit in den Blick, zeigen sich sowohl bei Frauen als<br />

auch bei Männern deutliche Unterschiede hinsichtlich körperlicher Beschwerden und der<br />

Schulbildung. So liegt der Anteil der Männer, die über starke körperliche Beschwerden<br />

klagen, bei denjenigen mit obligatorischem Schulabschluss bei 21,2% und damit fast<br />

sechs Prozentpunkte über dem <strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt (15,7%). Bei den hoch gebildeten<br />

Männern liegt dieser Anteil dagegen lediglich bei 14,4%. Ähnlich verhält es sich bei<br />

Frauen: Der Anteil derjenigen mit starken körperlichen Beschwerden liegt mit 35,1% in<br />

der niedrigsten Bildungsstufe um etwa fünf Prozentpunkte über dem <strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt<br />

(30,0%) und bei denjenigen mit einem Bildungsabschluss der Tertiärstufe etwa<br />

zwei Prozentpunkte unter dem Durchschnitt (28,3%), (vgl. Tabelle 3.1-5, Anhang). Diese<br />

Befunde stehen möglicherweise sowohl bei Frauen als auch bei Männern mit niedrigem<br />

Bildungsabschluss im Zusammenhang mit körperlich besonders belastenden beruflichen<br />

Tätigkeiten.<br />

Eine Korrelation zwischen Bildung und psychischer Ausgeglichenheit zeigt sich bei Männern<br />

deutlicher als bei Frauen. Während bei Männern mit zunehmendem schulischem<br />

Bildungsgrad der Anteil derjenigen, die sich psychisch ausgeglichen fühlen, steigt, sinkt<br />

dieser Anteil bei Frauen in der höchsten Bildungsstufe dagegen deutlich ab (vgl. Abbildung<br />

3.1-7).<br />

Abbildung 3.1-7: Hohe psychische Ausgeglichenheit nach Bildung und Geschlecht<br />

(<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Ein Erklärungsansatz hierfür könnte sein, dass Männer mit hoher Schulbildung eher eine<br />

beruflich adäquate und entsprechend gut dotierte Stellung einnehmen, als dies bei hoch<br />

gebildeten Frauen der Fall ist (siehe Kapitel 2.3). Möglicherweise ist auch die Vereinbarkeit<br />

von Familien- und Erwerbsarbeit (siehe Kapitel 2.1) gerade in Berufen, die eine hohe<br />

Bildung erfordern, besonders schwierig. Da sich diese Problematik immer noch vorwiegend<br />

Frauen stellt, könnte dies erklären, warum sich unter den hoch Gebildeten die<br />

Frauen psychisch nicht so ausgeglichen fühlen wie die Männer.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 66


Es lässt sich zusammenfassend festhalten, dass auch die Variablen Haushaltseinkommen<br />

und Bildung mit der Kategorie Geschlecht interagieren. So zeigen sich die Geschlechterunterschiede<br />

in der subjektiven Befindlichkeit zu Ungunsten von Frauen auch,<br />

wenn nach Bildung und Einkommen differenziert wird. Daneben zeigen sich Unterschiede<br />

innerhalb einer Geschlechtergruppe, die wiederum zu Ungunsten der ökonomisch<br />

schlechter gestellten sowie schulisch weniger gut gebildeten Frauen bzw. Männern ausfallen<br />

(vgl. Kap. 3.1.5).<br />

3.1.3. Landesteile und Herkunft<br />

Julia Lademann<br />

Vergleicht man die Sterblichkeit in den Kantonen miteinander, zeigen sich sowohl Unterschiede<br />

zwischen den Kantonen als auch zwischen den Geschlechtern. Die niedrigste<br />

Sterbeziffer liegt mit 557 Sterbefällen pro 100’000 EinwohnerInnen in der italienischen<br />

<strong>Schweiz</strong> im Kanton Tessin, die sex ratio beträgt hier 1.8. Die höchste Sterbeziffer mit 680<br />

Sterbefällen pro 100’000 EinwohnerInnen findet sich im Kanton Fribourg, ebenfalls mit<br />

einer sex ratio von 1.8. Der Kanton mit dem grössten Geschlechterunterschied stellt der<br />

Kanton Jura mit einer sex ratio von 2.0 dar, während sich der geringste Geschlechterunterschied<br />

im Kanton Zug mit einer sex ratio von 1.5 findet (Obsan 2004, Indikator<br />

2.2.1.2.). 30<br />

Hinsichtlich des subjektiven Gesundheitszustandes treten Geschlechterunterschiede<br />

nicht in allen Regionen der <strong>Schweiz</strong> auf. So schätzen beispielsweise in Zürich etwa 87%<br />

sowohl der Männer als auch der Frauen ihren Gesundheitszustand als «gut» und «sehr<br />

gut» ein, während sogar ein etwas höherer Anteil an Männern als an Frauen angibt, sich<br />

gesundheitlich «schlecht» bzw. «sehr schlecht» zu fühlen (3,1% versus 2,7%). In der<br />

Genferseeregion fällt der hohe Anteil der Bevölkerung auf, der seinen Gesundheitszustand<br />

explizit als «sehr gut» einschätzt: Bei den Männern sind es 30,2% (<strong>Schweiz</strong>er<br />

Durchschnitt 24,7%), bei den Frauen 28,2% (<strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt 22,5%).<br />

Obwohl innerhalb der <strong>Schweiz</strong> die Sterblichkeit im Kanton Tessin am niedrigsten liegt,<br />

fühlen sich dessen BewohnerInnen im Vergleich zu den anderen Kantonen gesundheitlich<br />

nicht besser – im Gegenteil. Im Tessin fühlen sich lediglich 13% der Bevölkerung<br />

gesundheitlich «sehr gut», wobei der Geschlechterunterschied deutlich zu Ungunsten<br />

der Frauen ausfällt (Männer 16,3%, Frauen 9,8%, <strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt 24,7% und<br />

22,5%). In dieser Region schätzt auch – im Vergleich zu den anderen Regionen – ein<br />

nicht unerheblicher Anteil der Bevölkerung seine Gesundheit als «schlecht» und «sehr<br />

schlecht» ein. Es handelt sich dabei um 4,9% der Männer und 5,8% der Frauen, was bei<br />

beiden Geschlechtern zwei Prozentpunkte über dem <strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt liegt (Männer<br />

2,9%, Frauen 3,8%). Dieses paradox erscheinende Ergebnis – die niedrige Sterblichkeit<br />

einerseits und die schlechte subjektive gesundheitliche Befindlichkeit andererseits –<br />

weist auf die Notwendigkeit zur Erhebung mehrerer Gesundheitsindikatoren hin, um<br />

dem gesundheitlichen Versorgungsbedarf innerhalb einer Region adäquat Rechung tragen<br />

zu können.<br />

30<br />

Es handelt sich hierbei um die «altersstandardisierte Sterbeziffer», bezogen auf die Todesursachenstatistik<br />

2000.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 67


Bei den Angaben zu den körperlichen Beschwerden spiegeln sich die signifikanten Geschlechterunterschiede<br />

der Gesamtschweiz auch in allen <strong>Schweiz</strong>er Regionen wider.<br />

Vom <strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt hebt sich die Genferseeregion ab, die sowohl für Männer<br />

als auch für Frauen die niedrigsten Werte für körperliche Beschwerdefreiheit aufweist<br />

(Männer: 48%, Frauen 30,5%); gleichzeitig leben dort überdurchschnittlich hohe Anteile<br />

in der Bevölkerung mit starken Beschwerden (Männer: 17,4%, Frauen 32,7%). 31 Damit<br />

liegen die Werte sowohl der Männer als auch der Frauen in der Genferseeregion jeweils<br />

etwa zwei Prozentpunkte unter bzw. über dem Bundesdurchschnitt. Diese Ergebnisse<br />

stehen im Kontrast zu den Angaben des subjektiven Gesundheitszustandes der EinwohnerInnen<br />

in der Genferseeregion, die sich von den anderen Regionen durch einen besonders<br />

hohen Anteil abhebt, der sich gesundheitlich als explizit «sehr gut» fühlt (s.o.).<br />

Möglicherweise spielt in dieser Region das Ausmass körperlicher Beschwerden hinsichtlich<br />

einer Gesamteinschätzung des gesundheitlichen Befindens eine weniger grosse<br />

Rolle, als dies in anderen Landesteilen der Fall ist.<br />

Im Vergleich dazu stellt sich die Situation in der Zentralschweiz positiv dar, d.h; vor allem<br />

Männer, aber auch Frauen geben zu überdurchschnittlich hohen Anteilen an, unter keinen<br />

bzw. kaum körperlichen Beschwerden zu leiden (Männer 54,2%, Frauen 33,4%;<br />

<strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt Männer: 50,7%, Frauen 32,4%). Vergleicht man in dieser Region<br />

die Anteile derjenigen, die über starke Beschwerden berichten, so fällt der bei Frauen –<br />

im Vergleich zum <strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt – um etwa fünf Prozentpunkte deutlich niedrigere<br />

Anteil auf (Frauen 24,9%, Männer 14,3%; <strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt: Frauen 30,0%,<br />

Männer 15,7%).<br />

Auch die Selbsteinschätzung zur psychischen Ausgeglichenheit spiegelt den für die Gesamtschweiz<br />

als statistisch signifikant vorzufindenden Geschlechterunterschied in den<br />

verschiedenen <strong>Schweiz</strong>er Regionen wider. Allerdings erweist sich der Unterschied innerhalb<br />

der Kantone lediglich in der Genferseeregion als statistisch signifikant. So fühlen<br />

sich Männer in dieser Region mit einem Anteil von 58,9% überdurchschnittlich ausgeglichen<br />

(<strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt 56,3%), die Frauen liegen mit 52,3% dagegen etwas unter<br />

dem <strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt (53,7%). Bei anderen Kantonen zeigt sich, dass der Einfluss<br />

der Wohnregion stärkere Auswirkungen haben kann als das Geschlecht. So ist bei Männern,<br />

die in Zürich leben, der Anteil derjenigen, die sich psychisch unausgeglichen fühlen,<br />

mit 22,3% sogar höher als der entsprechende Anteil der Frauen im <strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt<br />

(21,5%). Dagegen liegt der Anteil der Frauen, die ihre psychische Ausgeglichenheit<br />

als hoch einschätzen, gerade in Zürich mit 57,2% sogar über dem <strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt<br />

der Männer (56,3%). Zürich stellt damit eine Region dar, in welcher im Vergleich<br />

zu den anderen Landesteilen – zumindest hinsichtlich der hier betrachteten Gesundheitsindikatoren<br />

– weniger Geschlechterunterschiede auftreten.<br />

Im Vergleich zwischen städtischen und ländlichen Gebieten zeigt sich, dass sich in der<br />

<strong>Schweiz</strong> sowohl Frauen als auch Männer, die in ländlichen Gebieten leben, psychisch<br />

ausgeglichener fühlen als diejenigen, die in Städten leben (vgl. Tabelle 3.1.6, Anhang).<br />

Darüber hinaus ist der Geschlechterunterschied auf dem Land relativ klein, wohingegen<br />

er in den städtischen Gebieten statistische Signifikanz aufweist. Hinsichtlich körperlicher<br />

Beschwerden bleiben die Geschlechterunterschiede auch beim Stadt-Land-Vergleich<br />

31 In diesem Kanton herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit sowie eine hohe Steuerlast, auch die Mieten<br />

und Krankenkassenprämien sind sehr hoch, was für die dort lebenden Menschen mit entsprechenden<br />

Belastungen verbunden ist.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 68


erhalten. Auffällig ist hier, dass mehr Frauen, die in der Stadt leben, unter starken Beschwerden<br />

leiden (Stadt 31,1%, Land 26,5%). Bei Männern treten dagegen keine prägnanten<br />

Unterschiede zwischen Stadt und Land auf.<br />

In der <strong>Schweiz</strong> lebende Männer und Frauen, die einer anderen Nationalität angehören,<br />

fühlen sich gesundheitlich schlechter als <strong>Schweiz</strong>erInnen (siehe Kapitel 3.1.4). Darüber<br />

hinaus zeigen sich bei den AusländerInnen gesundheitliche Geschlechterunterschiede<br />

noch eindrücklicher als bei den <strong>Schweiz</strong>erInnen. So gibt ein grösserer Anteil ausländischer<br />

MitbürgerInnen an, unter starken körperlichen Beschwerden zu leiden, die mit<br />

18,5% (Männer) und 33,7% (Frauen) etwa vier und fünf Prozentpunkte über den Werten<br />

der <strong>Schweiz</strong>erInnen liegen. Ähnlich verhält es sich hinsichtlich psychischer Ausgeglichenheit:<br />

Es fühlen sich 23,7% der Ausländer unausgeglichen (<strong>Schweiz</strong>er: 18,8%) und<br />

bei den Ausländerinnen sind es sogar 28,2%, womit sie acht Prozentpunkte über den<br />

<strong>Schweiz</strong>erinnen (20,1%) liegen.<br />

Die in der Gesamtschweiz vorzufindenden Geschlechterunterschiede in Mortalität und<br />

Morbidität spiegeln sich im Grossen und Ganzen auch in den verschiedenen Landesteilen<br />

wider. Je nachdem, welcher gesundheitliche Indikator betrachtet wird, sind die Geschlechterunterschiede<br />

in einigen Kantonen deutlich und in anderen dagegen kaum vorhanden.<br />

Neben den Geschlechterunterschieden zeigen sich auch Unterschiede zwischen<br />

den Kantonen. Die Daten der verschiedenen Landesteile spiegeln vermutlich kulturelle<br />

Muster wider, die u.a. Ausdruck eines kulturspezifischen Umgangs mit dem Körper sind,<br />

die zwar vielfach beschrieben werden (z.B. auch beim Substanzkonsum), aber nur<br />

schwer erklärt werden können.<br />

3.1.4. Migration und Gesundheit<br />

Luzia Jurt<br />

Migrantinnen und Migranten in der <strong>Schweiz</strong><br />

Die Gruppe der Migrantinnen und Migranten ist sehr heterogen. Sie umfasst Asylsuchende,<br />

Flüchtlinge, aus dem Ausland angeworbene Arbeitskräfte, illegale und legale<br />

Zuwanderer, FamiliennachzüglerInnen, ausländische EhepartnerInnen und gelegentlich<br />

auch Personen, die selbst nie migriert sind, deren Eltern bzw. Grosseltern aber über<br />

Migrationserfahrung verfügen (Wicker et al., 2003). Diese Personen unterscheiden sich<br />

nicht nur in Bezug auf ihre Nationalität und soziale Lage, sondern auch bezüglich ihres<br />

rechtlichen Aufenthaltsstatus.<br />

Ende 2003 zählte die <strong>Schweiz</strong> laut offizieller Statistik 1,5 Millionen AusländerInnen, diese<br />

stellen damit 20,4% der Bevölkerung BFS, 2005). Mittlerweile zeichnet sich eine deutliche<br />

Internationalisierung der Migrationsströme ab. Stammten zu Beginn des letzten<br />

Jahrhunderts noch 96% der ausländischen Wohnbevölkerung aus den Nachbarländern,<br />

waren es 2003 nur noch 35%. Davon waren 53,6% Männer und 46,4% Frauen (BFS,<br />

2004). Dabei sind die Migrationsmotive der Frauen ebenso breit gefächert wie bei den<br />

Männern, z.B. Arbeit, Bildung und Heirat (Calloni & Lutz, 2000). Laut Schätzungen kommen<br />

zu den offiziell erfassten AusländerInnen noch 70’000 bis 180’000 so genannte<br />

Sans-Papiers dazu. Es handelt sich hierbei um Personen, die über keine erforderliche<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 69


Aufenthaltsbewilligung verfügen (Achermann & Efionayi-Mäder, 2003, Gesellschaft für<br />

praktische Sozialforschung, 2005). Diese Personen sind entweder illegal in die <strong>Schweiz</strong><br />

eingereist oder haben die <strong>Schweiz</strong> nach Ablauf ihrer Aufenthaltsbewilligung nicht verlassen.<br />

Die Mehrheit der AusländerInnen in der <strong>Schweiz</strong>, nämlich 67%, besitzt eine zeitlich unbeschränkt<br />

gültige Niederlassungsbewilligung (Ausweis C), 27,3% der ausländischen<br />

Wohnbevölkerung haben eine zeitlich befristete Bewilligung (Ausweis B oder L), 4%<br />

gehören dem Asylbereich an, und 1,7% sind internationale Funktionäre und Diplomaten<br />

(BFS, 2004). Frauen haben generell weniger gut gesicherte Aufenthaltsbewilligungen als<br />

Männer. «So sind sie etwa bei der am besten gestellten Kategorie der Niederlassungen<br />

(Ausweis C, anerkannte Flüchtlinge) mit einem Anteil von 44% untervertreten, während<br />

sie bei den Personen mit einer Jahresaufenthaltsbewilligung mehr als die Hälfte ausmachen<br />

(52%)» (Prodolliet 2000 zitiert in Hunkeler & Müller, 2004, S. 47). Im Vergleich zur<br />

einheimischen Bevölkerung weisen die Migrantinnen und Migranten generell ein niedrigeres<br />

Bildungs- und Lohnniveau auf und sind mehr von Arbeitslosigkeit und Arbeitsplatzunsicherheit<br />

betroffen (BFS, 2004).<br />

Migration, Gesundheit und <strong>Gender</strong><br />

Seit Beginn der 1990er-Jahre wurden in der <strong>Schweiz</strong> vermehrt Studien über spezifische<br />

Gesundheitsprobleme von Migrantinnen und Migranten durchgeführt. Differenzierte<br />

Aussagen zum Gesundheitsprofil dieser Bevölkerungsgruppe lassen sich jedoch keine<br />

machen, da dies neben einer vertieften Analyse genauere Messungen der Gesundheitsdeterminanten<br />

bedingen würde (Bischoff & Wanner, 2004). Häufig fokussieren die<br />

durchgeführten Studien nur auf die Kategorien <strong>Schweiz</strong> und Ausland oder nur auf Asylsuchende<br />

und blenden andere Kategorien wie <strong>Gender</strong>, Aufenthaltsstatus, Aufenthaltsdauer,<br />

Alter und Beruf oder die soziale Lage aus, bzw. es sind aufgrund von zu kleinen<br />

Fallzahlen keine statistisch signifikanten Aussagen möglich. Die verschiedenen Gruppen<br />

weisen unterschiedliche Migrationsgründe auf und befinden sich im Aufnahmeland in<br />

diversen Lebensumständen und Kontexten. Diese Heterogenität der Lebenslagen sollte<br />

von Wissenschaft und Praxis vermehrt berücksichtigt werden (Efionayi-Mäder & Chimienti,<br />

2003). Ergebnisse zum Gesundheitszustand und -verhalten von Migrantinnen und<br />

Migranten sowie deren Zugang zum Gesundheitssystem sind deswegen vorsichtig zu<br />

interpretieren. Mit der Strategie «Migration und Gesundheit» des BAG werden seit wenigen<br />

Jahren Studien zu dem Themenbereich durchgeführt und Projekte entwickelt, die<br />

die gesundheitliche Situation von MigrantInnen verbessern sollen (BAG, 2002).<br />

Gesundheitszustand der Migrationsbevölkerung<br />

Migration an sich beeinträchtigt weder die Gesundheit der Betroffenen noch die der Aufnahmegesellschaft.<br />

Allerdings kann die Migration mit Stress- und Risikofaktoren wie<br />

Neuorientierung, Entwurzelung und Rollenkonflikten verbunden sein, was zu einer höheren<br />

Vulnerabilität der Migrantinnen und Migranten führen kann. Der eigene Gesundheitszustand<br />

wird von der Migrationsbevölkerung als deutlich schlechter eingeschätzt, als dies<br />

bei <strong>Schweiz</strong>erInnen der Fall ist. Besonders Migrantinnen fühlen sich subjektiv deutlich<br />

kränker als <strong>Schweiz</strong>erinnen und als ihre eingewanderten männlichen Landsleute (Weiss,<br />

2003), (vgl. Tab. 3.1-7). Das wird daraufhin zurückgeführt, dass die tatsächliche Jahresarbeitszeit<br />

der Migrantinnen höher ist als bei den <strong>Schweiz</strong>erinnen (1375 Stunden bzw.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 70


1198 Stunden) und sie dadurch einer grösseren Doppel- oder Dreifachbelastung ausgesetzt<br />

sind, also Hausarbeit, Erziehung und Erwerbsarbeit. Weitere Faktoren, die sich auf<br />

die Gesundheit von Migrantinnen und Migranten auswirken können, sind Kommunikationsschwierigkeiten,<br />

der unsichere Aufenthaltsstatus oder die prekäre soziale Lage, in<br />

der sich vor allem viele MigrantInnen der ersten Generation befinden.<br />

Tabelle 3.1-7: Selbst wahrgenommener Gesundheitszustand nach Staatsangehörigkeit und Geschlecht in<br />

Prozent, 2002 (BFS, 2004)<br />

<strong>Schweiz</strong> Ausland<br />

Gesund- Total Männer Frauen Total Männer Frauen<br />

heitszustand 17’316 7’736 9’580 2’390 1’173 1’217<br />

Gut 86,4 88,3 84,7 83,6 86,1 80,9<br />

Mittel 10,7 9,2 12,2 10,7 8,8 12,7<br />

Schlecht 2,9 2,5 3,1 5,7 5,1 6,4<br />

Der Prozentsatz der Mortalität der ausländischen Wohnbevölkerung in der <strong>Schweiz</strong> ist<br />

gemäss ihrem Bevölkerungsanteil mit 6,8% unterproportional (BFS, 1998). Die Interpretation<br />

der Mortalitätsrate ist jedoch schwierig. Einerseits spielt der «healthy migrant»-<br />

Effekt eine Rolle, das heisst, dass sich vorwiegend Personen mit einer überdurchschnittlich<br />

guten Gesundheit für eine Migration in ein entferntes Zielland entschliessen, andererseits<br />

Arbeitsmigrantinnen und -migranten bei Renteneintritt, Unfall oder Krankheit oft<br />

in ihr Heimatland zurückkehren (Efionayi-Mäder & Chimienti, 2003). Dennoch ist die ausländische<br />

Bevölkerung in gewissen Bereichen grösseren gesundheitlichen Belastungen<br />

ausgesetzt, z.B. durch vermehrte Schicht- und Wochenendarbeit sowie gefährliche Arbeitsbedingungen,<br />

was das Risiko für bestimmte Todesursachen bzw. Invalidität erhöht.<br />

So sind <strong>Schweiz</strong>er und <strong>Schweiz</strong>erinnen nach Auswertungen der <strong>Schweiz</strong>. Gesundheitsbefragung<br />

2002 durchschnittlich 15,1 Tage pro Jahr aufgrund gesundheitlicher Probleme<br />

in den Alltagsaktivitäten eingeschränkt gewesen, Personen anderer Nationalitäten aber<br />

20,7 Tage in den zwölf Monaten vor der Befragung (BFS, 2005). Während <strong>Schweiz</strong>erInnen<br />

9,2 Tage arbeitsunfähig geschrieben waren, lag die Arbeitsunfähigkeitsdauer bei<br />

AusländerInnen bei 16,2 Tagen (BFS, 2005).<br />

Gubéran und Usel (2000) weisen in ihrer Genferstudie nach, dass Migranten (Frauen<br />

wurden nicht einbezogen) von schichtspezifischen beruflichen Gesundheitsrisiken besonders<br />

stark betroffen sind: So werden sie im Alter zwischen 45 und 65 Jahren signifikant<br />

häufiger invalid als ihre <strong>Schweiz</strong>er Kollegen (19,1% vs. 14,1%; vgl. Tab. 3.1-8).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 71


Tabelle 3.1-8: Prozentsatz von schweizerischen und ausländischen Männern nach sozioprofessionellen<br />

Klassen, die im Alter zwischen 45 und 65 Jahren invalid geworden sind (Quelle: Gubéran und Usel<br />

[2000], 26 und 27)<br />

Sozioprofessionelle<br />

Kategorie<br />

Freie Berufe und<br />

Wissenschaft<br />

Direktoren,<br />

Techniker<br />

Angestellte und<br />

qualifizierte nicht<br />

manuelle Berufe<br />

Qualifizierte<br />

Facharbeiter<br />

Halbqualifizierte und<br />

ungelernte Arbeiter<br />

<strong>Schweiz</strong>er Ausländer<br />

Anzahl<br />

Männer<br />

Anzahl Invaliditätsfälle <br />

Invaliditätsfälle<br />

in %<br />

Anzahl<br />

Männer<br />

Anzahl Invaliditätsfälle <br />

Invaliditätsfälle<br />

in %<br />

278 5 1,8 57 2 3,5<br />

637 56 8,8 149 10 6,7<br />

986 121 12,3 108 17 15,7<br />

1’010 206 18,6 380 89 23,4<br />

347 86 24,8 200 53 26,5<br />

Total 3’357 474 14,1 893 171 19,1<br />

Die sexuelle und reproduktive Gesundheit ist bei einem geschlechtsspezifischen Fokus<br />

im Migrationskontext von besonderer Bedeutung. Schwangerschaftsabbrüche sind bei<br />

Ausländerinnen ca. dreimal häufiger als bei <strong>Schweiz</strong>erinnen. Dabei handelt es sich bei<br />

den Ausländerinnen zu einem grossen Teil um Frauen mit einem prekären Aufenthaltsstatus<br />

(N oder Sans-Papiers), die ungewollt schwanger wurden (Sieber, 2001). Hinweise<br />

aus der Praxis zeigen, dass die meisten von ihnen nicht verhütet hatten, weil ihre Antibabypillen<br />

aufgebraucht waren, sie Nebeneffekte fürchteten, kein Geld für die Pille hatten<br />

(Wolff et al., 2005) oder, sie aufgrund ihres prekären Aufenthaltsstatus und der daraus<br />

resultierenden Abhängigkeit von ihrem Partner nicht in der Lage waren, den Gebrauch<br />

von Kondomen gegen seinen Willen durchzusetzen.<br />

Die Mortalitätsrate von Kindern ausländischer Mütter ist höher als bei <strong>Schweiz</strong>erinnen<br />

(5,3 perinatale Todesfälle auf 1000 Geburten versus 4,6). Die deutlich höhere Rate an<br />

Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen unter den Migrantinnen wird mit der<br />

geringen Inanspruchnahme von vorgeburtlichen Massnahmen erklärt (Weiss, 2003). Dies<br />

trifft v. a. auf Frauen mit einer kurzen Aufenthaltsdauer in der <strong>Schweiz</strong> zu, aber auch generell<br />

auf den erschwerten Zugang der Migrantinnen zum Gesundheitssystem (siehe<br />

unten).<br />

In späteren Lebensphasen leiden die älteren Migrantinnen und Migranten häufiger an<br />

gesundheitlichen Problemen, z.B. rheumatischen Beschwerden, Altersbeschwerden und<br />

Infektionen, die auf ihre verschleissende Erwerbsarbeit zurückzuführen sind. Die Migrantinnen<br />

und Migranten der ersten Generation sind oft schlecht integriert, da sie in ihrem<br />

Lebensentwurf eine Rückkehr in ihr Heimatland vorsahen. Im Unterschied zu den Männern<br />

neigen die Frauen jedoch eher dazu, eine Perspektive des «Bleibens» zu entwickeln<br />

(Weiss, 2003).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 72


Gesundheitsverhalten<br />

Ernährung, körperliche Aktivitäten und Suchtmittelkonsum sind Faktoren, die den Gesundheitszustand<br />

entscheidend beeinflussen. Auch innerhalb der ausländischen Bevölkerung<br />

achten Frauen mehr auf eine gesunde Ernährung als Männer (Frauen 68,8%, Männer<br />

58,2%), sind jedoch mit ihrem Körpergewicht weniger zufrieden (Frauen 53,4%,<br />

Männer 67,8%). Die ausländische Bevölkerung ist in ihrer Freizeit signifikant weniger<br />

körperlich aktiv als die schweizerische. Bei den Migrantinnen sind diese Unterschiede<br />

sogar noch ausgeprägter. Dabei ist allerdings zu beachten, dass gerade die Migrantinnen<br />

und Migranten in körperlich anstrengenden Berufen tätig sind (BFS, 2004).<br />

Der Tabakkonsum ist unter der ausländischen Bevölkerung weiter verbreitet als unter der<br />

schweizerischen. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist jedoch grösser als<br />

zwischen den Nationalitäten (Männer Ausland: 38,9%, Männer <strong>Schweiz</strong>: 35,2%; Frauen<br />

Ausland 28,3%, Frauen <strong>Schweiz</strong> 24,8%), (BFS, 2004).<br />

Beim Alkoholkonsum ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Während einige Migrantinnenresp.<br />

Migrantengruppen fast keinen Alkohol konsumieren, trinken beide Geschlechter<br />

anderer Gruppen täglich Alkohol. Allerdings ergeben sich keine signifikanten Unterschiede<br />

bezüglich der Häufigkeit von schweren alkoholbedingten Problemen zwischen den<br />

verschiedenen Gruppen (Weiss, 2003). Vielmehr scheint das unterschiedliche Konsumverhalten<br />

in Bezug auf Alkohol kulturell bedingt.<br />

Zugang zum Gesundheitssystem<br />

Die Schwierigkeiten der Migrantinnen und Migranten, sich Zugang zum Gesundheitssystem<br />

zu verschaffen, ist ein anerkanntes und in der Literatur oft thematisiertes Problem<br />

und wird im Rahmen der BAG-Strategie «Migration und Gesundheit» bearbeitet (BAG,<br />

2002). Die höhere perinatale Morbidität und Mortalität, der mangelhafte Impfstatus sowie<br />

die geringe Inanspruchnahme von medizinischen Vorsorgemassnahmen durch<br />

Migrantinnen und Migranten verweist auf einen erschwerten Zugang zu den Gesundheitsangeboten<br />

für diese Gruppe (Weiss, 2003). Auch Präventionsangebote werden von<br />

der ausländischen Bevölkerung weniger genutzt (Vranjes et al., 1995).<br />

Als Gründe werden neben Sprachproblemen auch Interaktionsprobleme genannt, die auf<br />

unterschiedliche Migrationshintergünde zurückgeführt werden. Wichtige Hindernisse<br />

sind ferner der unterschiedliche Sozialstatus sowie die Strukturen und Voraussetzungen<br />

des Gesundheitswesens selbst. Der Aufenthaltsstatus kann den Zugang zu Gesundheitseinrichtungen<br />

ebenfalls wesentlich beeinflussen (Weiss, 2003). So sucht ein Teil der<br />

Sans-Papiers aus Angst vor einer Anzeige erst in äussersten Notfällen ärztliche Hilfe<br />

(Achermann & Efionayi-Mäder, 2003), und auch Asylsuchende (Ausweis N) unterliegen<br />

Zugangsbeschränkungen.<br />

Schlussfolgerungen<br />

Die Nationalität der Migrantinnen und Migranten hat einen untergeordneten Einfluss auf<br />

die Gesundheit, während der Aufenthaltsstatus, die Aufenthaltsdauer, sozioökonomischer<br />

Status, geschlechts- und altersspezifische Entwicklungsthemen, soziale Netzwerkstrukturen<br />

sowie prä-, trans- und postmigratorische Stressoren eine zentrale Rolle spielen<br />

(Weiss, 2003). Diese verschiedenen Faktoren wirken kumulativ und erhöhen das<br />

Gesundheitsrisiko der betroffenen Personen erheblich. Der erschwerte Zugang zu den<br />

Einrichtungen des Gesundheitssystems lässt sich zum einen auf Probleme durch soziale<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 73


Ungleichheit zurückführen. Zum anderen kommen persönliche (Aufenthaltsstatus) und<br />

strukturelle Faktoren (Anzahl, Art, Konzentration, Ort und Organisation der Gesundheitseinrichtung,<br />

kultursensitive Angebote, interkulturelle ÜbersetzerInnen, transkulturell<br />

kompetente Fachpersonen) zum Tragen (Weiss, 2003).<br />

3.1.5. Armut und Gesundheit<br />

Ueli Mäder, Claudia Meier, Hector Schmassmann<br />

Armut und soziale Ungleichheit in der <strong>Schweiz</strong><br />

Seit den späten 1970er-Jahren haben in der <strong>Schweiz</strong> die Armut, absolut oder relativ gemessen,<br />

und die soziale Ungleichheit zugenommen. 32 Die Nationale Armutsstudie (Leu,<br />

Burri & Priester, 1997) weist zwischen 1982 und 1992 einen signifikanten Rückgang der<br />

Einkommensanteile der vier untersten Dezile nach. Wer nur das durchschnittliche Bruttoeinkommen<br />

der Haushalte betrachtet, stellt zwar in den folgenden Jahren bis 2001 ein<br />

jährliches Wachstum von 0,6% fest. 33 Ein anderes Bild zeigt jedoch die Entwicklung der<br />

verfügbaren Einkommen (nach Abzug der Ausgaben für Versicherungen, Steuern etc.).<br />

Diese nahmen zwischen 1990 und 1999 bei den obersten 10% stark zu, bei den untersten<br />

10% stark ab (Ecoplan, 2004). Ein kleiner Aufwärtstrend zeichnete sich bei einzelnen<br />

niedrigen Einkommen nach dem Jahr 1999 ab. Seit den rezessiven Einbrüchen der<br />

1970er-Jahre steigen die Lebenshaltungskosten stärker als Teile der unteren Löhne. 34<br />

Nebst Erwerbslosen und erwerbstätigen Armen nehmen auch die Anteile der Alleinlebenden<br />

und Alleinerziehenden zu, die auf staatliche finanzielle Unterstützung angewiesen<br />

sind. Das relativ gute System der sozialen Sicherung hält mit dem Wandel der Lebensformen<br />

nicht Schritt. Es orientiert sich an Vollbeschäftigung, an Existenz sichernden<br />

Einkommen, an so genannten Normalbiografien und an traditionellen Familienhaushalten.<br />

Doch diese Voraussetzungen treffen immer weniger zu.<br />

In der <strong>Schweiz</strong> liegt die Armutsquote je nach Messgrösse zwischen 5% und 10% und<br />

betrifft damit zwischen 350'000 und 700'000 Personen. Die Mehrheit sind Paare mit (oft<br />

mehreren) Kindern. Mindestens 200'000 Kinder wachsen in Armut auf, in <strong>Schweiz</strong>er<br />

Städten wohnt jedes zehnte Kind in einer Familie, die Sozialhilfe benötigt (<strong>Schweiz</strong>er<br />

Städteinitiative, 2002). Die Haushalte mit Kindern machen 42% aller Haushalte von Erwerbstätigen<br />

aus – in ihnen leben 72% der armen Personen. Ihr Einkommen liegt unter<br />

dem Existenzminimum, wie es durch den Anspruch auf Sozialhilfe definiert wird. Die<br />

Familienarmut nimmt trotz steigender Erwerbsbeteiligung der Mütter zu (Bauer, Strub &<br />

Stutz, 2004). Kinder können ein Armutsrisiko darstellen. Dies betrifft besonders Frauen:<br />

Haushalte mit Alleinerziehenden werden zu 87% von Frauen geführt. Die «Working<br />

Poor»-Quote in Vollzeit- und Teilzeit-Haushalten ist bei Frauen insgesamt höher als bei<br />

Männern (9% gegenüber 6%) und liegt bei Alleinerziehenden am höchsten (29,2%),<br />

gefolgt von Familien mit mindestens 3 Kindern (18%), (Streuli & Bauer, 2002).<br />

32<br />

Armut wird hier als Mangel an sozialer Sicherung verstanden. Soziale Ungleichheit liegt vor, wenn<br />

Mitglieder einer Gesellschaft dauerhaft in unterschiedlichem Mass über notwendige oder begehrte<br />

Güter verfügen. Es geht dabei um die Verteilung von Wohlstand, Ansehen und Macht.<br />

33<br />

Bei den untersten und obersten 20% der Einkommen lag der Anstieg etwas höher, bei Teilen der<br />

Mittelschicht etwas tiefer.<br />

34<br />

Laut Bundesamt für Statistik (Streuli & Bauer, 2002) gehört jede dreizehnte erwerbstätige Person zu<br />

den einkommensschwachen «Working Poor». Das sind 250'000 Personen. Werden die Haushaltsmitglieder<br />

einbezogen, steigt die Zahl auf 535'000 Betroffene.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 74


Armut und Arbeitslosigkeit erhöhen die Morbiditäts- und Mortalitätsraten und den Bedarf<br />

an ärztlicher Versorgung. Das Risiko, schwer zu erkranken, vorzeitig zu sterben, einen<br />

Unfall zu erleiden oder Gewalt zu erfahren, ist für Arme in jeder Lebensphase signifikant<br />

höher. Im Gesundheitsverhalten und Gesundheitszustand zeigt sich ein sozialer Gradient<br />

35 : Je niedriger die soziale Schichtzugehörigkeit 36 , desto grösser die Krankheitslast<br />

(Siegrist, 2005). So unternehmen beispielsweise Erwerbslose im Unterschied zu vergleichbaren<br />

Gruppen an Beschäftigten häufiger Suizidversuche (Kieselbach, 1996). Armut<br />

erhöht das Risiko für akute und chronische Krankheiten – von der Karies bis zu Aids. Dies<br />

kann zumindest teilweise auf gesundheitsriskante Verhaltensweisen zurückgeführt werden;<br />

so kommt z.B. der Konsum von «Fast Food» und als Folge davon Übergewicht in<br />

armen Familien gehäuft vor (<strong>Schweiz</strong>erische Gesellschaft für Ernährung, 2005). Auch die<br />

Lebenserwartung sinkt von der obersten zur untersten Einkommensschicht. Butterwegge<br />

et al. (2004) weisen bei sozial Benachteiligten eine deutlich höhere postnatale Sterblichkeit<br />

von Säuglingen auf. Darüber hinaus zeigt sich bei Kindern in sozial benachteiligten<br />

Familien eine zweimal höhere Mortalitätsrate durch Unfälle als bei sozial besser gestellten<br />

Kindern (Butterwegge et al., 2004). Armut macht krank und auch umgekehrt kann<br />

Krankheit arm machen (Mäder et al., 1991). So können sich beispielsweise nicht alle<br />

psychisch Erkrankten die notwendigen Therapien und Medikamente leisten, die durch<br />

die Krankenversicherung nicht abgedeckt sind. Da stationäre Verweildauern in allen klinischen<br />

Fachbereichen immer weitere sinken, müssen immer mehr PatientInnen eigene<br />

finanzielle Mittel aufbringen, da sie für ihre Rekonvaleszenz Hilfe im Haushalt benötigen.<br />

Seit dem Ende der Nachkriegsprosperität lässt sich beobachten, dass sich Armut bis in<br />

die soziale Mittelschichten hinein ausbreitet. Armut beschränkt sich allerdings nicht auf<br />

das verfügbare Einkommen, sondern stellt ein mehrdimensionales Geschehen sozialer<br />

Unterversorgung und Benachteiligung dar, das auch Aspekte wie Ausbildung, Erwerbsbeteiligung,<br />

Wohnlage und Zugang zur Infrastruktur einschliesslich medizinischer Versorgung<br />

umfasst (Mäder & Schmassmann, 2004). Über den Gesundheitsstatus, die Ge-<br />

35 Der soziale Gradient von Morbidität und Mortalität wird bereits am Beginn des Lebens, in der<br />

Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren gebahnt. Auch Krankheiten, die erst im dritten,<br />

vierten und fünften Lebensjahrzehnt auftreten, wie Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Probleme<br />

können intrauterin oder in frühen postnatalen Phasen angelegt sein. Der soziale Gradient wird ferner<br />

im frühen und mittleren Lebensalter entscheidend durch die Qualität der Erwerbsarbeit beeinflusst.<br />

Menschen, die an Arbeitsplätzen beschäftigt sind, an denen sie trotz hoher Arbeitsbelastung wenig<br />

Einfluss haben und wenig Gehalt und Anerkennung beziehen, besitzen ein erhöhtes Risiko, stressassoziierte<br />

Erkrankungen zu erleiden. Beide Bedingungen sind bei wenig qualifizierten Beschäftigten<br />

häufiger anzutreffen.<br />

36 Für die Beschreibung sozialer Unterschiede wird der Begriff «soziale Schicht» verwendet. Soziale<br />

Schichten sind Personengruppen, die sich hinsichtlich zentraler sozio-demografischer Merkmale wie<br />

Einkommen, Vermögen, Ausbildung und beruflicher Stellung in einer vergleichbaren Lage befinden.<br />

Soziale Schicht ist somit zum einen ein soziologisches Konstrukt zur Beschreibung gesellschaftlicher<br />

Differenzierung, das anhand der genannten Indikatoren gemessen wird. Auf diese Weise kann die<br />

Bevölkerung anhand von Quintilen des Schichtindex in eine Oberschicht, eine obere, mittlere und<br />

untere Mittelschicht und eine Unterschicht eingeteilt werden. Zum anderen ermöglicht dieses<br />

Konstrukt, wichtige Aspekte der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu erfassen: Schichtspezifisch<br />

verteilte Lebensstile und Lebenschancen und damit sozial ungleich verteilte Gesundheitsressourcen<br />

und -risiken.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 75


sundheitsbedürfnisse und die Gesundheitsprobleme der Frauen und Männer, welche in<br />

der <strong>Schweiz</strong> in materieller Armut leben, ist bislang noch wenig bekannt. Im Folgenden<br />

werden die wichtigsten Daten 37 dargestellt und analysiert. Dabei erweisen sich Einkommen<br />

und Geschlecht als entscheidende Determinanten von Gesundheit.<br />

Subjektive Gesundheit<br />

Frauen und Männer in der niedrigsten Einkommensgruppe fühlen sich häufiger durch<br />

krankheitsbedingte psychische und physische Beschwerden in ihren alltäglichen Aktivitäten<br />

eingeschränkt als Frauen und Männer in der höchsten Einkommensgruppe. Dabei<br />

fühlt sich innerhalb aller Einkommensgruppen ein grösserer Anteil an Frauen als an Männern<br />

eingeschränkt (vgl. Tabelle 3.1-9).<br />

Tabelle 3.1-9: Anteil der Frauen und Männer, deren Alltag aufgrund eines länger als ein Jahr andauernden<br />

psychischen oder physischen Problems eingeschränkt ist, nach Einkommen, in Prozent (<strong>Schweiz</strong>erische<br />

Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Äquivalenz-<br />

Haushaltseinkommen<br />

(in CHF)<br />

Länger andauerndes<br />

psychsches/<br />

physisches<br />

Problem<br />

Frauen Männer<br />

Bis<br />

2400<br />

2400–<br />

3055<br />

3055–<br />

4000<br />

4000–<br />

5333<br />

5333<br />

und<br />

mehr<br />

Bis<br />

2400<br />

2400–<br />

3055<br />

3055–<br />

4000<br />

4000–<br />

5333<br />

5333<br />

und<br />

mehr<br />

22,2% 20,2% 18,3% 17,6% 15,9% 18,6% 18,7% 15,3% 15,5% 12,2%<br />

Ähnliche Muster zeigen sich hinsichtlich des psychischen Wohlbefindens. Auch wenn<br />

dies innerhalb der <strong>Schweiz</strong>er Bevölkerung insgesamt hoch ist, lassen sich beträchtliche<br />

Unterschiede zwischen den Einkommensgruppen feststellen: Bei beiden Geschlechtern<br />

verschlechtert sich das psychische Wohlbefinden mit abnehmendem Einkommen, wobei<br />

die Unterschiede zwischen den Einkommensgruppen grösser sind als die Geschlechterunterschiede<br />

(vgl. Tabelle 3.1-10).<br />

37 Sofern hierzu auf die <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002 zurückgegriffen wird, erfolgt die<br />

Einteilung der Befragten entsprechend ihrem Äquivalenz-Haushaltseinkommen in fünf gleich grossen<br />

Gruppen (Quintile); verglichen wird jeweils das oberste (ab 5333 CHF Äquivalenzeinkommen) mit<br />

dem untersten Quintil (weniger als 2400 CHF Äquivalenzeinkommen).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 76


Tabelle 3.1-10: Anteil der Frauen und Männer mit hohem und niedrigem psychischen Wohlbefinden nach<br />

Einkommen, in Prozent (<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<br />

<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Äquivalenz-<br />

Haushaltseinkommen<br />

(in CHF)<br />

Sehr hohes<br />

psych. Wohlbefinden<br />

Eher hohes<br />

psych. Wohlbefinden<br />

Niedriges<br />

psych. Wohlbefinden<br />

Frauen Männer<br />

Bis<br />

2400<br />

2400–<br />

3055<br />

3055–<br />

4000<br />

4000–<br />

5333<br />

5333<br />

und<br />

mehr<br />

Bis<br />

2400<br />

2400–<br />

3055<br />

3055–<br />

4000<br />

4000–<br />

5333<br />

5333<br />

und<br />

mehr<br />

50,1% 54,3% 57,2% 61,5% 61,4% 50,7% 53,9% 58,8% 61,0% 63,0%<br />

36,8% 35,0% 34,5% 33,5% 32,5% 39,9% 37,8% 35,0% 33,4% 32,6%<br />

6,7% 5,0% 4,5% 2,7% 3,3% 5,4% 4,5% 3,7% 3,6% 3,6%<br />

Zur Erklärung der Geschlechterunterschiede wird diskutiert, dass armutsbetroffene Frauen<br />

in ihrer Biographie und in ihrer aktuellen Lebenssituation oft höheren Belastungen,<br />

Gewalterfahrungen und kritischen Lebensereignissen ausgesetzt sind als Männer. Als<br />

Folgen werden Depressivität, Stress und Angststörungen beschrieben (Meier, 2003).<br />

Diese Befunde finden sich in der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung in Bezug auf<br />

die Häufigkeit von Symptomen wie Niedergeschlagenheit und Nervosität bestärkt: Frauen<br />

berichten in allen Altersgruppen häufiger über Niedergeschlagenheit als Männer. Die<br />

höchsten Quoten derjenigen, die sich ständig niedergeschlagen fühlen, finden sich bei<br />

Frauen in der untersten Einkommensgruppe – ihr Anteil beträgt 8,3%. Auch bei den<br />

Männern findet sich der höchste Anteil an denjenigen, die sich ständig niedergeschlagen<br />

fühlen, innerhalb der untersten Einkommensgruppe und beträgt 5,9% (vgl. Tabelle<br />

3.1-11).<br />

Tabelle 3.1-11: Häufigkeit von Niedergeschlagenheit bei Frauen und Männern nach Einkommen, in Prozent<br />

(<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Äquivalenz-<br />

Haushaltseinkommen<br />

(in CHF)<br />

Nie niedergeschlagen<br />

Manchmal (1- bis<br />

2-mal pro Woche)<br />

niedergeschlagen<br />

Oft bzw. immer<br />

(3-mal und mehr<br />

pro Woche) niedergeschlagen<br />

Frauen Männer<br />

Bis<br />

2400<br />

2400–<br />

3055<br />

3055–<br />

4000<br />

4000–<br />

5333<br />

5333<br />

und<br />

mehr<br />

Bis<br />

2400<br />

2400–<br />

3055<br />

3055–<br />

4000<br />

4000–<br />

5333<br />

5333<br />

und<br />

mehr<br />

60,0% 61,2% 65,5% 69,1% 71,6% 61,6% 61,4% 67,2% 71,6% 69,3%<br />

23,8% 26,5% 23,8% 22,8% 21,2% 18,2% 23,2% 20,1% 18,7% 21,7%<br />

8,3% 8,3% 6,8% 5,1% 4,3% 5,9% 5,6% 4,6% 3,1% 3,9%<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 77


Hierbei gilt es zu bedenken, dass «Niedergeschlagenheit» vor allem von und bei Frauen<br />

als Äusserung psychischer Befindlichkeitsstörungen bezeichnet wird. Symptome wie<br />

Gereiztheit und Ärgerlichkeit, die möglicherweise eher auf Männer zutreffen, bzw. von<br />

diesen empfunden werden, werden in Gesundheitsbefragungen nicht erhoben. Es ist<br />

daher möglich, dass die vorliegenden Daten für den Bereich der psychischen Befindlichkeitsstörungen<br />

ein für Frauen und Männer je spezifisch verzerrtes Bild ergeben (Camenzind<br />

& Meier, 2004).<br />

Ähnlich verhält es sich mit nervösen Verstimmungen, die in der Bevölkerung häufiger<br />

genannt werden als depressive Gefühlslagen. Auch hier fühlen sich diejenigen der unteren<br />

Einkommensgruppen am meisten beeinträchtigt, die Geschlechterunterschiede fallen<br />

weniger prägnant, aber ebenfalls zu Ungunsten der Frauen aus (vgl. Tabelle 3.1.-12).<br />

Tab. 3.1-12: Häufigkeit von Nervosität bei Frauen und Männern nach Einkommen, in Prozent (<strong>Schweiz</strong>erische<br />

Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Äquivalenz-<br />

Haushaltseinkommen<br />

(in CHF)<br />

Nie nervös und<br />

angespannt<br />

Manchmal (1- bis<br />

2-mal pro Woche)<br />

nervös und angespannt<br />

Oft bzw. immer<br />

(3-mal und mehr<br />

pro Woche) nervös<br />

und angespannt<br />

Frauen Männer<br />

Bis<br />

2400<br />

2400–<br />

3055<br />

3055–<br />

4000<br />

4000–<br />

5333<br />

5333<br />

und<br />

mehr<br />

Bis<br />

2400<br />

2400–<br />

3055<br />

3055–<br />

4000<br />

4000–<br />

5333<br />

5333<br />

und<br />

mehr<br />

47,9% 50,4% 52,2% 49,8% 55,3% 45,7% 48,0% 52,5% 52,3% 52,3%<br />

32,0% 35,3% 35,3% 36,1% 31,8% 31,5% 32,1% 30,6% 31,9% 33,7%<br />

11,6% 9,6% 8,5% 10,4% 9,8% 10,0% 9,0% 8,8% 8,9% 8,6%<br />

Kontrollüberzeugung und Soziale Unterstützung<br />

Die Überzeugung einer Person, das eigene Leben selbst bestimmen und bewältigen zu<br />

können, wird als Kontrollüberzeugung bezeichnet. Hohe Kontrollüberzeugung ist mit<br />

besserer Gesundheit, höherer Lebenszufriedenheit und weniger depressiven Verstimmungen<br />

verbunden als geringe Kontrollüberzeugung (Buser, Schneller & Wildgrube,<br />

2003). Der Grad an Kontrollüberzeugung ist sowohl vom Alter, vom Geschlecht sowie<br />

von der Höhe des Einkommens abhängig. Es zeigt sich über alle Einkommensgruppen<br />

hinweg, dass das Ausmass an Kontrollüberzeugung hinsichtlich Gesundheit bei Männern<br />

grösser ist als bei Frauen. Darüber hinaus steigt mit zunehmendem Einkommen auch der<br />

Anteil an Frauen und Männern mit hoher Überzeugung, selbst etwas für die Gesundheit<br />

tun zu können (vgl. Tabelle 3.1-13).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 78


Tabelle 3.1-13: Anteil der Frauen und Männer mit tiefer, mittlerer und hoher Kontrollüberzeugung, nach<br />

Einkommen, in Prozent (<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<br />

<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Äquivalenz-<br />

Haushaltseinkommen<br />

(in CHF)<br />

Starke Kontrollüberzeugung<br />

Mittlere Kontrollüberzeugung<br />

Schwache Kontrolüberzeugung<br />

Frauen Männer<br />

Bis 2400 2400–<br />

3055<br />

3055–<br />

4000<br />

4000–<br />

5333<br />

5333<br />

und<br />

mehr<br />

Bis<br />

2400<br />

2400–<br />

3055<br />

3055–<br />

4000<br />

4000–<br />

5333<br />

5333<br />

und<br />

mehr<br />

29,7% 30,4% 34,2% 33,4% 38% 34,8% 34,5% 40,8% 42,2% 42,3%<br />

25,2% 34,2% 36,0% 36,7% 35,6% 31,4% 35,0% 34,4% 36,4% 36,9%<br />

21,5% 18,5% 17,7% 17,9% 15,4% 20,2% 19,8% 16,6% 15,2% 14,5%<br />

Vertrauensvolle Beziehungen sind ein wichtiger Indikator für die soziale Integration. Wer<br />

eine Person kennt, mit der sich Probleme offen besprechen lassen, verfügt über eine<br />

bessere Gesundheit (Jungbauer-Gans, 2002). Gemäss der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung<br />

haben drei Fünftel der Befragten zwei und mehr Personen, die sie als<br />

sehr wichtig betrachten, ein Viertel hat nur eine Vertrauensperson, 5% haben keine. Das<br />

Vorhandensein von Vertrauenspersonen ist sowohl vom Geschlecht als auch von der<br />

Einkommensklasse abhängig. Insgesamt geben mehr Frauen als Männer an, mehrere<br />

Vertrauenspersonen zu haben (66,3% versus 55,0%) und es verfügen 5,5% der befragten<br />

Männer sowie 3,9% der befragten Frauen über keine Vertrauensperson. Diese Geschlechterunterschiede<br />

zeigen sich auch beim Verglich der Einkommensgruppen, wobei<br />

diejenigen mit dem niedrigsten Einkommen über weniger Vertrauenspersonen verfügen<br />

als diejenigen mit hohem Einkommen (vgl. Tabelle 3.1-14).<br />

Tabelle 3.1-14: Anteil der Frauen und Männer, die über mehrere, eine oder keine Vertrauenspersonen<br />

verfügen, nach Einkommen, in Prozent (<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung<br />

für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Äquivalenz-<br />

Haushaltseinkommen<br />

(in CHF)<br />

2 und mehr Vertrauenspersonen<br />

Frauen Männer<br />

Bis<br />

2400<br />

2400–<br />

3055<br />

3055–<br />

4000<br />

4000–<br />

5333<br />

5333<br />

und<br />

mehr<br />

Bis<br />

2400<br />

2400–<br />

3055<br />

3055–<br />

4000<br />

4000–<br />

5333<br />

5333<br />

und<br />

mehr<br />

58,7% 62,3% 67,2% 70,6% 72,7% 46,9% 49,6% 54,5% 62,3% 61,9%<br />

1 Vertrauensperson 29,1% 29,3% 25,3% 22,9% 17,3% 31,4% 35,0% 33,1% 28,2% 28,4%<br />

Keine Vertrauensperson<br />

4,2% 4,5% 4,0% 3,7% 3,3% 8,2% 6,7% 4,7% 3,3% 4,4%<br />

Gesundheitsverhalten und Gesundheitsorientierung<br />

Für vier Fünftel der <strong>Schweiz</strong>er Bevölkerung nimmt Gesundheit einen zentralen Stellenwert<br />

ein. Sie machen sich regelmässig Gedanken über ihre Gesundheit. Bei den Frauen<br />

sind dies 89%, bei den Männern 85%. Innerhalb der untersten Einkommensgruppen<br />

machen sich etwas mehr als 80% der Befragten Gedanken über ihre Gesundheit, bei<br />

den obersten Einkommensgruppen sind es sogar 90%.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 79


Die individuelle Lebensweise beeinflusst den Gesundheitszustand wesentlich. Bei den<br />

Ernährungsgewohnheiten zeigen sich auch deutliche Geschlechterunterschiede: Vier<br />

Fünftel der Frauen achten auf gesunde Ernährung, bei den Männern sind es drei Fünftel.<br />

Je niedriger das Einkommen, desto weniger achten die Befragten auf eine gesunde Ernährung.<br />

Dies trifft vorwiegend auf die Männer zu. In den untersten Einkommensschichten<br />

achten 45% der Männer und 27% der Frauen nicht auf eine gesunde Ernährung. Bei<br />

den höchsten Einkommensgruppen verkleinert sich dieser Geschlechterunterschied<br />

(Männer 28%, Frauen 20%).<br />

Neben den Ernährungsgewohnheiten beeinflussen regelmässige sportliche Aktivitäten<br />

den Gesundheitszustand. Frauen treiben weniger Sport als Männer, betätigen sich dafür<br />

aber körperlich eher im Alltag (Haushalt, Transportwege zu Fuss und mit dem Velo). Die<br />

sportliche Betätigung steigt mit dem Einkommen kontinuierlich an, bei den untersten<br />

Einkommensgruppen ist der Anteil der Personen am höchsten, die keinen Sport betreiben<br />

(43%).<br />

Auch der Konsum von Tabak wird durch Geschlecht und soziale Schicht bestimmt. So<br />

rauchen innerhalb der untersten Einkommensgruppen überdurchschnittlich viele Männer<br />

(48%) und Frauen (37%), (der <strong>Schweiz</strong>er Durchschnitt liegt bei 36% bei den Männern<br />

und knapp 26% bei den Frauen).<br />

Inanspruchnahme gesundheitlicher Leistungen<br />

Wenn Frauen der untersten Einkommensgruppe den grössten Anteil an gesundheitlichen<br />

Problemen haben, wäre zu erwarten, dass sie auch überdurchschnittlich viele Leistungen<br />

im Gesundheitsversorgungssystem beanspruchen. Gemäss den Daten der <strong>Schweiz</strong>erischen<br />

Gesundheitsbefragung ist dies nicht so. Frauen mit niedrigem Einkommen<br />

beanspruchen seltener eine ambulante ärztliche Behandlung als Frauen mit höheren<br />

Einkommen. Bei den Männern zeigt sich dagegen umgekehrt, dass sich sozioökonomisch<br />

benachteiligte Männer häufiger in ambulante ärztliche Behandlung begeben als<br />

sozial besser gestellte Männer (vgl. Tabelle 3.1-15).<br />

Tabelle 3.1-15: Anteil der Frauen und Männer, die im Zeitraum eines Jahres wegen eines gesundheitlichen<br />

Problems bei einem Arzt bzw. einer Ärztin in Behandlung waren, nach Einkommen, in Prozent<br />

(<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Äquivalenz-<br />

Haushaltseinkommen<br />

(in CHF)<br />

Behandlung wegen<br />

gesundheitlichem<br />

Problem<br />

Frauen Männer<br />

Bis<br />

2400<br />

2400–<br />

3055<br />

3055–<br />

4000<br />

4000–<br />

5333<br />

5333<br />

und<br />

mehr<br />

Bis<br />

2400<br />

2400–<br />

3055<br />

3055–<br />

4000<br />

4000–<br />

5333<br />

5333<br />

und<br />

mehr<br />

79,6% 83,0% 82,4% 84,2% 84,2% 74,7% 73,9% 73,5% 72,4% 72,2%<br />

Hier zeigt sich auch, dass über alle Einkommensgruppen hinweg mehr Frauen als Männer<br />

bei einem Arzt bzw. einer Ärztin in Behandlung sind. Allerdings suchen Frauen nicht<br />

nur krankheitsbedingt ärztliche Hilfe auf, sondern auch im Rahmen von Schwangerschaftsbetreuung<br />

und -verhütung. Aufgrund der fehlenden Differenzierung nach FachärztInnen<br />

kann dieser Anteil hier nicht eingeschätzt werden.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 80


Fazit<br />

Zusammenfassend zeigt sich aus der Perspektive von Public Health Handlungsbedarf in<br />

folgenden Bereichen:<br />

− Bei der Zugänglichkeit von Angeboten der gesundheitlichen Versorgung – vor allem<br />

für von Armut betroffenen Frauen,<br />

− bei der Entwicklung von geschlechtersensiblen Präventionsangeboten für sozial<br />

Benachteiligte und<br />

− in der Verbesserung der psychosozialen Gesundheit von sozioökonomisch<br />

Benachteiligten – verstärkt bei Frauen, aber auch gezielt bei Männern.<br />

Um das Ziel der gesundheitlichen Chancengleichheit zu erreichen, müssen die Ursachen<br />

sozioökonomisch bedingter Ungleichheit in der Gesundheit erkannt werden und zu ihrem<br />

Ausgleich sind sowohl sozialpolitische wie gesundheitspolitische Massnahmen nötig<br />

(BAG, 2004).<br />

Literatur<br />

Achermann, C. & Efionayi-Mäder, D. (2003). Leben ohne Bewilligung in der <strong>Schweiz</strong>: Auswirkungen<br />

auf den sozialen Schutz. Bern: Bundesamt für Sozialversicherung.<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit (2002). Migration und Gesundheit. Strategische Ausrichtung des<br />

Bundes 2002–<strong>2006</strong>. Bern: BAG.<br />

Bauer, T., Strub, S. & Stutz, H. (2004). Familien, Geld und Politik. Von den Anforderungen an eine kohärente<br />

Familienpolitik zu einem familienpolitischen Dreisäulenmodell für die <strong>Schweiz</strong>.<br />

Nationales Forschungsprogramm 45. Zürich/Chur: Rüegger.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2005). Statistisches Jahrbuch der <strong>Schweiz</strong> 2005. Zürich:<br />

Verlag Neue Züricher Zeitung.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2004). Ausländerinnen und Ausländer in der <strong>Schweiz</strong>: Bericht 2004.<br />

Neuchâtel: Bundesamt für Statistik.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (1998). Migration und ausländische Bevölkerung in der <strong>Schweiz</strong> 1997.<br />

Neuchâtel: Bundesamt für Statistik.<br />

Bischoff, A. & Wanner, P. (2004). Ein Gesundheitsmonitoring von Migrantinnen: Sinnvoll? Machbar?<br />

Realistisch? Neuchâtel: <strong>Schweiz</strong>erisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien.<br />

Buser, K., Schneller, T. & Wildgrube, K. (2003). Kurzlehrbuch Medizinische Psychologie – Medizinische<br />

Soziologie. 5. Auflage. München: Urban & Fischer.<br />

Butterwegge, C., Holm, K., Imholz, B., Klundt, M., Michels, C., Schulz, U., Wuttke, G., Zander, M., Zeng,<br />

M. (2004). Armut und Kindheit. Ein regionaler, nationaler und internationaler Vergleich.<br />

2. Auflage. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.<br />

Calloni, M. & Lutz, H. (2000). <strong>Gender</strong>, migration and social inequality: The dilemmas of european citizenship.<br />

In S. Duncan & B. Pfau-Effinger (Eds.), <strong>Gender</strong>, economy and culture: The european<br />

union (pp. 143–170). London: Routledge.<br />

Camenzind, P. & Meier, C. (Hrsg.). Gesundheitskosten und Geschlecht. Eine genderbezogene Datenanalyse<br />

für die <strong>Schweiz</strong>. Bern: Huber.<br />

Ecoplan (2004). Verteilung des Wohlstands in der <strong>Schweiz</strong>. Eidgenössische Steuerverwaltung, Bern.<br />

Efionayi-Mäder, D. & Chimienti, M. (2003). Migration und Gesundheit: Eine sozialpolitische Orientierung.<br />

In Caritas (Hrsg.), Sozialalmanach 2003: Gesundheit – eine soziale Frage (S. 155–172).<br />

Luzern: Caritas.<br />

Gesellschaft für praktische Sozialforschung (2005). Sans Papiers in der <strong>Schweiz</strong>: Arbeitsmarkt, nicht<br />

Asylpolitik ist entscheidend. Bern: Bundesamt für Migration.<br />

Gubéran, E. & Usel, M. (2000). Mortalité prématurée et invalidité selon la profession et la classe sociale à<br />

Genève. Genf: Office cantonal de l'inspection et des relations du travail (OCIRT).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 81


Hunkeler, B. & Müller, E. (2004). Aufenthaltsstatus und Gesundheit: Eine ressourcenorientierte qualitative<br />

Untersuchung zur Unsicherheit des Aufenthaltsstatus im Zusammenhang mit der<br />

psychosozialen Gesundheit bei Migrantinnen in der Stadt Zürich. Unpublished Lizentitatsarbeit<br />

und Forschungsbericht im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit, Universität<br />

Zürich, Zürich.<br />

Jungbauer-Gans, M. (2002). Ungleichheit, soziale Beziehungen und Gesundheit. Wiesbaden:<br />

Westdeutscher Verlag.<br />

Kieselbach, T. (1996). Arbeitslosigkeit und Gesundheit. In V. Faust (Hrsg.), Psychiatrie. Ein Lehrbuch<br />

für Klinik, Praxis und Beratung (S. 501–508). Stuttgart: Gustav Fischer.<br />

Leu, R. E., Burri, S. & Priester, T. (1997). Lebensqualität und Armut in der <strong>Schweiz</strong>. Bern: Haupt.<br />

Mäder, U. & Schmassmann, H. (2004). Theoretische Bezüge. In S. Kutzner, U. Mäder & C. Knöpfel<br />

(Hrsg.), Working Poor in der <strong>Schweiz</strong> – Wege aus der Sozialhilfe. Eine Untersuchung über<br />

Lebensverhältnisse und Lebensführung Sozialhilfe beziehender Erwerbstätiger (S. 21–38).<br />

Nationales Forschungsprogramm 45. Zürich: Rüegger.<br />

Mäder, U., Biedermann, F., Fischer, B. & Schmassmann, H. (1991). Armut im Kanton Basel-Stadt. Social<br />

Strategies, 23. Basel.<br />

Meier, C. (2003). Sozioökonomische Benachteiligung und Gesundheit bei Frauen. In Caritas (Hrsg.),<br />

Gesundheit – eine soziale Frage. Sozialalmanach (S. 81–95). Luzern: Caritas.<br />

Obsan – <strong>Schweiz</strong>erisches Gesundheitsobservatorium (2004). Gesundheitsmonitoring nach Indikatoren.<br />

www.obsan.ch<br />

<strong>Schweiz</strong>er Städteinitiative (2002). Kennzahlenvergleich Sozialhilfe in <strong>Schweiz</strong>er Städten, Berichtsjahr<br />

2001. Verfügbar unter: http://www.staedteinitiative.ch/de/pdf/Geschaeftsbericht_2003.pdf<br />

<strong>Schweiz</strong>erische Gesellschaft für Ernährung (2005). State-of-the-Art-Bericht «Fast Food und Gesundheit».<br />

Wie wirkt sich der regelmässige Konsum von Schnellgerichten auf unsere Gesundheit<br />

aus? Bern: Bundesamt für Gesundheit. Verfügbar unter:<br />

http://www.bildungundgesundheit.ch/dyn/bin/83867-83869-1state_of_the_art_fast_food.pdf<br />

Sieber, C. (2001). Verhütung und Schwangerschaftsabbruch bei Migrantinnen. In D. Domenig (Hrsg.),<br />

Professionelle transkulturelle Pflege (S. 341–359). Bern: Hans Huber.<br />

Siegrist, J. (2005). Ergebnisse des Forschungsprogramms «Soziale Ungleichheit von Gesundheit und<br />

Krankheit in Europa». Referat auf dem 108. Deutschen Ärztetag 2005 in Berlin. Verfügbar<br />

unter: http://www.bundesaerztekammer.de/30/Aerztetag/108_DAET/24Referate/<br />

Top04Siegrist.html<br />

SGPG – <strong>Schweiz</strong>erische Gesellschaft für Prävention und Gesundheitswesen (Hrsg.) (2002). Gesundheitsziele<br />

für die <strong>Schweiz</strong>. Gesundheit für alle im 21. Jahrhundert (WHO Europa). Bern.<br />

Streuli, E. & Bauer, T. (2002). Die Working Poor in der <strong>Schweiz</strong>. Konzepte, Ausmass und Problemlagen<br />

aufgrund der Daten der <strong>Schweiz</strong>erischen Arbeitskräfteerhebung. Neuchâtel: Bundesamt<br />

für Statistik.<br />

Vranjes, N., Bisig, B. & Gutzwiller, F. (1995). Gesundheit der Ausländer in der <strong>Schweiz</strong>:<br />

<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 1992/93 des Bundesamtes für Statistik. Bern.<br />

Weiss, R. (2003). Macht Migration krank? Eine transdisziplinäre Analyse der Gesundheit von<br />

Migrantinnen und Migranten. Zürich: Seismo.<br />

Wicker, H.R., Fibbi, R. & Haug, W. (Hrsg.) (2003). Migration und die <strong>Schweiz</strong>. Zürich: Seismo.<br />

Wolff, H., Stalder, H., Epiney, M., Walder, A., Irion, O. & Morabia, A. (2005). Health care and illegality:<br />

A survey of undocumented pregnant immigrants in geneva. Social Science & Medicine,<br />

60, 2149–2154.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 82


3.2. Reproduktive Gesundheit und ein gesunder<br />

Lebensanfang<br />

Linda Nartey und Nicole Graf<br />

Ziel 3: Ein gesunder Lebensanfang<br />

Bis zum Jahr 2020 sollten sich alle Neugeborenen, Säuglinge und Kinder im Vorschulalter<br />

in der Region einer besseren Gesundheit erfreuen, damit sie ihr Leben gesund beginnen<br />

können.<br />

Dieses Kapitel nimmt das Ziel «Ein gesunder Lebensanfang» als Ausgangspunkt, das<br />

seinen Fokus vor allem auf die Neugeborenen, Säuglinge und Kinder im Vorschulalter<br />

legt. Für das folgende Kapitel wurde diese Ausrichtung um den Aspekt der reproduktiven<br />

Gesundheit erweitert, also um Familienplanung, Schwangerschaft, Geburt, übertragbare<br />

Krankheiten sowie psychosozialer Gesundheit gesammelt und betrachtet. Reproduktive<br />

Gesundheit wird von der International Conference on Population and Development der<br />

WHO unter Bezug auf die WHO-Gesundheitsdefinition definiert als ein Zustand vollkommenen<br />

physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur als Abwesenheit<br />

von Krankheit oder Gebrechlichkeit in Zusammenhang mit dem reproduktiven<br />

System, seinen Funktionen und Prozessen betrachtet (United Nations, 1994).<br />

3.2.1. Geburtenrate und Säuglingssterblichkeit<br />

Geburtenrate<br />

Die Zahl der Lebendgeburten pro Jahr ist zwischen 1970 und 1979 von 99’200 auf<br />

72’000 gesunken und dann bis Mitte der 1990er-Jahre wieder bis auf 83’000 gestiegen.<br />

Seither ist aber wieder ein kontinuierlicher Rückgang der jährlichen Geburtenzahlen auf<br />

71’800 in 2003 zu verzeichnen (BFS, 2005a), und es wird geschätzt, dass der sinkende<br />

Trend bis ca. 2010 anhalten wird. Am stärksten abgenommen hat die Anzahl Geburten<br />

bei den Frauen unter 25 Jahren: Die Geburtenrate in dieser Altersgruppe lag im Jahre<br />

1971 bei 65 pro 1000 Frauen, im Jahre 2003 bei 20 pro 1000 Frauen. Ein schwächerer<br />

Rückgang der Geburtenrate zeigte sich bei Frauen zwischen 25 und 34 Jahren, hier ging<br />

die Geburtenzahl von 114 (1971) auf 91 (2003) pro 1000 Frauen zurück. Zugenommen<br />

hat die Geburtenzahl bei Frauen über 35 Jahren von 17 (1971) auf 19 (2003) Kinder pro<br />

1000 Frauen. Der Zeitpunkt der Geburten hat sich somit in der fruchtbaren Lebensphase<br />

der Frau nach hinten verschoben. Dies zeigt auch das Durchschnittsalter der (verheirateten)<br />

Frauen bei Geburt des ersten Kindes, das 1970 bei 25,3 Jahren und 2003 bei 29,1<br />

Jahren lag (BFS, 2005a, <strong>Schweiz</strong>erisches Gesundheitsobservatorium, 2004).<br />

Die Abnahme der Geburtenrate war bei Frauen schweizerischer und ausländischer Herkunft<br />

gleichermassen markant und führte zu einer Abschwächung der Differenz zwischen<br />

den beiden Gruppen in den 1980er-Jahren. Ab Ende der1980er-Jahre entwickelte<br />

sich dann eine neue Dynamik: Während sich die Geburtenrate der ausländischen Frauen<br />

schrittweise erhöhte, setzte bei den <strong>Schweiz</strong>erinnen erneut ein Abwärtstrend ein. Dieser<br />

Unterschied lässt sich mit zwei Faktoren erklären: Mit der grösseren Zahl von Asylbewerberinnen<br />

im Laufe der 1990er-Jahre und mit dem neuen Bürgerrechtsgesetz von<br />

1992, das eine erleichterte Einbürgerung erst nach einer Wartefrist von drei Jahren vor-<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 83


sieht, während eine Ausländerin früher durch die Heirat mit einem <strong>Schweiz</strong>er automatisch<br />

eingebürgert worden war. 2003 war die Geburtenhäufigkeit bei Ausländerinnen 1,9<br />

und 1,2 bei <strong>Schweiz</strong>erinnen, die zusammengefasste Geburtenziffer (durchschnittliche<br />

Anzahl geborener Kinder je Frau) betrug 1,39. Der Anteil nicht ehelicher Geburten hat seit<br />

Ende der 1970er-Jahre von 4% über 6,4% (1994) auf 10% (2000) konstant zugenommen.<br />

Trotz dieser markanten Zunahme gehört die <strong>Schweiz</strong> innerhalb Europas zu den<br />

Ländern mit dem geringsten Anteil nicht ehelicher Geburten (BFS, 2005a, <strong>Schweiz</strong>erisches<br />

Gesundheitsobservatorium, 2004).<br />

Zwischen 1980 und 2000 wuchs der Anteil der Zwillingsgeburten um rund 30% (1980:<br />

19,9‰; 2000: 27,2‰). Der Anteil der Mehrlingsgeburten mit mindestens Drillingen hat<br />

sich verdoppelt (1980: 0,6‰; 2000: 1,2‰). Für diese Entwicklung dürfte zum Teil die<br />

häufigere medizinisch unterstützte Fortpflanzung verantwortlich sein (<strong>Schweiz</strong>erisches<br />

Gesundheitsobservatorium, 2004). Über die Inanspruchnahme reproduktionsmedizinischer<br />

Verfahren liegen in der <strong>Schweiz</strong> keine belastbaren Daten vor. Es wird geschätzt,<br />

dass Infertilität bei 12% bis 15% aller Paare einmal im Leben auftritt. Die Ursachen dafür<br />

sind zu ungefähr gleichen Teilen auf Störungen der Fortpflanzungsfähigkeit bei Frauen<br />

und Männern zurückzuführen. Bei 10% bis 20% kann die Ursache nicht geklärt werden<br />

(Hohl, 2003).<br />

Säuglingssterblichkeit: Geschlechterdifferenzierende Zahlen<br />

Die Säuglingssterblichkeit ist seit 1995 mit 5,0 je 1000 Lebendgeborene relativ stabil<br />

geblieben und beträgt 2003 4,3 je 1000 Lebendgeborene (BFS, 2005a). Die Sterblichkeit<br />

der Knaben liegt nach wie vor über jener der Mädchen, 1995: 5,6 Knaben und 4,4 Mädchen,<br />

2003: 4,5 Knaben und 4,1 Mädchen je 1000 Lebendgeborene. Die Sterblichkeit<br />

von Säuglingen schweizerischer Mütter ist niedriger (4,2) als jene von Säuglingen ausländischer<br />

Mütter (4,7), (vgl. Tabelle 3.2-1).<br />

Tabelle 3.2-1: Säuglingssterblichkeit (Todesfälle je 1000 Lebendgeborene) von 1970 bis 2003 nach<br />

Geschlecht und Herkunft der Mutter (BFS, 2005a)<br />

1970 1980 1990 2000 2001 2002 2003<br />

Total 15,0 9,1 6,8 4,9 5,0 4,5 4,3<br />

Mädchen 12,9 7,7 6,3 4,4 4,4 4,1 4,1<br />

Knaben 17,1 10,4 7,4 5,3 5,6 4,9 4,5<br />

Mutter <strong>Schweiz</strong>erin 14,6 8,8 6,5 4,8 4,8 4,2 4,2<br />

Mutter Ausländerin 16,2 10,3 8,1 5,2 5,6 5,3 4,7<br />

3.2.2. Familienplanung und Kontrazeption<br />

Angebot und Nutzung von Beratungsangeboten zu Familienplanung<br />

Das Inventar der Familien- und Schwangerschaftsberatungsstellen von 2004 (BAG, 2004)<br />

zeigt, dass alle Kantone mindestens eine Beratungsstelle betreiben oder eine solche mit<br />

subventionieren. Es bestehen jedoch Unterschiede in der regionalen Ansiedlungsdichte,<br />

der geographischen Erreichbarkeit wie auch in der Beratungspraxis und im Angebot der<br />

Dienste. So sind Randregionen zwar besser mit Informationen versorgt als früher, doch<br />

der Zugang und die Beratungsmöglichkeiten sind in den verschiedenen Bevölkerungsschichten<br />

ungleich verteilt (Klaue, Spencer & Balthasar, 2002).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 84


Während früher die Aufklärung über Sicherheit und Anwendung verschiedener Verhütungsmittel,<br />

insbesondere der «Pille», sowie die Beratung zur Familienplanung im<br />

Zentrum der Aufgaben standen, sind es heute die psychosozialen Aspekte im Zusammenhang<br />

mit Verhütungsmitteln, Pränataldiagnostik, Schwangerschaftsabbruch, Hormontherapie<br />

usw. Um diese Aufgaben und weitere im Bereich sexuell übertragbarer<br />

Krankheiten, genderspezifischer Prävention sowie Migration und Gesundheit zu erfüllen,<br />

müssen die fachlichen Kompetenzen und die Angebotspalette erweitert werden. Das<br />

Postulat Genner (2000) 38 fordert den Bundesrat auf, ein Konzept vorzulegen, das aufzeigt,<br />

wie ein umfassendes Angebot zu Fragen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit<br />

bereitgestellt werden kann (Klaue, Spencer & Balthasar, 2002; BAG, 2003).<br />

Kontrazeption<br />

Bezogen auf die Wohnbevölkerung von 15 bis 74 Jahren im Jahr 2002 geben unter den<br />

Befragten 55% der Männer und 50% der Frauen an, irgendein Verhütungsmittel zu brauchen,<br />

während 39% der Männer und 41% der Frauen keine Empfängnisverhütung nutzen.<br />

39 Tabelle 3.2-2 gibt einen Überblick über die verwendeten Verhütungsmittel.<br />

Tabelle 3.2-2: Meistverwendete Verhütungsmittel nach Geschlecht (in Prozent der Wohnbevölkerung<br />

von 15 bis 74 Jahren, <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<br />

<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Pille Kondom Sterilisation Spirale Natürliche Verhütung<br />

Männer 19,6% 23,9% 15,1% 5,1% 2,8%<br />

Frauen 20,0% 15,8% 15,5% 5,9% 3,0%<br />

Es zeigt sich, dass in der Deutsch- und der französischen <strong>Schweiz</strong> Verhütungsmittel von<br />

mehr Personen gebraucht werden als in der italienischen <strong>Schweiz</strong>, wobei die «Pille» in<br />

der französischen <strong>Schweiz</strong> häufiger und die Sterilisation in der Deutschschweiz deutlich<br />

häufiger als in den jeweils zwei anderen untersuchten Regionen gewählt werden. Männer<br />

wählen häufiger die Sterilisation als Frauen, im Kanton Tessin ist das Verhältnis jedoch<br />

umgekehrt, mehr Frauen als Männer wählten hier die Sterilisation.<br />

Neben Alter und regionalen Aspekten spielt auch der Bildungsgrad bei der Verhütungsaufnahme<br />

eine Rolle, so steigt die Verhütungsprävalenz mit zunehmendem Bildungsgrad.<br />

In der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung von 2002 bejahen 68,5% der Männer und<br />

71% der Frauen im Alter zwischen 15 und 34 ein Verhütungsmittel zu brauchen, und<br />

65% der Männer und 67% der Frauen im Alter zwischen 35 und 49 Jahren. Diese Zahlen<br />

sind gegenüber der Befragung von 1997 höher, damals waren es 46% der Männer und<br />

54% der Frauen der 15- bis 49-Jährigen (zu Sexualkontakten und Verhütungsverhalten im<br />

Jugendalter siehe Kapitel 3.3 Gesundheit junger Menschen).<br />

Bei den 15- bis 34-Jährigen geben 53% der Befragten an, die Pille zu brauchen, 47%<br />

brauchen Kondome, 7% die Spirale und 5% natürliche Methoden (mehrere Methoden<br />

pro Person möglich). Bei den 35- bis 49-Jährigen verwenden 22% die «Pille», 13% die<br />

Spirale, 24% Kondome, 35% Sterilisation und 6% natürliche Methoden (BFS, 2002).<br />

Ausser in der Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen wird die Sterilisation etwas häufiger<br />

von Männern als von Frauen «angewendet», und deutlich mehr Frauen als Männer geben<br />

an, «natürliche Verhütungsmittel» anzuwenden (BFS, 2003).<br />

38 Postulat Genner vom 23.6.2000 (00.3364)<br />

39 6% der Männer und 9% der Frauen beantworten die Frage nicht.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 85


In jüngerem Alter wird die «Pille» als einfach zu gebrauchendes Verhütungsmittel betrachtet,<br />

mit dem gleichzeitig auch Menstruationsbeschwerden oder auch Hautprobleme<br />

zu behandeln versucht werden. Kondome werden in dieser Altersgruppe entweder alleine<br />

oder zusätzlich zu anderen Verhütungsmitteln, im Sinne einer erhöhten Sicherheit und<br />

zur Verhütung übertragbarer Krankheiten gebraucht. Zwischen 35 und 49 Jahren wird<br />

einerseits wegen Kinderwunsch auf hormonelle Verhütungsmittel verzichtet, andererseits<br />

ist ab vierzig die Verhütung mit der «Pille» aus medizinischer Sicht nicht mehr indiziert.<br />

Deshalb wird häufig die Spirale eingesetzt, bzw. bei abgeschlossener Familienplanung<br />

die Sterilisation als definitive Verhütungsmethoden gewählt.<br />

3.2.3. Schwangerschaft<br />

Schwangerschaftsvorsorge: Pränataldiagnostik<br />

Das Vorsorgenetz für Schwangere ist auf hohem Niveau und hat zur Senkung von Morbidität<br />

und Mortalität bei Mutter und Kind wesentlich beigetragen. Es lässt sich aus der<br />

Perspektive der Frauengesundheitsforschung sogar die Frage stellen, ob nicht mittlerweile<br />

eine Medikalisierung der Lebensphasen Schwangerschaft und Geburt eingetreten ist,<br />

da immer mehr Frauen als Risikoschwangere klassifiziert werden und die technikintensive<br />

Betreuung in Schwangerschaft und Geburt zu Entfremdungseffekten bei Frauen führen<br />

(Schücking, 2004, Kolip, 2000). Dies gilt insbesondere für die Pränataldiagnostik, die<br />

mittlerweile ein fester Bestandteil des medizinischen Angebotes für Schwangere ist.<br />

Pränataldiagnostik – auch pränatale Diagnostik oder vorgeburtliche Untersuchungen genannt<br />

– umfasst medizinische Untersuchungen, bei denen es darum geht, den Gesundheitszustand<br />

des ungeborenen Kindes im Mutterleib zu überprüfen. Meistens werden<br />

dabei genetisch bedingte Behinderungen gesucht. Einige Methoden bergen selber das<br />

Risiko, dass eine Fehlgeburt ausgelöst wird (z.B. Amniozentese; vgl. Kasten 3.2-1). Das<br />

bedeutet, dass jede Frau mit der Frage konfrontiert ist, ob und welche Untersuchung sie<br />

in einer Schwangerschaft durchführen lassen will. In den seltenen Fällen, wo eine genetische<br />

Erkrankung beim Ungeborenen diagnostiziert wird, steht meist keine Therapiemöglichkeit<br />

zur Wahl. Die Frau oder das Paar kann sich einzig für oder gegen ein behindertes<br />

Kind entscheiden.<br />

Viele vorgeburtliche Untersuchungen können Behinderungen erst feststellen, wenn die<br />

Schwangerschaft bereits so weit fortgeschritten ist, dass sie nur noch mittels einer<br />

künstlich eingeleiteten Geburt unterbrochen werden kann. Pränatale Diagnostik ist für die<br />

meisten Paare vor einer Schwangerschaft noch kein Diskussionsthema, und häufig ist<br />

der Vater weder bei der Beratung noch bei der Durchführung anwesend; es stellt sich die<br />

Frage, wie weit der Entscheid, pränatale Diagnostik in Anspruch zu nehmen oder nicht,<br />

grösstenteils von der Frau allein gefällt werden muss, eventuell nach Diskussion mit dem<br />

Partner zu Hause zwischen zwei ärztlichen Konsultationen. Eine Ärztin/ein Arzt wiederum<br />

gelangt in eine nicht unproblematische Doppelfunktion, indem sie/er sowohl das Angebot<br />

eröffnet und die entsprechende Beratung anbietet und andererseits die jeweiligen<br />

Untersuchungen und Methoden auch selber durchführen muss.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 86


Kasten 3.2-1: Angebote der Pränataldiagnostik<br />

Ultraschall: Die Krankenkasse übernimmt in der Regel zwei Ultraschall-Untersuchungen. Dabei werden<br />

in den verschiedenen Phasen der Schwangerschaft Grösse, Alter, Vorhandensein und Ausbildung der<br />

Extremitäten sowie der Organe bestimmt und Missbildungen erkannt. Weitere Ultraschall-Untersuchungen<br />

können auf Empfehlung der Ärztin/des Arztes durchgeführt werden und werden je nach<br />

Indikation auch von der Krankenkasse übernommen. Doppler-Ultraschall wird in der Regel im letzten<br />

Drittel der Schwangerschaft bei besonderen Situationen wie etwa bei kleinen Kindern, zu hohem mütterlichem<br />

Blutdruck, wenig Fruchtwasser, Diabetes mellitus der Mutter oder Mehrlingen durchgeführt.<br />

Mit Farbdoppler-Ultraschall können etwa kleine Fehler am Herzen leichter gefunden werden.<br />

Chromosomenuntersuchungen: Bei der Amniozentese werden ab der 13./14. Schwangerschaftswoche<br />

vom Bauch her unter Ultraschall-Kontrolle einige Milliliter Fruchtwasser entnommen. Die Chorionzottenbiopsie<br />

kann bereits ab der 11. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden. Je nach Lage des<br />

Mutterkuchens wird die Punktion der Chorionzotten vom Bauch her oder durch die Vagina durchgeführt,<br />

ebenfalls unter Ultraschall-Kontrolle. Bei den Blutanalysen, die ab der 16. Schwangerschaftswoche<br />

durchgeführt werden können, wird anhand von Hormonanalysen im Blut der Schwangeren das Risiko<br />

für eine Chromosomenstörung beim Kind berechnet. Es gibt auch Chromosomenuntersuchungen, die<br />

bereits ab der 10. bis 12. Schwangerschaftswoche möglich sind (Verein ganzheitliche Beratung und<br />

kritische Information zu pränataler Diagnostik, 2002; Hürlimann & Baumann-Hölzle, 2004).<br />

Psychische Gesundheit während und nach der Schwangerschaft<br />

Die psychische Gesundheit während der Schwangerschaft ist einerseits davon abhängig,<br />

wie die Einstellung der Frau zur Schwangerschaft ist (Wunschschwangerschaft, unerwünschte<br />

oder ambivalente Schwangerschaft, partnerschaftliche Situation usw.), und<br />

andererseits spielt auch das Ausmass an körperlichen Beschwerden eine grosse Rolle.<br />

Es gibt immer noch eine Tendenz zur Annahme, dass schwangere Frauen nur glücklich<br />

sind. Dies dürfte es für Frauen, die unter psychischen Problemen leiden, schwierig machen,<br />

diese zu adressieren. Etwas bekannter scheint das Auftreten von psychischen<br />

Beeinträchtigungen nach einer Geburt zu sein. Es dominieren drei Gruppen von Beeinträchtigungen:<br />

1. die leichteste Form, der Babyblues, eine vorübergehende Stimmungsveränderung<br />

mit Traurigkeit (Prävalenz ca. 25%); 2. die postpartale Depression, die das<br />

psychische Wohlbefinden weit stärker einschränkt und therapiebedürftig ist (Prävalenz<br />

ca. 10–15%) und 3. die postpartale Psychose 40 (Prävalenz ca. 0,01–0,02%), (Riecher-<br />

Rössler, 1997, Stähelin, Coda & Zemp, 2004, Gjerdingen & Chaloner, 1994).<br />

Die postpartalen Störungen und Krankheiten werden häufig von ÄrztInnen nicht diagnostiziert,<br />

weil die Beschwerden von den betroffenen Frauen wegen Scham- und Schuldgefühlen<br />

meist versteckt werden. Während üblicherweise die postpartale Phase auf die<br />

sechs Wochen nach einer Geburt bezogen wird, dauert sie in Wirklichkeit erheblich länger<br />

an. Zu Beginn stehen Symptome, die einen direkten Zusammenhang mit der<br />

Schwangerschaft und der Geburt oder mit dem Stillen haben, im Vordergrund. In einer<br />

späteren Phase, die bis zu einem Jahr nach der Geburt andauern kann, rücken Symptome<br />

wie Müdigkeit, Rückenschmerzen, Ängstlichkeit, Kopfschmerzen, Traurigkeit/Depression,<br />

Schlafschwierigkeiten, Libidomangel in den Vordergrund. Sozioökonomische<br />

Aspekte wie finanzielle Sorgen, schlechte Ausbildung, lediger Zivilstand oder Mangel an<br />

40 Postpartale Psychose (Wochenbettpsychose): Schwere psychische Störung im Wochenbettverlauf<br />

und darüber hinaus, tritt meist innerhalb der ersten 8 Wochen nach der Geburt auf. Symptome:<br />

extremer Stimmungsumschwung, extreme Angstzustände, Verzweiflung, Verwirrtheit, geringes<br />

Schlafbedürfnis und Schlafstörungen, starke Unruhe, Halluzinationen, Besessenheit, Wahnvorstellungen<br />

(berechtigte Angst, sich und/oder dem Kind etwas anzutun), Selbstmordgefahr.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 87


sozialer Unterstützung spielen eine grosse Rolle. Längerer Mutterschaftsurlaub und Teilzeitarbeit<br />

scheinen sich positiv auf die allgemeine Gesundheit nach einer Geburt auszuwirken.<br />

Erwerbstätigkeit, im Sinne einer Erhöhung finanzieller Ressourcen oder im Sinne<br />

des «healthy worker effect», wonach Gesunde häufiger und früher ins Erwerbsleben<br />

zurückkehren, kann generell mit besserer Gesundheit der Frau assoziiert sein (Stähelin,<br />

Coda & Zemp, 2004).<br />

Unerwünschte Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch<br />

Die Anzahl der legalen Schwangerschaftsabbrüche pro Jahr hat in der <strong>Schweiz</strong>, trotz<br />

zunehmender Liberalisierung, kontinuierlich abgenommen. 1970 waren es 16’317, 2003<br />

10’500. Damit hat die <strong>Schweiz</strong> im internationalen Vergleich die niedrigste Schwangerschaftsabbruchrate<br />

(2003: 6,8 legale Abbrüche auf 1000 Frauen zwischen 15 und 44<br />

Jahren). Weder die Inkraftsetzung der Fristenregelung am 1. Oktober 2002 noch die Zulassung<br />

der Abtreibungspille (Mifegyn, RU 486) Ende 1999 haben eine Zunahme bewirkt.<br />

Ca. 40% der Schwangerschaftsabbrüche sind medikamentöse Abbrüche mit Mifegyn<br />

(RU 486). Dieser Anteil ist deutlich höher als in anderen europäischen Ländern. Abtreibungstourismus<br />

innerhalb der <strong>Schweiz</strong> ist inzwischen selten, und es kommen nur wenige<br />

Frauen aus dem Ausland in die <strong>Schweiz</strong>. Nur einzelne Frauen aus der <strong>Schweiz</strong> müssen<br />

Hilfe im Ausland suchen, insbesondere wenn es um einen Schwangerschaftsabbruch<br />

nach der 12. Woche geht. Die Abtreibungsrate bei ausländischen Frauen in der<br />

<strong>Schweiz</strong> beträgt 12,5 auf 1000 Frauen von 15 bis 44 Jahren und ist damit dreimal höher<br />

als bei <strong>Schweiz</strong>erinnen. Dies dürfte darauf hinweisen, dass die Schwangerschaftsverhütungspraxis<br />

in dieser Bevölkerungsgruppe wesentlich weniger wirksam ist (<strong>Schweiz</strong>erische<br />

Vereinigung für Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs, 2004).<br />

3.2.4. Geburt<br />

Geburtsort<br />

In der <strong>Schweiz</strong> können Frauen für die Geburt zwischen Spital, Geburtshaus oder Geburt<br />

zu Hause wählen. Im Jahr 2003 fanden ca. 1000 Geburten (1,5% aller Geburten) in einem<br />

der 15 Geburtshäuser statt und rund 700 Kinder (1%) kamen zu Hause zur Welt.<br />

Geburten in Geburtshäusern sind kontinuierlich gestiegen: Von 421 im Jahr 1990 (0,5%)<br />

auf 1050 im Jahr 2002 (1,5%). Ebenso steigt die Zahl der Geburtshäuser in der <strong>Schweiz</strong>,<br />

5 im Jahr 1990, 15 im Jahr 2002.<br />

Geburtsmodi<br />

Im Jahr 2003 wurden rund 67'000 Frauen in <strong>Schweiz</strong>er Spitälern entbunden, 29,2% davon<br />

durch Kaiserschnitt. Im Jahr 2002 hatte der Anteil der Kaiserschnitte noch 27,5%,<br />

2001 26,3% betragen. Im internationalen Vergleich übertrifft die Rate für das Jahr 2003<br />

beispielsweise diejenige von Deutschland (25,2%) und gehört europaweit zu den höchsten.<br />

Die Ursachen hierfür sind vielfältig und reichen von einer veränderten Klientel durch<br />

das gestiegene Durchschnittsalter bei Geburten, eine veränderte Risikobereitschaft auf<br />

Seiten der Frauen und ÄrztInnen (auch beeinflusst durch die Forensik) über ökonomische<br />

und organisatorische Rahmenbedingungen in den Kliniken bis hin zu verringerten geburtshilflichen<br />

Fähigkeiten bei der Betreuung von Risikogeburten (z.B. bei Becken-<br />

Endlage). Es bestehen grosse regionale Unterschiede: In den Regionen Zollikerberg,<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 88


Herrliberg und Küsnacht im Kanton Zürich werden vier von zehn Frauen per Kaiserschnitt<br />

entbunden, also fast doppelt so oft wie im schweizerischen Durchschnitt. In den Regionen<br />

Riedholz (SO), Binningen (BL), Schattdorf (UR) oder Stein (AG) ist es sogar jede zweite<br />

Frau. Demgegenüber werden in den bündnerischen Regionen Surselva oder Puschlav<br />

weniger als jedes zehnte Kind per Kaiserschnitt zur Welt gebracht. Die Kaiserschnittrate<br />

liegt dort weit unter dem schweizerischen Durchschnitt (BFS, 2005b).<br />

Während der Geburt im Geburtshaus wird jede zehnte Frau ins Spital verlegt. Dies ist<br />

teils damit zu erklären, dass in Geburtshäusern nur Frauen betreut werden, bei denen<br />

eine unkomplizierte Geburt zu erwarten ist.<br />

3.2.5. Unterstützungsangebote nach der Geburt<br />

Stillen<br />

2003 stillen 62% der Mütter ihr Kind sechs Monate nach der Geburt noch, davon 24%<br />

voll, d.h. ohne Säuglingsanfangsnahrung oder Folgekost. 1994 wurden lediglich 47%<br />

sechs Monate nach der Geburt noch gestillt, 11% voll (Dratva & Merten, 2004). Die Zunahme<br />

der Stilldauer und der Dauer des Vollstillens dürfte mit der «Baby-Friendly Hospital<br />

Initiative» der <strong>Schweiz</strong>erischen Stiftung zur Förderung des Stillens, an deren strenge<br />

Standards sich immer mehr Geburtskliniken halten, in Zusammenhang stehen. Dennoch<br />

sind die aktuellen Zahlen in der <strong>Schweiz</strong> noch weit entfernt von den Empfehlungen der<br />

WHO, des BAG und der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesellschaft für Pädiatrie, wonach ein Kind<br />

idealerweise sechs Monate ausschliesslich und danach zusammen mit einer altersgerechten<br />

Beikost bis ins 2. Lebensjahr gestillt werden sollte. Die Stilldauer wird durch<br />

verschiedene Faktoren beeinflusst: Mütter aus tieferen sozialen Schichten, Frauen unter<br />

30, Frauen aus der französisch- und italienischsprachigen <strong>Schweiz</strong> und Frauen, die in<br />

höherem Mass erwerbstätig sind, stillen deutlich weniger lang (Stähelin, Coda & Zemp,<br />

2004; <strong>Schweiz</strong>er Stiftung zur Förderung des Stillens, 2005; La Leche Liga <strong>Schweiz</strong>).<br />

3.2.6. Lebensbedingungen junger Eltern<br />

Die aktuellste Übersicht zur Lage der Familie in der <strong>Schweiz</strong> bietet der «Familienbericht<br />

2004» (Eidgenössisches Departement des Innern, 2004) 41 , der aufgrund einer parlamentarischen<br />

Initiative 42 entstanden und alle fünf Jahre neu vorzulegen ist.<br />

Soziodemographische Faktoren<br />

Die Haushaltsstrukturen und Familienformen haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt.<br />

Heute gibt es ein Drittel mehr Haushalte als 1970. Diese Zunahme ist auf die<br />

Verdoppelung der kinderlosen Paarhaushalte und die Verdreifachung der Einpersonenhaushalte<br />

zurückzuführen. Die Anzahl der Haushalte mit Kindern ist hingegen stabil<br />

geblieben, die Anzahl Einelternhaushalte hat sich ebenfalls verdoppelt. Der grösste Teil<br />

der Bevölkerung lebt weiterhin im familiären Kontext, d.h. mit Partner oder Partnerin und<br />

mindestens einem Kind (siehe ausführlicher Kapitel 2).<br />

41 Wo nicht anders vermerkt, beziehen sich die Autorinnen auf diesen Bericht.<br />

42 Parlamentarische Empfehlung Stadler 12.12.2000 (00.3662).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 89


Frauen und Männer heiraten heute später und sind bei der Geburt des ersten Kindes<br />

älter (Frauen sind im Durchschnitt 29, Männer 33 Jahre alt). Die Tendenz, den Entscheid<br />

für Kinder aufzuschieben, erklärt sich teilweise durch die längere Ausbildungsdauer insbesondere<br />

der Frauen, durch stärkere Berufs- und Erwerbsorientierung und die weiterhin<br />

bestehenden Schwierigkeiten, Beruf, Ausbildung und Kinder unter einen Hut zu bringen.<br />

Der Geburtenrückgang ist auf zwei Faktoren zurückzuführen: Die durchschnittliche Kinderzahl<br />

ist auf 1,4 Kinder pro Frau (2,1 im Jahre 1970) gesunken, und der Anteil kinderlos<br />

bleibender Frauen steigt kontinuierlich an (rund ein Fünftel der Frauen), insbesondere<br />

unter Frauen mit hohen Bildungsabschlüssen. Verheiratete Paare haben tendenziell mehr<br />

Kinder als unverheiratete oder Alleinerziehende. Fast die Hälfte der verheirateten Eltern<br />

hat zwei Kinder, ein Drittel hat ein Kind. Zwei Kinder sind weiterhin die Familiennorm. Bei<br />

den unverheirateten Paaren und den Alleinerziehenden hat gut die Hälfte ein Kind. Vier<br />

Fünftel der Kinder hat Geschwister. Die Heiratshäufigkeit ist gesunken, die Scheidungsrate<br />

und damit die Zahl der Alleinerziehenden und der Fortsetzungsfamilien sind gestiegen<br />

(siehe Kapitel 2).<br />

Vereinbarkeit von Beruf und Familien bei Frauen und Männern<br />

Hat der Wandel der Familienformen auch die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern<br />

beeinflusst? Die Erwerbsquote von Frauen ist in den letzten zwei Jahrzehnten generell<br />

gestiegen, hängt jedoch vom Alter der Kinder und der Existenz eines Partners ab. Der<br />

Anteil arbeitender Mütter in Paarhaushalten mit Kindern zwischen 0 und 14 Jahren ist<br />

inzwischen gestiegen, die Erwerbsquote von Männern ging kaum zurück (siehe Kapitel<br />

2). Nach der Geburt des ersten Kindes arbeiten 56,3% der Frauen weiter. Nach der Geburt<br />

des zweiten Kindes geht der Anteil arbeitstätiger Mütter weiter zurück; je jünger das<br />

jüngste Kind ist, desto höher ist der Anteil der Teilzeitbeschäftigten unter den Müttern.<br />

Das «Alleinernährermodell» gilt im Jahr 2003 nur noch für die Minderheit der Haushalte.<br />

Das dominante Modell ist vollzeittätiger Vater und teilzeitbeschäftigte Mutter. Familienpflichten<br />

erhöhen bei Frauen das Risiko der Erwerbslosigkeit und der Unterbeschäftigung,<br />

bei Männern ist der Effekt gerade umgekehrt. Bei der Geburt eines Kindes übernehmen<br />

Frauen den grössten Teil der unbezahlten Arbeit (Hausarbeit und Kinderbetreuung).<br />

Während die Belastung der Mütter bei Hausarbeit wie Kinderbetreuung stark zunimmt,<br />

springen die Väter vor allem bei der Kinderbetreuung ein (vgl. Tabelle 3.2-3). Die<br />

Kampagnen «Fairplay at home» (www.fairplay-at-home.ch) und «Fairplay at work»<br />

(www.fairplay-at-work.ch) des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau<br />

und Mann unterstützen seit 2002 die gleichberechtigte Arbeitsaufteilung.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 90


Tabelle 3.2-3: Hausarbeit und Kinderbetreuung in Stunden pro Woche, im Jahr 2000, nach Familiensituation<br />

und Geschlecht (Eidgenössisches Departement des Innern 2004)<br />

Familiensituation Frauen Männer<br />

Hausarbeit Kinderbetreuung Hausarbeit Kinderbetreuung<br />

Paar ohne Kind 18,6 –– 7,5 ––<br />

Paar mit Kind(ern):<br />

jüngstes Kind bis 6-jährig<br />

Paar mit Kind(ern):<br />

jüngstes Kind 7- bis 14-jährig<br />

Alleinerziehend:<br />

jüngstes Kind bis 14-jährig<br />

29,8 24,2 7,1 14,0<br />

30,0 (19,8) 6,1 (9,4)<br />

24,3 21,6 (14,9) *<br />

( ) Angaben in Klammern enthalten mehr als 10, aber weniger als 30 Beobachtungen<br />

* Bei weniger als 10 Beobachtungen sind keine Analysen mehr möglich<br />

Familienergänzende Betreuungsangebote<br />

Die Nutzung familienergänzender Betreuungsangebote ist von entscheidender Bedeutung<br />

für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Einrichtungen der familienergänzenden<br />

Tagesbetreuung von Kindern sind oft von privaten Organisationen getragen und<br />

von der öffentlichen Hand subventioniert. Es existieren kaum gesamtschweizerische<br />

Regelungen. Knapp ein Drittel der Familien nutzt regelmässig familienergänzende<br />

Betreuungsangebote: Rund die Hälfte greift auf Verwandte, insbesondere auf die Grosseltern<br />

zurück, ca. 16% nutzen Krippen, ca. 15% Tagesfamilien, und bei rund 10% springen<br />

Bekannte oder Nachbarinnen ein. Weitere 8% stützen sich auf andere Betreuungsformen<br />

wie externer Mittagstisch und Nachschulbetreuung oder stellen eine Person für<br />

die Kinderbetreuung an. Das schweizerische Schulwesen nimmt zu wenig Rücksicht auf<br />

die veränderten Lebensgewohnheiten der Familien (Blockzeiten und besondere Betreuungsangebote<br />

während den Schulferien; Bundesamt für Sozialversicherung, 2003). Das<br />

Angebot an familienergänzender Tagesbetreuung genügt der Nachfrage bei weitem<br />

nicht. Die Nachfrage ist gemäss Schätzungen nur zu 40% gedeckt (<strong>Schweiz</strong>erischer Nationalfonds,<br />

2005). Die Zahl der Kindertagesstätten hat sich seit 1985 mehr als verdoppelt.<br />

Seit dem 1. Februar 2003 leistet der Bund Finanzhilfen für die Schaffung von Plätzen<br />

für die familienergänzende Kinderbetreuung. Bis Ende Januar 2005 sind 660 Beitragsgesuche<br />

gestellt worden. Mit den bisher bewilligten Gesuchen wird voraussichtlich die<br />

Schaffung von 5121 neuen Betreuungsplätzen unterstützt (Bundesamt für Sozialversicherung,<br />

2005). Das Angebot im Jahr 2005 beträgt ca. 30'000 in Krippen oder bei Tagesfamilien,<br />

der zusätzliche Bedarf wird auf 50'000 Plätze geschätzt (<strong>Schweiz</strong>erischer Nationalfonds,<br />

2005).<br />

Mutterschaftsversicherung<br />

Die <strong>Schweiz</strong> ist das einzige Land in Europa ohne Mutterschaftsversicherung. Seit 1945<br />

besteht ein klarer Verfassungsauftrag zur Einführung einer Mutterschaftsversicherung.<br />

Dreimal wurden Vorlagen der Bundesversammlung vom Volk bereits abgelehnt (1974,<br />

1984 und 1999). Nach der dritten Abstimmungsniederlage von 1999 war die Situation<br />

beinahe gleich wie vor 50 Jahren. Zwar sind in verschiedenen Gesetzen (Obligationenrecht,<br />

Arbeitsgesetz, Krankenversicherungsgesetz) Schutzbestimmungen festgeschrieben,<br />

aber diese sind inhaltlich nicht aufeinander abgestimmt. Einzig der Kanton Genf<br />

führte im Jahre 2001 eine kantonale Lösung ein. Erwerbstätige Arbeitnehmerinnen und<br />

selbständig Erwerbende erhalten 80% des versicherten Lohns während 16 Wochen<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 91


nach der Niederkunft. Am 26. September 2004 wurde in einer erneuten Volksabstimmung<br />

die Änderung der Erwerbsersatzordnung (EO) angenommen. Damit trat die so<br />

genannte «Mutterschaftsentschädigung für erwerbstätige Mütter» auf 1.Juli 2005 in<br />

Kraft. Erwerbstätige Mütter erhalten während 14 Wochen nach der Geburt 80% ihres<br />

Lohnes.<br />

3.2.7. Forschungs- und Handlungsbedarf<br />

Die fast schon historisch tiefe Geburtenrate ist zu einer grossen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen<br />

Herausforderung geworden. Die Geburtenrate bei den <strong>Schweiz</strong>er<br />

Frauen liegt heute bei 1,2 Kindern je Frau und ist in den letzten Jahren in Medien und<br />

Politik zu einem Thema geworden. Bei gleichbleibender Geburtenrate wird die Überalterung<br />

der Gesellschaft die Folge sein. Bei den Sozialversicherungen werden neue Modelle<br />

diskutiert werden müssen, wie etwa das Anheben des AHV-Alters von heute 65 Jahren.<br />

Diese Entwicklungen entsprechen einem allgemeinen Entwicklungstrend in Europa.<br />

Die <strong>Schweiz</strong> verzeichnet im Jahr 2003 mit 29,2% europaweit die höchste Kaiserschnittrate.<br />

Kaiserschnitte sind in der Regel mit 7000 Franken doppelt so teuer wie eine natürliche<br />

Geburt. Der Trend zum Wunsch-Kaiserschnitt bzw. Wahlkaiserschnitt wird von den<br />

GegnerInnen wegen der fehlenden medizinischen Notwendigkeit und der daraus folgenden<br />

Kostensteigerungen kritisiert sowie der Auswirkungen auf die psychische und physische<br />

Gesundheit der Frauen kritisiert. Über die Hintergründe des Anstiegs der Kaiserschnittraten<br />

ist bislang wenig bekannt und verlangt nach weiterer Forschung. Generell ist<br />

zu fragen, welche Betreuungsbedürfnisse Frauen und ihre Partner in der reproduktiven<br />

Phase haben und wie eine frauengerechte Gesundheitsversorgung aussehen kann, die<br />

das Bedürfnis nach Sicherheit und Wohlbefinden erfüllt, ohne einer Medikalisierung Vorschub<br />

zu leisten. Neue Versorgungsmodelle, wie z.B. ein Hebammenkreisssaal, der im<br />

klinischen Setting parallel zum ärztlich geleiteten Kreisssaal für Frauen ohne Risiken angeboten<br />

wird, könnten auch in der <strong>Schweiz</strong> erprobt und evaluiert werden.<br />

Als eine zentrale Ursache für die tiefe Geburtenrate wird die schwierige Vereinbarkeit<br />

von Beruf und Familie insbesondere bei Frauen gesehen. Um dem entgegenzuwirken,<br />

verlangen immer mehr politische Kreise weitreichende familienergänzende Betreuungsangebote<br />

wie Kinderkrippen, Mittagstische und Blockzeiten in Schulen. Erste Anreize<br />

wurden durch die Bundes-Finanzhilfe zur Schaffung von Betreuungsplätzen im Jahr 2003<br />

geleistet. Am 1.Juli 2005 trat schliesslich die erste gesamtschweizerische Mutterschaftsversicherung<br />

in Kraft. Die Auswirkungen der veränderten Rahmenbedingungen<br />

auf die familiale Arbeitsteilung und die Gesundheit von Frauen und Männern wären zu<br />

überprüfen. Nebst diesen strukturellen und gesamtgesellschaftlichen Veränderungen gibt<br />

es weiterhin im privaten Bereich noch Aufholbedarf bei der Gleichberechtigung in unbezahlter<br />

Familien- und Hausarbeit.<br />

Es bedarf einer systematischen Information und Aufklärung junger Menschen bezüglich<br />

Ursachen und Häufigkeit von übertragbaren Krankheiten, Unfruchtbarkeit bzw. ungewollter<br />

Kinderlosigkeit sowie zu Präventions- und Interventionsmöglichkeiten, inklusive psychosozialer<br />

Implikationen, im Bereich der Pränatal-Diagnostik und der Reproduktionsmedizin.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 92


Auf der forschungspolitischen Ebene soll hier auf die weiterhin lückenhafte Datenbasis<br />

hingewiesen werden. Dies betrifft insbesondere Daten zu Häufigkeit und Auftreten<br />

von übertragbaren Krankheiten der Geschlechtsorgane, insbesondere Chlamydien-<br />

Infektionen, und Daten zur Häufigkeit von Spontanaborten, zu Häufigkeit, Auftreten und<br />

Ursachen von ungewollter Kinderlosigkeit und zur Inanspruchnahme von Pränatal-<br />

Diagnostik und reproduktionsmedizinischen Methoden.<br />

Literatur<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit (2004). Verzeichnis der von den Kantonen gemäss Bundesgesetz<br />

vom 9. Oktober 1981 über die Schwangerschaftsberatungsstellen anerkannten Stellen.<br />

Stand Juli 2004. Verfügbar unter:<br />

http://www.suchtundaids.bag.admin.ch/imperia/md/content/aids/81.pdf<br />

[Zugriff: 30.06.05].<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit (2003). Synthese wichtiger Ergebnisse der Studie: «Sexuelle und<br />

reproduktive Gesundheit in der <strong>Schweiz</strong>». Verfügbar unter:<br />

http://www.bag.admin.ch/gender/themen/d/synthesebericht.pdf (06.01.<strong>2006</strong>).<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2005a). Statistisches Jahrbuch der <strong>Schweiz</strong> 2005.<br />

Zürich: Verlag Neue Züricher Zeitung.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2005b). Medienmitteilung 12. August 2005: Medizinische Statistik der<br />

Krankenhäuser: Kaiserschnitt bei 29 Prozent aller Entbindungen in <strong>Schweiz</strong>er Spitälern.<br />

Neuchâtel: Bundesamt für Statistik. Verfügbar unter:<br />

http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/news/medienmitteilungen.Document.64348.<br />

html [Zugriff: 12.08.05].<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2003).<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002. Erste Ergebnisse.<br />

Verfügbar unter: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/gesundheit/<br />

gesundheitszustand/gesundheit__krankheit/kennzahlen0/gesundheitszustand0/<br />

allgemein.ContentPar.0011.DownloadFile.tmp/Flash-Brochure-SGB_D.pdf<br />

[Zugriff 30.06.05].<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2002). Reproduktion Kennzahlen Empfängnisverhütung. Verfügbar unter:<br />

http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/gesundheit/gesundheitszustand/<br />

reproduktion/kennzahlen0/empfaengnisverhuetung.html [Zugriff: 30.06.05].<br />

Bundesamt für Sozialversicherung (2005). Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung. Bilanz<br />

nach zwei Jahren (Stand 31. Januar 2005). Verfügbar unter:<br />

http://www.bsv.admin.ch/impulse/daten/d_bilanz_2004.pdf [Zugriff 30.6.2005].<br />

Bundesamt für Sozialversicherung (2003). Familienpolitik in der <strong>Schweiz</strong>. Verfügbar unter:<br />

http://www.bsv.admin.ch/fam/grundlag/d/politik.htm [Zugriff: 30.6.2005].<br />

Dratva, J. & Merten, S. (2004). Säuglingsernährung in den ersten 9 Lebensmonaten. Basel: Institut für<br />

Sozial- und Präventivmedizin.<br />

Eidgenössisches Departement des Innern (2004). Familienbericht 2004. Strukturelle Anforderungen an<br />

eine bedürfnisgerechte Familienpolitik. Bern: EDI. Verfügbar unter:<br />

http://www.bsv.admin.ch/forschung/publikationen/familienbericht_d.pdf<br />

[Zugriff: 30.06.05].<br />

Gjerdingen, D.K. & Chaloner, K.M. (1994). The relationship of women’s postpartum mental health to<br />

employment, childbirth, and social support. The Journal of Family Practice, 38, 465-472.<br />

Hohl, M.K. (2003). Aktueller Stand der Fortpflanzungsmedizin in der <strong>Schweiz</strong>, <strong>Schweiz</strong> Med Forum<br />

Nr. 16, April 2003.<br />

Hürlimann, D.C. & Baumann-Hölzle, R. (2004). Beratung in der Pränatalen Diagnostik: Eine Nationalfondsstudie<br />

über Entscheid-Unterstützungssysteme. <strong>Schweiz</strong>erische Ärztezeitung, 85,<br />

S. 407–411. Verfügbar unter: http://www.praenatal-diagnostik.ch/Beratungsleitfaden.pdf<br />

[Zugriff: 30.06.05].<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 93


Klaue, K., Spencer B, Balthasar H (2002): Sexuelle und reproduktive Gesundheit in der <strong>Schweiz</strong>. (Raisons<br />

de santé 85). Lausanne. Verfügbar unter:<br />

http://www.bag.admin.ch/gender/themen/d/schlussbericht.pdf (06.01.<strong>2006</strong>).<br />

Kolip, P. (Hrsg.) (2000). Weiblichkeit ist keine Krankheit. Weinheim: Juventa.<br />

La Leche Liga <strong>Schweiz</strong>. Verfügbar unter: http://www.stillberatung.ch/index.html [Zugriff: 30.06.05]<br />

Riecher-Rössler, A. (1997). Psychiatric disorders and illnesses after childbirth. Fortschritte der<br />

Neurologie-Psychiatrie, 65, 97–107.<br />

Schücking, B. (1994). Schwangerschaft – (k)eine Krankheit? Jahrbuch Kritische Medizin 23 Gesundheitskult<br />

und Krankheitswirklichkeit (S. 22–35). Hamburg: Argument.<br />

<strong>Schweiz</strong>er Stiftung zur Förderung des Stillens (2005). Verfügbar unter:<br />

http://www.allaiter.ch/de/news/index.html [Zugriff: 30.06.05].<br />

<strong>Schweiz</strong>erische Vereinigung für Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs (SVSS) (2004). <strong>Schweiz</strong><br />

mit niedrigster Abtreibungsrate in Europa. Verfügbar unter: http://www.svssuspda.ch/de/aktuell/comm_8_04.htm<br />

[Zugriff: 30.06.05].<br />

<strong>Schweiz</strong>erischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (2005). Erste wissenschaftliche<br />

Analyse zum Bedarf an externer Kindertagesbetreuung. Medienmitteilung<br />

vom 25. Juni 2005. Bern: SNF. Verfügbar unter:<br />

http://www.snf.ch/de/com/prr/prr_arh_05jun25.asp [Zugriff: 30.06.05].<br />

<strong>Schweiz</strong>erisches Gesundheitsobservatorium (2004). Indikatoren der sexuellen und reproduktiven<br />

Gesundheit in der <strong>Schweiz</strong>. Monitoring. Arbeitsdokument 3. Verfügbar unter:<br />

http://www.obsan.ch/monitoring/themen/d/Zus.Sex.Ges.dt.pdf [Zugriff: 30.06.05].<br />

Stähelin, K., Coda, P. & Zemp, E. (2004). Schwangerschaft, Mutterschaft, Erwerbstätigkeit und Gesundheit.<br />

Verfügbar unter: http://www.bag.admin.ch/gender/f/studie_mutterschaft.pdf<br />

[Zugriff: 30.06.05].<br />

United Nations (1994). Programme of Action of the International Conference on Population and<br />

Development, New York, United Nations, 1994. Verfügbar unter:<br />

http://www.unfpa.org/icpd/icpd_poa.htm#ch7 [Zugriff: 6.1.<strong>2006</strong>].<br />

Verein ganzheitliche Beratung und kritische Information zu pränataler Diagnostik (2002). Stichworte zur<br />

Pränataldiagnostik. Verfügbar unter: http://www.praenatal-diagnostik.ch/ [Zugriff:<br />

30.06.05].<br />

3.3. Gesundheit junger Menschen<br />

Melanie Hirtz und Sibylle Nideröst<br />

Ziel 4: Gesundheit junger Menschen<br />

Bis zum Jahr 2020 sollten sich junge Menschen in der Region einer besseren Gesundheit<br />

erfreuen und besser in der Lage sein, ihre Rolle in der Gesellschaft zu übernehmen.<br />

3.3.1. Die Adoleszenz als gesundheitsrelevante Lebensphase<br />

Die Adoleszenz als Übergangsphase vom Kindes- zum Erwachsenenalter stellt eine Vielzahl<br />

von Entwicklungsaufgaben an die betroffenen Jugendlichen. Nicht nur werden sie<br />

mit umfassenden körperlichen Veränderungen konfrontiert, sondern auch auf sozialer<br />

Ebene müssen sie sich mit neuen Rollenerwartungen und Gruppenzugehörigkeiten auseinandersetzen.<br />

Bei der Bewältigung der vor allem auf sozialer Ebene angesiedelten<br />

Aufgaben übernimmt der Körper als Träger kultureller Ausdrucksformen eine wichtige<br />

Funktion (Helfferich, 1994). So können bestimmte Verhaltensweisen auf der körperlichen<br />

Ebene zwar durchaus als gesundheitsschädigend betrachtet werden, gleichzeitig jedoch<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 94


der Bewältigung unterschiedlicher Entwicklungsaufgaben förderlich sein. So kann z.B.<br />

der Alkoholkonsum die Integration in die Gruppe der Gleichaltrigen und die Ablösung<br />

vom Elternhaus erleichtern. Daher sollte eine differenzierte Betrachtungsweise der Gesundheit<br />

junger Menschen einer pauschalisierenden Beurteilung vorgezogen werden.<br />

3.3.2. Gesundheitszustand junger Menschen<br />

Mortalität<br />

Die in Abbildung 3.3-1 gezeigte Entwicklung der Sterberate der 1- bis 14-jährigen Kinder<br />

und Jugendlichen zeigt, dass die Sterberate der Jungen deutlich höher ist als diejenige<br />

der Mädchen (BFS, 2005a).<br />

Abbildung 3.3-1: Sterbeziffern der 1- bis 14-jährigen Mädchen und Jungen in der <strong>Schweiz</strong> (1992–2001;<br />

BFS, 2005a)<br />

Die erhöhte Sterblichkeit der Jungen steigt mit zunehmendem Alter noch an, so dass das<br />

Verhältnis zwischen den Geschlechtern bei den 20-Jährigen bei 3:1 liegt. Auch in der<br />

Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen lag die Sterblichkeit der Jungen im Jahre 2002 beinahe<br />

doppelt so hoch wie bei den Mädchen. So kommen auf 100'000 EinwohnerInnen<br />

pro Jahr 50 Sterbefälle bei den Jungen und 25 Sterbefälle bei den Mädchen. Damit liegt<br />

die Sterblichkeit der 15- bis 19-Jährigen deutlich höher als bei den Kindern (1 bis 14 Jahre).<br />

Von 1996 bis 2001 ist aber auch bei Jugendlichen beiderlei Geschlechts ein Rückgang<br />

der Sterbefälle zu verzeichnen (BFS, 2005b).<br />

Unfälle machen mit 30% bis 40% die häufigste Todesursache bei Kindern und Jugendlichen<br />

aus. Bei den über 16-Jährigen folgen an zweiter Stelle die Suizide (20%), während<br />

bei den Jüngeren ein nennenswerter Anteil den Krebserkrankungen zugeschrieben werden<br />

muss (BFS, 2005a; Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich, 2002).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 95


Im internationalen Vergleich nimmt die Suizidrate der <strong>Schweiz</strong> mit 19,3 Suiziden pro<br />

100'000 eine Spitzenposition ein (BFS, 2005a, c). Vor dem Hintergrund, dass die Wiederholung<br />

suizidaler Handlungen eine der wichtigsten Prädiktoren zur Vorhersage eines<br />

vollzogenen Suizids ist, sind die folgenden Zahlen beachtenswert: 8% der 16- bis 20jährigen<br />

Mädchen haben im Verlauf ihres Lebens bereits einen Suizidversuch unternommen,<br />

22% haben darüber nachgedacht, mit welcher Methode sie sich hätten umbringen<br />

können. Mädchen unternehmen häufiger einen Suizidversuch als Jungen (10,2% vs.<br />

3,7%). Demgegenüber ist im Jahre 2002 die Rate der vollzogenen Suizide bei den Jungen<br />

um 1,7-mal höher als bei den Mädchen (BFS, 2002; Narring et al., 2002).<br />

Morbidität<br />

Obwohl man davon ausgeht, dass die chronischen Erkrankungen auch bei Kindern und<br />

Jugendlichen in den letzten Jahrzehnten zugenommen haben, fehlen entsprechende<br />

epidemiologische Daten weitgehend (Wydler, 2004). Für die 15- bis 18-Jährigen kann das<br />

Bundesamt für Statistik jedoch aufzeigen, dass Allergien die am häufigsten vorkommenden<br />

chronischen Erkrankungen darstellen. An zweiter Stelle folgt die chronische Bronchitis,<br />

bei welcher sich ein deutlicher geschlechtsspezifischer Unterschied zeigt: Mädchen<br />

sind weit häufiger davon betroffen als Jungen (vgl. Tabelle 3.3-1).<br />

Tabelle 3.3-1: Chronische Erkrankungen bei 15- bis 18-Jährigen in den letzten 12 Monaten nach<br />

Geschlecht, in Prozent (<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<br />

<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Mädchen in %<br />

(N=530)<br />

Jungen in %<br />

(N=568)<br />

Total in %<br />

(N=1098)<br />

In ärztlicher Behandlung wegen<br />

Chronischer Bronchitis*** 4,0% 1,4% 2,6%<br />

Hohem Blutdruck 0,8% 1,4% 1,1%<br />

Heuschnupfen/Allergie<br />

***p


den sexuell übertragbaren Krankheiten dahingehend deutlich, als dass Mädchen häufiger<br />

von Chlamydiose betroffen sind als Jungen. In Bezug auf HIV-Infektionen können aufgrund<br />

der geringen Fälle bei Jugendlichen keine Aussagen zu Geschlechterdifferenzen<br />

gemacht werden (BAG, 2004, 2005a).<br />

Im Kontext jugendspezifischer Lebensstile und Kulturanlässe verlangen lärmbedingte<br />

Hörstörungen nach immer grösserer Aufmerksamkeit. Mehr als ein Viertel der 16- bis 20jährigen<br />

Jugendlichen gibt an, während den letzten zwölf Monaten ein Lärmtrauma<br />

(Taubheitsgefühl im Ohr oder Ohrgeräusche wie Sausen, Brummen und Pfeifen) erlitten<br />

zu haben, das teilweise irreparable Schäden mit sich brachte. Am häufigsten standen<br />

diese Lärmtraumata im Zusammenhang mit einem Disco- oder einem Konzertbesuch<br />

(Narring et al., 2002).<br />

Subjektiv eingeschätzter Gesundheitszustand<br />

Etwa die Hälfte der 16- bis 20-jährigen weiblichen Jugendlichen und etwa 60% der<br />

männlichen Jugendlichen schätzen ihre Gesundheit als ausgezeichnet oder sehr gut ein.<br />

Diese Einschätzung bleibt bei den Jungen über das Alter hinweg unverändert, während<br />

Mädchen ihre Gesundheit mit zunehmendem Alter als schlechter einschätzen (Narring et<br />

al., 2002). Ein signifikanter Anteil der Jugendlichen berichtet, (sehr) oft unterschiedliche<br />

Probleme zu haben, wobei Mädchen mehr von Problemen berichten als Jungen. Interessanterweise<br />

nehmen bei den 11-jährigen Jungen mehr Stress wahr als Mädchen (vgl.<br />

Abbildung 3.3-2). So fühlen sich bereits 20% der 11-jährigen Jungen durch die Arbeit für<br />

die Schule sehr gestresst (bei den gleichaltrigen Mädchen sind es 15%), wobei bei den<br />

Mädchen die Stressbelastungen mit zunehmendem Alter grösser werden und bei den<br />

15-jährigen Mädchen deutlich über denjenigen der gleichaltrigen Jungen liegen (Schmid<br />

et al., 2004).<br />

Abbildung 3.3-2: Anteil der Jugendlichen, die sich durch die Arbeit für die Schule gestresst fühlen, in<br />

Prozent nach Altersgruppen und Geschlecht, im Jahr 2002 (Schmid et al., 2004)<br />

Entsprechend dem von den Jugendlichen als sehr hoch wahrgenommenen Stresspotenzial<br />

geben ca. 35% der Mädchen und ca. 19% der Jungen an, wegen Traurigkeit und<br />

Deprimiertheit Hilfe zu benötigen (Narring et al., 2002). Eltern nehmen dabei die psychi-<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 97


schen Leiden ihrer Kinder in weitaus schwächerem Ausmass wahr, als diese selber über<br />

solche Probleme berichten. Dies gilt sowohl für nach innen gerichtete Probleme (wie<br />

z.B. Angst- und Affektstörungen) als auch für nach aussen gerichtete (wie z.B. Störungen<br />

des Sozialverhaltens oder Formen von Aggression und Gewalt), (Steinhausen & Winkler<br />

Metzke, 2002).<br />

3.3.3. Gesundheitsrelevantes Verhalten junger Menschen<br />

Unfälle sind im Kindes- und Jugendalter die häufigste Todesursache und können vor<br />

allem im Jugendalter auf die Verhaltensweisen der Jugendlichen selbst zurückgeführt<br />

werden. Da Kinder und Jugendliche bis zum 16. Altersjahr nicht obligatorisch unfallversichert<br />

sind, gibt es allerdings kaum Anhaltspunkte über das gesamtschweizerische Unfallgeschehen<br />

dieser Altersgruppe (Hubacher, 1994). Einzig zu Unfällen im Strassenverkehr<br />

können präzise Angaben gemacht werden. So wurden im Jahre 2003 4209 Kinder<br />

und Jugendliche zwischen 0 und 18 Jahren Opfer eines Strassenverkehrsunfalls. Dabei<br />

handelt es sich überwiegend um Unfälle mit leichten Verletzungen. Kinder bis 9 Jahre<br />

erleiden die Unfälle am häufigsten als FussgängerInnen. Bei den älteren Kindern rücken<br />

dann Fahrradunfälle und später Unfälle beim Lenken eines Motorfahrzeuges (Motorfahrräder,<br />

Scooters) in den Vordergrund, während Unfälle als FussgängerInnen in dieser Altersgruppe<br />

eher selten sind (BFU, 2004; Narring et al., 2002).<br />

Bei den 15- bis 18-Jährigen geschehen die meisten Unfälle aber nicht im Verkehr, sondern<br />

beim Sport, wie Tabelle 3.2-2 verdeutlicht.<br />

Tabelle 3.3-2: Unfälle bei den 15- bis 18-Jährigen in den letzten 12 Monaten vor der Befragung nach<br />

Geschlecht, in Prozent (<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<br />

<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Mädchen in %<br />

(N=526)<br />

Jungen in %<br />

(N=565)<br />

Total in %<br />

(N=1091)<br />

Art des Unfalls<br />

Im Verkehr 5,5% 3,7% 4,6%<br />

Im Haus oder Garten 4,4% 4,2% 4,3%<br />

Beim Sport ***<br />

***p


Der Suchtmittelkonsum hängt stark mit der Lebenswelt und den kulturellen Körperpraktiken<br />

(Helfferich, 1994) zusammen, so dass nicht nur geschlechtsspezifische, sondern<br />

auch Unterschiede vor dem Hintergrund der Ausbildungssituation deutlich werden, wie<br />

sich am Beispiel des Tabakkonsums zeigen lässt.<br />

Bei den 13- bis 14-jährigen Mädchen liegt der Anteil der regelmässig Rauchenden (definiert<br />

als täglicher Konsum) bei 4%, bei den gleichaltrigen Jungen bei 6%. Bei den 20-<br />

Jährigen liegen diese Anteile zwischen 22% und 45%, wobei Jungen häufiger rauchen<br />

als Mädchen und Lehrlinge häufiger als Schülerinnen und Schüler (Narring et al., 2002).<br />

Abbildung 3.3-3 zeigt den Anstieg der RaucherInnenrate im Zeitraum von 1994–2002.<br />

Rauchten 1994 erst 11% der 15-jährigen Jugendlichen täglich, waren es 2002 bereits<br />

rund 16%. Geschlechtspezifische Unterschiede lassen sich dabei aber keine erkennen<br />

(Schmid et. al., 2004).<br />

Abbildung 3.3.-3: Anteil der 15-jährigen Jugendlichen, die täglich rauchen, in Prozent nach Untersuchungsjahr<br />

und Geschlecht (Schmid et al., 2004)<br />

Im Alter von 15 Jahren haben 40% der Mädchen und 50% der Jungen mindestens einmal<br />

Cannabis probiert, womit sich die Anteile seit 1986 vervierfacht haben. Im Alter von<br />

17 bis 18 Jahren geht dann der erstmalige Probierkonsum deutlich zurück (Narring et al.,<br />

2002; Schmid et al., 2004). Diese Zahlen mögen im ersten Moment erschrecken. Es ist<br />

aber unbedingt notwendig, hierbei eine Unterscheidung zwischen Probierkonsum und<br />

problematischem Konsum vorzunehmen. Verschiedene Studien zeigen, dass Jugendliche<br />

mit einem moderaten Probierkonsum von Tabak, Alkohol und Cannabis psychisch<br />

und sozial am besten angepasst sind. Erst der problematische Suchtmittelkonsum (der<br />

mit einer Abhängigkeit einhergeht) steht bei den betroffenen Jugendlichen in Zusammenhang<br />

mit schlechter sozialer und psychischer Anpassung (BAG, 2003).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 99


Im Vergleich zum Cannabis erfolgt der erste Konsum synthetischer Suchtmittel (u.a. LSD<br />

und Ecstasy) etwas später, meist erst nach dem 15. Altersjahr. Dies dürfte mit den relativ<br />

hohen Kosten dieser Produkte und deren häufig auf bestimmte Anlässe beschränkte<br />

Verfügbarkeit zusammenhängen (Narring et al., 2002). Ein wesentliches Problem dieser<br />

Suchtmittel besteht darin, dass die Jugendlichen sich nicht sicher sein können, was genau<br />

sie konsumieren und die Pillenform keine langsame Einnahme der Substanz ermöglicht<br />

(wie das z.B. beim Rauchen von Cannabis möglich ist) – womit die Gefahr einer<br />

Überdosierung deutlich erhöht ist.<br />

Der Alkoholkonsum ist ähnlich wie im Erwachsenenalter bei den Jungen (insbesondere<br />

bei den regelmässig konsumierenden) deutlich höher als bei den Mädchen (auch wenn<br />

dieser Unterschied im Trend kleiner wird). Und während bei Jungen nach wie vor der<br />

Konsum von Bier an erster Stelle steht, bevorzugen Mädchen süssere Getränke wie<br />

Cocktails oder Alcopops. Die in den letzten Jahren festgestellte Zunahme der Alkohol<br />

konsumierenden Mädchen dürfte damit vor allem auf den Konsum von Alcopops zurückzuführen<br />

zu sein. Im Trend der letzten Jahre ist auch eine Veränderung des Konsummusters<br />

feststellbar. So werden immer häufiger grosse Mengen Alkohol in kurzer Zeit getrunken,<br />

mit dem erklärten Ziel, einen Zustand der Betrunkenheit zu erreichen. Seit 1986<br />

hat sich die Häufigkeit der erlebten Alkoholräusche bei den 15-Jährigen fast verdoppelt<br />

(vgl. Abbildung 3.3-4), wobei die ersten Rauscherfahrungen durch Alkohol im Alter zwischen<br />

13 und 17 gemacht werden. Der Konsum von hochprozentigem Alkohol beginnt<br />

bei den 15-Jährigen eine Rolle zu spielen: 9% der Jungen und 5% der Mädchen konsumieren<br />

davon mindestens einmal wöchentlich (Narring et al., 2002; Schmid et al., 2004).<br />

Abbildung 3.3-4: Anteil der 15-jährigen Jugendlichen, die mindestens zweimal im Leben betrunken<br />

waren, in Prozent nach Untersuchungsjahr und Geschlecht (Schmid et al., 2004)<br />

Hinsichtlich des Medikamentenkonsums interessiert im Zusammenhang mit dem Gesundheitsverhalten<br />

vor allem die Einnahme von Medikamenten, die nicht vom Arzt verschrieben<br />

wurden. Dies können Schmerzmittel oder «leichte» Psychopharmaka sein,<br />

aber auch Abführmittel dürften zu den von Jugendlichen benutzten Medikamenten gehören.<br />

In der Altersgruppe der 16- bis 20-Jährigen greifen die weiblichen Jugendlichen weit<br />

häufiger zu Medikamenten als ihre männlichen Altersgenossen. Bei Schmerzmitteln lässt<br />

sich dieser geschlechtsspezifische Unterschied unter anderem sicherlich mit den Mens-<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 100


truationsbeschwerden weiblicher Jugendlicher erklären. Medikamente gegen Verstopfungen<br />

und Appetitzügler können in einem Zusammenhang mit Essstörungen stehen,<br />

die bei weiblichen Jugendlichen immer noch häufiger vorkommen als bei männlichen<br />

Jugendlichen. Aber auch Medikamente gegen Nervosität und Angst werden von weiblichen<br />

Jugendlichen deutlich häufiger eingenommen als von männlichen Jugendlichen<br />

(Narring et al., 2002). Neben dem Unterschied zwischen Jungen und Mädchen zeigen<br />

sich hier auch Stadt-Land-Unterschiede: Jugendliche, die in der Stadt leben, nehmen<br />

deutlich häufiger Medikamente zu sich als Jugendliche auf dem Land (Gesundheitsdirektion<br />

des Kantons Zürich, 2002), (siehe hierzu auch die in Kap. 3.1.3 berichteten<br />

Stadt-Land-Unterschiede in der subjektiven Befindlichkeit im Erwachsenenalter).<br />

Im Alter zwischen 17 und 18 Jahren hat etwa die Hälfte der Jugendlichen ihren ersten<br />

Sexualkontakt erlebt, bei den 20-Jährigen liegt dieser Anteil bei 70% (Koffi-Blanchard et<br />

al., 1994; Narring et al., 2002). Dies zeigt, dass zwar viele Jugendliche sexuelle Erfahrungen<br />

mit anderen PartnerInnen machen, aber eben bei weitem nicht alle. Männliche Jugendliche<br />

haben einen tendenziell höheren PartnerInnenwechsel als weibliche Jugendliche,<br />

Lehrlinge einen höheren als SchülerInnen (Narring et al., 2002). Aber auch wenn in<br />

vielen Studien der Koitus fokussiert wird (Hirtz, 2004), so ist doch wichtig zu erwähnen,<br />

dass Jugendliche Sexualität nicht primär mit Koitus verbinden, sondern mit emotionalen<br />

Aspekten wie Zärtlichkeit und Intimität (Narring et al., 2000).<br />

Hinsichtlich des Schutzverhaltens kann festgehalten werden, dass der Kondomgebrauch<br />

beim ersten Sexualkontakt bei etwa 75% liegt. Beim zuletzt erlebten Sexualkontakt liegt<br />

der Kondomgebrauch jedoch deutlich tiefer (36% bei den Mädchen, 45% bei den Jungen),<br />

(Narring et al., 2002). Im geschlechts- und bildungsspezifischen Vergleich ist dieser<br />

Anteil bei den weiblichen Lehrlingen am tiefsten (Moreau-Gruet et al., 1996; Narring et<br />

al., 2002). Tendenziell fühlen sich weibliche Jugendliche mit dem Kondom weniger vertraut<br />

als ihre männlichen Altersgenossen, und sie kaufen und tragen sie auch seltener bei<br />

sich (Moreau-Gruet et al., 1996). Dieses Verhalten passt zu dem Ergebnis von (Wydler et<br />

al., 1996), gemäss welchem weibliche Jugendliche zwar weniger Gelegenheitskontakte<br />

eingehen als männliche Jugendliche, sich anlässlich solcher Kontakte aber auch weniger<br />

häufig schützen.<br />

80% der Jugendlichen in einer festen Beziehung wählen als Verhütungsmittel die Pille.<br />

Die «Pille danach» wird nicht als «reguläres» Verhütungsmittel gebraucht, sondern<br />

kommt nur in Notfallsituationen zum Einsatz. Auf 1000 junge Frauen im Alter zwischen<br />

15 und 19 Jahren fallen weniger als 5 Geburten, womit die <strong>Schweiz</strong> eine der tiefsten<br />

Geburtenrate aller westlich industrialisierten Länder in dieser Altersgruppe hat (Narring et<br />

al., 1996).<br />

Knapp 60% der 15- bis 18-jährigen Jugendlichen weisen einen Body-Mass-Index zwischen<br />

20 und 24 auf und gelten somit als normalgewichtig. Im Trend ist ein Anstieg des<br />

Anteils Übergewichtiger (BMI zwischen 25 und 30) festzustellen; ca. 1% muss in diesem<br />

Alter als adipös (BMI>30) eingeschätzt werden (Schmid et al., 2004). Geschlechtsspezifische<br />

Unterschiede zeigen sich dahingehend, dass der Anteil an Untergewichtigen bei<br />

den Mädchen deutlich grösser ist als bei den Jungen (vgl. Abbildung 3.3-5).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 101


Abbildung 3.3-5: Body-Mass-Index der 15- bis 18-jährigen Jugendlichen, in Prozent nach Geschlecht<br />

(<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Der Anteil derjenigen Kinder und Jugendlichen, die täglich Obst und Gemüse essen, hat<br />

in den letzten Jahren abgenommen. Dennoch ist über alle Altersklassen hinweg ein geschlechtsspezifischer<br />

Unterschied dahingehend festzustellen, dass Mädchen nach wie<br />

vor weitaus häufiger als Jungen «gesunde» Nahrungsmittel (wie Obst und Gemüse) zu<br />

sich nehmen (Schmid et al., 2004). Aufmerken lassen aber vor allem die Befunde, dass<br />

27% der weiblichen und 18% der männlichen 14- bis 19-Jährigen von täglichen oder<br />

mehrmals pro Woche stattfindenden Essattacken berichten, was zumindest auf beginnende<br />

Essstörungen hinweist. Weibliche Jugendliche geben eher als ihre männlichen<br />

Altergenossen an, bei emotionalen Belastungssituationen (wie Stress, Einsamkeit, Sorgen)<br />

mehr als üblich zu essen (Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich, 2002). Vor dem<br />

Hintergrund dieser Zahlen sollten Präventions- und Interventionsbemühungen möglicherweise<br />

eher das Essverhalten an sich, und nicht primär die Wahl der Lebensmittel<br />

fokussieren.<br />

Ein anderer Ansatzpunkt für Präventions- und Interventionsbemühungen könnte die Zufriedenheit<br />

mit dem eigenen Körper darstellen. Denn 40% der 16- bis 20-jährigen weiblichen<br />

und 18% der männlichen Jugendlichen sind mit ihrem Aussehen und ihrem Körper<br />

unzufrieden. Diese Anteile bleiben über die genannte Alterspanne gleich und sind auch<br />

unabhängig von der Ausbildungssituation (Narring et al., 2002).<br />

Hinsichtlich körperlicher und sportlicher Aktivität scheint das Alter zwischen 15 und 16<br />

Jahren ein Wendepunkt darzustellen. Zu diesem Zeitpunkt reduzieren viele Jugendliche<br />

ihre sportlichen Aktivitäten erheblich – dies vermutlich aufgrund der neuen zeitlichen<br />

Gegebenheiten, die mit dem Übertritt in die Lehre oder in die Mittelschule verbunden<br />

sind (Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich, 2002; Narring et al., 2002). In ihrer Freizeit<br />

bewegen sich Jungen generell häufiger als Mädchen. Auch bei den körperlich gänzlich<br />

Inaktiven ist der Anteil bei den 15- bis 18-jährigen Mädchen mit 18% deutlich höher<br />

als bei den Jungen (11%), (vgl. Abbildung 3.3-6). Es ist davon auszugehen, dass die<br />

sportlichen Aktivitäten der Jugendlichen in den letzten 10 Jahren abgenommen haben<br />

(Narring et al., 2002).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 102


Abbildung 3.3-6: Körperliche Betätigung der 15- bis 18-jährigen Jugendlichen, in Prozent nach Geschlecht<br />

(<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung, 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

3.3.4. Erklärungsansätze für die Geschlechterunterschiede<br />

Geschlechterunterschiede in der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zeigen sich<br />

zwar auch bei chronischen und infektiösen Erkrankungen, weitgehend häufiger aber finden<br />

sie sich beim gesundheitsrelevanten Verhalten. Obwohl immer wieder deutlich wird,<br />

dass Jungen und Mädchen unterschiedliches gesundheitsrelevantes Verhalten zeigen,<br />

gibt es bisher nur wenige geschlechtsspezifische Erklärungsansätze. Einerseits werden<br />

diese Unterschiede auf die unterschiedlich verlaufenden Sozialisationsprozesse bei Jungen<br />

und Mädchen zurückgeführt (Hagemann-White, 1984). Andererseits wird häufig auf<br />

das entwicklungspsychologische Konzept der Entwicklungsaufgaben bzw. deren Bewältigung<br />

zurückgegriffen, wonach die Geschlechtsdifferenz im gesundheitsrelevanten Verhalten<br />

auf die unterschiedlich gefärbten Entwicklungsaufgaben von Jungen und Mädchen<br />

zurückgeführt werden (Franzkowiak, 1986; Holler-Nowitzki, 1994; Hurrelmann,<br />

2000; Kolip, 1997). Häufig werden daher die Unterschiede im gesundheitsrelevanten<br />

Verhalten erklärt, indem auf die unterschiedlich konstruierten Rollen von Frauen und<br />

Männern rekurriert wird. Entsprechend wird das Verhalten von Mädchen und Jungen<br />

daraufhin eingeordnet, ob es der jeweiligen Geschlechtstypik genügt oder nicht.<br />

Die Problematik solcher Erklärungsansätze liegt darin, dass sie die Gegebenheit zweier<br />

sich dual gegenübergestellten Geschlechter voraussetzen und folglich Mädchen und<br />

Jungen immer in Abgrenzung zueinander thematisieren. Einwände aus den 1990er-<br />

Jahren weisen darauf hin, dass die Geschlechterrollen an Eindeutigkeit und Verbindlichkeit<br />

verlieren und dass nunmehr eine Vielzahl von Weiblichkeits- und Männlichkeitsaspekten<br />

existieren (Connell, 2000; Meuser, 1998). Danach besteht die entsprechende<br />

Entwicklungsaufgabe vielmehr darin, sich in dieser Vielfalt zurechtzufinden als in einer<br />

Übernahme einer konstruiert vorgegebenen Rolle. Daher reicht die oben skizzierte Differenzhypothese<br />

nicht aus, um Geschlechtsunterschiede im Gesundheits- bzw. Risikoverhalten<br />

zu erfassen.<br />

Ein weit fruchtbarerer Ansatz zur Erklärung der Geschlechtsunterschiede resultiert aus<br />

der interaktionistischen Sichtweise von Geschlecht. So geht die Theorie des «doing gender»<br />

(West & Zimmermann, 1987) davon aus, dass Geschlecht nicht etwas ist, das wir<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 103


«haben», sondern etwas ist, das wir «tun». Anders formuliert: Das Geschlecht wird in<br />

sozialen Situationen hergestellt und bestätigt, und Individuen nutzen hierzu Verhaltensweisen,<br />

die geschlechtstypisch sind. Gesundheitsrelevante Verhaltensweisen von Jungen<br />

und Mädchen werden unter dieser Perspektive als geschlechtssymbolisierende<br />

Praktiken verstanden, die der Herstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit dienen<br />

(Connell, 2000; West & Fenstermaker, 1995). Der Begriff Praktik greift dabei einerseits<br />

den Gedanken auf, dass Jungen und Mädchen aktiv ihre Entwicklung gestalten, und<br />

andererseits wird dadurch betont, dass Weiblichkeit und Männlichkeit nicht festgelegt<br />

und klar definiert sind, sondern dass diese einer historischen Wandelbarkeit unterliegen.<br />

Im Weitern wird auch berücksichtigt, dass die Praktiken immer in einem spezifischen<br />

sozialen Kontext stehen (Helfferich, 2001). Studien zeigen nämlich, dass die Vorstellungen<br />

und Symbolisierungen von Weiblichkeit und Männlichkeit je nach sozialem Milieu<br />

differieren (Frerichs, 2000; Frerichs & Steinrücke, 1997; Liebau, 1992; Vester & Gardemin,<br />

2000). Unter dieser Perspektive kann exzessiver Alkoholkonsum von männlichen<br />

Jugendlichen als Symbolisierung einer bestimmten Form von Männlichkeit betrachtet<br />

werden. Andere Praktiken, die auf Kraft und Verausgabung zielen, stellen ebenfalls eine<br />

bestimmte Form von Männlichkeit her. Auch Weiblichkeiten werden plural inszeniert: Die<br />

Distanz zu Risikoverhalten symbolisiert eine bewahrende Weiblichkeit, während Risikopraktiken<br />

bei Mädchen als Ausdruck des Anspruchs auf Teilhabe an (männlichen) Privilegien<br />

interpretiert werden können (Helfferich, 2001). Wie bereits oben angetönt, sind<br />

diese Inszenierungen von Weiblichkeiten und Männlichkeiten aber nicht einfach frei<br />

wählbar, sondern sind rückgebunden an ein bestimmtes soziales Milieu und damit Ausdruck<br />

eines bestimmten Habitus. Das gesundheitsrelevante Verhalten von Jungen und<br />

Mädchen kann daher als Ergebnis unterschiedlicher Orientierungen im Umgang mit dem<br />

Körper gedeutet werden. Das Orientierungsmuster, das den Umgang mit dem eigenen<br />

Körper bestimmt, wird «somatische Kultur» genannt. Sie bestimmt die Aufmerksamkeit,<br />

die wir auf unseren Körper richten. Sie prägt die Vorstellungen darüber, was der Körper<br />

braucht und wie man mit ihm umgehen soll. Sie bestimmt die Art und Weise, wie jemand<br />

seinen Körper pflegt, ernährt, präsentiert, herausputzt, trainiert, schützt, gefährdet<br />

u.a. Die somatische Kultur wird in der Sozialisation erworben und von der Zugehörigkeit<br />

zu einem bestimmten sozialen Milieu geprägt. Für Erwachsene und Jugendliche konnten<br />

somatische Kulturen bereits rekonstruiert werden (Gredig et al., 2002; Helfferich, 1994;<br />

Kolip, 1997). Inwiefern bei Kindern solche körperbezogenen Orientierungsmuster bereits<br />

vorhanden sind, bleibt hingegen offen, da entsprechende Untersuchungen noch fehlen.<br />

3.3.5. Forschungs- und Handlungsbedarf<br />

Erfreulicherweise findet die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zunehmend Aufmerksamkeit,<br />

und es wurden in den vergangenen Jahren einige epidemiologische Studien<br />

durchgeführt, die Auskunft über den Gesundheitszustand und das gesundheitsrelevante<br />

Verhalten von Kindern und Jugendlichen geben (z.B. die Studie Health Behavior in<br />

School-aged Children, SMASH). Die Daten zur Gesundheit und zum gesundheitsrelevanten<br />

Verhalten von Kindern und Jugendlichen machen deutlich, dass geschlechtsspezifische<br />

Unterschiede in vielen (wenn auch nicht in allen) Bereichen feststellbar sind. Um<br />

die gesundheitliche Ungleichheit von Jungen und Mädchen allerdings adäquat erfassen<br />

bzw. erklären zu können, braucht es mehr als eine blosse Differenzierung nach Ge-<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 104


schlecht. Ebenso müssen auch soziokulturelle und sozioökonomische Faktoren bei der<br />

Analyse berücksichtigt werden. Dies bedeutet allerdings, sich von der alleinigen Gegenüberstellung<br />

der beiden Geschlechter zu verabschieden und dafür den Blick vermehrt auf<br />

die Unterschiede innerhalb des jeweiligen Geschlechts zu richten. Denn de facto lassen<br />

sich mehr Gemeinsamkeiten zwischen Mädchen und Jungen finden, als gemeinhin angenommen<br />

wird (Schofield et al., 2002). Im Weiteren muss bedacht werden, dass Risikoverhalten<br />

von Jungen Folgen für Mädchen haben kann und umgekehrt. Daher braucht<br />

es auch geschlechterbezogene und nicht nur geschlechtsspezifische Gesundheitsförderungsprogramme,<br />

die Mädchen und Jungen nicht getrennt ansprechen, sondern diese<br />

miteinander in Interaktion bringen.<br />

Mit Blick auf die für die Gesundheit junger Menschen formulierten WHO-Ziele kann für<br />

die <strong>Schweiz</strong> konstatiert werden, dass diese in gewissen Punkten noch weit von deren<br />

Erreichung entfernt ist. Erfolge sind zwar hinsichtlich des Rückgangs gewisser Infektionskrankheiten<br />

wie Masern, Röteln, Mumps und Hepatitis B zu verzeichnen. Auch die<br />

Mortalitätsrate der Kinder und Jugendlichen ist tendenziell eher sinkend, wohingegen bei<br />

den Kindern eine stetige Abnahme der Sterbefälle lediglich bei Jungen festzustellen ist.<br />

Doch die Sterblichkeit der Jugendlichen stagniert trotz Rückgang in den letzten zehn<br />

Jahren auf relativ hohem Niveau.<br />

Unfälle und Suizide sind nach wie vor ein zentrales Gesundheitsproblem, das vor allem<br />

im Jugendalter und hier besonders beim männlichen Geschlecht relevant ist. Für den<br />

Suizid lässt sich festhalten, dass die Ursachen hier komplex sind und bislang nur ansatzweise<br />

Präventionsstrategien zu erkennen sind. Hier besteht erheblicher Forschungsbedarf,<br />

der sich gezielt den Ursachen des Suizides im Jugendalter widmet. Neben breit<br />

abgestützten Massnahmen im Bereich der Gesundheitsförderung sind vermehrt auch<br />

geschlechterbezogene Angebote und Massnahmen für Jugendliche notwendig.<br />

Auch die Unfälle verdienen nach wie vor verstärkt Aufmerksamkeit. Kinder und Jugendliche<br />

sind zwar seit langem zentrale Zielgruppe für Prävention und Gesundheitsförderung,<br />

bei näherer Betrachtung fällt allerdings auf, dass ein geschlechtssensibler Ansatz bislang<br />

nur selten verfolgt wird. Das Prinzip des <strong>Gender</strong> Mainstreaming (siehe Abschnitt 1.1)<br />

muss auch in diesem Interventionsbereich greifen. Für alle Massnahmen ist zu fragen,<br />

ob die Zielsetzung für Mädchen und Jungen angemessen bzw. geschlechtergerecht ist,<br />

ob die Methoden und Zugangswege für beide Geschlechter adäquat sind und ob die<br />

Evaluationskriterien eine geschlechterbezogene Wirkung zu erfassen vermögen. Der<br />

Tabak- und Alkoholkonsum hat sowohl bei den männlichen als auch bei den weiblichen<br />

Jugendlichen in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen. Bestrebungen zur Verbesserung<br />

der Gesundheit junger Menschen sind daher weiterhin angebracht und notwendig.<br />

Diese geschlechtergerecht zu gestalten, sollte vordinglichstes Ziel gesundheitsbezogener<br />

Interventionen sein (für Beispiele siehe Kolip & Altgeld, <strong>2006</strong>).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 105


Literatur<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit (2005a). Eckdaten zur Epidemie von Aids und HIV in der <strong>Schweiz</strong>.<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit (2005b). Meldepflichtige Infektionskrankheiten 2003, 0- bis 18-Jährige.<br />

Bern: Bundesamt für Gesundheit.<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit (2004). Sentinella-Statistik. Infektionskrankheiten von A–Z. Retrieved<br />

25.05, 2005, from http://www.bag.admin.ch/infekt/krank/d/index.htm<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit (2003). Prävention und Gesundheitsförderung bei Kindern und<br />

Jugendlichen. Bern: Bundesamt für Gesundheit.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2005a). Statistisches Jahrbuch der <strong>Schweiz</strong>. Zürich: Neue Zürcher<br />

Zeitung.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2005b). Mortalitätsstatistik 1992–2001. Spezialauswertung. Neuchâtel:<br />

Bundesamt für Statistik.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2005c). Nachhaltigkeitsindikatoren und Postulate. Suizidrate.<br />

Retrieved 15.06, 2005, from<br />

http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/systemes_d_indicateurs/indicateur_d<br />

e_devloppement/thematisch.indicator.70301.html<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2002). Mortalitätsstatistik 2002. Spezialauswertung. Neuchâtel:<br />

Bundesamt für Statistik.<br />

BFU – Beratungsstelle für Unfallverhütung (2004). Statistik 2004. Unfallgeschehen in der <strong>Schweiz</strong>.<br />

Retrieved 23.05, 2005, from<br />

http://www.bfu.ch/forschung/statistik/statistik_2004/index.html<br />

Connell, R.W. (2000). Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Opladen:<br />

Leske+Budrich.<br />

Franzkowiak, P. (1986). Risikoverhalten und Gesundheitsbewusstsein bei Jugendlichen. Der Stellenwert<br />

von Rauchen und Alkoholkonsum im Alltag von 15- bis 20-Jährigen. Berlin: Springer.<br />

Frerichs, P. (2000). Klasse und Geschlecht als Kategorien Sozialer Ungleichheit. Kölner Zeitschrift für<br />

Soziologie und Sozialpsychologie, 52(1), 36–59.<br />

Frerichs, P. & Steinrücke, M. (1997). Kochen – ein männliches Spiel? Die Küche als geschlechts- und<br />

klassenstrukturierter Raum. In I. Dölling & B. Krais (Eds.), Ein alltägliches Spiel.<br />

Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis (pp. 231–255). Frankfurt am Main:<br />

Suhrkamp.<br />

Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich (2002). Die Gesundheit Jugendlicher im Kanton Zürich. Zürich:<br />

Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich.<br />

Gredig, D., Parpan, A. & Nideröst, S. (2002). Somatische Kultur und HIV-Schutzstrategien heterosexueller<br />

Männer. Soz Praventiv Med, 47(6), 366–377.<br />

Hagemann-White, C. (1984). Sozialisation: weiblich – männlich? Opladen: Leske+Budrich.<br />

Helfferich, C. (2001). Jugendliches Risikoverhalten aus geschlechtspezifischer Sicht. In J. Raithel (Ed.),<br />

Risikoverhaltensweisen Jugendlicher. Formen, Erklärungen und Prävention (pp. 331–347).<br />

Opladen: Leske+Budrich.<br />

Helfferich, C. (1994). Jugend, Körper und Geschlecht. Opladen: Leske+Budrich.<br />

Hirtz, M. (2004). Sexual health bei Kindern und Jugendlichen. Unsere Jugend (4), 167–178.<br />

Holler-Nowitzki, B. (1994). Psychosomatische Beschwerden im Jugendalter. Weinheim: Juventa.<br />

Hubacher, M. (1994). Das Unfallgeschehen bei Kindern im Alter von 0 bis 16 Jahren. Bern:<br />

<strong>Schweiz</strong>erische Beratungsstelle für Unfallverhütung.<br />

Hurrelmann, K. (2000). Gesundheitssoziologie. Eine Einführung in sozialwissenschaftliche Theorien<br />

der Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung. Weinheim: Juventa.<br />

Koffi-Blanchard, M. C., Dubois-Arber, F., Michaud, P.-A., Narring, F. & Paccaud, F. (1994). Hat sich der<br />

Beginn der Sexualität bei Jugendlichen in der Zeit von Aids verändert? <strong>Schweiz</strong>erische<br />

Medizinische Wochenschrift, 124, 1047–1055.<br />

Kolip, P. (1997). Geschlecht und Gesundheit im Jugendalter. Die Konstruktion von Geschlechtlichkeit<br />

über somatische Kulturen. Opladen: Leske+Budrich.<br />

Kolip, P. & Altgeld, A. (<strong>2006</strong>). Geschlechtergerechte Gesundheitsförderung und Prävention. Theoretische<br />

Grundlagen und Modelle guter Praxis. Weinheim: Juventa.<br />

Liebau, E. (1992). Habitus, Lebenslage und Geschlecht. Über Sozioanalyse und Geschlechtersozialisation.<br />

In K.-J. Tillmann (Ed.), Jugend weiblich – Jugend männlich. Sozialisation, Geschlecht,<br />

Identität (pp. 134–148). Opladen: Leske+Budrich.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 106


Meuser, M. (1998). Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster.<br />

Opladen: Leske+Budrich.<br />

Moreau-Gruet, F., Ferron, C., Jeannin, A. & Dubois-Arber, F. (1996). Adolescent sexuality: the gender<br />

gap. AIDS Care, 8, 641–653.<br />

Narring, F., Michaud, P.-A. & Sharma, V. (1996). Demographic and Behavioral Factors Associated With<br />

Adolescent Pregnancy in Switzerland. Family Planning Perspectives, 28, 232–236.<br />

Narring, F., Tschumper, A., Inderwilde Bonivento, L., Jeannin, A., Addor, V., Bütikofer, A., et al. (2002).<br />

Gesundheit und Lebensstil 16- bis 20-Jähriger in der <strong>Schweiz</strong> (Swiss Multicenter<br />

Adolescent Study on Health 2002). Lausanne: Institut universitaire de médecine sociale<br />

et préventive Lausanne; Institut für Psychologie Universität Bern; Sezione sanitaria<br />

Bellinzona.<br />

Narring, F., Wydler, H. & Michaud, P.-A. (2000). First sexual intercourse and contraception: a crosssectional<br />

survey on the sexuality of 16–20-year-olds in Switzerland. <strong>Schweiz</strong>erische<br />

Medizinische Wochenschrift, 130, 1389–1398.<br />

Schmid, H. (2002). Sport, Alkohol, Tabak und illegale Drogen in der Entwicklung von Jugendlichen zu<br />

jungen Erwachsenen. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 10(1), 36–48.<br />

Schmid, H., Gaume, J., Annaheim, B., Kuntsche, E., Kuendig, H. & Delgrande Jorden, M. (2004).<br />

Gesundheit und Gesundheitsverhalten von Schülerinnen und Schülern.<br />

Lausanne: <strong>Schweiz</strong>erische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme.<br />

Schofield, T., Connell, R. W., Walker, L., Wood, J. F. & Butland, D. L. (2002). Das Konzept des<br />

Geschlechterverhältnisses in Forschung, Politik und Praxis. In K. Hurrelmann &<br />

P. Kolip (Eds.), Geschlecht, Gesundheit und Krankheit. Männer und Frauen im Vergleich<br />

(pp. 67–83). Bern: Huber.<br />

Steinhausen, H.-C. & Winkler Metzke, C. (2002). Seelische Gesundheit und psychische Probleme im<br />

Jugendalter: Verbreitung und Bedingungsfaktoren. In G. d. K. Zürich (Ed.), Die Gesundheit<br />

Jugendlicher im Kanton Zürich. Zürich: Institut für Sozial- und Präventivmedizin der<br />

Universität Zürich.<br />

Vester, M. & Gardemin, D. (2000). Milieu, Klasse und Geschlecht. Das Feld der Geschlechterungleichheit<br />

und die «protestantische Alltagsethik». In B. Heintz (Ed.), Geschlechter-Soziologie<br />

(Vol. Sonderheft der KZfSS, pp. 454–486). Opladen: Westdeutscher Verlag.<br />

West, C. & Fenstermaker, S. (1995). Doing Difference. <strong>Gender</strong> and Society, 9, 8–37.<br />

West, C. & Zimmermann, D. H. (1987). Doing gender. <strong>Gender</strong> and Society, 1, 125–151.<br />

Wydler, H. (2004). Gesundheit Jugendlicher im Kanton Schaffhausen. Schaffhausen:<br />

Kanton Schaffhausen, Departement des Inneren.<br />

Wydler, H., Walter, T., Hättich, A., Hornung, R. & Gutzwiller, F. (1996). Die Gesundheit 20-Jähriger in<br />

der <strong>Schweiz</strong>. Aarau/Frankfurt a.M.: Sauerländer.<br />

3.4. Altern in Gesundheit<br />

Margreet Duetz Schmucki und Gisela Bähler<br />

Ziel 5: Altern in Gesundheit<br />

Bis zum Jahr 2020 sollten Menschen im Alter von über 65 Jahren die Möglichkeit geboten<br />

werden, ihr Gesundheitspotenzial voll auszuschöpfen und eine aktive Rolle in der<br />

Gesellschaft zu spielen.<br />

Wer sich mit der Gesundheit älterer Personen befasst, kann gemäss WHO-Definition<br />

zwischen Betagten (65-jährig und älter) und Hochbetagten (85-jährig und älter) unterscheiden.<br />

So handhaben es auch die meisten wissenschaftlichen Arbeiten, an die in der<br />

Folge angeknüpft wird. In der Bevölkerung bestehen aber zum Teil andere Auffassungen<br />

dazu, ab welchem Alter eine Person alt sei. Junge Menschen betrachten die Älteren<br />

bereits früher als alt als die Betagten selbst. Frauen werden häufig wesentlich früher als<br />

alt eingestuft als Männer (Höpflinger, 2005).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 107


Am sinnvollsten kann Alter(n) als gradueller Prozess betrachtet werden, der schrittweise<br />

in eine neue Lebensphase mit neuen Herausforderungen überführt. Aus diesem Blickwinkel<br />

stellt das Alter einen Teil der Biographie jeder einzelnen Person dar. Die Gesundheit<br />

spielt darin eine wesentliche Rolle. Die meisten Betagten in der <strong>Schweiz</strong> leben bis<br />

ins hohe Alter in relativ guter Gesundheit, obwohl gängige Vorurteile das Alter mit Krankheit<br />

und Hilfebedürftigkeit gleichstellen.<br />

Eine aktive Gesundheitspolitik und Gesundheitsversorgung, welche die Gesundheit von<br />

Frauen und Männern im Altern unterstützen und fördern will, ist auf gesicherte Daten<br />

zum Gesundheitszustand und zu Bedürfnissen der Zielgruppe angewiesen. Das Ziel dieses<br />

Kapitels ist, hierzu einen Beitrag zu liefern.<br />

3.4.1. Lebenserwartung, behinderungsfreie Lebensjahre und Mortalität<br />

Die zugenommene Lebenserwartung bedeutet sowohl bei den Frauen als auch bei den<br />

Männern eine Zunahme der Anzahl Lebensjahre in Gesundheit, aber manchmal auch<br />

eine Zunahme der Lebenszeit, in welcher gesundheitliche Einschränkungen auftreten<br />

(Höpflinger, 2003; Höpflinger & Hugentobler, 2003). Abbildung 3.4-1 zeigt, dass Frauen<br />

im Alter von 65 Jahren heute im Durchschnitt noch 20,6 Jahren leben – 4,3 davon mit<br />

mindestens einer Behinderung. Männer haben mit 65 Jahren noch eine Lebenserwartung<br />

von weiteren 16,7 Jahren, zu diesen zählen 3,7 Lebensjahre mit Behinderung. Frauen<br />

leben durchschnittlich also länger als Männer, ein Teil dieser längeren Lebenszeit<br />

betrifft aber ein Leben mit Behinderungen.<br />

Abbildung 3.4-1: Durchschnittliche restliche Lebenserwartung mit 65 Jahren bei Frauen und Männern<br />

in Jahren, mit und ohne Behinderungen (Höpflinger, 2003)<br />

Es versterben in allen Altersgruppen mehr Männer als Frauen (vgl. Kapitel 1.3.1), dies ist<br />

auch im Alter so. Bei den 65- bis 84-Jährigen Männern sind es 3883 Verstorbene, bei den<br />

gleichaltrigen Frauen sind es 2322 Verstorbene pro 100’000 Bewohner bzw. Bewohnerinnen.<br />

Unter den über 84-Jährigen beträgt die Sterbeziffer 18’364 unter den Männern<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 108


und 15’196 unter den Frauen. Zu den wichtigsten Todesursachen im Alter zählen sowohl<br />

bei den Männern als auch bei den Frauen die Herz-Kreislauf- und Krebskrankheiten. Bei<br />

den über 85-Jährigen stellen darüber hinaus Erkrankungen der Atmungsorgane und darunter<br />

die Lungenentzündung eine bedeutende Todesursache dar (vgl. Tabelle 3.4-1).<br />

Tabelle 3.4-1: Altersspezifische Sterbeziffern und wichtigste Todesursachen nach Alter und Geschlecht<br />

pro 100'000 Personen der ständigen <strong>Schweiz</strong>er Wohnbevölkerung im Jahr 2000 (BFS, 2004)<br />

Männer Frauen<br />

Sterbeziffer 65–84 Jahre über 84 Jahre 65–84 Jahre über 84 Jahre<br />

alle Todesursachen<br />

3’883 18’364 2’322 15’196<br />

Herz-Kreislauf 1’461 8’859 917 8’276<br />

Krebs 1’264 2’827 656 1’405<br />

Atmungsorgane 332 2’144 152 1’229<br />

3.4.2. Lebensqualität und subjektive Gesundheit<br />

Der Begriff «Lebensqualität» stellt ein Konzept dar, welches im Einzelfall einer umfassenden<br />

Beschreibung verschiedener Lebensbereiche und einer entsprechenden Wertung<br />

bedarf. Der Begriff «gesundheitsbezogene Lebensqualität» ist etwas schmäler und<br />

ist im Sinne der subjektiven Gesundheit zu verstehen. Sie bezeichnet von Befragten<br />

erlebte und geäusserte Befindlichkeit und Funktionsfähigkeit in psychischen, physischen,<br />

mentalen, sozialen und alltagsbezogenen Lebensbereichen (Bullinger, 2000).<br />

Bis im Alter von ca. 75 Jahren weisen Männer einen signifikant besseren subjektiven<br />

Gesundheitszustand auf als Frauen. Die selbst wahrgenommene Gesundheit nimmt bei<br />

beiden Geschlechtern mit zunehmendem Alter ab. Es zeigen sich aber auch in der Gruppe<br />

der über 75-jährigen noch einen erheblichen Anteil von 69,8% der Männer und 70,1%<br />

der Frauen, die ihre Gesundheit als gut bis sehr gut werten. Bei Männern nimmt das<br />

psychische Wohlbefinden mit dem Älterwerden tendenziell zu. Bei Frauen bleibt es etwa<br />

bis zum 74. Lebensjahr stabil, um dann abzunehmen (vgl. Tabelle 3.4-2).<br />

Tabelle 3.4-2: Subjektive Gesundheit und psychisches Wohlbefinden nach Alter und Geschlecht in Prozent<br />

(<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Frauen Männer<br />

Altersgruppe 15–64 65–74 75–84 15–64 65–74 75–84<br />

Gute bzw. sehr gute<br />

subjektive Gesundheit<br />

sehr hohes<br />

psychisches Wohlbefinden<br />

87,3%<br />

56,0%<br />

75,0%<br />

55,7%<br />

70,1%<br />

49,3%<br />

89,9%<br />

57,2%<br />

81,6%<br />

58,3%<br />

69,8%<br />

60,5%<br />

Eine Untersuchung von Perrig-Chiello & Sturzenegger (2003) findet allerdings ein anderes<br />

Muster: Sie zeigt eine generelle Zunahme des psychischen Wohlbefindens im Alter bei<br />

beiden Geschlechtern, wobei auch hier Frauen tendenziell etwas tiefere Werte aufweisen.<br />

Die Diskrepanzen zwischen den beiden Erhebungen hinsichtlich des Zusammenhangs<br />

zwischen psychischem Wohlbefinden und Alter sind vermutlich auf methodische<br />

Unterschiede in der Operationalisierung des Konstruktes zurückzuführen.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 109


3.4.3. Häufige Krankheiten und Störungen im Alter<br />

In der Folge wird die Häufigkeit von einzelnen Krankheiten, Unfallereignissen und funktionalen<br />

Einschränkungen bei Frauen und Männern im Alter besprochen, welche für die<br />

Prävention, die Gesundheitsförderung und Gesundheitsversorgung von besonderem<br />

Interesse sind. Die Auswahl erfolgte einerseits aufgrund des häufigen Vorkommens einiger<br />

dieser Krankheiten, z.B. der dementiellen Erkrankungen. Teilweise ist die Auswahl<br />

vor allem auch in Bezug auf das Potenzial der Prävention und Gesundheitsförderung von<br />

besonderem Interesse.<br />

Dementielle Erkrankungen<br />

Die epidemiologische Literatur berichtet eine Prävalenzrate von 6% bis 10% der Demenz<br />

bei Personen über 65 Jahren in den westlichen Industrienationen, wobei die Rate von<br />

rund 1% bei den 60-Jährigen bis zu über 60% bei den 95-Jährigen ansteigt (Übersicht in<br />

Gostynski et al., 2002a). Eine Untersuchung in der Stadt Zürich zeigte, dass insgesamt<br />

12,8% der Frauen und 5,1% der Männer aus einer Stichprobe von 465 Personen von<br />

65 Jahren und älter die Kriterien einer Demenz erfüllten. Bei den 65–69-Jährigen betrug<br />

die Rate der Frauen 2,8%, und keiner der Männer erfüllte die Kriterien einer Demenz. Bei<br />

den 75–90-Jährigen fanden sich bei beiden Geschlechtern zunehmend Demenzkranke,<br />

wobei die Häufigkeit bei Frauen signifikant grösser war als bei den Männern. Bei den<br />

über 90-Jährigen war die Prävalenz bei den Frauen wie bei den Männern um die 25%<br />

(Gostynski et al., 2002a).<br />

Depressionen und Suizid<br />

Trotz dem durchschnittlich guten psychischen Wohlbefinden (vergl. Tabelle 3.4-2) sind<br />

weder Depressionen noch Suizidfälle bei Betagten eine Seltenheit. Die <strong>Schweiz</strong>erische<br />

Gesundheitsbefragung 2002 zeigt, dass 2,7% der Männer und 2,6% der befragten Frauen<br />

über 65 Jahre in den letzten zwölf Monaten wegen einer Depression in ärztlicher Behandlung<br />

waren. Jedoch wird lediglich ein Teil der tatsächlich vorhandenen Depressionen<br />

ärztlich behandelt. Eine Bevölkerungsstudie unter 921 Personen über 65 Jahre in den<br />

Städten Genf und Zürich zeigte, dass 10,4% der Frauen und 3,9% der Männer eine Depression<br />

aufwiesen. Eine depressive Verstimmung, welche nicht als eine wirkliche Depression<br />

klassifiziert wird, wurde von 19,4% der Frauen und 10,1% der Männer berichtet<br />

(Gostynski et al., 2002b).<br />

Im Zusammenhang mit Depressionen im Alter sind auch die erhöhten Suizidraten zu<br />

diskutieren, welche im Vergleich mit den jüngeren Altersgruppen vor allem bei den über<br />

65-Jährigen hoch sind (vgl. Kapitel 3.5). Dies trifft sowohl für Männer als auch für Frauen<br />

zu. Allerdings liegen die Raten der Männer mit etwa 53 (65–84 Jahre) und knapp 123<br />

(85 Jahre und älter) Selbsttötungen pro 100'000 Bewohnern sehr deutlich über den Raten<br />

der Frauen, die 21 und 22 Suizide pro 100'000 Bewohnerinnen dieser Altersgruppen<br />

betragen (vgl. Kapitel 3.5, Tabelle 3.5-2). Die Gründe eines Suizids können auch im Alter<br />

vielfältig sein, eine Depression zählt zu den häufigsten Gründen. Depressionen weisen<br />

im Alter häufig ein etwas untypisches klinisches Bild auf. Die somatische sowie die kognitive<br />

Symptomatik stehen im Vergleich zur affektiven Symptomatik mehr im Vordergrund.<br />

Deshalb soll die Erkennung der Depression aktiv angestrebt werden und in eine<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 110


angemessene Behandlung münden. Nicht alle Selbsttötungen werden aufgrund einer<br />

Depression verübt. Ein weiterer häufiger Grund, vor allem auch im Alter, betrifft eine<br />

subjektive Aussichtslosigkeit im Zusammenhang mit schwerwiegenden gesundheitlichen<br />

oder psychosozialen Problemen.<br />

Sturzrisiko<br />

Stürze führen bei Betagten häufig zu Frakturen oder Verletzungen, welche die Mobilität<br />

über längerer Zeit einschränken und somit die Lebensqualität beeinträchtigen. Die Beratungsstelle<br />

für Unfallverhütung berichtet von insgesamt 65'240 Sturzunfällen bei Personen<br />

über 65 Jahre im Jahr 2002 (BFU, 2004). Dies bedeutet in etwa, dass ein Drittel der<br />

zu Hause wohnenden und knapp die Hälfte der in Institutionen lebenden Betagten mindestens<br />

einmal im Jahr einen Sturz erleben. Von den 65'240 Stürzen ereignen sich knappe<br />

50'000 auf gleicher Ebene, inkl. Misstritte und Stürze vom Trottoir (BAG, 2004). Die<br />

Selbstangaben der Gesundheitsbefragung 2002 zeigten einen etwas kleineren, aber<br />

dennoch bedeutenden Anteil von Betagten, die während des vergangenen Jahres gestürzt<br />

waren: In der Altergruppe 65–74 Jahre waren dies 13% der Männer und 22% der<br />

Frauen, bei den über 75-Jährigen 26% der Frauen und 22% der Männer.<br />

Risikofaktoren für Stürze, insbesondere für wiederholte Stürze sind gemäss einer Studie<br />

in den Städten Genf und Zürich ein Alter über 85 Jahre, das Wohnen in einem Pflegeheim<br />

und das Vorhandensein schwerwiegender depressiver Symptome. Mann oder Frau<br />

zu sein, hing in dieser Studie nicht mit dem Sturzrisiko zusammen (Gostynski et al, 2001).<br />

Da aber Frauen von den genannten Risikofaktoren häufiger betroffen sind als Männer,<br />

erleiden sie auch vermehrt Stürze.<br />

Weitere gesundheitliche Einschränkungen<br />

Zu den häufigsten körperlichen Beschwerden im Alter gehören Rückenschmerzen, Gelenkschmerzen,<br />

Schlafstörungen, Müdigkeit und Kopfschmerzen (vgl. Tabelle 3.4-3).<br />

Viele dieser Beschwerden, z.B. die Gelenkschmerzen, die Schlafstörungen und die Herzbeschwerden,<br />

treten in der betagten Bevölkerung wesentlich häufiger auf als in anderen<br />

Altersgruppen. Kopfschmerzen kommen bei den alten Menschen (Frauen wie Männern)<br />

jedoch seltener vor als in jüngerem Alter.<br />

Tabelle 3.4-3: Häufige körperliche Beschwerden bei über 65-Jährigen nach Geschlecht, in Prozent<br />

(4-Wochen-Prävalenz, <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<br />

<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Frauen Männer<br />

Rücken- oder Kreuzschmerzen 55,7% 43,1%<br />

Gelenk- und Gliederschmerzen 55,5% 45,3%<br />

Ein- und Durchschlafstörung 52,5% 35,0%<br />

Schwäche, Müdigkeit 45,9% 31,1%<br />

Kopf- oder Gesichtsschmerzen 25,9% 14,6%<br />

Durchfall, Verstopfung 22,3% 16,7%<br />

Herzklopfen, Herzjagen 20,5% 12,6%<br />

Bauchschmerzen, Druckgefühl 14,5% 13,0%<br />

Brustschmerz, Druck Brustbereich 10,8% 10,1%<br />

Fieber 3,9% 4,1%<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 111


Die Urininkontinenz stellt eine weitere gesundheitliche Einschränkung dar, die v.a. bei<br />

älteren Frauen sehr verbreitet ist und unter Umständen zu starken sozialen Einschränkungen<br />

führen kann. Gemäss der schweizerischen Gesundheitsbefragung 2002 geben<br />

22,0% der Frauen und 10,1% der Männer über 65 Jahre an, gelegentlich inkontinent zu<br />

sein. In der internationalen Literatur werden teilweise noch höhere Prävalenzen berichtet.<br />

So kam eine niederländische Studie in der gleichen Altersgruppe zum Schluss, dass ca.<br />

30% der Frauen und 15% der Männer von Urininkontinenz betroffen sind (Puts, Lips &<br />

Deeg, 2005).<br />

Gesundheitliche Probleme, die in der Regel zu wenigen Beschwerden, dafür aber zur<br />

regelmässigen ärztlichen Behandlung führen, sind Diabetes und Hypertonie. Anlässlich<br />

der Gesundheitsbefragung 2002 berichten 6,7% der Frauen und 9,0% der Männer über<br />

65 von Diabetes betroffen zu sein. 28,2% der Frauen und 25,7% der Männer in dieser<br />

Altersgruppe geben an, einen erhöhten Blutdruck zu haben.<br />

Abschliessend sind die Beeinträchtigungen des Hörens und des Sehens zu erwähnen.<br />

Sowohl die befragten Frauen als auch die Männer über 65 Jahre berichteten zu über<br />

90%, eine Sehhilfe, für gewöhnlich ein Brille, zu benutzen. 6,4% der Frauen und 15,0%<br />

der Männer in dieser Altersgruppe berichten, ein Hörgerät zu tragen. Wie häufig das<br />

Sehen und das Hören trotz diesen Hilfsmitteln im Alter beeinträchtigt sind, ist für den<br />

schweizerischen Kontext nicht bekannt. Eine niederländische Altersstudie zeigte eine<br />

Sehstörung trotz Korrektur bei 7% der betagten Frauen und 3% der betagten Männer;<br />

eine unkompensierte Gehörminderung wurde bei knappen 10% der Frauen und 12% der<br />

Männer über 65 Jahre festgestellt (Puts, Lips & Deeg, 2005).<br />

3.4.4. Erklärungsansätze für die Geschlechterunterschiede im Alter<br />

Die epidemiologischen Daten zur Gesundheit älterer Männer und Frauen zeigen, dass die<br />

Raten von Krankheiten und Beeinträchtigungen, mit einigen Ausnahmen, bei den Frauen<br />

grösser ist. Frauen leben aber im Durchschnitt mehr als fünf Jahre länger als Männer.<br />

Um diese komplexe Lage zu erklären, sind biologische, biographische sowie soziale und<br />

sozioökonomische Aspekte zu berücksichtigen.<br />

Biologische Aspekte<br />

Einige im Alter relevante Krankheiten betreffen aufgrund der Anatomie (fast) ausschliesslich<br />

ein Geschlecht. Beispiele hierzu sind der Brustkrebs und die Krankheiten der Prostata.<br />

Dies führt zu unterschiedlichen Schwerpunkten in der Betrachtung von männlichen<br />

und weiblichen Gesundheitsbiographien. Zur Erklärung der hohen Lebenserwartung von<br />

Frauen wird u.a. die Schutzwirkung der weiblichen Geschlechtshormone im Hinblick auf<br />

koronare Herzkrankheiten häufig aufgeführt, obwohl die Befunde hier widersprüchlich<br />

sind (vgl. Kapitel 3.6). Bis zu den Wechseljahren kommt beispielsweise der Herzinfarkt<br />

bei Frauen eher selten vor (Härtel, 2002). Ein biologischer Nachteil der Frauen ist die<br />

vergleichsweise tiefe Knochendichte, welche im hohen Alter gehäuft zur Osteoporose<br />

und die damit einhergehenden Schmerzsyndrome, Frakturen und Mobilitätsproblematik<br />

führen kann. Allerdings gilt sowohl für die koronaren Herzkrankheiten als auch für Osteoporose<br />

und Frakturen im Alter, dass Lebensstilfaktoren – z.B. die Bewegungs- und Ernährungsgewohnheiten<br />

– das Risiko für beide Geschlechter bedeutend beeinflussen.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 112


Biographische Aspekte<br />

Zahlreiche Elemente aus dem Lebenslauf der Menschen üben einen Einfluss auf die<br />

Gesundheit aus. Beispiele finden sich in den Bereichen Gesundheitsverhalten, in der<br />

Berufswelt und in Ereignissen wie Gewalterfahrungen und Unfällen sowie einschneidenden<br />

Lebensereignissen wie die Trennung oder der Tod vom Partner bzw. der Partnerin<br />

und schwerwiegende chronische Erkrankungen. Biographien sind meist stark von geschlechtsspezifischen<br />

Rollenerwartungen geprägt und wirken daher unterschiedlich auf<br />

die Gesundheit und Sterblichkeit von Männern und Frauen im Alter.<br />

Das Gesundheitsverhalten wirkt im Lebenslauf kumulativ u.a. auf den Zustand des Herz-<br />

Kreislauf-Systems, das Körpergewicht, die Muskelkraft sowie die psychische Gesundheit.<br />

In Bezug auf das Zigarettenrauchen, den Alkoholkonsum und das Ernährungsverhalten<br />

in der älteren Bevölkerung weisen Frauen das gesündere Verhalten auf als<br />

Männer. Dies trifft sowohl auf den jetzigen Zustand als auch auf die zurückliegende Lebensspanne<br />

insgesamt zu. Auch die gesundheitliche Belastung durch Erwerbsarbeit und<br />

durch unbezahlte Arbeit verteilt sich ungleich über die Geschlechter. Betagte Frauen<br />

haben sich meist stark im Haushalt und in der Familienarbeit eingesetzt bzw. tun dies<br />

immer noch. Sofern sie in früheren Jahren im bezahlten Arbeitsprozess involviert waren,<br />

dann häufig in typisch weiblichen Berufen z.B. in der Pflege oder im Verkauf. Entgegen<br />

der geläufigen Meinung zur «leichten Frauenarbeit» bringen solche Arbeiten ausgesprochen<br />

starke gesundheitliche Belastungen mit sich (Resch, 2002). So können beispielsweise<br />

in den Pflegeberufen sowohl die physischen Belastungen z.B. durch Unterstützungsleistungen<br />

bei der Mobilisation Pflegebedürftiger als auch die psychischen Belastungen<br />

im täglichen Umgang mit Schmerz, Leid und Tod ausgesprochen hoch sein. Auf<br />

der anderen Seite erleiden Männer häufiger Unfälle am Arbeitsplatz als Frauen. Auch ist<br />

anzunehmen, dass ältere Männer während dem Lebenslauf am Arbeitsplatz häufiger<br />

toxischen Einflüssen ausgesetzt waren. Ein Beispiel hierzu ist die Asbestexposition, welche<br />

auch heute noch vereinzelt zu Morbidität und Mortalität, insbesondere bei Männern<br />

führt (www.suva.ch).<br />

Weder in weiblichen noch in männlichen Biographien sind Gewalterfahrungen eine<br />

Seltenheit. Geschieht häusliche Gewalt in den meisten Lebensphasen häufiger mit<br />

Männern als Tätern und Frauen als Opfer, so scheint sich dieses Verhältnis im Alter<br />

auszugleichen (Hagemann-White & Lenz, 2002). Die Datenlage zur häuslichen Gewalt im<br />

Alter hinsichtlich Geschlecht ist allerdings ausgesprochen dürftig. Darüber hinaus werden<br />

sowohl Frauen als auch Männer im Alter in Wohneinrichtungen, wie auch im Kontext der<br />

Betreuung und Pflege durch Professionelle oder Bekannte und Verwandte, Opfer von<br />

Übergriffen, Vernachlässigung und Gewalt. Dies kann zu schweren Symptomen führen,<br />

welche aufgrund der Tabuisierung solcher Ereignisse oft unverstanden bleiben.<br />

Soziale und finanzielle Aspekte<br />

Die sozialen und finanziellen Lebensbedingungen prägen das Wohlbefinden älterer Menschen<br />

entscheidend mit. Die Tatsache, dass Frauen im Alter häufiger verwitwet sind und<br />

alleine leben als Männer, erklärt möglicherweise, dass sich Frauen gemäss den Erhebungen<br />

der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung im Alter psychisch weit weniger<br />

wohl fühlen als Männer. Zum einen kann hierbei soziale Isolation eine Rolle spielen, zum<br />

anderen auch finanzielle Aspekte.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 113


Die Einkommens- und Verbrauchserhebung 2002 zeigt, dass in Haushalten von Personen<br />

im Rentenalter, in denen ein Mann am meisten zum Gesamteinkommen beiträgt, dieses<br />

67% höher ist als in Haushalten, in denen eine Frau am meisten einbringt (6692 CHF vs.<br />

4007 CHF monatlich; BFS, 2002). Dies ist darauf zurückzuführen, dass die von Frauen<br />

finanzierten Haushalte meist Einpersonenhaushalte sind. In jenen Haushalten, in denen<br />

ein Mann am meisten einbringt, leben im Durchschnitt 1,83 Personen. Dies bedeutet,<br />

dass Frauen im Alter pro Kopf zwar nicht über weniger Geld verfügen als Männer. Da sie<br />

aber häufiger alleinstehend sind, müssen sie für Kosten aufkommen, die Paare sich teilen<br />

können. Zum Beispiel betrifft in den von Frauen alleine finanzierten Haushalten<br />

24,0% der Ausgaben das Wohnen und die Energie, gegen 17,6% in jenen Haushalten, in<br />

denen ein Mann den grössten Teil des Einkommens einbringt. Frauen sind im Alter<br />

demnach eher gefährdet, mit finanziellen Defiziten oder mit Armut konfrontiert zu werden.<br />

Risikogruppen, wie zum Beispiel Migrantinnen und chronisch kranke Frauen, bedürfen<br />

in diesem Zusammenhang besonderer Beachtung.<br />

3.4.5. Gesundheitliche Versorgung<br />

Die zu erwartende demografische Alterung wird den Anteil von hilfe- und pflegebedürftigen<br />

Betagten erhöhen. Zudem ist eine weitere Feminisierung der pflegebedürftigen Betagten<br />

zu erwarten – schon heute wird die Gruppe der pflegebedürftigen Betagten in der<br />

<strong>Schweiz</strong> zu einem grossen Teil von Frauen gebildet. Dies hängt einerseits mit der höheren<br />

Lebenserwartung der Frauen zusammen, die mit einer durchschnittlich längeren<br />

Dauer von funktionalen Einschränkungen und letztlich Pflegebedürftigkeit einhergeht.<br />

Andererseits geniessen Frauen im Alter auch weniger soziale Unterstützung im familiären<br />

Umfeld. Sie werden z.B. weniger häufig vom Ehepartner gepflegt, als dies bei Männern<br />

der Fall ist. Dies ist teilweise darauf zurückzuführen, dass Frauen sehr häufig ihre<br />

Ehemänner überleben und daher ihre letzte Lebensphase als Witwe in einem Einpersonenhaushalt<br />

oder in einem Alters- oder Pflegeheim verbringen.<br />

Pflegebedürftigkeit und Heimeintritt<br />

Gemäss Höpflinger & Hugentobler (2003) beträgt die Pflegebedürftigkeitsquote in der<br />

<strong>Schweiz</strong> gegenwärtig zwischen 9,8% und 11,4% aller 65-Jährigen und älteren Menschen.<br />

Hochgerechnet sind somit in der <strong>Schweiz</strong> zwischen 109’000 bis 126’000 ältere<br />

Menschen gemäss den ADL-Kriterien (activity-of-daily-living: Kriterien zur Alltagsbewältigung)<br />

pflegebedürftig. In der <strong>Schweiz</strong> leben aber weniger als 4% der 65–79-jährigen<br />

Menschen im Alters- oder Pflegeheimen. Bei den 80-Jährigen leben noch immer weniger<br />

als 25% in einem Heim oder Spital. Erst nach dem 85. Lebensjahr steigt der Anteil der<br />

Menschen, die in einem Heim leben auf 38%. Von diesen sind 75% der Heimbewohner<br />

Frauen (Höpflinger & Stuckelberger, 1999). Dies steht im Zusammenhang mit der höheren<br />

Lebenserwartung von Frauen und der damit verbundenen höheren Betroffenheit von<br />

körperlichen und geistigen Einschränkungen und chronischen Behinderungen. Die längere<br />

Lebenserwartung von Frauen kann daher durchaus mit einer längeren Lebenszeit verbunden<br />

sein, die mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Pflegebedürftigkeit einhergehen<br />

kann.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 114


Ein Heimeintritt ist nicht alleine vom Gesundheitszustand abhängig, sondern auch von<br />

sozialen und sozio-ökonomischen Faktoren, wie zum Beispiel der Existenz eigener Kinder,<br />

dem Einkommen und dem Zivilstand. Betagte mit eigenen Kindern werden häufiger<br />

zu Hause gepflegt, reiche Betagte leben länger in Privathaushalten und unverheiratete<br />

Betagte leben häufiger im Altersheim als Verheiratete. Hier zeigt sich, dass die häufige<br />

Verwitwung von Frauen ein Grund ist, dass mehr betagte Frauen in einem Heim gepflegt<br />

werden als Männer (Höpflinger, 2003). Auch sozialpolitische Begebenheiten spielen eine<br />

wichtige Rolle beim Heimeintritt: Regionale Engpässe an günstigen Wohnungen oder<br />

regional verzögerter Ausbau der ambulanten Pflege können zu einem höheren Bedarf an<br />

stationären Heimplätzen führen.<br />

Häusliche Pflege<br />

Auf der Basis der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung 2002 wird der Anteil der zu<br />

Hause lebenden über 65-Jährigen mit Einschränkungen bei Aktivitäten des täglichen<br />

Lebens (ADL) für Frauen und Männer auf jeweils 3% geschätzt. Bei den über 80-<br />

Jährigen liegt der Anteil mit ADL-Einschränkungen bei knapp 7% (Obsan, 2004, Indikator<br />

2.7.10). Gemäss den formulierten Gesundheitszielen für die <strong>Schweiz</strong> soll der Anteil der<br />

Zuhause lebenden Betagten bis ins Jahr 2020 erhöht werden und sollen Massnahmen<br />

ergriffen werden, welche den älteren Menschen erlauben, ihre Unabhängigkeit und ihren<br />

Platz in der Gesellschaft zu bewahren.<br />

Trotz Ausbau der gesundheitlichen Grundversorgung und der ambulanten Pflege besteht<br />

immer noch für viele betagte Menschen ein ungedeckter Hilfsbedarf, was vor allem<br />

Frauen betrifft. So stellen Abelin, Beer & Gurtner (1998) fest, dass Frauen über 65 Jahre,<br />

die in Privatwohnungen leben, zweimal häufiger unerfüllte Hilfebedürfnisse haben als<br />

Männer.<br />

Die überwiegende Mehrheit dementer PatientInnen, die Zuhause leben, wird von ihren<br />

Angehörigen gepflegt. Es handelt sich dabei in erster Linie um die PartnerInnen, Töchter<br />

und Schwiegertöchter. Zu 70%–80% sind es Frauen, die Angehörige pflegen (Kesselring,<br />

2004). Die Betreuung eines dementen Menschen erfordert ein äusserst intensives Engagement<br />

und führt an die Grenzen der Belastbarkeit. Dabei kann das Sozialleben der<br />

pflegenden Angehörigen stark eingeschränkt werden und sich belastend auf das ganze<br />

Familiensystem auswirken.<br />

Häufig werden Pflegebedürftige von Angehörigen Zuhause so lange versorgt, bis die<br />

Pflegearbeit die Kräfte der Familie übersteigt und sich das Risiko der Pflegenden, selber<br />

zu erkranken, erheblich erhöht. Aus regionalen Befragungen bei pflegenden Angehörigen<br />

von DemenzpatientInnen wurde bei einer durchschnittlichen Betreuungsdauer in Basel<br />

von 34 Monaten und im Tessin von 58 Monaten eine durchschnittliche betreuungsfreie<br />

Zeit einer bzw. eines pflegenden Angehörigen auf 2 bis 3 Stunden pro Tag berechnet<br />

(Höpflinger & Stuckelberger, 1999). Dies belegt die grosse Intensität der Angehörigenpflege,<br />

und daher überrascht auch nicht, dass im Tessin 44% und in Basel sogar 70%<br />

der pflegenden Angehörigen von ernsthaften eigenen gesundheitlichen Problemen berichteten.<br />

Von den betreuenden Ehepartnerinnen – zumeist selbst hochbetagt – wurden<br />

am häufigsten psychische bzw. psychosomatische und rheumatische sowie orthopädische<br />

Probleme genannt. Hinzu kommt, dass die subjektive Belastung und die Gefahr<br />

krankhafter Depressionszustände bei pflegenden Angehörigen mit fortschreitendem<br />

Demenzstadium der bzw. des Pflegebedürftigen steigen.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 115


Die familiär-weibliche Pflegearbeit, welche weitgehend unbezahlt und unhonoriert<br />

erbracht wird, ist von enormer sozialpolitischer Bedeutung. Eminent ist daher die Forderung<br />

nach bedürfnisgerechten Hilfsangeboten, vor allem für Frauen als pflegende Angehörige.<br />

Dabei wird einerseits die zentrale Bedeutung von unterstützenden und beratenden<br />

Gesprächen mit Fachpersonen betont. Andererseits wird dringend ein breites Angebot<br />

zur konkreten Entlastung der pflegenden Angehörigen gefordert, wie zum Beispiel<br />

ambulante Dienste, Tagesbetreuung, Kurzaufenthalte in Kliniken und Ferienmöglichkeiten<br />

für DemenzpatientInnen in allen Regionen der <strong>Schweiz</strong>. Zusätzlich sollte die familiale<br />

Pflege gegenüber institutioneller Pflege finanziell keine Benachteiligung erfahren und mit<br />

einem Pflegebeitrag entschädigt werden. Zusammen mit der Verbesserung von Unterstützungsangeboten<br />

und einer gesellschaftlichen Aufwertung häuslicher Pflegearbeit<br />

sollten künftig mehr Männer gezielt motiviert und unterstützt werden, sich in der Versorgung<br />

Pflegebedürftiger zu engagieren.<br />

Spitex<br />

In den letzten Jahren wurde in vielen Regionen der <strong>Schweiz</strong> die ambulanten Pflege- und<br />

Betreuungsangebote ausgebaut. Damit wird die familiale Pflege mit professioneller Pflege<br />

ergänzt und die Autonomie zu Hause lebender Menschen verstärkt. Diese ambulanten<br />

Pflegeangebote werden unterschiedlich in Anspruch genommen. Betagte in der<br />

Westschweiz sowie alleinlebende Betagte benutzen diese Dienste häufiger. Betagte mit<br />

höherer Ausbildung beanspruchen ambulante Dienste fast doppelt so häufig wie Betagte<br />

mit geringer Ausbildung (Höpflinger & Stuckelberger, 1999). Gemäss der <strong>Schweiz</strong>erischen<br />

Gesundheitsbefragung besteht jedoch gerade bei Personen mit geringer Ausbildung<br />

sowie bei betagten Frauen ein ungedeckter Hilfsbedarf. Möglicherweise steht dieser<br />

Hilfsbedarf im Zusammenhang mit einem geringeren Informationsstand und der Zurückhaltung,<br />

Hilfe anzufordern, welche oft bei älteren Frauen beobachtet wird.<br />

Die föderalistische Struktur der <strong>Schweiz</strong> führt dazu, dass sich in verschiedenen Regionen<br />

unterschiedliche Strukturen ambulanter Pflege entwickelt haben. Auch erschwert der<br />

Mangel an gesamtschweizerischen Daten zur Pflegebedürftigkeit und einer integrierten,<br />

systemorientierten Informationspolitik den Einblick in die wechselseitige Dynamik der<br />

ambulanten Pflegeleistungen. Angesichts der zunehmenden demografischen Alterung<br />

und der ansteigenden Kosten sozial-medizinischer Pflege werden genaue Informationen<br />

jedoch immer wichtiger.<br />

3.4.6. Handlungsbedarf in Gesundheitsförderung und Prävention<br />

In Anbetracht der häufigen Krankheiten und gesundheitlichen Ereignisse im Alter sind<br />

folgende Bereiche in der Gesundheitsförderung und Prävention besonders zu berücksichtigen:<br />

die Förderung der psychischen Gesundheit, Demenzprävention sowie Sturzund<br />

Frakturprävention (vgl. Tabelle 3.4-4). Darüber hinaus ist im Alter nach wie vor die<br />

Prävention von Herz-Kreislauf-Krankheiten sowie die Prävention und Früherkennung einzelner<br />

Krebsarten, z.B. Brustkrebs und Darmkrebs, voranzutreiben.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 116


Tabelle 3.4-4: Schwerpunkte der Prävention und Gesundheitsförderung im Alter durch entsprechende<br />

Angebote (nach Kruse, 2002; Wettstein, Chappuis & Fisch, 1997)<br />

Allgemeine Gesundheitsförderung Adäquate Ernährung, körperliches und geistiges Training,<br />

Vermeidung von Tabak- und Alkoholkonsum<br />

Förderung der psychischen<br />

Gesundheit<br />

Förderung von Selbständigkeit,<br />

soziale Integration<br />

Förderung der sozialen Vernetzung und Unterstützung<br />

Förderung von physischer und kreativer Betätigung<br />

Förderung der Selbständigkeit in der Pflege; Förderung<br />

alltagspraktischer und sozialer Kompetenzen<br />

Demenzprävention Vermeidung bzw. Behandlung von Hypertonie, Diabetes mellitus,<br />

Hypothyreose, Tabakkonsum, Gedächtnistraining, Bewegung<br />

Sturz- und Frakturprävention Erkennung, Behandlung bzw. Vermeidung von Hypotonie,<br />

inadäquater Einnahme von Medikamenten, Muskelschwäche,<br />

Gleichgewichts- und Gangstörungen, Gefahrenpotenzial in der<br />

Wohnung; Hüftgelenkschoner, Prävention der Osteoporose<br />

mit Calcium und Vitamin D<br />

Impfungen Grippeimpfung<br />

Vermeidung iatrogener Schäden Adäquate Medikamenteneinstellung; Vermeidung von Abhängigkeit<br />

und Verlust der Selbständigkeit in der Pflege<br />

Dabei sind für die Geschlechter unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen. In Bezug auf<br />

die psychische Gesundheit beispielsweise bedarf das Thema Suizid bei Männern besonderer<br />

Aufmerksamkeit. Auch sollte die für die Geschlechter unterschiedliche Akzeptanz<br />

einzelner Angebote berücksichtigt werden. So muss z.B. für ein geplantes Bewegungsangebot<br />

hinsichtlich der Zielgruppe älterer Menschen geklärt werden, ob und wie dies für<br />

Männer wie für Frauen attraktiv ist und welche Anpassungen notwendig sind.<br />

Wichtige Träger von Präventions- und Gesundheitsförderungsprojekten für Betagte sind<br />

in der <strong>Schweiz</strong> zum Beispiel die Pro Senectute, die Gesundheitsförderung <strong>Schweiz</strong> und<br />

das <strong>Schweiz</strong>erische Rote Kreuz. Pro Senectute betätigt sich im Bereich Gesundheit und<br />

Bewegung im Alter. Sie bietet hierzu Gruppenaktivitäten an, die gleichzeitig die soziale<br />

Vernetzung fördern sollen. Auch organisiert Pro Senectute spezielle Gleichgewichts- und<br />

Sturzprophylaxe-Kurse für Betagte; diese Angebote richten sich gleichzeitig an Männer<br />

und an Frauen (www.pro-senectute.ch). Die Gesundheitsförderung <strong>Schweiz</strong> und das<br />

Zieglerspital in Bern unterstützen das Projekt «Gesundheitsförderung im Alter»,<br />

die Gesundheit und Lebensqualität von zu Hause lebenden älteren Personen fördern<br />

will. Wichtig dabei ist das aktive Mitwirken der Zielgruppe und eine sinnvolle Koordination<br />

der verschiedenen Organisationen, die sich für ältere Menschen einsetzen<br />

(www.gesundheitsfoerderung.ch). Das <strong>Schweiz</strong>erische Rote Kreuz betätigt sich hauptsächlich<br />

im Bereich der Information und Aufklärung. Es bietet den Ratgeber «Selbstständig<br />

bleiben im Alter» an, welcher verschiedene Aspekte zum Themenfeld «Gesundheit<br />

im Alter» behandelt (www.redcross.ch). Es liegt kein gesondertes Material für Frauen<br />

oder Männer vor. Die Thematik wird aber geschlechtersensibel vermittelt, indem sie<br />

jeweils vor dem Hintergrund des frauen- bzw. männerspezifischen Lebenskontexts ausgeführt<br />

wird.<br />

Fazit und Ausblick<br />

Frauen in der <strong>Schweiz</strong> haben mit durchschnittlich 83,0 Jahren eine höhere Lebenserwartung<br />

als Männer mit 77,8 Jahren. Paradoxerweise weisen Frauen, auch im Alter, im Vergleich<br />

mit den Männern mehr gesundheitliche Einschränkungen auf. Dies gilt für viele,<br />

aber nicht alle Gesundheitsbereiche. Eine wichtige Ausnahme ist der Suizid, welcher<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 117


insbesondere im hohen Alter viel häufiger von Männern als von Frauen verübt wird. Die<br />

Geschlechterdifferenzen in der Morbidität, aber auch in den generellen Lebensumständen<br />

führen zur Schlussfolgerung, dass hinsichtlich Prävention, Gesundheitsförderung und<br />

der Gesundheitsversorgung für beide Geschlechter gezielte Prioritäten zu setzen sind.<br />

Literatur<br />

Abelin, T., Beer, V. & Gurtner, F. (Hrsg.) (1998). Gesundheit der Betagten in der <strong>Schweiz</strong>. Ergebnisse<br />

der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung von 1992/93. Bern: Haupt.<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit (2004). Projekt «Osteoporose und Stürze im Alter» Fakten und<br />

Handlungsbedarf. Bern: Bundesamt für Gesundheit.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2004). Statistisches Jahrbuch der <strong>Schweiz</strong> 2004. Zürich:<br />

Verlag Neue Züricher Zeitung.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2002). Einkommens- und Verbrauchserhebung (EVE). Bundesamt für<br />

Statistik, Neuenburg: Bundesamt für Statistik.<br />

BFU – Beratungsstelle für Unfallverhütung (2004). Unfallgeschehen in der <strong>Schweiz</strong>. Verfügbar unter<br />

www.bfu.ch/forschung [Zugriff 10.10.2005].<br />

Bullinger, M. (2000). Wahrgenommene Umweltbelastung und gesundheitsbezogene Lebensqualität von<br />

Müttern und Kindern. In M. Bullinger, J. Siegrist & U. Ravens-Sieberer (Hrsg.), Lebensqualitätsforschung<br />

aus medizinpsychologischer und -soziologischer Perspektive<br />

(S. 345–367). Göttingen: Hogrefe.<br />

Gostynski, M., Ajdacic-Gross, V., Gutzwiller, F., Michel, J.P. & Herrmann, F. (2002a). Prävalenz der<br />

Demenz in der Stadt Zürich. Sozial und Präventivmedizin, 47 (5), 330–335.<br />

Gostynski, M., Ajdacic-Gross, V., Gutzwiller, F., Michel, J.P. & Herrmann, F. (2002b). Depression<br />

bei Betagten in der <strong>Schweiz</strong>. Nervenarzt, 73 (9), 851–60.<br />

Gostynski, M., Ajdacic-Gross, V., Heusser-Gretler, R., Gutzwiller, F., Michel, J.P. & Herrmann, F. (2001).<br />

Demenz, Depressionen und Aktivitäten des täglichen Lebens als Risikofaktoren von<br />

Stürzen bei Betagten. Sozial und Präventivmedizin, 46 (2), 123–30.<br />

Hagemann-White, C. & Lenz, H.J. (2002). Gewalterfahrungen von Männern und Frauen. In K. Hurrelmann<br />

& P. Kolip (Hrsg.), Geschlecht, Gesundheit und Krankheit. Männer und Frauen im<br />

Vergleich (S. 460–487). Bern: Huber.<br />

Härtel, U. (2002). Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems bei Männern und Frauen. In K. Hurrelmann &<br />

P. Kolip (Hrsg.), Geschlecht, Gesundheit und Krankheit. Männer und Frauen im Vergleich<br />

(S. 273–290). Bern: Huber.<br />

Höpflinger, F. (2005). UNIVOX Teil I A Gesellschaft 2004/2005. Zürich:Gfs.<br />

Höpflinger, F. (2003). Gesunde und autonome Lebensjahre zur Entwicklung der behinderungsfreien<br />

Lebenserwartung. In P. Perrig-Chiello & F. Höpflinger (Hrsg.), Gesundheitsbiographien.<br />

Interindividuelle, intergenerationelle und interkulturelle Aspekte (S. 59–74). Bern: Huber.<br />

Höpflinger, F. & Hugentobler, V. (2003). Pflegebedürftigkeit in der <strong>Schweiz</strong>. Prognosen und Szenarien<br />

für das 21. Jahrhundert. Bern: Huber.<br />

Höpflinger, F. & Stuckelberger, A. (1999). Alter. Hauptergebnisse und Folgerungen aus dem Nationalen<br />

Forschungsprogramm NFP 32. Bern.<br />

Kesselring, A. (2004). Angehörige zu Hause pflegen. Anatomie einer Arbeit. <strong>Schweiz</strong>erische Ärztezeitung,<br />

85 (10), 504–506.<br />

Kruse, A. (2002). Gesund altern. Stand der Prävention und Entwicklung ergänzender Präventionsstrategien.<br />

Baden-Baden: Nomos.<br />

Perrig-Chiello, P. & Sturzenegger, M. (2003). Wohlbefinden, Gesundheit und Ressourcennutzung im<br />

mittleren und höheren Lebensalter. In P. Perrig-Chiello & F. Höpflinger (Hrsg.), Gesundheitsbiographien.<br />

Interindividuelle, intergenerationelle und interkulturelle Aspekte<br />

(S. 33–57). Bern: Huber.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 118


Puts, M.T., Lips, P. & Deeg, D.J. (2005). Sex differences in the risk of frailty for mortality independent of<br />

disability and chronic diseases. Journal of the American Geriatrics Society, 53(1), 40–47.<br />

Resch, M. (2002). Der Einfluss von Familien- und Erwerbsarbeit auf die Gesundheit. In K. Hurrelmann &<br />

P. Kolip (Hrsg.), Geschlecht, Gesundheit und Krankheit. Männer und Frauen im Vergleich<br />

(S. 403–418). Bern: Huber.<br />

Wettstein, A., Chappuis, C. & Fisch, H.U. (1997). Checklisten der aktuellen Medizin, Checkliste Geriatrie.<br />

Stuttgart: Thieme.<br />

3.5. Verbesserung der psychischen Gesundheit<br />

Heinz Bolliger-Salzmann<br />

Ziel 6: Verbesserung der psychischen Gesundheit<br />

Bis zum Jahr 2020 sollte sich die psychische Gesundheit der Bevölkerung verbessern,<br />

und für Personen mit psychischen Problemen sollten bessere umfassende Dienste verfügbar<br />

und zugänglich sein.<br />

Psychische Gesundheit wird bezeichnet «als Resultat komplexer dynamischer Interaktionen<br />

zwischen biologischen, psychologischen, sozio-ökonomischen, sozio-kulturellen und<br />

institutionellen Faktoren. Psychische Gesundheit ist somit nicht ein Zustand, der sich als<br />

Folge von persönlicher Disposition und individuellem Verhalten manifestiert, sondern ein<br />

vielschichtiger Prozess, der neben individuellen Aspekten massgeblich von exogenen<br />

Faktoren beeinflusst wird (WHO, 2001). Neben dem Gefühl des Wohlbefindens bedeutet<br />

psychische Gesundheit auch, an den eigenen Wert und die eigene Würde zu glauben<br />

und den Wert der anderen zu schätzen (HEA, 1999)», (Nationale Gesundheitspolitik,<br />

2004a, S. 22). Diese Definition impliziert das bio-psycho-soziale Gesundheitsmodell, das<br />

von Engel (1977) in die gesundheitswissenschaftliche Diskussion eingebracht wurde. In<br />

Interviews mit ExpertInnen im Fachbereich psychische Gesundheit wurde die Forderung<br />

nach der Erweiterung dieses Modells um ökologische und spirituelle Faktoren aufgebracht<br />

(Illés & Abel, 2002). Unter den psychischen Faktoren der Gesundheit «werden<br />

zum einen die vier Dimensionen Befindlichkeit, Wahrnehmung, Denken und Verhalten<br />

genannt, zum anderen psychologische und psychosoziale Konstrukte und Einzelitems<br />

wie der Kohärenzsinn nach Antonovsky (1979) oder Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl»<br />

(Illés & Abel, 2002, S. 43).<br />

3.5.1. Psychisches Wohlbefinden und Arbeitsstress<br />

Als ein Indikator für psychische Gesundheit gilt die Selbsteinschätzung des psychischen<br />

Wohlbefindens. Ergebnisse aus der Gesundheitsbefragung 2002 zeigen, dass ca. 5% der<br />

Befragten von eher niedrigem oder sehr niedrigem psychischen Wohlbefinden sprechen<br />

(5,1% der Frauen und 4,4% der Männer) und dass entsprechend über 90% der Befragten<br />

von einem eher hohen bzw. sehr hohen psychischen Wohlbefinden berichten (90,5%<br />

der Frauen und 93,1% der Männer, die Differenz zu hundert ist bedingt durch die Nichtantwortenden).<br />

Entsprechende Antworttendenzen finden sich auch bei der psychischen<br />

Ausgeglichenheit, in der Männer fast durchwegs höhere Werte berichteten als Frauen<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 119


(ausser in der Region Zürich). Auffällig ist auch, dass bei beiden Geschlechtern die psychische<br />

Ausgeglichenheit mit zunehmendem Alter kontinuierlich ansteigt (vgl. Kapitel<br />

3.1.1), während das psychische Wohlbefinden zwar bei Männern, nicht aber bei Frauen<br />

mit dem Alter ansteigt (vgl. Kap. 3.4). 43<br />

Als Ursache für die Geschlechterunterschiede wird die eher funktionalistische Betrachtung<br />

des Körpers durch den Mann auf der einen und das reflexive Verhältnis zum Körper<br />

und die Verbindung von Gesundheit mit Wohlbefinden durch die Frau auf der anderen<br />

Seite diskutiert. Dies kann zu einem Reporting-Bias führen, in dem die Männer mangels<br />

differenzierter Wahrnehmung weniger defizitäre und mehr günstige Wohlbefindensempfindungen<br />

berichten, da das Äussern von Beschwerden mit einem Verlust an Ansehen<br />

und «Männlichkeit» assoziiert wird (Mehrbach, Singer & Brähler, 2002).<br />

Ramaciotti & Perriard (2003) haben mithilfe einer repräsentativen Studie aus dem Jahr<br />

2000 Daten über das Empfinden und den Umgang mit Stress am Arbeitsplatz erhoben,<br />

geben allerdings nicht alle Ergebnisse für beide Geschlechter getrennt an. Immerhin<br />

konnte ein signifikanter Unterschied zwischen Männern und Frauen in Bezug auf den<br />

empfundenen Stress festgestellt werden: «32,7% der Frauen fühlen sich häufig oder<br />

sehr häufig gestresst, aber ‹nur› 24,0% der Männer. Im Gegensatz dazu sind die Männer,<br />

die sich nie gestresst fühlen, fast doppelt so zahlreich wie die Frauen (20,1% gegenüber<br />

11,2%).» (Ramaciotti & Perriard, 2003, S. 116). Dies wird u.a. damit erklärt, dass Frauen<br />

öfter als Männer «stressige», sich wiederholende und wenig qualifizierte Arbeiten erledigen,<br />

wie z.B. Kassiererin, Telefonistin, Verpacken und Montieren usw.<br />

Die Zahlen der Gesundheitsbefragung 2002 zeigen hingegen, dass mehr Männer (47,1%)<br />

am Arbeitsplatz starke nervliche Belastungen erfahren als Frauen (40,6%). Bei beiden<br />

Geschlechtern ist dabei ein Bildungsgradient festzustellen: Je höher die abgeschlossene<br />

Ausbildung ist, desto grösser ist die psychische Belastung, was beispielsweise mit einer<br />

vermehrten beruflichen Verantwortungsübernahme im Zusammenhang stehen kann.<br />

Die Ergebnisse der Studie von Ramaciotti & Perriard (2003) und der <strong>Schweiz</strong>erischen<br />

Gesundheitsbefragung schliessen sich nicht gegenseitig aus, sondern können auf Erhebungsartefakte<br />

zurückgeführt werden: Während Ramaciotti & Perriard (2003) bei ihrer<br />

Fragestellung die oftmalige Zwei- oder gar Dreifachbelastung von Frauen – durch Beruf,<br />

Haushalts- und Familienarbeit – in Betracht gezogen haben, sind es bei der Gesundheitsbefragung<br />

eher die oftmals höheren Positionen in Führungsverantwortung und der Vollzeiterwerb<br />

der Männer, die zu dem Antwortverhalten führen können.<br />

Die Analyse des arbeitsbedingten Stresserlebens ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung,<br />

weil chronifizierter Stress, wie empirische Studien belegen, zu ernsthaften körperlichen<br />

Problemen wie z.B. Erhöhung des kardio-vaskulären Risikos oder Magen-Darm-<br />

Beschwerden (Kaluza, 2003) und seelischen Störungen wie z.B. Burn-out, Depression<br />

oder Ängstlichkeit (Benkert, 2005) führen kann.<br />

43 Psychische Ausgeglichenheit wurde in der SGB 2002 im Telefoninterview mit vier Items erfragt:<br />

verstimmt, ausgeglichen/gelassen, nervös/gereizt und voll Energie. Psychisches Wohlbefinden<br />

wurde im schriftlichen Fragebogen mit acht Items auf der Basis des Berner Fragebogens zum<br />

Wohlbefinden erfasst: Zukunft sieht gut aus, mehr Freude am Leben, Zufrieden mit Lebensplänen,<br />

Unveränderliche Dinge akzeptiert, Gute Seiten sehen, Freude am Leben, Leben scheint sinnvoll,<br />

Leben auf rechter Bahn.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 120


3.5.2. Klassifikation und Epidemiologie psychischer Störungen<br />

Psychische Erkrankungen sind in der Bevölkerung häufig: Auf ein Jahr umgerechnet leiden<br />

gegenwärtig etwa 10% der Menschen an einer ernsthaften psychischen Störung,<br />

was in absoluten Zahlen eine jährliche Prävalenz von 800'000 bis 1'500'000 Menschen<br />

bedeutet. Ungefähr 1% der Bevölkerung erkrankt im selben Zeitraum neu, was einer<br />

Inzidenz von 80'000 bis 150'000 Menschen entspricht (Ajdacic-Gross & Graf, 2003).<br />

Die häufigsten Krankheitsbilder sind die affektiven Störungen (v.a. Depression) sowie die<br />

Angst- und die Substanzstörungen, die eine Lebenszeitprävalenz von je 25% aufweisen.<br />

Das bedeutete, dass bei rund einem Viertel der Bevölkerung im Verlaufe ihres Lebens<br />

eine der genannten Störungen diagnostiziert wird. Schon die leichteren Formen affektiver<br />

Störungen stellen substanzielle Beeinträchtigungen dar, wobei sie mit einem über<br />

50%igen Anteil von Komorbidität einhergehen, oft verbunden mit Substanzstörungen.<br />

Schizophrenien hingegen sind zwar relativ selten (Lebenszeitprävalenz 0,5%–1%), sie<br />

verdienen jedoch aufgrund ihres Schweregrades besondere Beachtung. Allgemein kann<br />

gesagt werden, dass die psychischen Störungen sehr heterogen sind und sich über ein<br />

breites Spektrum von Symptomen und Verlaufsformen verteilen (Ajdacic-Gross & Graf,<br />

2003).<br />

Gemäss den Angaben der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung 2002 waren 4,5%<br />

der Bevölkerung in den letzten zwölf Monaten wegen eines psychischen Problems in<br />

therapeutischer Behandlung. Dabei geben Frauen mit 6,0% eine mehr als doppelt so<br />

hohe Rate an als Männer mit 2,9%. Das Geschlechterverhältnis der Aufnahmen in stationäre<br />

psychiatrische Einrichtungen in der <strong>Schweiz</strong> für die Jahre 1998 bis 2000<br />

(N=128'377) teilt sich je zur Hälfte auf Frauen (50,7%) und Männer (49,3 %) (Christen &<br />

Christen, 2003). Als Eintrittsgründe in die stationäre Psychiatrie wurden dabei sechs<br />

Hauptdiagnosen erhoben (vgl. Tabelle 3.5-1).<br />

Tabelle 3.5-1: Die sechs wichtigsten Hauptdiagnosen als Eintrittsgründe in die Psychiatrie in den Jahren<br />

1998–2000 nach Geschlecht (Christen & Christen, 2003)<br />

Diagnostizierte Hauptkrankheit<br />

ICD-10-<br />

Diagnosen<br />

(Haupt-F-<br />

Diagnosen)<br />

Total<br />

N %<br />

Männer<br />

in %<br />

Frauen<br />

in %<br />

Depression F32, F33 22’483 18,6 35,8 64,2<br />

Schizophrenie F20 17’196 14,2 56,3 43,7<br />

Störungen durch Alkohol F10 17’073 14,1 65,0 35,0<br />

Störungen durch psychotrope Substanzen F11–F19 14’546 12,1 69,3 30,7<br />

Belastungsreaktion/Anpassungsstörungen F43 9’025 7,5 44,2 55,8<br />

Persönlichkeitsstörung F6 6’851 5,7 39,7 60,3<br />

Mit diesen sechs Diagnosen sind mehr als 70% der psychischen Krankheiten erfasst, die<br />

restlichen 30% verteilen sich auf weitere elf Diagnosen, wobei unter diesen keine mehr<br />

als 5% der Gesamteintritte ausmacht. Wichtigster Eintrittsgrund ist eine Depression,<br />

gefolgt von Schizophrenie, Störungen durch Alkohol, Störungen durch psychotrope Substanzen,<br />

Belastungsreaktionen und Persönlichkeitsstörung. Der Blick auf die Geschlechterverteilung<br />

zeigt, dass die Feststellung, Frauen seien häufiger von psychischen Erkrankungen<br />

betroffen, nicht zutreffend ist, vielmehr zeigen Männer und Frauen jeweils spezifische<br />

Erkrankungsformen. Substanzabhängige Störungen sind bei Männern doppelt so<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 121


häufig ein Eintrittsgrund in die Psychiatrie, während Frauen doppelt so häufig an Depressionen<br />

und Persönlichkeitsstörungen leiden. Näher beieinander, aber immer noch mit<br />

einem eindeutigen Geschlechterunterschied liegen die Diagnosen bei der Schizophrenie<br />

zu Ungunsten der Männer (Männer: 56,3%, Frauen: 43,7%) und bei Belastungsreaktionen/Anpassungsstörungen<br />

zu Ungunsten der Frauen (Frauen: 55,8%, Männer: 44,2%).<br />

Es zeigen sich die typischen Geschlechtsstereotypien, d.h. substanzgebundene psychiatrische<br />

Krankheiten werden vermehrt bei den Männern diagnostiziert, während von<br />

Depressionen und Persönlichkeitsstörungen mehr Frauen betroffen sind. Eine etwas<br />

saloppe, im Kern aber richtige Formulierung, hat Helfferich (1997) mit der Prägung des<br />

Begriffspaars «männlicher Rauschgewinn und weiblicher Krankheitsgewinn» geliefert.<br />

Damit ist die geschlechtsgebundene Funktionalität von männlichem (externalisierendem)<br />

und weiblichem (internalisierendem) Problemverhalten angesprochen.<br />

Zudem zeigt sich ein geschlechterspezifisch unterschiedliches Inanspruchnahmeverhalten:<br />

In der Psychotherapie sind zwei Drittel der in Anspruch nehmenden Klientinnen, was<br />

einerseits mit den bevorzugt behandelten Störungen (Depressionen, Angst- und Essstörungen),<br />

die allesamt vermehrt Frauen betreffen, zu tun hat, andererseits auch mit der<br />

«Feminisierung» der Psychotherapie (Strauss, Hartung & Kächele, 2002). Dies besagt,<br />

dass die psychotherapeutische Identität in dem Masse durch weibliche Attribute gekennzeichnet<br />

ist, in dem der Anteil von Frauen in den psychotherapeutischen Professionen<br />

zugenommen hat.<br />

Etwa ein Fünftel der Eintritte in eine psychiatrische Klinik erfolgt in der <strong>Schweiz</strong> unter<br />

Anwendung des Fürsorgerischen Freiheitsentzugs (FFE). Die Geschlechtsunterschiede<br />

für Zwangseinweisungen sind klein, die Risikofaktoren dafür sind hingegen bei Männern<br />

und Frauen zum Teil verschieden: Vermehrt mit FFE eingeliefert werden Männer mit<br />

schlechter Schulbildung und Erwerbslosigkeit im Erwerbsalter sowie ledige Männer. Bei<br />

Frauen ist Geschiedensein und Alkoholkrankheit ein entsprechender Risikofaktor. Kein<br />

Unterschied wird festgestellt bei Demenz im Alter, bei Manien und bipolaren Störungen,<br />

bei Störungen durch psychotrope Substanzen, Depression und neurotischen Störungen<br />

sowie bei Psychosen, mit Ausnahme der Schizophrenie, bei der das Risiko für eine<br />

Zwangseinweisung bei Männern mit steigendem Eintrittsalter abnimmt, während es bei<br />

schizophrenen Frauen zunimmt (Christen & Christen, 2005).<br />

Betreffend den Ausgaben für das Gesundheitswesen (und somit für die Volkswirtschaft)<br />

kann angefügt werden, dass höhere Psychiatriekosten «bei Frauen vor allem im ambulanten<br />

Bereich (anfallen), während die ausgewiesenen Kosten im stationären Bereich bei<br />

Männern – mit Ausnahme der Altersgruppe 11 bis 20 Jahre – bis zum Alter von 40 Jahren<br />

höher sind. Die Ursachen dafür sind nicht geklärt. Möglicherweise handelt es sich um<br />

eine Unterversorgung von Männern, möglicherweise um eine stärkere Psychiatrisierung<br />

bei Frauen gegenüber einer stärkeren Somatisierung bei Männern» (Camenzind & Meier,<br />

2004, S. 133). Diese Erkenntnis hat (auch genderspezifische) Implikationen auf die Versorgungsstruktur<br />

psychiatrischer Leistungen in der <strong>Schweiz</strong>: «Während also bei Patienten<br />

mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen die Problematik der Versorgungsoptimierung<br />

oder gar der Überversorgung im Vordergrund steht, ist dies bei Menschen mit<br />

weniger auffälligen Störungen die Problematik der Unterversorgung» (Ajdacic-Gross &<br />

Graf, 2003, S. 77). Dies wiederum kann mit der von Maschewsky-Schneider, Sonntag &<br />

Klesse (1999) postulierten «Psychologisierung der weiblichen Gesundheit und Krankheit»<br />

umschrieben werden: «(…) Empirische Arbeiten (zeigten), dass Frauen tatsächlich mehr<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 122


Beschwerden äussern als Männer, medizinische Leistungen häufiger in Anspruch nehmen,<br />

mehr psycho-vegetativ wirkende Medikamente als Männer verschrieben bekommen<br />

und dass Frauen im Medizinsystem anders behandelt werden als Männer» (S. 118).<br />

Als weitere Erklärungsansätze für die Geschlechtsunterschiede bei psychischen Störungen<br />

werden zwei Erklärungsmuster herangezogen (Merbach, Singer & Brähler, 2002):<br />

biologische und sozial-gesellschaftliche Gründe. Biologische Erklärungen beziehen sich<br />

zum einen auf genetische Einflüsse, die z.B. anhand von Zwillingsstudien erhoben worden<br />

sind, die aber keine eindeutigen Zusammenhänge oder höchstens moderate Varianzaufklärungen<br />

zeigen. Zum anderen werden hormonelle Erklärungsansätze diskutiert,<br />

wobei auch deren Einflüsse unterschiedliche Interpretationen zulassen und kontrovers<br />

diskutiert werden. Bei den Auswirkungen des sozialen Umfelds werden vier Punkte genannt:<br />

1. Affektive, Angst- und somatoforme Störungen sind oft die Folgen von Gewalterfahrungen,<br />

die Frauen in allen Gesellschaften häufiger erleiden müssen als Männer<br />

(siehe hierzu Kapitel 3.7).<br />

2. Die soziale Lage in unserer Gesellschaft benachteiligt Frauen: Sie sind in einer<br />

sozial schwächeren Position (was zu passiven Bewältigungsstrategien führen<br />

kann), sie ziehen weniger Vorteile aus Ehe und Familie als Männer und sie sind<br />

vermehrt arbeitslos (wobei hier Berufstätigkeit wegen dem Einkommen, dem<br />

Status und der sozialen Unterstützung als protektiver Faktor angesehen wird).<br />

3. Die gesellschaftlich und kulturell determinierten Geschlechterrollen veranlassen<br />

Männer einerseits, ihre Emotionen und Beschwerden zu unterdrücken. Andererseits<br />

erleben Männer die Rollenveränderungen der Frauen in den letzten zwanzig<br />

Jahren als derart verunsichernd, dass sie sich zu männlichen Reaktionsformen<br />

wie Aggressivität, Kontrolle, Macht oder Dominanz provoziert fühlen. Kompensatorisch<br />

dazu sind die weiblichen Rollen angelegt: Attribute wie Wärme, Einfühlsamkeit,<br />

Emotionalität und die Sorge um andere sowie um gesundheitliche Belange<br />

werden eher Frauen zugeschrieben, was häufig als Argument für eine höhere<br />

Inanspruchnahme medizinischer Leistungen von Frauen herangezogen wird.<br />

Das Aufsuchen einer Arztpraxis ist für Frauen eher nicht mit einem Autoritätsverlust<br />

konnotiert, für Männer hingegen eher schon. Allerdings werden in modernen<br />

feministischen Theorien diese Rollenzuschreibungen als zu statisch kritisiert und<br />

schreiben deren Entstehung eher Interaktionsprozessen (sowohl innerhalb der<br />

Gruppe der Frauen und Männer als auch zwischen diesen beiden Gruppen) zu<br />

(Courtenay, 2000; Maschewsky-Schneider, Sonntag & Klesse, 1999).<br />

4. Da Geschlechtsrollenstereotype für Frauen Merkmale wie Abhängigkeit, Ängstlichkeit,<br />

Unterordnung oder Hilflosigkeit denen der PatientInnenrolle ähneln, können<br />

Frauen auch eher zu Patientinnen werden und bekommen auch eher eine<br />

psychische Störung zugeschrieben. Dies kann einerseits mit der Rollenzuschreibung<br />

durch die Ärztin bzw. den Arzt erklärt werden. Andererseits ist es auch<br />

möglich, dass Frauen die beschriebenen Rollenmerkmale so weit internalisiert<br />

haben, dass sie diese gerade im ärztlichen Kontakt zeigen.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 123


Geschlechtsspezifische Untersuchung psychischer Erkrankungen, wie sie z.B. für koronare<br />

Herzerkrankungen vorgenommen wurden (vgl. Kapitel 3.6.2), stehen noch aus. Es<br />

ist zu vermuten, dass auch Diagnose und Therapie psychischer Krankheiten einem <strong>Gender</strong>-Bias<br />

unterliegen, was es im Rahmen gezielter Studien noch zu überprüfen gilt.<br />

3.5.3. Essstörungen<br />

Im Folgenden sollen Essstörungen als eine Form psychischer Erkrankungen näher untersucht<br />

werden, weil sie einerseits mit erheblichen volkswirtschaftlichen Kosten einhergehen.<br />

So schätzt Suissebalance (2005), dass in der <strong>Schweiz</strong> ca. 30% der gesamten Kosten<br />

des Gesundheitswesens auf ernährungsabhängige Krankheiten zurückgeführt werden<br />

können. Hier lässt sich ein erhebliches Präventionspotenzial identifizieren, dass in Bezug<br />

auf Adipositas auf die Aspekte Bewegung und Ernährung fokussiert (siehe hierzu Kap.<br />

3.9). Zum anderen sind bei den verschiedenen Formen der Essstörungen deutliche Geschlechterunterschiede<br />

zu beobachten.<br />

Adipositas (Übergewicht)<br />

Übergewicht und Adipositas nehmen auch in der <strong>Schweiz</strong> zu (siehe hierzu Kapitel<br />

3.9). Die Auswertung der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung von 2002 zeigt,<br />

dass der Anteil an Übergewichtigen (BMI zwischen 25 und unter 30) unter Männern<br />

deutlich höher ist (F: 21,8%; M. 37,5%). Der Anteil stark Übergewichtiger (BMI 30 oder<br />

höher) ist jedoch in beiden Geschlechtern – unabhängig vom Alter – in etwa gleich hoch<br />

(F: 7,4%; M: 7,9%). Die Adipositatsraten steigen bei beiden Geschlechtern, und zunehmend<br />

erlangen die Adipositasraten im Kindes- und Jugendalter Aufmerksamkeit (Suissebalance,<br />

2005).<br />

Anorexia nervosa (Magersucht)<br />

Auch wenn in jüngster Zeit das Thema Adipositas stark in den Vordergrund gerückt wird,<br />

so darf die Problematik der Anorexia nervosa (Magersucht) nicht aus dem Blick geraten.<br />

Hier ist ein deutlicher Geschlechtsunterschied zu beobachten. Der Frauenanteil an den<br />

Magersüchtigen beträgt etwa 95%. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 0,2–2%<br />

aller Frauen von Magersucht betroffen sind (Initiative Essstörungen, 2005a). In jüngster<br />

Zeit wird thematisiert, dass das Geschlechterverhältnis möglicherweise überschätzt wird,<br />

weil offenbar immer mehr Jungen an Anorexie erkranken (oder sich die Sensibilität dafür,<br />

dass auch Jungen und Männer hieran erkranken können, erhöht hat; siehe unten). Hier<br />

ist von einem erheblichen Forschungsbedarf auszugehen, da kaum solide epidemiologische<br />

Daten vorliegen und geschlechtsspezifische Risikofaktoren und Bewältigungsformen<br />

nicht analysiert wurden.<br />

Bulimia nervosa (Ess-Brechsucht)<br />

Von Bulimia nervosa sind ebenfalls erheblich mehr junge Frauen betroffen (90%) als<br />

Männer. Die Lebenszeitprävalenz der Gesamtbevölkerung, die irgendwann Probleme mit<br />

Heisshungeranfällen und anschliessenden gewichtsregulierenden Massnahmen hat, wird<br />

mit 1–2% angegeben. Dabei halten die bulimischen Patientinnen im Allgemeinen ein<br />

durchschnittliches oder höchstens nur leicht unterdurchschnittliches Köpergewicht, dies<br />

im Gegensatz zu den Magersüchtigen. «An Bulimie Erkrankte sind gedanklich über lange<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 124


Zeiten des Tages mit dem Essen beschäftigt. Essanfälle wechseln mit dem Bestreben,<br />

die aufgenommene Nahrung wieder los zu werden, sei es durch Hungerperioden, Abführen,<br />

Ausschwemmen oder Erbrechen. Die Essanfälle finden im Verborgenen statt und<br />

werden so lange wie möglich schamhaft verschwiegen. Lebensmittel werden gehortet,<br />

versteckt und für die Bevorratung wird viel Geld ausgegeben. Nach einer gierigen Essattacke<br />

folgen regelhaft deprimierte Verstimmung, Schuldgefühle und die krankhaft übersteigerte<br />

Besorgnis um die ruinierte Figur und das zunehmende Körpergewicht» (Initiative<br />

Essstörungen, 2005b).<br />

Die beiden letztgenannten Essstörungen werden in der Regel mit dem weiblichen Geschlecht<br />

in Verbindung gebracht, obwohl eine nicht unerhebliche Anzahl von Jungen und<br />

jungen Männern (Schätzungen gehen von 0,2% aus) daran leiden. Beim Auftritt der<br />

Krankheit sind Männer meist älter (18 bis 26 Jahre) als Frauen (15 bis 18 Jahre), und sie<br />

halten (bei einer studentische Population) weniger Diät (10 bis 40%) als ihre Kommilitoninnen<br />

(60 bis 90%). «Mädchen tendieren auch dazu, ihr Körpergewicht zu überschätzen<br />

und waren depressiver, falls sie übergewichtig waren, während Jungen zu Depressionen<br />

wegen Untergewicht neigten (...). Frauen wollen in erster Linie aus kosmetischen Gründen<br />

abnehmen, wohingegen Männer aus athletischen Gründen zunehmen wollen» (magersucht-online,<br />

2004). Beide Neigungen können zu massiven Essstörungen führen.<br />

3.5.4. Potenzielle Folgen psychischer Störungen: Suizid<br />

Psychische Erkrankungen sind nicht nur für die Betroffenen selbst einschneidend, sondern<br />

auch für ihr soziales Umfeld. Die der Krankheit direkt zuzuschreibenden Phänomene<br />

sind das eine, die sekundären Auswirkungen wie z.B. Beziehungsdiskontinuitäten, Unberechenbarkeit<br />

der affektiven Zuwendung, fehlende Verlässlichkeit, Kommunikationsverbote<br />

oder Isolation erscheinen unter einem systemischen Blickwinkel als mindestens<br />

ebenso verheerend (Müller-Schlotmann, 2004). Auch wenn die Ursachen für Suizide sehr<br />

komplex sind, so besteht doch Konsens, dass psychische Erkrankungen ein bedeutender<br />

Risikofaktor sind. «Die Folgen von psychischen Störungen werden (…) oft unterschätzt.<br />

Im Gegensatz zu den meisten somatischen Erkrankungen treten psychische Störungen<br />

zumeist im jungen und mittleren Erwachsenenalter auf. Oft bleiben die Verläufe, nicht<br />

zuletzt aufgrund inadäquater Diagnose und Behandlung chronisch. Über die Lebensspanne<br />

betrachtet, scheidet etwa jeder 100. Mensch infolge Suizid aus dem Leben, jeder<br />

zehnte begeht einen oder mehrere Suizidversuch(e)» (Ajdacic-Gross&Graf, 2003, S. 5–6).<br />

Der Weltdurchschnitt beträgt gemäss WHO (World Health Organisation, 2002) 14,5 Suizide<br />

auf 100'000 Menschen, wobei die <strong>Schweiz</strong> mit 19,3 Suiziden pro 100'000 BewohnerInnen<br />

den 9. Rang einnimmt. Mit diesen Raten sterben in der <strong>Schweiz</strong> mehr Menschen<br />

an Selbstmord als an Aids, Drogenkonsum und Verkehrsunfällen zusammengenommen.<br />

«In der <strong>Schweiz</strong> wird bei 1% bis 2% aller Todesfälle Suizid als Todesursache<br />

angegeben. 10% aller <strong>Schweiz</strong>er(Innen) begehen im Laufe ihres Lebens einen oder mehrere<br />

Suizidversuche und jede zweite Person berichtet in retrospektiven epidemiologischen<br />

Erhebungen über Suizidgedanken» (Bundesamt für Gesundheit, 2005, S. 8).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 125


Beim Geschlechtervergleich fällt auf, dass in allen Ländern sich die Männer mehr suizidieren<br />

als die Frauen (mindestens doppelt so viele Männer wie Frauen, Ratios von 2 bis<br />

10, je nach Nation), wobei die <strong>Schweiz</strong> mit 24,6 Suiziden pro 100'000 Bewohnern bei<br />

Männern gegenüber 8,9 bei Frauen keine Ausnahme macht (Angaben für das Jahr 2001;<br />

BFS, 2005). Im Jahr 2002 begingen 939 Männer und 391 Frauen einen Suizid. Schätzungen<br />

gehen zudem von ca. 15'000 bis 25'000 Suizidversuchen aus, wobei nur ca. 10'000<br />

erfasst und medizinisch behandelt werden (BAG, 2005). Mit zunehmendem Alter steigt<br />

das Suizidrisiko an (vgl. Tab. 3.5-2).<br />

In der Altersgruppe 15 bis 64 Jahre sind Suizide bedeutender als Unfälle (vgl. Kapitel<br />

3.7.1). Der Anteil der Suizide an den Todesfällen durch Unfälle und Gewalteinwirkungen<br />

lag im Jahr 2001 bei den 45- bis 64-jährigen Männern bei 56% (absolut: 329), bei den<br />

Frauen bei 55% (absolut: 137). Bei der Interpretation der Daten ist allerdings zu berücksichtigen,<br />

dass bei Frauen die Zahl der versuchten Suizide höher ist und bei Männern<br />

Selbsttötungen häufig nicht erkannt werden, wenn sie z.B. durch einen Unfall im Strassenverkehr<br />

herbeigeführt werden.<br />

Tabelle 3.5-2: Suizidraten (Sterbeziffer pro 100'000 EinwohnerInnen) nach Alter und Geschlecht in den<br />

Jahren 1992 und 2001 (BFS, 2005 und Frauengesundheitsbericht 1996)<br />

0 1–14 15–29 30–64 65–84 85+<br />

Männer<br />

1992* – 0,4 29,0 36,6 61,8<br />

2001<br />

Frauen<br />

– 0,2 22,4 36,6 51,1 119,3<br />

1992* – 0,6 6,1 13,3 20,1<br />

2001 – 0,5 7,7 15,1 17,2 35,6<br />

* Im Frauengesundheitsbericht 1996 werden lediglich die Raten für die Altergruppe 65+ angegeben.<br />

Während die Suizidraten in einem Zeitraum von 8 Jahren bei den 15- bis 64-jährigen<br />

Männern zurückgegangen sind, sind sie bei den Frauen gleichen Alters im selben Zeitraum<br />

angestiegen. Auch im langfristigen Trend zeigt sich in den letzten 100 Jahren ein<br />

leichter Rückgang der Suizidraten bei den Männern, während die Raten bei den Frauen<br />

steigen (Bundesamt für Gesundheit, 2005).<br />

Das Problem der hohen Suizidraten ist seit vielen Jahren Public-Health-Thema. Die Ursachen<br />

hierfür sind unklar. Aktuell ist die Frage in der Diskussion, auf welchem Wege sich<br />

ein nationales Suizidpräventionsprogramm entwickeln und etablieren lässt, da die Regelungskompetenz<br />

des Bundes beschränkt ist und die Verantwortung bei den Kantonen<br />

liegt (Bundesamt für Gesundheit, 2005).<br />

3.5.5. Forschungs- und Handlungsbedarf<br />

Die Verbesserung psychischer Gesundheit ist auf nationaler und internationaler Ebene<br />

ein zentrales Anliegen geworden, wie der Blick auf die jüngsten Aktionspläne und Handlungsanleitungen<br />

zeigt. Auf internationaler Ebene sind dies z.B. der «Europäische Aktionsplan<br />

für psychische Gesundheit» der WHO, die so genannte Helsinki-Deklaration<br />

(World Health Organisation, 2005) oder der Entwurf einer europäischen Policy für psychische<br />

Gesundheit (Jané-Llopis & Anderson, 2005). Auf nationaler Ebene sind dies z.B. die<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 126


nationale Strategie zum Schutz, zur Förderung, Erhaltung und Wiederherstellung der<br />

psychischen Gesundheit der Bevölkerung in der <strong>Schweiz</strong> (Nationale Gesundheitspolitik,<br />

2004b), die Schwerpunktsetzung im Bereich der Psychischen Gesundheit und Stress von<br />

Gesundheitsförderung <strong>Schweiz</strong> (Steinmann, 2005), die Empfehlungen von Strategien<br />

und Massnahmen für die <strong>Schweiz</strong> (Bruhin & Ducommun, 2002) oder die qualitative Studie<br />

zur psychischen Gesundheit von Illés und Abel (2002). Auffallend ist, dass bei all diesen<br />

Arbeiten <strong>Gender</strong> kein explizites Thema ist, mit Ausnahme der letztgenannten. Es<br />

werden zwar sehr wohl Zielpopulationen (meist Kinder/Jugendliche, Arbeitstätige oder<br />

MigrantInnen) oder Settings (Schule, Arbeitsplatz oder Familie) angesprochen, aber<br />

selbst bei der Familie ist <strong>Gender</strong> kaum Thema. Überraschend ist dies, weil in den von<br />

1993 bis 2003 veröffentlichten epidemiologischen Studien, die sich mit psychischer Gesundheit<br />

in der <strong>Schweiz</strong> befassen, als Zielgruppen in ca. 20% der Studien <strong>Gender</strong> angegeben<br />

wird, hinter Kinder und Jugendlichen mit 63%, aber noch vor alten Menschen<br />

(15%), StraftäterInnen (15%) und MigrantInnen (8%), (Mehrfachnennungen möglich),<br />

(Meyer & Ricka, 2005).<br />

In den zitierten Studien werden als Konsequenzen für Gesundheitsförderung, Prävention<br />

und der gesundheitlichen Versorgung meist nur allgemeine Forderungen gestellt, z.B.<br />

nach dem zielgruppengerechten Aufbau spezialisierter Dienste, nach mehr Forschung in<br />

diesem Feld, nach einer besseren Versorgung psychisch Kranker oder einer Entstigmatisierung<br />

psychischer Leiden. Einzig in der Studie von Illés und Abel (2002) wird explizit<br />

eine geschlechtersensible Gesundheitspolicy gefordert, «welche der Erkenntnis Rechnung<br />

trägt, dass Frauen und Männer aufgrund komplexer biologischer, psychologischer,<br />

psychosozialer sowie sozio-kultureller Prozesse über differente Ressourcen und Bewältigungsstrategien<br />

verfügen und unterschiedlichen Belastungskonstellationen ausgesetzt<br />

sind.<br />

Ein strukturell gegebener, spezifisch weiblicher Belastungsfaktor ist das Vereinbarkeitsdilemma<br />

zwischen Berufs- und Familienarbeit. Ein wichtiger Schritt zur Lösung dieses<br />

Dilemmas basiert (…) auf der Schaffung von Teilzeitstellen auf allen Hierarchiestufen, der<br />

Flexibilisierung der Arbeitszeit, dem Ausbau von Kinderfremdbetreuungsstätten (sowie)<br />

der Einrichtung von Tagesschulen (…). Auf der gesellschaftlichen Werte- und Normebene<br />

bedarf es zum einen einer Aufweichung von Geschlechterrollenstereotypen, zum<br />

anderen einer Aufwertung weiblich geprägter Eigenschaften und Kompetenzen wie familiale<br />

Emotionsregulierung, Empathie und Intuition oder die Fähigkeit zu ganzheitlichem<br />

und vernetztem Denken» (S. 120ff). Dabei soll besonderes Gewicht auf den Einbezug<br />

sozialer und sozio-kultureller Faktoren gelegt werden sowie die Mitberücksichtigung der<br />

Lebensfelder, insbesondere derjenigen, in denen die <strong>Gender</strong>-Perspektive wesentlich ist,<br />

also z.B. Familie, Arbeitswelt oder zielgruppenspezifische Angebotsstrukturen. Zudem<br />

wird eine gesundheitsspezifische Bildungsoffensive gefordert, welche «für die psychische<br />

Gesundheit so relevante Variablen wie Selbstvertrauen, Leistungsmotivation oder<br />

allgemeine Lebenszufriedenheit positiv» (Illés & Abel, 2002, S. 122) beeinflusst. Diese<br />

Variablen können gerade in einer <strong>Gender</strong>-Perspektive wesentlich sein.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 127


Literatur<br />

Ajdacic-Gross, V. & Graf, M. (2003). Bestandesaufnahme und Daten zur psychiatrischen Epidemiologie<br />

in der <strong>Schweiz</strong>. Zollikofen: Obsan.<br />

Antonovsky, A. (1979). Health, stress, and coping. San Francisco: Jossey-Bass.<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit (2005). Suizid und Suizidprävention in der <strong>Schweiz</strong>. Bericht in Erfüllung<br />

des Postulats Widmer (02.3251). Bern: Bundesamt für Gesundheit.<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit (2000). Fakten zum Verbraucherschutz. Bern: BAG.<br />

Benkert, O. (2005). StressDepression. Die neue Volkskrankheit und was man dagegen tun kann.<br />

München: Beck.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2005). Statistisches Jahrbuch der <strong>Schweiz</strong> 2005. Zürich: Verlag Neue<br />

Zürcher Zeitung.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2000). <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung. Gesundheit und<br />

Gesundheitsverhalten in der <strong>Schweiz</strong> 1997. Neuchâtel: BFS.<br />

Bruhin, E. & Ducommun, M. (2002). Psychische Gesundheit: Strategien und Massnahmen in der<br />

<strong>Schweiz</strong>. Bern: Universität, Abteilung für Gesundheitsforschung des Instituts für Sozial-<br />

und Präventivmedizin.<br />

Camenzind, P. & Meier, C. (Hrsg.) (2004). Gesundheitskosten und Geschlecht. Eine genderbezogene<br />

Datenanalyse für die <strong>Schweiz</strong>. Bern: Hans Huber.<br />

Christen, L. & Christen, S. (2005). Zwangseinweisung in psychiatrische Klinken der <strong>Schweiz</strong>. Analyse der<br />

Psychiatrie-Zusatzdaten 2000–2002. Neuchâtel: Obsan.<br />

Christen, L. & Christen, S. (2003). Beschreibung der Basisdaten stationärer psychiatrischer Behandlungen<br />

in der <strong>Schweiz</strong> 1998 bis 2000. Neuchâtel: Obsan.<br />

Courtenay, W.H. (2000). Construction of masculinity and their influence on men’s well-being: a theory of<br />

gender and health. Social Science and Medicine, 50, 1385–1401.<br />

Engel, G.L. (1977). The need for a new medical model: a challenge for the biomedicine. Science, 196,<br />

129–136.<br />

HEA – Health Education Authority (1999). Community Action for Mental Health. London: Health Education<br />

Authority.<br />

Helfferich, C. (1997). «Männlicher» Rauschgewinn und «weiblicher» Krankheitsgewinn? Geschlechtsgebundene<br />

Funktionalität von Problemverhalten und die Entwicklung geschlechtsbezogener<br />

Präventionsansätze. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 2, 148–161.<br />

Illés, C. & Abel, T. (2002). Psychische Gesundheit. Eine qualitative Studie im Rahmen des Projekts Nationale<br />

Gesundheitspolitik <strong>Schweiz</strong>. Bern: <strong>Schweiz</strong>erische Gesellschaft für Gesundheitspolitik.<br />

Initiative Essstörungen (2005a). Anorexia nervosa (Magersucht). www.iness.ch [Zugriff 10.01.05].<br />

Initiative Essstörungen (2005b). Bulimia nervosa (Ess-Brechsucht). www.iness.ch [Zugriff 10.01.05].<br />

Jané-Llopis, E. & Anderson, P. (2005). Mental Health Promotion and Mental Disorder Prevention.<br />

A policy for Europa. Nijmegen. Verfügbar unter www.imhpa.net [Zugriff am 03.05.2005].<br />

Kaluza, G. (2003). Stress. In M. Jerusalem & H. Weber (Hrsg.), Psychologische Gesundheitsförderung<br />

(S. 339–361). Göttingen: Hogrefe.<br />

Magersucht-online (2004). Essstörungen bei Männern. www.magersucht-online.de<br />

[Zugriff 14.12.2004].<br />

Martin, B.W., Beeler, I., Szucs, T., Smala, A., Brügger, O., Casparis, C., Allenbach, R., Raeber P.-A. &<br />

Marti B. (2001). Volkswirtschaftlicher Nutzen der Gesundheitseffekte der körperlichen<br />

Aktivität: erste Schätzungen für die <strong>Schweiz</strong>. <strong>Schweiz</strong> Z Sportmed Sporttraumatol, 49,<br />

84–86 und BAG-Bulletin, 33, 604–607.<br />

Maschewsky-Schneider, U., Sonntag, U. & Klesse, R. (1999). Das Frauenbild in der Prävention – Psychologisierung<br />

der weiblichen Gesundheit? In E. Brähler & H. Felder (Hrsg.). Weiblichkeit,<br />

Männlichkeit und Gesundheit (2. Aufl.) (S. 98–120). Opladen: Westdeutscher Verlag.<br />

Merbach, M., Singer, S. & Brähler, E. (2002). Psychische Störungen bei Männern und Frauen.<br />

In K. Hurrelmann und P. Kolip (Hrsg.), Geschlecht, Gesundheit und Krankheit: Männer<br />

und Frauen im Vergleich. (S. 258-272). Bern: Hans Huber.<br />

Meyer, P.C. & Ricka, R. (2005). Wissenschaftliche Informationen zur psychischen Gesundheit in der<br />

<strong>Schweiz</strong>. Neuchâtel: Obsan.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 128


Müller-Schlotmann, R.M.L. (2004). Kinder psychisch kranker Eltern in Pflegefamilien. Vortrag im Rahmen<br />

der 3. Bundestagung Erziehungsstellen in Marburg: «Mit elternreichen Kindern leben».<br />

Verfügbar unter www.agsp.de/html/a52.html [Zugriff: 29.9.05].<br />

Nationale Gesundheitspolitik (2004a). Psychische Gesundheit. Entwurf zur Stellungnahme. Bern:<br />

Nationale Gesundheitspolitik.<br />

Nationale Gesundheitspolitik (2004b). Zusammenstellung der Konsultationsergebnisse. Entwurf Nationale<br />

Strategie zum Schutz, zur Förderung, Erhaltung und Wiederherstellung der psychischen<br />

Gesundheit der Bevölkerung in der <strong>Schweiz</strong>. Bern: Nationale Gesundheitspolitik.<br />

Ramaciotti, D. & Perriard, J. (2003). Die Kosten des Stresses in der <strong>Schweiz</strong>. Bern: séco.<br />

Schopper, D. (2005). Gesundes Körpergewicht: Wie können wir der Übergewichtsepidemie entgegenwirken?<br />

Wissenschaftliche Grundlagen zur Erarbeitung einer Strategie für die <strong>Schweiz</strong>.<br />

Bern: Gesundheitsförderung <strong>Schweiz</strong>.<br />

Steinmann, R.M. (2005). Psychische Gesundheit – Stress. Wissenschaftliche Grundlagen für eine<br />

nationale Strategie zur Stressprävention und Förderung psychischer Gesundheit in der<br />

<strong>Schweiz</strong>. Bern: Gesundheitsförderung <strong>Schweiz</strong>.<br />

Strauss, B., Hartung, J. & Kächele, H. (2002). Geschlechtsspezifische Inanspruchnahme von Psychotherapie<br />

und Sozialer Arbeit. In K. Hurrelmann und P. Kolip (Hrsg.), Geschlecht, Gesundheit<br />

und Krankheit: Männer und Frauen im Vergleich (S. 533-547). Bern: Hans Huber.<br />

Suissebalance (2005). Ausgangslage. www.suissebalance.ch [Zugriff 10.1.05].<br />

World Health Organisation (2005). Europäischer Aktionsplan für psychische Gesundheit. Herausforderungen<br />

annehmen, Lösungen schaffen. Genf: World Health Organisation.<br />

World Health Organisation (2002). World Report on violence and health. Geneva: World Health Organisation.<br />

World Health Organisation (2001). World Health Report 2000. Mental Health: New Understanding.<br />

New Hope. Geneva: World Health Organisation.<br />

Zimmermann, M.B., Hess, S.Y. & Hurrell, R.F. (2000). A national study of the prevalence of overweight<br />

and obesity in 6–12 year old Swiss children: body mass index, body weight perceptions<br />

and goals. Eur J Clin Nutr, 54, 568–572.<br />

3.6. Verringerung der übertragbaren und nicht übertragbaren<br />

Krankheiten<br />

Petra Kolip<br />

Ziel 7: Verringerung übertragbarer Krankheiten<br />

Bis zum Jahr 2020 sollten die gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund von übertragbaren<br />

Krankheiten durch systematisch angewendete Programme zur Ausrottung<br />

oder Bekämpfung bestimmter Infektionskrankheiten, die für die öffentliche Gesundheit<br />

Bedeutung haben, erheblich verringert werden.<br />

Ziel 8: Verringerung nicht übertragbarer Krankheiten<br />

Bis zum Jahr 2020 sollten in der gesamten Region Morbidität, Behinderungen und vorzeitige<br />

Todesfälle infolge der wichtigsten chronischen Krankheiten auf den tiefstmöglichen<br />

Stand zurückgehen.<br />

Die Erfolge von Medizin und Public Health haben in allen industrialisierten Ländern in den<br />

vergangenen 100 Jahren zu einer Veränderung des Krankheitspanoramas geführt. Nicht<br />

mehr die Infektionskrankheiten, sondern chronisch-degenerative Erkrankungen bestimmen<br />

das Morbiditäts- und Mortalitätsgeschehen: Infektiöse Krankheiten machten im Jahr<br />

2002 nur noch 1,1% der Todesfälle in der männlichen Bevölkerung, 0,9% in der weiblichen<br />

Bevölkerung aus (BFS, 2005a).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 129


Im Folgenden werden die wesentlich übertragbaren und nicht übertragbaren Krankheiten<br />

im Geschlechtervergleich betrachtet; der Schwerpunkt liegt dabei auf der Bevölkerung<br />

bis 65 Jahren (zu Erkrankungen in höheren Lebensaltern siehe Kapitel 3.4). Zunächst<br />

wird ein epidemiologischer Überblick gegeben, der die Bedeutung der verschiedenen<br />

Krankheiten für Morbidität und Mortalität herausarbeitet. Fünf Krankheitsgruppen werden<br />

dann etwas ausführlicher vorgestellt: Infektionen, bösartige Neubildungen, Krankheiten<br />

des Kreislaufsystems, Diabetes mellitus sowie Muskel- und Skeletterkrankungen. Am<br />

Beispiel der Herz-Kreislauf-Krankheiten wird im Rahmen eines Exkurses analysiert, an<br />

welchen Punkten das biologische und das soziale Geschlecht einen Einfluss auf das<br />

Krankheitsprofil nehmen. Abschliessend werden Schlussfolgerungen für Gesundheitsförderung,<br />

Prävention und gesundheitliche Versorgung aus Geschlechterperspektive<br />

gezogen.<br />

3.6.1. Epidemiologischer Überblick in geschlechtervergleichender<br />

Perspektive Todesursachen<br />

Die Relevanz chronisch-degenerativer Erkrankungen im Krankheitspanorama westlicher<br />

Industriegesellschaften lässt sich an der Todesursachenstatistik ablesen: Die Abbildungen<br />

3.6-1a und 3.6-1b geben einen Eindruck von der Bedeutung verschiedener Todesursachen<br />

für das Sterblichkeitsgeschehen im Jahr 2002 für die unter 65-Jährigen. Bei den<br />

Männern sind Krebskrankheiten, Herz-Kreislauf-Krankheiten sowie Unfälle und Gewalteinwirkungen<br />

die wichtigsten Todesursachen. In der Gruppe der Frauen sind Neubildungen<br />

die wesentlichste Todesursache – hier ist der Brustkrebs von hoher Relevanz (siehe<br />

unten) –, gefolgt von Kreislauferkrankungen sowie Unfällen und Gewalteinwirkung (zur<br />

Bedeutung der Unfälle siehe Kapitel 3.7). Mit steigendem Lebensalter verschiebt sich die<br />

Bedeutung einzelner Todesursachen: Bei den 20- bis 39-Jährigen führen Unfälle und<br />

Gewalteinwirkungen die Statistik der Todesursachen an, gefolgt von Krebserkrankungen<br />

und psychischen Krankheiten (hier vor allem Drogenabhängigkeit; BFS, 2005a). Krebserkrankungen<br />

stehen bei den 40- bis 64-Jährigen an der Spitze der Todesursachen, gefolgt<br />

von Herz-Kreislauf-Krankheiten sowie Unfällen und Gewalt.<br />

Abbildung 3.6-1a: Anteil unterschiedlicher Todesursachen (Sterbefälle im Jahr 2002 für die unter<br />

65-Jährigen, Männer; BFS, 2005a; eigene Berechnung)<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 130


Abbildung 3.6-1b: Anteil unterschiedlicher Todesursachen (Sterbefälle im Jahr 2002 für die unter<br />

65-Jährigen, Frauen; BFS, 2005a, eigene Berechnungen)<br />

Ambulante Morbidität<br />

Ein ähnlich eindeutiges Bild lässt sich für die geschlechterspezifische Morbidität schwerer<br />

zeichnen, da die Datenlage hier eingeschränkt und heterogen ist. Eine Annäherung<br />

liefert die <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung, in der u.a. zehn chronische Krankheiten<br />

erfragt wurden. Tabelle 3.6-1 gibt einen Überblick über die 12-Monats-Behandlungsprävalenz.<br />

Die Tabelle zeigt, dass erwartungsgemäss die Prävalenz chronischer Erkrankungen mit<br />

dem Alter steigt; eine Ausnahme bilden hier Heuschnupfen und Allergien, die in jüngeren<br />

Lebensaltern häufiger sind. Die häufigste Erkrankung ist hoher Blutdruck, unter dem<br />

jede/r Fünfte bereits im Alter zwischen 50 und 64 Jahren leidet, aber auch rheumatische<br />

Erkrankungen sind mit einer Prävalenz von 9,1% bei den 50- bis 64-jährigen Männern<br />

und 14,4% bei den gleichaltrigen Frauen häufige chronische Krankheiten. Die Übersicht<br />

zeigt auch für einige Krankheiten über die Altersstufen hinweg konsistente Geschlechtsunterschiede.<br />

Diese sind besonders augenfällig für Diabetes, Krankheiten des Kreislaufsystems<br />

(Herzinfarkt, Schlaganfall), von denen Männer häufiger betroffen sind, sowie für<br />

rheumatische Erkrankungen und Nervenzusammenbruch/Depression, die von Frauen<br />

häufiger angegeben werden. Krebserkrankungen sind bis zum Alter von 64 Jahren bei<br />

Frauen häufiger, danach dreht sich das Geschlechterverhältnis um.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 131


Tabelle 3.6-1: Behandlungsprävalenz chronischer Krankheiten in den vergangenen 12 Monaten nach<br />

Geschlecht (m=Männer, f=Frauen) und Altersgruppen in Prozent (Antworten «ja, bin in Behandlung<br />

gewesen» und «zurzeit noch in Behandlung»; <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002,<br />

Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

15–34 Jahre 35–49 Jahre 50–64 Jahre 65+ Jahre<br />

m f m f m f m f<br />

Diabetes 0,6 0,2 1,6 1,2 6,4 3,6 10,7 7,6<br />

Rheumatismus 1,5 1,2 3,9 5,7 9,1 14,4 13,7 26,0<br />

Chronische Bronchitis/<br />

Emphysem<br />

1,6 2,1 2,4 1,6 4,0 3,6 7,5 6,7<br />

Hoher Blutdruck 2,4 1,5 7,4 4,3 20,5 19,5 35,6 37,2<br />

Herzinfarkt 0,3 0,1 0,9 0,1 4,8 0,8 10,5 4,4<br />

Schlaganfall 0,3 0,1 0,5 0,1 1,5 0,7 3,9 2,2<br />

Nierenkrankheit/Nierensteine 1,2 1,2 1,9 1,5 3,2 1,7 5,1 3,2<br />

Krebs 0,5 0,8 0,9 2,5 2,6 4,3 7,4 5,7<br />

Heuschnupfen oder Allergie 12,2 12,3 9,3 10,1 8,3 8,8 7,3 8,1<br />

Nervenzusammenbruch/<br />

Depression<br />

2,6 3,6 5,2 6,8 5,7 8,1 3,2 4,9<br />

Stationäre Morbidität<br />

Die medizinische Statistik gibt einen Eindruck von der Bedeutung unterschiedlicher Diagnosen,<br />

die im Jahr 2003 stationär behandelt wurden (BFS, 2005b). Bei den 15- bis 69jährigen<br />

Männern führen Verletzungen und Vergiftungen mit fast 57'000 Fällen die Liste<br />

der Behandlungsanlässe an, gefolgt von Krankheiten des Muskel- und Skelettsystems<br />

(ca. 53'000) und Krankheiten des Kreislaufsystems (ca. 42'000). Nimmt man in der Gruppe<br />

der Frauen die Geburten heraus (90'000 Fälle), so sind muskulo-skelettale Erkrankungen<br />

die bedeutendste Diagnose (ca. 54'000), gefolgt von «Faktoren, die den Gesundheitszustand<br />

beeinflussen» (ca. 41'000) sowie Krankheiten des urogenitalen Systems<br />

(ca. 40'000).<br />

Bezüger und Bezügerinnen von Invaliditätsrenten<br />

Ein Blick auf die Bezüger und Bezügerinnen von Invalidenversicherungsrenten illustriert<br />

die Bedeutung von Krankheiten des Stütz- und Bewegungsapparates sowie von psychischen<br />

Krankheiten für das Morbiditätsgeschehen: Im Januar 2003 erhielten 42’545 Männer<br />

und 38'956 Frauen eine IV-Rente wegen einer psychischen Erkrankung (Schizophrenie,<br />

Alkoholismus, Depression oder eine weitere psychische Erkrankung); das entspricht<br />

33% aller IV-Renten bei den Männern und 38% aller IV-Renten bei den Frauen. Auf<br />

Krankheiten des Bewegungsapparates (Arthrosen, unfallbedingte Leiden, übrige Krankheiten<br />

der Bewegungsorgane) entfielen 39'489 IV-Renten in der Gruppe der Männer<br />

(entspricht 30% aller IV-Renten) und 28'036 IV-Renten in der Gruppe der Frauen (27%<br />

aller IV-Renten), (BFS, 2004).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 132


3.6.2. Ausgewählte Krankheiten im Geschlechtervergleich<br />

Im Folgenden sollen einige Krankheitsbilder im Geschlechtervergleich näher untersucht<br />

werden, um Ansatzpunkte für eine geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung identifizieren<br />

zu können.<br />

Infektionskrankheiten<br />

Wie bereits erwähnt, haben Infektionskrankheiten in der <strong>Schweiz</strong> in Bezug auf ihre Rolle<br />

im Sterblichkeitsgeschehen an Bedeutung verloren. Die wichtigste Erkrankung ist Aids:<br />

Von den insgesamt 254 infektionsbedingten Todesfällen bis zum Alter von 64 Jahren<br />

gehen im Jahr 2002 knapp die Hälfte (121; 78 Männer und 43 Frauen) hierauf zurück.<br />

Seit 1994 nimmt die Sterblichkeit stetig ab (BAG, 2005). Die Neuerkrankungen sind nahezu<br />

kontinuierlich zurückgegangen, und dies sowohl bei Frauen als auch bei Männern<br />

(vgl. Abbildung 3.6-2). Dies ist vor allem auf die breite Anwendung hoch aktiver antiviraler<br />

Kombinationstherapien bei HIV-positiven Personen im Vor-Aids-Stadium zurückzuführen.<br />

Seit 2003 zeichnet sich eine leichte Zunahme der Aids-Neuerkrankungen ab (BAG, 2005).<br />

Der Anteil der heterosexuell verursachten neu diagnostizierten Fälle ist zunehmend, damit<br />

steigt auch der Frauenanteil, der 2004 31% betrug.<br />

Die Zahl der HIV-Infektionen stieg im Jahr 2001 – nach 8 Jahren stetigen Rückgangs –<br />

erstmals wieder an und verharrt seit 2002 auf hohem Niveau (ca. 750–850 Neuinfektionen).<br />

Hauptinfektionsweg ist der ungeschützte Sexualverkehr zwischen heterosexuellen<br />

Paaren (ca. 61% der Neuinfektionen), ungeschützter Sexualverkehr zwischen Männern<br />

(ca. 25%) sowie Injektion von Drogen (ca. 12%). Der Frauenanteil ist seit 1998 mit 36%<br />

bis 41% relativ konstant (BAG, 2004).<br />

Abbildung 3.6-2: Anzahl der Aids-Neuerkrankungen nach Geschlecht (Meldestand 31.7.2003; BFS, 2004)<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 133


Für das Morbiditätsgeschehen sind darüber hinaus weitere Infektionskrankheiten von<br />

Bedeutung. So wurden im Jahr 2002 9249 bakterielle Lebensmittelinfektionen gemeldet<br />

(Salmonella und Campylobacter); 658 Tuberkulosefälle, 165 Hepatitis-B-Infektionen und<br />

114 Meningokokken-Infektionen (BFS, 2004). Auf der Grundlage des Meldesystems für<br />

Infektionskrankheiten 44 gibt Tabelle 3.6-2 einen Überblick über die Anzahl der Hepatitis-Bund<br />

-C- sowie Chlamydien- und Gonorrhoe-Infektionen des Jahres 2004 bei Frauen und<br />

Männern. Während bei Hepatitis B und C sowie Gonorrhoe der Anteil der Männer überwiegt,<br />

sind von Chlamydien-Infektionen fast dreimal so viel Frauen betroffen.<br />

Tabelle 3.6-2: Prävalenz ausgewählter meldepflichtiger Krankheiten im Jahr 2004 nach Geschlecht;<br />

Anzahl gemeldeter Infektionen (BAG: Meldesystem für Infektionskrankheiten)<br />

Frauen Männer<br />

Hepatitis B gesamt 594 755<br />

Akute Hepatitis B 21 71<br />

Hepatitis C gesamt 864 1’308<br />

Akute Hepatitis C 32 50<br />

Neisseria gonorrhoeae 105 516<br />

Chlamydia 2’963 1’162<br />

Bösartige Krebskrankheiten<br />

Krebserkrankungen sind die bedeutendste Todesursache in der <strong>Schweiz</strong>. Jährlich erkranken<br />

etwa 31'000 Personen an einer Neubildung, 15'000 versterben daran (Oncosuisse,<br />

2004). Zwar ist Krebs eine Erkrankung, die vor allem im höheren Lebensalter auftritt, aber<br />

bösartige Neubildungen machen in der Altersgruppe unter 65 Jahren 32% der Todesfälle<br />

in der männlichen und 47% der Todesfälle in der weiblichen Bevölkerung aus. Auf bösartige<br />

Neubildungen gehen in der Gruppe der Frauen 43% der verlorenen potenziellen<br />

Lebensjahre zurück, bei den Männern machen sie 25% der verlorenen potenziellen Lebensjahre<br />

(vor dem 70. Lebensjahr) aus (Obsan 2004, Indikator 2.3.1).<br />

Während bei den Männern vor dem 65. Lebensjahr Krebserkrankungen der Lunge (mit<br />

29% aller Krebstodesfälle) von herausragender Bedeutung sind, sind es bei den Frauen<br />

die Brustkrebserkrankungen, die die Krebsmortalität bestimmen (27% aller Krebstodesfälle<br />

in dieser Altersgruppe), während Lungenkrebserkrankungen 14% ausmachen (und<br />

damit an zweiter Position stehen). Diese Krebslokalitäten verweisen darauf, dass es in<br />

Bezug auf die Krebserkrankungen noch ein erhebliches Präventionspotenzial gibt, denn<br />

beeinflussbare, verhaltensbedingte Risikofaktoren (Alkohol- und Tabakkonsum, Bewegungsmangel,<br />

Ernährung, Risikofaktoren am Arbeitsplatz oder aus der Umwelt) haben<br />

einen grossen Einfluss auf das Erkrankungsrisiko.<br />

Die Abbildungen 3.6-3a und 3.6-3b geben einen Eindruck davon, wie sich die Sterblichkeit<br />

in Bezug auf die verschiedenen Todesursachen seit 1950 entwickelt hat. In der<br />

Gruppe der Männer ist der Rückgang der Magenkrebssterblichkeit am eindrücklichsten.<br />

44 Die Änderung der Meldepflicht von übertragbaren Krankheiten 1999 hat das Überwachungssystem<br />

verändert. An die Stelle der obligatorischen ärztlichen Meldepflicht ist die Registrierung durch das<br />

Meldesystem Sentinella getreten, an dem 150 bis 250 AllgemeinpraktikerInnen, InternistInnen und<br />

PädiaterInnen mit allgemeinmedizinisch orientierter Praxis sowie einige Gynäkologen und Gynäkologinnen<br />

getreten.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 134


Bemerkenswert ist auch die Entwicklung der Lungenkrebssterblichkeit, die 1980 ihren<br />

höchsten Punkt erreicht hatte und seitdem rückläufig ist. Die Sterblichkeit an Dickdarmund<br />

Prostatakrebs hat bis 1990 zugenommen (und ist seitdem leicht rückläufig).<br />

Auch bei den Frauen ist eine eindrückliche Entwicklung der Lungenkrebssterblichkeit zu<br />

beobachten – allerdings mit umgedrehten Vorzeichen: Diese steigt noch immer kontinuierlich<br />

an. Die Magenkrebs- und Dickdarmkrebssterblichkeit sinkt ebenso kontinuierlich<br />

wie die Mortalität durch Gebärmutterhalskrebs. Für die Brustkrebsmortalität lässt sich<br />

feststellen, dass diese nach Jahren der Stagnation seit 1990 rückläufig ist.<br />

Abbildung 3.6-3a: Entwicklung der Krebssterblichkeit (altersstandardisierte Sterbeziffern pro 100'000<br />

Männer, direkte Methode, europäische Standardbevölkerung; BFS, 2004, Zahlen für 1950 und 1960<br />

wurden dem Frauengesundheitsbericht 1996 entnommen)<br />

Abbildung 3.6-3b: Entwicklung der Krebssterblichkeit (altersstandardisierte Sterbeziffern pro 100'000<br />

Frauen, direkte Methode, europäische Standardbevölkerung; BFS, 2004, Zahlen für 1950 und 1960<br />

wurden dem Frauengesundheitsbericht 1996 entnommen)<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 135


Unterschiede hinsichtlich der Krebserkrankungen zeigen sich auch, nimmt man nicht die<br />

Mortalität, sondern die Neuerkrankungen (Inzidenz) in den Fokus. Beim Blick auf die Neuerkrankungen<br />

werden zum Teil andere Krebslokalitäten relevant. Durchschnittlich<br />

erkranken mehr Männer als Frauen an einer Krebserkrankung: 599 vs. 428 je 100'000<br />

Personen (durchschnittliche Krebsinzidenzrate pro Jahr, gemittelt für die Jahre 1996–<br />

1998; Vereinigung <strong>Schweiz</strong>erischer Krebsregister, zitiert nach Obsan 2004, Indikator<br />

2.4.2). Tabelle 3.6-3 zeigt, dass – bezogen auf die Gesamtbevölkerung und nicht nur die<br />

Altersgruppe bis 65 Jahren – Hautkrebserkrankungen (ohne Melanom) bei beiden Geschlechtern<br />

die grösste Bedeutung haben (Frauen: 25,9%, Männer 25,0% aller Krebsneuerkrankungen),<br />

gefolgt von Prostatakrebs bei den Männern (18,7%) und Brustkrebs<br />

bei den Frauen (25,8%). Hier wird deutlich, dass eine bösartige Neubildung nicht zwingend<br />

mit Sterblichkeit assoziiert ist: Viele Krebserkrankungen sind heilbar oder führen<br />

aufgrund eines langsamen Wachstums des Tumors (wie z.B. beim Prostatakarzinom<br />

typisch) nicht zum Tode. Schätzungen auf der Grundlage der Vereinigung der <strong>Schweiz</strong>er<br />

Krebsregister gehen davon aus, dass schätzungsweise 85'000 Personen (etwa gleich viel<br />

Frauen wie Männer) in der <strong>Schweiz</strong> mit einer Krebsdiagnose leben, die in den letzten<br />

fünf Jahren gestellt wurde; eine Krebserkrankung bestimmt damit auch in massgeblicher<br />

Weise das Morbiditätsprofil der Bevölkerung (Oncosuisse, 2004).<br />

Neben den Geschlechtsunterschieden sind auch regionale und sozialschichtbedingte<br />

Unterschiede relevant. Mit spezifischen Berufen geht ein erhöhtes Risiko für Krebserkrankungen<br />

einher, wie auch mit einer tiefen sozialen Schicht das Risiko für eine Erkrankung<br />

erhöht ist. Interessanterweise ist der Sozialschichtgradient bei Männern (wie<br />

bei vielen anderen Krankheiten auch) stärker ausgeprägt als bei Frauen.<br />

Interessant ist aus <strong>Gender</strong>-Perspektive auch ein Blick auf die Überlebensraten. So<br />

beträgt die 5-Jahres-Überlebensrate bei einem Melanom nach einer Auswertung des<br />

Gesundheitsministeriums Nordrhein-Westfalen (Deutschland) bei Frauen 80%, bei Männern<br />

aber nur 69% (MFJFG NRW, 2000). Dieser Befund wird unter anderem darauf<br />

zurückgeführt, dass Männer die Anzeichen einer Erkrankung ignorieren, weniger primärund<br />

sekundärpräventive Massnahmen in Anspruch nehmen und für Aufklärungsprogramme<br />

weniger empfänglich sind (Streetly & Markowe, 1995, Smith et al., 2005).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 136


Tabelle 3.6-3: Durchschnittliche Krebsinzidenzrate pro Jahr nach Geschlecht und Primärlokalisation<br />

(1996–1998; Obsan, 2004, Indikator 2.4.2)<br />

Fälle pro 100’000 %-Anteil<br />

Männer<br />

Haut (andere als Melanom) 149,9 25,0<br />

Prostata 111,8 18,7<br />

Trachea, Bronchus oder Lunge 67,1 11,2<br />

Kolon 31,7 5,3<br />

Blase 26,4 4,4<br />

Rektum und Übergang 20,1 3,4<br />

Haut: Melanom 19,2 3,2<br />

Lymphom 18,5 3,1<br />

Magen 15,3 2,6<br />

Nieren 14,3 2,4<br />

Andere 124,4 20,8<br />

Frauen<br />

Haut (andere als Melanom) 111,1 25,9<br />

Brust 110,3 25,8<br />

Kolon 21,1 4,9<br />

Trachea, Bronchus oder Lunge 19,1 4,5<br />

Gebärmutterkörper 17,9 4,2<br />

Haut: Melanom 17,1 4,0<br />

Eierstock 14,2 3,3<br />

Rektum und Übergang 13,2 3,1<br />

Lymphom 12,2 2,9<br />

Gebärmutterhals 8,6 2,0<br />

Andere 83,7 19,5<br />

Krankheiten des Kreislaufsystems<br />

Krankheiten des Kreislaufsystems stellen in der Altersgruppe bis 64 Jahre gemeinsam<br />

mit Unfällen und Gewalteinwirkung die zweitwichtigste Todesursache dar: 20% der<br />

Sterbefälle der Männer und 12% der Sterbefälle der Frauen gehen hierauf zurück (BFS,<br />

2005a). Im Jahr 2002 starben 1403 Männer und 574 Frauen unter 65 Jahren an den Folgen<br />

einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Den grössten Anteil haben in dieser Gruppe die<br />

Herzkrankheiten, und hier insbesondere die ischämischen Herzkrankheiten (Herzinfarkt):<br />

In dem genannten Jahr starben in der Altersgruppe bis 64 Jahren 752 Männer und 169<br />

Frauen an einer ischämischen Herzkrankheit. Hirngefässerkrankungen (z.B. Schlaganfall)<br />

gewinnen erst in höherem Lebensalter an Bedeutung, hieran verstarben im Jahr 2002<br />

«nur» 149 Männer und 107 Frauen der genannten Altersgruppe (BFS, 2005a). Im internationalen<br />

Vergleich sind die Sterberaten an koronaren Herzkrankheiten in der <strong>Schweiz</strong><br />

erfreulich niedrig (Bisig & Gutzwiller, 2002), dennoch besteht Handlungsbedarf, da aufgrund<br />

vorzeitiger Sterblichkeit durch ischämische Herzkrankheiten jährlich 393,6 Jahre je<br />

100'000 Männer und 80,2 Jahre je 100'000 Frauen verloren gehen (altersstandardisierte<br />

Rate, europäische Standardbevölkerung; www.bfs.admin.ch).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 137


Die Sterblichkeit an Herzkrankheiten ist erfreulicherweise seit den 1970er-Jahren bei<br />

Frauen und Männern insgesamt rückläufig (vgl. Abbildung 3.6-4), nicht zuletzt aufgrund<br />

umfangreicher Präventionsbemühungen in den 1980er- und 1990er-Jahren (Bisig &<br />

Gutzwiller, 2002). Diese Entwicklung ist bei den ischämischen Herzkrankheiten insgesamt<br />

weniger stark ausgeprägt als bei den Herzkrankheiten insgesamt. Auffällig ist auch,<br />

dass der Rückgang in der Mortalität bei den Männern deutlich ausgeprägter ist als bei<br />

den Frauen – ein Hinweis darauf, dass die Präventionsansätze nicht beide Geschlechter<br />

gleichermassen erreicht haben (ablesbar z.B. an dem Anstieg der Raucherinnen, siehe<br />

hierzu Kapitel 3.9). Der deutlichere Rückgang in der Gruppe der Männer verweist aber<br />

auch auf einen <strong>Gender</strong>-Bias in der Diagnostik: Herzleiden wurden bei Männern schon<br />

sehr viel länger als koronare Herzkrankheit diagnostiziert, bei Frauen eher als andere<br />

Kardiopathien. Die Angleichung der Diagnosegewohnheiten hat dazu geführt, dass bei<br />

Frauen häufiger eine koronare Herzkrankheit – richtig – diagnostiziert wurde, was den<br />

Rückgang statistisch verzögert.<br />

Daten zur Morbidität liegen für die <strong>Schweiz</strong> bislang nicht vor, so dass hier auf<br />

internationale Studien – z.B. auf der Grundlage der MONICA-Herzinfarkt-Register –<br />

zurückgegriffen werden muss (Bisig & Gutzwiller, 2002). Diese zeigen, dass Frauen etwa<br />

5 bis 10 Jahre später an einem Herzinfarkt erkranken. Die Auswertungen der Register<br />

zeigen auch, dass die Letalität eines Herzinfarktes bei Frauen höher ist, insbesondere in<br />

jüngeren Altersgruppen (Härtel, 2002a, 2002b). Mit anderen Worten: In jüngeren Jahren<br />

erleiden Frauen seltener als Männer einen Herzinfarkt, aber wenn sie einen erleiden, ist<br />

die Wahrscheinlichkeit, daran zu versterben, deutlich grösser. Hintergrund dieses<br />

alarmierenden Ergebnisses ist, dass die Prähospitalphase, also die kritische Zeit, bis ein<br />

Spital erreicht wird, bei Frauen länger ist als bei Männern.<br />

Abbildung 3.6-4: Entwicklung der Sterblichkeit an Herzkrankheiten (altersstandardisierte Sterbeziffern<br />

pro 100'000 Frauen, direkte Methode, europäische Standardbevölkerung; BFS, 2004)<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 138


Exkurs: Zur Notwendigkeit eines Geschlechterblicks –<br />

das Beispiel koronare Herzkrankheit<br />

Bis vor wenigen Jahren galt der Herzinfarkt als typische Männerkrankheit. Die Ergebnisse<br />

der MONICA-Studien sowie anderer epidemiologischer Arbeiten, die sowohl auf die<br />

höhere Letalität des Herzinfarktes bei jüngeren Frauen verweisen als auch auf den stärkeren<br />

Rückgang der Sterblichkeit an koronaren Herzkrankheiten bei Männern hinweisen,<br />

haben zu einer breiteren Aufmerksamkeit für das Thema «Frau und Herz» geführt. Mittlerweile<br />

liegen zahlreiche Studien zu den Geschlechtsunterschieden in Ätiologie, Diagnostik<br />

und Therapie einer koronaren Herzkrankheit vor und Sensibilisierungskampagnen<br />

wurden gestartet, die sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch die Allgemeinbevölkerung<br />

darauf aufmerksam machen, dass Herzkrankheiten bei Frauen eine der wichtigsten Erkrankungen<br />

sind. Im deutschsprachigen Raum wurden in den vergangenen Jahren einige<br />

Überblicksarbeiten verfasst, die einen Einstieg in das Thema erleichtern (z.B. Bisig &<br />

Gutzwiller, 2002, Bachmann & Medau, 2002, Lohe, 2002, Kuhlmann, 2004).<br />

Zur Erklärung der Geschlechtsunterschiede werden unterschiedliche Faktoren herangezogen,<br />

die auf die Interaktion des biologischen und sozialen Geschlechts verweisen. So<br />

wird das um 5 bis 10 Jahre höhere durchschnittliche Erkrankungsalter bei Frauen zum<br />

einen auf biologische Aspekte, genauer: den potenziellen Schutz durch Östrogene 45 zurückgeführt.<br />

Die Verordnung der so genannten Hormon«ersatz»therapie 46 war in dieser<br />

Logik folgerichtig auch die zentrale Präventionsstrategie (ausführlicher siehe Kuhlmann &<br />

Kolip, 2005, sowie Kuhlmann, 2004). Mit der Women’s Health Initiative-Study, einer randomisierten,<br />

kontrollierten Studie mit 16'000 Frauen wurden die Hoffnungen auf das<br />

präventive Potenzial der Hormonpräparate allerdings zerschlagen: Zwar schützt die (post-)<br />

menopausale Hormontherapie vor Dickdarmkrebs und Knochenbrüchen, aber das Risiko<br />

für eine Brustkrebserkrankung, für Lungenkrebs und – wider Erwarten – für Schlaganfälle<br />

und koronare Herzerkrankungen steigt (Writing Group, 2002).<br />

Die geschlechtsspezifischen Morbiditätsmuster werden aber auch auf ein in der weiblichen<br />

Bevölkerung geringeres Ausmass gesundheitsriskanten Verhaltens (insbesondere<br />

Tabakkonsum) zurückgeführt. Vor diesem Hintergrund wird der geringere Rückgang in<br />

der Mortalität auf den steigenden Anteil von Raucherinnen bezogen. Auch für andere<br />

Risikofaktoren – Bluthochdruck, Übergewicht, Dyslipidämie, Bewegungsmangel, Diabetes<br />

mellitus, Stress – lassen sich geschlechtsspezifische Verteilungen ausmachen (für<br />

einen Überblick siehe Bisig & Gutzwiller, 2002). Auch mehren sich die Befunde, dass die<br />

einzelnen Risikofaktoren für Frauen eine grössere Bedeutung haben als für Männer und<br />

dass von einer geschlechtsspezifischen Gewichtung auszugehen ist (Lohe, 2002). So ist<br />

die Kombination von oralen Kontrazeptiva und Tabakkonsum bei Frauen mit einem stark<br />

erhöhten Risiko verbunden.<br />

45 Diese These war lange Zeit plausibel und diente als eines der wichtigsten Argumente für die<br />

Verordnung von Hormonpräparaten nach der Menopause. Die Befunde zum Schutz durch Östrogene<br />

sind allerdings widersprüchlich (zusammenfassend Weber et al., 2004).<br />

46 Der Begriff Hormon«ersatz»therapie wurde von Frauengesundheitsforscherinnen von Beginn an<br />

kritisiert, da er suggeriert, dass Östrogene in und nach den Wechseljahren – ähnlich wie das Insulin –<br />

zwangsläufig ersetzt werden muss. Sie sehen hierin den Ausdruck einer nicht gerechtfertigten<br />

Medikalisierung einer normalen körperlichen Umbruchphase im Leben von Frauen (Lademann, 2000).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 139


Die höhere Sterblichkeit für Frauen nach einem Herzinfarkt lässt sich nach Härtel (2002a)<br />

auf folgende Ursachen zurückführen:<br />

− Unterschiedliche Symptomatik: So sind die bei Frauen typischen Beschwerden<br />

wie Übelkeit und Erbrechen sowie Schmerzen zwischen den Schulterblättern bislang<br />

nicht breit als mögliche Symptome eines Herzinfarktes bekannt. Frauen, ihre Angehörigen<br />

und die behandelnden Ärzte und Ärztinnen nehmen die Beschwerden<br />

möglicherweise nicht ernst genug, so dass es zu einer späteren Spitaleinweisung<br />

kommt.<br />

− Unterschiedlicher patho-physiologischer Verlauf.<br />

− Höheres Alter bei Erkrankung: Das etwa 5 bis 10 höhere Erkrankungsalter ist mit<br />

mehr Vorerkrankungen assoziiert, die die Behandlung komplexer und das Risiko<br />

für einen Tod erhöhen.<br />

− Unterschiedliche Diagnostik und Therapie.<br />

Neuere Studien zeigen, dass zum einen die Standarddiagnostik bei einer koronaren Herzkrankheit<br />

(z.B. das Ruhe-EKG) bei Frauen weniger aussagekräftig ist als bei Männern.<br />

Hinzu kommt, dass invasive Diagnostik und Therapien (z.B. Herzkatheteruntersuchungen)<br />

bei Frauen seltener durchgeführt werden. Die Frage, ob es sich hierbei um eine Überversorgung<br />

der Männer oder eine Unterversorgung der Frauen handelt, muss offen bleiben,<br />

da bislang keine geschlechterspezifischen Leitlinien für Diagnostik und Therapie bei einer<br />

koronaren Herzkrankheit vorliegen. Ähnliches gilt für die Therapie. Auch hier lassen sich<br />

Geschlechtsunterschiede identifizieren: So erhalten Frauen nach Analysen von Glaeske<br />

und Janhsen (2004) auf der Grundlage eines Datensatzes einer deutschen Krankenkasse<br />

seltener die Standardmedikation nach Herzinfarkt. Allerdings muss an dieser Stelle auch<br />

festgehalten werden, dass über die geschlechtsspezifische Wirkung der Medikamente<br />

bislang zu wenig bekannt ist. Bis vor wenigen Jahren wurden Frauen in Medikamentenstudien<br />

nur zögerlich eingeschlossen, so dass die Frage unbeantwortet bleiben muss, ob<br />

die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern nicht möglicherweise begründet ist.<br />

Die vorhandenen Studien belegen die Notwendigkeit, Geschlechterdifferenzen in Diagnostik<br />

und Therapie stärker zu berücksichtigen und klinische Studien geschlechtersensibel<br />

durchzuführen, um den Korpus wissenschaftlicher Evidenz zu vergrössern und die<br />

Grundlagen für zielgruppengerechte Versorgungsangebote bereitzustellen.<br />

Diabetes mellitus<br />

Diabetes mellitus spielt im Mortalitätsgeschehen nur eine geringe Rolle, ihr Anteil an den<br />

Todesursachen beträgt in der Altersgruppe bis 64 Jahren bei Frauen und Männern gerade<br />

mal 1,3% (Männer) bzw. 1,2% (Frauen; BFS, 2005a). Die Bedeutung dieser Erkrankung<br />

liegt vor allem darin, dass sie als chronische Erkrankung massgeblich die Lebensqualität<br />

beeinflusst. Zudem ist sie eine Krankheit, die – zumindest partiell – als vermeidbar<br />

gilt, weil Lebensstilfaktoren (Ernährung, Bewegung) das Risiko für eine Erkrankung<br />

senken können. Zwar ist der Diabetes mellitus vor allem eine Krankheit, die in höherem<br />

Lebensalter gehäuft auftritt, aber auch bei den unter 65-Jährigen findet sich ein nennenswerter<br />

Anteil an Erkrankungen. So geben in der Altersgruppe 50 bis 64 Jahre 6,0%<br />

der Männer und 3,6% der Frauen an, in vergangenen zwölf Monaten wegen Diabetes<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 140


mellitus in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein (vgl. Tab. 3.6-1). Die Angaben zur Lebenszeitprävalenz<br />

einer Diabetesdiagnose entsprechen in etwa den Werten der Behandlungsprävalenz<br />

(vgl. Tabelle 3.6-1), was sich als Hinweis auf die hohe Validität der Selbstangaben<br />

werten lässt.<br />

Aus <strong>Gender</strong>-Perspektive ist hier vor allem die Frage relevant, inwiefern bei der Behandlung<br />

dieser chronischen Erkrankung ein geschlechtsspezifischer Umgang mit der Erkrankung<br />

berücksichtigt wird. So ist es nicht nur wichtig, die Erkrankten hinsichtlich des benötigten<br />

Insulins angemessen einzustellen, vielmehr muss auch der Lebensstil geändert<br />

werden (Förderung des Bewegungsverhaltens, Änderung des Ernährungsverhaltens).<br />

Der Schulung der Patientinnen und Patienten – z.B. in Bezug auf Ernährungsfragen –<br />

kommt deshalb eine herausragende Bedeutung zu. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass<br />

Frauen und Männer nicht nur unterschiedliches Wissen in Bezug auf die Zubereitung von<br />

Speisen haben, sondern auch unterschiedliche Ernährungsstile haben (Setzwein, <strong>2006</strong>).<br />

Tabelle 3.6-4: Prävalenz von Diabetes mellitus und der aktuelle Status des Blutzuckers nach Geschlecht<br />

(m=Männer, f=Frauen) und Altersgruppen, in Prozent (Selbstangaben: Antworten auf die Fragen «Hat<br />

Ihnen ein Arzt schon mal gesagt, Sie hätten Diabetes bzw. Sie wären zuckerkrank?» und «Ist Ihr Blutzucker<br />

jetzt im Moment normal oder zu hoch?»; <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung<br />

für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Diabetes jemals<br />

diagnostiziert<br />

Aktueller Status<br />

des Blutzuckers<br />

15–34 Jahre 35–49 Jahre 50–64 Jahre 65+ Jahre<br />

m f m f m f m f<br />

0,7% 0,8% 1,9% 2,5% 6,0% 3,8% 9,4% 7,8%<br />

– zu hoch 0,4% 0,4% 0,8% 1,3% 3,5% 1,9% 5,2% 4,0%<br />

– normal 79,3% 84,3% 82,9% 85,1% 83,8% 88,7% 89,4% 88,6%<br />

– weiss nicht 20,3% 15,4% 16,3% 13,6% 12,7% 9,4% 5,4% 7,4%<br />

Muskel- und Skeletterkrankungen<br />

Erkrankungen des Bewegungsapparats sind hinsichtlich des Mortalitätsgeschehens von<br />

geringer Relevanz. Allerdings sind sie ein Krankheitsbild bzw. eine Beschwerde, die stark<br />

verbreitet ist und in erheblichem Masse zur Frühberentung beiträgt. Bereits in der Altersgruppe<br />

15 bis 34 Jahren klagen 8% der Bevölkerung über starke Rückenschmerzen,<br />

bei den über 65-Jährigen sind es 15,1%. Die Prävalenz für Rückenschmerzen ist in der<br />

weiblichen Bevölkerung höher, aus bislang kaum geklärten Gründen (vgl. Abbildung<br />

3.6-5). Bei der Chronifizierung von Rückenschmerzen handelt es sich um ein sehr komplexes<br />

Phänomen, bei dem biologisch-medizinische Faktoren vermutlich eine nachrangige<br />

Rolle spielen, während psychosoziale Aspekte (z.B. Unzufriedenheit am Arbeitsplatz)<br />

von grösserer Bedeutung sind. Für die Geschlechtsunterschiede liessen sich bislang<br />

keine schlüssigen Erklärungen finden. Es wird vermutet, dass sowohl biologische Unterschiede,<br />

aber auch die unterschiedliche Wirksamkeit von Belastungsfaktoren, die unterschiedliche<br />

Wahrnehmung und Bewertung von Schmerz sowie Interaktionen zwischen<br />

diesen Faktoren zur Erklärung des Geschlechtsunterschiedes herangezogen werden<br />

müssen (Deck & Kohlmann, 2002).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 141


Abbildung 3.6-5: 4-Wochen-Prävalenz für Rückenschmerzen nach Alter und Geschlecht, in Prozent<br />

(<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Die Bedeutung der Muskel- und Skeletterkrankungen spiegelt sich auch in der Betrachtung<br />

der Spitaldiagnosen bei der Inanspruchnahme von Rehabilitationskliniken wider.<br />

«Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens» stehen bei Frauen wie bei<br />

Männern an zweiter Stelle der Spitaldiagnosen; im Jahr 2003 wurden 2446 Männer und<br />

2717 Frauen wegen dieser Diagnose in einer Rehabilitationsklinik behandelt, das entspricht<br />

10,1% bzw. 10,3% aller Behandlungsfälle (BFS, 2005b).<br />

Tabelle 3.6-5 zeigt, dass bei den Männern 30% und bei den Frauen 27% der IV-Renten<br />

auf Krankheiten der Bewegungsorgane entfallen; diese sind in der Regel mit einem hohen<br />

Invaliditätsgrad (70–100%) verbunden und verursachen entsprechend hohe volkswirtschaftliche<br />

Kosten.<br />

Tabelle 3.6-5: Bezüger und Bezügerinnen von IV-Renten aufgrund von Krankheiten des Bewegungsapparates<br />

nach Invaliditätsgrad und Geschlecht (BFS, 2005c)<br />

Männer<br />

Invaliditätsgrad<br />

40–49% 50–59% 60–69% 70–100% total % aller<br />

IV-<br />

Renten<br />

Arthrosen 169 937 266 1652 3'024 2,2<br />

Übrige Krankheiten der<br />

Bewegungsorgane<br />

Unfallbedingte Leiden der<br />

Bewegungsorgane<br />

Frauen<br />

Männer Frauen<br />

1'260 6'157 2'676 15'588 25'681 19,1<br />

906 2'976 1'226 6'864 11'972 8,9<br />

Arthrosen 148 552 202 1'043 1'945 1,8<br />

Übrige Krankheiten der<br />

Bewegungsorgane<br />

Unfallbedingte Leiden der<br />

Bewegungsorgane<br />

1'775 6'603 2'061 11'517 21'956 20,4<br />

462 1'590 527 2'896 5'475 5,1<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 142


3.6.3. Forschungs- und Handlungsbedarf<br />

Die epidemiologischen Daten zu den übertragbaren und nicht übertragbaren Krankheiten<br />

im mittleren Lebensalter (also bis etwa 65 Jahre) zeigen, dass es eindeutige geschlechtsspezifische<br />

Morbiditäts- und Mortalitätsmuster gibt. Herz-Kreislauf-Krankheiten<br />

und Krebserkrankungen sind für Frauen und Männer als Todesursachen relevant, während<br />

Unfälle als Unfallursache vor allem in der Gruppe der Männer von Bedeutung sind<br />

(siehe hierzu ausführlicher Kap. 3.7). Bei den Krebserkrankungen ist hinsichtlich der verschiedenen<br />

Krebslokalitäten zu differenzieren. Der Brustkrebs ist bei Frauen seit vielen<br />

Jahren die bedeutsamste Krebserkrankung, auch wenn die Mortalitätsraten mittlerweile<br />

sinken. Inwieweit hierzu das Mammografie-Sceening beiträgt, ist Gegenstand internationaler<br />

Kontroversen, auf die an dieser Stelle nicht detailliert eingegangen werden soll<br />

(siehe hierzu z.B. Koppelin et al., 2001). Auffällig ist der Befund zum Lungenkrebs: Während<br />

die Raten bei den Männern kontinuierlich sinken, sind sie bei den Frauen – aufgrund<br />

des gestiegenen Tabakkonsums – steigend. Zusammenfassend lässt sich festhalten,<br />

dass hinter den Geschlechtsunterschieden in der Mortalität ein geschlechtsspezifisches<br />

gesundheitliches Risikoverhalten sowie gesundheitsgefährdendere Lebens- und Arbeitsbedingungen<br />

von Männern stehen. Nach wie vor verhalten sich Männer in vielen Bereichen<br />

gesundheitsriskanter als Frauen (siehe hierzu auch das Kapitel 3.9): Sie trinken<br />

mehr Alkohol, rauchen noch immer mehr und regelmässiger (auch wenn sich hier die<br />

Geschlechter angleichen), ernähren sich ungünstiger und verhalten sich im Strassenverkehr<br />

gefährlicher (z.B. indem sie alkoholisiert ein Kraftfahrzeug steuern). Zugleich arbeiten<br />

sie häufiger in solchen Berufen, die durch gesundheitsriskante Arbeitsbedingungen<br />

gekennzeichnet sind (z.B. als Bauarbeiter). Die Morbiditätsunterschiede bestätigen dies:<br />

Männer sterben häufiger an Lungenkrebs, an Herzinfarkt und durch Unfälle, also solche<br />

Krankheiten, die durch gesundheitsriskantes Verhalten (mit-) verursacht sind. Offenbar<br />

werden Männer durch die traditionellen Präventionsangebote nicht erreicht, wie sich<br />

auch ein fürsorgliches Verhalten dem eigenen Körper gegenüber nicht mit Männlichkeitsstereotypen<br />

deckt. Dies zeigt sich z.B. bei der Auswertung deutscher Daten zur<br />

Inanspruchnahme der Präventionsmassnahmen, die von den gesetzlichen Krankenkassen<br />

angeboten werden (Arbeitsgemeinsachft der Spitzenverbände <strong>2006</strong>): Diese werden<br />

zu mehr als 80% von Frauen besucht, insbesondere Kurse zur Bewegung, zur Ernährung<br />

und zur Entspannung. Einzig bei Massnahmen zum Konsum von Genussmitteln – hiermit<br />

sind vor allem Rauchentwöhnungskurse gemeint – ist das Geschlechterverhältnis annähernd<br />

ausgewogen. Hier liegt eine zentrale Herausforderung für Prävention und Gesundheitsförderung,<br />

nämlich die Frage zu klären, welche Handlungsfelder für eine geschlechtsspezifische<br />

Prävention und Gesundheitsförderung von besonderer Relevanz ist<br />

(Herstellung vertikaler Chancengleichheit: beide Geschlechter sollen die Angebote erhalten,<br />

die sie besonders benötigen). Zudem ist in Bezug auf die Qualität von Massnahmen<br />

festzuhalten, dass die methodischen Zugänge nicht für beide Geschlechter passend sind,<br />

weil offenbar Männer nicht erreicht werden (Aspekt der Qualitätssicherung durch <strong>Gender</strong><br />

Mainstreaming). Eine Schlüsselfrage ist deshalb, wie sich Männer mit Angeboten zur<br />

Prävention und Gesundheitsförderung erreichen lassen (für Umsetzungsbeispiele siehe<br />

auch Kolip & Altgeld, <strong>2006</strong>). Darüber hinaus wird gerade bei der Frage nach den Präventionspotenzialen<br />

deutlich, dass nicht nur Geschlechterunterschiede von Bedeutung sind,<br />

sondern dass weitere Faktoren bei der Gestaltung von Präventionsmassnahmen Berücksichtigung<br />

finden müssen. Die sozialepidemiologische Forschung hat in den vergange-<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 143


nen Jahren deutlich aufgezeigt, dass Bildung wie auch Einkommen und Migrationshintergrund<br />

zentrale Variablen sind: Von den herkömmlichen Präventionsprogrammen werden<br />

bildungsferne Schichten nicht erreicht, und bislang gibt es wenig Ansätze, Präventionskonzepte<br />

zu entwickeln, die Personen mit Migrationshintergrund erreichen. Bei der<br />

Ausgestaltung des Präventionsgesetzes ist deshalb darauf zu achten, dass Präventionsbemühungen<br />

vor allem auf solche Bereiche fokussiert werden, die bislang von solchen<br />

Massnahmen nicht erreicht werden und bei denen deshalb die Präventionspotenziale<br />

besonders gross sind.<br />

Die Daten verweisen auch darauf, dass Frauen und Männer auch von anderen Krankheiten<br />

in unterschiedlichem Masse betroffen sind. Die Geschlechtsunterschiede sind hier<br />

bislang in den seltensten Fällen ausführlich untersucht. Eine Ausnahme bilden die Herzkrankheiten.<br />

Die genannten Studien verweisen auf einen gravierenden Geschlechter-<br />

Bias, der dazu führt, dass die Symptome von Frauen fehlgedeutet werden, eine beiden<br />

Geschlechtern angemessene Diagnostik nicht zur Verfügung steht und darüber hinaus<br />

spezifische Diagnostik und Therapie Frauen und Männern in unterschiedlichem Masse<br />

zugute kommt. Anders formuliert: Gerade bei den Herz-Kreislauf-Krankheiten lässt sich<br />

eine horizontale Ungleichheit aufzeigen: Frauen und Männer erhalten – durch empirische<br />

Befunde nicht gedeckt – nicht die gleichen Angebote, obwohl sie diese benötigen. Damit<br />

ist auch die Qualitätsfrage berührt, denn Frauen erhalten, weil weniger adäquat, eine<br />

qualitativ schlechtere Versorgung. Dies trifft in anderen Bereichen auch für Männer zu,<br />

z.B. bei der Diagnostik und Behandlung psychischer Krankheiten: Hier werden die Symptome<br />

von Männern fehlgedeutet, und ein Grossteil erhält keine angemessene Behandlung<br />

(siehe hierzu auch Kap. 3.5). Eine Konsequenz hieraus ist, dass das Prinzip des <strong>Gender</strong><br />

Mainstreaming stärker in die klinische und gesundheitswissenschaftliche Forschung,<br />

aber auch in die gesundheitliche Versorgung integriert werden muss: Für jede präventive,<br />

diagnostische, therapeutische oder pflegerische Massnahme ist zu prüfen, ob sie Frauen<br />

und Männer gleichermassen erreicht und ob die gewählten Zugänge für beide Geschlechter<br />

adäquat sind. In einigen Bereichen lassen sich erste Ansätze finden, dieses<br />

Prinzip umzusetzen. Exemplarisch sei hier auf die Stiftung Gesundheitsförderung<br />

<strong>Schweiz</strong> verwiesen, die für den Schwerpunkt Jugendliche und junge Erwachsene ein<br />

Instrumentarium entwickelt hat, mit dem Gesuchsteller für die Bedeutung der Kategorie<br />

Geschlecht in der Gesundheitsförderung sensibilisiert werden sollen (www.promotionsante.ch).<br />

Es lassen sich aber auch andere Bereiche identifizieren, in denen <strong>Gender</strong><br />

Mainstreaming noch keinen Einzug gehalten hat. So finden sich im Nationalen Krebsprogramm<br />

für die <strong>Schweiz</strong> zahlreiche Ansatzpunkte zur Verringerung der Krebsmorbidität<br />

und -mortalität – das Thema Geschlecht wird aber allenfalls indirekt gestreift. Auch die in<br />

vielerlei Hinsicht hervorragende Initiative «action d», die Menschen zu einem aktiveren<br />

Lebensstil zur Prävention von Diabetes motivieren will, lässt eine Geschlechtersensibilität<br />

leider vermissen (siehe www.actiond.ch). So werden Chancen zur Verbesserung<br />

der Qualität der gesundheitlichen Versorgung vergeben, denn durch <strong>Gender</strong><br />

Mainstreaming kann eine stärkere Passung zu den Bedürfnissen und dem Bedarf der<br />

Zielgruppe erreicht werden.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 144


Literatur<br />

Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen und Medizinischer Dienst der Spitzenverbände<br />

der Krankenkassen (<strong>2006</strong>). Dokumentation 2004. Leistungen der Primärprävention<br />

und der Betrieblichen Gesundheitsförderung gemäß § 20 Abs. 1 und 2 SGB V.<br />

Essen: MDK.<br />

Bachmann, J. & Medau, H.-J. (Hrsg.) (2002). Die koronare Herzkrankheit der Frau. Darmstadt: Steinkopff.<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit (2005). Eckdaten zur Epidemie von Aids und HIV in der <strong>Schweiz</strong>. Bern:<br />

Bundesamt für Gesundheit.<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit (2004). Die positiven HIV-Tests verharren seit 2002 auf hohem Niveau.<br />

Bulletin 49, 29.11.2004, S. 916–922.<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit. Meldesystem Infektionskrankheiten: www.bag.admin.ch/infreporting<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2004). Todesursachenstatistik. Ursachen der Sterblichkeit 1999 und 2000.<br />

Neuchâtel: Bundesamt für Statistik.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2005a). Todesursachenstatistik. Ursachen der Sterblichkeit 2001 und<br />

2002/Statistique des causes de décès. Causes de mortalité en 2001 et 2002. Neuchâtel:<br />

Bundesamt für Statistik.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2005b). Medizinische Statistik 2003/Statistique médicale 2003.<br />

Neuchâtel: Bundesamt für Statistik.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2005c). Statistisches Jahrbuch der <strong>Schweiz</strong> 2005. Zürich:<br />

Verlag Neue Züricher Zeitung.<br />

Bisig, B. & Gutzwiller, F. (Hrsg.) (2002). Frau und Herz. Epidemiologie, Prävention und Behandlung der<br />

koronaren Herzkrankheit bei Frauen in der <strong>Schweiz</strong>. Bern: Hans Huber.<br />

Deck, R. & Kohlmann, T. (2002). Rheumatische Krankheiten. In K. Hurrelmann & P. Kolip (Hrsg.),<br />

Geschlecht, Gesundheit und Krankheit. Männer und Frauen im Vergleich (S. 322–341).<br />

Bern: Hans Huber.<br />

Glaeske, G. & Janhsen, K. (2004). GEK-Arzneimittel-Report 2004. St. Augustin: Asgard.<br />

Härtel, U. (2002a). Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems bei Männern und Frauen. In K. Hurrelmann &<br />

P. Kolip (Hrsg.), Geschlecht, Gesundheit und Krankheit. Männer und Frauen im Vergleich<br />

(S. 273–290). Bern: Hans Huber.<br />

Härtel, U. (2002b). Ist-Analyse Prävalenz der Herz-Kreislauf-Krankheiten bei Frauen in NRW. Gutachten<br />

im Auftrag der Enquetekommission «Zukunft einer frauengerechten Gesundheitsversorgung»<br />

des Landtags Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf: Landtag NRW.<br />

Kolip, P. & Altgeld, T. (Hrsg.) (<strong>2006</strong>). Geschlechtergerechte Gesundheitsförderung und Prävention.<br />

Theoretische Grundlagen und Modelle guter Praxis. Weinheim: Juventa.<br />

Koppelin, F., Müller, R., Keil, A. & Hauffe, U. (Hrsg.) (2001). Die Kontroverse um die Brustkrebsfrüherkennung.<br />

Bern: Hans Huber.<br />

Kuhlmann, E. (2004). <strong>Gender</strong> Mainstreaming in den Disease-Management-Programmen – das Beispiel<br />

koronare Herzkrankheiten. Expertise im Auftrag des AKF/der BKF, gefördert durch das<br />

BMFSFJ. Bremen: Bundeskoordination Frauengesundheit; [Abrufbar unter:<br />

www.zes.uni-bremen.de/~kuhlmann/expertise.pdf].<br />

Kuhlmann, E. & Kolip, P. (2005). <strong>Gender</strong> und Public Health. Grundlegende Orientierungen für Forschung,<br />

Praxis und Politik. Weinheim: Juventa.<br />

Lademann, J. (2000). Hormone oder keine? In P. Kolip (Hrsg.), Weiblichkeit ist keine Krankheit. Die Medikalisierung<br />

körperlicher Umbruchphasen im Leben von Frauen (S. 143–172). Weinheim:<br />

Juventa.<br />

Lohe, E. von der (2002). Koronare Herzkrankheit bei Frauen: Prävention – Diagnostik – Therapie. Berlin:<br />

Springer.<br />

MFJFG NRW – Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit NRW (Hrsg.) (2000). Gesundheit<br />

von Frauen und Männern – Landesgesundheitsbericht 2000. Düsseldorf: MFJFG.<br />

Obsan – <strong>Schweiz</strong>erisches Gesundheitsobservatorium (2004). Gesundheitsmonitoring nach Indikatoren:<br />

www.obsan.ch<br />

Oncosuisse (2004). Nationales Krebsprogramm für die <strong>Schweiz</strong> 2005–2010. Bern: Oncosuisse.<br />

Setzwein, M. (<strong>2006</strong>). Frauenessen – Männeressen? Doing <strong>Gender</strong> und Essverhalten. In P. Kolip &<br />

T. Altgeld (Hrsg.), Geschlechtergerechte Gesundheitsförderung und Prävention.<br />

Theoretische Grundlagen und Modelle guter Praxis (S. 41–60) Weinheim: Juventa.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 145


Smith, L.K., Pope, C. & Botha, J.L. (2005). Patients' help-seeking experiences and delay in cancer<br />

presentation: a qualitative synthesis. Lancet, 366, 785–786.<br />

Streetly, A. & Markowe, H. (1995). Changing trends in the epidemiology of malignant melanoma: gender<br />

differences and their implications for public health. International Journal of Epidemiology,<br />

24, 897–907.<br />

Weber, T., Auer, J., Berent, R., Lassnig, E. & Eber, B. (2004). Kardiologie. In A. Rieder & B. Lohff (Hrsg.),<br />

<strong>Gender</strong> Medizin (S. 313–356). Wien: Springer.<br />

Writing Group for the Woman Health Initiative (2002). Risks and benefits of estrogen plus progestin in<br />

healthy postmenopausal women. Principal results from the Women’s Health Initiative<br />

randomised controlled Trial. Journal of the American Medical Association, 288, 321–333.<br />

3.7. Verringerung von auf Gewalteinwirkung und Unfälle<br />

zurückzuführende Verletzungen<br />

Petra Kolip<br />

Ziel 9: Verringerung von auf Gewalteinwirkung und Unfälle zurückzuführende<br />

Verletzungen<br />

Bis zum Jahr 2020 sollte es einen signifikanten und nachhaltigen Rückgang der Verletzungen,<br />

Behinderungen und Todesfälle infolge von Unfällen und Gewalt in der Region<br />

geben.<br />

3.7.1. Unfälle und Gewalteinwirkung als Todesursache<br />

Unfälle und Gewalt tragen massgeblich zur Morbidität und Mortalität bei: Im Jahr 2002<br />

starben insgesamt 3653 Personen an den Folgen von Unfällen und Gewalteinwirkungen,<br />

davon 2218 Männer (60,7%), (BFS, 2005). Unfälle und Gewalteinwirkungen machen<br />

5,9% aller Todesfälle aus. Bei den Männern ist der Anteil an allen Todesursachen mit<br />

7,8% deutlich höher als bei den Frauen mit 4,5%. Männer haben ein 2,5-fach erhöhtes<br />

Sterblichkeitsrisiko durch Unfälle und Gewalteinwirkung. Vor allem in der Altersgruppe<br />

15–44 Jahre ist diese Todesursache von erheblicher Relevanz, wie Tabelle 3.7-1 verdeutlicht.<br />

Tabelle 3.7-1: Sterbefälle durch Unfälle und Gewalteinwirkung im Jahr 2002 nach Geschlecht<br />

(m=Männer, f=Frauen) und Alter (BFS, 2005)<br />

0–14 15–44 45–64 65–84 85+<br />

m f m f m f m f m f<br />

Äussere Ursachen 36 18 746 254 584 249 572 413 280 501<br />

davon:<br />

– Verkehrsunfälle<br />

– Suizid<br />

– Mord<br />

Anteil an allen<br />

Todesursachen<br />

14<br />

1<br />

4<br />

7<br />

3<br />

2<br />

200<br />

347<br />

15<br />

62<br />

117<br />

23<br />

91<br />

329<br />

7<br />

34<br />

137<br />

8<br />

74<br />

211<br />

5<br />

12,9 8,5 46,5 32,3 11,5 8,6 3,7 3,3 3,8 3,2<br />

30<br />

97<br />

8<br />

17<br />

50<br />

1<br />

13<br />

37<br />

2<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 146


Im internationalen Vergleich fällt die <strong>Schweiz</strong> durch hohe Suizidraten auf: Im Jahr 2002<br />

begingen 939 Männer und 391 Frauen einen Suizid. Tabelle 3.7-1 zeigt, dass ab dem<br />

15. Lebensjahr die Suizide bedeutender sind als Verkehrsunfälle. Auffällig ist, dass<br />

Selbsttötungen bei Männern häufiger sind als bei Frauen (ausführlicher zu den Suiziden<br />

siehe Kapitel 3.5).<br />

75 Personen (32 Männer und 43 Frauen) verloren im Jahr 2002 ihr Leben aufgrund einer<br />

Gewalthandlung durch andere (Mord, Totschlag, vorsätzliche Verletzung) (vgl. Tabelle<br />

3.7-1), weitere 67 Männer und 22 Frauen durch gewaltsamen Tod zweifelhafter Ursache.<br />

Besonders gefährdet ist hier bei beiden Geschlechtern die Altersgruppe 15 bis 44 Jahre.<br />

3.7.2. Morbidität durch Unfälle<br />

Der Blick auf die Todesursachenstatistik hat bereits gezeigt, dass Unfälle und Gewalt ein<br />

Gesundheitsrisiko sind, von dem Männer häufiger betroffen sind als Frauen. Die Auswertungen<br />

der schweizerischen Gesundheitsbefragung unterstützen diese Befunde: Mehr<br />

Männer (9,8%) als Frauen (7,1%) geben an, in den vergangenen zwölf Monaten eine<br />

Unfallverletzung gehabt zu haben. Wie Tabelle 3.7-2 zeigt, ist der Geschlechterunterschied<br />

in der Prävalenz von Unfallverletzungen in der Altersgruppe 50 bis 64 Jahre am<br />

deutlichsten und ist auch nur in dieser Altersgruppe statistisch signifikant.<br />

Tabelle 3.7-2: Prävalenz von Unfallverletzungen in den vergangenen 12 Monaten nach Geschlecht und<br />

Alter (mindestens eine Verletzung; Angaben in Prozent; <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002,<br />

Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

15–34 Jahre 35–49 Jahre 50–64 Jahre 65+ Jahre<br />

Frauen 10,4 4,8 7,2 6,4<br />

Männer 11,2 6,8 13,6 6,5<br />

p n.s. n.s. .020 n.s.<br />

Tabelle 3.7-3 gibt Aufschluss über die Unfallarten. Am häufigsten sind nach den Angaben<br />

der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung von 2002 Sportunfälle, von denen Männer<br />

etwa doppelt so häufig betroffen sind wie Frauen, gefolgt von Unfällen in Haus und Garten,<br />

die bei Frauen häufiger sind. Unfälle am Arbeitsplatz stehen an dritter Stelle; hier<br />

sind Männer dreimal häufiger betroffen. Bei den Verkehrsunfällen, die an vierter Stelle<br />

stehen, finden sich keine Geschlechterunterschiede. Inwieweit sich hinter diesen Zahlen<br />

Unfälle verbergen, die auf männliches Risikoverhalten im Sinne von Mutproben etc. zurückgehen,<br />

lässt sich nicht beantworten. Die Ergebnisse spiegeln aber die geschlechtsspezifische<br />

Arbeitsteilung wider und verweisen darauf, dass Frauen mehr Zeit in Haus<br />

und Garten verbringen, während Männer stärker in Erwerbsarbeit eingebunden sind und<br />

deshalb auch mehr von Arbeitsunfällen betroffen sind (vgl. Kapitel 2).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 147


Tabelle 3.7-3: Prävalenz unterschiedlicher Unfallarten in den vergangenen 12 Monaten nach Geschlecht,<br />

in Prozent (<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Frauen Männer p<br />

Arbeitsunfall 2,0 6,2 .001<br />

Verkehrsunfall 1,8 1,9 n.s.<br />

Unfall in Haus oder Garten 5,5 4,1 .001<br />

Unfall bei Sport, Spiel usw. 5,1 11,4 .001<br />

Auffällig ist zudem, dass die Verletzungen von Männern schwerwiegender sind als jene<br />

von Frauen, da sie länger arbeitsunfähig sind bzw. länger nicht den üblichen Tätigkeiten<br />

nachgehen konnten (vgl. Tabelle 3.7-4). So sind Männer nach einem Arbeitsunfall durchschnittlich<br />

21,9 Tage, Frauen 8,1 Tage arbeitsunfähig; für Verletzungen durch Verkehrsunfälle<br />

oder Unfälle in Haus oder Garten finden sich ähnliche, wenn auch nicht ganz so<br />

deutlich ausgeprägte Unterschiede. Hinter diesen Befunden kann ein riskanteres Verhalten<br />

von Männern vermutet werden, dass zu schwerwiegenderen Verletzungen führt.<br />

Tabelle 3.7-4: Dauer der Arbeitsunfähigkeit nach einem Unfall nach Geschlecht, Angaben in Tagen<br />

(bei nicht Erwerbstätigen: Unfähigkeit, die üblichen Tätigkeiten zu verrichten; <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung<br />

2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Frauen Männer p<br />

Arbeitsunfall 8,1 21,9 .000<br />

Verkehrsunfall 5,0 15,2 .023<br />

Unfall in Haus oder Garten 4,7 10,0 .019<br />

Unfall bei Sport, Spiel usw. 6,2 7,3 n.s.<br />

Die stärkere Belastung durch arbeitsbedingte Unfälle in der Gruppe der Männer spiegelt<br />

sich auch in der Statistik zu Berufs- und nicht beruflichen Unfällen: Im Jahr 2002 erlitten<br />

211'198 Männer einen Berufsunfall, dem stehen 54'654 Frauen gegenüber (BFS, 2004;<br />

vgl. Abbildung 3.7-1). Die Statistik der Sammelstelle für die Statistik der Unfallversicherung<br />

UVG (SSUV) bestätigt diesen Befund: Auf 108 je 1000 UVG-anerkannte bei Berufsunfällen<br />

versicherte Männer kommen 33 Frauen; das Risiko der Männer, sich am Arbeitsplatz<br />

zu verletzen, ist also dreimal so hoch (Obsan, 2004, Indikator 4.3.1). Dies hat<br />

seine Ursache u.a. darin, dass Männer häufiger manuelle Tätigkeiten ausführen, die mit<br />

einem grösseren Unfallrisiko einhergehen.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 148


Abbildung 3.7-1: Anzahl der beruflichen und nicht beruflichen Unfälle bei Männern und Frauen im Jahr<br />

2002 (BFS, 2004)<br />

Die Unfallprävalenz hat in der Altersgruppe 20 bis 29 Jahre ihren Gipfel und nimmt dann<br />

kontinuierlich ab (vgl. Tabelle 3.7-5) – ein Hinweis darauf, dass vor allem junge Männer<br />

bereit sind, im Arbeitskontext «ihre Knochen zu riskieren».<br />

Tabelle 3.7-5: Berufsunfälle 2002 nach Geschlecht und Alter (BFS, 2004)<br />


walterfahrung berichten. Hierunter fallen aber nicht nur körperliche, sondern auch verbale<br />

Angriffe. So berichten 59,1% der Männer und 50,5% der Frauen, die von Gewalterfahrungen<br />

in den vergangenen zwölf Monaten betroffen waren, dass es sich um Gewalt mit<br />

Worten handelte, 20,5% der gewaltbetroffenen Frauen und 42,8% der Männer hingegen<br />

berichten von körperlicher Gewalt. Der Gleichstellungsbericht (BFS, 2003) führt den Geschlechtunterschied<br />

in der Gewalterfahrung auf die grössere Risikobereitschaft in der<br />

männlichen Bevölkerung zurück, die junge Männer nicht nur häufiger zu Tätern, sondern<br />

auch zu Opfern von Gewalterfahrung werden lässt. Bei Männern führt die Gewalterfahrung<br />

häufiger zu einer Verletzung als bei Frauen (18,2% vs. 13,6%), während deutlich<br />

mehr Frauen als Männer (57,4% vs. 33,7%) von psychischen Folgen der Opfererfahrung<br />

berichten (BFS, 2003). Obwohl Männer häufiger ausserhäusliche Gewalterfahrungen<br />

machen, fühlen sich Frauen stärker bedroht. Dieses Unsicherheitsgefühl bezieht sich<br />

auch auf die häusliche Umgebung: 8,1% der Frauen (2,5% der Männer), die sich nachts<br />

alleine in der Wohnung aufhalten, fühlen sich unsicher.<br />

Über häusliche Gewalt liegen für die <strong>Schweiz</strong> nur wenige Daten vor. Die wenigen vorhandenen<br />

Studien kommen zu unterschiedlichen Prävalenzraten, die auf Unterschiede in<br />

der Befragung wie auch in der Stichprobenauswahl zurückgeführt werden können. So<br />

kam die erste repräsentative Befragung von Frauen in der <strong>Schweiz</strong> (Gillioz, De Puy &<br />

Ducret, 1997) zum Schluss, dass etwa jede fünfte Frau in ihrem bisherigen Leben körperliche<br />

und/oder sexuelle Gewalt durch einen Partner erfahren hatten (Lebenszeitprävalenz),<br />

6,1% der Befragten gaben an, aktuell von Gewalt in Partnerschaften betroffen zu<br />

sein. Kilias, Simonin & De Puy (2005) kommen in ihrer internationalen Vergleichsstudie,<br />

die rund 2000 Frauen im Alter zwischen 18 und 70 Jahren aus der deutschen und französischen<br />

<strong>Schweiz</strong> einschloss, zu niedrigeren Zahlen: Die Lebenszeitprävalenz in dieser<br />

Studie beträgt 10%, im Verlauf der letzten zwölf Monate sind 0,9% der befragten Frauen<br />

nach eigenen Angaben von Gewalt betroffen gewesen. Die Rollenverteilung innerhalb<br />

der Partnerschaft ist ein wesentlicher Einflussfaktor auf Gewalt in der Paarbeziehung: Je<br />

gleichberechtigter ein Paar zusammenlebt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit der<br />

Gewaltausübung. Sind Frauen in einer schwächeren Position, wird häufiger Gewalt ausgeübt,<br />

aber auch dann, wenn Frauen in einer dominanten Position sind, erleben sie häufiger<br />

Gewalt als in gleichberechtigten Beziehungen (Gillioz, 1997, Godenzi, 1993).<br />

Generell ist davon auszugehen, dass es auch beim Thema Gewalt eine grosse Dunkelfeldproblematik<br />

gibt, die die Interpretation sowohl polizeilicher Statistiken als auch sozialwissenschaftlicher<br />

Befragungsstudien zu dem Thema erschwert. Gewalt gegen Frauen<br />

ist nicht nur mit individuellen Folgen für die betroffenen Frauen verbunden, sondern<br />

ist auch aus volkswirtschaftlicher Perspektive relevant. Es wird geschätzt, dass sich die<br />

Kosten auf jährlich mindestens 400 Mio. <strong>Schweiz</strong>er Franken (für Prävention, medizinische<br />

Behandlung und Massnahmen des Strafvollzugs) belaufen; ein Drittel dieser Kosten<br />

fallen direkt im Gesundheitswesen an (Godenzi & Yodanis, 1998).<br />

In jüngster Zeit ist die These formuliert worden, dass Männer in gleichem Masse wie<br />

Frauen von häuslicher Gewalt betroffen sind. Diese Aussage ist nur haltbar, wenn nicht<br />

zwischen Gewalt als spontanem Konfliktverhalten in der Partnerschaft und systematischem<br />

Gewalt- und Kontrollverhalten mit dem Ziel, die andere Person systematisch in<br />

eine unterlegene Position zu versetzen, unterschieden wird (Gloor & Meier, 2003). Es ist<br />

unstrittig, dass vor allem von der letztgenannten Gewaltform Frauen häufiger betroffen<br />

sind als Männer. Zu einem ähnlichen Schluss kommen Auswertungen der Statistiken der<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 150


Opferhilfeberatungsstellen. 74,5% der Opfer, die 2002 eine Beratungsstelle aufsuchen,<br />

waren weiblichen Geschlechts. Dies gilt insbesondere für die Verletzung der sexuellen<br />

Integrität. Im Zeitraum zwischen 1992 und 2002 ist die Zahl der polizeilich ermittelten<br />

Vergewaltigungen von 316 auf 484, also um 53% angestiegen (BFS, 2004). Inwieweit<br />

hierhinter eine Bereitschaft, eine Vergewaltigung zur Anzeige zu bringen, oder aber ein<br />

tatsächlicher Anstieg der Vergewaltigungen stehen, kann auf der Grundlage der polizeilichen<br />

Kriminalstatistik nicht beantwortet werden.<br />

3.7.4. Forschungs- und Handlungsbedarf<br />

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Unfälle und Gewalteinwirkungen eine zentrale<br />

Ursache von Morbidität und Mortalität darstellen, die besonders junge Männer bis<br />

ins mittlere Lebensalter hinein betreffen. Das in den Gesundheitszielen für die <strong>Schweiz</strong><br />

formulierte Ziel, Verletzungen, Behinderungen und Todesfälle als Folge von Unfällen und<br />

Gewalt zu reduzieren, wurde bislang nur teilweise erreicht: Während die Todesfälle im<br />

Strassenverkehr bei beiden Geschlechtern rückläufig sind, nehmen die Suizidraten in der<br />

weiblichen Bevölkerung zu (vgl. Kapitel 3.5). Rückläufig sind ebenfalls Berufsunfälle. Diese<br />

Trends verweisen darauf, dass zahlreiche Anstrengungen, z.B. zur Veränderung von<br />

gesundheitsriskanten Arbeitsplätzen oder zur Entschärfung von Unfallpunkten im Strassenverkehr,<br />

mittlerweile Erfolge verbuchen können. Dennoch besteht erheblicher Handlungsbedarf,<br />

der insbesondere die Gruppe mit dem höchsten Risiko, junge Männer, in<br />

den Blick nehmen sollte. Ein Beispiel für eine gelungene Intervention ist das Projekt «Voll<br />

im Griff», bei dem der Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Fahrvermögen auf<br />

eine männergerechte Art und Weise thematisiert wird, um die so genannten Disco-<br />

Unfälle (Unfälle an den Wochenenden unter Alkoholeinfluss) zu reduzieren (siehe ausführlicher<br />

Wüst, <strong>2006</strong>).<br />

Ähnliches gilt für das Thema «Ausserhäusliche Gewalterfahrung». Männer sind hiervon<br />

als Täter und als Opfer häufiger betroffen, aber es fehlt noch immer an geschlechtssensibel<br />

entwickelten Interventionsprogrammen. Zwar gibt es mittlerweile einige Interventionsprojekte<br />

im schulischen Kontext (z.B. Ausbildung von Schülern zu Streitschlichtern<br />

und Mediatoren), dennoch hat es den Anschein, als würde gewalttätiges Verhalten –<br />

gerade von männlichen Jugendlichen und jungen Männern – als «quasi-natürliche» Eigenschaft<br />

wahrgenommen, die zum Erwachsenwerden bei Männern dazugehört. Gewaltpräventionskonzepte<br />

thematisieren bislang nur selten den Zusammenhang zwischen<br />

männlichen Geschlechtsstereotypen und Gewalt und verpassen damit eine Chance zur<br />

Herstellung vertikaler gesundheitlicher Chancengleichheit.<br />

Für das Thema Gewalt gegen Frauen lässt sich festhalten, dass dieses inzwischen stärker<br />

Aufmerksamkeit geniesst als noch vor einigen Jahren. Ablesbar ist diese Entwicklung<br />

daran, dass zahlreiche Interventionsprojekte entwickelt wurden und dass einige gesetzliche<br />

Massnahmen sowohl auf Bundes- als auch auf kantonaler Ebene verankert wurden.<br />

Dennoch muss auch bei diesem Thema ein erheblicher Handlungsbedarf konstatiert<br />

werden. Hier bieten sich aus der Perspektive gesundheitlicher Versorgung z.B. niedergelassene<br />

Ärztinnen und Ärzte sowie Gesundheitsfachleute an, die darin geschult werden<br />

können, von Gewalt betroffene Frauen zu erkennen und ihnen gezielt und sensibel Hilfe<br />

anzubieten. So zeigt die Repräsentativbefragung von Patientinnen der Maternité Inselhof<br />

Triemli in Zürich (Gloor & Meier, 2004), dass das Spital für viele Frauen die erste Anlauf-<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 151


stelle bei Gewalterfahrungen ist, so dass dem medizinischen und pflegerischen Personal<br />

eine besondere Aufgabe im Erkennen und Behandeln Gewaltbetroffener zukommt. Darüber<br />

hinaus wäre zu diskutieren, welche – auch strukturellen – Massnahmen die häusliche<br />

Gewalt gegen Frauen verringern (z.B. Sensibilisierung für diesen Themenbereich,<br />

stärkere Vernetzung der relevanten Institutionen wie Polizei, Justiz, Frauenhäuser, Opferberatung,<br />

ÄrztInnen; Einführung des Wegweisungsrechts). Die vorhandenen Aktivitäten,<br />

z.B. die Kampagne «Stopp! Häusliche Gewalt» (www.verbrechenspraevention.ch),<br />

müssen intensiviert und Interventionsprojekte müssen erprobt werden.<br />

Es ist zu vermuten, dass hinter den geschlechtsspezifischen Befunden zur Häufigkeit von<br />

Verletzungen geschlechtsspezifische Sozialisationserfahrungen stehen. Diese wirken<br />

sich einerseits auf die Bereitschaft aus, den Körper durch gesundheitsriskantes Verhalten<br />

zu gefährden (z.B. durch riskantes Verkehrsverhalten oder Prügeleien), wie sie auch z.B.<br />

auf die Wahl des Arbeitsplatzes einen Einfluss haben. Männer arbeiten nach wie vor<br />

häufiger als Frauen in solchen Berufen, die mit einer Gesundheitsgefährdung einhergehen<br />

(z.B. im Baugewerbe, siehe Kapitel 2). Gesundheitsriskantes Verhalten ist auch als<br />

symbolisches Handeln zu verstehen, mit dem Männlichkeit ausgedrückt werden soll.<br />

Riskantes Verhalten hat damit auch identitätsstiftende Momente, die reflektiert werden<br />

müssen, wenn Präventionsprogramme in diesem Bereich erfolgreich sein wollen. Präventionsmassnahmen<br />

müssen hier – wie überall – einerseits an der strukturellen Ebene<br />

ansetzen und gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen schaffen (z.B. im Strassenverkehr<br />

oder am Arbeitsplatz). Sie müssen andererseits auch auf der individuellen Ebene<br />

ansetzen und vor allem bei jungen Männern das Risikobewusstsein schärfen und die<br />

Fürsorge für den eigenen Körper und die Gesundheit stärken. Zielgruppengerechtes Arbeiten<br />

heisst hier, die geeigneten Zugangswege und Settings auszuwählen und eine<br />

Methodik zu entwickeln, die auch die Jungen und junge Männer erreicht und ihren spezifischen<br />

Umgang mit dem eigenen Körper ernst nimmt (für Praxisbeispiele siehe Kolip &<br />

Altgeld, <strong>2006</strong>).<br />

Literatur<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2005). Todesursachenstatistik. Ursachen der Sterblichkeit 2001 und 2002.<br />

Neuchâtel: Bundesamt für Statistik.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2004). Statistisches Jahrbuch der <strong>Schweiz</strong> 2004. Zürich:<br />

Verlag Neue Zürcher Zeitung.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2003). Auf dem Weg zur Gleichstellung? Frauen und Männer in der<br />

<strong>Schweiz</strong>. Dritter statistischer Bericht. Neuchâtel: Bundesamt für Statistik.<br />

Gillioz, L., De Puy, J. & Ducret, V. (1997). Domination et violence envers la femme dans le couple.<br />

Lausanne.<br />

Gloor, D. & Meier, H. (2003). Ringen um das Thema gewaltbetroffener Männer. Halt-Gewalt, Infobulletin<br />

Nr. 16, Mai 2003.<br />

Gloor, D. & Meier, H. (2004). Frauen, Gesundheit und Gewalt im sozialen Nahraum. Repräsentativbefragung<br />

bei Patientinnen der Maternité Inselhof Triemli, Klinik für Geburtshilfe und Gynäkologie.<br />

Hrsg. vom Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann der Stadt Zürich und<br />

Maternité Inselhof Triemli. Bern: Edition Soziothek.<br />

Godenzi, A. (1993). Gewalt im sozialen Nahraum. Basel.<br />

Godenzi, A. & Yodanis, C. (1998). Erster Bericht zu den ökonomischen Kosten der Gewalt gegen Frauen.<br />

Fribourg: Universität Fribourg, Lehrstuhl für Sozialarbeit.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 152


Höpflinger F. & Hugentobler, V. (2003). Pflegebedürftigkeit in der <strong>Schweiz</strong>. Prognosen und Szenarien<br />

für das 21. Jahrhundert. Bern: Hans Huber.<br />

Kilias, M., De Puy, J. & Simonin, M. (2004). Violence experienced by women in Switzerland over their<br />

lifespan. Results of the International Violence against Women Survey (IVAWS).<br />

Bern: Stämpfli-Verlag.<br />

Kolip, P. & Altgeld, A. (<strong>2006</strong>). Geschlechtergerechte Gesundheitsförderung und Prävention. Theoretische<br />

Grundlagen und Modelle guter Praxix. Weinheim: Juventa.<br />

Obsan – <strong>Schweiz</strong>erisches Gesundheitsobservatorium (2004). Gesundheitsmonitoring nach Indikatoren:<br />

www.obsan.ch<br />

Wüst, M. (<strong>2006</strong>). Don’t drink and drive. Nur für Jungen eine Problem? In P. Kolip & T. Altgeld (Hg.),<br />

Geschlechtergerechte Gesundheitsförderung und Prävention. Theoretische Grundlagen<br />

und Modelle guter Praxis (S. 89–102). Weinheim: Juventa.<br />

3.8. Eine gesunde und sichere natürliche Umwelt<br />

Andrea Pauli und Claudia Hornberg<br />

Ziel 10: Eine gesunde und sichere natürliche Umwelt<br />

Bis zum Jahr 2015 sollte die Bevölkerung der Region in einer mehr Sicherheit bietenden<br />

natürlichen Umwelt leben, in der die Exposition gegenüber gesundheitsgefährdenden<br />

Schadstoffen die international vereinbarten Standards nicht übersteigt.<br />

3.8.1. Informations- und Datenquellen zur Umweltsituation in<br />

der <strong>Schweiz</strong><br />

Mit dem Ziel, «eine gesunde und sichere Umwelt» zu erhalten und wiederherzustellen,<br />

identifiziert der <strong>Schweiz</strong>er Gesundheitszielekatalog zentrale Determinanten von Gesundheit<br />

und Krankheit im Bereich der Umweltbelastungen, die Massnahmen der Vorsorge in<br />

der Umwelt- und Gesundheitsplanung erfordern. Der OECD-Umweltprüfbericht (1999)<br />

wie auch der Europäische Umweltbericht (EEA, 2003) attestieren der <strong>Schweiz</strong> beachtliche<br />

Erfolge in den Bereichen Entsorgung, Gewässerschutz, Lärmschutz, Luftreinhaltung<br />

und Verkehrspolitik. So ist beispielsweise die Abnahme der Luftschadstoffbelastung in<br />

der letzten Dekade mit einer Stagnation der Asthma- und Allergieraten bei Erwachsenen<br />

verbunden (Braun-Fahrländer et al., 2004).<br />

Massnahmen zur Reduzierung der umweltbezogenen Gesundheitsbelastungen werden<br />

u.a. mit der Strategie «Nachhaltige Entwicklung <strong>Schweiz</strong>» (BAG & BUWAL, 1997) sowie<br />

mit dem Aktionsplan «Umwelt und Gesundheit» (APUG), (BAG & BUWAL, 2001; ISPM,<br />

2000a, b, c) verfolgt. Durch die Zusammenarbeit von Bund, Kantonen, Gemeinden, Wirtschaft<br />

und Bildungseinrichtungen konnten bereits zahlreiche langfristig angelegte Massnahmen<br />

umgesetzt werden (ISPM & IKAÖ, 2004). Trotz dieser Fortschritte bestehen<br />

vielfältige Handlungsbedarfe zur weiteren Reduzierung von Schadstoffen (BUWAL &<br />

BFS, 2002; Kahlmeier et al., 2002; BUWAL, 2003b; vgl. auch: WHO, 2003). Das Forschungskonzept<br />

Umwelt 2004–2007 (BUWAL, 2003a) fokussiert in Übereinstimmung<br />

mit dem Forschungskonzept Gesundheit 2004–2007 (BAG, 2002) als prioritäre Forschungs-<br />

und Handlungsfelder Abfallentsorgung, Chemikalienexposition am Arbeitsplatz<br />

und im Wohnbereich, Klimaveränderung, Lärmbelastung, Luftverschmutzung, nicht ionisierende<br />

Strahlung sowie Trinkwasserverschmutzung. Neues Risikopotenzial für Umwelt<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 153


und Gesundheit wird u. a. in hormonaktiven Substanzen, in der nicht ionisierenden Strahlung<br />

sowie in den langfristigen Veränderungen des Klimas gesehen (BUWAL & BFS,<br />

2002). Als Schwachstellen der <strong>Schweiz</strong>er Umweltpolitik beschreibt die OECD (1999) den<br />

Verlust an Naturräumen sowie den damit verbundenen Rückgang der Artenvielfalt.<br />

3.8.2. Umweltbezogene Gesundheitsstörungen in der <strong>Schweiz</strong>er<br />

Bevölkerung<br />

Die starke Gewichtung von Umweltfaktoren in der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung<br />

ist Ausdruck der wachsenden Bedeutung, die der Umweltqualität als Indikator für<br />

die Lebensqualität der <strong>Schweiz</strong>er Bevölkerung zukommt (Stamm & Lamprecht, 2003). In<br />

der Gesundheitsbefragung 2002 wurde getrennt für Männer und Frauen die subjektiv<br />

empfundene Umweltbelastung im Bereich Luft und Lärm erfasst. Danach fühlten sich<br />

mit steigendem Alter Frauen (9%) häufiger als Männer (7%) durch Verkehrsemissionen<br />

belästigt (Obsan, 2004, Indikator 4.2.31). Im Bereich Nachbarschaftslärm stieg der Anteil<br />

der Frauen (17%), die sich gestört fühlten, deutlich an, während das Belästigungsniveau<br />

bei den Männern (17%) stagnierte (Obsan, 2004, Indikator 4.2.32). Von Industrie- und<br />

Verkehrslärm fühlten sich Männer und Frauen im Alter zwischen 15 und 74 Jahren in<br />

gleichem Masse (31%) beeinträchtigt (Obsan, 2004, Indikator 4.2.30).<br />

Die Exposition gegenüber Tabakrauch als inhalative Noxe stellt sowohl im häuslichen<br />

Wohnumfeld als auch in öffentlichen Einrichtungen und am Arbeitsplatz ein erhebliches<br />

gesundheitliches Risiko dar (Leuenberger et al. 2000, Krebs, Keller & Hornung, 2002).<br />

36% der Männer und 26% der Frauen in der <strong>Schweiz</strong> zählen sich zu den RaucherInnen.<br />

Abhängig von sozio-ökonomischen Faktoren sowie vom Freizeit- und Ausgehverhalten<br />

zeigt sich eine deutliche Zunahme von Raucherinnen in der Gruppe der jungen Frauen<br />

(Obsan, 2004, Indikator 3.2.1; siehe hierzu auch Kap. 3.9). In 43% der Haushalte mit einem<br />

Kind unter 7 Jahren hält sich mindestens eine rauchende Person auf (BAG, 2001).<br />

Männer sind aufgrund ihrer höheren Vollzeitbeschäftigungsquote häufiger bzw. länger<br />

Passivrauch am Arbeitsplatz ausgesetzt als teilzeitbeschäftigte Frauen (Krebs, Keller &<br />

Hornung, 2002). Angesichts der hohen Beschäftigungsquote von Frauen im Dienstleistungsbereich<br />

(z.B. Gaststättengewerbe) stellen jedoch Passivrauchexpositionen insbesondere<br />

für schwangere Frauen ein potenzielles Gesundheitsrisiko dar (BAG, 2005), wobei<br />

16% der schwangeren Frauen selber rauchen (BAG, 2001). Entsprechende Präventionskampagnen<br />

sowie der APUG (ISPM, 2000b) bearbeiten diese zentralen Themen.<br />

Konsumstile und Ernährungsverhalten sind bedeutende Einflussfaktoren in Hinblick auf<br />

die Prävention von Krankheiten (BFS, 2003), die zudem Rückwirkungen auf die Produktionsweise<br />

der Lebensmittel und damit auf die Umwelt haben (BAG, 2004). 42% der<br />

Männer und 28% der Frauen weisen ein zu hohes Körpergewicht auf.<br />

Männer verfügen in allen Alters- und Erwerbsgruppen deutlich häufiger über ein Auto als<br />

Frauen (BFS & ARE, 2001; Meier, 2000). Aus der Perspektive der Stadtplanung muss die<br />

Frage nach der Zugänglichkeit öffentlicher Räume, nach der geschlechtsspezifischen<br />

Bedeutung städtischer Grünräume sowie nach den Zusammenhängen zwischen der<br />

Umweltwahrnehmung und gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen gestellt werden.<br />

Ergebnisse hierzu sind im Rahmen der Studie «NaturBegegnungsStadt Basel», die derzeit<br />

am Institut für Natur-, Landschafts- und Umweltschutz (NLU) der Universität Basel<br />

durchgeführt wird, zu erwarten (Forschungsdatenbank der Universität Basel, 2005).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 154


3.8.3. Analysen und Bewertungen im Kontext Umwelt und Gesundheit<br />

aus der <strong>Gender</strong>-Perspektive<br />

In Übereinstimmung mit den Daten aus dem <strong>Schweiz</strong>er Haushalt-Panel (Tillmann et al.,<br />

2001) zeigt sich in den Gesundheitsbefragungen des Bundesamtes für Statistik, dass die<br />

Lebenszufriedenheit der <strong>Schweiz</strong>er ein hohes Niveau erreicht hat (Stamm & Lamprecht,<br />

2003). Umweltbewusstsein und die Wahrnehmung von Umweltproblemen nehmen in<br />

diesem Kontext einen zentralen Stellenwert ein und sind im internationalen Vergleich<br />

herausragend (Dieckmann & Franzen, 1997). Deutliche Unterschiede im Umweltbewusstsein,<br />

im umweltbewussten Handeln sowie in der Wahrnehmung von Umweltbelastungen<br />

(Kuckartz & Grunenberg, 2003; Kuckartz & Rheingans-Heintze, 2004) zeigen<br />

sich bezogen auf das Geschlecht, die soziale Schicht und die ethnische Zugehörigkeit<br />

(Empacher & Hayn, 2001; Weller, 2001). Sie werfen Fragen der gesellschaftlich «gerechten»<br />

Verteilung von Umweltbelastungen und Umweltressourcen auf und geben Anhaltspunkte,<br />

dass sozio-ökonomische Faktoren als wichtige Determinanten und mögliche<br />

«Modifikatoren» bei der Wahrnehmung und der Belastung durch Umweltfaktoren sowie<br />

im Hinblick auf gesundheitliche Effekte bislang unterschätzt wurden (Arend, 1998; Bolte<br />

& Mielck, 2004). Auswertungen bereits vorliegender Datensätze z.B. der <strong>Schweiz</strong>er Studien<br />

SCARPOL und SAPALDIA (Ackermann-Liebrich et al., 1997; Ackermann-Liebrich,<br />

2000; Braun-Fahrländer et al., 1997; Zemp et al., 1999) könnten die Frage beantworten,<br />

ob und in welchem Ausmass Umweltbelastungen nach sozialer Lage und nach Geschlecht<br />

variieren (Braun-Fahrländer, 2004; Mielck & Heinrich, 2002).<br />

Analysen und Bewertungen im Kontext <strong>Gender</strong>, Umwelt und Gesundheit bedürfen der<br />

integrativen Zusammenschau aller gesundheitsrelevanten Einflussfaktoren (Bargfrede et<br />

al., 2004). Hier sind insbesondere Unterschiede in den Lebensstilen, den sozioökonomischen<br />

Lebensverhältnissen (Mielck, 2002; Bolte & Mielck, 2004) sowie der<br />

Wohnregion (Arend, 1998; Maschewsky, 2001; Mielck & Heinrich, 2002) und den Arbeitsverhältnissen<br />

(BFS, 1997; Klotz, 2002; Koppelin & Müller, 2004; Keller et al., 2005)<br />

zu berücksichtigen. Dies ist umso wichtiger, da sich im Lebensverlauf in Abhängigkeit<br />

von den Lebensbedingungen die Expositionsfaktoren verändern. In der der Kindheit können<br />

z.B. das Stillen (Cameron & Smolka, 2005) sowie die «Hand-zu-Mund-Aktivitäten»<br />

das Expositionsrisiko gegenüber Schadstoffen erhöhen. Im Erwachsenenalter dominieren<br />

vor allem bei Männern Expositionsfaktoren am Arbeitsplatz (BFS, 1997; Klotz, 2002;<br />

Koppelin & Müller, 2004; Keller et al., 2005), während viele Frauen mehr Zeit im häuslichen<br />

Umfeld verbringen (Baumgartner & Fux, 2004), wo sie Innenraumschadstoffen<br />

(Keller, 2004; Keller et al., 2004; 2005; Stopper & Gertler, 2002) und Wohnumfeldbelastungen<br />

ausgesetzt sein können.<br />

Geschlechterunterschiede finden sich u.a. in der Lärm- (UBA, 2004) und Luftschadstoffbelastung<br />

sowie den möglicherweise daraus resultierenden Kombinationswirkungen<br />

(Eikmann, Herr & Seitz, 2005). Die Relevanz von <strong>Gender</strong>-Aspekten zeigt sich zudem in<br />

der arbeitsplatzbedingten (Koppelin & Müller, 2004) und alltagsrelevanten Chemikalienbelastung<br />

(Buchholz, 2004). Toxikokinetische Besonderheiten und unterschiedliche Suszeptibilitätscharakteristika<br />

determinieren die individuelle Empfindlichkeit gegenüber Schadstoffen<br />

und können zu geschlechtsspezifischen Differenzen in der korporalen Belastung<br />

mit Umweltchemikalien führen (Cameron & Smolka, 2005; Stopper & Gertler, 2002;<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 155


Weller, 2001; Weller et al., 2003). Männer und Frauen sind zudem in ungleicher Weise<br />

von raum- und verkehrsplanerischen Massnahmen betroffen (Spitthöver, 2000; Spitzner,<br />

2002) und zeigen ein unterschiedliches Verhalten in der Verkehrsnutzung (Buhr, 1999;<br />

BFS & ARE, 2001).<br />

Auch für klimaabhängige Faktoren (z.B. Wahrnehmung von Wetterveränderungen, Reaktion<br />

auf Extremwetterlagen), (z.B. PIK, 2000; Röhr et al., 2004) sowie für nichtionisierende<br />

Strahlung sind Geschlechterunterschiede als relevant anzunehmen (Röösli & Rapp,<br />

2003, Huss & Braun-Fahrländer, 2005; Röösli, Huss & Schreier, 2005).<br />

3.8.4. <strong>Gender</strong>-Relevanz in der Umwelt bezogenen Gesundheitsforschung<br />

Gesundheitliche Folgen durch komplexe Umweltbelastungen betreffen Männer und<br />

Frauen abhängig von Alter, sozialer Lage, Bildungsstand, Wohnverhältnissen etc. in den<br />

verschiedenen Lebenskontexten in unterschiedlichem Masse. Sie sind einerseits als<br />

Betroffene und andererseits als Verursachende von Umweltdegradation und Umweltbelastungen<br />

zu berücksichtigen (Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann,<br />

1999; Michel et al., 2002). Es zeigt sich insgesamt für die <strong>Schweiz</strong> wie für andere europäische<br />

Länder, dass zahlreiche Forschungsvorhaben im Kontext Umwelt und Gesundheit<br />

unmittelbar an <strong>Gender</strong>-Fragen anknüpfen, eine getrennte Analyse der Befunde nach<br />

Geschlechtern jedoch ausbleibt (Heinrich-Böll-Stiftung, 2001). Fehlendes «Know-how»<br />

hinsichtlich der möglichen Einbeziehung von <strong>Gender</strong>-Perspektiven scheint speziell im<br />

Bereich der Umweltforschung als zentrales Hindernis (Michel et al., 2002, Weller et al.,<br />

2003), demzufolge Geschlechter vergleichende Datenbestände in der <strong>Schweiz</strong> noch<br />

weitgehend ausstehen (Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann, 2002;<br />

Michel et al., 2002).<br />

International verfügbare geschlechtersensible Auswertungen repräsentieren in der Regel<br />

das Ergebnis von Arbeiten, deren Fokus auf anderen Fragestellungen lag (z.B. Keller,<br />

2004; Keller et al., 2004; Stopper & Gertler, 2002). Expositionsabschätzungen basieren<br />

heute immer noch weitgehend auf Daten, Annahmen und Schätzungen für gesunde<br />

Männer (Au, 2002). Dass auf diese Weise zentrale Informationen für präventive, diagnostische<br />

und therapeutische Interventionen verloren gehen, zeigt sich, wenn Daten<br />

getrennt nach Frauen und Männern aufgeschlüsselt werden. Sowohl in der Exposition<br />

gegenüber Umweltbelastungen als auch in den umweltbezogenen, d.h. durch Umweltfaktoren<br />

mit beeinflussten gesundheitlichen Beschwerden (Hornberg et al., 2005), werden<br />

Geschlechterunterschiede sichtbar (Keller, 2004; Keller et al. 2004, 2005). Aussagen<br />

zur Prävalenz umweltbezogener Gesundheitsstörungen bei Männern und Frauen in der<br />

<strong>Schweiz</strong> basieren angesichts bestehender Datenlücken, fehlender Verknüpfung von<br />

Umwelt- und Gesundheitsstatistiken sowie fehlender institutioneller Rahmenbedingungen<br />

zur interdisziplinären Abklärung lediglich auf groben Schätzungen (Huss et al., 2004a,<br />

b). Repräsentative Befragungen in der <strong>Schweiz</strong>er Bevölkerung zur Risikoeinschätzung<br />

geben Hinweise auf die Besorgnis um die eigene Gesundheit angesichts von Umwelteinflüssen<br />

(ISPM, 2000a; Peters, 2004, Röösli, Huss & Schreier, 2005). Sorgen um die Gesundheit<br />

sind insbesondere auf Seiten der Frauen zu beobachten, während für Männer<br />

der Bedrohlichkeitscharakter von Umweltschäden überwiegt (ISPM, 2000a).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 156


Die Ergebnisse eines umweltmedizinischen Beratungsprojekts an der Universität Basel in<br />

Zusammenarbeit mit verschiedenen kantonalen Fachstellen (Huss et al., 2004a; Huss &<br />

Braun-Fahrländer, 2005) legen nahe, dass angesichts der geschlechtsspezifischen Unterschiede<br />

in der verhaltens- und verhältnisbezogenen Risikoexposition (Stopper & Gertler,<br />

2002), in der Wahrnehmung von Umweltrisiken (Weller, 2001), in den umweltbezogenen<br />

Symptomen (Keller et al., 2005) sowie in der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen<br />

(Camenzind & Meier, 2004) ein strukturiertes Vorgehen erforderlich ist (Neuhann et al.,<br />

2002). Ebenso bedarf es der Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen, um toxische,<br />

allergologische, immunologische und psychiatrische Ursachen adäquat abzuklären<br />

(Brand et al., 2004; Huss et al., 2004a, b; Huss et al., 2005; Hornberg, Pauli & Wiesmüller,<br />

2003) und beratende, expositionsmindernde und/oder medizinisch-therapeutische<br />

Massnahmen einleiten zu können.<br />

Nur so können langfristig Fehldiagnosen, Chronifizierungen, verspätet einsetzende Therapien,<br />

verlängerte Verweildauer in Krankenhäusern etc., die letztlich erhebliche Gesundheits(mehr)kosten<br />

verursachen können, vermieden werden. Den Ergebnissen des<br />

umweltmedizinischen Beratungsprojekts (Huss et al., 2004b) zufolge sind die hierfür<br />

erforderlichen Rahmenbedingungen mit dem in der <strong>Schweiz</strong> etablierten Sentinella-<br />

Meldesystem zur Erhebung epidemiologischer Daten und zur Überwachung bevölkerungsweiter<br />

akuter Erkrankungen im Bereich der primären Hausarztversorgung vorhanden<br />

und ausbaufähig.<br />

3.8.5. Gesundheitsförderung und Prävention<br />

Eine gendersensible gesundheitliche Versorgung umweltbezogener Gesundheitsstörungen<br />

steht in der <strong>Schweiz</strong> vor der Aufgabe, neue Präventions- und Beratungskonzepte zu<br />

etablieren sowie Gesundheitsförderungsmassnahmen stärker als bisher sozial- und<br />

geschlechterdifferenziert auszurichten. Die bereits bestehenden Ansätze der Verhaltensprävention,<br />

z.B. zur Expositionsvermeidung sowie zur Förderung von umweltverträglicherem<br />

Verhalten, sollten durch verhältnispräventive Massnahmen, verankert in der unmittelbaren<br />

Lebenswelt der Bevölkerung, Ergänzung finden. Mit seiner salutogenen Orientierung<br />

verfügt der Aktionsplan Umwelt und Gesundheit über ein hohes Potenzial,<br />

gesundheitsförderliche Lebensbedingungen zu fokussieren und damit den positiven Einfluss<br />

von Umweltressourcen/Umweltfaktoren als «Gesundheitsquelle» stärker zu gewichten.<br />

Hierzu bedarf es mehr ressort- und institutionenübergreifender Formen der<br />

Zusammenarbeit sowie Netzwerkbildungen zwischen Umwelt-, Gesundheits-, Sozialbereich<br />

und Stadtplanung (Pauli, 2004).<br />

Die Agenda 21, der Aktionsplan Umwelt und Gesundheit sowie die verschiedenen Bundesprogramme,<br />

wie z.B. «AMEPA» als Strategie für die Nutzung bestehender Synergien<br />

zwischen Ernährung, Bewegung und landwirtschaftlicher Produktion (BAG, 2004), «Suisse<br />

Balance» und die Kampagne «Uns stinkts! Passiv Rauchen schadet», bieten mit ihren<br />

Themen viel Raum für eine genderbezogene Betrachtung. Über die Integration geschlechtsbezogener<br />

Aspekte bereits in der konzeptionellen Phase sowie in die konkrete<br />

Projektgestaltung und -umsetzung (Jahn & Kolip, 2002; Setz, 2004) könnte eine Wirksamkeits-<br />

und Effizienzsteigerung erreicht werden. Die auf den ersten Blick scheinbare<br />

«Geschlechtsneutraliät» der Programme sollte entsprechende Erweiterung z.B. durch die<br />

Formulierung genderrelevanter Evaluationskriterien erfahren.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 157


3.8.6. Ausblick<br />

Einer aktuellen Studie des World Economic Forum (WEF, 2005) zufolge rangiert die<br />

<strong>Schweiz</strong> im Hinblick auf die Realisierung der Chancengleichheit zwischen Frauen und<br />

Männern bei einem Vergleich von 30 OECD-Staaten und 28 Schwellenländern im internationalen<br />

Vergleich auf einem der hinteren Plätze (Platz Nr. 34). Zu einem vergleichbaren<br />

Ergebnis kommt der NGO-Evaluationsbericht zur Umsetzung des Aktionsplans der<br />

<strong>Schweiz</strong> «Gleichstellung von Frau und Mann» (Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau<br />

und Mann, 1999), aus dem die mangelnde Anerkennung frauenspezifischer Belange, die<br />

auf Kapitel 24 der Agenda 21 basieren, hervorgehen (Michel et al., 2002). Als wichtiger<br />

Aspekt wird die mangelnde Bearbeitung von Umweltthemen unter frauen- bzw. genderspezifischen<br />

Gesichtspunkten kritisiert sowie die unzureichend realisierte Partizipation<br />

von Frauen an Programmen nachhaltiger Entwicklung (vgl. auch Altmann, 2001).<br />

Um die weitere Entwicklung des <strong>Gender</strong>-Ansatzes im Bereich Umwelt und Gesundheit<br />

zu fördern, ist die Erhebung geschlechterdifferenzierter Daten und die Schaffung einer<br />

genderorientierten Datenbasis als zentrales Kriterium in die Umweltforschung zu implementieren.<br />

Zudem sind diese Messdaten mit gesundheitsbezogenen Indikatoren zu verknüpfen<br />

(Berlin Centre of Public Health, the European Women’s Health Network and the<br />

German Society for Social Medicine and Prevention [DGSMP], 2001). Anzuregen ist,<br />

bestehende Indikatorensammlungen (z.B. der Gesundheitsbefragung sowie des <strong>Schweiz</strong>er<br />

Monitoringsystems «MONET») um umweltbezogene, genderrelevante Gesundheitsindikatoren<br />

zu erweitern, welche die sozialen, ethnischen, altersmässigen etc. Unterschiede<br />

im Hinblick auf die Identifikation empfindlicher Personengruppen berücksichtigen.<br />

Zur Schaffung einer gemeinsamen interdisziplinären Plattform für die Bearbeitung von<br />

<strong>Gender</strong>-Fragen im Kontext Umwelt und Gesundheit ist zudem die Aufarbeitung und Systematisierung<br />

des aktuellen Forschungsstands zu «<strong>Gender</strong>, Umwelt und Gesundheit» in<br />

der <strong>Schweiz</strong> dringend anzuraten. Unterstützung können spezifische Arbeitshilfen (Jahn &<br />

Kolip, 2002) wie das <strong>Gender</strong> Impact Assessment (GIA), (Schultz & Hayn, 2002) leisten.<br />

Der <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> ist dabei als wichtiger Schritt zu werten, die vermeintliche<br />

Geschlechtsneutralität des Zusammenhangs zwischen Umwelt und Gesundheit<br />

kritisch zu hinterfragen. Er ist geeignet, den Weg für eine stärker gendersensible Ausrichtung<br />

bzw. eine Anpassung der vorliegenden Unter- und Teilziele für «eine gesunde<br />

und sichere Umwelt» zu bereiten.<br />

Literatur<br />

Ackermann-Liebrich, U., Leuenberger, P., Schwartz, J., Schindler, C., Monn, C., Bolognini, C., Bongard,<br />

J.P., Brandli, O., Domenighetti, G., Elsässer, S., Grize, L., Karrer, W., Keller, R., Wossidlo,<br />

H., Künzli, N., Martin, B.W., Medici, T.C., Perrouchoud, A.P., Schöni, M.H., Tschopp,<br />

J.M., Villinger, B., Wüthrich, B., Zellweger, J.P., Zemp, E. & the SAPALDIA Team (1997).<br />

Lung function and long term exposure to air pollutants in Switzerland. American Journal<br />

of Respiratory and Critical Care Medicine, 155, 122–129.<br />

Altmann, G. (2001). <strong>Gender</strong> & Environment und die Arbeit des BMU. In Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.),<br />

<strong>Gender</strong> und Environment in der praktischen Umweltpolitik. Werkstattgespräch der<br />

Heinrich-Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Bundesumweltministerium am<br />

21. September 2000 in Berlin (S. 11–14). Berlin.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 158


Arend, M. (1998). Sozialfall Lärm. Vom Lärm sind wir alle betroffen, aber nicht alle gleich. In Cerclebruit:<br />

Lärm. Luzern/ Basel. Verfügabr unter http://www.cerclebruit.ch [Zugriff: 12.06.05].<br />

Au, W.W. (2002). Susceptibility of children to environmental toxic substances. International Journal of<br />

Hygiene and Environmental Health, 205, 501–503.<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit (2005). Basisinformationen zum Schutz vor Passivrauchen.<br />

Bern: Bundesamt für Gesundheit. Verfügbar unter:<br />

http://www.rauchenschadet.ch/m/mandanten/179/download/FactSheets05-d.pdf<br />

[Zugriff: 24.06.2005].<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit (2004). Programm AMEPA. Strategie 2005–2007. Nationales Programm<br />

«Positive Wechselwirkungen zwischen Ernährung, Bewegung und landwirtschaftlicher<br />

Produktion». Bern: Bundesamt für Gesundheit.<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit (Hrsg.) (2002). Forschungskonzept 2004–2007. Bern: Bundesamt für<br />

Gesundheit.<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit (Hrsg.) (2001). Nationales Programm zur Tabakprävention 2001–2005.<br />

Bern: Bundesamt für Gesundheit. Verfügbar unter:<br />

http://www.rauchenschadet.ch/m/mandanten/179/download/NPTP_d.pdf [Zugriff:<br />

08.06.2005].<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit & BUWAL – Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (2001).<br />

Aktionsplan Umwelt und Gesundheit (APUG). Neuauflage. Bern: Bundesamt für Gesundheit.<br />

Verfügbar unter: http://www.apug.ch [Zugriff: 12.05.2005].<br />

BAG – Bundesamt für Gesundheit & BUWAL – Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (1997).<br />

Nachhaltige Entwicklung: Aktionsplan Umwelt und Gesundheit. Bern: Bundesamt für<br />

Gesundheit.<br />

Bargfrede, A., Pauli, A. & Hornberg, C. (2004). Gesundheit: Zur gesundheitlichen Situation von Frauen.<br />

In R. Becker & B. Kortendiek (Hrsg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung<br />

(S. 519–528). Frankfurt: VS Verlag.<br />

Baumgartner, D. & Fux, B. (2004). Und sie bewegen sich doch nicht: die Männer. Zur geschlechtsspezifischen<br />

Verteilung der Erwerbsarbeit in Familien. In E. Zimmermann & R. Tillmann (Hrsg.),<br />

Leben in der <strong>Schweiz</strong> 1999–2000. Ein Jahr im Leben der <strong>Schweiz</strong>er Familien und Haushalte<br />

(S.109–130). Frankfurt am Main: Peter Lang.<br />

Berlin Centre of Public Health, the European Women’s Health Network and the German Society for<br />

Social Medicine and Prevention (DGSMP) (2001). <strong>Gender</strong> Based Analysis (GBA) in Public<br />

Health Research, Policy and Practice. Dokumentation einer Tagung am 7./8. Juni 2001 in<br />

Berlin. Verfügbar unter http://www.ifg-gs.tu-berlin.de/index.phtml [Zugriff: 24.06.2005].<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2003). Die Gesundheitsbefragung 2002. Erste Ergebnisse. Neuchâtel:<br />

Bundesamt für Statistik.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (2002). Wohlstand und Wohlbefinden. Lebensstandard und soziale<br />

Benachteiligung in der <strong>Schweiz</strong>. Neuchâtel: Bundesamt für Statistik.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik (1997). Berufspezifische Mortalitätsrisiken der Männer in der <strong>Schweiz</strong>.<br />

Bern: Bundesamt für Statistik.<br />

BFS – Bundesamt für Statistik & ARE – Bundesamt für Raumentwicklung (2001). Mobilität in der<br />

<strong>Schweiz</strong>. Ergebnisse des Mikrozensus 2000 zum Verkehrsverhalten.<br />

Bern und Neuenburg.<br />

Bolte, G. & Mielck, A. (Hrsg.) (2004). Umweltgerechtigkeit. Die soziale Verteilung von Umweltbelastungen.<br />

Weinheim: Juventa.<br />

Brand, S., Heller, P., Huss, A., Bircher, A., Braun-Fahrländer, C., Niederer, M., Schwarzenbach, S.,<br />

Waeber, R., Wegmann, L. & Küchenhoff, J. (2004). Psychiatrische, medizinische und<br />

umweltanalytische Faktoren bei Menschen mit umweltbezogenen Gesundheitsstörungen.<br />

Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie, 55, 55–64.<br />

Braun-Fahrländer C. (2004). Die soziale Verteilung von Umweltbelastungen bei Kindern in der <strong>Schweiz</strong>.<br />

In G. Bolte & A. Mielck (Hrsg.), Umweltgerechtigkeit. Die soziale Verteilung von Umweltbelastungen<br />

(S. 155-174). Weinheim: Juventa.<br />

Braun-Fahrländer, C., Gassner, M., Grize, L., Takken-Sahli, K., Neu, U., Stricker, T., Varonier, H.S.,<br />

Wüthrich, B. & Sennhauser, F.H. (2004). No further increase in asthma, hay fever and<br />

atopic sensitisation in adolescents living in Switzerland. European Journal of Respirartory<br />

Diseases, 23 (3), 359–360.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 159


Braun-Fahrländer, C., Vuille, J.C., Sennhauser, F.H., Neu, U., Kunzle, T., Grize, L., Gassner, M., Minder,<br />

C., Schindler, C., Varonier, H.S. & Wüthrich, B. (1997). Respiratory health and longterm<br />

exposure to air pollutants in Swiss schoolchildren. American Journal of Respiratory and<br />

Critical Care Medicine, 155, 1042–1049.<br />

Buchholz, K. (2004). Chemikalienpolitik und -sicherheit und <strong>Gender</strong>. Thematische Übersicht erstellt im<br />

Auftrag des ISOE im Rahmen des vom BMU geförderten Projekts «Wissenschaftliche<br />

Begleitung zur Einführung des <strong>Gender</strong> Mainstreaming in die Regelpraxis des BMU».<br />

Buhr, R. (1999). Neue Nutzungskontexte – Zur Bedeutung des Autos im Alltag von Frauen. In R. Buhr,<br />

W. Canzler, A. Knie, & S. Rammler (Hrsg.), Bewegende Moderne. Fahrzeugverkehr als<br />

soziale Praxis. (S. 105–131). Berlin: edition sigma.<br />

BUWAL – Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (2003a). Forschungskonzept Umwelt für die<br />

Jahre 2004–2007. Forschungsstand, Schwerpunkte, Strategie. Bern.<br />

BUWAL – Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (2003b). Modeling of PM10 and PM2.5 ambient<br />

concentrations in Switzerland 2000 and 2010. Schriftenreihe Umwelt.<br />

BUWAL – Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft & BFS – Bundesamt für Statistik (2002). Umwelt<br />

<strong>Schweiz</strong>. Umweltbericht des Bundesamtes für Umwelt, Wald, Landschaft (BUWAL).<br />

Band 1 – Politik und Perspektiven. Band 2 – Statistik und Analysen. Bern. Verfügbar unter:<br />

http://www.umwelt-schweiz.ch/buwal/de/medien/umweltbericht/index.html [Zugriff:<br />

14.05.2005].<br />

Camenzind, P. & Meier, C. (Hrsg.) (2004). Gesundheitskosten und Geschlecht – Eine genderbezogene<br />

Datenanalyse für die <strong>Schweiz</strong>. Bern: Hans Huber.<br />

Cameron, P. & Smolka, S. (2005). Endstation Mensch. Über 300 Schadstoffe in der Muttermilch:<br />

Zeit für eine neue Chemikalienpolitik. Studie des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz<br />

Deutschland e.V.) (Hrsg.). Köln.<br />

Diekmann, A. & Franzen, A. (1997). Einsicht in ökologische Zusammenhänge und Umweltverhalten.<br />

In P. Gehr, C. Kost, & G. Stephan (Hrsg.), CO 2 – Eine Herausforderung für die Menschheit<br />

(S. 120–138). Berlin/Heidelberg/New York: Springer.<br />

EEA – European Environment Agency (2003). Europe’s environment: the third assessment. Environmental<br />

assessment report No 10. Copenhagen: EEA. Verfügbar unter:<br />

http://reports.eea.eu.int/environmental_assessment_report_2003_10/en/kiev_eea_low.pdf<br />

[Zugriff: 16.06.2005]<br />

Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (Hrsg.) (2002). Bericht des Bundesrats über die<br />

Umsetzung des Aktionsplans der <strong>Schweiz</strong> «Gleichstellung von Frau und Mann». Beantwortung<br />

des Postulats 00.3222 der Kommission 00.016-NR. Bern.<br />

Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (Hrsg.) (1999). Gleichstellung von Mann und Frau.<br />

Aktionsplan der <strong>Schweiz</strong>. Interdepartementale Arbeitsgruppe. Folgearbeiten zur 4. UNO-<br />

Weltfrauenkonferenz von Beijing (1995). Bern.<br />

Eikmann, T., Herr, C., Seitz, H. (2005). Ist es in Deutschland viel zu laut? Zum aktuellen Stand von<br />

Lärmforschung und Lärmschutz. Umweltmedizin in Forschung und Praxis, 10 (2), 65–66.<br />

Empacher, C. & Hayn, D. (2001). Sind Frauen besser? Die Relevanz der Alltagsgestaltung für nachhaltiges<br />

Konsumverhalten. Politische Ökologie, 70, 37–38.<br />

Forschungsdatenbank der Universität Basel. Verfügbar unter:<br />

http://www.forschungsdb.unibas.ch/ProjectDetailShort.cfm?project_id=2013 [Zugriff:<br />

20.06.05].<br />

Heinrich-Böll-Stiftung (2001). Arbeitsgruppe Umwelt und Gesundheit. In Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.),<br />

<strong>Gender</strong> und Environment in der praktischen Umweltpolitik. Werkstattgespräch der<br />

Heinrich-Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Bundesumweltministerium am<br />

21. September 2000 in Berlin (S. 44–48). Berlin.<br />

Hornberg, C., Malsch, A.K.F., Pauli, A., Weissbach, W. & Wiesmüller, G.A. (2005). Situationsbericht<br />

klinische Umweltmedizin Beispiel Nordrhein-Westfalen (NRW). Arbeitsmedizin Sozialmedizin<br />

Umweltmedizin, 40 (1), 12–26.<br />

Hornberg, C., Pauli, A. & Wiesmüller, A.G. (2003). Multiple Chemical Sensitivity (MCS) – eine Herausforderung<br />

für die interdisziplinäre Patientenversorgung und Forschung. Medizin –<br />

Umwelt – Gesellschaft, 16 (4), 274–285.<br />

Huss, A. & Braun-Fahrländer, C. (2005). Elektromagnetische Felder und Gesundheitsbelastungen: Bericht<br />

der Fallabklärungen im Rahmen des umweltmedizinischen Beratungsprojektes Basel.<br />

Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel (Hrsg.) Bern.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 160


Huss, A., Küchenhoff, J., Bircher, A., Heller, P., Kuster H, Niederer, M., Scartazzini, G., Schwarzenbacher,<br />

S., Waeberg, R., Wegmann, L. & Braun-Fahrländer, C. (2004a). Symptoms attributed<br />

to the environment – a systematic, interdisciplinary assessment. International Journal<br />

of Hygiene and Environmental Health, 207 (3), 245–254.<br />

Huss, A., Küchenhoff, J., Bircher, Niederer, M., Tremp, J., Waeber, R. & Braun-Fahrländer, C. (2004b).<br />

Are environmental problems relevant in Switzerland? Swiss Medical Weekly, 134,<br />

500–507.<br />

ISPM – Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel (2000a). Evaluation des Aktionsplans<br />

Umwelt und Gesundheit: Ausgangslage im Teilbereich «Mobilität und Wohlbefinden».<br />

Umwelt- und gesundheitsgerechte Mobilität. Basel: Institut für Sozial- und<br />

Präventivmedizin der Universität Basel.<br />

ISPM – Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel (2000b). Evaluation des Aktionsplans<br />

Umwelt und Gesundheit: Ausgangslage im Teilbereich «Wohnen und Wohlbefinden».<br />

Basel: Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel.<br />

ISPM – Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel (2000c). Evaluation des Aktionsplans<br />

Umwelt und Gesundheit: Ausgangslage im Teilbereich «Natur und Wohlbefinden».<br />

Basel: Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel.<br />

ISPM – Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel & IKAÖ – Interfakultäre Koordinationsstelle<br />

für Allgemeine Ökologie der Universität Bern (2004). Aktionsprogramm zum<br />

Aktionsplan Umwelt und Gesundheit (APUG). Synthese der Zwischenevaluation. August<br />

2004. Basel.<br />

Jahn, I. & Kolip, P. (2002). Die Kategorie Geschlecht als Kriterium für die Projektförderung von Gesundheitsförderung<br />

<strong>Schweiz</strong>. Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin<br />

(BIPS). Abteilung Sozialepidemiologie. Verfügbar unter:<br />

http://www.genderhealth.ch/siteman/library/file/geschlecht_kriterium.pdf [Zugriff:<br />

10.05.2005].<br />

Kahlmeier, S., Künzli, N. & Braun-Fahrländer, C. (2002). The first years of implementation of the Swiss<br />

National Envionment and Health Action Plan (NEHAP): lessons for environmental health<br />

promotion. Sozial und Präventivmedizin, 47, 67–79.<br />

Keller, D. (2004). Geschlechterspezifische Betrachtung von Patienten der ehemaligen Umweltmedizinischen<br />

Beratungsstelle (UMEB) des Medizinischen Institutes für Umwelthygiene der<br />

Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Dissertation zur Erlangung des akademischen<br />

Grades eines Doktors der Medizin. Aachen: Wissenschaftsverlag.<br />

Keller, D., Hornberg, C., Niggemann, H., Neuhann, H.F., Ranft, U., Dott, W. & Wiesmüller, G.A. (2005).<br />

Geschlechter-assoziierte Expositionen bei Patienten einer umweltmedizinischen<br />

Beratungsstelle. Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed., 40 (6), 342–353.<br />

Keller, D., Hornberg, C., Niggemann, H., Neuhann, H.F., Ranft, U., Dott, W. & Wiesmüller, G.A. (2004).<br />

Geschlechterspezifische Aspekte in der Umweltmedizin. Journal Netzwerk Frauenforschung<br />

NRW, 17, 25–38.<br />

Klotz T. (2002). Spezifische Gesundheitsprobleme von Männern. In K. Hurrelmann & P. Kolip (Hrsg.),<br />

Geschlecht, Gesundheit und Krankheit. Männer und Frauen im Vergleich (S. 241–257).<br />

Bern: Hans Huber.<br />

Koppelin, F. & Müller, R. (2004). Macht Arbeit Männer krank? Arbeitsbelastungen und arbeitsbedingte<br />

Erkrankungen bei Männern und Frauen. In T. Altgelt (Hrsg.), Männergesundheit<br />

(S. 121–134). Weinheim: Juventa.<br />

Krebs, H., Keller, R. & Hornung, R. (2002). Tabakmonitoring. Bericht über das Passivrauchen in der<br />

<strong>Schweiz</strong>er Bevölkerung. Im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit. Zürich: Psychologisches<br />

Institut der Universität Zürich, Sozialpsychologie II.<br />

Kuckartz, U. & Grunenberg, H. (2003). Repräsentativbefragung zum Stand von Umweltbewusstsein,<br />

Umweltverhalten und ökologischer Gerechtigkeit im Jahr 2002. Studie im Auftrag des<br />

Umweltbundesamtes. Berlin/Marburg.<br />

Kuckartz, U. & Rheingans-Heintze, A. (2004). Umweltbewusstsein in Deutschland 2004. Ergebnisse einer<br />

repräsentativen Bevölkerungsumfrage. Im Auftrag des Umweltbundesamtes. Berlin:<br />

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz.<br />

Leuenberger, P., Ackermann-Liebrich, U., Künzli, N., Schindler, C., Perruchoud, A.P. & SAPALDIA (2000).<br />

SAPALDIA, past, present, and future. <strong>Schweiz</strong>erische Medizinische Wochenschrift, 130,<br />

2921-7.<br />

Maschewsky, W. (2001). Umweltgerechtigkeit, Public Health und soziale Stadt. Frankfurt am Main: VAS.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 161


Meier, R. (2000). Daten zum Freizeitverkehr. Nationales Forschungsprogramm NFP 41, Verkehr und<br />

Umwelt. Materialienband M19. Bern.<br />

Michel, C., Fankhauser-Feitknecht, V., Kürsteiner, B. & Vattolo, F. (Hrsg.) (2002). NGO-Evaluationsbericht<br />

der NGO-Koordination post Beijing <strong>Schweiz</strong> zur Umsetzung des Aktionsplans der <strong>Schweiz</strong><br />

«Gleichstellung von Frau und Mann». Duisburg.<br />

Mielck, A. (2002). Soziale Ungleichheit und Gesundheit. In K. Hurrelmann & P. Kolip (Hrsg.), Geschlecht,<br />

Gesundheit, Krankheit. Männer und Frauen im Vergleich (S. 387–402). Bern: Hans Huber.<br />

Mielck, A. & Heinrich, J. (2002). Soziale Ungleichheit und die Verteilung umweltbezogener Expositionen<br />

(environmental justice). Gesundheitswesen, 64 (7), 405–416.<br />

Neuhann, H.F., Wiesmüller, G.A., Hornberg, C. & Schlipköter, H.W. (2002). Aufgaben und Strukturen<br />

umweltmedizinischer Beratungsstellen in Deutschland. In H.E. Wichmann,<br />

H.W. Schlipköter & G. Fülgraff (Hrsg), Handbuch der Umweltmedizin (S. 1–23).<br />

25. Erg. Lfg. 9/02. Landsberg: ecomed.<br />

Obsan – <strong>Schweiz</strong>erisches Gesundheitsobservatorium (2004). Gesundheitsmonitoring nach Indikatoren:<br />

www.obsan.ch<br />

OECD – Organisation for Economic Co-Operation and Development (1999). Umweltprüfbericht <strong>Schweiz</strong>.<br />

Paris.<br />

Pauli, A. (2004). Soziale Ungleichheit und Umweltbenachteiligung – Die Rolle der Sozialen Arbeit.<br />

In G. Bolte & A. Mielck (Hrsg.), Umweltgerechtigkeit. Die soziale Verteilung von Umweltbelastungen<br />

(S. 231–253). Weinheim: Juventa.<br />

Peters, M. (2004). Informiertheit und Bedürfnisse der Bevölkerung im Bereich nichtionisierende Strahlung<br />

(NIS) und Schall – Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung. econcept<br />

AG im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit, Kompetenzzentrum für Evaluation.<br />

Zürich.<br />

PIK – Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (2000). Weather Impacts on Natural, Social and Economic<br />

Systems PIK-Report Nr. 59.<br />

Röhr, U., Schultz, I., Seltmann, G., Stiess, I. (2004). Klimapolitik und <strong>Gender</strong>. Eine Sondierung möglicher<br />

<strong>Gender</strong> Impacts des Europäischen Emissionshandelssystems. ISOE-Diskussionspapiere,<br />

Nr. 21. Frankfurt am Main.<br />

Röösli, M., Huss, A. & Schreier, N. (2005). Repräsentative Befragung zu Sorgen und gesundheitlichen<br />

Beschwerden im Zusammenhang mit elektromagnetischen Feldern in der <strong>Schweiz</strong>.<br />

Studie im Auftrag vom Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL). Bern.<br />

Röösli, M.& Rapp, R. (2003). Hochfrequente Strahlung und Gesundheit. BUWAL Umwelt-Materialien<br />

Nr. 162. Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft. Bern. Verfügbar unter:<br />

http://www.umwelt-schweiz.ch/imperia/md/content/luft/nis/gesundheit/UM-162-D.pdf<br />

[Zugriff: 04.05.2005].<br />

Schultz, I. & Hayn, D. (2002). <strong>Gender</strong> Impact Assessment im Bereich Strahlenschutz und Umwelt.<br />

Abschlussbericht. Verfügbar unter: http://www.isoe.de/projekte/bmugiaerprob.htm<br />

[Zugriff: 12.04.2004].<br />

Setz, R. (2004). Projekt MaGs – Ein <strong>Schweiz</strong>er Ansatz für mehr Männergesundheit. In T. Altgelt (Hrsg.),<br />

Männergesundheit (S. 256–264). Weinheim: Juventa.<br />

Spitthöver, M. (2000). Geschlecht und Freiraumverhalten – Geschlecht und Freiraumverfügbarkeit.<br />

In A. Harth, G. Scheller, W. Tessin (Hrsg.), Stadt und soziale Ungleichheit (S. 217–231).<br />

Leverkusen: Leske & Budrich.<br />

Spitzner, M. (2002). Überblick über den Stand der Erkenntnisse und der Debatte um <strong>Gender</strong> und<br />

städtische Raumplanung in Forschung und Praxis der Bemühungen um Integration.<br />

In C. Färber, M. Spitzner, J. Geppert, & S. Römer (Hrsg.), Umsetzung von <strong>Gender</strong><br />

Mainstreaming in der Städtebaupolitik des Bundes. Auszüge aus der Expertise im Auftrag<br />

des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung erstellt im November 2001. Schriftenreihe<br />

des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung «<strong>Gender</strong> Mainstreaming<br />

und Städtebaupolitik». Verfügbar unter: http://www.bbr.bund.de/exwost/pdffiles/gm_1.pdf<br />

[Zugriff: 12.02.2004].<br />

Stamm H.P. & Lamprecht, M. (2003). Indikatoren zur Lebensqualität in der <strong>Schweiz</strong>. Schlussbericht<br />

zu einem Pilotprojekt im Auftrag des schweizerischen Gesundheitsobservatoriums<br />

und Gesundheitsförderung <strong>Schweiz</strong>. Zürich.<br />

Stopper, H. & Gertler, M. (2002). Physikalische Umwelt und Gesundheit. In K. Hurrelmann & P. Kolip<br />

(Hrsg.), Geschlecht, Gesundheit und Krankheit. Männer und Frauen im Vergleich<br />

(S. 439–459). Bern: Hans Huber.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 162


Tillmann, R., Zimmermann, E., Budowski, M., Wernli, B., Scherpenzeel A. & Gabadinho, A. (2001). Leben<br />

in der <strong>Schweiz</strong>. <strong>Schweiz</strong>er Haushaltspanel 1999–2003. Projektinformation, BFS aktuell.<br />

Neuchâtel: Bundesamt für Statistik.<br />

UBA – Umweltbundesamt (2004). Chronischer Lärm als Risikofaktor für den Myokardinfarkt. Ergebnisse<br />

der «NaRoMi»-Studie. WaBoLu-Hefte 02/04. Berlin.<br />

WEF – World Economic Forum (2005). Women’s Empowerment: Measuring the Global <strong>Gender</strong> Gap.<br />

Cologny/Geneva Switzerland.<br />

Weller, I. (2001). Überblick über Ergebnisse der Forschung zu <strong>Gender</strong> & Environment. In Heinrich-Böll-<br />

Stiftung (Hrsg.), <strong>Gender</strong> und Environment in der praktischen Umweltpolitik. Werkstattgespräch<br />

der Heinrich-Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Bundesumweltministerium<br />

am 21. September 2000 (S. 15–24). Berlin.<br />

Weller, I., Fischer, K., Hayn, D. & Schultz, I. (2003). <strong>Gender</strong> Impact Assessment der Angewandten<br />

Umweltforschung Bremen. Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben Nr. 134. Verfügbar<br />

unter: http://www.isoe.de/ftp/bremengia.pdf [Zugriff: 02.05.2005].<br />

WHO – World Health Organization (2003). Panorama Gesundheit – Die <strong>Schweiz</strong> im europäischen<br />

Vergleich. <strong>Schweiz</strong>erisches Gesundheitsobservatorium (Hrsg.). Neuchâtel.<br />

Zemp, E., Elsässer, S., Schindler, C., Künzli, N., Perruchoud, A.P., Domenighetti, G., Medici, T., Ackermann-Liebrich,<br />

U., Leuenberger, P., Monn, C., Bolognini, G., Bongard J.P., Brandli O,<br />

Karrer, W., Keller, R., Schoni, M.H., Tschopp, J.M., Villinger, B. & Zellweger, J.P. (1999).<br />

Longterm ambient air pollution and respiratory symptoms in adults (SAPALDIA Study).<br />

American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine, 159, 1257–1266.<br />

3.9. Gesundheitsrelevantes Verhalten<br />

Sandra Kuntsche und Gerhard Gmel<br />

Ziel 11 und 12: Gesünder Leben und Verringerung der durch Alkohol, Drogen und<br />

Tabak verursachten Schäden<br />

Bis zum Jahr 2015 sollten sich die Menschen in allen Gesellschaftsschichten für gesündere<br />

Lebensgewohnheiten entschieden haben.<br />

Bis zum Jahr 2015 sollten in allen Mitgliedsstaaten die auf den Konsum von Sucht erzeugenden<br />

Substanzen wie Tabak, Alkohol und psychotropen Substanzen zurückzuführenden<br />

gesundheitlichen Beeinträchtigungen signifikant reduziert werden.<br />

3.9.1. Epidemiologische Befunde zu Indikatoren<br />

des gesundheitsrelevanten Verhaltens im Geschlechtervergleich<br />

Die durchschnittliche Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt im Jahre 2003 betrug<br />

in der <strong>Schweiz</strong> für Männer 77,9 Jahre, für Frauen hingegen 83,0 Jahre (BFS, 2005). Ein<br />

gesunder Lebensstil erlaubt, die Gesundheit und das Wohlbefinden bis ins hohe Alter zu<br />

erhalten. Viele gesundheitliche Beeinträchtigungen sind direkt oder indirekt vom persönlichen<br />

Verhalten abhängig. Dies gilt insbesondere für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, gewisse<br />

Karzinome und viele degenerative Erkrankungen. Eine gesunde Ernährung und<br />

ausreichende Bewegung sind in diesem Zusammenhang besonders wichtig.<br />

Wie der kürzlich veröffentliche Bericht der WHO (Ezzati et al., 2004) verdeutlicht, hängen<br />

in etablierten Marktwirtschaften wie der <strong>Schweiz</strong> die acht bedeutsamsten Faktoren für<br />

die gesamte Krankheitsbelastung mit dem Konsum von Alkohol, Tabak und illegalen Drogen<br />

sowie ungesunder Ernährung und fehlende körperliche Aktivität zusammen. Im Folgenden<br />

soll daher zunächst auf Geschlechterunterschiede bei der Ernährung und die<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 163


Rolle des Übergewichtes eingegangen werden. Weiteres Augenmerk legt dieses Kapitel<br />

auf Geschlechterunterschiede hinsichtlich körperlicher Aktivität sowie jenen einer speziellen<br />

Präventivmassnahme, dem Sonnenschutz. Abschliessend wird der Gebrauch legaler<br />

(Tabak und Alkohol) sowie illegaler Substanzen (hauptsächlich Cannabis) betrachtet.<br />

Neben Geschlechterunterschieden soll ein besonderes Augenmerk auf Entwicklungstrends<br />

einerseits und regionalen Mustern andererseits liegen.<br />

Ernährung und Body Mass Index (BMI)<br />

<strong>Schweiz</strong>erinnen zeigen ein höheres Ernährungsbewusstsein als gleichaltrige <strong>Schweiz</strong>er.<br />

48 Etwa drei Viertel der Frauen achten auf ihre Ernährung, bei Männern trifft dies nur<br />

auf zwei Drittel der <strong>Schweiz</strong>er zu. Es zeigt sich ein klarer Altersgradient: Junge <strong>Schweiz</strong>erinnen<br />

und <strong>Schweiz</strong>er (15 bis 34 Jahre) achten deutlich weniger auf ihre Ernährung als<br />

ältere (vgl. Tabelle 3.9-1; siehe auch Eichholzer, Bernasconi, Jordan & Gutzwiller, 2005).<br />

Dies mag auch damit zusammenhängen, dass altersbedingt bestimmte gesundheitsrelevante<br />

Diäten eingehalten werden, z.B. Speisen weniger zu salzen aufgrund von Bluthochdruck.<br />

Tabelle 3.9-1: Ernährungsbewusstsein * nach Alter und Geschlecht (<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung<br />

2002)<br />

Ernährungsbewusstsein 15–34-jährig 35–49-jährig 50–64-jährig 65+ -jährig Total<br />

Männer % 55,3 63,6 64,9 66,2 61,6<br />

N 1’247 1’795 1'391 1’164 5’597<br />

Frauen % 68,4 77,7 81,7 78,8 76,0<br />

N 1’749 2’347 2’219 2’010 8’325<br />

Bemerkung: * Prozentsatz an Personen, die auf die Frage: «Achten Sie auf bestimmte Sachen bei Ihrer<br />

Ernährung?» mit «ja, ich achte auf etwas» antworten.<br />

%<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

76.4<br />

58.3<br />

76.9<br />

59.6<br />

1992/93 1997 2002<br />

Männer Frauen<br />

Abbildung 3.9-1: Ernährungsbewusstsein im Trend nach Geschlecht bei 15-Jährigen und Älteren,<br />

<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 1992, 1997 und 2002 (Prozentsatz an Personen, die auf die Frage:<br />

«Achten Sie auf bestimmte Sachen bei Ihrer Ernährung?» mit «ja, ich achte auf etwas» antworten.)<br />

48 Die Berechnungen der Daten der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung in diesem Kapitel wurden<br />

von der SFA (<strong>Schweiz</strong>erische Fachstelle für Alkohol und andere Drogenprobleme) vorgenommen.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 164<br />

76.0<br />

61.6


Man kann jedoch kaum von einem gewachsenen Ernährungsbewusstsein der <strong>Schweiz</strong>e-<br />

rinnen und <strong>Schweiz</strong>er sprechen. In den letzten zehn Jahren ist der Anteil sich bewusst<br />

Ernährender annähernd gleich geblieben (vgl. Abbildung 3.9-1), (Eichholzer, 1998). Hinsichtlich<br />

des Ernährungsbewusstseins bei Männern zeigt sich ein minimal ansteigender<br />

Trend über den Zeitraum der letzten zehn Jahre, während jener der Frauen konstant<br />

geblieben ist.<br />

Regionale Unterschiede finden sich hingegen kaum (vgl. Abbildung 3.9-2). Einzig Männer<br />

und Frauen aus der Region des Genfer Sees achten deutlich weniger auf ihre Ernährung<br />

als Personen aus den übrigen Gebieten der <strong>Schweiz</strong>.<br />

%<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

50.2<br />

59.2<br />

60.4<br />

77.3<br />

66.0<br />

82.3 82.5<br />

69.7<br />

60.5<br />

79.8 79.4<br />

Genferseeregion Espace Mitteland Nordwestschweiz Zürich Ostschweiz Zentralschweiz Tessin<br />

Männer Frauen<br />

Abbildung 3.9-2: Regionale Unterschiede im Ernährungsbewusstsein nach Geschlecht, <strong>Schweiz</strong>erische<br />

Gesundheitsbefragung 2002 (Prozentsatz an Personen, die auf die Frage: «Achten Sie auf bestimmte<br />

Sachen bei Ihrer Ernährung?» mit «ja, ich achte auf etwas» antworten.)<br />

Auf der anderen Seite ist das Ernährungsbewusstsein kaum mit dem Übergewicht (BMI<br />

> 25) assoziiert: Sowohl Männer als auch Frauen in der Genferseeregion liegen unter<br />

dem jeweiligen Landesdurchschnitt, die Nordwestschweiz dagegen, trotz eines relativ<br />

hohen Ernährungsbewusstseins, deutlich darüber (vgl. Abbildung 3.9-3).<br />

Deutliche Geschlechtsunterschiede im Übergewicht finden sich in der Zentralschweiz<br />

und im Tessin, wobei Frauen im Vergleich zum Landesdurchschnitt in diesen Gegenden<br />

seltener übergewichtig sind, Männer dagegen häufiger. Nur in der Ostschweiz dreht sich<br />

dieses Verhältnis um.<br />

62.5<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 165<br />

69.8<br />

76.8


Abweichung in %<br />

3.0<br />

2.0<br />

1.0<br />

0.0<br />

-1.0<br />

-2.0<br />

-3.0<br />

-4.0<br />

höhere Anteile<br />

geringere Anteile<br />

Genferseeregion Espace Mitteland Nordwestschweiz Zürich Ostschweiz Zentralschweiz Tessin<br />

Männer, übergewichtig bis stark übergewichtig Frauen, übergewichtig bis stark übergewichtig<br />

Abbildung 3.9-3: Anteile an Übergewichtigen (BMI >25) im Vergleich zum Landesdurchschnitt nach<br />

Geschlecht, <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002<br />

Wie zu erwarten, finden sich hinsichtlich des BMI klare Unterschiede zwischen den Geschlechtern<br />

(vgl. Tabelle 3.9-2; siehe auch Suter & Schutz, 2005). Frauen sind generell<br />

häufiger untergewichtig (BMI


Tabelle 3.9-2: Anteile an Unter-, Normal-, Über- und stark Übergewichtigen in der <strong>Schweiz</strong> nach Alter und<br />

Geschlecht, <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002 (Untergewicht BMI


%<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

6.1<br />

4.7<br />

1992/93 1997 2002<br />

7.0<br />

6.7<br />

stark Übergewicht (BMI >= 30); Männer stark Übergewicht (BMI >= 30); Frauen<br />

Abbildung 3.9-4: Trend der Anteile Übergewichtiger und stark Übergewichtiger nach Geschlecht,<br />

<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 1992/1993, 1997, 2002<br />

Körperliche Aktivität<br />

Auch dem Bewegungsverhalten wird eine zentrale Rolle als Einflussfaktor auf die Gesundheit<br />

zugesprochen. In der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung wurde erfasst,<br />

wie häufig eine Person pro Woche bei einer körperlichen Aktivität in der Freizeit ins<br />

Schwitzen gerät. Der entsprechende Indikator wurde vom <strong>Schweiz</strong>erischen Bundesamt<br />

für Gesundheit gebildet.<br />

Etwa ein Drittel der Männer (32%) und 41% der Frauen gehen in ihrer Freizeit keiner<br />

körperlichen Betätigung nach. Hingegen ist ein weiteres Drittel der Männer (31%), aber<br />

nur knapp ein Viertel der Frauen (24%) mindestens dreimal pro Woche körperlich aktiv.<br />

Für beide Geschlechter zeigen sich erwartungsgemäss Altersunterschiede. Beispielsweise<br />

steigt der Anteil körperlich inaktiver Männer von 20% bei den 15- bis 34-Jährigen<br />

auf 46% bei den über 64-Jährigen. Bereits ein knappes Drittel der jungen Frauen weist<br />

ein hohes Mass an körperlich Inaktiven auf. Dieser Anteil wächst in den folgenden Lebensjahren.<br />

Unter den 65-Jährigen steigt dieser Anteil schliesslich auf etwa zwei Drittel<br />

an.<br />

Grosse Unterschiede zum gesamtschweizerischen Mittel zeigen sich für die Genferseeregion<br />

und das Tessin. Etwa 40% der Männer und über 50% der Frauen gehen in diesen<br />

Regionen keiner körperlichen Betätigung nach, bei der sie ins Schwitzen geraten.<br />

Hinsichtlich der körperlichen Aktivität der <strong>Schweiz</strong>erinnen und <strong>Schweiz</strong>er lassen sich<br />

über die letzten zehn Jahre keine nennenswerten Veränderungen feststellen.<br />

Sonnenschutz<br />

Männer und Frauen unterscheiden sich 2002 kaum in der Verwendung von Sonnenschutzmitteln.<br />

Über drei Viertel der <strong>Schweiz</strong>erinnen und <strong>Schweiz</strong>er achten auf Schutz vor<br />

Sonnenbestrahlung – 88% der Frauen und mit 80% nur etwas seltener die Männer bejahen<br />

die Frage «Schützen Sie sich vor Sonnenbestrahlung?».<br />

7.9<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 168<br />

7.4


Die Verwendung eines derartigen Schutzes ist dabei in allen Altersgruppen vorhanden,<br />

ist aber bei den jüngeren Generationen weiter verbreitet, was auf ein zunehmendes Bewusstsein<br />

im Hinblick auf die Gefährdung durch ultraviolette Strahlung hindeutet. Während<br />

es bei den unter 35-jährigen Männern noch 84% sind, die auf Sonnenschutz achten,<br />

sind es bei den über 64-jährigen nur noch 70%. Bei den Frauen sind die Unterschiede<br />

geringer (89% vs. 83%).<br />

Ebenso sind regionale Unterschiede kaum zu finden. Wiederum sind es das Tessin und<br />

die Genferseeregion, die sich vom Rest der <strong>Schweiz</strong> unterscheiden, hauptsächlich jedoch<br />

bei den Männern, die hier seltener auf Sonnenschutz achten. Leider liegen zurzeit<br />

keine Vergleichsdaten über einen Trend hinsichtlich dieser gesundheitsrelevanten Verhaltensweise<br />

vor.<br />

Alkohol<br />

Mit einem Durchschnittskonsum von 9,0 Litern reinen Alkohols je Einwohner (2003) ist<br />

die <strong>Schweiz</strong> nach wie vor eines der Hochkonsumländer (Eidgenössische Alkoholverwaltung<br />

[EAV], 2004). Der Anteil der abstinent Lebenden in der <strong>Schweiz</strong> war 2002 bei den<br />

Frauen mit 31,0% doppelt so hoch wie bei den Männern (14,6%). Insgesamt lebt etwa<br />

ein Viertel der <strong>Schweiz</strong>erinnen und <strong>Schweiz</strong>er über 14 Jahren abstinent. 49 Dabei zeigen<br />

sich klare regionale Unterschiede. Der Anteil der abstinent lebenden Frauen liegt im Tessin<br />

bei etwa 50%, während «nur» knappe 30% der Deutschschweizerinnen keinen Alkohol<br />

konsumieren (vgl. Abbildung 3.9-5). Ähnliche Unterschiede finden sich auch bei den<br />

Männern, wenn auch in geringerem Ausmass. Deutlicher als regionale Unterschiede sind<br />

jedoch Konsumunterschiede zwischen beiden Geschlechtern. Selbst die geringeren Abstinenzraten<br />

der Deutschschweizerinnen (27,9%) liegen noch über jenen der im Tessin<br />

lebenden abstinenten Männer (22,1%).<br />

Der Hauptkonsum alkoholischer Getränke (in Gramm reinen Alkohols) in der <strong>Schweiz</strong><br />

erfolgt über Wein (Eidgenössische Alkoholverwaltung [EAV], 2004). Etwa 12% der<br />

<strong>Schweiz</strong>erinnen und <strong>Schweiz</strong>er konsumieren täglich Wein. Diese Anteile sind in der französischsprachigen<br />

(22,9%) und italienischsprachigen <strong>Schweiz</strong> (20,1%) deutlich höher<br />

(Deutschschweiz: 8,1%). Hier lohnt sich jedoch ein genauerer Blick (vgl. Tabelle 3.9-3).<br />

Zwar weisen insbesondere italienischsprachige, aber auch französischsprachige <strong>Schweiz</strong>erinnen<br />

und <strong>Schweiz</strong>er eine höhere Anzahl an Trinkgelegenheiten pro Jahr auf als<br />

deutschsprachige Frauen und Männer. Sie trinken im Vergleich zu den übrigen Landesteilen<br />

im Mittel jedoch weniger Wein pro Gelegenheit. Die Unterschiede in der jeweiligen<br />

Trinkmenge sind jedoch gering – in absoluten Trinkmengen sind die Tessinerinnen und<br />

Tessiner im Weinkonsum führend.<br />

49<br />

Genauere Angaben zum Alkoholkonsum in der <strong>Schweiz</strong> können Annaheim und Gmel (2004)<br />

entnommen werden.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 169


60.0<br />

50.0<br />

40.0<br />

% 30.0<br />

20.0<br />

10.0<br />

0.0<br />

13.2<br />

27.9<br />

17.6<br />

36.4<br />

deutsch französisch italienisch Total<br />

Männer Frauen<br />

Abbildung 3.9-5: Verteilung von Abstinenten nach Geschlecht und Sprachregion, in Prozent<br />

<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002<br />

Tabelle 3.9-3: Anzahl Trinkgelegenheiten und Trinkmengen pro Gelegenheit (in Litern) nach Geschlecht,<br />

Sprachregion und Getränketyp, ohne abstinent Lebende, <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002<br />

22.1<br />

50.1<br />

Anzahl Trinkgelegenheiten pro Jahr Menge pro Gelegenheit (in Litern)<br />

Bier Wein Spirituosen Bier Wein Spirituosen<br />

Frauen deutsch 24 108 22 0,25 0,17 0,03<br />

französisch 28 161 20 0,27 0,17 0,02<br />

italienisch 40 216 30 0,29 0,16 0,03<br />

Männer deutsch 94 120 38 0,57 0,20 0,04<br />

französisch 119 213 42 0,50 0,20 0,04<br />

italienisch 120 276 53 0,49 0,18 0,03<br />

Bemerkung: Die Deutschschweizer konsumieren durchschnittlich 94-mal pro Jahr Bier, dabei konsumieren sie<br />

pro Gelegenheit im Mittel 0,57 Liter.<br />

Die stereotypisierte «Deutschschweizer Bierkultur» findet sich in der Realität nicht. Im<br />

Gegenteil, der tägliche Bierkonsum ist im Tessin (5,6% der Gesamtbevölkerung inklusive<br />

Abstinenter) und in der Romandie (5,4%) häufiger anzutreffen als in den deutschsprachigen<br />

Gebieten (4,3%). Die regionalen Unterschiede sind jedoch weitaus geringer als beim<br />

Weinkonsum. Zumindest bei den Männern der italienisch- und französischsprachigen<br />

<strong>Schweiz</strong> zeigen sich ähnliche Tendenzen wie beim Wein: Sie weisen mehr Trinkgelegenheiten<br />

pro Jahr auf, trinken aber pro Gelegenheit geringere Mengen Bier. Anders sieht<br />

die Lage bei den Frauen aus. Tessinerinnen und Westschweizerinnen trinken nicht nur<br />

häufiger, sondern auch mehr pro Gelegenheit. Wie schon zuvor beim Wein relativiert<br />

dieser Effekt nur das Gesamtbild. Unabhängig davon ist die absolute Trinkmenge Bier pro<br />

Jahr im Tessin und in der Westschweiz höher als in der Ostschweiz. Das heisst, die<br />

«Weinregionen» trinken nicht weniger Bier oder Spirituosen, sondern zusätzlich mehr<br />

Wein als in den anderen Regionen.<br />

Zu beachten gilt es dabei, dass zwar sowohl die italienisch- als auch die französischsprachigen<br />

Regionen höhere Trinkfrequenzen bei einer überwiegend geringeren Trinkmenge<br />

aufweisen, beide Landesteile aber über deutlich höhere Anteile an Abstinenten verfügen<br />

als die deutschsprachige <strong>Schweiz</strong>. Somit zeichnet sich für diese beiden Sprachgebiete<br />

der <strong>Schweiz</strong> ein stärkerer «Schwarz-Weiss-Trend». Es gibt entweder Abstinente oder<br />

14.6<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 170<br />

31.0


Personen, die annähernd regelmässig, wenn auch in geringer Menge Alkohol pro Gele-<br />

genheit konsumieren, während in den deutschsprachigen Gebieten eine grössere Anzahl<br />

an moderat oder Gelegenheitstrinkenden den Durchschnitt senken (vgl. Tabelle 3.9-3).<br />

Neben der reinen Konsumhäufigkeit und der Menge konsumierten Alkohols sind Konsummuster<br />

von entscheidender Bedeutung für die Volksgesundheit, selbst bei moderatem<br />

Durchschnittskonsum. Konsummuster wurden in der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung<br />

definiert über den zumindest monatlichen Konsum von acht (für Frauen<br />

sechs) Gläsern Alkohol oder mehr trinken bei einer Gelegenheit (sog. Rauschtrinken).<br />

Diese Definition betraf 2002 2,2% der Alkohol trinkenden Frauen und 7,9% aller Alkohol<br />

trinkenden Männer. Es wird deutlich, das ein erhöhter prozentualer Anteil an Rauschtrinkenden<br />

überwiegend ein Phänomen der Jugend und der Männer darstellt. Etwa ein Fünftel<br />

der Alkohol konsumierenden Männer zwischen 15 und 24 Jahren sind Rauschtrinkende.<br />

Für Frauen dieser Altersgruppe ist dies immerhin noch in 6,2% der Fälle zutreffend<br />

(vgl. Abbildung 3.9-6). Bereits in der nächsten Altersdekade hat sich der Anteil annähernd<br />

halbiert. Für die <strong>Schweiz</strong> lassen sich anhand neuer Schätzungen unter Verwendung geringerer<br />

Grenzwerte des Rauschtrinkens (also 5 bzw. 4 Gläser oder mehr für Männer<br />

bzw. Frauen) fast eine Million Rauschtrinkende identifizieren (Wicki & Gmel, 2005). Diese<br />

Grenzwerte sind international anerkannter als 6 bzw. 8 oder mehr Gläser. Trotz mit dem<br />

Alter abnehmender Prozentanteile an Rauschtrinkenden, betrifft dies in absoluten Bevölkerungszahlen<br />

bis zum Alter von 45 Jahren eine der Bevölkerungsgruppe der jungen<br />

Erwachsenen vergleichbar grosse Gruppe (Wicki & Gmel, 2005). Dies ist darauf zurückzuführen,<br />

dass es anteilig mehr <strong>Schweiz</strong>er und <strong>Schweiz</strong>erinnen im Alter zwischen 35 bis<br />

44 Jahren gibt, während die Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen eine geringere Grösse<br />

aufweist.<br />

%<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

20.0<br />

6.2<br />

11.5<br />

3.7<br />

6.1 (1.2)<br />

2.3<br />

(0.7)<br />

1.2 0.7 (2.1) 0.1<br />

15-24 25-34 35-44 45-54 55-64 65-74 75+<br />

Lebensalter in Jahren<br />

Männer Frauen<br />

Abbildung 3.9-6: Anteile an Rauschtrinkenden nach Geschlecht und Alter, ohne abstinent Lebende,<br />

in Prozent, <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 171<br />

2.8


Rauschtrinken ist insbesondere assoziiert mit Unfällen und Gewalt. So fanden beispiels-<br />

weise Gmel et al. (2005), dass Tagesabschnitte mit vielen alkoholbedingten Unfällen<br />

auch jene sind, bei denen Rauschtrinken häufig auftritt. Insgesamt sind etwa 50% der<br />

alkoholbedingten Unfälle in der <strong>Schweiz</strong> auf Rauschtrinken und nicht chronischen Alkoholkonsum<br />

zurückzuführen.<br />

Neben dem Rauschtrinken ist aber auch der chronische Überkonsum mit einer Vielzahl<br />

von gesundheitlichen Folgen assoziiert (Gutjahr & Gmel, 2001). Chronischer Überkonsum<br />

wird international ab etwa 20 g Alkohol täglich (etwa 2 Glas Wein oder Bier) bei Frauen<br />

und 40 g täglich bei Männern angesetzt.<br />

Zumindest zwischen 1997 und 2002 hat sich am chronisch risikoreichen Alkoholkonsum<br />

in der <strong>Schweiz</strong> kaum etwas geändert (vgl. Abbildung 3.9-7). So tranken 1997 etwa 5,0%<br />

der Alkohol konsumierenden Frauen zwischen 25 und 34 Jahren chronisch risikoreich,<br />

2002 lag dieser Anteil noch bei 4,5%. In anderen Altersgruppen findet sich hingegen ein<br />

Anstieg in den Anteilen der chronisch risikoreich Konsumierenden. So stieg der Anteil<br />

unter den 55- bis 64-jährigen Frauen von 7,8% 1997 auf 10,2% 2002 an. Ein einheitliches<br />

Muster über alle Altersgruppen lässt sich somit nicht erkennen. Betrachtet man die Zahl<br />

der chronisch risikoreich trinkenden Frauen über alle Altersgruppen hinweg, so findet<br />

sich ein unbedeutender Anstieg von 6,3% auf 6,4% zwischen 1997 und 2002. Es zeigt<br />

sich jedoch, dass die Unterschiede in den jüngeren Altersgruppen weniger gravierend<br />

sind als bei Frauen ab 55 Jahren. Hier zeigen sich stärkere Schwankungen zwischen den<br />

einzelnen Jahren.<br />

Ähnlich wie bei den Frauen verhält es sich auch bei den Männern. Ein einheitlicher Trend<br />

über alle Altersgruppen hinweg ist nicht erkennbar. Wie bei den Frauen scheint jedoch<br />

der Anteil risikoreich Alkoholkonsumierender bis 54 Jahren abgenommen, ab diesem<br />

Alter jedoch eher zugenommen zu haben. Entsprechend findet sich auch bei den alkoholkonsumierenden<br />

Männern insgesamt nur ein geringer Rückgang des chronisch risikoreichen<br />

Alkoholkonsums von 8,5% 1997 auf 8,3% 2002. In beiden Geschlechtern kann<br />

also von einer gewissen Stabilität in den Anteilen risikoreich Konsumierender ausgegangen<br />

werden: Zunahmen und Abnahmen finden sich in bestimmten Altersgruppen, am<br />

Gesamtanteil risikoreich Konsumierender ändert dies jedoch kaum etwas.<br />

Für die Entwicklung von Interventionsangeboten bei riskantem Alkoholkonsum müssen<br />

geschlechtsspezifische Trinkmuster berücksichtigt werden. Bei Frauen ist Alkoholabhängigkeit<br />

immer noch ein Tabuthema. Gerade Alkoholikerinnen trinken häufig alleine und<br />

heimlich und sind deshalb auch im Vergleich zum Geschlechterverhältnis der Alkoholabhängigkeit<br />

in der Bevölkerung (etwas ein Drittel) in Behandlungseinrichtungen (etwa ein<br />

Viertel) unterrepräsentiert (Limosin, 2002).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 172


Frauen<br />

%<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Männer<br />

%<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

(3.7)<br />

(3.3)<br />

5.5<br />

(5.0)<br />

5.0<br />

4.5<br />

6.4<br />

5.5<br />

15-24 25-34 35-44 45-54 55-64 65-74 75+<br />

7.9<br />

5.9<br />

8.9<br />

6.8<br />

6.1<br />

Lebensalter in Jahren<br />

8.1<br />

1997 2002<br />

15-24 25-34 35-44 45-54 55-64 65-74 75+<br />

10.6<br />

9.0<br />

Lebensalter in Jahren<br />

1997 2002<br />

Abbildung 3.9-7: Chronisch risikoreicher Alkoholkonsum – Trend zwischen 1997 und 2002, nach Geschlecht<br />

und Alter; ohne abstinent Lebende (Risikokonsum: 20 g/Tag und mehr bei Frauen / 40 g/Tag<br />

und mehr bei Männern; für n


In der <strong>Schweiz</strong> haben im Jahr 2002 1,84 Millionen Personen im Alter von über 14 Jahren<br />

geraucht. Dies entspricht in etwa einem Drittel der <strong>Schweiz</strong>erischen Bevölkerung dieses<br />

Alters. Die Unterschiede in den Rauchgewohnheiten der beiden Geschlechter haben sich<br />

in den letzten Jahren immer mehr angeglichen. 2002 rauchten ca. 36% der Männer und<br />

26% der Frauen im Alter über 14 Jahre. Der hinsichtlich des Lebenszeitkonsums zu beobachtende<br />

Unterschied zwischen den Geschlechtern basiert vor allem auf Unterschieden<br />

in den höheren Altersgruppen (vgl. Abbildung 3.9-8). Hier ist der Anteil an Rauchenden<br />

bei Männern gegenüber dem der Frauen deutlich erhöht.<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

% 40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

52.8<br />

49.8<br />

47.5<br />

41.4<br />

52.3<br />

67.1<br />

60.9<br />

55.1<br />

15-34-jährig 35-49-jährig 50-64-jährig 65+ -jährig<br />

41.9<br />

70.2<br />

68.2<br />

44.5<br />

Männer (2002) Männer (1997) Frauen (2002) Frauen (1997)<br />

Abbildung 3.9-8: Lebenszeitkonsum von Tabak nach Alter und Geschlecht, <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung<br />

1997, 2002<br />

Wie der Abbildung 3.9-9 zu entnehmen ist, findet sich in den Mustern des Tabakkonsums<br />

zwischen 1997 und 2002 insbesondere in den jungen Altersgruppen ein starker<br />

Rückgang in den aktuellen Raucherraten. Einzig bei den älteren Raucherinnen und Rauchern<br />

scheinen die Prävalenzen über die fünf Jahre hinweg stabil zu sein.<br />

Frauen rauchen nahezu ausschliesslich Zigaretten. Einzig 3,4% der Raucherinnen rauchen<br />

auch oder alleinig andere Tabake. Anders ist dies bei den Männern. Zwar überwiegt<br />

auch hier der Anteil jener mit ausschliesslichem Zigarettenkonsum (71,2%), jedoch findet<br />

sich auch häufiger ein reiner Konsum anderer Tabake (Zigarren 5,7%, Pfeife 4,2% und<br />

Zigarillos 1,8%). Der einzige nennenswerte Mischkonsum von Tabaken betrifft 5,3% der<br />

Raucher und besteht aus Zigaretten und Zigarren.<br />

Die regionalen Unterschiede in der <strong>Schweiz</strong> sind gering und betreffen im Wesentlichen<br />

nur Frauen der Ostschweiz (22,3%) sowie Tessiner Männer (31,9%), die weniger rauchen<br />

als der Landesdurchschnitt.<br />

66.8<br />

63.8<br />

25.7<br />

23.7<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 174


80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

% 40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

45.8<br />

41.2<br />

37.7<br />

32.1<br />

39.8<br />

32.6<br />

43.9<br />

34.4<br />

33.6<br />

22.9<br />

33.9<br />

23.1<br />

22.8<br />

20.9<br />

15-34-jährig 35-49-jährig 50-64-jährig 65+ -jährig<br />

Männer (2002) Männer (1997) Frauen (2002) Frauen (1997)<br />

Abbildung 3.9-9: Anteil aktuell Rauchender nach Alter und Geschlecht, <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung<br />

1997, 2002<br />

Illegale Substanzen: Cannabis<br />

Jenseits des Konsums von Cannabis ist der Gebrauch illegaler Substanzen selten. Abgesehen<br />

vom Methadongebrauch finden sich für die übrigen Substanzen (Heroin, Kokain,<br />

Ecstasy, Amphetamine, Halluzinogene) klare Geschlechtsunterschiede: Die Lebenszeitprävalenz<br />

ist bei den Männern etwa doppelt so hoch wie bei den Frauen<br />

(<strong>Schweiz</strong>erische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme [SFA], 2004). Auch<br />

für den Cannabiskonsum lassen sich klare Geschlechtsunterschiede feststellen. Gemäss<br />

der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung 2002 hat etwa ein Fünftel der <strong>Schweiz</strong>erischen<br />

Wohnbevölkerung im Alter zwischen 15 und 64 Jahren schon einmal Cannabis<br />

gebraucht. Darunter befindet sich auch ein nicht zu vernachlässigender Teil der älteren<br />

Bevölkerung. Jeder zehnte Mann und immerhin mehr als jede zwanzigste Frau im Alter<br />

zwischen 45 bis 64 Jahren haben zumindest einmal in ihrem Leben Cannabis geraucht.<br />

Generell finden sich in allen Altersgruppen klare Geschlechtsunterschiede: Männer weisen<br />

höhere Lebenszeitprävalenzen für Cannabis auf als Frauen (vgl. Abbildung 3.9-10).<br />

9.8<br />

9.2<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 175


%<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

36.7<br />

36.1<br />

24.5<br />

33.7<br />

36.8<br />

24.3<br />

20.2<br />

24.9<br />

17.6<br />

19.3<br />

16.0<br />

12.3<br />

10.9<br />

8.4<br />

2.6<br />

2.1<br />

4.5<br />

1.9<br />

1.2<br />

15-24jährige 25-34jährige 35-44jährige 45-54jährige 55-59jährige*<br />

26.5<br />

Männer (2002) Männer (1997) Frauen (2002) Frauen (1997)<br />

Abbildung 3.9-10: Anteil Cannabiserfahrener nach Alter und Geschlecht, <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung<br />

1997, 2002 (Bemerkung: Antworten auf die Frage: Haben sie schon Haschisch oder Marihuana<br />

genommen? Der Altersrange basiert auf der Befragung 1997, 15–59 Jahre)<br />

Für Aussagen über die aktuelle Situation des Cannabisgebrauchs in der <strong>Schweiz</strong> sind<br />

jedoch Angaben zum aktuellen Gebrauch von Cannabis von höherer Relevanz. Etwa ein<br />

Viertel derer, die in ihrem Leben bereits Erfahrungen mit Cannabis gemacht haben, «kiffen»<br />

auch heute noch. Der Anteil ist dabei in den jüngsten Altersgruppen am höchsten,<br />

jedoch kiffen aktuell auch 15% der 2002 45- bis 64-Jährigen mit Cannabiserfahrungen.<br />

Trendanalysen zeigen eine leichte Zunahme der Prävalenzen in den Altersgruppen über<br />

25 Jahre bei Männern und über 35 Jahre bei Frauen. Generell scheinen die Prävalenzen<br />

in den letzten 5 Jahren in der betrachteten Altersgruppe jedoch ziemlich stabil zu sein,<br />

wobei sich in den jüngeren Altersgruppen und der Altersgruppe über 35 Jahre eine leichte<br />

Annäherung der beiden Geschlechter finden lässt.<br />

3.9.2. Erklärungsansätze für die Geschlechtsunterschiede<br />

Die epidemiologischen Befunde weisen deutliche geschlechtsspezifische Muster auf. So<br />

unterscheiden sich Frauen und Männer hinsichtlich körperlicher Bewegung sowie im<br />

Ernährungsverhalten. Allerdings ist bei der körperlichen Aktivität zu berücksichtigen, dass<br />

eine Verzerrung durch das Erhebungsinstrument nicht ausgeschlossen werden kann:<br />

Männer treiben zwar häufiger Sport, werden aber auch alltägliche Bewegungsformen<br />

erfasst, so schwinden die Geschlechtsunterschiede (Abel, Graf & Niemann 2001).<br />

Die Unterschiede in Bewegung und Ernährung spiegeln geschlechtstypische Strategien<br />

der Gewichtsreduktion wider: Während Männer häufiger körperlich aktiv sind (Obsan,<br />

2004, Indikator 3.2.4) und somit einem möglichen Übergewicht entgegenwirken, achten<br />

Frauen häufiger auf Aspekte in ihrer Ernährung (Inserm, 2000) und sind weniger häufig in<br />

der Freizeit sportlich aktiv.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 176


Bereits bei männlichen Teenagern gehört das Bild des männlich Sportlichen zum Ideal.<br />

Es gilt gross und kräftig zu sein (Duke-Duncan et al., 1985; Kracke, 1993; Richards &<br />

Larson, 1993), und dieses Ideal erlangt man nicht alleinig über Reglementierungen in der<br />

Ernährung, sondern körperliche Aktivität ist zwingend notwendig. Anders bei jungen<br />

Frauen: Alsaker (1997) fand eine hohe Diätbereitschaft unter jungen Frauen in der<br />

<strong>Schweiz</strong>. Diese war, anders als etwa in anderen Ländern, losgelöst von den Prozessen<br />

der pubertären Reife. Die Autorin deutet diese Entwicklung bei jungen Frauen als Trend,<br />

Diäten zur allgemeinen Norm zu erheben. Hamburg et al. (1993) konnten zeigen, dass in<br />

der Adoleszenz erworbene Verhaltensweisen eine grosse Persistenz im Erwachsenenalter<br />

aufweisen.<br />

Generell sind Frauen weniger häufig übergewichtig als Männer, ihr Anteil in der Gruppe<br />

der Schwerübergewichtigen ist jedoch in etwa gleich hoch und im Trend eher steigend.<br />

Eine geschlechtsspezifische Prävention sollte darauf abzielen, beide Verhaltensweisen –<br />

bewusste Ernährung und körperliche Aktivität für beide Geschlechter – bewusst zu machen<br />

– auch Männer sollten darauf achten, sich gesund zu ernähren, und Frauen dürfen<br />

durchaus auch schwitzen.<br />

Hinsichtlich der betrachteten Substanzen zeigt sich, dass sich insbesondere bezüglich<br />

des Konsums legaler Substanzen wie Alkohol und Tabak eine zunehmende Annäherung<br />

der Konsumprävalenzen in den jüngeren Altersgruppen beobachten lässt. Zwar konsumieren<br />

Männer auch heute noch häufiger und in der Regel auch mehr, aber die Kluft<br />

zwischen den Geschlechtern (gender gap) wird zunehmend geringer. Gleiches scheint<br />

für den Gebrauch von Cannabis zu gelten. Anders als für die übrigen betrachteten illegalen<br />

Substanzen findet sich in den jüngeren Altersgruppen eine Angleichung der Geschlechter<br />

hinsichtlich der Lebenszeitprävalenzen.<br />

Verschiedene Erklärungsmodelle können für diese Schliessung des «gender gap» herangezogen<br />

werden. Zum einen behauptet die Emanzipationshypothese, dass Frauen sich<br />

zunehmend in eine bisherig von Männern dominierte Welt integrieren und dort ihren<br />

Platz einnehmen. Leider geht dies häufig mit einer Übernahme männlicher Muster des<br />

Substanzkonsums einher (Haavio-Mannila, 1991; Hammer & Vaglum, 1989; Bloomfield et<br />

al., 2001; Pala, 2004).<br />

Zum anderen kann auch die Theorie der «smoking epidemic» (Graham, 1996; Peto et al.,<br />

1994) als Erklärungsansatz herangezogen werden. Diese Theorie basiert in ihren Grundannahmen<br />

auf der so genannten «Theory of Diffusion of Innovations» (Rogers, 2003;<br />

Rogers & Shoemaker, 1971). Diese berücksichtigt langfristige Entwicklungsverläufe und<br />

besagt, dass Innovationen in einer Gesellschaft, wie zum Ende des letzten Jahrhunderts<br />

das Rauchen, zunächst von höheren sozialen Schichten übernommen werden und erst<br />

zu einem späteren Zeitpunkt in untere Schichten diffundieren. Gleiches gilt für die Geschlechter.<br />

Die Frauen folgen den Männern erst in einigem Abstand, und dieser Abstand<br />

ist von der Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft abhängig. Basierend auf der Annahme,<br />

dass Frauen den Männern beim Tabakkonsum den Vortritt lassen, aber später<br />

nachziehen, liessen sich die sinkenden Geschlechtsunterschiede in jüngeren Altersgruppen<br />

im Lebenszeitkonsum von Tabak erklären. Markantere Unterschiede finden sich<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 177


hingegen in höheren Jahren, da Rauchen damals ein «Privileg» der Männer darstellte<br />

(Kuntsche & Gmel, in press). Vergleichbare Zusammenhänge liessen sich auch beim<br />

Cannabiskonsum finden (Kuntsche & Gmel, submitted). Als ein möglicher Motor hinter<br />

der späteren Übernahme des Konsums der Substanzen bei den Frauen wird die zuneh-<br />

mende Emanzipation vermutet (Graham, 1996).<br />

In der <strong>Gender</strong>-Forschung wird davon ausgegangen, dass im Kontakt und in der Interakti-<br />

on mit anderen das «soziale Geschlecht» einer Person immer wieder neu definiert wird<br />

(West & Zimmerman, 1987). Dabei geht es nicht nur um rein äusserliche Merkmale,<br />

sondern vor allem geschieht dieser Prozess des «doing gender» über Kommunikation<br />

und das Auftreten der jeweiligen Person. <strong>Gender</strong>, das «soziale Geschlecht», stellt somit<br />

etwas Dynamisches dar, etwas, das durch eigenes Handeln und durch die Auseinandersetzung<br />

mit anderen durchaus verändert werden kann. Im Zusammenhang mit<br />

Rauchen mag dies bedeuten, dass der Griff zur Zigarette in heutiger Zeit nicht mehr ein<br />

rein männliches Attribut ist, also nicht mehr dazu verwendet werden kann, nach aussen<br />

Männlichkeit zu verkörpern, und damit auch für Frauen interessant wurde, um sich z.B.<br />

von klar weiblichen Attributen zu distanzieren – zu emanzipieren.<br />

3.9.3. Forschungs- und Handlungsbedarf<br />

Die epidemiologischen Befunde weisen darauf hin, dass weiterhin erheblicher Interventionsbedarf<br />

besteht, um die aktuell noch bestehenden Potenziale für präventive Massnahmen<br />

innerhalb der <strong>Schweiz</strong>erischen Bevölkerung auszuschöpfen. Sie zeigen auch,<br />

dass ein geschlechtsspezifischer Präventionsbedarf vorhanden ist und dass Frauen und<br />

Männer von vermeintlich geschlechtsneutralen Präventionsangeboten nicht in gleicher<br />

Weise erreicht werden.<br />

In den vergangenen Jahren wurden einige Präventionskampagnen, wie z.B. die «5 am<br />

Tag»-Kampagne (<strong>Schweiz</strong>erische Gesellschaft für Ernährung [SGE], 2005), die auf die<br />

Notwendigkeit der gesunden Ernährung mit Gemüse und Früchten hinweist, etabliert.<br />

Eine Studie der SFA weist darauf hin, dass insbesondere der Fleischkonsum in der<br />

<strong>Schweiz</strong> mit Übergewicht assoziiert ist (Delgrande Jordan, Gmel & Kuntsche, 2005). Das<br />

Konzept einer gesunden Ernährung scheint dabei den meisten Personen bekannt zu sein.<br />

Immerhin achten über zwei Drittel der <strong>Schweiz</strong>erinnen und <strong>Schweiz</strong>er auf ihre Ernährung.<br />

Dennoch können diese und andere Kampagnen wirksamer gestaltet werden, wenn<br />

sie im Sinne des <strong>Gender</strong> Mainstreaming auf die unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten<br />

von Frauen und Männern eingehen.<br />

Ähnliches gilt für den Bereich der körperlichen Bewegung. Hier besteht insbesondere<br />

bei Frauen Handlungsbedarf. Knapp die Hälfte treibt nicht regelmässig Sport. Dieser Anteil<br />

mag unter jungen Frauen geringer sein und erst mit dem Alter zunehmen. Jedoch<br />

berichten bereits 30% der 15- bis 34-Jährigen keine körperliche Aktivität. Ein Anknüpfungspunkt<br />

für geschlechtergerechte Prävention liegt hier darin, auf die Bedeutung<br />

von Bewegung im Alltag hinzuweisen, statt das Ziel körperlicher Bewegung nur auf<br />

sportliche Aktivitäten zu beziehen.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 178


Auch beim Konsum von Alkohol, Tabak und Cannabis zeigen sich geschlechtsspezifische<br />

Muster, die im Rahmen von Präventionskampagnen reflektiert und aufgegriffen werden<br />

müssen. Beispiele einer funktionierenden geschlechtergerechten Prävention finden sich<br />

auch in der <strong>Schweiz</strong>, so etwa das Projekt «Coaching Lebensunternehmerin» oder «Heldengeschichten».<br />

Ziel ist es dabei, eine Rollenerweiterung und keine Rollenzementierung<br />

zu gewährleisten (Imhoof & Hächler, 2002).<br />

In Bezug auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> lässt sich festhalten:<br />

1. Der Anteil der NichtraucherInnen bzw. ehemaligen RaucherInnen liegt in der<br />

Gruppe der über 15-Jährigen mit 70% unter den von der WHO vorgegebenen<br />

80% in dieser Altersgruppe. Tendenziell ist ein Rückgang zu erwarten, der aber<br />

vermutlich stärker die Männer als die Frauen betrifft (Kuntsche & Gmel, in press).<br />

2. Beim Alkoholkonsum zeigt sich, dass pro Einwohner 2003 in der <strong>Schweiz</strong> durchschnittlich<br />

etwa 9 Liter konsumiert wurden. Damit ist die <strong>Schweiz</strong> nach wie vor<br />

eines der Hochkonsumländer Europas und liegt mit 3 Litern über dem genannten<br />

Ziel von 6 Litern pro Einwohner. Ein Ziel konnte jedoch erreicht werden: Der<br />

chronische Überkonsum von Alkohol scheint sich in der <strong>Schweiz</strong> in den letzten<br />

Jahren auf einem hohen Niveau stabilisiert zu haben. Zunahmen finden sich hingegen<br />

bei Frauen höherer Altersgruppen (über 54 Jahre), einheitliche Alterstrends<br />

bei Männern finden sich nicht. Wie für das Rauchen scheinen präventive<br />

Anstrengungen insbesondere für Frauen intensiviert werden zu müssen.<br />

3. Beim Cannabisgebrauch, betrachtet man die Lebenszeitprävalenzen der letzten<br />

beiden Gesundheitsbefragungen (1997 und 2002), zeigt sich innerhalb dieser<br />

Jahre eine beginnende Stagnation auf hohem Niveau. Einzig in den Altersgruppen<br />

über 34 Jahre liegen die Angaben der 2002er-Befragung in beiden Geschlechtern<br />

über denen der 1997er-Befragung. Für die jüngeren Altersgruppen<br />

zeigt sich, dass die Lebenszeitprävalenzen von Frauen sich den männlichen Konsummustern<br />

annähern. Der daraufhin zu erwartende Therapiebedarf der nächsten<br />

Jahre sollte bereits heute eingeplant werden.<br />

Insgesamt lässt sich sagen, dass die <strong>Schweiz</strong> sich nicht in Richtung auf die von der WHO<br />

ausgegebenen Ziele bewegt. Alkoholkonsum bleibt unverändert stark, der illegale Drogenkonsum<br />

ebenso, wobei der Cannabisgebrauch deutlich zugenommen hat. Ebenso<br />

nimmt das Übergewicht zu. Einzig eine Trendwende scheint sich beim Rauchen abzuzeichnen,<br />

die sich allerdings nur bei den Männern, nicht aber bei den Frauen beobachten<br />

lässt. Die Notwendigkeit geschlechtsspezifischer Interventionsplanung ist damit einmal<br />

mehr bestätigt.<br />

Literatur<br />

Abel, T., Graf, N. & Niemann, S. (2001). <strong>Gender</strong> bias in the assessment of physical activity in population<br />

studies. Sozial- und Praventivmedizin, 46, 268–72.<br />

Alsaker, F. D. (1997). Pubertät als Belastung. In A. Grob (Hrsg.), Kinder und Jugendliche heute: Belastet –<br />

überlastet? (S. 129–148). Zürich: Ruegger Verlag.<br />

Annaheim, B. & Gmel, G. (2004). Alkoholkonsum in der <strong>Schweiz</strong>: Ein Synthesebericht zu Alkoholkonsum<br />

und dessen Entwicklung auf der Basis der <strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung 1997<br />

und 2002 (Forschungsbericht. Lausanne: <strong>Schweiz</strong>erische Fachstelle für Alkohol- und<br />

andere Drogenprobleme (SFA).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 179


BFS – Bundesamt für Statistik (2005). Statistisches Jahrbuch der <strong>Schweiz</strong> 2005. Zürich:<br />

Verlag Neue Züricher Zeitung.<br />

Bloomfield, K., Gmel, G., Neve, R. & Mustonen, H. (2001). Investigating gender convergence in alcohol<br />

consumption in Finland, Germany, The Netherlands, and Switzerland. A repeated survey<br />

analysis. Substance Abuse, 22, 39–53.<br />

Delgrande Jordan, M., Gmel, G. & Kuntsche, S. (2005). Excès pondéral en Suisse – Les facteurs socioéconomiques<br />

sous la loupe. Paper presented at the Swiss Public Health Conference,<br />

Berne, juin.<br />

Duke-Duncan, P., Ritter, P. L., Dornbusch, S.M., Gross, R.T. & Carlsmith, J.M. (1985). The effects of<br />

pubertal timing on body image, school behavor, and deviance. Journal of Youth and<br />

Adolescence, 14, 227–235.<br />

Eichholzer, M. (1998). Ernährungsdaten der «<strong>Schweiz</strong>erischen Gesundheitsbefragung 1992/1993».<br />

In Bundesamt für Gesundheit (BAG) (Hrsg.), Vierter <strong>Schweiz</strong>erischer Ernährungsbericht<br />

(S. 236-248). Bern: BAG.<br />

Eichholzer, M., Bernasconi, F., Jordan, P. & Gutzwiller, F. (2005). Ernährungsdaten der <strong>Schweiz</strong>erischen<br />

Gesundheitsbefragung 2002. In M. Eichholzer et al. (Hrsg.), Fünfter <strong>Schweiz</strong>erischer<br />

Ernährungsbericht (S. 259–278). Bern: Bundesamt für Gesundheit.<br />

Eidgenössische Alkoholverwaltung (EAV) (2004). Verbrauch alkoholischer Getränke je Kopf der Wohnbevölkerung<br />

in der <strong>Schweiz</strong>. Eidgenössische Alkoholverwaltung (EAV). Verfügbar unter:<br />

http://www.eav.admin.ch/d/pdf/merkalc4.pdf.<br />

Ezzati, M., Lopez, A.D., Rodgers, A. & Murray, C. J. L. (2004). Comparative quantification of health risks.<br />

Global and regional burden of disease attributable to selected major risk factors. Geneva:<br />

World Health Organization (WHO).<br />

Gmel, G. (1995). Sind Raucherinnen und Raucher wieder im Vormarsch? Verwirrendes Zahlenspiel um<br />

Rauchertrends. Bulletin des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), 20, 39–42.<br />

Gmel, G., Heeb, J.-L., Rezny, L., Rehm, J. & Mohler-Kuo, M. (2005). Drinking patterns and traffic casualties<br />

in Switzerland – matching survey data and police records to design preventive action.<br />

Public Health, 119, 426–436.<br />

Graham, H. (1996). Smoking prevalence among women in the European community 1950–1990.<br />

Social Science and Medicine, 43, 243–254.<br />

Gutjahr, E. & Gmel, G. (2001). Defining alcohol-related fatal medical conditions for social-cost studies in<br />

Western societies: an update of the epidemiological evidence. Journal of Substance<br />

Abuse, 13, 239–264.<br />

Haavio-Mannila, E. (1991). Impact of co-workers on female alcohol use. Contemporary Drug Problems,<br />

18, 597–627.<br />

Hamburg, D.A., Millstein, S.G., Mortimer, A.M. & Nightingale, E.O. (1993). Adolescent health promotion<br />

in the twenty-First century: a synthesis of current progress and future directions. In S.G.<br />

Millstein, A.C. Petersen & E.O. Nightingale (Eds.), Promoting the health of adolescents.<br />

New directions for the twenty-first century (pp. 375-388). New York, NY: Oxford University<br />

Press.<br />

Hammer, T. & Vaglum, P. (1989). The increase in alcohol consumption among women: a phenomenon<br />

related to accessibility or stress? A general population study. British Journal of Addiction,<br />

84, 767–775.<br />

Imhoof, E. & Hächler, D. (2002). Frauenpower, Männerpower, <strong>Gender</strong>prozesse in der Praxis – ein<br />

Tagungsbericht. Suchtmagazin, 6, 16–21.<br />

Inserm (2000). Obésité: Dépistage et prévention chez l'enfant – Expertise collective. Paris: Institut national<br />

de la santé et de la recherche médicale (Inserm).<br />

Kracke, B. (1993). Pubertät und Problemverhalten bei Jungen. Weinheim: Beltz.<br />

Kuntsche, S. & Gmel, G. (in press). The smoking epidemic in Switzerland – an empirical examination of<br />

the theory of diffusion of innovations. Sozial- und Präventivmedizin.<br />

Kuntsche, S. & Gmel, G. (submitted). Sex and socio-economic trends in cannabis use in Switzerland.<br />

Social Science and Medicine.<br />

Limosin, F. (2002). Spécificités cliniques et biologiques de l'alcoolisme de la femme. Encephale, 28,<br />

503–509.<br />

Obsan – <strong>Schweiz</strong>erisches Gesundheitsobservatorium (2004). Gesundheitsmonitoring nach Indikatoren:<br />

www.obsan.ch<br />

Pala, B (2004). Female alcohol consumption between search for equality and increase of risk: which<br />

prevention? Annali dell Istituto Superiore di Sanita, 40, 41–46.<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 180


Peto, R., Lopez, A.D., Boreham, J., Thun, M.J. & Heath, C. (1994). Mortality from smoking in developed<br />

countries 1950–2000: Indirect estimates from national vital statistics. Oxford: Oxford University<br />

Press.<br />

Richards, M.H. & Larson, R.W. (1993). Pubertal development and the daily subjective states of young<br />

adolescents. Journal of Research on Adolescence, 3, 145–169.<br />

Rogers, E.M. (2003). Diffusion of Innovations. London: The Free Press.<br />

Rogers, E.M. & Shoemaker, F. (1971). Communication of innovations: A Crosscultural approach.<br />

London: Collier Macmillian.<br />

<strong>Schweiz</strong>erische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA) (2004). Zahlen und Fakten.<br />

Lausanne: SFA.<br />

<strong>Schweiz</strong>erische Gesellschaft für Ernährung (SGE) (2005). 5 am Tag. SGE. Verfügbar unter:<br />

http://www.sge-ssn.ch/d/navigation_header/5_am_tag/<br />

Suter, P.M. & Schutz, Y. (2005). Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen. In M. Eichholzer et al.<br />

(Hrsg.), Fünfter <strong>Schweiz</strong>erischer Ernährungsbericht (S. 471-492). Bern: Bundesamt für<br />

Gesundheit.<br />

West, C., & Zimmermann, D. H. (1987). Doing gender. <strong>Gender</strong> and Society, 1, 125–151.<br />

Wicki, M. & Gmel, G. (2005). Rauschtrinken in der <strong>Schweiz</strong> – Eine Schätzung der Prävalenz aufgrund<br />

verschiedener Umfragen seit 1997 (Forschungsbericht 40). Lausanne: <strong>Schweiz</strong>erische<br />

Fachstelle für Alkohol und andere Drogenprobleme (SFA).<br />

Geschlechterblick auf die Gesundheitsziele für die <strong>Schweiz</strong> | 181


4. Diskussion und Schlussfolgerungen<br />

Julia Lademann und Petra Kolip<br />

4.1. Ziel und Zweck der <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung<br />

Angesichts knapper werdender Ressourcen im Gesundheitswesen und vor dem Hintergrund<br />

der Qualitätsdiskussion in der gesundheitlichen Versorgung wird die Notwendigkeit<br />

zunehmend deutlich, die Angebote in Prävention, Kuration, Rehabilitation und Pflege<br />

auf Zielgruppen abzustimmen. Eine differenzierte <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung liefert<br />

hierzu die notwendigen Planungsgrundlagen. Dabei stellt sich die Frage, welche Variablen<br />

zur Differenzierung herangezogen werden sollen. Neben dem Geschlecht und dem<br />

Alter sind auch z.B. die soziale Lage oder die ethnische Zugehörigkeit von Bedeutung.<br />

Gleichwohl bietet eine geschlechtervergleichende und geschlechtersensible <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung<br />

einen guten Einstieg in eine differenzierte Analyse, der weitere<br />

folgen müssen. Während sich eine geschlechtervergleichende Darstellung darauf beschränkt,<br />

die vorhandenen Daten nach Geschlecht aufzubereiten – vor einigen Jahren<br />

fehlte selbst hierzu die Grundlage – geht eine geschlechtersensible <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung<br />

weiter. Diese thematisiert Ursachen und Bedeutung vorgefundener Unterschiede<br />

und Gemeinsamkeiten. Dies ist auch die Zielsetzung des vorliegenden Berichtes.<br />

Diskutiert werden bei der Darstellung und dem Vergleich der Daten sowohl biologische<br />

als auch soziale Begründungen. In den meisten der in diesem Bericht bearbeiteten Themenbereichen<br />

stellen soziale Faktoren die entscheidenden dar, um Unterschiede sowohl<br />

zwischen den Geschlechtern als auch innerhalb der Geschlechter zu erklären. So zeigt<br />

sich beispielsweise bereits bei der Analyse der Mortalitätsdaten von Frauen und Männern,<br />

dass die deutlichen Unterschiede nur in geringem Ausmass auf biologische Ursachen<br />

zurückzuführen sind. Sie liegen vielmehr in sozialen Ursachen begründet, wie bestimmten<br />

geschlechtlich konnotierten Verhaltensweisen sowie den unterschiedlichen<br />

Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen und Männern. Damit zeigt sich die Bedeutung<br />

von gender als wichtiger soziokultureller Determinante von Gesundheit.<br />

Da der vorliegende <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> nicht nur eine vergleichende Darstellung<br />

der Gesundheitsdaten von Frauen und Männern bietet, sondern auch Unterschiede innerhalb<br />

eines Geschlechts thematisiert, können die Erkenntnisse zur Entwicklung einer<br />

zielgruppenspezifischen gesundheitlichen Versorgung genutzt werden. Dafür müssen<br />

zum einen die gesundheitlichen Problemlagen, Hindernisse und Bedürfnisse sowie Ressourcen<br />

und Chancen von Frauen und Männern identifiziert werden. Zum anderen gilt es,<br />

die Angebote der Gesundheitsförderung, Prävention und des gesamten Spektrums der<br />

gesundheitlichen Versorgung so zu konzipieren, dass sie der Bedeutung der Kategorie<br />

Geschlecht gerecht werden. Ziel ist es deshalb, mit dem Bericht die relevanten AkteurInnen<br />

für die Bedeutung der Kategorie Geschlecht in seinen biologischen und sozialen<br />

Determinanten zu sensibilisieren. Er wendet sich an Politiker und Politikerinnen, an Public-Health-Tätige,<br />

an Beschäftigte in Gesundheitsberufen sowie an AkteurInnen in Verbänden.<br />

Der <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> soll diesen AkteurInnen eine erste Grundlage<br />

bieten, um sich einen Überblick zur Situation des Gesundheitszustandes bei Mädchen<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 182


und Jungen sowie Frauen und Männern zu verschaffen. Hieraus können Massnahmen<br />

zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Frauen und Männern und Ansatzpunkte<br />

zur Verringerung der gesundheitlichen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern<br />

abgeleitet werden.<br />

4.2. Ursachen der gesundheitlichen Unterschiede zwischen<br />

den Geschlechtern<br />

Die in dem vorliegenden Bericht aufgezeigten Unterschiede zwischen Frauen und Männern<br />

hinsichtlich Gesundheit und Krankheit sind vor dem Hintergrund bio-psycho-sozialer,<br />

kultureller und auch methodischer Faktoren zu diskutieren. Im Folgenden sollen noch<br />

einmal die zentralen Erklärungsansätze zusammengefasst dargestellt werden, welche<br />

innerhalb dieses Berichtes zur Erläuterung vorgefundener Geschlechterunterschiede<br />

jeweils konkret angesprochen werden:<br />

− geschlechtsspezifische Körpersozialisation und gesundheitsbezogene Verhaltensweisen,<br />

− geschlechtsspezifische Arbeits- und Lebensbedingungen<br />

− biologische Faktoren,<br />

− geschlechtsspezifische Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem,<br />

− methodische Probleme.<br />

4.2.1. Geschlechtsspezifische Körpersozialisation und<br />

gesundheitsbezogene Verhaltensweisen<br />

Geschlechtsspezifische gesundheitsbezogene Verhaltensweisen, die ein Ergebnis der<br />

geschlechtsspezifischen Körpersozialisation sind, können zu einem beträchtlichen Anteil<br />

die vorgefundenen Geschlechterunterschiede erklären (vgl. Kapitel 1.3.3). So zeigt sich,<br />

dass die kürzere Lebenserwartung der Männer in erster Linie auf verhaltensbedingte<br />

Ursachen zurückzuführen ist. Männer nehmen mehr Gesundheitsrisiken in Kauf, indem<br />

sie mehr Tabak und Alkohol konsumieren als Frauen, sich riskant im Strassenverkehr und<br />

beim Sport verhalten und indem sie nicht bei psychischen Problemlagen Hilfe aufsuchen,<br />

sondern den Suizid als letzten Ausweg wählen. Frauen sind dagegen oftmals sensibler<br />

für gesundheitliche Beeinträchtigungen. Dies kann einerseits dazu führen, dass sie sich<br />

weniger riskant verhalten, andererseits sich aber möglicherweise vorschnell in ärztliche<br />

Behandlung begeben und sich damit dem Risiko der medizinischen Überbehandlung<br />

aussetzen, was sich beispielsweise in einem erhöhten und damit auch potenziell riskanten<br />

Konsum von Medikamenten und einer generellen Medikalisierung weiblicher Lebensphasen<br />

(Schwangerschaft, Geburt, Wechseljahre; vgl. Kolip, 2000) widerspiegeln<br />

kann. Diese Verhaltensweisen sind zu einem beträchtlichen Teil mit Geschlechterstereotypen<br />

verknüpft, wie sie im Rahmen einer geschlechtsspezifischen Sozialisation erlernt<br />

werden. Bei der Konzeption entsprechender Präventionsmassnahmen gilt es daher zu<br />

berücksichtigen, dass es sich um gesellschaftlich akzeptierte Verhaltensweisen von<br />

Frauen und Männern handelt. Da geschlechtsspezifische Verhaltensweisen sozial und<br />

kulturell geprägt sind, sind sie grundsätzlich veränderbar. Gesundheitliche Versorgungskonzepte<br />

können daher sowohl darauf fokussieren, die geschlechtsspezifischen Risiken<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 183


zu minimieren als auch die gesundheitlichen Ressourcen «typisch» männlicher und weiblicher<br />

Verhaltensweisen für beide Geschlechter zu unterstützen. In diesem Sinne können<br />

Männer von einem fürsorglicheren Umgang mit dem eigenen Körper von den Frauen<br />

lernen, während Frauen von einem selbstbestimmteren Umgang mit dem eigenen Körper<br />

von Männern lernen können.<br />

4.2.2. Geschlechtsspezifische Arbeits- und Lebensbedingungen<br />

Die Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen und Männern stellen zentrale Einflussfaktoren<br />

ihrer Gesundheit dar. Die in den meisten Gesellschaften vorfindbare geschlechtliche<br />

Arbeitsteilung spiegelt sich bei der Darstellung der demografischen und sozioökonomischen<br />

Determinanten der Bewohnerinnen und Bewohnern der <strong>Schweiz</strong> wider<br />

(vgl. Kapitel 2): Während Männer überwiegend vollzeiterwerbstätig sind, leisten Frauen<br />

auch bei zunehmender Erwerbstätigkeit mehr Haus- und Familienarbeit. Um Erwerbstätigkeit<br />

und Familienarbeit zu vereinbaren, übernehmen in erster Linie Mütter, aber nicht<br />

Väter eine Teilzeitbeschäftigung, was entsprechende Auswirkungen auf die Altersversorgung<br />

hat. Je mehr Kinder innerhalb einer Familie leben, desto grösser ist die ökonomische<br />

Abhängigkeit der Mütter vom Ehe- bzw. Lebenspartner. Alleinerziehende sind<br />

überwiegend Frauen, die dann neben dem Problem der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit<br />

und Kinderbetreuung zumeist auch ökonomisch schlechter gestellt sind als Haushalte mit<br />

zwei Erwerbstätigen. Zu der einkommensschwachen Bevölkerung zählen u.a. alleinstehende<br />

ältere Frauen, die darüber hinaus im Falle von Pflegebedürftigkeit nicht auf einen<br />

versorgenden Partner zählen können. Hinsichtlich der Bildung holen Frauen zunehmend<br />

auf, und die folgenden Generationen an Frauen und Männern werden vermutlich mit<br />

ähnlichen Bildungsvoraussetzungen ins Berufsleben starten. Bislang zeigt sich der Bildungsunterschied<br />

in der mittleren und älteren Generation jedoch noch deutlich. Weitere<br />

Unterschiede beziehen sich auf die berufliche Stellung und Entlohnung, bei der immer<br />

noch eine Diskriminierung von Frauen vorzufinden ist. Weiterhin auffallend ist die geschlechtstypische<br />

Berufswahl, die u.a. dazu führt, dass Männer eher in körperlich anstrengenden<br />

und riskanten Berufen tätig sind. Frauen stehen hinsichtlich ihrer Lebensbedingungen<br />

in erster Linie ökonomisch und teilweise auch beruflich schlechter da als<br />

Männer, was einen entscheidenden Einfluss auf ihre gesundheitliche Situation haben<br />

kann. Für Männer scheint bislang ein höheres Engagement bei Haus- und Familienarbeit<br />

nicht attraktiv zu sein, auch wenn argumentiert werden könnte, dass sie gesundheitlich<br />

möglicherweise davon profitieren, indem sie sich weniger beruflichen Risiken aussetzen.<br />

Es wäre nicht nur aus gleichstellungspolitischer Perspektive sinnvoll, wenn Frauen und<br />

Männer gleichermassen an gesellschaftlichen Ressourcen und Lasten partizipieren, sondern<br />

auch geschlechtergerechte Voraussetzungen und Möglichkeiten zur Entfaltung gesundheitlicher<br />

Potenziale geschaffen werden.<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 184


4.2.3. Biologische Faktoren<br />

Der Einfluss biologischer Faktoren zu Erklärung der Geschlechterunterschiede in Krankheit<br />

und Gesundheit wird zumeist überschätzt. So wird der Beitrag biologischer Erklärungen<br />

im Hinblick auf die unterschiedliche Lebenserwartung von Frauen und Männern mit<br />

höchstens ein bis zwei Jahren eingeschätzt (Luy 2002a, Luy 2002b). Biologische und<br />

damit anatomische Unterschiede sind allerdings entscheidend bei Erkrankungen, die mit<br />

den Reproduktionsorganen und sekundären Geschlechtsmerkmalen in Zusammenhang<br />

stehen. Hinzu kommen Krankheiten, bei denen die spezifischen Hormonlagen von Frauen<br />

und Männern eine Rolle spielen (z.B. die Bedeutung von Östrogenen bei Schilddrüsenerkrankungen<br />

und Migräne). Möglicherweise wirken sich auch bislang unerforschte<br />

biologische Unterschiede in Anatomie und Physiologie von Frauen und Männern darauf<br />

aus, ob und wie bestimmte Erkrankungen bei ihnen auftreten.<br />

4.2.4. Geschlechtsspezifische Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem<br />

Frauen und Männer zeigen nicht nur unterschiedliche gesundheitsbezogene Verhaltensweisen,<br />

sondern werden auch im Versorgungssystem unterschiedlich wahrgenommen.<br />

So können beispielsweise die gesellschaftlichen Geschlechterstereotype auch in der<br />

ärztlichen Praxis dazu führen, dass in die medizinische Diagnose von Patientinnen vermehrt<br />

psychosomatische und bei Patienten eher somatische Faktoren einfliessen. Dies<br />

kann zur Folge haben, dass bei Männern psychische und bei Frauen somatische Belange<br />

übersehen werden. Am Beispiel von Herzerkrankungen wurde aufgezeigt, dass Frauen<br />

hinsichtlich Diagnose- und Therapiemassnahmen lange unterversorgt waren bzw. noch<br />

sind (vgl. Kapitel 3.6, Exkurs koronare Herzkrankheit). Die Ursachen dafür liegen zum<br />

einen darin, dass eine Herzerkrankung in stereotyper Weise eher dem männlichen Geschlecht<br />

zugeordnet wird. Zum anderen wurde lange nicht erkannt, dass sich die Symptomatik<br />

bei Frauen und Männern unterscheidet und in erster Linie die «männliche»<br />

Symptomatik als Zeichen für eine Herzerkrankung ernst genommen wurde. Aus diesen<br />

Erkenntnissen wird deutlich, dass ein geschlechtersensibler Blick in der gesundheitlichen<br />

Versorgungspraxis zwar sehr wohl aufmerksam sein muss für geschlechtsspezifische<br />

Erkrankungen und Problemlagen, aber dennoch weder mit stereotypem noch mit einem<br />

das Geschlecht ignorierenden Fokus antreten darf.<br />

4.2.5. Methodische Probleme<br />

Bei den in den Gesundheitsdaten vorgefundenen Unterschieden oder auch Gemeinsamkeiten<br />

zwischen den Geschlechtern kann bislang noch nicht ausgeschlossen werden,<br />

dass sie zum Teil einer systematischen Verzerrung hinsichtlich Geschlecht unterliegen.<br />

Dieser so genannte «<strong>Gender</strong>-Bias» ist Ausdruck eines methodischen Problems, welches<br />

sich bei der Erhebung von Daten über Frauen und Männer stellen kann. Oftmals sind<br />

Erhebungs- und Befragungsinstrumente im Zusammenhang mit Krankheit und Gesundheit<br />

nicht ausdrücklich an und für beide Geschlechter getestet, weshalb deren Aussagen<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 185


für das eine oder andere Geschlecht möglicherweise mit Unsicherheiten behaftet sind<br />

(Eichler 2002, Jahn 2002). Die Entwicklung von Erhebungs- und Forschungsmethoden,<br />

die beiden Geschlechtern gerecht werden können, stellt eine wichtige Voraussetzung<br />

dar, um die gesundheitliche Situation von Frauen und Männern möglichst realitätsnah<br />

abbilden zu können, und dient damit der Qualitätsverbesserung wissenschaftlicher Methoden.<br />

4.3. Ursachen der gesundheitlichen Unterschiede innerhalb<br />

der Geschlechter<br />

Wird Geschlecht als wichtiger, die Gesundheit beeinflussender Faktor in den Blick genommen,<br />

zeigen sich nicht nur Unterschiede zwischen, sondern auch innerhalb der Geschlechter.<br />

Diese werden u.a. durch das Alter, die sozioökonomische Situation, Migrationshintergrund,<br />

Bildung sowie regionale Gegebenheiten beeinflusst (vgl. Kapitel 3.1).<br />

Werden gesundheitsbezogene Daten nach diesen Merkmalen differenziert, so lässt sich<br />

zeigen, dass gesundheitliche Unterschiede innerhalb eines Geschlechts oftmals grösser<br />

sind als zwischen den Geschlechtern. So stellt beispielsweise das Alter eine wichtige<br />

Determinante hinsichtlich des subjektiven Gesundheitszustandes dar. Auch wenn sich<br />

die Geschlechterunterschiede über alle Altersgruppen hinweg zeigen, können die Unterschiede<br />

zwischen jungen und alten Frauen (respektive jungen und alten Männern) grösser<br />

sein als die Geschlechterunterschiede. Auch lässt sich erkennen, dass gesundheitliche<br />

Unterschiede zwischen Männern und Frauen bereits in der Kindheit auftreten, die<br />

sich in der Jugend vergrössern und im jungen bis mittleren Erwachsenenalter am grössten<br />

sind, um sich im Alter wieder zu verringern. Darüber hinaus können manche Faktoren<br />

bei den Geschlechtern unterschiedliche, wenn nicht gar gegensätzliche Auswirkungen<br />

haben. So erhöht sich beispielsweise bei Frauen mit zunehmender Bildung die Inanspruchnahme<br />

psychotherapeutischer Massnahmen, was bei Männern nicht der Fall ist.<br />

Ein anderes Beispiel bezieht sich auf den Alkohol- und Tabakkonsum, der bei Männern<br />

mit zunehmendem Bildungsniveau sinkt, während der Anteil an Raucherinnen über alle<br />

Bildungsstufen hinweg in etwa gleich bleibt und der Alkoholkonsum bei Frauen sogar mit<br />

zunehmender Bildung steigt. Diese Beispiele machen noch einmal deutlich, dass die<br />

Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht nicht bei einem Geschlechtervergleich stehen<br />

bleiben kann, sondern einen Einstieg in eine differenzierte Betrachtungsweise bietet,<br />

der sich eine weitere Differenzierung innerhalb der Gruppe der Männer und Frauen anschliessen<br />

muss. Umgekehrt gilt: Nimmt die <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung und die zielgruppendifferenzierte<br />

Massnahmenentwicklung eine andere Variable als Ausgangspunkt<br />

(z.B. Migrationshintergrund), so sollte in einem weiteren Schritt eine Geschlechtsdifferenzierung<br />

erfolgen.<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 186


4.4. <strong>Gender</strong> Mainstreaming in der <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung<br />

und gesundheitlichen Versorgung<br />

Die bewusste Berücksichtigung von Geschlecht hinsichtlich der Gesundheitsziele zielt<br />

darauf ab, dass Geschlechterbelange systematisch in gesundheitspolitische Überlegungen<br />

einbezogen werden. Dies soll zu einer verbesserten Gesundheitsversorgung sowohl<br />

für Frauen und Männer als auch für unterschiedliche Gruppen innerhalb der Geschlechter<br />

führen. Das Prinzip des <strong>Gender</strong> Mainstreaming, welches als politisches Instrument der<br />

Gleichstellung der Geschlechter dient, soll sich durch alle politischen Ressorts ziehen.<br />

Diesen Ansatz gilt es gerade hinsichtlich der Verbesserung der gesundheitlichen Situation<br />

nachdrücklich zu verfolgen, da – wie vielfach innerhalb des vorliegenden Berichtes<br />

dargestellt – Gesundheit als bio-psycho-soziales Konstrukt nicht nur über gesundheitspolitische<br />

Massnahmen, sondern beispielsweise auch über sozial-, arbeitsmarkt- und umweltpolitische<br />

Entscheidungen zu beeinflussen ist. Während der Blick auf Gesundheit<br />

und Krankheit traditionell ein vermeintlich geschlechtsneutraler war, der aber zumindest<br />

implizit von einem männlichen Normmodell geprägt war, hat die Frauengesundheitsbewegung<br />

und –forschung diesen Blick auf das weibliche Geschlecht erweitert (Kuhlmann<br />

& Kolip, 2005, vgl. Kapitel 1.3).<br />

<strong>Gender</strong> Mainstreaming ist nicht, wie vielfach missverstanden wird, alter Frauenförderungswein<br />

in neuen Schläuchen, sondern die Strategie rückt die Gesundheitsbedürfnisse<br />

von Frauen und Männern sowie das Verhältnis der Geschlechter in den Vordergrund.<br />

Dabei geht es um die Erreichung horizontaler und vertikaler Chancengleichheit.<br />

Zur Herstellung horizontaler Gerechtigkeit sollen gleiche Gesundheitsbedürfnisse durch<br />

das gleiche Versorgungsangebot gedeckt werden. Herzerkrankungen von Frauen oder<br />

psychische Erkrankungen von Männern wären hier Beispiele, wo das Gesundheitssystem<br />

bislang auf die gleichen Bedürfnisse unterschiedlich reagiert. Daher müssen zum<br />

einen gesundheitliche Bedürfnisse bei Frauen und Männern erkannt werden und zum<br />

anderen ist möglicherweise die Entwicklung geschlechterdiffernzierter Leitlinien notwendig.<br />

Zur Erreichung vertikaler Gerechtigkeit müssen geschlechtsspezifische Gesundheitsbedürfnisse<br />

durch geschlechtsspezifische Versorgungsangebote gedeckt werden.<br />

Der vorliegende <strong>Gesundheitsbericht</strong> gibt hierfür zahlreiche Anregungen. Unfälle junger<br />

Männer wären hier ein Beispiel für einen geschlechtsspezifischen Versorgungsbedarf.<br />

Wie lässt sich nun <strong>Gender</strong> Mainstreaming in der <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung, Gesundheits-/Public-Health-Forschung<br />

und der gesundheitlichen Versorgung einschliesslich Prävention<br />

und Gesundheitsförderung verankern? Eine geschlechtersensible <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung<br />

ist nur dann möglich, wenn die zugrunde liegenden Daten geschlechterdifferenziert<br />

erhoben und aufbereitet werden. Dies ist mittlerweile weitgehend der<br />

Fall, auch wenn noch einige Lücken festzustellen sind, wie beispielsweise bei den Spitex-Daten,<br />

der Unfallstatistik sowie einigen Daten zu Infektionskrankheiten. In diesem<br />

Kontext muss auch eine Sensibilisierung erfolgen, die bei der Datenerhebung ansetzt.<br />

Zunächst ist zu prüfen, welche Daten erhoben werden müssen, um zu einer realitätsnahen<br />

Abbildung der gesundheitlichen Situation von Frauen und Männern zu kommen. So<br />

reicht es beispielsweise nicht aus, lediglich Daten über Krankheitsdiagnosen oder Inanspruchnahme<br />

des Versorgungssystems zu erheben. Es müssen darüber hinaus auch<br />

soziale Faktoren aufgenommen werden, welche die Lebens- und Arbeitswelten von<br />

Frauen und Männern abbilden, um deren Auswirkungen auf die Gesundheit der Geschlechter<br />

aufzuzeigen.<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 187


Erst mit einer Verknüpfung gesundheitlicher und sozialer Daten können entsprechende<br />

Schlussfolgerungen gezogen werden. Mittlerweile werden im Zusammenhang mit Gesundheitsbefragungen<br />

zunehmend soziale Daten erfasst. Aber gibt es noch eine Reihe<br />

an systematischen methodischen Problemen, die zu einer Verzerrung der Ergebnisse<br />

führen können. Zur Abbildung der sozialen Schicht werden z.B. unter anderen ökonomische<br />

Faktoren einbezogen, die sich zumeist auf das verfügbare Haushaltseinkommen<br />

beziehen. Dabei wird nicht unterschieden, wer in einem Haushalt welchen Anteil beisteuert<br />

bzw. ob dies nur eine oder mehrere Personen tun. Die Aussagen über die soziale<br />

Schicht – hinsichtlich Haushaltseinkommen – erfolgen damit über den Haushalt und nicht<br />

personenbezogen. Damit wird impliziert, dass sich die wirtschaftliche Situation des<br />

Haushaltseinkommens auf alle Mitglieder gleichermassen auswirkt. Da in Familienhaushalten<br />

Männer überwiegend vollerwerbstätig und Frauen eher teilzeitbeschäftigt sind,<br />

kann es dagegen durchaus sein, dass Frauen für eigene Belange weniger ökonomische<br />

Ressourcen zur Verfügung stehen. Das methodische Problem zur angemessenen Operationalisierung<br />

der sozialen Situation von Frauen und Männern wird in der Gesundheitsforschung<br />

zunehmend diskutiert und bearbeitet (Babitsch, 2005; Mielck, 2002).<br />

<strong>Gender</strong> Mainstreaming in der <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung bedeutet allerdings auch,<br />

nicht nur eigenständige <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>e zu erstellen, die den geschlechtersensiblen<br />

Vergleich ins Zentrum stellen, sondern die Geschlechterperspektive in alle<br />

<strong>Gesundheitsbericht</strong>e einzubeziehen. Nur so kann deutlich werden, dass die Kategorie<br />

Geschlecht auch bei vermeintlich geschlechtsneutralen Gesundheitsthemen eine Rolle<br />

spielt.<br />

Eine geschlechtersensible <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung kann sich nicht nur auf Routinedaten<br />

stützen, sondern muss auch auf Studien der Public-Health-Forschung zurückgreifen.<br />

Hier setzt sich ein zweiter Bereich einer notwendigen Sensibilisierung an, denn zahlreiche<br />

Forschungsprojekte und die daraus erarbeiteten Publikationen sind durch einen<br />

<strong>Gender</strong>-Bias, also durch geschlechterbezogene Verzerrungen, gekennzeichnet. Die kanadische<br />

Wissenschafterin Margit Eichler hat ein Instrument entwickelt, mit dem solche<br />

Verzerrungen identifiziert werden können, um einen Sensibilisierungsprozess in Gang zu<br />

setzen. Eichler (2002) unterscheidet drei – häufig gemeinsam auftretende – Hauptformen<br />

des <strong>Gender</strong>-Bias:<br />

− Geschlechterinsensibilität: Die Bedeutung des Geschlechts wird gänzlich ignoriert.<br />

− Androzentrismus: In der Studienkonzeption und den verwendeten Instrumenten wird<br />

von einem männlichen Normmodell ausgegangen.<br />

− Doppelter Bewertungsmassstab: Spezifische Fragestellungen (z.B. hinsichtlich der<br />

Vereinbarkeit von Familien- und Berufsarbeit, der Einfluss von Erwerbsarbeit auf die<br />

Gesundheit) werden nur bei dem Geschlecht (hier: Frauen) untersucht.<br />

Eine geschlechtergerechte bzw. geschlechterangemessene Forschung bezieht sich auf<br />

alle Phasen des Forschungsprozesses. Als Beispiel sei der Punkt «Datenerhebung» und<br />

hier die Verwendung von Fragebögen genannt, die für einen vorgeblich «geschlechtsneutralen»<br />

Einsatz konzipiert sind. Hierbei kann es zu einer Vernachlässigung von Faktoren<br />

kommen, die für eines der Geschlechter wichtig sind. So wird beispielsweise zum<br />

Thema Bewegung und Gesundheit oftmals die sportliche Aktivität in systematischer Art<br />

und Weise erfasst, nicht aber körperliche Aktivität, die im Zusammenhang mit Haus- und<br />

Familienarbeit stehen. Dies kann dazu führen, dass Bewegung als gesundheitliche Res-<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 188


source bei Männern über- und bei Frauen unterschätzt wird, da Männer mehr Sport treiben,<br />

während Frauen sich mehr im Alltag bewegen. Ebenfalls kann es zu Verzerrungen<br />

bei Fragebögen kommen, in welchen es um die Erhebung psychischer Befindlichkeit und<br />

Befindlichkeitsstörungen geht, da in solchen in erster Linie «frauentypische» Reaktionen<br />

auf Belastungssituationen abgefragt werden. Bei diesen handelt es sich vor allem um<br />

ängstliche und depressive Symptome, während aggressive Symptome, die gesellschaftlich<br />

eher als «männertypisch» gelten, weniger Beachtung finden. Eichler, Fuchs & Maschewsky-Schneider<br />

(2000) haben eine Checkliste entwickelt, mit der empirische Arbeiten<br />

(sowohl die eigenen als auch die anderer Forschungsgruppen) hinsichtlich des Vorliegens<br />

eines <strong>Gender</strong>-Bias überprüft werden können (vgl. Tabelle 4.1). Hier sind vor allem<br />

auch die Forschungsförderer gefragt, die ebenfalls darauf achten müssen, dass die Kategorie<br />

Geschlecht in Forschungsvorhaben angemessen berücksichtigt wird.<br />

Tabelle 4.1: Kurzfragebogen zur Erfassung von <strong>Gender</strong>-Bias in empirischen Arbeiten (modifiziert nach<br />

Eichler, Fuchs & Maschewsky-Schneider, 2000)<br />

Phasen des Forschungsprozesses<br />

Fragestellung/Kriterien<br />

Titel, Abstract Benennt der Titel beide Geschlechter?<br />

Benennt der Abstract, die Zusammenfassung beide Geschlechter?<br />

Forschungsfrage Wenn das Thema beide Geschlechter betrifft, sind in die Forschungsfrage<br />

beide Geschlechter einbezogen? Falls nicht, wie wird das begründet?<br />

Theoretischer<br />

Rahmen<br />

Sind geschlechtsspezifische Unterschiede in der Theorie angemessen<br />

angesprochen?<br />

Literaturreview Wurden in der Literaturübersicht Forschungen zu beiden Geschlechtern mit<br />

einbezogen?<br />

Falls ja, sind sie angemessen dargestellt?<br />

Studiendesign und<br />

Stichprobe<br />

Sind beide Geschlechter in die Stichprobe eingeschlossen?<br />

Ist die Stichprobe nach Geschlecht beschrieben?<br />

Wird bei den Hauptvariabeln auf die potenziell unterschiedliche Situation<br />

von Frauen und Männern eingegangen?<br />

Methoden Wird im Methodenteil Auskunft darüber gegeben, ob die Methoden für beide<br />

Geschlechter anwendbar sind?<br />

Datensammlung Ermöglichen die Methoden der Datensammlung geeignete Zugänge zu beiden<br />

Geschlechtern?<br />

Datenanalyse Sind die statistischen Methoden geeignet, geschlechtsspezifische Aspekte<br />

angemessen herauszuarbeiten?<br />

Werden die Daten geschlechtsspezifisch analysiert?<br />

Daten-<br />

präsentation<br />

Ergebnisse/<br />

Schlussfolgerungen<br />

Sind in den Abbildungen und Tabellen beide Geschlechter aufgeführt?<br />

Entsprechen Grösse und Anordnung der Abbildungen der Wichtigkeit der<br />

Geschlechter in dem gegebenen Zusammenhang?<br />

Wird bei den Schlussfolgerungen auf geschlechtsspezifische Besonderheiten<br />

eingegangen?<br />

Wenn nur ein Geschlecht betrachtet wurde, sind Schlussfolgerungen trotzdem<br />

in verallgemeinernden Begriffen ausgedrückt?<br />

Sind die Schlussfolgerungen und Empfehlungen so formuliert, dass sie die<br />

Unterschiede in den Lebenswelten von Männern und Frauen berücksichtigen?<br />

Sprache Werden beide Geschlechter genannt?<br />

Welche Begriffe werden im Text benutzt?<br />

Welche Begriffe werden in Tabellen und Abbildungen benutzt?<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 189


Auch in der Praxis der gesundheitlichen Versorgung einschliesslich Prävention und Gesundheitsförderung<br />

ist das Prinzip des <strong>Gender</strong> Mainstreaming umzusetzen. Bei allen<br />

Massnahmen und Angeboten ist zu prüfen, ob beide Geschlechter erreicht werden sollen<br />

und ob das mit dem geplanten Vorgehen auch gelingt. Zur Bewertung und geschlechtergerechten<br />

Entwicklung von Gesundheitsförderungs- und Präventionsprojekten<br />

haben Jahn und Kolip (2002) für die Stiftung Gesundheitsförderung <strong>Schweiz</strong> eine prozess-<br />

und kontextorientierte <strong>Gender</strong>-Analyse entwickelt. Die Autorinnen geben Hinweise,<br />

wie fallspezifisch zu klären ist, ob Konzepte für Gesundheitsförderung und Prävention<br />

jeweils für Frauen und Männer bzw. Mädchen und Jungen spezifisch zu entwickeln sind,<br />

um geschlechtergerecht zu sein. Mittlerweile liegen auch für einige Themenbereiche<br />

erfolgreiche Beispiele geschlechtergerechter Prävention und Gesundheitsförderung vor<br />

(Kolip & Altgeld, 2005), die sich für eine geschlechtergerechte Angebotsentwicklung in<br />

anderen Bereichen nutzen lässt (vgl. Tabelle 4.2).<br />

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass eine geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung<br />

und die Etablierung der <strong>Gender</strong>-Mainstreaming-Strategie nur dann Erfolg versprechend<br />

ist, wenn sie mit einer strukturellen Verankerung und einer entsprechenden Ausstattung<br />

mit personellen und finanziellen Ressourcen einhergehen. Hier ist die <strong>Schweiz</strong><br />

im internationalen Vergleich gut aufgestellt: Durch die Schaffung der Fachstelle <strong>Gender</strong><br />

Health und weitere Massnahmen, die in der Folge der Weltfrauenkonferenz bei Beijing<br />

etabliert wurden, sind gute Rahmenbedingungen geschaffen, der Kategorie Geschlecht<br />

die Bedeutung zu verleihen, die ihr zukommt.<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 190


Tabelle 4.2: Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht – eine Hilfestellung zur Orientierung von<br />

AkteurInnen in Gesundheitsförderung und Prävention auf verschiedenen Ebenen (Kolip & Altgeld, 2005)<br />

Ebene Leitfragen<br />

Politik Welchen Beitrag leistet das Projekt zum Abbau geschlechterbezogener<br />

Ungleichheit?<br />

Müssen die Ziele des Projektes möglicherweise für Frauen /Mädchen und<br />

Männer /Jungen unterschiedlich formuliert werden?<br />

Profitieren Mädchen/Frauen und Jungen/Männer unterschiedlich von dem Projekt?<br />

Sind evtl. geschlechtsspezifische Projekte notwendig (also Projekte, die sich<br />

nur an Mädchen/Frauen oder Jungen/Männer richten)? Oder müssen beide<br />

Geschlechter einbezogen werden? Warum?<br />

Wie kann der Erfolg des Projektes nach Geschlecht differenziert gesichert und<br />

überprüft werden?<br />

Partizipation Wie ist die Geschlechterverteilung in der Projektleitung bzw. im Projektteam?<br />

Welche Bedeutung wird dieser Verteilung für den Erfolg des Projektes<br />

beigemessen?<br />

Gibt es partizipative Elemente bei der Qualitätssicherung und Evaluation und<br />

werden hier die Geschlechter angemessen berücksichtigt?<br />

sex/gender Gibt es für den Themenbereich Hinweise auf Geschlechterunterschiede?<br />

Welches sind die Gründe für diese Unterschiede und welche Rolle spielen<br />

biologische und soziale Faktoren (Lebenswelten)?<br />

Welches sind die Gründe für unterschiedliche Zugangschancen?<br />

Gibt es Geschlechterunterschiede bei den zu fördernden Ressourcen?<br />

Methoden Werden Frauen und Mädchen bzw. Jungen und Männer gleichermassen<br />

von dem Angebot erreicht oder müssen geschlechtsspezifische Zugangswege<br />

gewählt werden? Ist das Informationsmaterial für beide Geschlechter gleichermassen<br />

ansprechend?<br />

Berücksichtigen die verwendeten Methoden die Unterschiede zwischen den<br />

Geschlechtern und zwischen den Lebenswelten von Frauen/Mädchen bzw.<br />

Männern/Jungen?<br />

Haben sich die verwendeten Methoden als für beide Geschlechter effektiv<br />

erwiesen?<br />

Werden für die Evaluation Instrumente benutzt, die geschlechtersensibel<br />

entwickelt wurden?<br />

Theorie Welche Hinweise finden sich in der theoretischen Literatur zu den Unterschieden<br />

zwischen den Geschlechtern und werden diese angemessen in die Konzeptentwicklung<br />

einbezogen?<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 191


4.5. Gesundheitsziele und Geschlecht: Situation und<br />

Handlungsbedarf<br />

Der vorliegende Bericht orientiert sich an den für die <strong>Schweiz</strong> formulierten Gesundheitszielen,<br />

um die Diskussion über eine gesundheitsgerechte Gesundheitsversorgung an die<br />

gesundheitspolitischen Zielsetzungen der letzten Jahre anzuknüpfen. 50 Dieser Bericht<br />

stellt – soweit es die vorliegenden Daten zulassen – eine Situationsbeschreibung dar,<br />

welche eine Ausgangsbasis zur Entwicklung gezielter Massnahmen bilden soll, um eine<br />

Erreichung der Gesundheitsziele explizit für Männer und Frauen zu realisieren. Im Weiteren<br />

ermöglicht der Bericht zukünftig eine Überprüfung der formulierten Gesundheitsziele<br />

für beide Geschlechter. Im Folgenden wird die gesundheitliche Situation von Frauen und<br />

Männern hinsichtlich der im vorliegenden Bericht bearbeiteten Gesundheitsziele zusammenfassend<br />

diskutiert, um die Kernaussagen herauszuarbeiten.<br />

4.5.1. Ziel: Gesundheitliche Chancengleichheit<br />

Die Geschlechterunterschiede hinsichtlich Gesundheit und Krankheit bei Frauen und<br />

Männern lassen sich generell so deuten, dass die gesundheitlichen Potenziale beider<br />

Geschlechter noch nicht ausgeschöpft sind. Da eine Angleichung des Gesundheitszustandes<br />

bei Frauen und Männern als nicht realistisch eingeschätzt wird (Doyal, 2000),<br />

können dennoch bei beiden Geschlechtern Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Gesundheit<br />

eingeleitet werden. Dies macht die Entwicklung gezielter gesundheitsfördernder<br />

Massnahmen und Präventionsprogramme sowie eine Verbesserung der gesundheitlichen<br />

Versorgungsangebote notwendig, in welchen dem Faktor Geschlecht adäquat<br />

Rechnung zu tragen ist. So müssen sich beispielsweise Präventionsprogramme zur Senkung<br />

des Tabakkonsums vor allem an Männer sozial niedriger Schichten wenden, während<br />

Frauen über alle Schichten hinweg und vor allem innerhalb der jüngeren Generation<br />

anzusprechen sind. In der gesundheitlichen Versorgung ist z.B. zu überprüfen, ob die<br />

körperliche Befindlichkeit von Frauen und die psychische Befindlichkeit von Männern<br />

ausreichend berücksichtigt wird.<br />

Gesundheitliche Chancengleichheit kann nicht über die alleinige Berücksichtigung des<br />

Faktors Geschlecht erreicht werden, sondern es müssen vor allem sozioökonomische<br />

Faktoren sowie Alter und Herkunft der Frauen und Männer einbezogen werden. Damit<br />

möglichst breite Bevölkerungsschichten ihre Chancen zur Erreichung eines guten Gesundheitszustandes<br />

verwirklichen können, müssen vor allem benachteiligte Gruppen<br />

angesprochen werden. Zu ihnen zählen in erster Linie die in Armut Lebenden sowie sozioökonomisch<br />

und gesundheitlich schlechter gestellte MigrantInnen. Die Notwendigkeit<br />

der Adressierung dieser Zielgruppen lässt sich unmittelbar aus den Daten der <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung<br />

ableiten. An diesem Punkt werden aber auch die Grenzen der<br />

<strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung deutlich, da nur das dargestellt werden kann, was auch in<br />

den Daten abgebildet wird. Über Personengruppen, die in den amtlichen Statistiken un-<br />

50 Die Beschränkung der Aufbereitung und Analyse vorliegender Daten für die Gesundheitsziele lässt<br />

allerdings einige Themenbereiche aussen vor, die es im Hinblick auf eine geschlechtergerechte und<br />

geschlechterzpezifische Versorgung ebenfalls zu beachten gilt. Dazu zählt beispielsweise das Thema<br />

der Medikalisierung, welches bislang vor allem in der Frauengesundheitsforschung und zunehmend<br />

auch in der Männergesundheitsforschung näher beleuchtet wird.<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 192


terrepräsentiert sind bzw. in Gesundheitsbefragungen und anderen Umfragen nicht erreicht<br />

werden, können auf diesem Wege keine Aussagen getroffen werden. Hierzu muss<br />

auf sozialepidemiologische Studien und Studien mit qualitativem Forschungsansatz zurückgegriffen<br />

werden. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesundheitlichen<br />

Entwicklung im Gesundheitswesen in Deutschland hat in seinem jüngsten Gutachten<br />

(SVR, 2005) einen Schwerpunkt auf Prävention und Gesundheitsförderung, und hier insbesondere<br />

auf die gesundheitliche Situation sozial Benachteiligter, gelegt und benennt<br />

u.a. folgende Zielgruppen, die auch für die Diskussion in der <strong>Schweiz</strong> relevant sind:<br />

− Personen mit sehr niedrigem Einkommen<br />

− Personen mit sehr niedriger Schulbildung<br />

− (Langzeit-)Arbeitslose<br />

− BewohnerInnen in sozialen Brennpunkten und strukturschwachen Regionen<br />

− Alleinerziehende<br />

− MigrantInnen mit schlechten Sprachkenntnissen<br />

− AsylbewerberInnen und «Sans-Papiers»<br />

− weibliche und männliche Prostituierte<br />

− Strafgefangene<br />

− Wohnungslose<br />

Frauen und Männer sind von sozialer Benachteiligung nicht nur quantitativ unterschiedlich<br />

betroffen (z.B. Strafgefangene sind eher Männer und Alleinerziehende eher Frauen),<br />

sondern oftmals ist ihre Lebenssituation (z.B. als Wohnungslose) von geschlechtsspezifischen<br />

Problemen und damit qualitativen Unterschieden geprägt. Die Berücksichtigung<br />

von Geschlecht kann daher bei der Entwicklung effektiver gesundheitsbezogener Interventionen<br />

eine bedeutende Rolle spielen.<br />

4.5.2. Ziel: Reproduktive Gesundheit und ein gesunder Lebensanfang<br />

Um einen gesunden Lebensanfang als Gesundheitsziel zu erreichen, ist es sinnvoll, auch<br />

die reproduktive Gesundheit zu thematisieren, weshalb diese in dem entsprechenden<br />

Kapitel des vorliegenden Berichtes berücksichtigt wird. Die Säuglingssterblichkeit, als ein<br />

wichtiger Indikator der gesundheitlichen Situation Neugeborener, ist innerhalb der letzten<br />

35 Jahre deutlich zurückgegangen – vor allem die Sterblichkeit von Knaben konnte eindrücklich<br />

gesenkt werden, auch wenn sie noch leicht über jener der Mädchen liegt. Dieser<br />

verbleibende Geschlechterunterschied hat vermutlich biologische Gründe. Mit der<br />

mittlerweile niedrigen und stabilen Säuglingssterblichkeit ist eine wichtige Voraussetzung<br />

für einen gesunden Lebensanfang für beide Geschlechter erreicht. Auch die Zunahme<br />

des Stillens von Säuglingen als Kriterium für einen gesunden Lebensanfang kann als<br />

Erfolg in der Zielerreichung verbucht werden. Allerdings kann die von der WHO geforderte<br />

Stilldauer bis zu zwei Jahren bislang vor allem nicht mit der Erwerbstätigkeit der Mutter<br />

vereinbart werden. Die Vereinbarkeit von Familienleben und Berufsleben stellt sowohl<br />

für die Gesundheit der Kinder als auch der Eltern – und hier vor allem der Mütter, welche<br />

sich in erster Linie mit der Vereinbarkeitsproblematik befassen müssen – eine wichtige<br />

Determinante dar, die es zu berücksichtigen gilt.<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 193


Hinsichtlich reproduktiver Gesundheit zeigt sich die innerhalb der letzten Jahrzehnte stark<br />

absinkende Geburtenrate als einer der auffälligsten Indikatoren. Damit liegt die <strong>Schweiz</strong><br />

im europäischen Entwicklungstrend. Gleichzeitig steigt das Alter der Frauen bei der ersten<br />

Geburt, und es ist eine Zunahme an Mehrlingsgeburten zu verzeichnen. Das höhere<br />

Alter der Frauen als Erstgebärende ist vor allem den längeren Ausbildungsdauern sowie<br />

dem verstärkten Engagement im Berufsleben zuzuschreiben. Da Schwangerschaft und<br />

Geburt mit zunehmendem Alter der Frauen mehr bzw. andere gesundheitliche Risiken<br />

bergen können, müssen zum einen die Versorgungsangebote entsprechend angepasst<br />

werden. Zum anderen gilt es auch hier, zu überlegen, wie die Vereinbarkeit von Familie<br />

und Erwerbstätigkeit bereits bei Frauen jüngeren Alters erhöht werden kann, d.h. dass<br />

sich Frauen auch während der Ausbildungs- und beruflichen Konsolidierungsphase «erlauben»<br />

können, schwanger zu werden. Dazu zählt auch ein deutlicher Ausbau familienergänzender<br />

Betreuungsangebote für Kinder, damit vor allem Mütter, aber auch Väter<br />

Familie und Erwerbsarbeit vereinbaren können.<br />

Die Zunahme von Mehrlingsgeburten ist vermutlich im Zusammenhang mit medizinisch<br />

unterstützter Fortpflanzung zu erklären, wobei es über die Inanspruchnahme reproduktionsmedizinischer<br />

Verfahren an repräsentativen Daten fehlt. Auch zur Kinderlosigkeit als<br />

gesundheitliches Problem bei Frauen und Männern liegen bislang nur wenige Daten zur<br />

Erklärung der Situation vor, um daraus einen entsprechenden Versorgungsbedarf formulieren<br />

zu können. Hinsichtlich der Geburt zeigt die <strong>Schweiz</strong> europaweit die höchste Kaiserschnittrate<br />

mit starken regionalen Unterschieden. Dies weist darauf hin, dass weniger<br />

objektive medizinische Gründe zu einem Kaiserschnitt führen, sondern offenbar eher die<br />

örtlichen Gepflogenheiten in den Kliniken eine bestimmende Rolle spielen. Um eine<br />

Überversorgung und weitere Zunahme der Medikalisierung von Schwangerschaft und<br />

Geburt nachzuweisen und künftig zu verringern, müssen zu den Themen Reproduktionsmedizin<br />

und Geburtsmodi gezielt Studien durchgeführt werden.<br />

Beratung zu Familienplanung und sexueller Gesundheit wird vor allem hinsichtlich psychosozialer<br />

Aspekte nachgefragt. Allerdings ist der Zugang zu Beratungsangeboten ungleich<br />

verteilt, d.h. zielgruppenspezifische Angebote, wie geschlechtsspezifische und die<br />

Ansprache verschiedener Altersgruppen sowie verschiedener ethnischer Gruppen sind<br />

notwendig. Schwangerschaftsabbruchraten sind im internationalen Vergleich in der<br />

<strong>Schweiz</strong> bereits sehr niedrig, innerhalb des Landes aber bei Migrantinnen deutlich höher,<br />

d.h. dass sich Beratung hinsichtlich Schwangerschaftsverhütung vor allem an Migrantinnen<br />

und Migranten zu wenden hat. Die Beratung zu Fragen pränataler Diagnostik ist in<br />

ihrer derzeitigen Praxis nicht unproblematisch, da sie nicht unabhängig erfolgt: Die Frauenärztin<br />

bzw. der Frauenarzt hat die Beratungsaufgabe und führt auch die Untersuchung<br />

durch. Dennoch sind die Folgen pränataler Diagnostik bei den künftigen Eltern des Kindes<br />

oftmals nicht bekannt. So kann die Untersuchung selbst Schäden bei Mutter und<br />

Kind hervorrufen, und wenn ein positiver Befund vorliegt, gibt es keine Behandlungsoptionen,<br />

sondern als einzige Alternative den Schwangerschaftsabbruch durch eine vorzeitige<br />

Einleitung der Wehen gegen Ende des 5. Schwangerschaftsmonats.<br />

Während der Schwangerschaft und nach der Geburt ist eine besondere Aufmerksamkeit<br />

auf die psychische Gesundheit der Frauen zu legen. Aufgrund der gesellschaftlichen<br />

Erwartungen, als Schwangere und Mutter glücklich zu sein, fällt es ihnen schwer, Belastungen<br />

und psychische Probleme zu äussern, die im Zusammenhang mit der Mutterschaft<br />

stehen. Besonders bei sozial benachteiligten Frauen besteht ein erhöhtes Risiko<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 194


für niedrige psychische Gesundheit während der Schwangerschaft und nach der Geburt,<br />

die vor allem sozioökonomische Gründe haben. Es liegt auf der Hand, dass nicht nur<br />

entsprechende Versorgungsangebote hinsichtlich psychischer Gesundheit vorgehalten<br />

werden müssen, sondern dass sozial- und arbeitsmarktpolitische Interventionen notwendig<br />

sind, um mögliche Ursachen zu minimieren.<br />

Da im Rahmen von reproduktiver Gesundheit vor allem Daten zu Schwangerschaft und<br />

Geburt vorliegen, geraten Fragen zur reproduktiven Gesundheit von Männern sowie das<br />

Thema Vaterschaft leicht aus dem Blick, weshalb es entsprechende Daten zu erheben<br />

und zu berücksichtigen gilt.<br />

4.5.3. Ziel: Gesundheit junger Menschen<br />

Bereits in Kindheit und Jugend zeigt sich eine höhere Sterberate der Jungen, die in erster<br />

Linie Unfällen und dem Suizid zuzuschreiben sind. Zwar sind die Sterberaten bei Kindern<br />

und Jugendlichen innerhalb der letzten Jahre sinkend, wobei eine deutlichere kontinuierliche<br />

Abnahme bei den Jungen im Vergleich zu den Mädchen zu verzeichnen ist. Bei<br />

der Einschätzung zum eigenen Gesundheitszustand zeigt sich mit Eintritt in die Pubertät<br />

der Geschlechterunterschied analog zu dem der Erwachsenen: Mädchen schätzen ihre<br />

Gesundheit mit zunehmendem Alter schlechter ein und berichten über mehr psychische<br />

Probleme als Jungen. In den jüngeren Altersklassen scheinen diese geschlechtsspezifischen<br />

Muster dagegen noch nicht so ausgeprägt zu sein. Hinsichtlich der Morbidität<br />

kann eine positive Entwicklung, nämlich die Abnahme von Infektionskrankheiten konstatiert<br />

werden, wobei andere gesundheitliche Probleme wie Hörstörungen an Bedeutung<br />

gewinnen. So erleiden Jugendliche in zunehmendem Masse Lärmtraumata, die im Zusammenhang<br />

mit dem Hören von sehr lauter Musik stehen. Um irreperable Schäden zu<br />

vermeiden, bedarf es sicher nicht nur einer kognitiv orientierten Aufklärung bei Jugendlichen<br />

und den Verantwortlichen, sondern auch einer Sensibilisierung der eigenen Körperwahrnehmung,<br />

um selbst zu erkennen, wann die Schmerzgrenze erreicht ist.<br />

Auch hinsichtlich des Konsums von Alkohol, Tabak und Cannabis lassen sich bei Jugendlichen<br />

bereits die geschlechtsspezifischen Konsummuster der Erwachsenen nachweisen.<br />

Jungen trinken deutlich mehr Alkohol, wobei der Anteil an konsumierenden Mädchen<br />

in den letzten Jahren vor allem durch den Konsum von Alkopops stetig zunimmt.<br />

Sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen hat sich das Konsummuster von Alkohol dahingehend<br />

verändert, dass sehr viel Alkohol in kurzer Zeit getrunken wird. Auf diese<br />

Entwicklung sowie das steigende Angebot an alkoholhaltigen Getränken muss bei der<br />

Konzeption von Massnahmen zur Verhinderung gesundheitlich stark riskanter Konsummuster<br />

reagiert werden. Der Anteil der Jugendlichen, der regelmässig raucht, ist innerhalb<br />

der letzten zehn Jahre um fünf Prozentpunkte angestiegen und liegt mit etwa 16%<br />

auf relativ hohem Niveau. Im Unterschied zu den älteren Generationen können bei den<br />

Jugendlichen heute quasi keine Geschlechterunterschiede im Tabakkonsum ausgemacht<br />

werden. Dies betrifft zwar den Anteil an Mädchen und Jungen, der sich kaum unterscheidet,<br />

allerdings sollte im Hinblick auf die Entwicklung von Präventionsprogrammen<br />

berücksichtigt werden, dass Motive und Konsummuster bei Jungen und Mädchen<br />

durchaus verschieden sein können. Auch gilt es bei allen Bemühungen zur Eindämmung<br />

von Tabak-, Alkohol- und Cannabiskonsum bei Jugendlichen zu berücksichtigen, dass<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 195


Verhaltensweisen, die auf der körperlichen Ebene gesundheitsschädigend sein können,<br />

in der Adoleszenz zur Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und der Darstellung von<br />

Geschlechtlichkeit dienen. So gilt es einen moderaten von einem problematischen<br />

Suchtmittelkonsum zu unterscheiden.<br />

Hinsichtlich der Ernährung zeigt sich ebenfalls bereits im Jugendalter, dass Mädchen<br />

eher auf gesunde Ernährung achten als Jungen. Als problematisch sind allerdings weniger<br />

die Zusammensetzung der Nahrung denn die Hinweise auf Essstörungen im Jugendalter<br />

zu werten, von denen vor allem Mädchen, aber auch zunehmend Jungen betroffen<br />

sind. Obwohl Übergewicht bereits bei Jugendlichen zunehmend auftritt, sind<br />

mehr als 40% der Mädchen zwischen 15 und 18 Jahren untergewichtig, was auf einen<br />

Zusammenhang mit Essstörungen und deren zunehmende Bedeutung hinweist. Neben<br />

ernsten psychischen Problemen, die Essstörungen verursachen können, spielt auch das<br />

in den Medien und der Werbung präsentierte Bild zur weiblichen Idealfigur eine nicht zu<br />

unterschätzende Vorbildfunktion für Mädchen und junge Frauen. Um dies zu erreichen,<br />

beginnen Mädchen schon früh mit Diäten, was nicht selten den Beginn einer Essstörung<br />

markiert. Daher wäre beim Angebot entsprechender gesundheitsfördernder Massnahmen<br />

die Akzeptanz des eigenen Körpers anzustreben sowie die Entwicklung eines Gespürs<br />

für ein «gesundes» Gewicht, mit dem sich junge Mädchen und Frauen wohl fühlen<br />

können.<br />

Neben den Geschlechterunterschieden, die bei Jugendlichen – weniger bei Kindern –<br />

beobachtet werden können, sind gesundheitliche Belange junger Menschen auch im<br />

Hinblick auf soziokulturelle und -ökonomische Faktoren zu beleuchten. So macht es einen<br />

Unterschied, ob Jugendliche noch zur Schule gehen oder bereits eine Lehre absolvieren<br />

und sich damit im gleichen Alter in unterschiedlichen Lebenslagen befinden, die<br />

ihre gesundheitliche Situation prägen. Eine differenzierte Betrachtungsweise ist daher<br />

notwendig, um sowohl den gesundheitlichen Versorgungsbedarf als auch Gesundheitsförderungs-<br />

und Präventionskonzepte gezielt entwickeln zu können.<br />

4.5.4. Ziel: Altern in Gesundheit<br />

Da sich das geschlechtsspezifisch unterschiedliche Gesundheitsverhalten sowie die Lebens-<br />

und Arbeitsbedingungen im Leben von Frauen und Männern kumulativ auswirken,<br />

unterscheidet sich ihre gesundheitliche Situation auch im Alter. Da Frauen zwar länger<br />

leben als Männer, aber eine längere Lebensspanne mit gesundheitlichen Einschränkungen<br />

und Behinderungen zubringen, müssen für sie entsprechende Unterstützungs- und<br />

Versorgungsangebote bereitgehalten werden. So sind Frauen von Demenzerkrankungen<br />

im Alter häufiger betroffen als Männer. Sie benötigen nicht nur eine angemessene medizinische<br />

Versorgung, sondern vor allem pflegerische Betreuung. Allerdings haben gerade<br />

betagte und hochbetagte Frauen weniger Unterstützung im familiären Umfeld, da sie<br />

eher als Männer im Alter alleinstehend sind. Hinzu kommt die schlechtere sozioökonomische<br />

Situation von Frauen, was als Risikofaktor zu einer Verschlechterung der gesundheitlichen<br />

Situation beitragen kann.<br />

Weiterhin gilt es zu berücksichtigen, dass Frauen – bevor sie selbst pflegebedürftig werden<br />

– oftmals bereits im fortgeschrittenen Alter als Ehefrauen die häusliche Pflege ihrer<br />

Ehemänner übernehmen. Da die Pflegearbeit mit starken gesundheitlichen Belastungen<br />

einhergehen kann, wäre die Entwicklung gezielter Präventionsangebote für diese Frauen<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 196


dringend notwendig. Konkret könnten dies zunächst Unterstützungs- und Beratungsangebote<br />

hinsichtlich der Pflegearbeit sein. Darüber hinaus wäre zielgruppenspezifisch zu<br />

prüfen, wie effektive präventive und gesundheitsfördernde Angebote für pflegende Angehörige<br />

– sowohl für Frauen als auch für Männer – aussehen könnten.<br />

Hinsichtlich der psychischen Gesundheit im Alter zeigt sich, dass das psychische Wohlbefinden<br />

bei Frauen im Alter sinkt, während es bei Männern leicht ansteigt. Auch bei den<br />

diagnostizierten depressiven Störungen überwiegt der Anteil der Frauen. Allerdings werden<br />

gerade im Alter Depressionen oftmals von ärztlicher Seite nicht erkannt, da sich das<br />

klinische Bild von der Depressionssymptomatik bei jüngeren PatientInnen unterscheidet.<br />

Daher werden vermutlich psychische Probleme und deren Auswirkungen auf die Gesundheit<br />

sowohl bei Frauen als auch bei Männern unterschätzt, und es gilt, die Erkennung<br />

und Behandlung von Depressionen im Alter zu verbessern. Depressionen können<br />

im schlimmsten Falle zum Suizid führen. Im Alter stellt der Suizid vor allem bei den<br />

hochbetagten Männern ein grosses Problem dar, obwohl sie sich im Durchschnitt psychisch<br />

besser fühlen als Frauen. Möglicherweise wird gerade bei älteren Männern eine<br />

manifeste Depression übersehen. Durch eine rechtzeitige Erkennung und Behandlung<br />

dieser Erkrankung könnten möglicherweise eine Reihe an Suiziden verhindert werden.<br />

4.5.5. Ziel: Verbesserung der psychischen Gesundheit<br />

Frauen fühlen sich in allen Altersgruppen und in den verschiedenen sozialen Schichten<br />

psychisch weniger gesund als Männer. Dieser Geschlechterunterschied stellt möglicherweise<br />

weniger die tatsächliche gesundheitliche Situation von Frauen und Männern<br />

dar, sondern ist vielmehr ein Abbild geschlechtsspezifischer Selbstwahrnehmung und<br />

Kommunikation. Männer nehmen ihre Gesundheit eher funktionalistisch wahr und bewerten<br />

das Sprechen über eigene psychische Befindlichkeiten als «unmännlich» – dies<br />

kann dazu führen, dass sie sowohl bei Gesundheitsbefragungen als auch in der ärztlichen<br />

Praxis psychische Problem nicht thematisieren. Frauen bringen dagegen psychische und<br />

somatische Belange in Zusammenhang und können aufgrund der weiblichen Geschlechterrolle<br />

ihre psychische Befindlichkeit leichter problematisieren als Männer. Dennoch<br />

zeigt sich, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer eine Reihe an gesundheitlichen<br />

Problemen haben, die psychisch verursacht sind. So werden beispielsweise Frauen und<br />

Männer in etwa gleichen Anteilen aufgrund schwerer psychischer Störungen stationär<br />

behandelt. Hier wird wiederum eine geschlechtsspezifische Verteilung deutlich, indem<br />

bei Männern überwiegend Störungen im Zusammenhang mit Alkohol und psychotropen<br />

Substanzen diagnostiziert werden, während es bei Frauen eher Depressionen und Persönlichkeitsstörungen<br />

sind, die eine klinische Behandlung notwendig machen. Auch für<br />

die Essstörungen (Anorexia nervosa, Bulimie und Adipositas) lassen sich geschlechtsspezifische<br />

Muster ausmachen. Ähnlich wie bei anderen psychischen Erkrankungen, die<br />

bislang als «typisch weiblich» wahrgenommen wurden, muss von einer Unterdiagnostik<br />

und Unterversorgung bei Männern ausgegangen werden. Diese geschlechtsspezifischen<br />

Muster erfordern zum einen eine gezielte Behandlung, zum anderen dürfen sie nicht zu<br />

einer vorschnell stereotypen Diagnosestellung führen. So können gerade bei Frauen<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 197


somatische oder auch gesellschaftlich-soziale Probleme übersehen werden und zu einer<br />

psychiatrischen Überversorgung führen. Bei Männern hingegen kann eine Vernachlässigung<br />

der Beachtung depressiver Symptomatik dazu führen, dass sie diesbezüglich gesundheitlich<br />

unterversorgt sind.<br />

Die Ursachen der unterschiedlichen psychischen Problemlagen bei Frauen und Männern<br />

liegen sowohl in biologischen, wie genetischen und hormonellen, als auch in sozialgesellschaftlichen<br />

Gründen. Da beispielsweise Angststörungen bei Frauen eine Folge<br />

von Gewalterfahrungen sein können, müssen breit angelegte Präventionsprogramme<br />

gegen Gewalt ein zuträglicheres gesellschaftliches Klima schaffen, in welchem sich<br />

Frauen angstfrei bewegen können. Es sind in erster Linie Männer, die aggressiv und mit<br />

körperlicher Gewalt gegen andere vorgehen. Dies betrifft auch die Ausübung von Gewalt<br />

gegen sich selbst – in Form des Suizids. Während Frauen häufiger einen Selbstmordversuch<br />

begehen, sind es mehr Männer, die aufgrund eines Suizids versterben. Der Suizid<br />

stellt in der <strong>Schweiz</strong> ein auffälliges Problem dar, zu dessen Lösung nicht nur das Gesundheitssystem<br />

gefragt ist, sondern vor allem über soziale und gesellschaftliche Ansätze<br />

nachgedacht werden muss. Dies ist zwar bei vielen gesundheitlichen Problemen notwendig,<br />

dennoch bedarf gerade der Suizid als ein in der gesundheitlichen Versorgung<br />

bislang eher vernachlässigtes und tabuisiertes Thema einer besonders engen Verknüpfung<br />

mit sozial-gesellschaftlichen und damit auch geschlechterbezogenen Lösungsansätzen.<br />

4.5.6. Ziel: Verringerung übertragbarer und nicht übertragbarer<br />

Krankheiten<br />

Zu den aus gesellschaftspolitischer Sicht wichtigsten Infektionskrankheiten zählt<br />

HIV/AIDS. Allerdings sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass andere Infektionskrankheiten<br />

wie Hepatitis B und C allein zahlenmässig von erheblich grösserer Bedeutung<br />

sind. Sowohl von einer HIV-Infektion als auch einer Aids-Erkrankung sind mehr<br />

Männer als Frauen betroffen. Allerdings ist der Anteil heterosexuell verursachter Neuinfektionen<br />

steigend, womit zu erwarten ist, dass auch der Frauenanteil unter den Infizierten<br />

und Erkrankten steigen wird. Möglicherweise haben eine gewisse Präventionsmüdigkeit<br />

sowie die deutliche Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten von Aids dazu<br />

geführt, dass die Schwere dieser Erkrankung nicht mehr in ihrem ganzen Ausmass ernst<br />

genommen wird. Aufgrund dieser Entwicklungen müssen wieder verstärkt Präventionsmassnahmen<br />

ergriffen werden. Aufgrund der unterschiedlichen Infektionswege, wie<br />

dem ungeschützten heterosexuellen und homosexuellen Sexualverkehr sowie durch<br />

Drogenmissbrauch über Injektionen, müssen die verschiedenen Gruppen gezielt angesprochen<br />

werden. Eine Konzentration der Präventionsbemühungen auf homosexuelle<br />

Männer genügt daher nicht.<br />

Infektionskrankheiten spielen im Morbiditäts- und Mortalitätsgeschehen inzwischen eine<br />

geringe Rolle. Vielmehr sind es die chronisch-degenerativen Erkrankungen, die heute das<br />

Gesundheitswesen vor grosse Herausforderungen stellen. Unter diesen sind es in erster<br />

Linie die Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen, die nicht nur die wichtigsten Todesursachen<br />

darstellen, sondern auch mit langen chronisch-progredienten Krankheitsphasen<br />

einhergehen. Von diesen und anderen chronischen Erkrankungen sind Frauen und Männer<br />

unterschiedlich betroffen und können bei ihnen auch verschieden verlaufen. Am Bei-<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 198


spiel der koronaren Herzerkrankungen wurde erst innerhalb der letzten Jahre deutlich,<br />

dass ein geschlechtsspezifischer Blick auf Entstehung, Diagnose und Therapie notwendig<br />

ist, um diese Erkrankung, die bislang als typische «Männerkrankheit» galt, auch bei<br />

Frauen effektiv zu verhüten und zu behandeln. Ein solch detaillierter geschlechtersensibler<br />

Blick auf andere Krankheiten von hoher Public-Health-Relevanz wie Diabetes mellitus<br />

und Muskel- und Skeletterkrankungen steht noch aus.<br />

Hinsichtlich der Krebserkrankungen ist die Bedeutung von Geschlecht offensichtlicher:<br />

Während bei Frauen der Brustkrebs dominiert, ist es bei Männern der Lungenkrebs, der<br />

in erster Linie auf den Tabakkonsum und die berufliche Exposition mit krebserregenden<br />

Stoffen zurückzuführen ist. Präventionsmassnahmen hinsichtlich des Rauchens sowie<br />

verbesserte arbeitssicherheitstechnische Massnahmen haben dazu geführt, dass die<br />

Sterblichkeit infolge von Lungenkrebs bei den Männern abnimmt. Trotz der Bemühungen,<br />

den Tabakkonsum einzudämmen, rauchen vor allem jüngere Frauen nicht weniger<br />

als ihre männlichen Altersgenossen, was den weiteren Anstieg der Sterberate durch<br />

Lungenkrebs bei Frauen erklärt. Um den Konsum von Tabak innerhalb der Bevölkerung<br />

nachdrücklich einzudämmen, sind daher die unterschiedlichen Konsummuster und Motive<br />

hinsichtlich des Rauchens bei Jugendlichen und im Erwachsenenalter in Bezug auf<br />

Geschlecht zu erforschen und in der Entwicklung entsprechender Programme zu berücksichtigen.<br />

Nicht nur in der Prävention und der Behandlung von Krankheiten ist eine geschlechtsspezifische<br />

Perspektive notwendig, sondern auch in der Entwicklung von Strategien, um den<br />

Verlauf chronisch-degenerativer Erkrankungen für die Betroffenen möglichst wenig belastend<br />

zu gestalten. Wie dies aussehen kann, gilt es für Männer und Frauen gezielt zu<br />

überprüfen. So erscheint es einleuchtend, dass beispielsweise die Behandlung und Rehabilitation<br />

von Brustkrebs bei Frauen und Prostatakrebs bei Männern unterschiedlich zu<br />

gestalten sind, damit die Massnahmen möglichst effektiv wirken. Doch ist zu vermuten,<br />

dass auch der Verlauf von Diabetes oder Erkrankungen wie Rheuma und Arthrose positiv<br />

beeinflusst werden kann, indem geschlechtsspezifische Belange systematisch berücksichtigt<br />

werden.<br />

4.5.7. Ziel: Verringerung von auf Gewalteinwirkungen und Unfälle zurückzuführende<br />

Verletzungen<br />

Unfälle und Gewalt führen sowohl zu Verletzungen als auch zu Todesfällen. Verursacht<br />

werden sie in erster Linie durch Arbeitsunfälle sowie Unfälle in Heim und Freizeit und<br />

durch Suizid. Im Geschlechtervergleich zeigt sich insgesamt gesehen, dass mehr Männer<br />

als Frauen von Unfällen und Gewalterfahrungen betroffen sind. Während die Anzahl an<br />

Unfällen und Gewalteinwirkungen bei Männern vor allem im jüngeren und mittleren Lebensalter<br />

hoch sind und mit zunehmendem Alter abnehmen, sind diese bei Frauen mit<br />

zunehmendem Alter ansteigend. Daraus lässt sich schliessen, dass mit entsprechenden<br />

Präventionsmassnahmen Männer vor allem in den jüngeren Lebensphasen anzusprechen<br />

sind, während Frauen vermutlich am ehesten von Massnahmen zur Sturzprävention<br />

im höheren Lebensalter profitieren können. Da sich der Zusammenhang zwischen der<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 199


stark erhöhten Unfallprävalenz und dem jungen Lebensalter bei Männern in erster Linie<br />

mit geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen erklären lässt, d.h. einem mit der männlichen<br />

Geschlechtsrolle verbunden risikoreichen Umgang mit dem eigenen Körper, muss<br />

dies bei der Entwicklung von Präventionsansätzen berücksichtigt werden.<br />

Darüber hinaus ist im Public-Health-Kontext stärker als bisher die Bedeutung von Gewalt<br />

für die Gesundheit zu berücksichtigen – und zwar für beide Geschlechter. Dabei gilt es<br />

auch hier zu bedenken, dass Frauen und Männer unterschiedlich betroffen sind und<br />

Frauen vor allem Schutz vor gewalttätigen Übergriffen im häuslichen Bereich benötigen.<br />

Da mehr Frauen als Männer über psychische Folgen von Gewalt berichten, bedeutet<br />

dies, dass sie in der gesundheitlichen Versorgung gezielt psychische Betreuung brauchen.<br />

Eine solche Versorgung ist aber auch für Männer als Gewaltopfer notwendig, auch<br />

wenn sie psychische Beeinträchtigungen möglicherweise weniger direkt formulieren, als<br />

dies Frauen tun. Weiterhin sind Massnahmen mit gesellschaftlich-sozialem Schwerpunkt<br />

notwendig, die dazu beitragen können, Gewalt zu verhindern und einzudämmen. Dazu<br />

könnte beispielsweise bereits das Erlernen von nicht aggressiven Konfliktlösungsstrategien<br />

in der Schule zählen, eine Massnahme, die erst auf den zweiten Blick eine gesundheitsförderliche<br />

Strategie darstellt. Bezogen auf die Geschlechter gilt es zu berücksichtigen,<br />

dass überwiegend Männer als Gewalttäter auftreten, während Frauen eher Opfer<br />

von Gewalt sind. Entsprechende Massnahmen zur Verhinderung und Minderung von<br />

Gewalt benötigen daher eine geschlechtsspezifische Ausrichtung.<br />

4.5.8. Ziel: Eine gesunde und sichere natürliche Umwelt<br />

Um das Ziel einer gesunden Umwelt für Männer und Frauen zu erreichen, muss zuvor<br />

geklärt werden, welche geschlechtsspezifischen Probleme bestehen. So sind Männer<br />

eher spezifischen Arbeitsplatzexpositionen ausgesetzt, während Frauen, die mehr Zeit im<br />

häuslichen Bereich zubringen, eher mit Wohnumfeldbelastungen konfrontiert sind. Auch<br />

die gesundheitlichen Beschwerden, welche infolge einer Exposition mit belastenden<br />

Stoffen auftreten können, unterscheiden sich zwischen den Geschlechtern. Hinzu kommen<br />

Faktoren wie soziale Lage und Wohnregion, welche die Bedeutung von Umweltbelastungen<br />

bei Frauen und Männern bestimmen. Allerdings fehlt es bislang an einer systematischen<br />

Einbeziehung der <strong>Gender</strong>-Perspektive im Bereich der Umweltforschung,<br />

weshalb es auch an aussagekräftigem Datenmaterial zur Darstellung der Situation für<br />

beide Geschlechter mangelt. Darüber hinaus müssen Umwelt- und Gesundheitsdaten<br />

mehr als bisher verknüpft werden. Auch zur Entwicklung von Schutz- und Präventionsmassnahmen<br />

sowie einer effektiven Diagnose und Therapie bei entstandenen Schäden<br />

bedarf es im Sinne von Public Health einer besseren interdisziplinären Zusammenarbeit<br />

zwischen umwelt- und gesundheitsbezogenen Fachdisziplinen. Wird <strong>Gender</strong> im Kontext<br />

von Umwelt und Gesundheit künftig mehr Beachtung geschenkt, können die Anstrengungen<br />

zur Erreichung einer gesunden Umwelt gezielter vorangetrieben werden.<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 200


4.5.9. Ziele: Gesünder leben und Verringerung der durch gesundheitsriskantes<br />

Verhalten verursachten Schäden<br />

Gesunde Lebensgewohnheiten lassen sich vor allem durch eine ausgewogene Ernährung,<br />

ausreichende körperliche Aktivität und einen möglichst geringen Konsum bzw. der<br />

Abstinenz von Suchtmitteln erreichen. Im Geschlechtervergleich zeigen die Daten bei<br />

den meisten gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen auf eine riskantere Lebensweise<br />

der Männer. So achten Männer weniger auf ihre Ernährung und sind häufiger übergewichtig<br />

als Frauen. Dies gilt in allen Altersgruppen, aber die Geschlechterunterschiede<br />

sind regional mehr oder weniger stark ausgeprägt. Übergewicht und Adipositas als bedeutsame<br />

Risikofaktoren vieler chronischer Krankheiten haben innerhalb der letzten zehn<br />

Jahre bei beiden Geschlechtern deutlich zugenommen. Entsprechende Präventionsmassnahmen<br />

sind nicht nur über eine Beeinflussung der Ernährung zu erreichen, sondern<br />

auch durch eine Erhöhung körperlicher Aktivität. Das Bewegungsverhalten von<br />

Frauen und Männern unterscheidet sich in erster Linie aufgrund der unterschiedlichen<br />

Lebenslagen und Freizeitgestaltung: Frauen bewegen sich vor allem im Alltag, während<br />

sich Männer in ihrer Freizeit sportlich betätigen; erwartungsgemäss sinkt der Anteil an<br />

körperlich aktiven Männern und Frauen mit zunehmendem Alter. Massnahmen zur Erhöhung<br />

der körperlichen Aktivität sollten sich nicht nur auf den sportlichen Bereich beschränken,<br />

sondern auch den Bereich der Alltagsbewegungen nutzen. Mithilfe der Berücksichtigung<br />

unterschiedlicher Bewegungsprofile und -motive von Frauen und Männern<br />

sollten Überlegungen angestellt werden, wie diese im mittleren und höheren Lebensalter<br />

angesprochen werden können, um zu einer regelmässigen körperlichen Bewegung<br />

zu motivieren.<br />

Der Alkoholkonsum konnte in der <strong>Schweiz</strong> bislang nicht gesenkt werden – mit im Schnitt<br />

neun Litern Alkohol pro EinwohnerIn zählt die <strong>Schweiz</strong> in Europa zu den Hochkonsumländern.<br />

Von einer Erreichung des Ziels, den Pro-Kopf-Konsum der <strong>Schweiz</strong>erInnen auf<br />

höchstens sechs Liter zu senken, kann daher nicht die Rede sein. Bei Frauen zeigt sich<br />

dagegen noch eine leichte Zunahme des Alkoholkonsums. Ähnlich wie bei den Jugendlichen<br />

spielt auch bei Männern bis ins mittlere Lebensalter das so genannte Rauschtrinken<br />

eine bedeutende Rolle, d.h. dass viel Alkohol in kurzer Zeit konsumiert wird. Da dieses<br />

Konsummuster besonders mit Unfällen und Gewalt assoziiert ist, gilt es diesbezüglich<br />

besondere Anstrengungen zu unternehmen, das Rauschtrinken zu reduzieren. Für die<br />

Prävention sind ebenfalls geschlechtsspezifische Konsummuster beim riskanten Konsum<br />

relevant. So gibt es Hinweise darauf, dass alkoholabhängige Frauen häufiger heimlich<br />

trinken, was sie für Präventionsmassnahmen möglicherweise schwerer ansprechbar<br />

macht.<br />

Neben dem gesundheitsriskanten Alkoholkonsum gilt der Tabakkonsum als vordringliches<br />

Gesundheitsrisiko. Zwar ist der Anteil an NichtraucherInnen in der <strong>Schweiz</strong> leicht<br />

zunehmend, allerdings ist diese Entwicklung deutlicher bei Männern, nicht aber bei Frauen<br />

zu beobachten. Kampagnen zur Senkung der Rauchprävalenz müssen sich in erster<br />

Linie an junge Menschen sowie an Erwachsene im mittleren Lebensalter richten. Der<br />

deutliche Geschlechterunterschied in der Rauchprävalenz zwischen den Generationen<br />

der über und unter 50-Jährigen hat sich in den letzten Jahren sehr zu Ungunsten der<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 201


Frauen verringert. Präventionsprogramme sollten daher vor allem jugendliche Mädchen<br />

und junge Frauen im Blick haben. Dabei gilt es auch, die unterschiedlichen Rauchgewohnheiten<br />

und -motive von Frauen und Männern zu beachten, damit beide jeweils gezielt<br />

angesprochen werden können.<br />

4.6. Handlungsempfehlungen<br />

Die im vorliegenden Bericht dargestellten epidemiologischen Befunde zeigen, dass sich<br />

Frauen und Männer in Gesundheit und Krankheit, in der Inanspruchnahme gesundheitlicher<br />

und pflegerischer Versorgungsangebote, im gesundheitsrelevanten Verhalten und in<br />

der Ausschöpfung ihrer Präventionspotenziale unterscheiden. Ein gendersensibler Blick<br />

auf die Gesundheitsziele zeigt auch, dass bei der Umsetzung der Ziele die Geschlechterdimension<br />

bislang eine untergeordnete Rolle spielt – obwohl Konsens besteht, dass<br />

durch eine zielgruppengerechte Angebotsentwicklung die Qualität der Versorgung steigt<br />

und die vorhandenen Ressourcen besser eingesetzt werden können. Auch wird deutlich,<br />

dass sich die Geschlechtsunterschiede nur vor einem bio-psycho-sozialen Modell erklären<br />

lassen und dass der Geschlechterdifferenzierung eine Differenzierung hinsichtlich<br />

weiterer Variablen (wie z.B. Alter, Einkommen, Berufsstatus, Migrationshintergrund)<br />

folgen muss. Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass die Ziele des <strong>Gender</strong><br />

Mainstreamings, die Erhöhung gesundheitlicher Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern<br />

sowie Qualitätsverbesserungen in der gesundheitlichen Versorgung, bislang<br />

nur ansatzweise erreicht wurden.<br />

In den zuvor dargestellten Kapiteln wurde der Handlungsbedarf in Bezug auf die einzelnen<br />

Gesundheitsziele definiert. Die dort genannten Punkte sollen an dieser Stelle gebündelt<br />

werden, indem Ansatzpunkte in den Bereichen Gesundheitsförderung, Prävention,<br />

gesundheitliche Versorgung sowie soziale Unterstützungsangebote formuliert werden.<br />

Danach geht es darum, übergeordnete Aufgaben für Forschung, <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung<br />

und Politik zu benennen. Die Empfehlungen sind zielübergreifend zu verstehen<br />

und verfolgen die Absicht, Strategien zur Verringerung der gesundheitlichen Ungleichheit<br />

zwischen sowie innerhalb den Geschlechtern vorzuschlagen. 51<br />

51 Da sich der vorliegende Bericht an den Gesundheitszielen orientiert, beziehen sich auch die<br />

Empfehlungen auf diesen eingeschränkten Themenbereich; unberücksichtigt bleiben daher an dieser<br />

Stelle mögliche weitere geschlechterrelevante Themen, die es im Sinne von <strong>Gender</strong> Mainstreaming<br />

zu berücksichtigen gilt (z.B. Medikalisierung und Geschlecht, Gesundheitskosten und Geschlecht).<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 202


Für den Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention gilt es, folgende Ansätze zu<br />

verfolgen:<br />

− Traditionelle Präventionsprogramme geschlechtergerecht und zielgruppenspezifisch<br />

gestalten. Senkung des Tabakkonsums: Entwicklung von Programmen für Jungen<br />

sowie Männer sozial niedriger Schichten und für Frauen über alle Schichten hinweg,<br />

vor allem für junge Frauen und Mädchen. Senkung des Alkoholkonsums: Frauen<br />

verstärkt in den Fokus nehmen, Verminderung des Konsums von Alkopops bei<br />

Mädchen, Absenkung des Rauschtrinkens bei (jungen) Männern.<br />

− Gesundheitsförderung in den Bereichen Bewegung und Ernährung ebenfalls<br />

geschlechter- und zielgruppenspezifisch entwickeln und anbieten. Erhöhung der<br />

körperlichen Aktivität: Nicht nur über Sportangebote, sondern auch über eine<br />

bewusste Förderung von Alltagsaktivitäten. Gesunde Ernährung: Bewusstsein bei<br />

jüngeren Altersgruppen und bei Männern erhöhen.<br />

− Aids-Prävention: Neben homosexuellen Männern als Zielgruppe auch heterosexuelle<br />

Männer und Frauen als Zielgruppe von Massnahmen ansprechen; Präventionsbemühungen<br />

bei Jugendlichen und jungen Männern und Frauen verstärken, um einer<br />

Erhöhung der HIV-Infektionen trotz verbesserter Behandlungsmöglichkeiten<br />

vorzubeugen.<br />

− Konzepte zur Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen entwickeln, in<br />

welchen die geschlechtsspezifische Körpersozialisation reflektiert wird und indem<br />

«männliche» Ressourcen bei Mädchen gestärkt werden (z.B. selbstbewusster und<br />

herausfordernder, aber nicht risikoreicher Umgang mit dem eigenen Körper) sowie<br />

«weibliche» Ressourcen bei Jungen (z.B. sensibler und gesundheitsbewusster<br />

Umgang mit dem eigenen Körper).<br />

− Konzepte zur Gesundheitsförderung und Prävention nicht nur für junge Zielgruppen<br />

und für Erwachsene im mittleren Lebensalter, sondern auch für betagte Frauen und<br />

Männer entwickeln; dabei männliche und weibliche Rollenbilder der älteren Generation<br />

beachten.<br />

− Sozial benachteiligte Jungen und Mädchen sowie Frauen und Männer: Gezielte<br />

Präventionsangebote entwickeln (z.B. Tabakprävention für Männer sozial niedriger<br />

Schichten) und Zugang zur gesundheitlichen Versorgung verbessern (z.B. zur<br />

Schwangerenvorsorge von Migrantinnen).<br />

Darüber hinaus sind soziale Unterstützungsangebote für spezielle Zielgruppen zu entwickeln<br />

bzw. auszubauen:<br />

− Beratungs- und Informationsangebote für zukünftige Elternpaare hinsichtlich<br />

Familienplanung, Schwangerschaft, Pränataldiagnostik und ungewollter Kinderlosigkeit<br />

verstärken.<br />

− Vermehrte Unterstützungsangebote für Familien und Alleinerziehende in der Kinderbetreuung<br />

bereitstellen, zur Verminderung von Doppelbelastungen und zur Verbesserung<br />

der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, was sowohl Frauen als auch<br />

Männern zugute kommt.<br />

− Verbesserung der gesundheitlichen Situation von pflegenden Angehörigen, die vor<br />

allem Frauen im mittleren Lebensalter sind: Entlastungsangebote bei häuslicher<br />

Pflege durch vermehrte professionelle pflegerische Unterstützung sowie Beratungsund<br />

Betreuungsangebote für pflegende Angehörige bereitstellen.<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 203


Es wird deutlich, dass sich Ansätze zur Erreichung der Gesundheitsziele nicht ausschliesslich<br />

an das gesundheitliche Versorgungssystem richten, sondern dass eine Verknüpfung<br />

mit sozialen und gesellschaftlichen Bereichen notwendig ist.<br />

Als übergeordnete Aufgaben für Politik, Forschung und <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung<br />

ergeben sich Handlungsempfehlungen in folgenden Bereichen:<br />

− Prioritätensetzung<br />

− Operationalisierung des Forschungs- und Handlungsbedarfs<br />

− Weiterentwicklung der <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung<br />

– Geschlechtervergleichende Indikatoren in allen Bereichen<br />

– Zusammenführung der Gesundheits-, Sozial- und Umweltberichterstattung<br />

– Berücksichtigung der Geschlechterdimension in allen Berichten<br />

– Entwicklung gendersensibler Indikatoren in den Gesundheitsbefragungen<br />

− Aus-, Fort- und Weiterbildung der GesundheitsexpertInnen in Versorgung und<br />

Prävention<br />

− Koordination und Verbreitung von Modellen guter Praxis<br />

− Konsequente Umsetzung des Prinzips <strong>Gender</strong> Mainstreaming<br />

− Strukturelle Verankerung von <strong>Gender</strong>kompetenz in Wissenschaft, Politik und Praxis<br />

Prioritätensetzung<br />

Der <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> liefert eine Fülle von Daten, in welchen Bereichen Forschungs-<br />

und Handlungsbedarf besteht. Vordringlichste Aufgabe ist es nun, diese Punkte<br />

zu gewichten und Prioritäten zu setzen. Kriterien hierfür könnten die Häufigkeit von<br />

Krankheiten und die damit verbundene gesellschaftliche Belastung (z.B. bei Herzkreislaufkrankheiten),<br />

die Koppelung an nationale Programme und Strategien (z.B. Migration<br />

und Gesundheit, Mental Health) oder eine ethische Verpflichtung sein (z.B. im Bereich<br />

Gewalt).<br />

Operationalisierung des Forschungs- und Handlungsbedarfs<br />

Die in den Kapiteln formulierten Ansatzpunkte sind notwendigerweise unkonkret und<br />

beschränken sich auf die Definition genereller Forschungslücken und Aktionsbereiche.<br />

Diese müssen in einem nächsten Schritt konkretisiert und operationalisiert werden.<br />

Forschungsbedarf liegt u.a. im Bereich der Ausprägung, Diagnose und Behandlung von<br />

Public Health-relevanten Erkrankungen (ähnlich dem Beispiel geschlechtsspezifischer<br />

Studien zum Herzinfarkt) wie Diabetes, Muskel- und Skeletterkrankungen, Krebserkrankungen,<br />

Herzkreislauferkrankungen, Depression. Eine Zusammenarbeit mit dem Forschungsnetzwerk<br />

<strong>Gender</strong> Health wird hier dringend empfohlen.<br />

Eine gendersensible Forschung im Bereich Gesundheit im Sinne von <strong>Gender</strong> Mainstreaming<br />

ersetzt nicht, wie oftmals missverstanden, geschlechtsspezifische Forschungsansätze.<br />

Die Frauengesundheitsforschung hat eine wesentlich längere Tradition als eine<br />

Männergesundheitsforschung mit explizitem <strong>Gender</strong>blick. So gibt es einen dringenden<br />

Nachholbedarf hinsichtlich männerspezifischer Gesundheitsthemen, welche die soziale<br />

Dimension des männlichen Geschlechts in den Blick nehmen. Gleichzeitig gilt es weiterhin<br />

an den bekannten und neuen Frauengesundheitsthemen zu forschen.<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 204


Weiterentwicklung der <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung<br />

Die Datenlage hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert; mittlerweile lassen<br />

sich viele Indikatoren nach Geschlecht aufbereiten. Dennoch gibt es nach wie vor<br />

Bereiche, in denen kein Geschlechtervergleich möglich ist (z.B. Inanspruchnahme von<br />

Spitex, Sentinella); hier muss auf eine Verbesserung der Datenlage hingearbeitet werden.<br />

Der Bericht hat auch gezeigt, dass anknüpfend an den Geschlechtervergleich eine<br />

weitere Differenzierung notwendig ist, da Männer und Frauen keine homogene Gruppe<br />

darstellen. Hierfür scheint es sinnvoll, die Gesundheits-, Sozial- und Umweltberichterstattung<br />

– zumindest punktuell – zusammen zu führen, damit die Datensätze miteinander<br />

gekoppelt werden können.<br />

Die Geschlechterdimension sollte nicht nur in einem eigenständigen Bericht wie dem<br />

vorliegenden bearbeitet werden, da dieses dazu beiträgt, die Geschlechterfrage zu marginalisieren<br />

und an <strong>Gender</strong>beauftragte «abzuschieben». Vielmehr muss sich die Geschlechterkategorie<br />

durch alle <strong>Gesundheitsbericht</strong>e durchziehen, um eine Sensibilität für<br />

die Bedeutung des Geschlechts zu erreichen (<strong>Gender</strong> Mainstreaming in der <strong>Gesundheitsbericht</strong>erstattung).<br />

Nur so kann deutlich werden, dass die Kategorie Geschlecht<br />

auch bei vermeintlich geschlechtsneutralen Gesundheitsthemen eine Rolle spielt.<br />

Ein letzter Punkt bezieht sich auf die Gesundheitsbefragungen, die vielfach die Grundlage<br />

für <strong>Gesundheitsbericht</strong>e sind. In vielen Fällen wird hier auf Indikatoren zurückgegriffen,<br />

die einen <strong>Gender</strong> Bias (geschlechtsbezogene Verzerrung) aufweisen (z.B. bei den Indikatoren<br />

zur Erfassung des psychischen Befindens). Hier muss eine Analyse erfolgen, inwieweit<br />

durch die Instrumente (und auch durch die Studiendesigns) Ergebnisse reproduziert<br />

werden, die keine zuverlässige Aussage ermöglichen. Mittlerweile liegen Instrumente<br />

vor, die zur Sensibilisierung für einen <strong>Gender</strong> Bias in der Gesundheitsforschung<br />

geeignet sind (vgl. Kapitel 4.2.5 und 4.4). Darüber hinaus konzentrieren sich die bislang<br />

erhobenen Gesundheitsdaten auf Krankheits- und Risikoindikatoren; eine Erweiterung<br />

um Daten zu gesundheitlichen Ressourcen und salutogenetisch wirksamen Faktoren ist<br />

wünschenswert, auch wenn dies eine methodische Herausforderung darstellt.<br />

Aus-, Fort- und Weiterbildung der GesundheitsexpertInnen in Versorgung und<br />

Prävention<br />

Es zeigt sich, dass es nicht nur Forschungslücken gibt, sondern dass dort, wo es Wissen<br />

über Geschlechterunterschiede oder geschlechtergerechten Versorgungsbedarf gibt,<br />

dieses bislang kaum Eingang in die Praxis gefunden hat. So behandeln zum einen Ärzte<br />

und Ärztinnen Frauen und Männer trotz ähnlicher Beschwerden unterschiedlich (z.B.<br />

Herzinfarkt). Zum anderen sind sie häufig nicht in der Lage, den geschlechtsspezifischen<br />

Versorgungsbedarf zu erkennen (z.B. Unterdiagnostik depressiver Erkrankungen bei<br />

Männern, Versorgung von Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind). Hier müssen<br />

Curricula für Aus-, Fort- und Weiterbildung der Gesundheitsberufe und der PräventionsexpertInnen<br />

entwickelt werden, die für die <strong>Gender</strong>perspektive sensibilisieren und die<br />

fachwissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis transportieren.<br />

Koordination und Verbreitung von Modellen guter Praxis<br />

Auch wenn es in vielen Bereichen noch Datenlücken gibt, so gibt es mittlerweile doch<br />

einige Projekte und Ansätze, die einen Beitrag zur Herstellung horizontaler oder vertikaler<br />

Gerechtigkeit im Gesundheitsbereich leisten. Die Erfahrungen mit diesen Ansätzen wer-<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 205


den vielfach nicht weiter getragen, weil es an Koordination und Vernetzung fehlt. Hier ist<br />

dringend eine Struktur zu schaffen, die Transparenz über die vorhandenen Projekte ermöglicht<br />

und in der Lage ist, Modelle guter oder bester Praxis zu identifizieren und diese<br />

Projekte zu verbreiten sowie die Projekte miteinander zu vernetzen. Dieses kann und<br />

sollte themenspezifisch erfolgen (z.B. Suchtprävention, Prävention und Versorgung im<br />

Bereich Gewalt, Suizidprävention), auf eine wechselseitige Abstimmung und Koordination<br />

ist gleichwohl zu achten.<br />

Konsequente Umsetzung des Prinzips <strong>Gender</strong> Mainstreaming<br />

Es ist darauf hinzuarbeiten, dass das Prinzip <strong>Gender</strong> Mainstreaming nicht nur in der Berichterstattung,<br />

sondern auch in der Praxis konsequent umgesetzt wird. Bei allen Massnahmen<br />

ist zu prüfen, ob die Bedeutung des Geschlechts angemessen reflektiert und<br />

gegebenenfalls berücksichtigt wird, ob beide Geschlechter erreicht werden (wenn beide<br />

erreicht werden sollen) und ob die Massnahmen einen Beitrag zur Herstellung gesundheitlicher<br />

Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern leisten. Dies gilt sowohl für die<br />

Entwicklung nationaler Kampagnen wie für konkrete Massnahmen und Projekte in den<br />

Bereichen Prävention, Versorgung und Pflege. Für einige Interventionsbereiche wurden<br />

inzwischen Instrumente zur Sensibilisierung entwickelt (vgl. Kapitel 4.4); diese gilt es<br />

weiter zu entwickeln und für andere Anwendungsbereiche zu adaptieren.<br />

<strong>Gender</strong> Mainstreaming darf sich nicht auf den Gesundheitsbereich beschränken, sondern<br />

muss sich durch alle politischen Ressorts ziehen. Diesen Ansatz gilt es gerade hinsichtlich<br />

der Verbesserung der gesundheitlichen Situation nachdrücklich zu verfolgen, da –<br />

wie vielfach innerhalb des vorliegenden Berichts dargestellt – Gesundheit als bio-psychosoziales<br />

Konstrukt nicht nur über gesundheitspolitische Massnahmen, sondern beispielsweise<br />

auch über sozial-, arbeitsmarkt- und umweltpolitische Entscheidungen zu<br />

beeinflussen ist.<br />

Strukturelle Verankerung von <strong>Gender</strong>kompetenz<br />

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass eine geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung<br />

und die Etablierung der <strong>Gender</strong> Mainstreaming-Strategie nur dann Erfolg versprechend<br />

sind, wenn sie mit einer strukturellen Verankerung und einer entsprechenden<br />

Ausstattung mit personellen und finanziellen Ressourcen einhergehen. Die Umsetzung<br />

des <strong>Gender</strong> Mainstreamings verlangt nach einer Ausbildung und Bündelung der Fachkompetenz.<br />

Hier ist das Forschungsnetzwerk <strong>Gender</strong> Health zu stärken, das als Kompetenzzentrum<br />

dienen kann und zahlreiche der anstehenden Aufgaben (Erarbeitung von<br />

Vorschlägen für Prioritätensetzung, Operationalisierung der Forschungslücken und des<br />

Handlungsbedarfs) übernehmen kann. Für einen konsequenten Transfer des Fachwissens<br />

in Politik und Versorgung (einschliesslich der Prävention) ist zu sorgen – auch hier<br />

sind Strukturen zu schaffen, die dieses ermöglichen oder erleichtern.<br />

Es zeigt sich, dass der vorliegende <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong> viele Anknüpfungspunkte<br />

und Herausforderungen für Politik, Wissenschaft und Praxis bereithält. Er stellt somit<br />

einen der ersten Schritte in einem Prozess zur Verbesserung der Chancengleichheit zwischen<br />

und innerhalb den Geschlechtern sowie zu Qualitätsverbesserungen in der gesundheitlichen<br />

Versorgung dar, den es nun weiter voranzubringen gilt.<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 206


Literatur<br />

Babitsch, B. (2005). Soziale Ungleichheit, Geschlecht und Gesundheit. Bern: Huber.<br />

Doyal, L. (2000). <strong>Gender</strong> equity in health: debates and dilemmas. Social Science and Medicine , 51,<br />

931–939.<br />

Eichler, M. (2002). Zu mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern: Erkennen und Vermeiden<br />

von <strong>Gender</strong> Bias in der Gesundheitsforschung. Berlin: Blaue Reihe Berliner Zentrum<br />

Public Health. Verfügbar unter: www.ifg-gs.tu-berlin.de/handbuchGBA.pdf.<br />

Eichler, M., Fuchs, J. & Maschewsky-Schneider, U. (2000). Richtlinien zur Vermeidung von <strong>Gender</strong>-Bias<br />

in der Gesundheitsforschung. Zeitschrift für Gesundheitswissenschaften ( (4), 293–310.<br />

Jahn, I. (2002). Methodische Probleme einer geschlechtergerechten Gesundheitsforschung.<br />

In K. Hurrelmann & P. Kolip (Hrsg.), Geschlecht, Gesundheit und Krankheit. Frauen und<br />

Männer im Vergleich (S. 142–156). Bern: Huber.<br />

Jahn, I. & Kolip, P. (2002). Die Kategorie Geschlecht als Kriterium für die Projektförderung von Gesundheitsförderung<br />

<strong>Schweiz</strong>. Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin<br />

(BIPS). Abteilung Sozialepidemiologie. Verfügbar unter:<br />

http://www.genderhealth.ch/siteman/library/file/geschlecht_kriterium.pdf.<br />

Kolip, P. (Hrsg.) (2000). Weiblichkeit ist keine Krankheit. Die Medikalisierung körperlicher Umbruchphasen<br />

im Leben von Frauen. Weinheim: Juventa.<br />

Kolip,P. & Altgeld, T. (Hrsg.) (2005). Geschlechtergerechte Gesundheitsförderung und Prävention.<br />

Theoretische Grundlagen und Modelle guter Praxis. Weinheim: Juventa.<br />

Kuhlmann, E. & Kolip, P. (2005). <strong>Gender</strong> und Public Health. Grundlegende Orientierungen für Forschung,<br />

Praxis und Politik. Weinheim: Juventa.<br />

Luy, M. (2002a). Die geschlechtsspezifischen Sterblichkeitsunterschiede – Zeit für eine Zwischenbilanz.<br />

Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 35, 412–429.<br />

Luy, M. (2002b). Warum Frauen länger leben. Erkenntnisse aus einem Vergleich von Kloster- und Allgemeinbevölkerung.<br />

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung beim Statistischen Bundesamt,<br />

Heft 106, Wiesbaden.<br />

Mielck A (2002). Soziale Ungleichheit und Gesundheit. In K. Hurrelmann & P. Kolip (Hrsg.), Geschlecht,<br />

Gesundheit und Krankheit. Frauen und Männer im Vergleich. (S. 387–402). Bern: Huber.<br />

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2005). Koordination<br />

und Qualität im Gesundheitswesen. Gutachten 2005. Sachverständigenrat zur Begutachtung<br />

der Entwicklung im Gesundheitswesen.<br />

Diskussion und Schlussfolgerungen | 207


Tabellen-Anhang<br />

Kapitel 2<br />

Tabelle 2.1: Ständige Wohnbevölkerung zum Jahresende 52 [I.1] (*BFS, 2005)<br />

gesamt <strong>Schweiz</strong>erInnen AusländerInnen (Anteil)<br />

1980 6'365’243 5'421’746 913’497 (14,4%)<br />

1985 6'484’834 5'524’160 960’674 (14,8%)<br />

1990 6'750’693 5'623’584 1’127’109 (16,7%)<br />

1993 6'968’570 5'676’808 1'291’762 (18,5%)<br />

2003* 7'364’100 5'863’200 1'500’900 (20,4%)<br />

Tabelle 2.2: Weibliche Bevölkerung zum Jahresende in Prozent [I.2] (*BFS, 2005)<br />

gesamt <strong>Schweiz</strong>erinnen Ausländerinnen<br />

1980 51,4% 52,3% 45,6%<br />

1985 51,3% 52,4% 44,7%<br />

1990 51,1% 52,6% 44,1%<br />

1993 51,1% 52,5% 45,0%<br />

2003* 51,1% 52,1% 47,2%<br />

Tabelle 2.3: Bevölkerung in ländlichen Gebieten (nach jeweiligem Gebietsstand) in Prozent [I.3]<br />

(*BFS 2005; eigene Berechnungen)<br />

1980 38,5%<br />

1985 39,2%<br />

1990 31,1%<br />

1993 31,9%<br />

2003* 26,7%<br />

Tabelle 2.4: Lebendgeborene und Todesfälle je 1000 Einwohner und Einwohnerinnen<br />

[I.4 und I.5] (*BFS, 2005)<br />

Lebendgeborene Todesfälle<br />

1980 11,7/1’000 9,4/1’000<br />

1985 11,5/1’000 9,2/1’000<br />

1990 12,5/1’000 9,5/1’000<br />

1993 12,1/1’000 9,0/1’000<br />

2003* 9,8/1’000 8,6/1’000<br />

52 Soweit nicht anders erwähnt, handelt es sich im Folgenden um Tabellen, die aus dem Frauengesundheitsbericht<br />

1996 übernommen und um aktuelle Zahlen ergänzt wurden, um die Entwicklung<br />

der Indikatoren abschätzen zu können. In eckigen Klammern ist jeweils die Ziffer des entsprechenden<br />

Indikators des Frauengesundheitsberichtes 1996 angegeben. Die Quelle für die<br />

Angaben ab 1994 ist jeweils benannt.<br />

Tabellen-Anhang | 208


Tabelle 2.5: Geburtenüberschuss je 1000 Einwohner und Einwohnerinnen [I.6]<br />

(*BFS, 2005; eigene Berechnungen)<br />

gesamt <strong>Schweiz</strong>erInnen AusländerInnen<br />

1980 2,3/1’000 1,2/1’000 9,2/1’000<br />

1985 2,3/1’000 1,2/1’000 8,5/1’000<br />

1990 3,0/1’000 1,4/1’000 11,1/1’000<br />

1993 3,1/1’000 0,9/1’000 12,5/1’000<br />

2003* 1,2/1’000 –1,1/1’000 9,9/1’000<br />

Tabelle 2.6: Zusammengefasste Geburtenziffer: Durchschnittliche Anzahl geborener Kinder je Frau [I.7]<br />

(*BFS, 2005)<br />

1980 1985 1990 1993 2003*<br />

1,55 1,52 1,59 1,51 1,39<br />

Tabelle 2.7: Mittleres Heiratsalter der ledigen Frauen und Männer (gewichtetes Mittel) [I.8] (*BFS, 2005)<br />

Frauen Männer<br />

1980 24,6 27,3<br />

1985 26,1 28,5<br />

1990 27,0 29,3<br />

1993 27,5 29,8<br />

2003* 28,4 30,6<br />

Tabelle 2.8: Heiraten und Ehescheidungen je 1000 Einwohner und Einwohnerinnen [I.9 und I.10]<br />

(*BFS, 2005)<br />

Heiraten Ehescheidungen<br />

1980 5,7/1’000 1,7/1’000<br />

1985 6,0/1’000 1,8/1’000<br />

1990 6,9/1’000 2,0/1’000<br />

1993 6,2/1’000 2,2/1’000<br />

2003* 5,4/1’000 2,3/1’000<br />

Tabelle 2.9: Bevölkerung nach Zusammensetzung der Haushalte 1994/95 in Prozent [II.20] (BFS, 2005)<br />

Frauen Männer<br />

Mit Partner/in und Kind(ern) 52,3% 48,5%<br />

Mit Partner/in, ohne Kind 21,6% 21,2%<br />

Ohne Partner/in, mit Kind(ern) 5,5% 0,6%<br />

Ohne Partnerin, ohne Kind<br />

20,6%<br />

29,8%<br />

– davon allein<br />

12,3%<br />

14,9%<br />

Tabellen-Anhang | 209


Tabelle 2.10: Ausbildungsniveau nach Geschlecht und Altersgruppe: höchster Schulabschluss im Jahr<br />

2004, in Prozent [II.19] (BFS, 2005)<br />

25–34 Jahre 35–44 Jahre 45–54 Jahre 55–64 Jahre 65+ Jahre<br />

Frauen<br />

Obligatorische Schule 15,9% 20,9% 26,2% 34,7% 53,2%<br />

Sekundarstufe II<br />

(Berufsbildung)<br />

50,0% 49,4% 47,3% 46,6% 36,4%<br />

Sekundarstufe II<br />

(Allgemeinbildung)<br />

Tertiärstufe<br />

(höhere Berufsbildung)<br />

12,1% 9,4% 9,6% 6,9% 5,6%<br />

6,4% 6,4% 5,4% 3,6% 1,5%<br />

Tertiärstufe (Hochschulen) 15,6% 13,9% 11,5% 8,2% 3,2%<br />

Männer<br />

Obligatorische Schule 11,1% 13,1% 15,2% 17,4% 25,1%<br />

Sekundarstufe II<br />

(Berufsbildung)<br />

Sekundarstufe II<br />

(Allgemeinbildung)<br />

Tertiärstufe<br />

(höhere Berufsbildung)<br />

44,2% 43,1% 44,8% 45,5% 47,1%<br />

7,9% 5,7% 5,3% 4,7% 4,4%<br />

13,3% 14,5% 13,3% 11,4% 8,8%<br />

Tertiärstufe (Hochschulen) 23,6% 23,7% 21,4% 21,0% 14,6%<br />

Tabelle 2.11: Anteil der Frauen an diversen Bildungsabschlüssen und am Lehrpersonal an universitären<br />

Hochschulen, in Prozent [II.19] (*BFS, 2005)<br />

1980 1985 1990 2000* 2003*<br />

Maturität 42,5% 44,3% 48,6% 53,9% 56,3%<br />

Studierende 32,4% 35,8% 38,8%<br />

Universitäre Hochschulen 45,6% 48,1%<br />

Fachhochschulen 25,9% 38,9%<br />

Universitätsabschluss 26,3% 32,7% 33,1%<br />

Universitäre Hochschulen 43,9% 46,6%<br />

Fachhochschulen 15,2% 32,4%<br />

Doktorate 16,1% 19,3% 22,9% 36,7%<br />

AssistentInnen und wissenschaftliche<br />

MitarbeiterInnen<br />

(an Universitäten)<br />

17,4% 20,6% 24,6% 34,9%<br />

Übrige Dozenturen 12,7% 14,1% 15,2% 23,3%<br />

Professuren 1,8% 2,2% 3,6% 10,2%<br />

Tabellen-Anhang | 210


Tabelle 2.12: ÄrztInnen und Pflegepersonal nach Geschlecht, in Prozent [II.17] (*FMH-Ärztestatistik,<br />

www.fmh.ch und BFS 2004)<br />

ÄrztInnen Gesundheits- und<br />

Krankenpflegepersonal<br />

(Niveau I und II)<br />

Pflegeassistenz<br />

Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer<br />

1933 6,2% 93,8%<br />

1963 11,5% 88,5%<br />

1993 23,9% 76,1% 90,4% 9,6% 91,6% 8,4%<br />

1995 24,5% 75,5% 88,1% 11,9% 86,9% 13,1%<br />

2000* 29,1% 70,9% 89,3% 10,7% 89,7% 10,3%<br />

2002* 30,7% 69,3%<br />

Tabelle 2.13: Erwerbsbevölkerung nach Geschlecht, in Prozent [II.13] (*BFS, 2005)<br />

Frauen Männer<br />

1960 34,1% 65,9%<br />

1975 34,8% 65,2%<br />

1980 36,1% 63,9%<br />

1985 36,9% 63,1%<br />

1990 38,0% 62,0%<br />

1995* 43,0% 57,0%<br />

2000* 44,2% 55,8%<br />

2004* 45,3% 54,7%<br />

Tabelle 2.14: Erwerbsquoten nach Alter und Geschlecht: Ständige Wohnbevölkerung 2. Quartal 2004,<br />

in Prozent (BFS, 2005)<br />

15–24<br />

Jahre<br />

25–39<br />

Jahre<br />

40–54<br />

Jahre<br />

55–64<br />

Jahre<br />

65+<br />

Jahre<br />

Frauen 66,0% 80,4% 81,1% 55,7% 4,9%<br />

Männer 68,2% 96,1% 95,3% 79,1% 12,7%<br />

Tabelle 2.15: Monatlicher Bruttolohn nach Anforderungsniveau und Geschlecht (2002, Median,<br />

in Franken, standardisiert auf Vollzeitäquivalente basierend auf 4 1 /3 Wochen à 40 Arbeitsstunden) [II.12]<br />

(BFS, 2004)<br />

Verrichtung höchst anspruchsvoller und schwierigster,<br />

selbständiger und qualifizierter Arbeiten<br />

Frauen Männer Anteil Lohn der Frauen am Lohn<br />

der Männer<br />

6’063 7’604 79,7%<br />

Berufs- und Fachkenntnisse vorausgesetzt 4’784 5’556 86,1%<br />

Einfache und repetitive Tätigkeiten 3’844 4’626 83,1%<br />

Tabellen-Anhang | 211


Tabelle 2.16: Arbeitslose und Arbeitslosenquote nach Geschlecht, in Prozent [II.14] (*BFS, 2005)<br />

% arbeitsloser<br />

Frauen an der<br />

Gesamtzahl<br />

Arbeitsloser<br />

Arbeitslose<br />

Frauen gesamt<br />

Arbeitslosenquote<br />

Männer<br />

Arbeitslosenquote<br />

Frauen<br />

1975 23,3% 10’170 0,4% 0,2%<br />

1980 40,9% 6’255 0,2% 0,2%<br />

1985 45,9% 30’345 0,8% 1,2%<br />

1990 45,8% 18’133 0,5% 0,6%<br />

1995* 44,3% 67’843 3,9% 4,8%<br />

2000* 47,5% 34’216 1,7% 2,0%<br />

2003* 44,0% 64’036 3,7% 3,7%<br />

Tabelle 2.17: Anteil an Parlamentarierinnen im National- und Ständerat, weibliche Bundesratsmitglieder<br />

sowie Frauenanteil in den Kantons- und Regierungsräten, in Prozent [II.15] (BFS, 2005;<br />

www.parlament.ch)<br />

Frauen<br />

Bundesrat (2003) 14,3%<br />

Nationalrat (2003) 26,0%<br />

Ständeratswahlen (2003) 23,9%<br />

Kantonale Parlamentswahlen (2000–2003) ∅ 24,2%<br />

Kantonale Regierungswahlen (2000–2004) ∅ 22,8%<br />

Kapitel 3.1<br />

Tabelle 3.1-2: Keine bzw. kaum körperliche Beschwerden nach Alter und Geschlecht, in Prozent<br />

(keine/kaum versus mehr Beschwerden; <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung<br />

für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Altersgruppe Männer Frauen<br />

15–34 Jahre*** 52,3% 30,5%<br />

35–49 Jahre*** 50,0% 33,8%<br />

50–64 Jahre*** 51,4% 35,2%<br />

65+ Jahre 48,2% 30,4%<br />

* p< .05; ** p< .01; *** p< .001<br />

Tabelle 3.1-3: Hohe psychische Ausgeglichenheit nach Alter und Geschlecht, in Prozent (nur gültige<br />

Werte ohne Proxy; <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<br />

<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Altersgruppe Männer Frauen<br />

15–34 Jahre*** 46,3% 41,2%<br />

35–49 Jahre 54,7% 52,9%<br />

50–64 Jahre 63,3% 62,8%<br />

65+ Jahre*** 72,1% 63,4%<br />

* p< .05; ** p< .01; *** p< .001<br />

Tabellen-Anhang | 212


Tabelle 3.1-4: Subjektiver Gesundheitszustand «sehr gut» und «gut» nach Bildung und Geschlecht, in<br />

Prozent (nur die Angaben zur obligatorischen Schule, Sekundarstufe II und Tertiärstufe berücksichtigt;<br />

<strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Bildungsniveau Männer Frauen<br />

Obligatorische Schule*** 81,3% 75,2%<br />

Sekundarstufe II 87,6% 86,5%<br />

Tertiärstufe* 92,2% 89,7%<br />

* p< .05; ** p< .01; *** p< .001<br />

Tabelle 3.1-5: Starke körperliche Beschwerden nach Bildung und Geschlecht, in Prozent (nur die Angaben<br />

zur obligatorischen Schule, Sekundarstufe II und Tertiärstufe berücksichtigt, starke versus weniger<br />

Beschwerden; <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung 2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<br />

<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Bildungsniveau Männer Frauen<br />

Obligatorische Schule*** 21,2% 35,1%<br />

Sekundarstufe II*** 15,1% 28,5%<br />

Tertiärstufe*** 14,4% 28,3%<br />

* p< .05; ** p< .01; *** p< .001<br />

Tabelle 3.1-6: Hohe psychische Ausgeglichenheit nach Gebiet (Stadt/Land) und Geschlecht (nur gültige<br />

Werte, ohne Proxy; hohe versus mittel/niedrige psychische Ausgeglichenheit; <strong>Schweiz</strong>erische Gesundheitsbefragung<br />

2002, Sonderauswertung für <strong>Gender</strong>-<strong>Gesundheitsbericht</strong>)<br />

Gebiet (Stadt/Land) Männer Frauen<br />

Städtisches Gebiet* 55,9% 52,9%<br />

Ländliches Gebiet 57,6% 56,1%<br />

* p< .05; ** p< .01; *** p< .001<br />

Tabellen-Anhang | 213

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!