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Grenze - Hinterland Magazin

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62<br />

grenze<br />

Zusätzliche Informationen<br />

finden sich<br />

auf der Hompepage<br />

der NGO Aktion<br />

Transsexualität und<br />

Menschenrecht,<br />

unter anderem auch<br />

deren aktueller Menschenrechtsbericht<br />

„Transsexuelle Menschen<br />

in Deutschland“:http://atmeev.de/<br />

Till Schmidt<br />

lebt und studiert in<br />

München.<br />

Standesamt verweigert. Zwar hatte sie nach den<br />

gesetzlichen Vorschriften der „kleinen Lösung“ ihre<br />

Vornamen in weibliche umändern lassen, personenstandsrechtlich<br />

galt sie jedoch<br />

immer noch als Mann. Anstatt<br />

der Lebenspartnerschaft wäre<br />

somit nur eine – hierzulande<br />

freilich heterosexuell konnotierte<br />

– Eheschließung möglich gewesen;<br />

es sei denn, die 62-Jährige<br />

hätte eine teure und nicht ungefährlichegeschlechtsangleichende<br />

Operation durchführen lassen. Das wollen entgegen<br />

gängiger Klischees allerdings nicht alle transidentitären<br />

Personen.<br />

Wie eine solche Eheschließung durchaus enden<br />

konnte, verdeutlicht der Fall einer Trans-Frau aus<br />

dem Jahr 2005. Mit der Begründung, dass es keine<br />

„lesbischen Männer“ geben könne, verwehrte ihr das<br />

Hamburger Standesamt die eingetragene Lebenspartnerschaft.<br />

Nachdem sie eine Ehe einging, um ihre<br />

Beziehung rechtlich abzusichern, wurde die Vornamensänderung<br />

– für die die Frau zwei teure, zeitund<br />

arbeitsaufwendige Gutachten aufweisen musste,<br />

die garantieren sollten, dass sie „sich dem anderen<br />

Geschlecht zugehörig empfindet“, „seit mindestens<br />

drei Jahren unter Zwang steht, ihren Vorstellungen<br />

entsprechend zu leben“ und sich „mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

[...] ihr Zugehörigkeitsempfinden zum<br />

anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird“ –<br />

jedoch wieder rückgängig gemacht. Die Begründung:<br />

Wenn jemand eine Frau heirate, könne sich die Person<br />

nicht mehr als Frau „fühlen“. Damit sei auch die<br />

Vornamensänderung hinfällig.<br />

Von „Neigungen“ und „Veranlagungen“<br />

Diese heteronormative Konzeption von Geschlecht<br />

und Begehren trifft sich in ihrer Logik mit der<br />

Begründung der vermeintlichen Notwendigkeit<br />

geschlechtsangleichender Operationen. Dem Entwurf<br />

des „Transsexuellengetzes“ der damaligen Bundesregierung<br />

zufolge wäre es etwa „nicht angängig [...]<br />

jemandem die Eheschließung mit einer anderen Person<br />

männlichen Geschlechts zu ermöglichen, solange<br />

er sich geschlechtlich noch als Mann betätigen kann“.<br />

Stärker transphob äußerte sich der Bundesrat in seiner<br />

Stellungnahme. Er hielt dazu an, die gesetzliche<br />

Möglichkeit einer Vornamenswahl in keinem Fall so<br />

zu konzipieren, dass sie „transsexuelle Neigungen fördert“.<br />

Ohnehin führe die „kleine Lösung“ dazu, dass<br />

„Personen, bei denen eine gewisse transsexuelle Veranlagung<br />

vorhanden ist, voreilig den ‚Umstieg’ zum<br />

Transsexuelle gelten nach wie vor<br />

als krankhaft und von der Norm<br />

abweichend.<br />

anderen Geschlecht versuchen, obwohl andere Auswege<br />

gegeben wären“.<br />

An der in diesem Statement enthaltenen<br />

Pathologisierung von<br />

Transsexualität hat sich heute,<br />

knapp dreißig Jahre später,<br />

nichts geändert – erst Recht<br />

nicht durch das jüngste Urteil<br />

des Bundesverfassungsgerichts.<br />

Menschen, deren eigentliches<br />

Geschlecht nicht ihrem genitalen<br />

Geschlecht, auf Grund dessen sie bei der Geburt<br />

eingeordnet wurden, entspricht, gelten nach wie vor<br />

als krankhaft und von der Norm abweichend. Davon<br />

zeugt nicht zuletzt die Aufführung von Transsexualität<br />

als vermeintliche „Geschlechtsidentitätsstörung“ in der<br />

„Internationalen Klassifizierung von Krankheiten“ der<br />

Weltgesundheitsorganisation (WHO). Eingeordnet<br />

unter der Rubrik „psychische und Verhaltensstörungen“,<br />

war sie übrigens lange Zeit auch neben der<br />

Homosexualität gelistet, die Anfang der 1990er aus<br />

dem wichtigsten, weltweit anerkannten Diagnoseklassifikations-<br />

und Verschlüsselungssystem der Medizin<br />

entfernt wurde.<br />

Barbie und Ken<br />

Die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts<br />

ist nichtsdestotrotz natürlich ein Erfolg. Als<br />

„einen Schritt in die richtige Richtung“, wertete das<br />

Urteil auch Kim Schicklang von der Aktion Transsexualität<br />

und Menschenrecht e.V. Dennoch betonte die<br />

NGO in einer Pressemitteilung, dass das Bundesverfassungsgericht<br />

durch sein Urteil zugleich aber andere<br />

wichtige Rechte transsexueller Menschen schwäche.<br />

Neben dem eindeutigen Festhalten an der Psychopathologisierung<br />

von Transsexualität kritisierte die Menschenrechtsorganisation<br />

das stereotype Geschlechterbild<br />

des Verfassungsgerichts. Im Kleingedruckten des<br />

Urteils, das in der ohnehin dünnen Medienberichterstattung<br />

meist unberücksichtigt blieb, heißt es – ganz<br />

dem Barbie-und-Ken-Geschlechterbild verhaftet: „Für<br />

ein Leben des Betroffenen [sic!] im anderen<br />

Geschlecht ist eine Angleichung seiner äußeren<br />

Erscheinung und Anpassung seiner Verhaltensweise<br />

an sein empfundenes Geschlecht erforderlich. Dies<br />

wird zunächst nur durch entsprechende Kleidung,<br />

Aufmachung und Auftretensweise herbeigeführt, um<br />

im Alltag zu testen, ob ein dauerhafter Wechsel der<br />

Geschlechterrolle psychisch überhaupt bewältigt werden<br />

kann.“

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