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Grenze - Hinterland Magazin

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14<br />

grenze<br />

den Hierarchien untereinander<br />

und denen der „Ghettos“, den<br />

chaotischen Orten migrantischer<br />

Selbstorganisation entlang der<br />

Migrationsrouten. Humor hilft<br />

ihnen, sich den Erinnerungen<br />

zu nähern, die sie alle teilen,<br />

und gleichzeitig Distanz herzustellen, vermute ich.<br />

Und mir hilft die Nähe zu ihnen und die Erfahrungen<br />

die wir teilen, eine andere, menschliche Dimension<br />

der Migration kennenzulernen, einen Blick zu entwikkeln<br />

für ihre Körper, ihre Materialitäten und Machtstrukturen,<br />

zu versuchen, eine Perspektive daraus zu<br />

machen, von der aus die <strong>Grenze</strong> sich anders erzählen<br />

lässt.<br />

Bruder, hast du 50 Cent?<br />

Wir überqueren den Parkplatz und laufen am Frachthafen<br />

entlang. Yolga und Klen sind ordentlich gekleidet,<br />

die Rastalocken säuberlich geflochten, selbstsicher<br />

wirken sie. Wir passen gegenseitig auf uns auf,<br />

sie auf mich in der manchmal etwas diffusen Welt am<br />

Rande unserer Gesellschaft, ich auf sie in der Öffentlichkeit,<br />

wo ich mit meiner hellhäutigen, blonden<br />

Erscheinung vermutlich das Stereotyp einer klandestinen<br />

Flüchtlingsgruppe sprenge. Vor uns taucht ein<br />

Afrikaner auf, er trägt eine auffällige Arbeitsuniform<br />

mit Neonstreifen, „mein Bruder“, begrüßt ihn Yolga<br />

und stellt sich dann vor. Sami jobbt als Parkeinweiser,<br />

er ist stolz, Arbeit zu haben. „Ihr müsst Euch bei<br />

Vovis bewerben“, sagt er, „aber es gibt eine lange<br />

Warteliste. Manche haben Glück, andere warten sechs<br />

Monate oder ein ganzes Jahr. Ihr müsst hartnäckig<br />

sein, jeden Tag nachfragen“. Vovis ist eine NGO, die<br />

gegründet wurde, um sozial schwache Spanier und<br />

Spanierinnen zu unterstützen. Sie bietet aber auch als<br />

einzige Organisation weit und breit die Möglichkeit,<br />

ohne Papiere und trotz Arbeitsverbots Geld zu verdienen.<br />

Ein Mercedes biegt ein, Klen und zwei seiner<br />

Kollegen spurten los, winken, pfeifen, rufen „weiter,<br />

weiter, weiter“ und fuchteln mit den Armen. Das<br />

Auto folgt, die junge Frau am Steuer schaltet den<br />

Motor aus, Klen wartet neben dem Wagen. Sie steigt<br />

aus, gibt eine Münze und geht schnell davon. 60 Cent<br />

kostet das „Ticket“, ein Kinokarten-ähnlicher Abriss,<br />

auf dem die Organisation für die Spende dankt. Sami<br />

öffnet seine Hand, sagt „Seht Ihr!“ und zeigt uns eine<br />

Euro-Münze. Manche geben nichts, andere, wie die<br />

junge Frau gerade eben, runden auf. „Du kannst<br />

arbeiten so lange du willst“, wenn man Acht- oder<br />

gar Zwölf-Stunden-Schichten leiste, verdiene man bis<br />

zu 800 Euro im Monat. Yolga ist schweigsam geworden,<br />

am liebsten würde er hierbleiben und sofort die<br />

Yolga fragt seinen Bekannten<br />

nach Kontakten, die Arbeit haben<br />

könnten, doch der schüttelt den<br />

Kopf. „La crisis“, sagt er.<br />

Arbeit antreten. So hat er sich<br />

Europa doch vorgestellt: Einmal<br />

über den Hafen laufen, Arbeit<br />

finden und pro Monat 200 Euro<br />

an seine arme Mutter schicken,<br />

die er seit seiner Jugend unterstützt.<br />

Sie wartet, ohne ihn nagt<br />

sie am Hungertuch. Wir verabschieden uns, „Bruder“,<br />

sagt Klen, „gib mir ein paar Cent für eine Zigarette“,<br />

und Sami kramt 50 Cent aus seiner Tasche. Freude,<br />

Gelächter, Abschied.<br />

Vom Abenteuer in die Krise<br />

Neben einem marokkanischen Café, in dem nachmittags<br />

viele der allgegenwärtigen Schwarzhändler zu<br />

finden sind, treffen wir einen Bekannten aus dem<br />

Senegal, der sich seine eigene ökonomische Nische<br />

geschaffen hat: Er hat zwar keine Papiere, aber ein<br />

Zimmer in der Wohnung eines Bekannten, das er<br />

gegen Geld mit Touristen oder Landsleuten teilt, die<br />

er – selbst als Tourist getarnt – am Hafen kennenzulernen<br />

versucht. Yolga fragt ihn nach Kontakten, die<br />

Arbeit haben könnten, doch der Bekannte schüttelt<br />

den Kopf. „La crisis“, sagt er, ganz so wie die meisten<br />

Spanier und Spanierinnen, wenn man sie fragt, wie es<br />

ihrem Land geht. Doch in diesem Fall kommt<br />

erschwerend hinzu, dass Yolga und Klen laut Gesetz<br />

nicht arbeiten dürfen. Erst wenn sie nachweisen können,<br />

drei Jahre im Land gewesen zu sein, keinerlei<br />

Probleme mit der Justiz und einen Arbeitsvertrag in<br />

Petto zu haben, erst dann haben sie Aussichten auf<br />

eine Arbeitserlaubnis.<br />

Wenn er je Papiere haben sollte, werde er Business<br />

mit Afrika machen, meint Yolga. Oder ins Migrationsgeschäft<br />

einsteigen, denn Migrierende reisen mit<br />

Ersparnissen, und je enger die <strong>Grenze</strong>n werden,<br />

umso mehr Geld lässt sich damit verdienen. Das wissen<br />

die Polizei, die Leute die Visa und Pässe fälschen,<br />

die Schlepperbanden, die Fahrerinnen und Fahrer, die<br />

Personen die Essen verkaufen, die Banditen. Yolga<br />

hat Koffer und Kleidung verkauft, als er verstand,<br />

worauf er sich eingelassen hatte, sein Geld versteckte<br />

er außerhalb der Zelte oder Zimmer, ehe er zu Bett<br />

ging – was ihm zu Gute kam, als er in Algerien verhaftet<br />

und in die malische Wüste abgeschoben<br />

wurde. Ausgerechnet nach Tinsawaten. „Wenn du auf<br />

Abenteuer sagst, dass du in Tinsawaten warst, respektieren<br />

dich alle“, sagt Yolga und fügt hinzu: „Five<br />

kilometers to hellfire“. Er aber hatte noch genug<br />

Geld, um von dort erneut nach Nordalgerien zu fahren.<br />

Klen lacht und stimmt zu, auch er wurde mehrmals<br />

erwischt und abgeschoben, aber „weggehen

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