Grenze - Hinterland Magazin
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grenze<br />
den Hierarchien untereinander<br />
und denen der „Ghettos“, den<br />
chaotischen Orten migrantischer<br />
Selbstorganisation entlang der<br />
Migrationsrouten. Humor hilft<br />
ihnen, sich den Erinnerungen<br />
zu nähern, die sie alle teilen,<br />
und gleichzeitig Distanz herzustellen, vermute ich.<br />
Und mir hilft die Nähe zu ihnen und die Erfahrungen<br />
die wir teilen, eine andere, menschliche Dimension<br />
der Migration kennenzulernen, einen Blick zu entwikkeln<br />
für ihre Körper, ihre Materialitäten und Machtstrukturen,<br />
zu versuchen, eine Perspektive daraus zu<br />
machen, von der aus die <strong>Grenze</strong> sich anders erzählen<br />
lässt.<br />
Bruder, hast du 50 Cent?<br />
Wir überqueren den Parkplatz und laufen am Frachthafen<br />
entlang. Yolga und Klen sind ordentlich gekleidet,<br />
die Rastalocken säuberlich geflochten, selbstsicher<br />
wirken sie. Wir passen gegenseitig auf uns auf,<br />
sie auf mich in der manchmal etwas diffusen Welt am<br />
Rande unserer Gesellschaft, ich auf sie in der Öffentlichkeit,<br />
wo ich mit meiner hellhäutigen, blonden<br />
Erscheinung vermutlich das Stereotyp einer klandestinen<br />
Flüchtlingsgruppe sprenge. Vor uns taucht ein<br />
Afrikaner auf, er trägt eine auffällige Arbeitsuniform<br />
mit Neonstreifen, „mein Bruder“, begrüßt ihn Yolga<br />
und stellt sich dann vor. Sami jobbt als Parkeinweiser,<br />
er ist stolz, Arbeit zu haben. „Ihr müsst Euch bei<br />
Vovis bewerben“, sagt er, „aber es gibt eine lange<br />
Warteliste. Manche haben Glück, andere warten sechs<br />
Monate oder ein ganzes Jahr. Ihr müsst hartnäckig<br />
sein, jeden Tag nachfragen“. Vovis ist eine NGO, die<br />
gegründet wurde, um sozial schwache Spanier und<br />
Spanierinnen zu unterstützen. Sie bietet aber auch als<br />
einzige Organisation weit und breit die Möglichkeit,<br />
ohne Papiere und trotz Arbeitsverbots Geld zu verdienen.<br />
Ein Mercedes biegt ein, Klen und zwei seiner<br />
Kollegen spurten los, winken, pfeifen, rufen „weiter,<br />
weiter, weiter“ und fuchteln mit den Armen. Das<br />
Auto folgt, die junge Frau am Steuer schaltet den<br />
Motor aus, Klen wartet neben dem Wagen. Sie steigt<br />
aus, gibt eine Münze und geht schnell davon. 60 Cent<br />
kostet das „Ticket“, ein Kinokarten-ähnlicher Abriss,<br />
auf dem die Organisation für die Spende dankt. Sami<br />
öffnet seine Hand, sagt „Seht Ihr!“ und zeigt uns eine<br />
Euro-Münze. Manche geben nichts, andere, wie die<br />
junge Frau gerade eben, runden auf. „Du kannst<br />
arbeiten so lange du willst“, wenn man Acht- oder<br />
gar Zwölf-Stunden-Schichten leiste, verdiene man bis<br />
zu 800 Euro im Monat. Yolga ist schweigsam geworden,<br />
am liebsten würde er hierbleiben und sofort die<br />
Yolga fragt seinen Bekannten<br />
nach Kontakten, die Arbeit haben<br />
könnten, doch der schüttelt den<br />
Kopf. „La crisis“, sagt er.<br />
Arbeit antreten. So hat er sich<br />
Europa doch vorgestellt: Einmal<br />
über den Hafen laufen, Arbeit<br />
finden und pro Monat 200 Euro<br />
an seine arme Mutter schicken,<br />
die er seit seiner Jugend unterstützt.<br />
Sie wartet, ohne ihn nagt<br />
sie am Hungertuch. Wir verabschieden uns, „Bruder“,<br />
sagt Klen, „gib mir ein paar Cent für eine Zigarette“,<br />
und Sami kramt 50 Cent aus seiner Tasche. Freude,<br />
Gelächter, Abschied.<br />
Vom Abenteuer in die Krise<br />
Neben einem marokkanischen Café, in dem nachmittags<br />
viele der allgegenwärtigen Schwarzhändler zu<br />
finden sind, treffen wir einen Bekannten aus dem<br />
Senegal, der sich seine eigene ökonomische Nische<br />
geschaffen hat: Er hat zwar keine Papiere, aber ein<br />
Zimmer in der Wohnung eines Bekannten, das er<br />
gegen Geld mit Touristen oder Landsleuten teilt, die<br />
er – selbst als Tourist getarnt – am Hafen kennenzulernen<br />
versucht. Yolga fragt ihn nach Kontakten, die<br />
Arbeit haben könnten, doch der Bekannte schüttelt<br />
den Kopf. „La crisis“, sagt er, ganz so wie die meisten<br />
Spanier und Spanierinnen, wenn man sie fragt, wie es<br />
ihrem Land geht. Doch in diesem Fall kommt<br />
erschwerend hinzu, dass Yolga und Klen laut Gesetz<br />
nicht arbeiten dürfen. Erst wenn sie nachweisen können,<br />
drei Jahre im Land gewesen zu sein, keinerlei<br />
Probleme mit der Justiz und einen Arbeitsvertrag in<br />
Petto zu haben, erst dann haben sie Aussichten auf<br />
eine Arbeitserlaubnis.<br />
Wenn er je Papiere haben sollte, werde er Business<br />
mit Afrika machen, meint Yolga. Oder ins Migrationsgeschäft<br />
einsteigen, denn Migrierende reisen mit<br />
Ersparnissen, und je enger die <strong>Grenze</strong>n werden,<br />
umso mehr Geld lässt sich damit verdienen. Das wissen<br />
die Polizei, die Leute die Visa und Pässe fälschen,<br />
die Schlepperbanden, die Fahrerinnen und Fahrer, die<br />
Personen die Essen verkaufen, die Banditen. Yolga<br />
hat Koffer und Kleidung verkauft, als er verstand,<br />
worauf er sich eingelassen hatte, sein Geld versteckte<br />
er außerhalb der Zelte oder Zimmer, ehe er zu Bett<br />
ging – was ihm zu Gute kam, als er in Algerien verhaftet<br />
und in die malische Wüste abgeschoben<br />
wurde. Ausgerechnet nach Tinsawaten. „Wenn du auf<br />
Abenteuer sagst, dass du in Tinsawaten warst, respektieren<br />
dich alle“, sagt Yolga und fügt hinzu: „Five<br />
kilometers to hellfire“. Er aber hatte noch genug<br />
Geld, um von dort erneut nach Nordalgerien zu fahren.<br />
Klen lacht und stimmt zu, auch er wurde mehrmals<br />
erwischt und abgeschoben, aber „weggehen