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Die Stimmen der Arbeiterinnen - Christliche Initiative Romero eV

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egrenzte. Serbien ist nun gezwungen, die Handelsleitlinien<br />

und -regelungen <strong>der</strong> EU zu akzeptieren (wie z.B. die<br />

Herkunftsrichtlinien) und produziert somit unter ähnlichen<br />

Bedingungen wie denen zwischen Deutschland und dem<br />

ehemaligen Jugoslawien in den siebziger Jahren. Es musste<br />

seinen Markt für EU-Textilien öffnen, kann selbst in die EU<br />

aber nur unter PLV-Bedingungen exportieren und produzieren.<br />

Für Serbien bedeutet das: ein protektionistisches<br />

System wurde durch ein an<strong>der</strong>es, das PLV-System, ersetzt.<br />

Vergleich zwischen Passiver Lohnveredlung<br />

und Welttextilabkommen<br />

Das PLV-System <strong>der</strong> EU und das Welttextilabkommen <strong>der</strong><br />

WTO (ATC) sind auf den ersten Blick kaum vergleichbar.<br />

Beide haben jedoch ähnliche Auswirkungen: sie erzeugen<br />

künstliche, scheinbar boomende Wirtschaftsstrukturen wie<br />

die explosionsartig wachsenden Bekleidungsindustrien von<br />

Bangladesh o<strong>der</strong> Bulgarien o<strong>der</strong> Mittelamerika („maquiladoras”),<br />

<strong>der</strong>en hochgradige Abhängigkeit, Instabilität und<br />

Flexibilität, gepaart mit unmenschlichen Arbeitsbedingungen<br />

ihre Existenz überhaupt erst ermöglichen.<br />

Nirgendwo haben solche Industrien zu sozialer Entwicklung<br />

geführt; Wohlstand ist nirgends nach unten „durchgesickert”<br />

(trickle down). Dafür jedoch ist in Osteuropa eine quasikoloniale<br />

Struktur entstanden, die von Hannes Hofbauer<br />

als „Peripherisierung Osteuropas” 17 bezeichnet wird.<br />

Das Ende <strong>der</strong> Lohnveredlung für die Län<strong>der</strong>, die jetzt Mitglie<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> EU sind, fällt zeitlich mit dem Auslaufen des<br />

Welttextilabkommens zusammen, was sich auf die Region<br />

einschließlich die Türkei aber nur bedingt auswirkt.<br />

Dennoch: einheimische und internationale Auftraggeber<br />

machen sich dieses Auslaufen zu Nutze, indem sie mit Produktionsverlagerung<br />

in an<strong>der</strong>e Ecken <strong>der</strong> Welt drohen und<br />

damit die lokalen Produzenten massiv unter Druck setzen.<br />

Tatsächlich wird Standardware zunehmend im Fernen<br />

Osten hergestellt, doch dank seiner größeren Marktnähe<br />

und vergleichbar geringen Kosten wird Osteuropa seine<br />

Attraktivität im Standortwettbewerb noch eine Weile<br />

behaupten.<br />

Ein ganzer Stadtteil von Istanbul besteht aus Nähstuben.<br />

<strong>Die</strong> Türkei – die regionale Tigermacht<br />

Im Gegensatz zu Osteuropa ist die Türkei sowohl ein<br />

bedeutendes Textil- als auch Bekleidungsproduktionsland,<br />

das stärkste <strong>der</strong> gesamten Euro-Mittelmeer-Zone. <strong>Die</strong> türkische<br />

Industrie erfasst die gesamte textile Kette vom<br />

Baumwollanbau bis zu den letzten Stadien <strong>der</strong> Bekleidungsherstellung.<br />

Türkische Hersteller sind auch Hauptauftraggeber<br />

nach Bulgarien, Rumänien und Mazedonien o<strong>der</strong><br />

noch weiter nördlich. <strong>Die</strong> Türkei hat es in den letzten<br />

zwanzig Jahren geschafft, seine Industrie einem Strukturwandel<br />

zu unterziehen und ist von niedriger Qualität und<br />

Standardware auf Waren hoher Qualität und hoher Wertschöpfung<br />

teilweise umgestiegen.<br />

Dennoch ist gerade angesichts ihrer Bedeutung <strong>der</strong> Kontrast<br />

zu den realen Arbeitsbedingungen in dieser Industrie<br />

noch frappieren<strong>der</strong> als in Osteuropa. Unsere Recherchen<br />

und an<strong>der</strong>e Studien zeigen, dass außer den „üblichen” Verletzungen<br />

von Kernarbeitsnormen in großem Umfang auch<br />

Kin<strong>der</strong>arbeit auftritt, dass sich die Unternehmer vorwie-<br />

17 Hannes Hofbauer. Osterweiterung. Vom Drang nach Osten zur peripheren<br />

EU-Integration, Promedia Verlagsges. Wien 2003<br />

9

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