09.01.2013 Aufrufe

Die Stimmen der Arbeiterinnen - Christliche Initiative Romero eV

Die Stimmen der Arbeiterinnen - Christliche Initiative Romero eV

Die Stimmen der Arbeiterinnen - Christliche Initiative Romero eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

6<br />

aus <strong>der</strong> EU nach Osteuropa und weiter gen Osten zu verlagern.<br />

Mit an<strong>der</strong>en Worten: die osteuropäischen Län<strong>der</strong> sind<br />

von Aufträgen <strong>der</strong> EU-Bekleidungsunternehmen äußerst<br />

abhängig geworden.<br />

Beschäftigung in <strong>der</strong> Bekleidungsindustrie<br />

<strong>Die</strong> osteuropäische Bekleidungsindustrie ist seit <strong>der</strong><br />

,Wende’ bis zum Beginn dieses Jahrhun<strong>der</strong>ts rasant<br />

gewachsen. Jahr um Jahr kamen tausende von Produktionsstätten<br />

hinzu. 90 bis 95% <strong>der</strong> Beschäftigten sind Frauen,<br />

während Geschäftsleitung und Besitz meist in männlicher,<br />

teilweise ausländischer Hand liegen. Mehr als die Hälfte<br />

aller Jobs in <strong>der</strong> Branche innerhalb <strong>der</strong> EU 27 sind in den<br />

neuen Mitgliedslän<strong>der</strong>n registriert5 . Wenn Rumänien und<br />

Bulgarien 2007 in die EU kommen, steuern sie gut die<br />

Hälfte aller Beschäftigten in <strong>der</strong> Textil- und Bekleidungsindustrie<br />

<strong>der</strong> 12 neuen Län<strong>der</strong> bei6 .<br />

<strong>Die</strong> T&B-Branche, vor allem aber die Bekleidungsindustrie,<br />

beschäftigt 24% aller Industriearbeitskräfte in Litauen,<br />

30% in Bulgarien, 40% in <strong>der</strong> Türkei, 15% in <strong>der</strong> Slowakei,<br />

14% in Estland, 13% in Polen und 10% in Tschechien.<br />

Demgegenüber lag <strong>der</strong> Durchschnitt <strong>der</strong> EU 15-Mitgliedsstaaten<br />

nur bei 7,5% 7 .<br />

Der Handel mit Textil und Bekleidung ist hochgradig reguliert<br />

und von den verschiedenen Interessengruppen beeinflusst,<br />

wenn auch diese Lobby weniger Schlagzeilen verursacht als<br />

zum Beispiel die Stahllobby. <strong>Die</strong> Brancheninteressengruppen<br />

haben wesentlich das Welttextilabkommen (ATC) bzw. Multifaserabkommen<br />

(MFA) und in Europa das PLV-System mitbestimmt.<br />

Beide Handelsregime – Welttextilabkommen und<br />

PLV <strong>der</strong> EU – hatten vergleichbare Auswirkungen auf die<br />

Herstellerlän<strong>der</strong>, denn <strong>der</strong>en Verhandlungsmacht war <strong>der</strong>jenigen<br />

<strong>der</strong> Staaten mit den hauptsächlichen Absatzmärkten<br />

und den größten Handelshäusern weit unterlegen.<br />

Passive Lohnveredlung – eine Sackgasse für<br />

ArbeiterInnen und Volkswirtschaften<br />

Ähnlich <strong>der</strong> US-Handelspolitik in Bezug auf die Staaten des<br />

Karibischen Beckens, Mittelamerikas und die AGOA 8 -Staaten<br />

9 , errichtete die EU in den neunziger Jahren gegenüber<br />

den osteuropäischen Staaten einen Handels- und Investitionsmechanismus,<br />

<strong>der</strong> den Export von textilen Produkten<br />

und halbfertiger Bekleidung nach Osteuropa begünstigt,<br />

wo diese zu Niedrigkosten zusammengenäht werden. Ein<br />

Auftraggeber liefert alle Materialien an den Produzenten,<br />

<strong>der</strong> nur die Arbeit zur Verfügung stellt, wonach <strong>der</strong> Auftraggeber<br />

die fertigen Waren reimportiert. <strong>Die</strong>se Art von<br />

Bekleidungsproduktion, bekannt als Passive Lohnveredlung<br />

(PLV) o<strong>der</strong> „Lohnsystem” 10 , wird durch die EU-Importzölle<br />

begünstigt, denn wenn ein Einzelhändler o<strong>der</strong> EU-Konfektionär<br />

textile Produkte o<strong>der</strong> halbfertige Bekleidung ausund<br />

fertige Bekleidung einführt, werden Zölle nur auf den<br />

im Ausland hinzugekommenen – relativ geringen – Zusatzwert<br />

fällig. So entfallen auf die Betriebe in einem PLV-<br />

Land nur die arbeitsintensiven, min<strong>der</strong> profitablen Arbeitsschritte<br />

wie Zuschneiden, Nähen und Verpacken, während<br />

die ertragreicheren wie das Design und das Marketing im<br />

dem Land bleiben, in dem <strong>der</strong> Einzelhändler o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Konfektionär<br />

ansässig ist. <strong>Die</strong>ses System haben sich vor allem<br />

deutsche Unternehmen zu Nutze gemacht: Ungefähr 30%<br />

aller deutschen Bekleidungsimporte stammen aus PLV-Län<strong>der</strong>n.<br />

Ungefähr 80% aller Bekleidungsexporte von Osteuropa<br />

nach Deutschland werden in passiver Lohnveredlung<br />

hergestellt, in einigen Län<strong>der</strong>n sogar mehr als 95%.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e Hersteller (Konfektionäre) nutzen dieses System<br />

– mehr als die Einzelhändler. Unternehmen wie Steilmann<br />

o<strong>der</strong> Gerry Weber vergeben Lohnaufträge z.B. an rumänische<br />

Lieferanten und verkaufen die Waren an Einzelhändler wie<br />

Marks & Spencer o<strong>der</strong> C&A. <strong>Die</strong> Vorteile für die Unternehmen<br />

liegen auf <strong>der</strong> Hand: die Produktion im Ausland erfor<strong>der</strong>t<br />

kaum Investitionen (alles, was man braucht, sind Nähmaschinen<br />

und NäherInnen, die es überall auf <strong>der</strong> Welt gibt)<br />

und außerdem profitieren die westeuropäischen Auftraggeber<br />

von einem hohen Niveau an Flexibilität. Das PLV-<br />

5 ebenda<br />

6 Gray, Alex (2004): MFA Phase Out Impact on the New Countries Joining the<br />

EU, Just Style, April 2004<br />

7 Jozef De Coster, 2004: The Apparel Industry in the ten EU Accession States,<br />

Management Briefing<br />

8 AGOA: African Growth and Opportunity Act von 2000, unterzeichnet von 37<br />

afrikanischen Staaten, beinhaltet u.a. Vereinbarungen über die Liberalisierung<br />

<strong>der</strong> Märkte dieser Län<strong>der</strong><br />

9 Clean Clothes Campaign: Made in Southern Africa, 2002, S. 9-15<br />

10 als nichtübersetzter Begriff in die Fachsprache <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> eingegangen

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!