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Die Stimmen der Arbeiterinnen - Christliche Initiative Romero eV

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ArbeiterInnen trotz Gesetz ungeschützt, denn in <strong>der</strong> Schattenwirtschaft<br />

sind sie unsichtbar. <strong>Die</strong> direkten Zulieferer<br />

<strong>der</strong> Markenfirmen vergeben Unteraufträge an eine zweite<br />

Reihe von Unterauftragnehmern und diese mitunter an<br />

eine dritte. Am Ende <strong>der</strong> Beschaffungskette steht die informelle<br />

Wirtschaft, in <strong>der</strong> es keine Gewerkschaften, keine<br />

regulären Beschäftigungsverhältnisse und keinen Sozialversicherungsschutz<br />

gibt. Dafür jedoch Kin<strong>der</strong>arbeit, exzessive<br />

Überstunden und Ausfälle gegenüber Frauen. Was nicht<br />

heißen soll, dass eingetragene Firmen nicht auch Probleme<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> Einhaltung <strong>der</strong> internationalen Standards<br />

und unternehmenseigener Verhaltenskodizes haben.<br />

Wer in die Gewerkschaft geht, fliegt raus<br />

Aus Sicht <strong>der</strong> Arbeitsbeziehungen in <strong>der</strong> türkischen Bekleidungsindustrie<br />

ist entscheidend, dass es kaum Gewerkschaften<br />

gibt. Um an Tarifverhandlungen teilnehmen zu<br />

können, muss eine Gewerkschaft mindestens 10% aller in<br />

<strong>der</strong> Branche Beschäftigten sowie über 50% <strong>der</strong> Beschäftigten<br />

im jeweiligen Unternehmen als Mitglie<strong>der</strong> haben. <strong>Die</strong>se<br />

Klausel unterdrückt Tarifverhandlungen als solche, denn<br />

von den neun Gewerkschaften, die es in <strong>der</strong> Bekleidungsund<br />

Textilindustrie gibt, haben nur drei das Recht, für ihre<br />

Mitglie<strong>der</strong> zu verhandeln. Bei den restlichen sechs Gewerkschaften<br />

ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass sie die<br />

10%-Hürde überwinden.<br />

Laut einer Befragung, die <strong>der</strong> türkische Textilarbeitgeberverband<br />

1999 unter 87 Mitgliedsfirmen mit insgesamt<br />

38.696 ArbeiterInnen durchführte, gehören 74,9% <strong>der</strong><br />

ArbeiterInnen TEKSIF (Dachverband Turk-Is), 14% – OZI-<br />

PLIK-IS (Dachverband Hak-Is) und 11,1% – TEKSTIL (Dachverband<br />

Disk) an. 2003 stellte das Arbeitsministerium in<br />

einem Bericht fest, dass die oben genannte Klausel den<br />

Effekt <strong>der</strong> Bevorzugung <strong>der</strong> etablierten Gewerkschaften<br />

hat, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong>er, die Turk-Is angeschlossen sind, einem<br />

Gewerkschaftsdachverband, dem ungefähr 80% <strong>der</strong> organisierten<br />

Arbeiterschaft angehört. Der IBFG berichtet, dass,<br />

resultierend aus diesem Gesetz, in vielen Wirtschaftsbranchen<br />

die ArbeiterInnen nicht durch Tarifverträge geschützt<br />

sind. <strong>Die</strong> IAO hat die türkische Regierung aufgefor<strong>der</strong>t, die<br />

10%-Klausel abzuschaffen, da diese einen Verstoß gegen<br />

die IAO-Konvention 98 über das Recht auf Vereinigungsfreiheit<br />

und Kollektivverträge darstellt. Allerdings sind<br />

sowohl Turk-Is, als auch <strong>der</strong> Verband Türkischer Arbeitgeber<br />

für die Beibehaltung <strong>der</strong> 10%-Klausel, da beide mit<br />

ihren Mitglie<strong>der</strong>zahlen gut etabliert sind. <strong>Die</strong> Regierung<br />

hat keinen Än<strong>der</strong>ungsvorstoß unternommen.<br />

Empfehlungen<br />

<strong>Die</strong> ArbeiterInnen, die für ihre gesetzlich verbrieften Rechte<br />

kämpfen, brauchen Unterstützung. <strong>Die</strong> größten Hin<strong>der</strong>nisse<br />

für diejenigen, denen ihre Rechte bewusst sind, sind<br />

die unzulänglichen Rechtsgarantien in Bezug auf Kollektivverhandlungen<br />

und Vereinigungsfreiheit. Wer versucht, sich<br />

einer Gewerkschaft anzuschließen, wird normalerweise<br />

gefeuert, und das wissen die ArbeiterInnen. Auch wenn<br />

Arbeitgebern für ein solches Vorgehen von einem bis drei<br />

Jahren Gefängnis droht, ist es für die ArbeiterInnen außerordentlich<br />

schwierig nachzuweisen, dass sie wegen gewerkschaftlicher<br />

Aktivitäten entlassen worden sind. Viele ArbeiterInnen<br />

haben auch deshalb kein ordentliches Arbeitsverhältnis,<br />

weil die Registrierung ein umständlicher juristischer<br />

Vorgang ist und die Kontrollverfahren <strong>der</strong> Sozialversicherungsinspektoren<br />

ineffektiv sind: Arbeitgeber können<br />

Inspektoren, <strong>der</strong>en Job es ist, die Beschäftigten zu registrieren,<br />

leicht bestechen.<br />

Es ist notwendig, Organisationen ins Leben zu rufen, die mit<br />

den Gewerkschaften zusammenarbeiten und die Vereinigungsbestrebungen<br />

<strong>der</strong> ArbeiterInnen so lange unterstützen,<br />

bis es ihnen gelungen ist, eine richtige Gewerkschaft zu bilden.<br />

Ebenso wichtig ist es, die Öffentlichkeit über den Nutzen<br />

<strong>der</strong> Vereinigungsfreiheit aufzuklären, um den notwendigen<br />

Druck auf die Politiker zu erzeugen, damit das Gesetz<br />

im Sinne <strong>der</strong> IAO-Konvention geän<strong>der</strong>t wird.<br />

Eine genauere Kenntnis <strong>der</strong> Beschaffungsketten würde es<br />

erlauben, die Realität <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>arbeit, <strong>der</strong> übermäßigen<br />

Überstunden, <strong>der</strong> Belästigung von Frauen, <strong>der</strong> Diskriminierung,<br />

<strong>der</strong> Niedriglöhne und <strong>der</strong> unsicheren Jobs ans Licht<br />

zu bringen.<br />

Nicht zuletzt müssen die Markenfirmen ihrer Verantwortung<br />

für die Arbeitsbedingungen innerhalb <strong>der</strong> gesamten<br />

Lieferkette nachkommen. Solch ein Schritt würde helfen,<br />

die informellen in registrierte und überprüfbare Produktionsstätten<br />

umzuwandeln.<br />

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