Die Stimmen der Arbeiterinnen - Christliche Initiative Romero eV
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Wenn sich ein/e ArbeiterIn nicht gut fühlt, darf er/sie<br />
theoretisch ausruhen, aber es wird berichtet, dass eine<br />
Frau, die in Ohnmacht gefallen war, verhöhnt wurde,<br />
„schon früh um 7 k.o. zu sein”. Arztbesuche sind erlaubt,<br />
aber nicht gut für das Ansehen des Arbeiters/<strong>der</strong> Arbeiterin.<br />
<strong>Die</strong> Fabrik zahlt für medizinische Vorsorge, nicht aber<br />
die Behandlung. ArbeiterInnen, die sich krankschreiben lassen,<br />
sind „die Ersten auf <strong>der</strong> Abschussliste” für disziplinarische<br />
Entlassungen. Rückenbeschwerden und Allergien halten<br />
we<strong>der</strong> die NäherInnen noch die Geschäftsleitung für<br />
Krankheiten. Der Arbeitgeber hält die ArbeiterInnen an,<br />
Arbeitsunfälle nicht zu melden. Eine Person, die einen<br />
Unfall meldete, verlor später ihre Stelle.<br />
Es gibt Ventilatoren, aber keine Klimaanlage. Im Sommer<br />
steigt die Temperatur auf 30, im Winter fällt sie auf 3 bis 5<br />
Grad.<br />
Psychoterror, Beleidigung und Demütigung gehören zum<br />
Alltag <strong>der</strong> Beschäftigten. Auch <strong>der</strong> Qualitätskontrolleur des<br />
Auftraggebers behandelt sie nicht besser.<br />
<strong>Die</strong> Stühle sind unbequem und nur eine Gruppe hat neue<br />
verstellbare Stühle. Viele Arbeiten müssen im Stehen verrichtet<br />
werden. Immer, bevor ein Arbeitsinspektor zur Kontrolle<br />
erscheint, bekommen die jeweiligen ArbeiterInnen<br />
Stühle hingestellt, dürfen sie aber nicht benutzen. Nur<br />
langsam werden die alten Stühle ausgetauscht.<br />
Fazit<br />
Der Arbeitgeber will die Gewerkschaft isolieren und den<br />
Tarifvertrag, den er ohnehin nicht respektiert, loswerden.<br />
<strong>Die</strong> größten Probleme sind Überstunden, schlechte Entlohnung<br />
und Demütigung <strong>der</strong> ArbeiterInnen. Das Management<br />
teilt und herrscht: <strong>der</strong> Gruppenakkord, so die Frauen,<br />
verhin<strong>der</strong>t von vorn herein, dass unter den ArbeiterInnen<br />
Solidarität aufkeimt. Genau das scheint beabsichtigt, denn<br />
so lange die Beschäftigten uneinig sind, können sie sich<br />
nicht zusammen tun. Zu eben diesem Zweck zeigt man<br />
einzelnen ArbeiterInnen die Lohnabrechnung von KollegInnen<br />
und sät Neid und Missgunst.<br />
<strong>Die</strong> einzige gangbare Lösung scheint zu sein, dass die VertreterInnen<br />
von Hugo Boss die polnischen Manager zwin-<br />
gen, die ArbeiterInnen mit Respekt zu behandeln. Das<br />
betrifft beson<strong>der</strong>s den Qualitätskontrolleur von Hugo Boss,<br />
<strong>der</strong> die ArbeiterInnen beleidigt und beschimpft. Schließlich<br />
halten die ArbeiterInnen und die Gewerkschaft still nur aus<br />
Angst, ihre Aufträge zu verlieren, was den Bankrott <strong>der</strong><br />
Fabrik bedeuten würde.<br />
Es ist schwierig abzuschätzen, ob die Fabrik es sich leisten<br />
kann, höhere Löhne zu zahlen. <strong>Die</strong> ArbeiterInnen glauben,<br />
dass <strong>der</strong> Inhaber ein Darlehen aufnahm, um die Fabrik zu<br />
kaufen, und den Ertrag benötigt, es zurückzuzahlen. Ohne<br />
einen vollständigen finanziellen Überblick ist es schwer<br />
abzuschätzen, welche Konsequenzen Lohnerhöhungen hätten.<br />
Wenn man die Löhne heute mit denen vergleicht, die<br />
zu Zeiten <strong>der</strong> Insolvenz gezahlt wurden, erscheint eine<br />
Erhöhung durchaus möglich. Allerdings wäre die Intervention<br />
von Hugo Boss notwendig, das Management dazu zu<br />
bringen, einen annehmbaren Tarifvertrag zu unterzeichnen,<br />
<strong>der</strong> dann von allen Beteiligten respektiert werden muss<br />
und von dem alle Stakehol<strong>der</strong> profitieren würden.<br />
Fabrik B<br />
<strong>Die</strong> Fabrik wurde 1948 gegründet. Heute hat sie über 500<br />
Beschäftigte und stellt Mäntel, Herren- und Damenanzüge,<br />
Shirts, Röcke und Uniformen her, hauptsächlich im PLV-<br />
System. <strong>Die</strong> Marken und Auftraggeber sind Ascot, Aston,<br />
Slima (Großbritannien), Kentucky und die deutsche Bundeswehr,<br />
Polizei und Grenzschutz. Mitunter werden Anteile<br />
<strong>der</strong> Produktion auf Heimarbeiterinnen verteilt. Es ist allgemein<br />
bekannt, dass die ArbeiterInnen in dieser Fabrik<br />
schlecht behandelt werden. Da aber die ganze Region<br />
unter struktureller Arbeitslosigkeit leidet und während <strong>der</strong><br />
letzten Jahre alle großen Betriebe Bankrott gemacht<br />
haben, hält man es für das kleinere Übel, für diese Firma zu<br />
arbeiten.<br />
<strong>Die</strong> ArbeiterInnen glauben, dass es Zwangsarbeit in <strong>der</strong><br />
Fabrik dadurch gibt, dass ihnen nicht erlaubt wird, Überstunden<br />
zu verweigern. Eine Weigerung kann zu Geldstrafe,<br />
Zurückstufung auf eine schlechter bezahlte Stelle, eine<br />
Abmahnung o<strong>der</strong> gar zu Entlassung führen.<br />
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