Die Stimmen der Arbeiterinnen - Christliche Initiative Romero eV
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Herstellungspreis für eine Jacke: 10,- €<br />
– Verkaufspreis: 50,- €<br />
<strong>Die</strong> Fabrik produziert für C&A, die Jones Apparel Gruppe<br />
und Marken wie Timberland und Gerry Weber. Zudem<br />
arbeitet sie für einen größeren bulgarischen Lieferanten in<br />
Plovdiv, die für Fe<strong>der</strong>ated Department Stores in den USA<br />
und Marks & Spencer in Großbritannien produziert.<br />
Männer sind privilegiert – Frauen werden<br />
schlecht behandelt<br />
In <strong>der</strong> Firma sind 50 bis 60 ArbeiterInnen angestellt, die<br />
meisten von ihnen sind Frauen. Zwischen fünf und zehn<br />
Männer nähen und bügeln, vier <strong>der</strong> sechs VorarbeiterInnen<br />
sind Männer. Männer werden bevorzugt behandelt. Sie gelten<br />
als zuverlässiger, da sie sich weniger um die Familie zu<br />
kümmern brauchen. Eine <strong>der</strong> befragten <strong>Arbeiterinnen</strong><br />
berichtete über ungleichen Lohn für die gleiche Arbeit, was<br />
vom Arbeitgeber willkürlich festgelegt werde, <strong>der</strong> Männer<br />
eben bevorzuge.<br />
Ausschlaggebend<br />
sei auch, ob frau<br />
dem Verwandtenkreis<br />
angehört o<strong>der</strong><br />
ob sie sich sexuell<br />
von ihm belästigen<br />
lasse. Es gäbe zwar<br />
keine offene Diskriminierung<br />
auf<br />
Grund des Geschlechtes,ethnischen<br />
Ursprung<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Religion,<br />
aber indirekt werde dies „in den willkürlichen persönlichen<br />
Präferenzen” sichtbar. Einstellungen solcher Art finden allgemein<br />
durchaus Akzeptanz. Frauen werden nicht nur<br />
ungleich entlohnt, es kommt auch vor, dass Männer bei<br />
gleich hoher Entlohnung ein niedrigeres Soll bekommen.<br />
Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Frauen erst drei<br />
o<strong>der</strong> vier Jahre in <strong>der</strong> Firma arbeiten müssen, bevor sie<br />
schwanger werden und den ihnen vom Gesetzes wegen<br />
zustehenden Mutterschaftsurlaub nutzen „dürfen”. Frauen<br />
haben sich regelmäßig einem Schwangerschaftstest zu<br />
unterziehen, durchgeführt von einer voll beschäftigten<br />
Hebamme. Schwangere Frauen, die nicht lange genug in<br />
<strong>der</strong> Firma gearbeitet haben, werden hinausgeworfen,<br />
indem ihre kurz befristeten Verträge einfach nicht verlängert<br />
werden.<br />
Min<strong>der</strong>jährige, nicht registrierte ArbeiterInnen<br />
Nach dem bulgarischen Arbeitsgesetz ist das Mindestalter<br />
für einen regulären Job 16 Jahre. Trotzdem werden jüngere<br />
ArbeiterInnen im Alter von 14 und 15 Jahren angestellt,<br />
die während <strong>der</strong> Schulferien in <strong>der</strong> Fabrik arbeiten. Eine<br />
Arbeiterin hatte mit einem 15-jährigen Jungen gesprochen,<br />
dem Sohn einer Näherin, <strong>der</strong> acht Stunden am Tag „leichte<br />
Arbeit” verrichtete. Das verstößt eindeutig gegen das<br />
Gesetz, so dass man davon ausgehen kann, dass diese Min<strong>der</strong>jährigen<br />
nicht, wie vorgeschrieben, bei <strong>der</strong> Arbeitsinspektion<br />
registriert werden.<br />
„Gewerkschaft? – Unvorstellbar!”<br />
Eine Gewerkschaft gibt es in <strong>der</strong> Firma nicht und die<br />
ArbeiterInnen bezweifelten, dass es jemals eine gegeben<br />
hat. Sie hielten es geradezu für ausgeschlossen, sich<br />
gewerkschaftlich zu organisieren. Es gibt keine Interessenvertretung<br />
und keine Möglichkeit, über den Lohn o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Einschränkung <strong>der</strong> übermäßigen Überstunden mit dem<br />
Arbeitgeber zu verhandeln.<br />
Wenn eine Arbeiterin kündigt, wird <strong>der</strong>en Soll auf die restlichen<br />
ArbeiterInnen verteilt – ohne Vergütung <strong>der</strong> Mehrarbeit.<br />
Durch eine solche „Bestrafung” werden Konflikte<br />
zwischen NäherInnen geschürt; und je mehr böses Blut,<br />
desto geringer ist die Gefahr, gegenüber dem Arbeitgeber<br />
gemeinsam aufzutreten.<br />
Löhne unterhalb des Existenzminimums<br />
<strong>Die</strong> befragte Näherin bestätigte, den gesetzlichen Mindestlohn<br />
zu erhalten, d.h. 55 € pro Monat (48 € nach Steuern,<br />
2004). Nach ihrer Einschätzung reicht diese Summe nicht<br />
aus, um ihren Einpersonenhaushalt zu unterhalten, wozu