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die kraft des neubeginns INTERVIEW › Mathias Voigt, Literaturtest FOTOS › Werner Schuering ansichtssache Hans-Olaf Henkel ist überzeugt, dass sich aus Tiefpunkten neue Kräfte gewinnen lassen und auch Deutschland seine Aufbauenergie dadurch mobilisieren kann. Aus seiner Sicht ist es nun an der Zeit, dass das Land seine Geschichte annimmt und sich auf seine schöpferischen Kräfte besinnt. Frei nach einem chinesischen Sprichwort: „Wenn alle Wege versperrt sind, dann gibt es nur einen Ausweg: den nach oben!“ Der Spezialist: Herr Henkel, Ihr neues Buch haben Sie „Die Kraft des Neubeginns“ genannt. Warum glauben Sie, dass wir einen Neubeginn brauchen? Und woher nehmen wir die Kraft dazu? Hans-Olaf Henkel: Es gibt kaum noch ein Leistungskriterium, in dem Deutschland im internationalen Vergleich nicht abgerutscht ist – von der Unfähigkeit, Arbeitsplätze zu schaffen, über die Rekordneuverschuldung bis hin zu PISA. Wenn das kein Grund ist! Jeder Neubeginn, jeder Anstoß entfaltet eine Eigendynamik, die man nutzen kann. Es ist fünf nach zwölf! Der Spezialist: Ihr neues Buch ist nicht nur Bestandsaufnahme und Handlungsanleitung für die Zukunft. Sie gehen in die Vergangenheit, bis zu Ihrer eigenen Kindheit, zurück. Sie wurden 1940 geboren, Ihr Vater ist an der Front gefallen. Wie hat er, den Sie nie persönlich kennen gelernt haben, Ihr Leben beeinfl usst? Hans-Olaf Henkel: Ich habe immer an ihn gedacht. Als ich mich nach 60 Jahren über den Briefwech sel zwischen meinem Vater, der von den Leiden an der ungarischen Front berichtete, und meiner Mutter, die über die Hamburger Bombennächte schrieb, hermachte, wurde mir deutlich, dass Deutsche nicht nur Täter, sondern auch Opfer des Nationalsozialismus sein konnten. Der Spezialist: Eines Ihrer Markenzeichen ist das braune Cordjackett. Es hat Ihrem Vater gehört. Erklären Sie uns, warum Sie dieses Jackett noch immer tragen. Ist es ein Symbol, und wenn ja, wofür steht es? Hans-Olaf Henkel: Mein Stiefvater hatte es mir 1958 geschenkt. Er selbst ließ es sich 1953 anfertigen. Ich habe noch viele Fotos von ihm in der Jacke. Ich trage sie nun schon seit fast 50 Jahren – und das Schöne ist: Sie passt mir immer noch! Wer kann das schon von sich sagen? Der Spezialist: Bestimmte Ereignisse der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte haben für Sie, wie es scheint, bis heute ihren Schrecken nicht verloren, Stichwort: Rote Armee Fraktion. Wie haben Sie diese Zeit erlebt, und welche Schlüsse ziehen Sie aus ihr für Gegenwart und Zukunft? Hans-Olaf Henkel: Ich habe das damals zunächst nur aus dem Ausland verfolgt. Aber nachdem meine guten Bekannten Alfred Herrhausen und Detlev Karsten Rohwedder ermordet wurden und man ein Forschungszentrum der IBM, für die ich damals verantwortlich war, in die Luft sprengte, kam die RAF auch an mich physisch näher ran. Als dann der Berliner Senat mit Steuermitteln in einer Ausstellung den „Mythos RAF“ drohte zu glorifi zieren, ist mir die Hutschnur geplatzt. Anscheinend vergisst man gern, dass diese Mör- ›25 Hans-Olaf Henkel wurde am 14. März 1940 in Hamburg geboren. Dort absolvierte er eine kaufmännische Lehre und ein Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Politik. 1962 trat er in die IBM Deutschland ein. Nach Aufenthalten in Deutschland, den USA, Asien und der europäischen Zentrale in Paris wurde er 1987 zum Vorsitzenden der Geschäftsführung der IBM Deutschland und 1993 zum Chef der IBM Europa, Mittlerer Osten und Afrika ernannt. Von 1995 bis 2000 war er Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e. V. (BDI). Seit Juli 2001 ist Henkel Präsident der Leibniz-Gemeinschaft. der Spezialist 33