Sexuell grenzverletzende Kinder â Praxisansätze und ihre ...
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dass mit dem Bemühen, sexuelle Auffälligkeiten von <strong>Kinder</strong>n theoretisch zu<br />
erfassen <strong>und</strong> praktisch zu behandeln der Blick auf jene <strong>Kinder</strong> verloren gegangen<br />
ist, die von diesem Verhalten geschädigt werden. Dies entspricht<br />
einem im Kontext des sexuellen Missbrauchs häufig anzutreffenden Wahrnehmungsmuster,<br />
demzufolge sich Praktiker <strong>und</strong> Forscher entweder auf<br />
„die Täter“ oder auf „die Opfer“ konzentrieren <strong>und</strong> auf diese Weise bestimmte<br />
Aspekte der Gesamtproblematik nicht ausreichend berücksichtigen.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der mangelhaften Forschungslage über die Folgen für<br />
die Opfer sexueller Übergriffe durch <strong>Kinder</strong> könnte sich eine Argumentation<br />
den Weg bahnen, derzufolge solche Taten für die Opfer möglicherweise<br />
„nicht so schlimm“ sind, zumal wenn als Vergleichsfolie der sexuelle<br />
Missbrauch eines Erwachsenen gegen ein hilfloses Kind herangezogen wird.<br />
Eine Sichtweise, wonach Interventionen bei sexuell übergriffigen <strong>Kinder</strong>n<br />
vor allem dem Zweck der Verhinderung von Sexualstraftaten im Jugend-<br />
<strong>und</strong> Erwachsenenalter verfolgen sollten, bedient genau eine solches Wahrnehmungsmuster:<br />
Nicht das, was passiert, ist schlimm, aber das, was in Zukunft<br />
daraus entstehen könnte. Integriert man aber beide Perspektiven,<br />
nämlich die zukunftsorientierte <strong>und</strong> die gegenwartsorientierte, so erscheint<br />
es notwendig, auch die Folgen für die Opfer zu berücksichtigen, um ein<br />
umfassendes Verständnis der Gesamtproblematik zu erlangen. Dazu Freud<br />
(1896, zit. n. Masson, 1995): „Die psychischen Folgen eines solchen<br />
<strong>Kinder</strong>verhältnisses sind ganz außerordentlich tiefgreifende; die beiden<br />
Personen bleiben für <strong>ihre</strong> ganze Lebenszeit durch ein unsichtbares Band<br />
miteinander verknüpft.“ (S.68).<br />
Einerseits ist zwar inzwischen viel bekannt ist über Charakteristika der<br />
Opfer von <strong>Kinder</strong>n (z.B. Alters- <strong>und</strong> Geschlechtsverteilung), andererseits<br />
aber fast gar nichts über die Auswirkungen, die diese Taten bei den betroffenen<br />
<strong>Kinder</strong>n nach sich ziehen. Eine der wenigen Untersuchungen dazu<br />
stammt von Sperry & Gilbert (2005). Die Autorinnen haben aus einer<br />
Stichprobe von 707 Studierenden Viktimisierungsdaten erhoben <strong>und</strong><br />
fanden, dass 8% der Befragten in <strong>ihre</strong>r Kindheit sexuellen Missbrauch<br />
durch Erwachsene oder Jugendliche erlebt haben (wobei die Mehrheit<br />
davon sexuelle Übergriffe durch Jugendliche angab), während 6% (8% der<br />
weiblichen <strong>und</strong> 4% der männlichen) Befragten von sexuellem Missbrauch<br />
durch andere <strong>Kinder</strong> (< 12 Jahre) berichteten. Ein Vergleich der Daten<br />
zwischen solchen Personen, die von Erwachsenen/Jugendlichen sexuell<br />
missbraucht wurden <strong>und</strong> solchen, die sexuelle Gewalt durch andere <strong>Kinder</strong><br />
erfahren hatten, brachte folgende Ergebnisse:<br />
<strong>Sexuell</strong>e Gewalt durch <strong>Kinder</strong> wird in etwa so häufig berichtet wie<br />
sexuelle Gewalt durch Jugendliche. <strong>Sexuell</strong>er Missbrauch durch Erwachsene<br />
macht nur etwa 10% aller berichteten sexuellen Gewalttaten<br />
aus.<br />
<strong>Sexuell</strong>e Übergriffe durch Jugendliche/Erwachsene fanden mit höherer<br />
Wahrscheinlichkeit innerhalb der Familie statt <strong>und</strong> wurden als<br />
intensiver/intrusiver erlebt.<br />
In der retrospektiven Bewertung wurden sexuelle Übergriffe durch<br />
<strong>Kinder</strong> als genauso negativ <strong>und</strong> schädigend eingeschätzt wie sexueller<br />
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