09.01.2013 Aufrufe

Sexuell grenzverletzende Kinder – Praxisansätze und ihre ...

Sexuell grenzverletzende Kinder – Praxisansätze und ihre ...

Sexuell grenzverletzende Kinder – Praxisansätze und ihre ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Das Problem der Unterscheidung zwischen entwicklungsangemessenem<br />

sexuellen Spiel <strong>und</strong> sexuellen Grenzüberschreitungen stellt sich bei<br />

sexuellen Interaktionen zwischen Geschwistern in gleicher Weise wie im<br />

außerfamiliären Kontext. Es kann aber angenommen werden, dass es<br />

innerhalb der Familie an einer „kritischen Öffentlichkeit“ (z.B. Erzieherinnen,<br />

Lehrkräfte,... ) fehlt, die korrigierend intervenieren kann, wenn es zu<br />

Übergriffen kommt. Innerhalb der Familie stehen allein die Eltern als<br />

korrigierende Instanz zur Verfügung. Da zu vermuten ist, dass innerhalb<br />

von Inzestsystemen weder eine ausreichende Fähigkeit noch Bereitschaft<br />

besteht, sexuelle Interaktionen zwischen Geschwistern kritisch zu reflektieren,<br />

liegt der Schluss nahe, dass (1) diese sexuellen Interaktionen nicht<br />

kontrolliert <strong>und</strong> beendet werden <strong>und</strong> (2) nach außen hin geheim gehalten<br />

werden, sodass die Dunkelziffer in diesem Bereich erheblich höher sein<br />

dürfte als bei sexuellen Übergriffen im institutionellen Kontext.<br />

Unbestritten ist, dass sexuelle Aktivitäten zwischen Geschwistern nicht<br />

auf einvernehmliche Aktivitäten im Sinne von „Doktorspielen“ beschränkt<br />

bleiben. Nowara & Pierschke (2005) fanden beispielsweise in einer großen<br />

Stichprobe sexuell übergriffiger <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> Jugendlicher (n = 324), die<br />

spezifischen Behandlungsmaßnahmen zugeführt worden waren, einen Anteil<br />

von 30%, die gegenüber einem anderen Familienmitglied sexuell übergriffig<br />

geworden waren. Dieser Anteil war in etwa so hoch wie jener von<br />

<strong>Kinder</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen, die <strong>ihre</strong> Opfer im Schul- oder Jugendhilfekontext<br />

sexuell misshandelten.<br />

Nowara & Pierschke (2005) identifizieren als familiäre Risikokonstellation<br />

vor allem Patchwork-Familien, in denen Eifersucht als Motiv<br />

für sexuelle Übergriffe von <strong>Kinder</strong>n gegenüber <strong>ihre</strong>n „neuen“ Geschwistern<br />

eine bedeutende Rolle zu spielen scheint (vgl. dazu auch Araji, 1997). Eine<br />

Häufung eines familiären Patchwork-Hintergr<strong>und</strong>es fand auch Klees (2008)<br />

in <strong>ihre</strong>r qualitativen Studie über 13 sexuell übergriffige <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> Jugendliche,<br />

von denen die meisten <strong>ihre</strong> ersten sexuellen Übergriffe bereits vor<br />

dem 10. Lebensjahr begangen hatten. Bezüglich familiärer Belastungsfaktoren<br />

scheinen sich diejenigen <strong>Kinder</strong>, die <strong>ihre</strong> Geschwister sexuell<br />

misshandeln, nicht von anderen sexuell auffälligen <strong>Kinder</strong>n zu unterscheiden<br />

(Abwesenheit von Elternteilen, feindselige Familienatmosphäre,<br />

vielfache körperliche <strong>und</strong> emotionale Misshandlungserfahrungen). Charakteristisch<br />

für Geschwisterinzest scheinen der lange Zeitraum, in dem die<br />

sexuellen Misshandlungen stattfinden, <strong>und</strong> die sich steigernde Intensität der<br />

sexuellen Praktiken zu sein. Eine bestimmte Gruppe von <strong>Kinder</strong>n, bei<br />

denen innerhalb der Familie kein Korrektiv verfügbar ist, welches sexuelles<br />

Verhalten auf angemessene Weise organisiert (<strong>und</strong> somit Geschwisterinzest<br />

verhindert), scheint den Typus der am schwersten belasteten <strong>Kinder</strong> mit<br />

sexuellen Verhaltensproblemen zu repräsentieren. Bei diesen <strong>Kinder</strong>n ist<br />

aufgr<strong>und</strong> mangelnder familiärer Einsicht <strong>und</strong> Kooperationsbereitschaft die<br />

schlechteste Prognose in Bezug auf die Wirksamkeit von Interventionen<br />

<strong>und</strong> Psychotherapie zu erwarten (Pithers et al., 1998a).<br />

Familiendynamisch ist bei Geschwisterinzest an einen Mechanismus der<br />

intergenerationalen Weitergabe zu denken (Noll et al., 2009). <strong>Kinder</strong> erfahren<br />

sexuelle Gewalt durch <strong>ihre</strong> Eltern <strong>und</strong> entwickeln ein Bewältigungs-<br />

63

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!