Sexuell grenzverletzende Kinder â Praxisansätze und ihre ...
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wicklungspsychologische Differenzierungen müssen im Praxis- <strong>und</strong> Forschungsdiskurs<br />
noch intensiv erarbeitet werden. „<strong>Sexuell</strong> auffällige Minderjährige“<br />
stellen keine hinreichend homogene Gruppe dar, um allgemeine<br />
Aussagen über angemessene diagnostische <strong>und</strong> therapeutische Ansätze zu<br />
generieren. Auch innerhalb der Gruppe der <strong>Kinder</strong> sind je nach Entwicklungsphase<br />
unterschiedliche Konzepte für gelingende Herangehensweisen<br />
zu entwickeln.<br />
Solche Erwägungen sind immer von der gr<strong>und</strong>legenden Frage begleitet,<br />
worin eigentlich die sexuelle Auffälligkeit des Kindes besteht. Hier besteht<br />
ein Ausmaß an Entscheidungskomplexität, das in der Beschäftigung mit<br />
jugendlichen <strong>und</strong> erwachsenen Sexualstraftätern nicht gegeben ist. Die<br />
komplizierte Diskussion über die Angemessenheit sexueller Verhaltensweisen<br />
von <strong>Kinder</strong>n begleitet in den meisten Fällen den Versuch, geeignete<br />
Interventionen zu etablieren. Das Spannungsfeld zwischen Bagatellisierung<br />
<strong>und</strong> Stigmatisierung erscheint hier besonders ausgeprägt, „ideologische“<br />
Vorstellungen mischen sich nicht selten in die Bewertung sexuellen Verhaltens<br />
von <strong>Kinder</strong>n. Inzwischen ist ein ausgeprägter fachlicher, empirisch<br />
begründeter Orientierungsrahmen zur Einschätzung sexueller Verhaltensweisen<br />
von <strong>Kinder</strong>n verfügbar. Die Vielzahl an Indikatoren, die notwendig<br />
sind, um entsprechende Einschätzungen im Einzelfall zu treffen, lässt aber<br />
vermuten, dass Interventionen in der Praxis immer einen Rest an Unsicherheit<br />
in sich tragen dürften, sodass diagnostische Einschätzungen immer<br />
prozesshaft verstanden werden müssen <strong>und</strong> nicht im Sinne übereilter<br />
Entweder-Oder-Entscheidungen. Die Verfügbarkeit spezifischer Fachkompetenz<br />
<strong>und</strong> die Bereitschaft erwachsener Bezugspersonen, sich in offener<br />
Weise am Diagnoseprozess zu beteiligen, sind die wesentlichen Faktoren<br />
dafür, dass das Verhalten des Kindes angemessen eingeschätzt wird <strong>und</strong><br />
entsprechende Maßnahmen im Interesse dieses Kindes eingeleitet werden.<br />
<strong>Sexuell</strong>e Verhaltensauffälligkeiten von <strong>Kinder</strong>n werfen sehr gr<strong>und</strong>legende<br />
Fragen auf, die nicht isoliert von Fragen der Prävention, Diagnostik, Intervention<br />
<strong>und</strong> Behandlung erörtert werden können. Diese haben ganz allgemein<br />
mit dem Bild von Kindheit zu tun, das sich eine Gesellschaft macht.<br />
Verfügen wir über die Bereitschaft wahrzunehmen, dass <strong>Kinder</strong> andere<br />
<strong>Kinder</strong> schädigen können? Sind wir bereit zu akzeptieren, dass sowohl<br />
Sexualität als auch Aggression elementare menschliche Antriebskräfte sind,<br />
die, weil sie menschlich sind, auch bei <strong>Kinder</strong>n vorhanden sind? Sind wir in<br />
der Lage, uns von intuitiven Bewertungen als „gut“ <strong>und</strong> „böse“ zu<br />
distanzieren <strong>und</strong> das Verhalten von <strong>Kinder</strong>n als Folge komplizierter Bedingungsfaktoren<br />
zu verstehen? Und können wir akzeptieren, dass sich bestimmte<br />
gesellschaftliche Praxen des Umgangs mit Sexualität <strong>und</strong> Gewalt<br />
im Verhalten unserer <strong>Kinder</strong> manifestieren, weil sie Teil unserer Gesellschaft<br />
sind?<br />
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