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BEST OF Otto Brenner Preis 2007 - Otto Brenner Shop

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sich zurück. „Ach“, seufzt der Chefredakteur, „ich schreibe ja wenige Zeilen.<br />

Aber die finden sich meistens vorne auf dem Titelbild.“ Ja, der Titel – das ist sein<br />

Ding. Weil man in so einem dicken Heft „nicht jede Geschichte selber recherchieren<br />

und schon gar nicht schreiben, ja nicht einmal in Auftrag geben“ kann.<br />

Also musste sich Aust „Schwerpunkte suchen, wo die Hebelkraft am größten ist,<br />

mit denen das Gesicht des Blattes am ehesten bestimmt ist. Das ist die Titelgeschichte,<br />

das Titelbild, die Titelzeile.“ Der Aust’sche Dreiklang.<br />

Der Kurs? Ist so einfach nicht auszumachen. Der Spiegel, sagt Aust, sei „Aufklärung.<br />

Und Realitätscheck. „Was aber die Meinung angeht, ist der Spiegel ein<br />

Kuriosum: Europas größtes Nachrichtenmagazin hat offiziell keine Meinung.<br />

Früher durfte meist nur der Herausgeber kommentieren. Was Aust bestätigt:<br />

„Zu der Zeit, als Rudolf Augstein noch lebte, wäre kein Chefredakteur gut beraten<br />

gewesen, sich anzumaßen, neben Rudolf Augstein Kommentare zu schreiben.“<br />

Seit er tot ist, ist es ganz aus mit der Meinung, findet sich keine dezidierte Haltung,<br />

keine ausformulierte Position mehr im Blatt.<br />

Umso stärker stehen vor allem Produkte der Ressorts Wirtschaft und Deutschland<br />

unter ideologischem Dampf. Wenn es etwa wider die Windkraft oder das<br />

Dosenpfand geht, gegen die ganze rotgrüne oder, neuerdings, die großkoalitionäre<br />

Richtung. Und sowieso gegen all diese nervigen Verlierer: Arbeitslose,<br />

Gewerkschafter, Ökos, Flüchtlinge, Moslems und andere Geringverdiener.<br />

Der Spiegel ist das einzige Blatt, bei dem ich mich je beworben habe, so richtig<br />

schriftlich. Das war gleich nach der Flickaffäre, journalistisch eine große Zeit. Die<br />

Einvernahme des Spiegel-Aspiranten fand in einem schummrigen Restaurant<br />

unweit des Hamburger Rathauses statt. Ich saß zwei echten Politressortleitern<br />

gegenüber und war aufgeregt. Dann verblüfft: Die Herren versuchten mir meine<br />

Bewerbung auszureden. Sie schilderten Spiegel-Tristesse, malten den typischen<br />

Spiegel-Redakteur als über die Flure schlurfenden Faulpelz, der missmutig die<br />

Reichtümer aus seiner Gewinnbeteiligung verwaltet, am Dienstapparat die Mieter<br />

seiner Eigentumswohnungen zusammenstaucht und ansonsten kleine Gemeinheiten<br />

gegen den Zimmernachbarn ausheckt. Erschüttert wankte ich hinaus ins<br />

Tageslicht.<br />

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