BEST OF Otto Brenner Preis 2007 - Otto Brenner Shop
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formulierte These zu untermauern. Zum Schluss ein Gag. Fertig ist der Artikel.<br />
Oder die „Geschichte“, wie es beim Spiegel heißt.<br />
So entsteht eine hochverdichtete Endlosschleife. Ein längst vergangener Chefredakteur<br />
sagte einmal, in einer typischen Spiegel-Story könne man an einer<br />
beliebigen Stelle den Rotstift ansetzen, über viele Absätze hinweg kürzen und<br />
dann mit einem „jedoch“ anschließen.<br />
Der Spiegel war nie links. Das zu glauben wäre ein Riesenmissverständnis.<br />
Obschon hier viele Rote und Grüne dienten. Er war allenfalls, wie Augstein einst<br />
erklärte, „im Zweifel links“. Was aber eigentlich nicht passieren durfte, da der<br />
Spiegel keinen Zweifel an sich selbst zulässt. Eher schon ist er, was man heute<br />
„cool“ nennen würde. Er legt sich niemals fest. Nach Gutdünken kürt und verfeuert<br />
er seine Helden, hebt sie himmelhoch, um sie irgendwann umso tiefer<br />
plumpsen zu lassen. Wer diesen Montag Superstar ist, kann nächste Woche zum<br />
Trottel der Nation absteigen. Der Vorgang ist nicht berechenbar. Die Konstante in<br />
diesem Spiel ist der Spiegel selbst: Er wusste es immer schon. Und zwar besser.<br />
Im Zweifel sind alle doof außer ihm.<br />
Der Mehrwert für den lieben Leser: Er darf sich mit dem Spiegel schlau fühlen.<br />
Das tut zuweilen gut. Man blickt gemeinsam durch Schlüssellöcher und guckt<br />
zu, wie sich die Deppen abzappeln.<br />
Als Hans Magnus Enzensberger noch eigensinnig war, schrieb er nicht nur bewegende<br />
Gedichte, sondern auch eine berühmt gewordene Spiegel-Kritik. Schon<br />
damals sprang offenbar eine gewisse Beliebigkeit des Magazins ins Auge: „Die<br />
Stellung, die es von Fall zu Fall zu beziehen scheint, richtet sich eher nach den<br />
Erfordernissen der Story, aus der sie zu erraten ist: als deren Pointe. Sie wird oft<br />
wenige Wochen später durch eine andere Geschichte dementiert, weil diese<br />
einen anderen ,Aufhänger’ verlangt.“ Auch diese eigentümliche Spiegel-Sprache,<br />
die „unkenntlich macht, was sie erfasst“, analysierte der Dichter trefflich: „Es<br />
handelt sich um eine Sprache von schlechter Universalität: Sie hält sich für kompetent<br />
in jedem Falle. Vom Urchristentum bis zum Rock and Roll, von der Poesie<br />
bis zum Kartellgesetz, vom Rauschgiftkrawall bis zur minoischen Kunst wird<br />
alles über einen Leisten geschlagen. Der allgegenwärtige Jargon überzieht alles<br />
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