Düsseldorf ist ARTig – ein innovatives Bildungsprojekt - Musenkuss ...
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<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>–</strong> <strong>ein</strong> <strong>innovatives</strong> <strong>Bildungsprojekt</strong><br />
Ein Programm der Vodafone Stiftung Deutschland<br />
und der Landeshauptstadt <strong>Düsseldorf</strong>
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>–</strong> <strong>ein</strong> <strong>innovatives</strong> <strong>Bildungsprojekt</strong><br />
Ein Programm der Vodafone Stiftung Deutschland<br />
und der Landeshauptstadt <strong>Düsseldorf</strong>
Inhalt<br />
5<br />
16<br />
18<br />
32<br />
34<br />
48<br />
50<br />
64<br />
80<br />
82<br />
104<br />
Grußwort<br />
Kulturelle Bildung: Bedingungen und Möglichkeiten<br />
von Johannes Bilst<strong>ein</strong><br />
Interview mit Klaus Sievers<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>–</strong> Ein <strong>innovatives</strong> <strong>Bildungsprojekt</strong> ( 1 )<br />
Das <strong>Bildungsprojekt</strong> <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />
von Petra Winkelmann<br />
Interview mit Petra Wickenkamp<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>–</strong> Ein <strong>innovatives</strong> <strong>Bildungsprojekt</strong> ( 2 )<br />
Partizipation oder der Prozess <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />
Künstler als Mentoren: „Zen oder die Kunst, <strong>ein</strong> <strong>ARTig</strong>er zu s<strong>ein</strong>“<br />
von Petra Winkelmann<br />
Interview mit Muna Zubi<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>–</strong> Ein <strong>innovatives</strong> <strong>Bildungsprojekt</strong> ( 3 )<br />
Förderung, Netzwerk, Kommunikation und Nachhaltigkeit<br />
von Petra Winkelmann<br />
<strong>ARTig</strong> wirkt!<br />
von Kai Krösche<br />
Interview mit Martina Stec<br />
Anhang<br />
2 3
GRuSSwoRT
Grußwort<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> feierte im Jahre 2010 s<strong>ein</strong>en sechsten Geburtstag, Zeit für Reflektionen<br />
und <strong>ein</strong>e Bestandsaufnahme. Eine Plattform für künstlerische Ideen junger Menschen zu<br />
schaffen war das Ziel des Projektes, als es im Jahre 2004 initiiert wurde. Entwickelt hat sich<br />
daraus <strong>ein</strong> <strong>innovatives</strong> Konzept zur kulturellen Bildung, das sowohl <strong>ein</strong>en Schwerpunkt in<br />
der Arbeit der Kulturverwaltung als auch im Portfolio der Vodafone Stiftung bildet.<br />
Bildung <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>es der wichtigsten gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit und die<br />
kulturelle Bildung gewinnt in der modernen Wissensgesellschaft neben der schul- und<br />
berufsbezogenen Bildung <strong>ein</strong>e immer größere Bedeutung. Der moderne, ganzheitliche<br />
Bildungsbegriff erachtet die kulturelle Bildung im Hinblick auf die Persönlichkeitsent-<br />
wicklung junger Menschen als unverzichtbar und misst ihr <strong>ein</strong>e zentrale Rolle bei.<br />
Kulturelle Bildung und künstlerische Aktivitäten sind eng mit<strong>ein</strong>ander verknüpft; an diese<br />
Erkenntnis knüpft <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> an. Kulturamt und Vodafone Stiftung haben den<br />
Grundst<strong>ein</strong> für <strong>ein</strong> <strong>innovatives</strong> Projekt außerhalb schulischer Verpflichtungen gelegt, <strong>ein</strong>en<br />
Raum für Phantasie, Selbsterfahrung und Kreativität haben die Jugendlichen daraus ge-<br />
schaffen.<br />
Das vorliegende Buch ermöglicht Einblicke in <strong>ein</strong> sich dynamisch entwickelndes Projekt<br />
und will dazu anregen, die Idee von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> allen näher zu bringen, denen die<br />
kulturelle Bildung junger Menschen <strong>ein</strong> Anliegen <strong>ist</strong>.<br />
Petra Wickenkamp<br />
Leiterin Programmbereich KuLtureLLe biLdung,<br />
StiPendien, SociaL entrePreneurShiP<br />
bei der Vodafone Stiftung deutSchLand<br />
4 5
… Ein GRoSSES STücK fREunDSchAfT? TaTiana Feldman, SaFeT miSTele, nicola BauTz, mirko miTrovic, arTig vii
6 7<br />
You GAvE IT All,<br />
INTo ThE cAll,<br />
You TooK A chANcE<br />
AND You TooK A FAll<br />
FoR uS
nARz.RiSS corneliuS HeimSTädT, arTig vii<br />
Fratzen versperren mir die Sicht.<br />
Die Stadt macht mir Angst.<br />
unsichtbare uniformen.<br />
Der Ge<strong>ist</strong> verformt und verfahren.
8 9
KLAnGKöRPER marc cHmiel, Holger HöningS, alin ivan, karolyn JoHn, anJa kunz, alBerT orecHov, arTig v
Gute Menschen kommen in den himmel, böse in die hölle! Doch was passiert<br />
wenn <strong>ein</strong> Mensch genau so viele gute wie schlechte Taten vollbracht hat<br />
und noch nicht mal der herr der Finsternis ruhigen Gewissens entscheiden<br />
kann, was mit dieser armen Seele passieren soll?<br />
10 11
SouLmuSic SouLmATES marie-zoe BucHHolz, neTali kidane, arTig vii
12 13<br />
WhEN ShE GoT olDER,<br />
SoMEBoDY TolD hER,<br />
NoThING IS coNSTANT<br />
IN lIFE BuT chANGE,<br />
So ShE TuRNED;<br />
ShE TuRNED<br />
INTo ANoThER GIRl,<br />
AN oPEN ShEll,<br />
A ShINING PEARl.
ARTiG fESTiVAL 2007 arTig iv<br />
<strong>ARTig</strong> Iv<br />
Festival 2007
14 15<br />
Muna Zubi, wenn <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e Person<br />
wäre, wie wäre sie?<br />
Pubertär, zickig,<br />
bege<strong>ist</strong>erungs fähig,<br />
treu, ideenreich,<br />
wandelbar, stur
Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong>
Kulturelle Bildung —.<br />
Bedingungen<br />
und MöglichKeiten<br />
16.1<br />
von Johannes Bilst<strong>ein</strong><br />
16 17
Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong><br />
Kulturelle Bildung:<br />
Bedingungen und Möglichkeiten<br />
von Johannes Bilst<strong>ein</strong><br />
1. Kultur<br />
Wenn wir von Kultur sprechen, dann <strong>ist</strong> damit immer zwei-<br />
erlei gem<strong>ein</strong>t: Pflege und Auswahl.<br />
Einerseits geht es darum, dem eigenen Leben <strong>ein</strong>e eigene<br />
Gestalt zu geben, die eigenen Ausdrucksformen zu pflegen <strong>–</strong> von<br />
der Kleidung bis zur Wohnungsausstattung, vom Konzertbesuch<br />
bis zu eigenem künstlerischem Handeln. Es <strong>ist</strong> die Pflege an uns<br />
selbst, an der eigenen Seele und den eigenen Lebensformen, die<br />
wir seit Ciceros Zeiten mit „Kultur“ bezeichnen.<br />
Dazu, zur Sorge um die Gestalt des eigenen Weltzuganges,<br />
gibt es jedoch nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, aus denen<br />
man wählen kann und muss: Als <strong>ein</strong>zelner Mensch entscheidet<br />
man sich, welcher Musik man sich zuwenden, welche Bilder<br />
man sich vor Augen halten will; und als Kultur müssen wir <strong>ein</strong>grenzen,<br />
welche Anblicke wir pflegen und fördern, vermeiden<br />
oder gar verbieten, welchen Klängen wir lauschen oder was wir<br />
16.2
ganz und gar nicht hören wollen. Wir müssen auswählen und<br />
entscheiden, Prioritäten festlegen und bestimmen, welche Lebensformen<br />
wir möchten. Kultur m<strong>ein</strong>t beides zugleich: Pflege<br />
und Auswahl, Förderung und Bewertung.<br />
Nun müssen wir <strong>–</strong> insbesondere in der deutschen Tradition<br />
<strong>–</strong> mit dem Begriff der Kultur vorsichtig s<strong>ein</strong>, denn gerade weil er<br />
immer mit Wertung und Auswahl, also auch mit Ausschließung<br />
verbunden <strong>ist</strong>, hat er sich in unserer deutschen Geschichte auf<br />
fatale Weise mit der Ausgrenzung, Abwertung und Bekämpfung<br />
verm<strong>ein</strong>tlich kultur-fremder Lebensweisen verbunden. „Kultur“<br />
gegen „Zivilisation“ <strong>–</strong> diese Begriffe markierten immerhin <strong>ein</strong>mal<br />
<strong>ein</strong>e zentrale ideologische Scheidelinie zwischen den „Erbf<strong>ein</strong>den“<br />
Deutschland und Frankreich. „Kultur“ wird schnell zu<br />
<strong>ein</strong>er Art Etikett, das die bessere, höhere und überhaupt überlegene<br />
Lebensweise auszeichnen soll und schließlich nur noch der<br />
abwertenden Ausgrenzung des Fremden dient.<br />
Dennoch sprechen wir weiter von „Kultur“ und „kultureller<br />
Bildung“, weil wir immer weiter genau diese doppelte Le<strong>ist</strong>ung<br />
benennen wollen, die Individuen wie Gesellschaften bei<br />
der Etablierung ihrer Lebensweisen zu erbringen haben: Pflege<br />
und Auswahl. Und weil wir inzwischen gut Bescheid wissen über<br />
die Risiken der Ausgrenzung und der kultural<strong>ist</strong>ischen Überheblichkeit,<br />
die mit dem Begriff der Kultur auch immer schon<br />
verbunden sind, führt er uns genau diese Gefahren auch immer<br />
wieder vor Augen.<br />
Kultur als Pflege <strong>–</strong> das bringt zweierlei mit sich: Balance<br />
und D<strong>ist</strong>anz. Bei Cicero war als Ausgangsvergleich für kultivierendes<br />
Handeln der Gärtner gedacht: So wie der sich den Pflanzen<br />
gegenüber verhält, so soll sich der kultiviert Handelnde auch<br />
s<strong>ein</strong>er Seele gegenüber benehmen. Daraus ergibt sich, dass dieser<br />
16.3<br />
16 17
Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong><br />
gärtnerisch Pflegende nicht machen kann, was er will. Er <strong>ist</strong><br />
immer auf das Wachstum s<strong>ein</strong>er Pflanzen angewiesen, er muss<br />
sie immer auch in Ruhe lassen, abwarten und erst und nur im<br />
rechten Augenblick <strong>ein</strong>greifen. Wer hektisch und übereifrig<br />
ständig an s<strong>ein</strong>en Pflanzen herumwerkelt, sie unablässig gießt<br />
und düngt <strong>–</strong> der wird sie zugrunde richten. „Cultura“ im Sinne<br />
Ciceros verwirklicht sich insofern als Balance zwischen steuerndem<br />
Eingriff und gelassenem Abwarten, zwischen Lenkung und<br />
Geschehenlassen.<br />
Diese Balancierungsle<strong>ist</strong>ung <strong>ist</strong> im Bereich kultureller Bildung<br />
bis heute von großer Wichtigkeit. Auch hier kommt es<br />
immer wieder darauf an, die rechte Balance <strong>ein</strong>zuhalten zwischen<br />
Aktivität und Geschehenlassen, zwischen zugreifendem<br />
Handeln und geduldigem Abwarten. Wer sich bei künstlerischen,<br />
musikalischen oder theatralischen Aktivitäten nicht zurücknehmen<br />
kann, wer nicht dem Geschehen s<strong>ein</strong>en Lauf lassen kann,<br />
dem wird nichts gelingen. Gerade in den Bereichen kulturellen<br />
Handelns kann man das erfahren und üben.<br />
Dazu braucht man D<strong>ist</strong>anz gegenüber dem eigenen Tun,<br />
und zwar wohlwollende D<strong>ist</strong>anz. Wenn man etwas pflegt <strong>–</strong> sei<br />
es <strong>ein</strong>e Pflanze, seien es eigene Charaktereigenschaften, sei es<br />
<strong>ein</strong>e künstlerische Handlungsform <strong>–</strong> dann überlegt man vorher,<br />
was gut und was schlecht wäre, dann reflektiert man das eigene<br />
Handeln. Insofern <strong>ist</strong> mit „Kultur“ immer <strong>ein</strong> reflektierter,<br />
wohlwollend d<strong>ist</strong>anzierter Umgang der Menschen mit sich selbst<br />
und ihren Lebensweisen gem<strong>ein</strong>t. Wenn wir <strong>ein</strong> Museum oder<br />
<strong>ein</strong> Konzert besuchen, wenn wir uns malerisch oder musikalisch<br />
betätigen, so wird daraus nur dann „Kultur“, wenn wir uns dabei<br />
nicht automatisch verhalten, nicht aus <strong>–</strong> vielleicht dem sozialen<br />
Status entsprungener <strong>–</strong> Gewohnheit handeln, sondern uns ge-<br />
16.4
wollt und reflektiert benehmen. Deshalb <strong>ist</strong> alles, was mit Kultur<br />
zu tun hat, k<strong>ein</strong>eswegs beliebig; diese „Kultur“ unterstützt<br />
nicht alles, was sich so ergibt, sie lenkt ihre Aufmerksamkeit<br />
vielmehr immer auch auf Ungewolltes und Unerwünschtes, das<br />
es zu vermeiden gilt.<br />
Gepflegt wird so im Rahmen kultureller Bildung die sinnlich<br />
vermittelte, reflektierte Aus<strong>ein</strong>andersetzung mit der Welt,<br />
gewollt <strong>ist</strong> das gelungene Bild, der rechte Klang. Aber auch der<br />
falsche Ton, der falsche Takt, das missratene Bild, die zusammenbrechende<br />
Ton-Skulptur gehören zum Bereich der kulturellen<br />
Bildung.<br />
Wenn also Kinder oder Jugendliche in der Aus<strong>ein</strong>andersetzung<br />
mit der Kunst und den Künstlern die Erfahrung machen,<br />
dass nicht sofort und nicht überall alles „gut“ wird, dass man<br />
zunächst durchaus viele Fehler macht, dass man dann jedoch<br />
üben, arbeiten und sich verbessern muss, um schließlich, nach<br />
langen Mühen, <strong>ein</strong> gutes Werk zustande zu bringen, dann macht<br />
auch dies <strong>ein</strong>en zentralen Bereich kultureller Bildung aus.<br />
2. Kunst<br />
Die Kunst und die Künste machen von Anfang an <strong>ein</strong>en<br />
wichtigen Teil dessen aus, was wir mit Kultur bezeichnen. Dabei<br />
hat sich unser heutiges Verständnis von dem, was wir „Kunst“<br />
nennen, über die Jahrhunderte in vielen <strong>ein</strong>zelnen Schritten<br />
entwickelt. Erinnert sei daran, dass es <strong>ein</strong>mal <strong>ein</strong>e ganze Reihe<br />
von verschiedenen Künsten gab, die gar nicht alle schön waren.<br />
Ihr Verständnis geht auf die griechischen „technai“ zurück, auf<br />
Formen von Handeln also, das sich der Umwelt technisch-gestal-<br />
16.5<br />
16 17
Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong><br />
terisch zuwendet. Aus diesen griechischen technai werden dann<br />
die lat<strong>ein</strong>ischen „artes“, und von denen gibt es durchaus viele: Es<br />
gibt nützliche und schöne, mathematische und sprachliche, freie<br />
und dienende Künste, die in der Regel weiblich dargestellt werden.<br />
Zu sehen sind da auf Abbildungen oder als Statuen schöne<br />
Frauen, oft in lange Gewänder gehüllt, die fast immer die Instrumente<br />
und Gerätschaften ihrer jeweiligen Künste in den Händen<br />
halten. Diese Künste sind <strong>ein</strong>erseits die schlichten Fertigkeiten<br />
der schlicht-alltäglichen Handwerker. Andererseits aber zeichnen<br />
die schönen, gar nicht nützlichen Künste denjenigen, der sie<br />
beherrscht, ganz besonders aus; sie machen <strong>ein</strong>en zentralen Teil<br />
des gelingenden, wirklich wichtigen und richtigen Lebens des<br />
freien Menschen aus. Wer in der Antike s<strong>ein</strong>en Lebensunterhalt<br />
nicht oder nicht mehr zu sichern braucht, der lebt in der Muße,<br />
und die <strong>ist</strong> häufig von Praktiken der schönen Künste geprägt.<br />
Lange Zeit ex<strong>ist</strong>ieren die schönen und die nützlichen Künste<br />
auf diese Weise neben<strong>ein</strong>ander, aber schließlich tritt dann doch<br />
Unfrieden zwischen sie. Immer häufiger finden wir Gedichte,<br />
Theaterstücke oder Bilder, die den Wettstreit der Künste behandeln,<br />
und schließlich, im 18. Jahrhundert, treten die beiden<br />
Haupt-Gruppen: die schönen und die nützlichen Künste, immer<br />
mehr aus<strong>ein</strong>ander. Immer öfter bestreiten die schönen Künste<br />
ihren nützlichen Schwestern schlicht die Ex<strong>ist</strong>enzberechtigung<br />
<strong>–</strong> was <strong>ist</strong> schon „Kunst“ an der Arbeit <strong>ein</strong>es Schr<strong>ein</strong>ers. Und so<br />
wird aus den vielen Künsten die <strong>ein</strong>e, große, erhabene und ideell<br />
aufgeladene Kunst, und von der nützlichen Hälfte der <strong>ein</strong>st<br />
so zahlreichen Künste <strong>ist</strong> <strong>–</strong> außer der Kochkunst <strong>–</strong> nicht viel<br />
übriggeblieben.<br />
Der ästhetisierte, mit Schönheit <strong>–</strong> und das heißt: Idealität <strong>–</strong><br />
verbundene Kunstbegriff dagegen drängt immer stärker in den<br />
16.6
Vordergrund, löst sich von s<strong>ein</strong>en technischen Grundlagen mehr<br />
und mehr ab und gerät im Laufe des 18. Jahrhunderts in den<br />
Sog der Genie-Debatte. Es sind nun die genialischen Einzelnen,<br />
die Kunst und Kunstwerke aus dem Inneren ihres Seelenlebens<br />
hervorbringen. Und was herauskommt <strong>ist</strong>: Schönheit.<br />
3. lernen von Künstlern, lernen durch Künstler<br />
Wenn Menschen, besonders junge Menschen, denen die<br />
Welt noch ganz unbekannt <strong>ist</strong>, in Bildungsprozesse <strong>ein</strong>treten<br />
sollen, dann müssen sie diese Welt gezeigt bekommen. Die Erwachsenen-Kultur<br />
muss ihnen vorführen, wie das Leben aussehen<br />
sollte und könnte, welche möglichen Gestalten so <strong>ein</strong> Menschenleben<br />
in der Menschenwelt annehmen kann. Alles Lehren,<br />
man könnte noch allgem<strong>ein</strong>er sagen: Alles Erziehen beginnt mit<br />
dem Zeigen. Dieses Zeigen <strong>ist</strong> die fundamentale pädagogische<br />
und didaktische Geste schlechthin, <strong>ein</strong> entscheidender Kern des<br />
ganzen Unternehmens Erziehung. Und die Art dieses Zeigens<br />
kann dann direkt oder indirekt s<strong>ein</strong>: Wir können den Kl<strong>ein</strong>en<br />
die Welt ungefiltert vorführen, sie mit allen nur möglichen Orten<br />
und allen nur möglichen Situationen direkt konfrontieren,<br />
wir können Welt präsentieren. Wir können ihnen diese Welt<br />
aber auch indirekt, symbolisch vermittelt zeigen: über Bilder<br />
und Geschichten, über Vorführungen und Rituale, wir können<br />
Welt repräsentieren.<br />
Wie auch immer: Zeigen müssen wir die Welt unseren<br />
Nachkommen, und wir, die Älteren, schon Welt-Bekannten, tun<br />
das k<strong>ein</strong>eswegs nur in der Schule, k<strong>ein</strong>esfalls nur in explizit didaktischen<br />
Arrangements, sondern mit allem und durch alles,<br />
16.7<br />
16 17
Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong><br />
was wir haben und sind <strong>–</strong> nicht zuletzt durch die Art und Weise,<br />
wie wir unser Zusammenleben mit den anderen organisieren<br />
und verwirklichen.<br />
Aber viel mehr können wir auch nicht: Im Begriff der Bil-<br />
dung <strong>ist</strong> immer auch und vor allem die Vorstellung enthalten,<br />
dass Menschen letztlich sich selber die eigene Gestalt geben.<br />
Schon bei Wilhelm von Humboldt <strong>ist</strong> das ganz deutlich formuliert:<br />
Bildung braucht das Zeigen, die Außenwelt muss der nachwachsenden<br />
Generation vorgeführt werden <strong>–</strong> dann aber müssen<br />
die an sich selbst gestaltend wirken: Letztlich macht sich jeder<br />
selbst.<br />
Das <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>igermaßen paradox, denn jeder weiß: Menschen<br />
können sich nicht selber machen. Sie brauchen Erziehung, Begleitung,<br />
sie müssen Vieles gezeigt bekommen. Zugleich gehört<br />
es aber sowohl zu unserem Alltagswissen als auch zum theoretisch<br />
versicherten Bestand unserer Diskussionsgeschichte, dass<br />
Menschen letztlich nur selber sich machen können: Schon das<br />
kl<strong>ein</strong>e neugeborene Kind entwickelt eigene Formen der Weltbewältigung,<br />
mit denen es sich von allen anderen unterscheidet.<br />
Bildung findet insofern immer in <strong>ein</strong>em Spannungsverhältnis<br />
von Zeigen und Selbsttätigkeit statt: Eigeninitiative <strong>ist</strong> ihre<br />
Grundbedingung.<br />
Das gilt auch und in besonderem Maße für kulturelle Bildung.<br />
Die kann nicht verordnet oder verabreicht werden, die<br />
kann sich immer nur als Konsequenz aus den eigenen, höchst<br />
selbstständigen Aktivitäten entwickeln. Das wissen wir seit Langem,<br />
darauf müssen auch Konzepte zur kulturellen Bildung reagieren:<br />
Sie können sich nur über Anregungen verwirklichen,<br />
sie müssen vor allem diese Bildung aus eigener Initiative ermöglichen.<br />
Und die Künstler machen das vor. Sie präsentieren sich<br />
16.8
den Jugendlichen als Prototypen der Eigeninitiative, weil all ihr<br />
Handeln immer zunächst und vor allem anderem auf ihren eigenen<br />
Einfällen, ihren eigenen Imaginationen beruht. Wer immer<br />
bei <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> mitmacht, lernt von den Künstlern und<br />
durch die Künstler, dass es die eigenen Ideen sind, die k<strong>ein</strong>er<br />
Beschränkung unterliegenden eigenen Vorstellungen, mit denen<br />
alles gelingende kulturelle Handeln beginnt.<br />
Immer mitgedacht <strong>ist</strong> im Begriff von Bildung aber auch,<br />
dass sie sich nur im sozialen Kontext verwirklicht: Der Mensch<br />
<strong>ist</strong> nicht all<strong>ein</strong>, auch der sich bildende Mensch <strong>ist</strong> nicht all<strong>ein</strong>.<br />
Er befindet sich vielmehr im Austausch, in der stetigen Aus<strong>ein</strong>andersetzung,<br />
vielleicht gar im Konflikt mit all den anderen, die<br />
um ihn herum sind. Und auch all das, was wir unter Kunst und<br />
Kultur verstehen, verwirklicht sich in der Aus<strong>ein</strong>andersetzung<br />
mit den anderen, benachbarten Formen: im Wettbewerb.<br />
Auch dies: Sich mit anderen zu messen, sich der Relativität<br />
des eigenen Handelns bewusst zu s<strong>ein</strong> und dennoch das<br />
Beste zu versuchen <strong>–</strong> auch dies muss gelernt werden. Und kulturelle<br />
Bildung kann auch da helfen und ermöglichen: durch<br />
organisierten Wettbewerb, durch institutionalisierten Vergleich,<br />
der es den <strong>ein</strong>zelnen ermöglicht, die je eigenen Arbeiten und<br />
Werke besser <strong>ein</strong>zuordnen. Dabei folgen die <strong>ein</strong>zelnen Kultur-<br />
Sparten durchaus verschiedenen Traditionen und Konventionen<br />
des Wettbewerbs: Die Musiker kennen das von den vielen Preisverfahren<br />
und Wettbewerben, an denen sie oft von Kindheit<br />
an teilgenommen haben; die bildenden Künstler machen ihre<br />
Erfahrungen mit Gem<strong>ein</strong>schafts-Ausstellungen und mit der oft<br />
rabiat ausgetragenen Konkurrenz um Ausstellungs-Raum und<br />
Hänge-Flächen; auch den Tänzerinnen und Tänzern sind die mit<br />
so großen Gefühlen verbundenen Ausscheidungsverfahren mehr<br />
16.9<br />
16 17
Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong><br />
oder weniger vertraut. Projekte wie <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> schaffen<br />
für solcherart Sozialerfahrungen Möglichkeiten und Gelegenhei-<br />
ten, lassen die Jugendlichen von Künstlern und durch Künstler<br />
lernen, wie man Kooperation und Wettbewerb leben kann.<br />
4. Kulturelle Bildung<br />
Bei kultureller Bildung kommt also Vieles zusammen:<br />
Pflege und Auswahl, wie sie mit dem Kulturbegriff verbunden<br />
sind; die Orientierung an den durchaus differierenden Konzepten<br />
von Schönheit, wie sie mit unseren Vorstellungen von Kunst<br />
gekoppelt sind; die Notwendigkeit des Zeigens, die sich direkt<br />
oder indirekt verwirklichen kann; Empfindsamkeit gegenüber<br />
Mensch und Natur; die Entwicklung der Einbildungskraft, des<br />
Geschmacks und des Genusses; die Befähigung zu Spiel und Geselligkeit,<br />
zur ästhetischen Urteilskraft und Kritik; die Erschließung<br />
von (neuen) Ausdrucksformen und Handlungsperspektiven; die<br />
Vermittlung von Verstand und Gemüt, Expressivität und Regelgeleitetheit<br />
oder auch die Idee <strong>ein</strong>er (utopischen) Zivilisierung<br />
des Lebens <strong>–</strong> all dies sind zugleich Merkmale und Möglichkeiten<br />
kultureller Bildung.<br />
Entscheidend <strong>ist</strong> wohl, dass bei den beteiligten Menschen<br />
immer und grundsätzlich Wahrnehmung und Gestaltung, Rezeptivität<br />
und Produktivität mit<strong>ein</strong>ander wirken. Wer sich in<br />
s<strong>ein</strong>er Welt nur oder überwiegend als Wahrnehmender bewegt,<br />
nur aufnimmt und auf das Vorgefundene reagiert, der hat den<br />
zugleich pflegerischen und auswählenden Anspruch von Kultur<br />
nicht erfüllt. Die eigene Aktivität, das eigene Handeln müssen<br />
zu der notwendigen Rezeptivität hinzu treten. Und andererseits:<br />
16.10
Wer sich nur wild gestaltend verhält, an allem und jedem herumbastelt<br />
ohne zunächst Aufmerksamkeit für das Vorgefundene<br />
zu entwickeln, der verfehlt ebenfalls all die Ansprüche und Hoffnungen,<br />
die mit dem Begriff der Kultur verbunden sind.<br />
Gelernt werden muss das In<strong>ein</strong>andergreifen sehr vielschichtiger<br />
Operationen. Wenn jemand „Kunst“ erfahren oder gar machen<br />
will, dann <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> hochkomplexes Wechselspiel nötig von<br />
Entwurf und Reflexion, von Hypothese und Korrektur, und das<br />
Gleiche gilt für alle kulturelle Bildung. Die eigene Wahrnehmung<br />
muss fortwährend wahrgenommen und korrigiert, die eigene<br />
Gestaltungsarbeit ständig kontrolliert und ihrerseits gestaltet<br />
werden. Kulturelle Bildung, das heißt zunächst <strong>ein</strong>mal, dass man<br />
wohlwollende D<strong>ist</strong>anz zu den eigenen Lebensformen entwickelt,<br />
dass man sich sozusagen selbst beim Leben zuschaut, dass man<br />
bemerkt und reflektiert, was man da alles gezeigt bekommt.<br />
Dabei bewegt man sich in Handlungs-Zusammenhängen,<br />
die man nicht vollständig unter Kontrolle hat: Die ästhetische<br />
Erfahrung <strong>ist</strong> immer auch mit Passivität und Entmächtigung<br />
verbunden: Man kriegt das alles nicht so hin, wie man sich das<br />
wünscht; die Töne des Instruments folgen nicht den eigenen<br />
Absichten; die Farben tun nicht das, was man will.<br />
Ästhetische Erfahrung <strong>ist</strong> immer auch <strong>ein</strong>e Erfahrung von<br />
Grenzen und Handlungs-Beschränkungen. Im Grunde muss das<br />
handelnde Subjekt, das ja gerade im Bereich kulturellen Handelns<br />
so überaus mächtig ersch<strong>ein</strong>t, das sich ganze Welten aus<br />
Farben, Tönen und Materialien erschafft, auch gleich wieder<br />
zurücktreten: hinter die Eigenlogik der Materialien, hinter den<br />
Eigenwillen der Medien. Die Bilder, die Töne, die Geräte und Stoffe,<br />
mit denen man arbeitet <strong>–</strong> sie machen irgendwie auch immer,<br />
was sie wollen, und das muss man aushalten.<br />
16.11<br />
16 17
Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong><br />
Denn darauf sei noch <strong>ein</strong>mal hingewiesen: All die Pflege<br />
und all die Auswahl, all die Arbeit an der Schönheit und am<br />
Gelingen, all die Aus<strong>ein</strong>andersetzung mit den Qualen und Chan-<br />
cen des Scheiterns <strong>–</strong> sie müssen von den lebendigen Subjekten<br />
selbst gele<strong>ist</strong>et und übernommen werden, und diese Subjekte<br />
sind nicht steuerbar. Kulturelle Bildung, das kann nicht <strong>ein</strong><br />
Unternehmen mit <strong>ein</strong>deutigen Kausalitäten s<strong>ein</strong>, bei dem klar<br />
kalkulierbare Einsätze an Zeit, an Geld, an Engagement klar kalkulierbare<br />
Ergebnisse mit Sicherheit erbringen. Gerade wegen<br />
der Bindung an die unauslotbaren Subjekte, gerade wegen der<br />
Orientierung an die schillernden und oszillierenden Imaginationen<br />
von Schönheit und Gelingen bleibt alle kulturelle Bildung<br />
<strong>ein</strong> Wagnis, das man von außen: von der Seite der Erzieher her,<br />
von der Schule her, von der Politik oder Admin<strong>ist</strong>ration her immer<br />
nur ermöglichen kann.<br />
Und gerade weil sie sich an Subjekte richtet, wird recht<br />
verstandene kulturelle Bildung denn auch bald selbst zu <strong>ein</strong>er<br />
Art von Subjekt: Sie reagiert auf Vorgefundenes, verhält sich unkalkulierbar,<br />
verändert sich unablässig. In genau diesem Sinne<br />
<strong>ist</strong> auch „<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>“ in stetigem Wandel, verändert<br />
sich dieses Projekt kultureller Bildung unablässig. Nur mit <strong>ein</strong>er<br />
solchen Wandlungsfähigkeit und mit der Bereitschaft, auf<br />
neue Impulse von Seiten der beteiligten Menschen <strong>ein</strong>zugehen<br />
und selbst neue Impulse zu schaffen, nur mit <strong>ein</strong>em solcherart<br />
fließenden Selbstverständnis kann der höchst individuelle und<br />
höchst intime Prozess kultureller Bildung von außen gefördert<br />
und möglich gemacht werden.<br />
16.12
16.13<br />
16 17
Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong><br />
16.14
Prof. dr. phil. Johannes Bilst<strong>ein</strong><br />
Studium an der Universität Köln in den Fächern Pädagogik, Ger-<br />
man<strong>ist</strong>ik, Angl<strong>ist</strong>ik, Psychologie und Philosophie. 1975 Staatsex-<br />
amen, 1979 Promotion an der Universität Köln; 2000 Habilitation<br />
an der FU Berlin. Bis 2004 Professor für Pädagogik an der Kunstakademie<br />
<strong>Düsseldorf</strong>.<br />
2004 bis 2008 Professor für Erziehungswissenschaft an der Folkwang<br />
Hochschule Essen, seit 2008 Professor für Pädagogik an<br />
der Kunstakademie <strong>Düsseldorf</strong>. Lehraufträge bzw. Gastprofessuren<br />
an den Universitäten Innsbruck, Erlangen und der Deutschen<br />
Sporthochschule Köln. Arbeitsgebiete: Allgem<strong>ein</strong>e Pädagogik,<br />
insbesondere Bildungstheorie; Ästhetische Erziehung;<br />
H<strong>ist</strong>orische Anthropologie; Bildlichkeit und Metaphorik in der<br />
Pädagogik.<br />
16.15<br />
16 17
Kulturelle Bildung: Bedingungen und MöglichKeiten Fachbeitrag von Johannes bilst<strong>ein</strong><br />
16.16
16 17
inTERViEw klauS SieverS
„ Ich wäre selber <strong>ein</strong> ganz schlechter<br />
<strong>ARTig</strong>-Kandidat gewesen.“<br />
18 19<br />
Klaus Sievers, <strong>Düsseldorf</strong>er Künstler und Dozent an der universität Siegen, war<br />
seit 2005 <strong>ARTig</strong>-Mentor für die Sparte Bildende Kunst. „Reitet ohne mich weiter“ <strong>ist</strong><br />
nicht nur Motto <strong>ein</strong>es s<strong>ein</strong>er gefragten Ansteckbuttons, sondern war auch 2010 s<strong>ein</strong><br />
Wunsch, als er s<strong>ein</strong>e Mentorenschaft nach fünf <strong>ARTig</strong>-Jahren an s<strong>ein</strong>en Nachfolger<br />
Martin huidobro übergab. Warum <strong>ARTig</strong> nie langweilig wird und warum er selber aber<br />
„<strong>ein</strong> schlechter <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer gewesen wäre“ erzählte er im Interview mit Mentor<br />
Thomas Weltner.<br />
Thomas Weltner: Klaus, wie hat <strong>ARTig</strong> Dich gefunden? <strong>ARTig</strong> findet doch die S<strong>ein</strong>en,<br />
oder?<br />
Klaus Sievers: Ja, das stimmt. Gefunden und angerufen hat mich damals Frau Winkelmann.<br />
Martina Stec, die damals die Projektkoordinatorin war, kannte ich bereits von AKKI (Aktion<br />
und Kultur mit Kindern). Dort hatten wir uns bereits kennengelernt und schon gesagt: Wir<br />
müssen mal was zusammen machen.<br />
Die Zusammensetzung des Teams war von Anfang an <strong>ein</strong> zentraler Punkt des Konzeptes.<br />
Man muss dafür Künstler suchen, die dazu in der Lage sind, kreative Gestaltungsprozesse zu<br />
moderieren. Und die müssen so selbstbewusst s<strong>ein</strong>, auch ihr Ego zurückstellen zu können.<br />
Ich glaube, Leute, die zu sehr für Reibung sorgen, werden von <strong>ARTig</strong> wieder ausgestoßen.<br />
Das hält sich nicht, weil es auf zu viele ankommt. <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> nichts für Leute, die über ihr<br />
eigenes Ego fallen.<br />
Du hast nach der Saison 2010 für Dich entschieden, <strong>ARTig</strong> zu verlassen. D<strong>ein</strong>e Mentorenschaft<br />
für Bildende Kunst war ja <strong>–</strong> nach m<strong>ein</strong>er Beobachtung <strong>–</strong> nachhaltig positiv<br />
prägend für das gesamte Projekt. Du hast mit uns Mentoren zum Beispiel noch das<br />
Mentorenleitbild entwickelt. Ist D<strong>ein</strong> Ausscheiden gewissermaßen auch <strong>ein</strong> Geschenk<br />
an <strong>ARTig</strong> im Sinne der Selbsterneuerung?
inTERViEw klauS SieverS<br />
„ <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> nichts für leute,<br />
die über ihr eigenes Ego fallen.“<br />
Ich denke, man kann das nicht ewig machen. Zum <strong>ein</strong>en die ganzen Anforderungen, die<br />
ganze Aufregung, aber auch das Gefühl, da muss mal jemand anderes kommen, mit neuen<br />
Ideen. Manchmal gibt es Projekte von Teilnehmern, die liegen <strong>ein</strong>em nicht so. Ein Anderer<br />
würde vielleicht sagen: Das versuchen wir mal, mal sehen, was dabei raus kommt. <strong>ARTig</strong><br />
braucht auch immer etwas Naives und Unverbrauchtes.<br />
und wahrsch<strong>ein</strong>lich <strong>ist</strong> nichts ewig bei <strong>ARTig</strong>.<br />
Das <strong>ist</strong> der Kern. Seit der Anfangszeit hat ja letzten Endes die ganze Mentorenmannschaft<br />
gewechselt. Vielleicht werden auch irgendwann mal ehemalige <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer oder<br />
-Teammitglieder Mentoren, das fände ich <strong>ein</strong> interessantes Experiment, vielleicht auch in<br />
Form <strong>ein</strong>es Teams. Für die Mentorenarbeit muss man ja in erster Linie aus eigenen künstlerischen<br />
Erfahrungen schöpfen. Aber es gibt viele Wege und verschiedene M<strong>ein</strong>ungen, zu<br />
hören. Das <strong>ist</strong> auch für die Teilnehmer <strong>ein</strong>e wichtige Erfahrung <strong>–</strong> Differenzerfahrung nennt<br />
man das, wie ich neulich auf <strong>ein</strong>er Tagung von Kunstlehrern lernen durfte.<br />
Was hast Du als D<strong>ein</strong>e persönliche herausforderung bei <strong>ARTig</strong> empfunden?<br />
M<strong>ein</strong>e Aufgabe bei <strong>ARTig</strong> war es, <strong>ein</strong>e Ausstellung auf die B<strong>ein</strong>e zu stellen. Das <strong>ist</strong> die Auf-<br />
gabe, die ich die ganze Zeit nonstop im Kopf habe. Ich lerne m<strong>ein</strong>e Teilnehmer und ihre<br />
Arbeiten und Konzepte kennen und muss sofort <strong>ein</strong>e Fantasie entwickeln, was man daraus<br />
machen kann. Das kann mir niemand abnehmen. Deswegen musste ich auch zu den Teilnehmern<br />
hingehen und erfühlen, in welchem Umfeld leben die eigentlich. Ich muss in deren<br />
Zimmer sitzen und mir die Poster angucken, da <strong>ein</strong>en Zettel herauszerren und sagen: Was<br />
<strong>ist</strong> denn das hier? Ich muss <strong>ein</strong>e Spur aufnehmen.
20 21<br />
Ich finde interessant, dass Du schon die Präsentation, die Gesamtwirkung des Ganzen<br />
im Kopf hast. Müsste man nicht eigentlich Abstand davon nehmen und sagen, wenn<br />
es nicht präsentabel <strong>ist</strong>, dann <strong>ist</strong> es eben <strong>ein</strong>e kl<strong>ein</strong>ere Ausstellung?<br />
Ich möchte schon das Maximale rausholen. Und ich bin k<strong>ein</strong> d<strong>ist</strong>anzierter Zuschauer, sondern<br />
ich wühle gerne mit. Ich mach den Leuten gern pausenlos Vorschläge. Manche steigen<br />
darauf <strong>ein</strong>, andere weniger. Oft überrascht mich die Aufgeschlossenheit, denn, ehrlich<br />
gesagt, ich in dem Alter hätte wahrsch<strong>ein</strong>lich total abgeblockt und gedacht: Was will dieser<br />
Idiot von mir? Ich wäre selber <strong>ein</strong> ganz schlechter <strong>ARTig</strong>-Kandidat gewesen.<br />
Das berührt auch die Frage nach den Grenzen von <strong>ARTig</strong>. Wo also sind die Grenzen?<br />
und sollen die Teilnehmer sie überschreiten dürfen? Wie würde das im Bereich Bildende<br />
Kunst aussehen?<br />
Man könnte sich fragen: Was soll so <strong>ein</strong>e Ausstellung überhaupt bringen <strong>–</strong> außer Eitelkeiten<br />
zu befriedigen? Ich denke, sie <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Angebot. Ich stelle ich mir den Besucher vor, der sagt:<br />
Mich interessiert das irgendwie. Der kommt zu uns und stellt fest, das kann man machen,<br />
jenes kann man machen … Verschiedenste Talente treffen da auf<strong>ein</strong>ander, verschiedenste<br />
Ausdrucksweisen. Wir versuchen zu zeigen, wohin <strong>ein</strong> bestimmter Ansatz führen kann, welche<br />
Möglichkeiten es gibt. Da finde ich die <strong>ARTig</strong>-Aussstellungen genau richtig. Da stehen<br />
die Leute bis zwölf Uhr nachts und reden zu diesem Zeitpunkt immer noch über die Bilder.<br />
Sag mir <strong>ein</strong>e Vernissage, bei der das so <strong>ist</strong>! Wo nicht fünf Minuten, nachdem die Rede vorbei<br />
<strong>ist</strong>, sich alle <strong>ein</strong> W<strong>ein</strong>chen r<strong>ein</strong>kippen und niemand sich mehr dafür interessiert. Das <strong>ist</strong><br />
doch Kommunikation! Verursacht durch die Angebote, die junge Künstler machen. Und<br />
das Unfertige, das Versprechen <strong>ist</strong> das Schöne daran. Da kann man sich herrlich streiten: Ist<br />
das Bild jetzt völlig daneben oder vielleicht doch gut oder irgendwas dazwischen. Das <strong>ist</strong><br />
für alle <strong>ein</strong> großes Erlebnis.<br />
Durch <strong>ein</strong>e Ausstellung bekommt man ja <strong>ein</strong>en anderen Blick auf die eigenen Dinge,<br />
sieht, was die anderen machen. und die, die von außen gucken <strong>–</strong> Freunde, Kollegen,<br />
Eltern oder die anderen Teilnehmer <strong>–</strong> bekommen auch noch mal <strong>ein</strong>en anderen Eindruck.<br />
Ach da hat der die ganze Zeit dran gearbeitet! Da gibt es noch jemand, der so<br />
etwas macht! Kommunikation <strong>ist</strong> also das eigentliche bei den Ausstellungen.<br />
Ja, das <strong>ist</strong> das Eigentliche. Bei den anderen Kunstsparten kann ich das natürlich viel besser<br />
genießen. Die Vielfalt, zum Beispiel in der Musiksparte … Man muss die Leute da echt fordern.<br />
Drei Hip-Hop Bands hinter<strong>ein</strong>ander <strong>ist</strong> Quatsch. Da muss eben auch der Schock <strong>ein</strong>es Free-<br />
Jazz-Saxophon-Solos kommen.
inTERViEw klauS SieverS<br />
„ Bei den <strong>ARTig</strong>-Aussstellungen stehen die leute<br />
bis zwölf uhr nachts und reden immer noch über<br />
die Bilder. Sag mir <strong>ein</strong>e vernissage, bei der das<br />
<strong>ist</strong>! Wo nicht fünf Minuten, nachdem die Rede<br />
vorbei <strong>ist</strong>, sich alle <strong>ein</strong> W<strong>ein</strong>chen r<strong>ein</strong>kippen und<br />
niemand sich mehr dafür interessiert.“<br />
Also auch das Publikum fordern.<br />
Ja total.<br />
Das <strong>ist</strong> auch <strong>ARTig</strong>?<br />
Ja, und ich bin ja selbst auch mittendrin. Dass ich, wenn ich mir die Theaterstücke anschaue,<br />
wirklich gerührt und ergriffen bin, weil man dieses Ringen um etwas spürt und die Mög-<br />
lichkeiten, die da drin sind. Normalerweise bin ich eigentlich k<strong>ein</strong> Theatergänger, auch aus<br />
Angst vor Langeweile. Ich sitze dann da und langweile mich sofort. Das hatte ich bei <strong>ARTig</strong><br />
noch nie.<br />
Wir hatten mal <strong>ein</strong> Stück <strong>–</strong> das <strong>ist</strong> schon <strong>ein</strong> paar Jahre her <strong>–</strong> da ging es um Rechtsradikalismus.<br />
Zwei Jungs haben sich die Frage gestellt, wie patriotisch kann man s<strong>ein</strong>, ohne rechtsradikal<br />
zu werden? Die beiden haben das wahnsinnig gut gespielt, ich fand die so irre und<br />
mutig. Es war <strong>ein</strong>e Gradwanderung. Da wurden Sprüche auf der Bühne gekloppt, da blieb dir<br />
echt die Spucke weg. Hinterher wurde wild diskutiert. Passiert das auch bei der „richtigen“<br />
Kunst? Da hab ich so m<strong>ein</strong>e Zweifel.<br />
Wenn <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e Person wäre, welche Person hättest Du vor Augen?<br />
Sie wäre jung, gut drauf, etwas überspannt, manchmal gelassen, manchmal hysterisch,<br />
sexy, glamourös, bestimmt Jahrgangsstufensprecherin und beliebt. Hibbelig, intelligent<br />
und kreativ … eher Macher als Denker.
Was, würdest Du sagen, sollte <strong>ARTig</strong> werden? oder: Was sollte es bleiben?<br />
Da sich <strong>ARTig</strong> immer neu erfindet, mach ich mir k<strong>ein</strong>e Sorgen. Eine Idee, die sich überlebt<br />
hat, wird auch schnell ad acta gelegt. Wir diskutieren sehr offen, ohne Hierarchie, und neue<br />
Ideen haben <strong>ein</strong>e echte Chance.<br />
Als Beispiel fällt mir der Katalog für die Sparten Bildende Kunst und Fotografie <strong>ein</strong>. Wir saßen<br />
zusammen und dachten über den nächsten Katalog nach und stellten nach zehn Minuten<br />
fest, dass wir alle schlechte Laune hatten. Da stand die Frage im Raum: Ja, warum machen<br />
wir das überhaupt noch so? Diese Form hat sich doch überholt. Das war mal <strong>ein</strong>e gute Idee,<br />
aber jetzt <strong>ist</strong> es k<strong>ein</strong>e mehr. Und damit war sie gestorben. Da mussten wir erstmal tief durchatmen.<br />
Und dann wurde diskutiert: Was setzen wir jetzt an diese Stelle? Der ganze Vorgang<br />
hat mich bege<strong>ist</strong>ert. So offen <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>.<br />
Interessant, ja.<br />
Ganz wichtig <strong>ist</strong> dabei, sich auf Augenhöhe begegnen zu können.<br />
Klaus, Du b<strong>ist</strong> ja so etwas wie <strong>ein</strong> Ehrenmentor. Empfindest Du noch <strong>ein</strong>e bleibende<br />
Aufgabe für <strong>ARTig</strong>? oder b<strong>ist</strong> Du raus?<br />
N<strong>ein</strong>, jetzt bin ich halt <strong>ein</strong>er von denen, die zum Festival kommen und sich aufregen und<br />
bege<strong>ist</strong>ert oder auch mal genervt sind. Darauf freue ich mich schon. Die Sache geht ja<br />
weiter.<br />
22 23
DARSTELLunG EinER KRiSTALLinEn uRBAniTäT marie cHriSTine keppler, arTig vi
24 25
wicKED <strong>–</strong> DER zAuBERER Von oz anne-marie lux, vaneSSa HarBrecHT, alin ivan, Birk HoFFmann, liSa STapelFeldT, arTig iv
hier <strong>ist</strong> das Märchen noch nicht zu Ende …<br />
26 27
mEnTAL moVEmEnT onur kepenek, ugur kepenek, ToBiaS Bogdon, Timo ziegerT, david FüSgen, arTig v + vi<br />
Was mir am herzen liegt <strong>ist</strong> heute die Musik und solange das so <strong>ist</strong>, sage ich öffne dich für sie, öffne d<strong>ein</strong>en
Ge<strong>ist</strong> und öffne d<strong>ein</strong>en Augen denn offen s<strong>ein</strong> <strong>ist</strong> mindestens so wichtig wie der Glauben.<br />
28 29
AfRiKAniSchE BRiSE JuSTina adwoa-adu, günTHer (günni) HeSSelBarTH, arTig vi
Told me you love me, that I'd never die alone<br />
hand over your heart, let's go home<br />
Everyone noticed, everyone has seen the signs<br />
I've always been known to cross lines<br />
30 31
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 1 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann
düsseldorf <strong>ist</strong> artig —.<br />
<strong>ein</strong> <strong>innovatives</strong><br />
BildungsProJeKt<br />
( 1 )<br />
von Petra Winkelmann<br />
32 33
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 1 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />
düsseldorf <strong>ist</strong> artig:<br />
<strong>ein</strong> <strong>innovatives</strong> <strong>Bildungsprojekt</strong><br />
von Petra Winkelmann<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> kulturelles <strong>Bildungsprojekt</strong>, das<br />
die Stadt <strong>Düsseldorf</strong> und die Vodafone Stiftung Deutschland<br />
gGmbH seit 2004 gem<strong>ein</strong>sam durchführen.<br />
Eingebunden in den konzeptionellen Rahmen der ge-<br />
samtstädtischen Maßnahmen zur kulturellen Bildung spielt<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e besondere Rolle und beschreitet <strong>ein</strong>en<br />
anspruchsvollen Weg: Es fordert Jugendliche auf, sich mit ihrer<br />
eigenen kreativen Idee auf freiwilliger Basis an <strong>ein</strong>em künstlerischen<br />
Ideenwettbewerb zu beteiligen und erwartet von ihnen,<br />
dass sie ihre Ideen bis zur Präsentationsreife führen. Das alles findet<br />
mit Begleitung künstlerischer Mentorinnen und Mentoren1 und mit Unterstützung des jugendlichen <strong>ARTig</strong>-Teams statt.<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> partizipatives Projekt im besten<br />
und im weitesten Sinne mit <strong>ein</strong>em engen Bezug zur Lebenswelt<br />
von Jugendlichen: Bereits bei der konzeptionellen Entwicklung<br />
der Projektidee saßen Jugendliche gleichberechtigt neben den<br />
Vertretern von Kulturinstituten und Kulturverwaltung am Tisch<br />
und brachten ihre Sicht <strong>ein</strong>:<br />
„Gebt uns Raum für künstlerische Ideen, betrachtet junge Leute als<br />
Ressource und nicht als Bedrohung und hört auf die Experten <strong>–</strong><br />
auf junge Leute.“<br />
32.2
Mit dieser Forderung traten Jugendliche 2003 an die Stadt<br />
<strong>Düsseldorf</strong> heran. <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> war die gem<strong>ein</strong>same<br />
Antwort.<br />
Aus der erfolgreichen Zusammenarbeit bei der Konzeptentwicklung<br />
ergab sich <strong>ein</strong>e enge praktische Zusammenarbeit mit<br />
Jugendlichen während des ersten Projektdurchgangs 2004/05.<br />
Und es zeigte sich, dass die gleichberechtigte Beteiligung von<br />
Jugendlichen auch bei der Projektdurchführung <strong>ein</strong>en wesentlichen<br />
Erfolgsfaktor darstellt.<br />
In sechs Jahren hat <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong> Eigenleben entwickelt<br />
und <strong>ist</strong> von <strong>ein</strong>em Projekt zu <strong>ein</strong>em Subjekt geworden:<br />
Eine kollektive Identität und <strong>ein</strong> großes Wir <strong>–</strong> das <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>,<br />
wie <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> im täglichen Sprachgebrauch genannt<br />
wird. <strong>ARTig</strong> hat <strong>ein</strong>en eigenen Charakter und <strong>ist</strong> zu <strong>ein</strong>er Marke<br />
geworden. <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> aber auch <strong>ein</strong> Adjektiv, das beschreibt, was<br />
zum Projekt und s<strong>ein</strong>er Philosophie passt.<br />
Wie aus <strong>ein</strong>er Idee <strong>ARTig</strong> wurde und wie sich aus <strong>ein</strong>em<br />
Projekt mit experimentellem Charakter <strong>ein</strong> dynamischer Prozess<br />
entwickelte, der von allen <strong>ARTig</strong>en mitgestaltet wird <strong>–</strong> das <strong>ist</strong> das<br />
Spezifische an <strong>ARTig</strong>. Die nachfolgende Darstellung greift die<br />
zentralen Aspekte von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> auf und versucht, sie<br />
in ihrer Wechselwirkung und in ihrer gem<strong>ein</strong>samen Bedeutung<br />
für die Entwicklung des Projektes zu beschreiben. Gleichzeitig<br />
wird das kulturelle <strong>Bildungsprojekt</strong> <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> im ganzheitlichen<br />
Bildungskontext betrachtet.<br />
1 In der weiteren Darstellung wird wegen der Lesbarkeit die männliche Schreibweise<br />
gewählt.<br />
32.3<br />
32 33
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 1 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />
das <strong>Bildungsprojekt</strong> düsseldorf <strong>ist</strong> artig<br />
Spätestens seit dem Ersch<strong>ein</strong>en des Abschlussberichts der<br />
Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ 2007 zum ak-<br />
tuellen und zukünftigen Kulturleben Deutschlands steht fest:<br />
Kulturelle Bildung <strong>ist</strong> für die Zukunft unserer Gesellschaft unverzichtbar<br />
und steht gleichwertig neben schulischer Bildung<br />
und beruflicher Ausbildung. So heißt es im Bericht der Enquête-<br />
Kommission:<br />
„Die Einbettung kultureller Bildung in die allgem<strong>ein</strong>e Bildung und<br />
die Stärkung kultureller Bildung im Allgem<strong>ein</strong>en sind von grund-<br />
legender Bedeutung für die Entwicklungsfähigkeit unserer Gesell-<br />
schaft. Kultur <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Schlüssel zur Gesellschaftsentwicklung.“ 2<br />
In <strong>ein</strong>er sich immer schneller und unüberschaubar entwi-<br />
ckelnden Welt bietet kulturelle Bildung Orientierung, vermittelt<br />
Werte und <strong>ein</strong> ganzheitliches Menschenbild:<br />
„Bei der kulturellen Bildung geht es um den ganzen Menschen, um<br />
die Bildung s<strong>ein</strong>er Persönlichkeit, um Emotionen und Kreativität.<br />
Ohne kulturelle Bildung fehlt <strong>ein</strong> Schlüssel zu wahrer Teilhabe.<br />
32.4
Deshalb <strong>ist</strong> auf k<strong>ein</strong>em Feld die Verantwortung des Staates, aber<br />
auch der Zivilgesellschaft und der Kultur<strong>ein</strong>richtungen größer.<br />
Kulturelle Bildung macht nicht nur stark, sondern auch klug.<br />
Denn sie hat gleichermaßen Auswirkungen auf Persönlichkeitsentwicklung<br />
und Lernfähigkeit.“ 3<br />
Ästhetische Bildung und kreative Prozesse versprechen<br />
<strong>ein</strong>e Steigerung der kognitiven und sozialen Fähigkeiten, <strong>ein</strong>e<br />
Schulung und <strong>ein</strong>e Steigerung von Lern- und Erlebnisfähigkeit,<br />
Wahrnehmungs-, Ausdrucks- und Gem<strong>ein</strong>schaftsfähigkeit sowie<br />
die Fähigkeit zur persönlichen Teilhabe und Gestaltung.<br />
Orientierung, Persönlichkeitsbildung und Teilhabe sind daher<br />
die zentralen Begriffe, die in der Diskussion um die spezifischen<br />
Le<strong>ist</strong>ungen kultureller Bildung regelmäßig fallen. 4 Längst gehört<br />
kulturelle Bildung (wieder) zu <strong>ein</strong>em umfassenden und ganzheitlichen<br />
Bildungskanon.<br />
Der Bedeutung kultureller Bildung für die Zukunft unserer<br />
Gesellschaft entspricht die Verantwortung derjenigen, die heute<br />
darüber entscheiden und die Angebote formulieren. Wer die Bedeutung<br />
kultureller Bildung auf die Gestaltung <strong>ein</strong>es zukünftigen<br />
künstlerischen Lebens reduziert oder zur Selbst-Legitimation<br />
nutzt, greift zu kurz: Als integrativer Bestandteil von Bildung<br />
2 Deutscher Bundestag, Schlussbericht der Enquête-Kommission „Kultur in Deutschland“.<br />
Drucksache 16/7000, 16. Wahlperiode, 11.12. 2007, S. 45<br />
3 ebd., S. 8<br />
4 Von <strong>ein</strong>er primär instrumentell-funktionalen Betrachtung von kultureller Bildung wird<br />
an dieser Stelle jedoch Abstand genommen. Kulturelle Bildung versteht sich <strong>–</strong> wie die<br />
Künste selbst <strong>–</strong> als <strong>ein</strong> Wert an sich.<br />
32.5<br />
32 33
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 1 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />
<strong>ist</strong> kulturelle Bildung die gem<strong>ein</strong>same Verantwortung aller an<br />
Bildung beteiligter Institutionen und Akteure. Angefangen im<br />
Elementarbereich über die schulische Bildung bis hin zur berufli-<br />
chen und hochschulischen Ausbildung. Einzelne Bildungsaspek-<br />
te und -inhalte dürfen nicht gegen<strong>ein</strong>ander ausgespielt werden:<br />
Nur gem<strong>ein</strong>sam können sie erfolgreich und nachhaltig wirken<br />
und ihr Ziel erreichen.<br />
Die Stadt <strong>Düsseldorf</strong> behandelt das Thema kulturelle Bildung<br />
im Sinne dieses ganzheitlichen Bildungsverständnisses als<br />
integrativen Bestandteil von Bildung bereits seit zehn Jahren als<br />
<strong>ein</strong>es ihrer Schwerpunktthemen. 5 Diese Schwerpunktsetzung<br />
findet in den <strong>Düsseldorf</strong>er Schulen und hier insbesondere in den<br />
Ganztagsgrundschulen und in Zusammenarbeit mit Künstlern<br />
ihren Niederschlag.<br />
Je früher kindliche Neugier und kindliches Interesse an<br />
kultureller Bildung geweckt werden, desto besser <strong>ist</strong> es für das<br />
Kind, was bereits das Jugend-KulturBarometer 2004 empirisch<br />
nachwies. 6 In <strong>Düsseldorf</strong> wird dieser Ansatz bereits seit Jahren<br />
in zahlreichen Kooperationsprojekten zwischen Kindertagesstätten,<br />
Schulen, Jugendfreizeit<strong>ein</strong>richtungen, Kulturinstituten und<br />
Künstlern praktisch umgesetzt.<br />
Die Stadt <strong>Düsseldorf</strong> wurde 2007 und 2009 vom Land Nordrh<strong>ein</strong>-Westfalen<br />
für ihr gesamtstädtisches Konzept zur kulturellen<br />
Bildung ausgezeichnet. <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> wichtiger<br />
Bestandteil dieses Gesamtkonzepts und gleichzeitig Impulsgeber<br />
für weitere Projekte in Zusammenarbeit mit Jugendlichen: So<br />
gab die Stadt <strong>Düsseldorf</strong> 2008 <strong>ein</strong>e Untersuchung zum kulturellen<br />
Nutzungsverhalten von Jugendlichen und zu ihren Wünschen<br />
an die Kultur in Auftrag. Diese vom Zentrum für Kulturforschung,<br />
Bonn, unter aktiver und maßgeblicher Beteiligung von<br />
32.6
Jugendlichen durchgeführte Studie, das <strong>Düsseldorf</strong>er Jugendkultur-<br />
Konzept, lieferte erstmals belastbare Daten und wäre ohne die<br />
Erfahrungen von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> und ohne das Engagement<br />
von <strong>ARTig</strong>en Jugendlichen nicht möglich gewesen. 7<br />
5 Das Thema Bildung wird ressortübergreifend von den Fachverwaltungen Jugend, Kultur<br />
und Schule bearbeitet.<br />
6 Vgl.: Susanne Keuchel/Andreas Wiesand/Zentrum für Kulturforschung (Hg.), Das 1.<br />
Jugend-KulturBarometer „Zwischen Eminem und Picasso…“, Bonn 2006<br />
7 Susanne Keuchel/Markus Weber-Witzel/Zentrum für Kulturforschung, Culture to be.<br />
Das <strong>Düsseldorf</strong>er Jugend-Kulturkonzept. Anregungen <strong>ein</strong>er Generation für sich selbst,<br />
Bonn, 2009. Die aufgrund ihres spezifischen methodischen Ansatzes in Form von<br />
Kooperationen zwischen Kulturinstituten und Jugendlichen mit deutlich praxisorientierten<br />
Ergebnissen erstellte Studie wurde auf der zweiten Unesco-Weltkonferenz zur<br />
kulturellen Bildung (Arts Education) in Seoul im Mai 2010 unter dem Titel „An empirical<br />
experiment: Culture to be <strong>–</strong> Ideas of a generation for itself“ vorgestellt.<br />
32.7<br />
32 33
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 1 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann
32 33
inTERViEw peTra wickenkamp
„ Ziel war es, etwas zu fördern,<br />
das neu war “<br />
Petra Wickenkamp <strong>ist</strong> leiterin Programmbereich Kulturelle Bildung, Stipendien,<br />
Social Entrepreneurship der vodafone Stiftung Deutschland, die <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />
2004 gem<strong>ein</strong>sam mit dem Kulturamt der Stadt <strong>Düsseldorf</strong> ins leben rief. Thomas<br />
Weltner <strong>–</strong> <strong>ARTig</strong>-Mentor für Kommunikation <strong>–</strong> sprach mit ihr über <strong>ein</strong> kulturelles<br />
<strong>Bildungsprojekt</strong>, „das es so noch nie gab“ und ihre Liebe zur Fotografie.<br />
Thomas Weltner: liebe Frau Wickenkamp. Ich möchte Sie nach Ihrem ersten prägen-<br />
den <strong>ARTig</strong>-Moment fragen und wie <strong>ARTig</strong> Sie gefunden hat.<br />
34 35<br />
Petra Wickenkamp: Wir haben damals mit Gründung der Stiftung bei Null angefangen. Ich<br />
habe mich ans Kulturamt gewendet, um aus erster Hand zu erfahren, was es in <strong>Düsseldorf</strong><br />
überhaupt gibt, was man machen könnte. Ziel war es, etwas zu fördern, das neu war und nicht<br />
schon seit Jahren von anderen Unternehmen unterstützt wurde. Vor diesem Hintergrund<br />
haben wir uns im ersten Jahr zunächst bereits bestehende Projekte angeschaut. Unter anderem<br />
war damals <strong>ein</strong> Roundtable mit jungen Leuten geplant. Im Rahmen dieses Roundtables<br />
kam heraus, dass Vieles von dem, das in <strong>Düsseldorf</strong> als kulturelle Bildung für junge Leute<br />
angeboten wurde, nicht dem entsprach, was sie sich vorstellten. Verbilligte Museumskarten,<br />
<strong>ein</strong> reduzierter Eintritt in Oper und Schauspiel <strong>ist</strong> nicht ausschließlich, was die jungen Leute<br />
wollen, sondern vor allem auch selbst gestalten, selbst etwas machen. Die Jugendlichen<br />
suchten <strong>ein</strong>e Plattform, um sich künstlerisch entfalten und Ideen realisieren zu können.<br />
Das war der Moment, ab dem wir gesagt haben: Das <strong>ist</strong> unser Ansatzpunkt, das <strong>ist</strong> das, was<br />
wir uns vorgestellt haben.<br />
Das war in <strong>Düsseldorf</strong> (und nicht nur hier in <strong>Düsseldorf</strong>, wie wir jetzt inzwischen wissen) die<br />
Nische im Bereich kultureller Bildung, die absolut unbesetzt war und gut zu uns passte. Dass<br />
sich daraus <strong>ein</strong>mal das entwickeln würde, was wir heute haben, hat natürlich damals k<strong>ein</strong>er<br />
gedacht. Aber es war eben von der Idee her etwas ganz Neues, Innovatives, etwas, das die<br />
herkömmliche Vorstellung von kultureller Bildung über den Haufen warf. Bislang bestimm-
inTERViEw peTra wickenkamp<br />
ten im Kulturbetrieb tätige Erwachsene, was junge Leute wollten. Wir überließen nun den<br />
jungen Leuten selbst, was sie tun wollen <strong>–</strong> was ja eigentlich schon sehr viel „Wagemut“<br />
voraussetzt, weil man nie weiss, wo es hinläuft. Aber wir hatten zum Glück <strong>–</strong> besonders mit<br />
Muna und der ursprünglichen <strong>ARTig</strong>-Gruppe <strong>–</strong> junge Leute gefunden, denen es genauso<br />
ernst war wie uns, etwas Dauerhaftes und Nachhaltiges zu konzipieren und zu etablieren.<br />
Ist das auch gleichzeitig die herausforderung für Sie, dass das k<strong>ein</strong> Projekt <strong>ist</strong> wie jedes<br />
andere? Ein Projekt, in dem Jugendliche zum größten Teil alles selbst bewegen?<br />
Es war <strong>ein</strong>e Herausforderung für uns als Stiftung, es war aber vor allen Dingen <strong>ein</strong>e unglaub-<br />
liche Herausforderung für die jungen Leute, denen wir neue Möglichkeiten eröffnet haben.<br />
Es war <strong>ein</strong> Geben und Nehmen. Sie wussten zu schätzen, dass wir ihnen alle Freiheiten<br />
gegeben haben, und sie haben uns nicht enttäuscht, sondern von sich aus alles gegeben,<br />
damit das Projekt <strong>ein</strong> Erfolg wurde.<br />
So richtig gepackt hat es mich im Rahmen des ersten Festivals <strong>–</strong> als man zum ersten Mal <strong>ein</strong><br />
Ergebnis sehen konnte. In der Entstehungsphase war es super interessant und aufregend<br />
zu beobachten, aber man wusste noch nicht, was am Ende des Tages dabei herum kommt.<br />
Dabei war das erste Festival natürlich im Vergleich zu heute noch sehr rudimentär. Heute<br />
<strong>ist</strong> ja alles schon fast perfekt. Aber man sah eben das Potential, die Bege<strong>ist</strong>erung von Seiten<br />
der Jugendlichen, es passte auf <strong>ein</strong>mal alles zusammen.<br />
„ <strong>ARTig</strong> hat <strong>ein</strong>en neuen Aspekt kultureller Bildung<br />
aufgezeigt. “<br />
Gibt es <strong>ein</strong>e persönliche Geschichte, die Sie mit <strong>ARTig</strong> verbindet? Eine Geschichte,<br />
die Ihre persönliche verbindung zu <strong>ARTig</strong> gut beschreibt?<br />
Projekte, die mich immer besonders interessieren, sind die im Bereich Fotografie. Mich hat<br />
gleich im ersten Jahr fasziniert, welch unglaubliche Ideen, Fähigkeiten und Fertigkeiten in<br />
jungen Menschen ruhen. Im ersten Jahr war es <strong>ein</strong>e fantastische Schwarz-Weiß-Fotoreihe<br />
<strong>ein</strong>es jungen Mädchens, die mich wirklich umgehauen hat, weil ich nie damit gerechnet<br />
hätte, dass so etwas zustande kommt. Und ich glaube, das hat dazu geführt, dass ich nach<br />
wie vor besonders auf Fotoprojekte „anspringe“.
Was war das für <strong>ein</strong>e Fotoreihe?<br />
36 37<br />
Ich habe neulich noch Fotos aus der Reihe in der Hand gehabt. Lioba Keuck <strong>ist</strong> durch die<br />
Stadt gelaufen und hat ganz verschiedene Menschen in <strong>ein</strong>er für sie typischen Umgebung<br />
fotografiert. Ich bin heute noch fasziniert, wenn ich diese Fotos sehe, damals waren sie<br />
der Auslöser dafür, dass ich diese unglaublich enge Bindung zu <strong>ARTig</strong> entwickelt habe.<br />
Ich verantworte bei der Stiftung zahlreiche Projekte, doch man <strong>ist</strong> nicht unbedingt immer<br />
auch mit dem Herzen dabei. Diese Fotoserie hat mich für alle Zeiten zu <strong>ein</strong>em großen<br />
<strong>ARTig</strong>-Fan gemacht. Lioba Keuck hat später Fotografie studiert, was mich natürlich besonders<br />
freut.<br />
Wenn <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e Person wäre, wie wäre sie? Könnten Sie diese Person beschreiben?<br />
<strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> super-kreativ, super-innovativ, ganz offen für alles. Auf der <strong>ein</strong>en Seite alte Werte<br />
respektierend, aber auch Neues ausprobieren wollend, jung, aber auch weise. Man könnte<br />
wohl sagen, <strong>ARTig</strong> wäre <strong>ein</strong>e alterslose Person.<br />
Das bringt mich direkt auf die Frage nach den Grenzen von <strong>ARTig</strong>. Sie sagten, Sie<br />
seien auch sehr überrascht gewesen beim ersten Festival. Das erste Festival, das ich<br />
miterlebt habe (2009), hat mich ebenfalls sehr be<strong>ein</strong>druckt. Beim Festival 2010 jedoch<br />
hat man erlebt, dass auch Grenzen überschritten werden, dass die Jugendlichen sie<br />
auch bewusst suchen. Wie <strong>ist</strong> das mit den Grenzen? Wo sind die aus Ihrer Sicht und<br />
sollten die <strong>ARTig</strong>en sie überschreiten dürfen?<br />
Innerlich gibt es für mich k<strong>ein</strong>erlei Grenzen. Grenzen überschritten sehe ich eigentlich nur,<br />
wenn zum Beispiel gewisse Regeln des Anstands <strong>–</strong> auch diese sollte es im Freiraum <strong>ARTig</strong><br />
geben <strong>–</strong> vom Publikum nicht <strong>ein</strong>gehalten werden. Ich denke da an <strong>ein</strong>e Lesung, bei der <strong>ein</strong>ige<br />
Anwesende die erforderliche Ruhe nicht respektierten. M<strong>ein</strong>e spontane Reaktion war: Das<br />
darf im nächsten Jahr nicht mehr passieren. Aber <strong>ist</strong> das vielleicht schon zu erwachsen, zu<br />
‚un<strong>ARTig</strong>’, haben die Jugendlichen das gar nicht als so störend empfunden? Ich wüsste jetzt<br />
auch nicht, welches die richtige Antwort <strong>ist</strong>.<br />
M<strong>ein</strong>es Erachtens liegen die Grenzen innerhalb des Projektes im organisatorischen Bereich,<br />
weil die Jugendlichen natürlich alles sehr locker sehen, da würde ich als Erwachsener schon<br />
etwas anders rangehen. Aber hier stellt sich dann die Frage, soll man sich selbst dort <strong>ein</strong>bringen<br />
und damit Regeln setzen, Freiheiten Riegel vorschieben oder soll man es weiter so<br />
laufen lassen? Auf der <strong>ein</strong>en Seite <strong>ist</strong> natürlich <strong>ein</strong>e perfekte Veranstaltung ganz wunderbar.
inTERViEw peTra wickenkamp<br />
„ verbilligte Museumskarten, <strong>ein</strong> reduzierter Eintritt<br />
in oper und Schauspiel <strong>ist</strong> nicht ausschließlich,<br />
was die jungen leute wollen, sondern vor allem auch<br />
selbst gestalten, selbst etwas machen.“<br />
Aber passt das wirklich zu <strong>ARTig</strong>? Oder <strong>ist</strong> das Nichtperfekts<strong>ein</strong> vielmehr etwas, das den<br />
Charme dieses Projektes ausmacht.<br />
Es wird ja immer wieder diskutiert, ob <strong>ARTig</strong> zu perfekt wird. Das <strong>ist</strong> tatsächlich <strong>ein</strong>e<br />
interessante Frage. Was m<strong>ein</strong>en Sie? Ist es möglich, dass <strong>ARTig</strong> sich quasi selbst an<br />
<strong>ein</strong>e Grenze bringt, indem es »fertig« wird, indem es »zu professionell« wird und<br />
dann nicht mehr das hat, was es <strong>ein</strong>mal hatte <strong>–</strong> dieses unfertige, dieses Suchende,<br />
Jugendliche?<br />
Das glaube ich nicht. Es kommen immer wieder neue, ganz junge Menschen dazu, die auch<br />
immer wieder diesen jungen, diesen unfertigen Spirit mit <strong>ein</strong>bringen. Der <strong>ist</strong> unheimlich<br />
wichtig für dieses Projekt und darf auf k<strong>ein</strong>en Fall verloren gehen. Fertig <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> als Konzept,<br />
und als solches hat es sicherlich <strong>ein</strong>e positive Ausstrahlung auf die gesamte Jugendkultur-<br />
szene in <strong>Düsseldorf</strong>. Denn jeder, der sich in dem Umfeld bewegt, misst sich auch an dem,<br />
was bei <strong>ARTig</strong> passiert und präsentiert wird.<br />
Sie haben diesen Selbsterneuerungsfaktor bei <strong>ARTig</strong> angesprochen. Ist das Selbsterneuernde<br />
das, was <strong>ARTig</strong> am leben hält?<br />
Das ständig sich Erneuernde <strong>ist</strong> wichtig für <strong>ARTig</strong>. Ganz entscheidend <strong>ist</strong> aber auch <strong>ein</strong>e<br />
Konstante: das Projektteam. Wir haben <strong>ein</strong> immer gleichbleibendes Herzstück, zwar mit<br />
wechselnden Teilnehmern, aber <strong>ein</strong>er gem<strong>ein</strong>samen Idee, der <strong>ARTig</strong>en. Um dieses Herzstück<br />
formt sich <strong>ein</strong>e größere Gruppe, nach innen fest und nach außen lockerer, wie bei<br />
<strong>ein</strong>em Magneten, der nur <strong>ein</strong> bisschen anzieht, was weit weg <strong>ist</strong>, und immer stärker wird, je<br />
näher man ihm kommt. Mal löst sich <strong>ein</strong> Stück des Kerns, dafür kommt <strong>ein</strong> neues dazu. Das,<br />
glaube ich, macht eigentlich den Erfolg von <strong>ARTig</strong> aus, die Kombination von „Urgest<strong>ein</strong>“,<br />
und „Freshman“.
Was würden Sie aus Ihrer Sicht sagen, was <strong>ARTig</strong> werden sollte oder bleiben sollte?<br />
Ich glaube, es wäre <strong>ein</strong>e Gefahr, <strong>ein</strong>e Wunschvorstellung von <strong>ein</strong>em zukünftigen <strong>ARTig</strong> zu<br />
haben, auch die Entwicklung von <strong>ARTig</strong> sollte offen bleiben. Im Moment <strong>ist</strong> aus m<strong>ein</strong>er Sicht<br />
<strong>ARTig</strong> genau das, was es s<strong>ein</strong> sollte, <strong>ein</strong>e Art Labor, in dem sich Jugendliche ausprobieren<br />
können, <strong>ein</strong>e Plattform für künstlerisches Schaffen, die offensichtlich in der derzeitigen<br />
Form den Bedürfnissen der jungen Menschen voll entspricht. Diese Plattform <strong>ist</strong> nach allen<br />
Seiten offen, so dass immer spontan entschieden werden kann, in welche Richtung es weiter<br />
gehen soll.<br />
Was bedeutet <strong>ARTig</strong> für die Bildungslandschaft <strong>Düsseldorf</strong><br />
und die Arbeit der Stiftung?<br />
<strong>ARTig</strong> hat <strong>ein</strong>en neuen Aspekt kultureller Bildung aufgezeigt. In der <strong>Düsseldorf</strong>er Kulturlandschaft<br />
<strong>ist</strong> das Projekt <strong>ein</strong>zigartig und hat damit auch ganz klar s<strong>ein</strong>en festen Platz im<br />
Portfolio der Vodafone Stiftung. Für die Stiftung wünsche ich mir, dass wir es zukünftig mehr<br />
mit unseren anderen Projekten verzahnen. Unser Bildungsschwerpunkt bietet diesbezüglich<br />
sicherlich Ansatzmöglichkeiten.<br />
„ Mich hat gleich im ersten Jahr fasziniert,<br />
welch unglaubliche Ideen, Fähigkeiten<br />
und Fertigkeiten in jungen Menschen ruhen.“<br />
Die Wahrnehmung von <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> über die Grenzen von <strong>Düsseldorf</strong> hinaus <strong>ein</strong>e sehr<br />
positive. Das Projekt wurde mehrfach ausgezeichnet <strong>–</strong> zuletzt gerade im Wettbewerb<br />
»Land der Ideen«. Halten Sie es für denkbar, dass es auch Ableger findet ?<br />
Es war immer m<strong>ein</strong> Wunsch, <strong>ARTig</strong> auch in andere Städte zu bringen. Wo immer das Projekt<br />
präsentiert wird, findet es großen Anklang. Aber man sollte nicht vergessen, dass es drei<br />
Parteien braucht, um das Projekt zu implementieren: <strong>ein</strong>en Förderer, <strong>ein</strong>en Projektpartner<br />
und vor allen Dingen <strong>ein</strong> Projektteam. In <strong>Düsseldorf</strong> hat von Anfang an alles zusammen<br />
gepasst, das war das Besondere. Diese optimalen Bedingungen wieder zu finden, dürfte<br />
schwer s<strong>ein</strong>.<br />
38 39
inTERViEw peTra wickenkamp<br />
Abschließend die Frage: Sie sammeln <strong>ARTig</strong>-Kunst für die Stiftung, aber auch für sich<br />
persönlich. Welche Bedeutung haben die Kunstwerke für Sie?<br />
Ich finde es wichtig, den jungen Künstlern durch den Kauf der Kunstobjekte Anerkennung<br />
zu zollen und Beifall zu spenden. Und es gefällt mir, den Schaffensprozess zu verfolgen, an<br />
dessen Ende das fertige Produkt zu sehen und mich langfr<strong>ist</strong>ig daran zu erfreuen.<br />
verfolgen sie die jungen Künstlerinnen und Künstler, von denen sie Werke haben?<br />
Wir sind natürlich daran interessiert zu verfolgen, was aus den von uns geförderten jungen<br />
Menschen wird. Und wir sind ganz besonders stolz, wenn wir hören, dass <strong>ein</strong> Teilnehmer sich<br />
beruflich im Bereich Kunst/Kultur orientiert.<br />
Wie <strong>ist</strong> denn der Bestand an Kunstwerken inzwischen bei der Stiftung? Könnte sich<br />
vielleicht irgendwann <strong>ein</strong>e Ausstellung lohnen mit ehemaligen Werken?<br />
Inzwischen verfügen wir schon über <strong>ein</strong>e kl<strong>ein</strong>e <strong>ARTig</strong>e Kunstsammlung. Wir bemühen uns,<br />
immer alles auszustellen. Dass die Objekte wie in <strong>ein</strong>em Museum in <strong>ein</strong>em Archiv verschwinden,<br />
versuchen wir zu vermeiden. Wenn sie bei uns in der Stiftung k<strong>ein</strong>en Platz finden, kommen<br />
sie irgendwo anders im Hause Vodafone zur Ausstellung . Ich würde auch gerne <strong>ein</strong>mal<br />
<strong>ein</strong>e öffentlich zugängliche Ausstellung machen, nur gibt es hier leider derzeit dafür k<strong>ein</strong>e<br />
geeigneten Räumlichkeiten.<br />
vielleicht demnächst im neuen vodafone campus …<br />
Das würde ich mir wünschen.<br />
vielen Dank für das Interview.
„ Diese Plattform <strong>ist</strong> nach allen Seiten offen, so dass<br />
immer spontan entschieden werden kann, in welche<br />
Richtung es weiter gehen soll.“<br />
40 41
VERTRAuEn inS innERE günTHer (günni) HeSSelBarTH, arTig vi
Wer kennt es nicht <strong>–</strong> das endlos flaue Gefühl im Bauch, den grenzenlosen Zorn,<br />
das Kribbeln der Euphorie. Gefühle sind Zündstoff der Kunst. Sie sind sowohl<br />
schön als auch grausam. unterdrücke sie nicht, denn sie gehören zu dir und<br />
zu mir; sie treiben uns an. lass sie zu, spüre sie. W<strong>ein</strong>e, wenn dir danach <strong>ist</strong>,<br />
sei zornig, wenn dir danach <strong>ist</strong>. Lächle, wenn du glücklich b<strong>ist</strong>. Wer empfindet,<br />
der lebt. Tanz <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Abbild der Emotionen.<br />
42 43
PAPiER vero endemann, arTig vii
Durch Einfarbigkeit wird das Augenmerk auf Silhouette, volumen, Raum,<br />
Licht und Schatten, beziehungsweise Oberfläche gelenkt, was bewirkt,<br />
dass sich die Konzentration auf das Skulpturelle bezieht.<br />
44 45
noBEL GEhT DiE wELT zuGRunDE naTHalie zieTek, monika malczewSki, marie-THereS gröne, arTig vii
Ich will jede Sekunde in m<strong>ein</strong>en Adern spüren, als wäre es der letzte Atemzug.<br />
Ich mache<br />
After-Work-Party,<br />
Block<br />
lAN-Party,<br />
Party,<br />
Kuschelparty,<br />
Pyjama-Party,<br />
Stag<br />
Ü30,<br />
Party,<br />
Speeddating,<br />
Flatrate<br />
happy hour<br />
Saufen,<br />
und 3Tage wach.<br />
Ich bin nicht naiv. Ich will nur wissen, ob die Grenzen d<strong>ein</strong>er Welt m<strong>ein</strong>er standhalten.<br />
Ich will nicht viel, ich will nur alles.<br />
46 47
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 2 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann
Vodafone Stiftung<br />
Deutschland gGmbH<br />
<strong>ARTig</strong> plus<br />
düsseldorf <strong>ist</strong> artig —.<br />
<strong>ein</strong> <strong>innovatives</strong><br />
BildungsProJeKt<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />
Projektkoordination<br />
<strong>ARTig</strong> Ideenwettbewerb<br />
Kulturamt<br />
Stadt <strong>Düsseldorf</strong><br />
Team Team<br />
PR Grafik Mentoren<br />
Team<br />
Freie<br />
Teammitglieder<br />
48.1<br />
Netzwerk/Alumni<br />
( 2 )<br />
Spartenpaten<br />
von Petra Winkelmann<br />
<strong>ARTig</strong> sagt<br />
48 49
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 2 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />
Partizipation oder<br />
der Prozess düsseldorf <strong>ist</strong> artig<br />
Das Konzept von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>fach: Jugendliche<br />
zwischen 15 und 23 Jahren können sich <strong>ein</strong>mal jährlich im Früh-<br />
jahr beim Kulturamt mit ihren eigenen kreativen Ideen sowohl<br />
<strong>ein</strong>zeln als auch in Gruppen in den Sparten bildende Kunst, Litera-<br />
tur, Photographie, Tanz, Theater, Film und Musik bewerben. Eine<br />
Jury, an der die künstlerischen Mentoren, jugendliche Teammit-<br />
glieder und Vertreter von Stadt und Stiftung teilnehmen, wählt<br />
unter den Kriterien Konzept, Handwerk, Originalität und Experiment<br />
sowie Umsetzbarkeit die zu realisierenden Projektideen<br />
aus. Im Anschluss daran findet die Umsetzungsphase statt, in der<br />
die <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer mit Unterstützung ihrer Mentoren an der<br />
Realisierung ihrer Ideen arbeiten, die im November im Rahmen<br />
des jährlich stattfindenden <strong>ARTig</strong>-Festivals in <strong>ein</strong>em professionellen<br />
Rahmen öffentlich präsentiert werden. Dieses Konzept wird<br />
seit 2004 umgesetzt, wobei jeder neue Projektdurchgang neue<br />
Erfahrungen und konkrete Verbesserungsideen mit sich bringt:<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> stets in Bewegung.<br />
In der Zusammenarbeit mit den Mentoren und dem <strong>ARTig</strong>-<br />
Team hat <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> s<strong>ein</strong>en Charakter und s<strong>ein</strong>e eigene<br />
Projektphilosophie entwickelt. 8 Dabei standen und stehen selbstverständlich<br />
die für alle Beteiligten wichtigen Festivalpräsentationen<br />
im Fokus. Das <strong>ist</strong> der Moment, auf den alle hinarbeiten:<br />
Jetzt verlassen die <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer den geschützten Raum und<br />
48.2
Vodafone Stiftung<br />
Deutschland gGmbH<br />
zeigen öffentlich ihre künstlerischen Le<strong>ist</strong>ungen. Jeder Projektdurchgang<br />
endet mit diesem mehrtägigen Höhepunkt. Das Pub-<br />
Kulturamt<br />
Stadt <strong>Düsseldorf</strong><br />
likumsinteresse wächst kontinuierlich: Das <strong>ARTig</strong>-Festival 2010<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />
hatte an vier Veranstaltungstagen circa 3.500 Besucher.<br />
Das Festival <strong>ist</strong> das Ergebnis monatelanger Arbeit. Als das<br />
wesentliche, nach außen weithin sichtbare Element von <strong>Düsseldorf</strong><br />
<strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> es <strong>ein</strong> Schaufenster jugendlicher Projektkoordination Kreativität.<br />
Die Festival-Organisation übernimmt das <strong>ARTig</strong>-Team unter Beteiligung<br />
von <strong>ARTig</strong>-Teilnehmern unter der Federführung der<br />
verantwortlichen, hauptamtlichen Projektleitung. Das betrifft<br />
die Organisation der künstlerischen Auftritte, die Festivaldurchführung<br />
<strong>ARTig</strong> und plusalles,<br />
was dazugehört <strong>ARTig</strong> wie zum Ideenwettbewerb<br />
Beispiel Proben,<br />
Einlass, Catering oder Soundchecks. Ohne gelebte Partizipation<br />
wäre <strong>ein</strong>e solche Beteiligung von Jugendlichen auf freiwilliger<br />
Basis nicht denkbar: <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> ihr Projekt.<br />
<strong>ARTig</strong> sagt<br />
Team Team<br />
PR Grafik Mentoren<br />
Team<br />
Freie<br />
Spartenpaten<br />
Teammitglieder<br />
9<br />
Weniger beachtet, aber für die Entwicklung des Projekts<br />
ebenfalls von Bedeutung <strong>ist</strong> das, was kontinuierlich und zwischen<br />
den Ideenwettbewerben geschieht: die gem<strong>ein</strong>samen<br />
Diskussionen, die Suche nach Lösungen ebenso wie die gem<strong>ein</strong>same<br />
Freude über den Erfolg von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> und die<br />
Überlegungen, wie man auf diesem Weg fortschreiten soll. Der<br />
kreative Ideenwettbewerb hat <strong>ein</strong>en Anfang und <strong>ein</strong> Ende <strong>–</strong> das<br />
<strong>ARTig</strong>-Netzwerk arbeitet immer.<br />
8 Zur Veranschaulichung der komplexen Organisationsstruktur befindet sich auf Seite<br />
49 des Buches <strong>ein</strong> Organigramm.<br />
9 Allerdings erwartet <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> diese Le<strong>ist</strong>ungen nicht ausschließlich eh-<br />
Netzwerk/Alumni<br />
renamtlich. Jugendliche, die sich für das Projekt engagieren, zum Beispiel Promotion<br />
machen oder Teile der Festivalorganisation übernehmen, erhalten <strong>ein</strong>e finanzielle<br />
Anerkennung oder Aufwandsentschädigung.<br />
48.3<br />
48 49
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 2 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />
Die gleichberechtigte Beteiligung von Jugendlichen bei der<br />
Projektentwicklung war s<strong>ein</strong>erzeit <strong>ein</strong> Novum. 10 Ausgehend von<br />
der Frage, was Jugendliche an dem umfangreichen und vielfältigen<br />
Kulturangebot <strong>Düsseldorf</strong>s vermissen, ergaben die Diskussionen<br />
mit ihnen unter anderem folgende Antworten:<br />
> Die Angebote der Kulturinstitute werden zwar als inhaltlich<br />
attraktiv empfunden, korrespondieren aber in Sprache<br />
und Form nicht mit dem Lebensgefühl und der Lebenswelt<br />
junger Menschen.<br />
> Die unmittelbare Ansprache durch andere Jugendliche<br />
als Multiplikatoren erhöht die Glaubwürdigkeit und baut<br />
Schwellenängste ab.<br />
> Es fehlen Möglichkeiten zur Entfaltung eigener kreativer<br />
Projekte.<br />
Grundsätzlich hat <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> den Anspruch und<br />
das Ziel, Jugendliche unabhängig von ihrer Herkunft und schulischen<br />
Bildung zu erreichen. <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> beteiligt Jugendliche<br />
mit unterschiedlichen sozio-kulturellen Hintergründen,<br />
die allerdings <strong>ein</strong>es gem<strong>ein</strong>sam haben: Sie sind selbst kreativ<br />
und wollen künstlerisch aktiv werden. Über die Begegnung auf<br />
freiwilliger Basis und in ihrem eigenen kreativen Handeln bietet<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e neuartige Austauschplattform. 11 Losgelöst<br />
vom Kontext des Alltags werden die kreativen Ideen aller<br />
Teilnehmer diskutiert. Jede Idee wird mit Respekt behandelt.<br />
Dieser über die inhaltliche Aus<strong>ein</strong>andersetzung ermöglichte Austausch<br />
bietet <strong>ein</strong> gleichberechtigtes Mit<strong>ein</strong>ander unterschiedli-<br />
48.4
Vodafone Stiftung<br />
Deutschland gGmbH<br />
cher Hintergründe, Anschauungen und gestalterischer Entwürfe<br />
und <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> sozial-integratives Moment. Sobald die Teilnehmer<br />
in die Arbeitsphase <strong>ein</strong>steigen, steht das gem<strong>ein</strong>same Ziel, das<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />
jeder für sich individuell erreichen will, im Focus. Alles andere<br />
lassen sie hinter sich.<br />
Projektkoordination<br />
12<br />
Neben der zentralen Bedeutung von Partizipation kennzeichnen<br />
folgende Aspekte die Philosophie und den Charakter<br />
von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>: Künstler als Mentoren, Förderung, Netzwerk,<br />
Kommunikation und Nachhaltigkeit.<br />
<strong>ARTig</strong> plus<br />
<strong>ARTig</strong> Ideenwettbewerb<br />
Kulturamt<br />
Stadt <strong>Düsseldorf</strong><br />
Team Team<br />
PR Grafik Mentoren<br />
Team<br />
10 2004 beschreibt das Jugend-KulturBarometer dieses Vorgehen als innovativen Ansatz.<br />
Vgl.: ebd., S. 11, S. 237 ff. Freie<br />
Spartenpaten<br />
11 Obwohl die me<strong>ist</strong>en 15<strong>–</strong>23jährigen Teammitglieder<br />
<strong>ARTig</strong>-Teilnehmer Schüler weiterführender Schulen<br />
beziehungsweise Studenten sind, <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> k<strong>ein</strong> <strong>Bildungsprojekt</strong>, dessen Teilnehmer<br />
in erster Linie aus den traditionell kulturaffinen Herkunftsmilieus kommen.<br />
Insbesondere die seit 2004 wachsende Teilnahme von Jugendlichen mit Migrationshintergrund<br />
lässt den Schluss zu, dass <strong>ARTig</strong> auch diese gesamtgesellschaftliche Entwicklung<br />
reflektiert. Beim letzten Durchgang 2010 hatten circa 50 Prozent der Teilnehmer<br />
<strong>ein</strong>en Migrationshintergrund. Die me<strong>ist</strong>en von ihnen kamen aus Osteuropa<br />
oder Afrika.<br />
12 Ohne es programmatisch zu intendieren, hat <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> diesen Effekt und<br />
verwe<strong>ist</strong> damit auf <strong>ein</strong>e besondere Rolle, die Kunst in diesem Kontext spielt. Eben weil<br />
Netzwerk/Alumni<br />
sich hier künstlerischer Inhalt, Ausdruck und Gestaltung zweckfrei entwickeln können,<br />
kann sich auch die den Künsten genuin zugrunde liegende, künstlerische Aus<strong>ein</strong>andersetzung<br />
des Eigenen mit dem Fremden kreativ und konstruktiv entfalten.<br />
48.5<br />
<strong>ARTig</strong> sagt<br />
48 49
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 2 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />
Künstler als Mentoren 13 :<br />
„Zen oder die Kunst, <strong>ein</strong> artiger zu s<strong>ein</strong>“<br />
Bereits während der Erarbeitung des Konzepts für Düssel-<br />
dorf <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> wurde deutlich, wie wichtig die inhaltliche, künst-<br />
lerisch-fachliche Begleitung bei der Realisierung der im Zuge des<br />
Wettbewerbs ausgewählten Projektideen s<strong>ein</strong> würde. Die dabei<br />
entwickelte Idee <strong>ein</strong>er künstlerischen Mentorenschaft, die den<br />
Jugendlichen die Möglichkeit gibt, ihre Ideen mit Unterstützung<br />
professioneller und in der Vermittlungspraxis erfahrener Künstler<br />
umzusetzen, sollte sich nicht nur als die richtige Antwort<br />
auf die Frage nach <strong>ein</strong>er fachlichen Begleitung erweisen, sondern<br />
auch zu <strong>ein</strong>em Spezifikum von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> werden.<br />
Die künstlerische Betreuung durch die Mentoren vollzieht<br />
sich weitab von Unterricht oder ästhetischer Einflussnahme. Die<br />
Mentoren begegnen den <strong>ARTig</strong>-Teilnehmern auf Augenhöhe und<br />
arbeiten individuell mit ihnen zusammen. 14<br />
Die Mentoren können und sollen <strong>ein</strong>er künstlerischen<br />
professionellen Ausbildung nicht vorgreifen, sondern die Viel-<br />
falt künstlerischer Arbeitsformen vorstellen beziehungsweise<br />
vorleben, und haben folgende Aufgaben:<br />
48.6
Vodafone Stiftung<br />
Deutschland gGmbH<br />
> Begleiter im künstlerischen Prozess<br />
> Ansprechpartner in organisatorischen Fragen<br />
> Vermittler zwischen der Projektleitung und den Projektteil-<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />
nehmern<br />
> Schnittstelle zu <strong>ein</strong>er aktiven künstlerischen Szene.<br />
Bei der Auswahl der Mentoren spielen Projektkoordination<br />
folgende Aspekte <strong>ein</strong>e<br />
entscheidende Rolle:<br />
> dass sie <strong>ein</strong>e professionelle künstlerische Ausbildung haben<br />
und selbst künstlerisch aktiv sind, sich also kontinuierlich<br />
<strong>ARTig</strong> mit eigenen plus kreativen Schaffensprozessen <strong>ARTig</strong> Ideenwettbewerb aus<strong>ein</strong>ander-<br />
setzen,<br />
> dass sie über pädagogische Praxis verfügen und gerne mit<br />
Jugendlichen zusammenarbeiten,<br />
Kulturamt<br />
Stadt <strong>Düsseldorf</strong><br />
<strong>ARTig</strong> sagt<br />
> dass<br />
Team<br />
sie in <strong>Düsseldorf</strong><br />
Team<br />
ansässig, ansprechbar<br />
PR<br />
und aktiv Grafiksind<br />
und sich in der lokalen Kunstszene auskennen,<br />
Mentoren<br />
Team<br />
> dass sie Lust haben, sowohl die Vernetzung innerhalb der eigenen<br />
Sparte voranzutreiben als auch mit den übrigen Mentoren<br />
und dem <strong>ARTig</strong>-Team im regelmäßigen Austausch zu<br />
Freie<br />
stehen (<strong>ARTig</strong>-Netzwerk).<br />
Spartenpaten<br />
Teammitglieder<br />
13 Diese Beschreibung geht in Teilen auf die Masterarbeit von Muna Zubi unter dem Titel<br />
„Herausforderungen an die partizipationsorientierte Kulturelle Bildung am Beispiel<br />
des Jugendkunstprojektes <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>“ zurück, die sie im August 2009 an der<br />
Hochschule für Musik und Theater Hamburg, Institut für Kultur- und Medienmanagement,<br />
vorlegte.<br />
14 Die Rolle und Haltung von Künstlern in den vom Kulturamt initiierten und durchgeführten<br />
<strong>Bildungsprojekt</strong>en <strong>ist</strong> zentraler Aspekt in der Arbeit von Künstlern in schulischen<br />
Netzwerk/Alumni<br />
und außerschulischen Vermittlungsprozessen und Gegenstand von Fortbildungen und<br />
Reflektionen. Künstler werden nicht pädagogisiert und sollen nicht als Betreuer und<br />
Lehrer, sondern aus ihrem genuinen Selbstverständnis als Künstler agieren.<br />
48.7<br />
48 49
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 2 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />
Die Mentoren geben auf Wunsch Hilfestellung. Ihr Einfluss<br />
auf den kreativen Prozess und s<strong>ein</strong>e Ergebnisse <strong>ist</strong> konzeptionell<br />
bewusst begrenzt. Dennoch übernehmen sie <strong>ein</strong>e große Verantwortung<br />
für die Jugendlichen, denn <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> versteht<br />
sich als <strong>ein</strong> Experimentierfeld, auf dem Jugendliche sich künstlerisch-kreativ<br />
ausprobieren können und sollen. Die Themen<br />
Einflussnahme auf künstlerischen Inhalt und Ausdruck und die<br />
Möglichkeit des Scheiterns künstlerischer Projekte von Jugendlichen<br />
beschäftigen die Mentoren kontinuierlich. Die Balance<br />
zwischen Einfluss- und Zurücknahme muss jeweils individuell<br />
gefunden werden.<br />
Um den Kontakt zu den jugendlichen Teilnehmern zu ver<strong>ein</strong>fachen,<br />
Verständnisschwierigkeiten auszuschließen und um<br />
die Mentoren zu unterstützen, gibt es die sogenannten Spartenpaten,<br />
me<strong>ist</strong> ehemalige <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer, die die Zusammenarbeit<br />
zwischen den Mentoren und den Projektteilnehmern<br />
spartenbezogen begleiten und unterstützen.<br />
Wie die <strong>ARTig</strong>-Mentoren selbst ihre Rolle verstehen, verdeutlicht<br />
das Leitbild, das sie gem<strong>ein</strong>sam erarbeitet haben, und<br />
das nicht nur die konkrete Situation beschreibt, sondern auch<br />
Rolle und Haltung von Künstlern in Vermittlungskontexten reflektiert:<br />
„Mentor <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e Figur aus Homers Epos Odyssee. Im übertrage-<br />
nen Sinne <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Mentor <strong>ein</strong> älterer <strong>–</strong> kluger und wohlwollender <strong>–</strong><br />
Berater und Begleiter <strong>ein</strong>es jungen Menschen. Bei Homer <strong>ist</strong> er<br />
<strong>ein</strong> Freund des Helden Odysseus und Beschützer von Telemachos,<br />
Odysseus’ Sohn. Während der zehnjährigen Irrfahrten des Odysseus<br />
nahm auch die Göttin Athene gelegentlich Mentors Gestalt<br />
an, um Telemachos zu beraten und zu unterstützen.<br />
48.8
Vodafone Stiftung<br />
Deutschland gGmbH<br />
> Wir Mentorinnen und Mentoren verstehen die Mentorenschaft<br />
als die ideale Form der Vermittlung ästhetischer Bildungsinhalte.<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />
> Wir betrachten die <strong>ARTig</strong>-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer<br />
als eigenverantwortliche Akteure und begleiten sie<br />
konstruktiv.<br />
Projektkoordination<br />
> Wir ermöglichen die Entwicklung <strong>ein</strong>er individuellen Ästhetik<br />
und <strong>ein</strong>es künstlerischen Ausdrucks.<br />
> <strong>ARTig</strong> Wir ermutigen plus sie, ihrer Intuition, <strong>ARTig</strong> ihren Ideenwettbewerb<br />
eigenen Ideen und<br />
Fähigkeiten zu vertrauen.<br />
> Wir fördern Selbstwahrnehmung und Selbstbestimmung.<br />
Kulturamt<br />
Stadt <strong>Düsseldorf</strong><br />
Team Team<br />
PR Grafik Mentoren<br />
Team<br />
> Wir ermöglichen <strong>ein</strong>en Einblick in künstlerische Schaffensprozesse<br />
und künstlerische Berufe.<br />
> Wir sind Fürsprecher, nicht Erzieher, Fragesteller, nicht<br />
Freie<br />
Antwortgeber. Wir schauen Spartenpaten<br />
Teammitglieder über die Schultern und stehen<br />
nicht im Weg.“ 15<br />
15 Das Mentorenleitbild wurde von den Mentoren von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> VII (2010)<br />
Netzwerk/Alumni<br />
entwickelt. Beteiligt waren: Klaus Sievers (bildende Kunst), Bianca Künzel (Theater),<br />
Nils Kemmerling (Film), Taki Kiometzis (Fotografie), Andrea Canta (Musik), Pamela<br />
Granderath (Literatur), Amelie Jalowy (Tanz) und Thomas Weltner (Kommunikation).<br />
48.9<br />
<strong>ARTig</strong> sagt<br />
48 49
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 2 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />
Grundsätzlich verständigten sich Mentoren, Spartenpaten und<br />
Projektleitung darauf:<br />
> den Status quo aller Projekte transparent zu machen und in<br />
regelmäßigen Treffen innerhalb der jeweiligen Teams über<br />
die Probleme zu sprechen und Lösungen zu finden,<br />
> bei kritischen Entwicklungen offen mit den Teilnehmern<br />
umzugehen und sie individuell anzusprechen. Sind Selbstbewussts<strong>ein</strong>,<br />
emotionale Reife und Selbstreflektion so weit<br />
entwickelt, dass <strong>ein</strong>e öffentliche Präsentation Möglichkeiten<br />
zur Weiterentwicklung bietet oder würde die Verunsicherung<br />
dominieren?<br />
> in Klärungsprozesse immer die Spartenpaten und/oder<br />
<strong>ARTig</strong>-Team-Mitglieder <strong>ein</strong>zubeziehen,<br />
> im Notfall den Präsentationsrahmen des Projektes zu verändern,<br />
zum Beispiel auf <strong>ein</strong>e kl<strong>ein</strong>ere Bühne zu verlegen,<br />
um die Teilnehmer und ihr Projekt nicht zu überfordern.<br />
Der Anspruch, den <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> an s<strong>ein</strong>e Mentoren stellt,<br />
<strong>ist</strong> hoch. Die Zusammenarbeit mit Jugendlichen <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e große<br />
Verantwortung und manchmal auch <strong>ein</strong>e Herausforderung:<br />
„So lernt man als Mentor notgedrungen, gelassen zu bleiben.<br />
Wenn mir unwohl <strong>ist</strong>, muss ich Argumente finden, um<br />
andere zu überzeugen. Gelingt das nicht <strong>–</strong> was nicht selten passiert<br />
<strong>–</strong> muss ich andere Lösungen ertragen. Zen oder die Kunst,<br />
<strong>ein</strong> <strong>ARTig</strong>er zu s<strong>ein</strong>“, beschreibt Klaus Sievers, Künstler und von<br />
48.10
Vodafone Stiftung<br />
Deutschland gGmbH<br />
2005 bis 2010 <strong>ARTig</strong>-Mentor für bildende Kunst, s<strong>ein</strong>e Rolle. Hier<br />
wird die Haltung der Mentoren deutlich: Sie müssen die Eigen-<br />
Kulturamt<br />
Stadt <strong>Düsseldorf</strong><br />
verantwortung der Teilnehmer zulassen und gegebenenfalls das<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />
Zurückbleiben hinter eigenen Ansprüchen ertragen <strong>–</strong> <strong>Düsseldorf</strong><br />
<strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> versteht sich auch als <strong>ein</strong> Schutzraum für kreative<br />
(Selbst-)Experimente.<br />
Die <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer selbst bewerten Projektkoordination<br />
die Zusammenarbeit<br />
mit den Mentoren grundsätzlich positiv: Die fachliche Begleitung<br />
und Unterstützung, neue Impulse, Lernen von den Professionellen<br />
werden besonders hervorgehoben. Künstler, die professionell<br />
arbeiten und über <strong>ein</strong> künstlerisches Umfeld und künstlerische<br />
Produktionsbedingungen <strong>ARTig</strong> plus verfügen, zum <strong>ARTig</strong> Beispiel Ideenwettbewerb<br />
über Ateliers,<br />
Tanzstudios, Photolabore, erweitern den Horizont und zeigen<br />
interessante Berufsfelder auf. Die Mentoren gewähren Einblicke<br />
in ihr Leben und ihre Erfahrungen als Künstler.<br />
<strong>ARTig</strong> sagt<br />
Die<br />
Team<br />
fachliche und technische<br />
Team<br />
Hilfestellung<br />
PR<br />
durch Grafik die Mentoren<br />
spielt <strong>ein</strong>e große Rolle, zum Beispiel bei der Entwicklung<br />
<strong>ein</strong>es konzeptionellen Ansatzes in der Dramaturgie <strong>ein</strong>es Tanzoder<br />
Theaterstückes oder bei der Arbeit im Aufnahmestudio.<br />
Mentoren<br />
Team<br />
Aber man lernt auch den Umgang mit Kritik und das Erkennen<br />
Freie<br />
und Akzeptieren von Realisierungsgrenzen Spartenpaten<br />
Teammitglieder <strong>–</strong> <strong>ein</strong> nicht selten<br />
auftauchendes Thema <strong>–</strong> und den konstruktiven Umgang mit den<br />
Bedingungen.<br />
Das Mentorenprinzip hat sich in unterschiedlicher personeller<br />
Besetzung bewährt.<br />
48.11<br />
Netzwerk/Alumni<br />
48 49
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 2 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann
Vodafone Stiftung<br />
Deutschland gGmbH<br />
<strong>ARTig</strong> plus<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />
Projektkoordination<br />
<strong>ARTig</strong> Ideenwettbewerb<br />
Kulturamt<br />
Stadt <strong>Düsseldorf</strong><br />
Team Team<br />
PR Grafik Mentoren<br />
Team<br />
Freie<br />
Teammitglieder<br />
Netzwerk/Alumni<br />
Spartenpaten<br />
<strong>ARTig</strong> sagt<br />
48 49
inTERViEw muna zuBi
„ Ich war immer Team,<br />
ich war nie Teilnehmerin.“<br />
Muna Zubi „musste das <strong>ein</strong>fach machen“, so ihre vorgängerin Martina Stec-Meiert. Sie<br />
sei die Richtige zur rechten Zeit gewesen. Muna Zubi <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>-Projektkoordinatorin<br />
seit 2009 und kennt <strong>ARTig</strong> wie wenige sonst. Sie gehörte bereits zum Kreis der jungen<br />
Experten, die 2004 das Projekt aus der Taufe hoben. „Wir haben <strong>ein</strong>ander gefunden“,<br />
erzählt Muna Zubi. <strong>ARTig</strong>-Mentor Thomas Weltner verriet sie, wie <strong>ARTig</strong> und sie sich<br />
verliebten, aus den Augen verloren und schließlich wiederfanden.<br />
Thomas Weltner: Muna, findet <strong>ARTig</strong> die s<strong>ein</strong>en? Wie hat <strong>ARTig</strong> Dich gefunden?<br />
Muna Zubi: Man findet sich, indem man angefixt wird. Die me<strong>ist</strong>en, seien es Teilnehmer,<br />
Mentoren oder andere Mitgestalter, werden über Funkenflug infiziert. Tröpfcheninfektion <strong>–</strong><br />
aber es klingt nicht so schön. Du kriegst irgendwo etwas <strong>ARTig</strong>es mit; am Anfang waren es<br />
<strong>ein</strong>fach nur diese drei, vier Leute, die so bege<strong>ist</strong>ert über <strong>ein</strong>e Möglichkeit gesprochen haben.<br />
Hinterher waren es dann die Festivals oder Leute, die davon erzählt haben. Ich denke, das<br />
<strong>ist</strong> der Weg <strong>–</strong> etwas Lebendiges mitzukriegen, das <strong>ein</strong>en bege<strong>ist</strong>ert. Unsere Medien und die<br />
Werbung sind sicher wichtig, aber im Kern läuft alles über Beziehung und Bege<strong>ist</strong>erung.<br />
Bei mir <strong>ist</strong> das <strong>ein</strong> wenig anders. Vielleicht hat <strong>ARTig</strong> mich gefunden, aber ich habe auch<br />
<strong>ARTig</strong> gefunden. Wir haben <strong>ein</strong>ander gefunden.<br />
Was wäre denn D<strong>ein</strong>e persönliche Geschichte mit <strong>ARTig</strong>?<br />
50 51<br />
Eine Liebesgeschichte, aber <strong>ein</strong>e sehr reale Liebesgeschichte, nicht so hollywoodmäßig.<br />
Man geht abends los auf <strong>ein</strong>e Party, man rechnet eigentlich mit gar nichts und auf <strong>ein</strong>mal<br />
dreht man sich um denkt: „Wow, hallo, wer b<strong>ist</strong> Du denn, kennen wir uns nicht“? „Nee, wir<br />
kennen uns nicht, aber da <strong>ist</strong> etwas zwischen uns.“ Also nicht die gleich Liebe auf den ersten<br />
Blick, aber <strong>ein</strong> großes Interesse an diesem attraktiven Typ. Man will sich auf jeden Fall näher<br />
kennen lernen! Das erste Festival würde ich dann als <strong>ein</strong>en Punkt bezeichnen, wo es Boom<br />
gemacht hat. Wo wir ganz berauscht waren und völlig von<strong>ein</strong>ander bege<strong>ist</strong>ert.
inTERViEw muna zuBi<br />
Das erste Festival?<br />
Genau, vielleicht auch die erste <strong>ARTig</strong>-Pressekonferenz … Der Moment, in dem man merkt,<br />
das funktioniert, und das erste Festival, waren die Momente, als man wirklich realisierte, was<br />
da grad passierte! Eine beginnende Liebe, die sich dann zwei, drei Jahre stetig entwickelt<br />
hat und an der ich mit ganzem Herzen hing und von der ich immer wieder berauscht war,<br />
jedes Jahr aufs Neue.<br />
Aber nach drei Jahren, so zum Ende m<strong>ein</strong>es BA-Studiums, wusste ich, dass ich zum Master<br />
nach Hamburg wechseln werde und habe auch gemerkt, dass ich nochmal etwas anderes<br />
will. Es <strong>ist</strong> schön, es macht Spaß, aber es <strong>ist</strong> gemütlich geworden. Ich glaub’, das <strong>ist</strong> so <strong>ein</strong><br />
bisschen das Beziehungsding, man merkt, es <strong>ist</strong> immer noch schön mit<strong>ein</strong>ander und man<br />
würde auch nicht gehen, wenn es nicht <strong>ein</strong>e Möglichkeit dazu gäbe. Wir hatten uns also in<br />
Freundschaft getrennt und sind auch immer so verblieben.<br />
Hamburg war aber auch der Ort, an dem ich Abstand gesucht habe, ich bin wenig nach<br />
<strong>Düsseldorf</strong> gefahren, auch nicht zu den Festivals und das sehr bewusst. Ich dachte immer,<br />
vielleicht hat <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e Neue und das möchte man ja auch nicht sehen, wenn der Ex da<br />
irgendwie rumknutscht, da sucht man sich dann lieber Ablenkung. Und die hatte ich dann<br />
in Hamburg auch, ich hab’ in <strong>ein</strong>er Stiftung gearbeitet, im Kindermuseum und bin noch mal<br />
ans Theater gegangen. Das war auch toll und berauschend.<br />
Zurück zu <strong>ARTig</strong> zu gehen hatte ich da gar nicht geplant. Aber irgendwann traf ich dann Martina<br />
in <strong>Düsseldorf</strong> zum Kaffee und sie sagte mir, dass sie jemanden braucht, der übernimmt,<br />
und was denn so m<strong>ein</strong>e Pläne wären für die Zukunft. Genau. Und das war dann, glaub’ ich,<br />
dieses Ding „man trifft sich wieder auf <strong>ein</strong>en Kaffee“ und auf <strong>ein</strong>mal sind da wieder Gefühle.<br />
Man hat sich zwei Jahre nicht gesehen, s<strong>ein</strong> eigenes Ding gemacht, hat irgendwelche anderen<br />
Affären gehabt, hat sich auch weiterentwickelt und trifft sich dann doch wieder.<br />
Ich glaube, ich hätte <strong>ARTig</strong> nicht so übernehmen können, wenn ich nicht zwischendurch<br />
weggewesen wäre. Ich musste erst noch was anderes sehen und kennen lernen. So konnte<br />
ich zurückgehen und auch ganz neue Sachen <strong>ein</strong>bringen.<br />
„ Wir schaffen das weniger durch Geld, sondern<br />
mehr durch Funkenschlag.“
und der Moment des sich wieder verliebens …?<br />
Das war super! Das war total super. Also, ich weiß nicht, wie lange ich überlegt habe, ich glaub’<br />
k<strong>ein</strong>e halbe Stunde. Als das hier losging, das war ja im August 2009, das war auch skurril, ich<br />
hatte noch fünf Tage vorher m<strong>ein</strong>e Master-Arbeit in Hamburg abgegeben, hatte dann <strong>ein</strong><br />
paar Tage zum Packen und Verabschieden, bin dann hier hingekommen und es ging gleich<br />
direkt richtig los. Das war heftig, aber auch toll, weil ich da gemerkt habe, wie viel Liebe und<br />
Bege<strong>ist</strong>erung immer noch dahinter stehen.<br />
Also <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> für alle <strong>ein</strong> „lebensabschnittgefährte.“<br />
Es <strong>ist</strong> ja nichts für die Ewigkeit, oder?<br />
Ja, es <strong>ist</strong> nichts für die Ewigkeit. Aber im besten Falle werden ja aus tollen Beziehungen die<br />
besten Freunde <strong>–</strong> mit Abstand und im positivsten Sinne.<br />
vielleicht macht es das aber auch aus, nicht so horizontlos in diesem Projekt zu sitzen.<br />
Jeder muss sich nach jedem Festival wieder abfragen, <strong>ist</strong> das nächste Festival<br />
für mich auch noch das Richtige? Das machen die Teilnehmer, das macht das Team,<br />
das machen die Mentoren.<br />
Und im besten Fall, wenn jemand Neues kommt, hat es genau diesen positiven Effekt. Das<br />
wäre ja utopisch, wenn Du erwartest, dass man nach soundsoviel Jahren trotzdem noch<br />
jeden Abend über<strong>ein</strong>ander herfällt, um mal beim Beziehungsthema zu bleiben. Das hat<br />
dann andere Qualitäten. Aber dieses Wilde <strong>ist</strong> dann vielleicht nicht mehr immer da. Und<br />
bei <strong>ARTig</strong> irgendwie die Taktung zu finden zwischen Kontinuität und Bege<strong>ist</strong>erung <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e<br />
Herausforderung. Mentorenwechsel zum Beispiel können <strong>ein</strong>fach nicht sieben im Jahr s<strong>ein</strong>,<br />
sonst würden wir niemals <strong>ein</strong>e Beständigkeit in das Projekt hin<strong>ein</strong>kriegen.<br />
<strong>ARTig</strong> erneuert und findet sich immer wieder selbst …<br />
52 53<br />
Ja, es findet sich selbst und passt sich immer wieder selbst an. <strong>ARTig</strong> muss sich immer wieder<br />
selbst erfinden und auch immer wieder neue Leute r<strong>ein</strong>lassen. Es gibt natürlich <strong>ein</strong> paar<br />
Konstanten. Und das <strong>ist</strong> auch wichtig. Aber <strong>ARTig</strong> muss offen s<strong>ein</strong> und nicht nur an etwas<br />
festhalten. Also genau das Gegenteil von „Das machen wir schon seit sieben Jahren so und<br />
deshalb machen wir das auch weiter.“
inTERViEw muna zuBi<br />
„ Ich finde es auch total o.k. wenn es irgendwie <strong>ein</strong>,<br />
zwei leute gibt, die uns jedes Jahr am Ende mit<br />
ihrer Präsentation dann doch überraschen und wir<br />
sagen: ‚Äh, dass war aber so nicht abgesprochen …‘ <strong>–</strong><br />
das gehört auch dazu. Das sollen die auch.“<br />
Eine gewisse ungemütlichkeit sorgt dafür.<br />
Ja. Die Teilnehmer und Teammitglieder sind ja auch in <strong>ein</strong>em Alter, wo man, m<strong>ein</strong>er M<strong>ein</strong>ung<br />
nach, <strong>ein</strong>fach <strong>ein</strong> bisschen ungemütlich <strong>ist</strong>. Da kommen immer wieder Leute, die sagen:<br />
„Müssen wir wirklich dies und das produzieren oder müssen wir wirklich dieses oder jenes<br />
auf die Bühne bringen oder kann es nicht etwas ganz anderes s<strong>ein</strong>?“<br />
Du sagst, <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> unbequem, bequeme Projekte sind klar strukturiert, <strong>ein</strong>er hat<br />
das Sagen und so weiter. Aber wo sind <strong>ARTig</strong>s Grenzen und sollen die <strong>ARTig</strong>en sie<br />
überschreiten dürfen?<br />
Ich denke mir beispielsweise <strong>ein</strong>en Rahmen, <strong>ein</strong>en ganz schlichten grünen Holzrahmen.<br />
Dieser Rahmen wird <strong>ein</strong>fach durch die Strukturen des Projekts gegeben, er gibt Halt, <strong>ist</strong><br />
Präsentationsrahmen. M<strong>ein</strong>er M<strong>ein</strong>ung nach darf da inhaltlich alles r<strong>ein</strong>gepackt werden.<br />
Dass es immer mal auch Leute gibt, die über diesen Rahmen schwappen und die <strong>ein</strong> bisschen,<br />
wie in <strong>ein</strong>em Malbuch, über die vorgefertigte Linie krickeln, das darf und muss auch<br />
s<strong>ein</strong>, um das Ganze spannend zu halten. Andererseits glaube ich auch, dass es falsch <strong>ist</strong><br />
davon zu sprechen: Das <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e Plattform, hier <strong>ist</strong> alles möglich, hier darf jeder alles. Wir<br />
haben ja jedes Jahr auch Diskussionen mit Teilnehmern, in denen es darum geht, dass wir<br />
doch nicht alles zulassen. Und deshalb finde ich diesen Rahmen wichtig, um Konstanz zu<br />
halten und um die gleichbleibende Sicherheit zu geben, dass dieses Projekt so funktioniert.<br />
Dass es <strong>ein</strong>, zwei Leute gibt, die uns jedes Jahr am Ende mit ihrer Präsentation dann doch<br />
überraschen, und wir sagen: „Äh, das war aber so nicht abgesprochen …“ <strong>–</strong> das gehört auch<br />
dazu. Das sollen die auch.
Also es geht wahrsch<strong>ein</strong>lich mehr ums „Grenzen austesten“.<br />
Wobei: „Grenzen austesten“ <strong>ist</strong> immer so <strong>ein</strong> „Pädagogik-Begriff“. Ich finde, das klingt so nach<br />
„Die Kinder probieren mal, wie weit sie gehen können“ und irgendwann kommt dann <strong>ein</strong>er<br />
und sagt, „Mmmh, so möchte ich das nicht!“ Ich glaube schon, dass die wirklich wollen, und<br />
ich finde es auch wichtig, zu diskutieren, warum bestimmte Grenzen <strong>ein</strong>gerissen werden<br />
sollen, und dann zu hinterfragen, was bedeutet denn diese Grenze für Dich, wofür steht die<br />
für Dich, was <strong>ist</strong> die Aussage? Und welche Form lässt sich dafür finden … Ich find’ halt den Vorteil<br />
bei <strong>ARTig</strong>, dass die Jugendlichen Feedback von Leuten bekommen, die selber Grenzen<br />
überschritten und ausgetestet haben, vielleicht damit auf die Nase gefallen sind oder sagen<br />
„Mach du das mal so.“ Und wichtig <strong>ist</strong> auch, dass sie das in der Gem<strong>ein</strong>schaft machen. Mir <strong>ist</strong><br />
unheimlich wichtig, dass wir uns in <strong>ein</strong>em gem<strong>ein</strong>schaftlichen Projekt bewegen.<br />
Siehst Du da auch D<strong>ein</strong>e wesentliche persönliche herausforderung bei <strong>ARTig</strong>,<br />
zu lenken?<br />
54 55<br />
Ich glaub’ schon, dass es <strong>ein</strong>e Herausforderung für mich <strong>ist</strong>, eben auch weil ich noch relativ<br />
nah an den Teilnehmern dran bin. Letztes Jahr (2010) habe ich das erste Mal <strong>ein</strong>en komplet-<br />
ten Durchlauf betreut, das war etwas völlig anderes als im Jahr davor, als ich die Teilnehmer<br />
erst im Sommer kennengelernt habe. So hatte ich zu vielen schon persönlichen Kontakt,<br />
das war mir auch wichtig, auch persönlich zu kommentieren oder Glück zu wünschen. Ich<br />
glaube, dadurch konnte ich auch viele Themen besser besprechen, weil die Teilnehmer das<br />
auch ganz anders wahrgenommen haben. M<strong>ein</strong> Job <strong>ist</strong> also auch, mal persönlich hinzugehen<br />
und zu erklären, dass leider k<strong>ein</strong>e 2000 Euro für d<strong>ein</strong>e glitzernden LED-Kostüme da<br />
sind. <strong>–</strong> Gibt’s alles! (lacht)<br />
Wenn <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e Person wäre, welchen charakter hätte diese sich stetig entwickelnde<br />
Persönlichkeit D<strong>ein</strong>er M<strong>ein</strong>ung nach?<br />
Ein wenig wankelmütig, chamäleonhaft, sehr anpassungsfähig, aber irgendwie dabei auch<br />
störrisch. <strong>ARTig</strong> kann sich schon an neue Sachen gewöhnen und <strong>ist</strong> auch bereit, neue Sachen<br />
aufzunehmen, wehrt sich aber auch gegen Manches und wehrt sich auch wie <strong>ein</strong> Organismus<br />
gegen etwas, das nicht gut für ihn <strong>ist</strong>: Er wird spucken, kranken, kotzen, Fieber kriegen. Das<br />
tut <strong>ARTig</strong> auch. Es wird von uns geformt, hat aber trotzdem s<strong>ein</strong>en eigenen Charakter. <strong>ARTig</strong><br />
setzt viel Emotion frei. Es schafft es, Leute auch an sich zu binden und <strong>ist</strong> sich selber treu,
inTERViEw muna zuBi<br />
geradezu liebevoll. Ich finde, es <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> sehr authentisch herzliches Projekt. Leute, die neu zu<br />
uns kommen sagen immer, sie finden es witzig, dass sich bei uns immer alle sofort umarmen.<br />
Die Mentoren umarmen sich alle unter<strong>ein</strong>ander und Teilnehmer auch.<br />
Könnte man sagen, dass <strong>ARTig</strong> damit <strong>ein</strong>en Nerv trifft? Gibt es nicht geradezu <strong>ein</strong><br />
globales gesellschaftliches Bedürfnis nach so etwas wie Authentizität, herzlichkeit,<br />
Wahrhaftigkeit?<br />
Total. Und ich glaube auch gerade bei jungen Menschen. Ich habe letzte Woche lange mit je-<br />
mandem über „Facebook“ geredet. M<strong>ein</strong>e M<strong>ein</strong>ung dazu <strong>ist</strong>, dass dieses ganze Socialmedia-<br />
Ding nicht funktioniert, wenn man nicht Beziehungen zu Menschen, Sachen, Projekten,<br />
Events, Instituten aufbaut. Das war etwas, was bei <strong>ARTig</strong> von der ersten Minute klar war. Man<br />
muss Beziehungen schaffen.<br />
Bliebe noch die Frage, was Du denkst, was <strong>ARTig</strong> werden sollte oder was es bleiben<br />
sollte?<br />
Es sollte nicht zu clean werden, nicht zu professionell. Wir sollten unsere Ausstrahlung <strong>–</strong> wir<br />
nennen das immer den „Rock ‘n‘ Roll“ <strong>–</strong> behalten. Weiter unkonventionelle Wege gehen, uns<br />
Herzlichkeit und Unbequemlichkeit erhalten. Dann wünsche ich mir auch, dass wir breiter<br />
werden, dass wir es schaffen, diese Energie, die jedes Jahr wieder neu entsteht beim Festival,<br />
auch zu halten und zu <strong>ein</strong>em Begriff zu machen, der nicht ausschließlich „Festival“ <strong>ist</strong>,<br />
sondern <strong>ein</strong> Ort <strong>–</strong> <strong>ein</strong> virtueller Ort oder räumlicher Ort, zu dem ich gehe, wenn ich mich für<br />
Kunst und Kultur interessiere. Das möchte ich unbedingt auch noch mehr schaffen, natürlich<br />
auch <strong>ein</strong>e finanzielle Frage … Doch ich glaube, wir schaffen das weniger durch Geld, sondern<br />
mehr durch Funkenschlag.<br />
Frau Winkelmann erzählte mir, sie würde oft gefragt: Wie haben Sie das gemacht<br />
mit <strong>ARTig</strong>? Wie realisiert man so etwas? Frage an Dich: hältst Du <strong>ARTig</strong> in anderen<br />
Städten für denkbar?<br />
Ich glaube, das kann funktionieren, wenn <strong>ein</strong>e Handvoll Mechanismen und Techniken, die<br />
wir benutzen, übertragen werden. Aber <strong>–</strong> ich denke auch, dass jeder s<strong>ein</strong> „eigenes <strong>ARTig</strong>“<br />
stricken muss. Wir können Leuten raten: Arbeitet direkt mit den Leuten, hört denen zu,<br />
vertraut denen, schafft Ressourcen, schafft Begegnungspunkte … Das sind alles Sachen,
„ <strong>ARTig</strong> setzt viel Emotion frei. Es schafft es,<br />
leute auch an sich zu binden und <strong>ist</strong> sich<br />
selber treu, geradezu liebevoll. Ich finde,<br />
es <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> sehr authentisch herzliches Projekt.“<br />
die <strong>ARTig</strong> immer gemacht hat, die funktioniert haben und die man, glaube ich, übertragen<br />
kann. Aber was daraus wird, ob das auch <strong>ein</strong> Festival wird, ob das <strong>ein</strong>e Workshop-Reihe wird<br />
oder ob das <strong>ein</strong> Sommercamp wird oder ob <strong>ein</strong> Straße <strong>ein</strong>e Woche lange gesperrt wird und<br />
man dort „Halligalli“ macht … das muss jede Stadt von ihren Ressourcen her betrachten, weil<br />
nicht jede Stadt auch das Glück hat, <strong>ein</strong>e Petra Winkelmann zu haben, und nicht jede Stadt<br />
auch das Glück hat, die finanziellen Ressourcen über die Vodafone Stiftung zu kriegen, und<br />
auch nicht den stadtspezifischen Kontext hat wie wir den haben.<br />
Ja eben, wo setze ich an? Welche Entwicklung will ich, welche interessiert mich? Was<br />
<strong>ist</strong> das Besondere und wie haben die das hinbekommen? Wie hat <strong>ARTig</strong> das geschafft,<br />
so zu s<strong>ein</strong>?<br />
Das war <strong>ein</strong> Stück weit auch Glück, zum Beispiel in der Besetzung der Leute. Ich weiß nicht,<br />
ob das in anderer Konstellation mit <strong>ein</strong>em anderen Team so funktioniert hätte. Es gibt <strong>ein</strong>ige<br />
gute Projekte, die sich mit der Zeit zerschießen, weil irgendwie persönliche Geschichten<br />
schief laufen … Es gibt ja 100 Gründe, warum so etwas in die Binsen gehen kann. Ein Stück<br />
weit <strong>ist</strong> es, glaube ich, auch <strong>ein</strong>e glückliche Konstellation gewesen, die sich da ergeben hat.<br />
Schönes Schlusswort.<br />
56 57
ARTiG fESTiVAL 2008 arTig v<br />
Klaus Sievers, was sollte <strong>ARTig</strong> werden …<br />
was sollte <strong>ARTig</strong> bleiben?<br />
<strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> und bleibt <strong>ein</strong>e Idee,<br />
<strong>ein</strong> versprechen, <strong>ein</strong> Traum.
<strong>ARTig</strong> v<br />
Festival 2008<br />
58 59
iPiAno Bio uTako waSHio, arTig vii
Wenn wir konsumieren, verschmutzen und belasten wir<br />
auf irgend<strong>ein</strong>e Weise die umwelt. Das <strong>ist</strong> traurig, aber wahr.<br />
Doch gibt es auch Wege, die wir als kreative Menschen<br />
gehen können, um die Auswirkungen auf die umwelt gering<br />
zu halten. Zum Beispiel <strong>ein</strong>fach weniger konsumieren<br />
und selber produzieren. Stromfresser aus und Köpfchen an!<br />
60 61
VERSchmELzunG Frederick kieFer, dragan milicevic, arTig vii
62 63<br />
Dort schläft er <strong>ein</strong>, aufwachen wird er nicht mehr.<br />
Wird ihn jemand vermissen?<br />
Wird ihn jemand überhaupt je finden?…
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann
düsseldorf <strong>ist</strong> artig —.<br />
<strong>ein</strong> <strong>innovatives</strong><br />
BildungsProJeKt<br />
64.1<br />
( 3 )<br />
von Petra Winkelmann<br />
64 65
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />
förderung, netzwerk,<br />
Kommunikation und nachhaltigkeit<br />
Die Förderaspekte von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> sind vielfältig,<br />
weil das Projekt Jugendliche auf vielfältige Weisen beteiligt. Das<br />
<strong>ARTig</strong>-Netzwerk zeigt zudem neue Förderperspektiven und -inhalte<br />
auf und gem<strong>ein</strong>sam mit den kommunikativen Le<strong>ist</strong>ungen<br />
generiert es nachhaltiges Interesse. Neben <strong>ein</strong>er unmittelbaren<br />
künstlerisch-kreativen Förderung16 <strong>ist</strong> <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> zwischenzeitlich<br />
zu <strong>ein</strong>er Orientierungsplattform für Jugendliche<br />
und junge Erwachsene geworden, die sich im Übergang zwischen<br />
schulischer und beruflicher Ausbildung beziehungsweise Hochschulausbildung<br />
befinden.<br />
Die Aspekte Förderung, Netzwerk, Kommunikation und<br />
Nachhaltigkeit werden gem<strong>ein</strong>sam betrachtet, da sie <strong>ein</strong>e gem<strong>ein</strong>same<br />
Basis haben: die Gestaltung durch und die Beteiligung<br />
von Jugendlichen als ihre eigenen Experten.<br />
förderung<br />
Als Projekt zur Förderung jugendlicher Kreativität praktiziert<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e breite Zielgruppenansprache. Das<br />
<strong>ist</strong> in erster Linie durch die persönliche Ansprache von Jugendlichen<br />
durch Jugendliche gewährle<strong>ist</strong>et. Bereits bei der Überle-<br />
64.2
gung zur Bewerbung des ersten Ideenwettbewerbs 2004 machten<br />
die Jugendlichen deutlich, dass <strong>ein</strong>e erfolgreiche Ansprache<br />
potentiell interessierter Jugendlicher nur dann gelingen könnte,<br />
wenn die Lebenswelt von Jugendlichen auch hier Eingang fände.<br />
Nicht aufwendig oder witzig gestaltete Werbemedien wurden als<br />
zielführend betrachtet, sondern der Weg der direkten Ansprache<br />
von Jugendlichen durch Jugendliche an ihren alltäglichen Orten<br />
wie Schule oder Jugendfreizeit<strong>ein</strong>richtung, aber auch im öffentlichen<br />
Raum, zum Beispiel die Einkaufsstraßen in der Altstadt. 17<br />
Zudem bietet <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> Sprechstunden für diejenigen<br />
an, die gerne mitmachen wollen und (noch) k<strong>ein</strong>e eigene<br />
Idee haben. Grundsätzlich unterstützt das <strong>ARTig</strong>-Team proaktiv<br />
alle am Projekt interessierten Jugendlichen. Und falls die eigenen<br />
kreativen Ideen noch nicht so weit s<strong>ein</strong> sollten, bieten sich<br />
die sogenannten Mitmachmöglichkeiten an, was bedeutet, dass<br />
man sich an <strong>ein</strong>em fremden Projekt beteiligt, zum Beispiel als<br />
Schauspieler, oder die Mitarbeit im <strong>ARTig</strong>-Team. Hier kann man<br />
die Erfahrungen und Ideen sammeln, um sich in <strong>ein</strong>em Jahr<br />
mit <strong>ein</strong>er eigenen Idee zu bewerben. Gerade jüngere Teilnehmer<br />
machen von dieser Einstiegsmöglichkeit Gebrauch.<br />
Wie eng die Förderung mit der Lebenswelt von Jugendlichen<br />
verbunden <strong>ist</strong> und wie umfassend sie von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong><br />
<strong>ARTig</strong> profitieren, zeigt die Entwicklung <strong>ein</strong>es Nebenaspektes,<br />
der für viele <strong>ARTig</strong>e <strong>ein</strong>e große Rolle spielt und vom <strong>ARTig</strong>-Team<br />
regelmäßig aufgegriffen wird: Berufsorientierung.<br />
16 Zur Wirkung der künstlerisch-kreativen Förderung siehe auch: Kai Krösche, <strong>ARTig</strong> wirkt<br />
17 Die Bedeutung von persönlicher Ansprache oder persönlicher Empfehlung wird in allen<br />
Untersuchungen zum Besucherverhalten als <strong>ein</strong>e der effektivsten Formen der Ansprache<br />
oder Empfehlung bestätigt.<br />
64.3<br />
64 65
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> versteht sich zwar nicht als Projekt der<br />
Berufsorientierung, bietet aber insbesondere an Kunst- und Kulturberufen<br />
interessierten Jugendlichen <strong>ein</strong>en praxisbezogenen<br />
Einstieg. Diese umfassenden Orientierungsmöglichkeiten sind<br />
unter anderem auch deshalb wichtig, weil die Berufsberatung<br />
der Arbeitsämter diese Berufe nur selten oder unvollständig<br />
aufgreifen. <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> bietet aktuellen und zukünftigen<br />
Studenten von Kulturmanagement, Kulturpädagogik und<br />
verwandten Ausbildungsgängen an, mitzuarbeiten und dabei<br />
praktische Erfahrungen zu sammeln, Gleichgesinnte zu treffen<br />
und Kontakte zu knüpfen. Mit diesem spezifischen, über die Jahre<br />
herauskr<strong>ist</strong>allisierten (vor-)beruflichen Orientierungsangebot<br />
erhält <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e zusätzliche Bildungs- und Förderperspektive,<br />
die <strong>–</strong> ebenso wie das anfängliche Konzept <strong>–</strong> die<br />
Bedürfnisse und Wünsche von Jugendlichen integriert.<br />
Sowohl von der künstlerisch-kreativen als auch der organisatorischen<br />
Einstiegsmöglichkeit profitiert das Projekt wiederum<br />
selbst: Nahezu alle <strong>ARTig</strong>-Team-Mitglieder oder Spartenpaten<br />
rekrutieren sich aus ehemaligen <strong>ARTig</strong>-Teilnehmern.<br />
Dieser Weg funktioniert auch in die andere Richtung und diejenigen,<br />
die sich zunächst für das <strong>ARTig</strong>-Projektmanagement<br />
interessiert haben, bewerben sich mit <strong>ein</strong>er eigenen Idee. Das<br />
macht <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> zu <strong>ein</strong>em „von selbst nachwachsenden<br />
Rohstoff.“ 18<br />
So finden unter der Regie des <strong>ARTig</strong>-Teams in loser Reihenfolge<br />
Veranstaltungen statt, die wesentliche Aspekte von<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> verknüpfen, den Netzwerkansatz vertiefen,<br />
die Lebenswelt von Jugendlichen und konkrete Fragestellungen<br />
integrieren, die sich in diesem Alter im Hinblick auf die Berufswahl<br />
ergeben.<br />
64.4
Unter dem Titel <strong>ARTig</strong> plus bietet das <strong>ARTig</strong>-Team außer<br />
gem<strong>ein</strong>samen Kulturerlebnissen auch Informationsveranstaltungen<br />
und Workshops zur Berufsorientierung an und wendet sich<br />
damit an alle Jugendlichen. Zentrales Kommunikationsmedium<br />
<strong>ist</strong> die Website www.duesseldorf-<strong>ist</strong>-artig.de<br />
Gerade in der Kultur haben sich den letzten Jahren neue<br />
und vielen Jugendlichen noch relativ unbekannte Berufsfelder<br />
etabliert, über die man sich hier informieren kann. Die praktischen<br />
Informationen kommen in erster Linie von Studenten,<br />
Auszubildenden und dem Projekt verbundenen Referenten/<br />
Fachleuten, häufig ehemalige <strong>ARTig</strong>e. Die Informationsveranstaltungen<br />
finden in <strong>Düsseldorf</strong>er Kulturinstituten statt und sind<br />
kostenlos. 19<br />
eigenartig<br />
Eine vertiefende Form der künstlerischen Förderung <strong>ist</strong><br />
Eigen<strong>ARTig</strong>. Seit 2007 wird diese Förderung vergeben. Dabei han-<br />
delt es sich um <strong>ein</strong>en Förderpreis, mit dem Stadt und Stiftung<br />
Jugendlichen <strong>–</strong> sowohl <strong>ein</strong>zeln als auch in Gruppen <strong>–</strong> <strong>ein</strong>e weitere<br />
sechsmonatige, individuelle Förderung durch ihren Mentor<br />
ermöglichen. Im Zentrum steht der konkrete Nutzen für die ausgezeichneten<br />
Jugendlichen. Hierzu gehören <strong>ein</strong>e weitere künstlerische<br />
Betreuung durch den Mentor und die Teilnahme am nächs-<br />
18 Zit.: Muna Zubi, die als jugendliche Expertin die Entwicklung von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />
begleitet hat und seit 2009 nach <strong>ein</strong>em erfolgreichen Kultur- und Medienmanagement-Studium<br />
das Projekt leitet.<br />
19 So fanden u.a. im März und September 2010 Informationsveranstaltungen zum Thema<br />
Kunst- und Kulturberufe statt, im April 2010 <strong>ein</strong>e Veranstaltung zum Thema Tanz, im<br />
Mai 2010 <strong>ein</strong> Workshop zum Thema Journalismus und PR und im Juni 2010 <strong>ein</strong> Gespräch<br />
mit dem Intendanten der Tonhalle <strong>Düsseldorf</strong> mit anschließendem Konzert.<br />
64.5<br />
64 65
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />
ten Wettbewerbsdurchgang inklusive der Vorstellung <strong>ein</strong>er neuen<br />
künstlerisch-kreativen Arbeit auf dem nächsten Festival.<br />
Aufgrund der Erfahrungen der letzten drei Jahre wurden<br />
die Anforderungen an die Vergabe der Eigen<strong>ARTig</strong>-Förderung<br />
2010 konkretisiert: Die <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer bewerben sich für<br />
diese Förderung nach dem <strong>ARTig</strong>-Festival und müssen in ihrer<br />
Bewerbung darlegen, warum <strong>ein</strong>e weitere Zusammenarbeit mit<br />
ihrem Mentor für sie wichtig <strong>ist</strong> und ihre Erwartungen und Ziel-<br />
setzungen für die nächsten Monate formulieren. 20<br />
Die Entscheidung fällt in <strong>ein</strong>er gem<strong>ein</strong>samen Jurysitzung<br />
mit den <strong>ARTig</strong>-Mentoren und dem <strong>ARTig</strong>-Team. Ihr liegen fol-<br />
gende Kriterien zugrunde: kreatives Talent und Persönlichkeitsmerkmale<br />
wie Eigeninitiative, Ernsthaftigkeit, Lern- und Kritikfähigkeit,<br />
Willen, Teamfähigkeit und die Bereitschaft, sich für<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> zu engagieren. Selbstverständlich wird das<br />
Ergebnis der Projektarbeit als kreative Le<strong>ist</strong>ung entsprechend<br />
berücksichtigt. Gegen Ende des Förderzeitraumes findet <strong>ein</strong>e Präsentation<br />
im Rahmen der Beteiligung von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> an<br />
der Nacht der Museen statt.<br />
artig-netzwerk und Kommunikation<br />
Neben dem Ideenwettbewerb <strong>ist</strong> das <strong>ARTig</strong>-Netzwerk die<br />
zweite inhaltliche Säule von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>. Das <strong>ARTig</strong>-Netzwerk<br />
verbindet kunst- und kulturbege<strong>ist</strong>erte Jugendliche und<br />
kümmert sich um ihre Interessen. <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> konnte das<br />
Netzwerk ausdehnen und auch Jugendliche ansprechen, die weder<br />
am Ideenwettbewerb noch an der Mitarbeit im <strong>ARTig</strong>-Team<br />
interessiert sind, sondern sich <strong>ein</strong>fach nur für Kunst und Kultur<br />
und gegebenenfalls für weitere Informationen oder Hinweise zu<br />
Veranstaltungen interessieren.<br />
64.6
Das <strong>ARTig</strong>-Netzwerk <strong>ist</strong> mittlerweile das ganze Jahr über<br />
aktiv und tritt gelegentlich an die Öffentlichkeit, zum Beispiel<br />
bei den Informationsveranstaltungen von <strong>ARTig</strong> plus. Diese<br />
Aktivitäten werden zentral über die Plattform kommuniziert.<br />
Circa 750 Jugendliche haben <strong>ein</strong>en eigenen Account auf www.<br />
duesseldorf-<strong>ist</strong>-artig.de.<br />
Auch das Netzwerk und die Kommunikation beschreiben<br />
den Charakter bzw. die Persönlichkeit von <strong>ARTig</strong>: <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> offen<br />
für alle, die teilhaben und teilnehmen möchten. Es <strong>ist</strong> jung, dynamisch<br />
und selbstbewusst und weiß, wofür es steht: für Kreativität<br />
und Übernahme von Verantwortung <strong>–</strong> sowohl für sich selbst<br />
als auch für das Projekt. Es <strong>ist</strong> ambitioniert und ernsthaft <strong>–</strong> dieser<br />
Anspruch an sich selbst kommt auch von den Teilnehmern.<br />
Respekt sowohl für die eigenen Ideen als auch für die Ideen der<br />
anderen wird nicht nur in der Zusammenarbeit mit den Mentoren<br />
gelebt, sondern auch unter<strong>ein</strong>ander. Diese Identität <strong>ist</strong> das<br />
Ergebnis <strong>ein</strong>es Prozesses und zwischenzeitlich so gefestigt, dass<br />
personelle Wechsel unproblematisch stattfinden.<br />
Anders als die Wettbewerbsidee, die sehr schnell nach der<br />
Konzeptentwicklung realisiert werden konnte und auf deren<br />
Umsetzung sich zunächst alle Energie konzentrierte, brauchte<br />
das Netzwerk Zeit, um sich selbst und <strong>ein</strong> geeignetes und den<br />
Bedürfnissen entsprechendes Forum des Austausches im Internet<br />
zu entwickeln.<br />
20 Nach Abschluss von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> VII haben sich zwölf Teilnehmer um die<br />
Eigen<strong>ARTig</strong>-Förderung beworben.<br />
64.7<br />
64 65
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />
Gerade was die Funktion und Gestaltung von www.duessel-<br />
dorf-<strong>ist</strong>-artig.de betrifft, wurden die Vorstellungen des <strong>ARTig</strong>-<br />
Teams von den Ergebnissen des <strong>Düsseldorf</strong>er Jugend-Kulturkonzept<br />
unterstützt. Das <strong>Düsseldorf</strong>er Jugend-Kulturkonzept formulierte die<br />
von Jugendlichen vorgetragenen Wünsche an <strong>ein</strong> umfassendes,<br />
an ihrer Lebenswelt orientiertes interaktives Internetangebot:<br />
Ihre Vorstellungen zielten auf <strong>ein</strong>e eigene, weitgehend selbst<br />
initiierte und verantwortete, interaktive Internetplattform. Da<br />
dieser Wunsch der Projektphilosophie von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />
entspricht, war es folgerichtig, diese Ansätze zu verknüpfen.<br />
Auch die <strong>ARTig</strong>-Website wird in regelmäßigen Abständen<br />
überarbeitet und um neue Funktionen ergänzt. Dabei spielte<br />
insbesondere der Wunsch, das <strong>ARTig</strong>-Netzwerk mit <strong>ein</strong>er<br />
gut gestalteten und gut funktionierenden Internetplattform<br />
zu unterstützen, <strong>ein</strong>e entscheidende Rolle. Das führte zu <strong>ein</strong>er<br />
grundsätzlichen Überarbeitung der Website, die sich an<br />
Portalen wie StudiVZ, Xing oder Myspace orientierte. Auch auf<br />
www. duesseldorf-<strong>ist</strong>-artig.de können sich die Mitglieder <strong>ein</strong>en<br />
persönlichen Account anlegen und diesen zur Kommunikation<br />
unter<strong>ein</strong>ander und zur Veröffentlichung ihrer Arbeiten nutzen.<br />
Wie bei den oben genannten Portalen können auch hier Photos<br />
hochgeladen und Videos verlinkt werden. Selbstverständlich<br />
kann man sich auch online für den Ideenwettbewerb bewerben,<br />
<strong>ein</strong> Angebot, das inzwischen 95 Prozent der Wettbewerbsteilnehmer<br />
wahrnehmen.<br />
Zudem entstand unter dem Dach von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong><br />
<strong>ein</strong> neues interaktives Beratungs- und Austauschmedium: <strong>ARTig</strong><br />
sagt. <strong>ARTig</strong> sagt <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> zusätzliches und vom Ideenwettbewerb<br />
unabhängiges Kommunikations- und Informationsangebot und<br />
gleichzeitig die Grundlage für <strong>ein</strong> interaktives Netzwerk. Beide<br />
64.8
Angebote gehören inhaltlich zusammen und werden von denselben<br />
Personen koordiniert und von <strong>ein</strong>em jugendlichen Redaktionsteam<br />
verantwortlich betreut, dessen Mitglieder als freie<br />
Mitarbeiter über Kulturveranstaltungen berichten.<br />
<strong>ARTig</strong> sagt bietet <strong>ein</strong>e Möglichkeit des Austausches zwischen<br />
Jugendlichen, die alle <strong>ein</strong>es gem<strong>ein</strong>sam haben: <strong>ein</strong> großes<br />
Interesse an Kunst und Kultur und an ihren eigenen kreativen<br />
Ideen. Sie können nach vorheriger Reg<strong>ist</strong>rierung eigene Profile<br />
(inklusive Fotos) anlegen, ihre Interessen und Projekte (auch<br />
außerhalb von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>) vorstellen und mit anderen<br />
in Kontakt treten.<br />
<strong>ARTig</strong> sagt <strong>ist</strong> die interaktive Kommunikationsplattform,<br />
auf der Jugendliche für Jugendliche über kulturelle Angebote in<br />
<strong>Düsseldorf</strong> berichten. Artig sagt bietet zudem <strong>ein</strong>e Auswahl an<br />
Veranstaltungstipps, präsentiert <strong>Düsseldorf</strong>er Kulturinstitute,<br />
stellt die Mitglieder s<strong>ein</strong>er Redaktion vor und akquiriert neue<br />
freie Mitarbeiter.<br />
Mit s<strong>ein</strong>er Persönlichkeit erfüllt <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e<br />
wesentliche Voraussetzung für <strong>ein</strong>e gelungene Markenbildung:<br />
Es hat <strong>ein</strong>en Inhalt, <strong>ein</strong>en emotionalen Charakter und <strong>ein</strong> Profil.<br />
21 Bereits bei der Entwicklung der Medien zum ersten Wettbewerb<br />
wurde deutlich, dass <strong>ein</strong> professionell gestalteter Auftritt<br />
nicht unbedingt mit <strong>ein</strong>er erfolgreichen Wahrnehmung durch<br />
die Zielgruppe korrespondieren muss. Das führte in der Konsequenz<br />
dazu, Jugendliche als ihre eigenen Experten auch in<br />
diesem Punkt noch stärker verantwortlich zu beteiligen. Die<br />
21 <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> seit 2005 als Marke im Reg<strong>ist</strong>er des Deutschen Patent- und<br />
Markenamtes <strong>ein</strong>getragen.<br />
64.9<br />
64 65
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />
seit <strong>ein</strong>igen Jahren ex<strong>ist</strong>ierende <strong>ARTig</strong>-Kommunikationsgruppe<br />
gestaltet <strong>–</strong> auch hier dem Motto „Was Jugendliche anspricht,<br />
wissen Jugendliche selbst am besten“ folgend <strong>–</strong> das äußere Ersch<strong>ein</strong>ungsbild<br />
von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> mit.<br />
Was <strong>ist</strong> das Ersch<strong>ein</strong>ungsbild von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>? Wie<br />
kommunizieren wir <strong>ARTig</strong>? Wie wird deutlich, was <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> und<br />
was es m<strong>ein</strong>t? Fragen, denen sich die <strong>ARTig</strong>en mit Leidenschaft<br />
widmeten. Sie nutzten die ihnen <strong>ein</strong>geräumten Gestaltungsfreiräume<br />
konstruktiv und gestalteten so <strong>ein</strong>en wichtigen Aspekt<br />
im <strong>ARTig</strong>-Prozess. Regelmäßig wurde das Ersch<strong>ein</strong>ungsbild der<br />
Kommunikationsmedien dem sich wandelnden und kontinuierlich<br />
verdichtenden Charakter des Projektes angepasst. Die<br />
immer komplexer werdenden Anforderungen gestalteten die<br />
Aufgabe für das Kommunikationsteam zunehmend schwierig,<br />
insbesondere weil der (Marken-)Charakter nicht nur nach innen<br />
gefühlt, sondern auch nach außen professionell kommuniziert<br />
werden soll. Das und die systematische Entwicklung der Marke<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> machte 2008 die Zusammenarbeit mit <strong>ein</strong>em<br />
Kommunikationsfachmann erforderlich, der als <strong>ARTig</strong>-Mentor<br />
für Kommunikation gem<strong>ein</strong>sam mit Jugendlichen den <strong>ARTig</strong>-<br />
Markenauftritt erarbeitet.<br />
nachhaltigkeit<br />
Nachhaltigkeit <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e heute vielfach formulierte, aber<br />
nicht immer <strong>ein</strong>gelöste und schwierig zu überprüfende Forderung<br />
an <strong>Bildungsprojekt</strong>e, vor allem wenn es um die Ermittlung<br />
von qualitativen Ergebnissen geht. Das gilt auch für das <strong>Bildungsprojekt</strong><br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>.<br />
Relativ leicht zu erfassen <strong>ist</strong> dagegen das Quantitative, zum<br />
Beispiel die Reichweite: In der Zeit von 2005 bis 2010 ermöglichte<br />
64.10
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> insgesamt 857 Jugendlichen, ihre eigenen<br />
kreativen Ideen sowohl in Gruppen als auch <strong>ein</strong>zeln in 319 Projekten<br />
zu präsentieren. 22 Damit wird allerdings k<strong>ein</strong>e Aussage<br />
zur Nachhaltigkeit getroffen.<br />
Wie definieren und erfassen wir Nachhaltigkeit? Die Beobachtungen<br />
der letzten Jahre erheben k<strong>ein</strong>en Anspruch auf Vollständigkeit,<br />
liefern aber <strong>ein</strong>en empirischen Eindruck von der<br />
Wirkung künstlerisch-kreativer <strong>Bildungsprojekt</strong>e. 23<br />
Die Erfahrung eigener Kreativität, der unmittelbare Kontakt<br />
zu Künstlern und das Erfolgserlebnis sind als positive Werte<br />
für die weitere persönliche Entwicklung zu betrachten. Dieser<br />
persönlichkeitsbildende, sozial relevante Aspekt kultureller <strong>Bildungsprojekt</strong>e<br />
<strong>ist</strong> Gegenstand fast aller Fachdiskussionen. Auch<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> hat diese Wirkung, zum Beispiel wenn die<br />
ehemaligen Teilnehmer sich in anderen Funktionen im <strong>ARTig</strong>-<br />
Netzwerk engagieren. Dass <strong>ein</strong>e Teilnahme an <strong>ARTig</strong> Einfluss<br />
nimmt, zeigt sich unter anderem auch darin, dass der größte<br />
Teil der neuen Wettbewerbsteilnehmer sich auf Empfehlung von<br />
(ehemaligen) <strong>ARTig</strong>-Teilnehmern bewirbt.<br />
Einige <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer empfanden ihre (Selbst-)Erfahrung<br />
und die Aus<strong>ein</strong>andersetzung mit kreativem Arbeiten als<br />
so prägend und nachhaltig, dass sie unmittelbar Einfluss auf die<br />
berufliche Entscheidung nahm. Nicht wenige ehemalige <strong>ARTig</strong>-<br />
Teilnehmer sind der künstlerischen oder kulturellen Arbeit treu<br />
22 In dieser Zeit hatten sich circa 1.500 Jugendliche am kreativen Ideenwettbewerb<br />
beteiligt.<br />
23 Dieser komplexen Fragestellung, insbesondere auch der Transferwirkung künstlerischer<br />
Tätigkeiten widmen sich international mehrere Wissenschaften, wie zum Beispiel<br />
Hirnforschung, Pädagogische Psychologie oder Erziehungswissenschaften.<br />
64.11<br />
64 65
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />
geblieben, studieren Kunst, Fotographie, Schauspiel, Regie oder<br />
Kunstgeschichte, Theater- oder Filmwissenschaften, Kulturmanagement<br />
und vieles mehr. Manche sind in ihren neuen Funktionen<br />
wieder zu <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> zurückgekehrt.<br />
Diejenigen, die bereits vor ihrer Teilnahme am Projekt eigene<br />
künstlerische Ambitionen hatten, wurden vielfach in ihren<br />
Vorstellungen bestätigt. Es gab aber auch Fälle, in denen der<br />
ursprüngliche künstlerische Berufswunsch korrigiert wurde,<br />
weil man feststellte, dass der Berufswunsch nicht den eigenen<br />
Vorstellungen entsprach. Viele der <strong>ARTig</strong>-Teilnehmer erfahren<br />
im Verlauf des Projektes, dass sie durch den ergebnisoffenen<br />
Umgang mit ihren Ideen und den Möglichkeiten, frei zu agieren,<br />
selbstbewusster geworden sind und auch erstmals darüber<br />
nachdachten, <strong>ein</strong>en künstlerischen Beruf zu ergreifen. Das bei<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> übliche selbstbestimmte und eigenverantwortliche<br />
Arbeiten unterstützt diese Erfahrung. 24<br />
Wie sehen ehemalige <strong>ARTig</strong>e das Projekt und welchen Einfluss<br />
hatte ihre Teilnahme auf ihre weitere berufliche Entwicklung?<br />
Die Beantwortung dieser Frage erfordert <strong>ein</strong>e intensivere<br />
Betrachtung. Eine ideale Aufgabe für <strong>ein</strong>en Ehemaligen. Kai Krösche,<br />
<strong>ein</strong>er der <strong>ARTig</strong>en der ersten Stunde, ging ihr nach.<br />
Kai Krösche, geboren 1985, nahm am ersten und damals<br />
noch weitgehend experimentellen Ideenwettbewerb mit <strong>ein</strong>em<br />
ambitionierten Inszenierungskonzept zu Büchners Woyzeck in<br />
der Sparte Theater teil. Mittlerweile hat er s<strong>ein</strong> Studium der Filmund<br />
Theaterwissenschaften in Wien fast abgeschlossen. Für ihn<br />
steht fest, dass er nur in <strong>ein</strong>em künstlerischen Beruf, am liebsten<br />
als Regisseur, arbeiten möchte. <strong>ARTig</strong> war aber nicht nur für<br />
ihn <strong>ein</strong>e erste und entscheidende Chance, s<strong>ein</strong>e künstlerischen<br />
Vorstellungen unter fast professionellen Bedingungen auszupro-<br />
64.12
ieren. In dem nachfolgenden Betrag beschreibt er unter dem<br />
Aspekt der Förderung die Erfahrungen von <strong>ARTig</strong>-Teilnehmern<br />
aus der Perspektive von heute und welchen Einfluss das Projekt<br />
auf ihre Entwicklung und Berufsentscheidungen gehabt hat.<br />
S<strong>ein</strong> auf der Basis fragebogengestützter Interviews entstandener,<br />
qualitativer Bericht bietet <strong>ein</strong>en vertiefenden Blick auf die<br />
Wirkungsweisen von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> und auf diejenigen, für<br />
die das Projekt mehr als <strong>ein</strong>en Baust<strong>ein</strong> in ihrer Bildungsbiographie<br />
darstellt.<br />
Der Bericht macht deutlich, wie kulturelle Bildung wirkt<br />
und was sie bewirkt. Die anschließend beschriebenen Geschichten<br />
von ehemaligen <strong>ARTig</strong>en zeigen dies exemplarisch. Aber auch<br />
diejenigen, die hier nicht zu Wort kommen und die sich nicht<br />
dafür entschieden haben, ihre berufliche Zukunft in Kunst oder<br />
Kultur zu suchen und zu finden, haben <strong>ein</strong>s mitgenommen: Eine<br />
positive Selbsterfahrung und den persönlichen Erfolg, den Mut<br />
gezeigt zu haben, mit allen positiven und negativen Implikationen<br />
vor Publikum zu sich und ihrer Idee zu stehen.<br />
24 Der Erfassung der Projekte der vergangenen sechs Jahre und der beruflichen Entwicklung<br />
der ehemaligen Teilnehmer dient seit zwei Jahren die Rubrik Archiv/Alumni auf<br />
der Website von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> auf freiwilliger Basis.<br />
64.13<br />
64 65
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann<br />
64.14
dr. phil. Petra Winkelmann<br />
Studium an der H<strong>ein</strong>rich-H<strong>ein</strong>e-Universität <strong>Düsseldorf</strong> in den<br />
Fächern Geschichte, German<strong>ist</strong>ik und Soziologie. 1985 Mag<strong>ist</strong>er<br />
Artium, 1993 Promotion. Seit 1994 im Kulturamt <strong>Düsseldorf</strong>,<br />
seit 2003 stellvertretende Leitung. Arbeitsgebiet: Kulturelle Bildung.<br />
64.15<br />
64 65
düsseldorf <strong>ist</strong> Artig <strong>–</strong> <strong>ein</strong> innovAtives BildungsprojeKt ( teil 3 ) Fachbeitrag von Petra Winkelmann
64 65
STRiP YouR SouL <strong>–</strong> SEhnSuchT BiS zuR SELBSTAufGABE conSTanTin HocHkeppel, arTig vii<br />
All<strong>ein</strong> s<strong>ein</strong>, ohne andere s<strong>ein</strong>, ohne sich s<strong>ein</strong>,<br />
ganz all<strong>ein</strong> mit diesem Gefühl, mehr noch,<br />
mit dieser Sicherheit, dass man all<strong>ein</strong> bleibt!<br />
Sich nur flüchtig trifft und wieder verliert.<br />
Immer und immer und immer wieder.
66 67
iK VERTREK STella volkenand, arTig v<br />
hi Anne.<br />
Wie geht es Dir? M<strong>ein</strong> Name <strong>ist</strong> Maya. Ich hab D<strong>ein</strong>e Anzeige gelesen. Ich habe <strong>ein</strong>e Frage: D<strong>ein</strong>e Hobbies sind Lesen<br />
und Tiere? Herr im Himmel, wie können denn verfickte Tiere <strong>ein</strong> Hobby s<strong>ein</strong>? Jetzt sollte eigentlich kommen: Mir<br />
geht es gut. Mir geht es aber nicht gut und das liegt nur an m<strong>ein</strong>en beschissenen Eltern. Okay, vielleicht auch an<br />
m<strong>ein</strong>em beschissenen Freund, aber vor allem an m<strong>ein</strong>en Eltern. Sie streiten sich nämlich gerade über irgend<strong>ein</strong>e<br />
Scheiße, die m<strong>ein</strong> Vater vor über 15 Jahren verbockt hat. Du denkst bestimmt, und? Denk Dir lieber, dass Du mit<br />
d<strong>ein</strong>em Mathebuch genau zwischen den beiden sitzt und dass sie schreien, wobei D<strong>ein</strong> Vater lauter <strong>ist</strong>, aber er hat<br />
weniger Sätze drauf als D<strong>ein</strong>e Mutter, und wenn er nicht schreien würde, könnte man echt denken, er wolle beschwichtigen,<br />
er also: „Hör auf, Ina, sei still.“ Und sie: „Ich erinnere mich noch genau, schon damals...“ Und er wieder:<br />
„Hör auf Ina, lass das. Was <strong>ist</strong> mit Maya?“. Und sie: „Jetzt schämst Du Dich doch, Du Bastard-Wichser-Scheiß-asozialer-Proll!“<br />
Und so weiter. Und mit jeder Runde wird D<strong>ein</strong> Vater lauter und D<strong>ein</strong>e Mutter gräbt noch fiesere Sachen<br />
aus. Als würden die Ping Pong spielen, immer heftiger. Und Du? Du verziehst Dich in D<strong>ein</strong> Zimmer, sitzt am Kopfende<br />
D<strong>ein</strong>es Bettes, oder, wenn Du es dramatischer haben willst und wärmer, dann hockst Du an der Heizung und Du<br />
heulst, weil Du ihm niemals verzeihen kannst oder weil Du ihr niemals verzeihen kannst und ganz selten heulst Du,<br />
weil Du Angst hast, dass sie Dir irgendwas niemals verzeihen und so weiter und so weiter. Dann klopf irgendwer an<br />
die Tür, die Du ja abgeschlossen hast, weil Du all<strong>ein</strong> s<strong>ein</strong> musst mit D<strong>ein</strong>em beschissenen Selbstmitleid, und fragt,<br />
wie es Dir geht, Scheißfrage, und Du genießt es, der Person hinter der Tür so richtig den Tag zu versauen, indem Du<br />
sie anbrüllst, noch lauter schluchzt, oder, am besten, gar nichts sagst. Zieh D<strong>ein</strong>en Vater oder D<strong>ein</strong>e Mutter oder<br />
wer auch immer da hinter der Tür steht, mit in D<strong>ein</strong>e Scheiße r<strong>ein</strong>, was ja eigentlich gar nicht so schlimm <strong>ist</strong>, weil<br />
sie Dich ja schon in ihre r<strong>ein</strong> gezogen haben. Am Ende vergisst Du ja eh wieder alles. Kotzt mich an, diese selbstmitleidigen<br />
Minidepressionen, aber so was braucht man, für die Entwicklung und so, wenn man 12, 13 <strong>ist</strong>, denke<br />
ich. M<strong>ein</strong> Problem <strong>ist</strong>, dass ich es immer noch brauche, und ich bin 17! Also hab ich gedacht, okay, lenk Dich ab,<br />
nimm <strong>ein</strong>e von Mamas Omazeitschriften in D<strong>ein</strong> Zimmer und da war D<strong>ein</strong>e Anzeige. D<strong>ein</strong>e Anzeige…Die war<br />
langweilig. Daran musst Du echt feilen. Aber die Sache mit den Kassetten find ich cool. Ich hab’s nicht so<br />
mit Schreiben. Ich überspreche Papas Bruce-Springsteen-Kassette, wunder Dich also nicht, wenn am Ende noch<br />
was davon drauf <strong>ist</strong>. Ende. 04.Mai 2008 Bleicherhof 12a dritter Stock, Küche Liebe Maya, Hoffentlich haben D<strong>ein</strong>e<br />
Eltern sich wieder vertragen, aber das haben sie bestimmt, sonst hätten sie ja drei Tage gestritten(oder auch vier,<br />
das kommt ganz auf die Post an, wie schnell Du die Kassette bekommst). 72-oder 96-Stunden! Das würde ich nicht<br />
durchhalten! Zu D<strong>ein</strong>er Aussage, dass „verfickte“ Tiere k<strong>ein</strong> richtiges Hobby seien, möchte ich etwas sagen. Ich<br />
dachte bei „Hobby“ nicht an <strong>ein</strong>e regelmäßige Beschäftigung, der man im Ver<strong>ein</strong> nachgeht, wie Ringen oder Rudern<br />
oder Ballett. Ich dachte, man darf das etwas weiter fassen, denn ich hatte nur 160 Buchstaben zur Verfügung, sonst<br />
wäre die Annonce teurer geworden, und „Dinge, die ich mag“, dass sind schon 14 Buchstaben, ohne Leerzeichen,<br />
und die werden auch berechnet. Da <strong>ist</strong> „Hobbies:“ besser, das hat nur sieben Zeichen. Dann Tiere…naja, ich mag<br />
Tiere eigentlich nicht. Sie stinken, also die Großen, also Schw<strong>ein</strong>e und Schafe und Pferde und Gorillas. Und die<br />
kl<strong>ein</strong>e Tiere, also Mäuse, Katzen, Hasen und Frettchen, tun nichts als essen, schlafen, und, naja, sich vermehren. Ich<br />
habe das nur geschrieben, weil alle Leute Tiere mögen, warum auch immer. Im Fernsehen haben die Guten immer<br />
<strong>ein</strong>en Hund oder <strong>ein</strong> Pferd und die Bösen haben nie Tiere, wenn überhaupt, dann Katzen. Was ich noch sagen wollte:<br />
ich heiße eigentlich nicht Anne, sondern Anne (Änn), aber es <strong>ist</strong> in Ordnung, wenn Du mich Anne nennst und es<br />
<strong>ist</strong> auch in Ordnung, dass Du mich bisher Anne genannt hast, das konntest Du ja nicht wissen. „Bitte Englisch aussprechen“,<br />
das sind 23 Zeichen, ohne Leerzeichen. Ich bin nämlich Amerikanerin, oder Halbamerikanerin, oder wie
68 69<br />
nennt man das, m<strong>ein</strong> Vater <strong>ist</strong> Amerikaner. Aber ich habe von ihm nichts als den Namen Anne Kowalski, wobei das<br />
Kowalski auch nicht sehr amerikanisch klingt, jedenfalls nicht so amerikanisch wie Stevens, Miller, Jones, Simpson<br />
oder Bush. Ich mach Schluss, aber ich habe vorher noch <strong>ein</strong>e Frage: Warum hast Du mir geantwortet? Es klang, um<br />
ehrlich zu s<strong>ein</strong>, nicht gerade so, als wärst Du auf der Suche nach Brieffreunden gewesen. Auf Wiedersehen. Anne.<br />
Hi Anne! Die Frage <strong>ist</strong> doch, wieso hast Du mir geantwortet? Du hast doch bestimmt noch andere Kassetten bekommen,<br />
Kassetten, auf denen Dich k<strong>ein</strong>er beschimpft und stundenlang s<strong>ein</strong> Leid geklagt hat. Wie siehst Du aus? Was<br />
machst Du den ganzen Tag? Willst Du wissen, wie ich aussehe? Ich seh aus wie <strong>ein</strong> Ge<strong>ist</strong>. Wenn Du auf D<strong>ein</strong>en Arm<br />
guckst, dann siehst Du braun, rosa oder schwarz. Ich seh weiß. Weiß mit blauen Adern, wie Würmer, voll ekelhaft.<br />
Seit <strong>ein</strong>em Monat seh ich rechts leider nochwas. Ein F und <strong>ein</strong> E. Ich war mit m<strong>ein</strong>em beschissenen Freund in der<br />
Stadt. Da <strong>ist</strong> so <strong>ein</strong> Tatooshop. Und m<strong>ein</strong> beschissener Freund: „Ey, Maya, liebsu misch?“ und ich:“Kann s<strong>ein</strong>.“ Und<br />
er: „Lass mal unsere Namen aufn Arm tätowieren.“ Naja, Tatoos sind cool. Die haben sowas von Unverwundbars<strong>ein</strong>,<br />
von M<strong>ein</strong>e-Harley-und-ich,-wir-reiten-in-den-Sonnenuntergang. Oder nicht? Leider hab ich erst beim zweiten Buchstaben<br />
gemerkt, wie weh das tut, weil ich so benebelt war von dem ganzen Harley-in-den-Sonnenuntergang-Ding.<br />
Und wie beschissen ich m<strong>ein</strong>en Freund finde. Es hätte Felix werden sollen. Also, ich bin raus und Felix hinterher.<br />
Vorm Laden habe ich ihm dann ganz ruhig erklärt. Warum ich das Tatoo nicht will. Dass ich, wenn ich es am Oberarm<br />
habe, m<strong>ein</strong> Leben lang nur noch mit Typen was haben kann, die Felix heißen, weil sich jeder Andere ja vor den Kopf<br />
gestoßen fühlen würde, wenn er m<strong>ein</strong> Shirt auszöge und dann <strong>ein</strong>en fremden Männernamen auf m<strong>ein</strong>em Arm<br />
vorfände. Wär ich ja auch, umgekehrt. Felix fand das irgendwie nicht gut und hat rumgeschrien und gefragt, ob er<br />
nicht m<strong>ein</strong> Mann fürs Leben wäre. Obwohl m<strong>ein</strong> Arm so wehgetan hat, von wegen unverwundbar, blieb ich nett. Ich<br />
hab ihn nicht beleidigt oder angespuckt. Ich war sehr erwachsen und habe ihm gesagt, dass ich, wenn alles gut<br />
geht, noch so 65 Jahre lebe. Was macht der Scheißkerl? Haut <strong>ein</strong>fach ab. Vollidiot. Jetzt steht Fe auf m<strong>ein</strong>em Arm.<br />
Ich hab überlegt, ob ich <strong>ein</strong> E dranhängen lasse. Aber das tut dann wieder so weh und dann wäre es FEE, und ich<br />
<strong>ein</strong>e Art fleischgewordenes „Zicke“- T-Shirt. Und <strong>ein</strong> bisschen Anstand hab ich dann doch noch. Also, ich bin weißblau<br />
mit Buchstaben drauf und hab rote Haare. Frankreichflagge, ätzend. Ich wäre lieber <strong>ein</strong>e Latina, braun, dicke,<br />
schwarze Haare und so, aber n<strong>ein</strong>, Frankreichflagge. Beschissen. Ende. Neunter Mai 2008/Bleicherhof 12a/m<strong>ein</strong><br />
Zimmer/Bett Liebe Maya. Bevor ich Dir D<strong>ein</strong>e Fragen beantworte, übrigens, Du musst mir k<strong>ein</strong>e Fragen stellen, um<br />
unsere Konversation am Leben zu halten, oder um höflich zu s<strong>ein</strong>, muss ich Dir etwas erzählen. M<strong>ein</strong>e Schwester<br />
<strong>ist</strong> wieder da. Sie war nämlich lange weg, wie Du Dir vielleicht denken kannst, sonst wäre es ja k<strong>ein</strong>e Neuigkeit, dass<br />
sie da <strong>ist</strong>, also, sie war über <strong>ein</strong> Jahr weg und jetzt <strong>ist</strong> sie wieder da. Sie hat nämlich studiert, bildende Kunst in<br />
Maastricht, das <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e Universität in den Niederlanden, Jetzt <strong>ist</strong> sie fertig und wieder zu Hause. Sie kam ganz früh<br />
mit dem Zug an und war, als ich um halb sechs in die Küche gekommen bin, schon da und hatte m<strong>ein</strong>e Mutter,<br />
Cornflakes, Tee und <strong>ein</strong> paar von ihren Bildern dabei. Ihre Bilder- die sind so schön. Sie sind furchtbar groß, ich<br />
wusste nicht, dass Gemälde so groß s<strong>ein</strong> müssen. Auf den me<strong>ist</strong>en sind nackte Frauen, aber Mila, so heißt m<strong>ein</strong>e<br />
Schwester nämlich, das <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> schöner Name, oder? Mila sagt, das <strong>ist</strong> Kunst und deshalb nicht anzüglich oder so.<br />
Mila saß in der Küche zwischen all den wunderschönen Bildern und war selber so wunderschön. Als sie nach Maastricht<br />
gezogen war, war sie anders gewesen, nicht so strahlend. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was sich an<br />
ihr geändert hat. Es war da und es war unübersehbar, aber ich konnte es nicht exakt benennen. Sie sieht genauso<br />
aus wie vor <strong>ein</strong>em Jahr. Natürlich trägt sie andere Kleidung, aber sie <strong>ist</strong> immer noch riesig und hat diesen Pferdeschwanz,<br />
den die Künstlerinnen in Filmen immer tragen, wenn gezeigt wird, wie wenig sie sich um ihr Äußeres…
ViSAGE D’AuTRui anSkar Beau, arTig vii
Das Gesicht <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>s der vielfältigsten und ausdrucksstärksten Motive.<br />
Es erlaubt mir zu experimentieren und bietet mir viel Spielraum,<br />
bei m<strong>ein</strong>en freien Studien dienen mir Fotos von Freunden als Ausgangspunkt.<br />
70 71
Vom ALLEinSEin zenzi FaSSBender, miro miTrovic, arTig v<br />
K<strong>ein</strong> anderer kann<br />
sich voll und<br />
ganz in die eigene<br />
lebens lage versetzen,<br />
wodurch<br />
man sich manchmal<br />
unverstanden<br />
und ungeliebt<br />
fühlt, vielleicht<br />
auch ohne Grund.<br />
uns geht es darum,<br />
diese Traurigkeit<br />
auszudrücken.<br />
Sie <strong>ist</strong> sowohl in<br />
der liebe, als auch<br />
in der Freundschaft<br />
und in fast allen<br />
anderen lebenslagenwiederzufinden<br />
und wird<br />
da durch von<br />
vielen Menschen<br />
unterschiedlich<br />
ver arbeitet, wie<br />
durch Traurigkeit,<br />
Schmerz, hass,<br />
Wut , Wahn,<br />
Verzweiflung,<br />
verdrängung<br />
und geht bis zur<br />
Selbstständigkeit,<br />
Anerkennung<br />
des eigenen Ichs,<br />
aber kann auch in<br />
Selbstmitleid und<br />
eigener Körperverletzung<br />
enden.
72 73
YELLow TREES AnD PuRPLE SKY alexander SHkolnikov, arTig v<br />
uND GoTT SAh, DASS DAS lIchT GuT WAR
74 75
ES wAR EinmAL… nadine Horn, arTig vii<br />
… Doch er blieb nicht lange liegen,<br />
dann rappelte er sich wieder auf, als gäbe es k<strong>ein</strong> Morgen<br />
und vielleicht gab es für ihn auch k<strong>ein</strong> Morgen mehr.
76 77
EinE KuRzGESchichTEnSAmmLunG maria lipina, arTig iv<br />
Ich will, dass ihr das Rot schmeckt,<br />
das Grün seht und das Gelb riecht.<br />
und in <strong>ein</strong>em Meer von Grau zu ertrinken.<br />
während ihr m<strong>ein</strong>e Geschichten lest,<br />
Dass ihr das Gefühl habt, am Blau zu ersticken
78 79
Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche
80.1<br />
artig WirKt!<br />
—.<br />
von Kai Krösche<br />
80 81
Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche<br />
artig wirkt! 1<br />
von Kai Krösche<br />
i.<br />
Es versteht sich von selbst, dass <strong>ein</strong> Bildungs- und Förder-<br />
projekt für junge Kunstschaffende wie <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> auf<br />
Dauer nur dann funktionieren und s<strong>ein</strong>en Zweck erfüllen kann,<br />
wenn es s<strong>ein</strong>e Ziele erreicht. Eines der wichtigsten Ziele <strong>–</strong> wenn<br />
nicht sogar das wichtigste, sieht man <strong>ein</strong>mal von kurzfr<strong>ist</strong>igen<br />
Erfolgen ab <strong>–</strong> besteht in der Nachhaltigkeit der Förderungen im<br />
Allgem<strong>ein</strong>en sowie der jeweiligen Förderung des Einzelnen. Mit<br />
anderen Worten und als Frage: Hält die Förderung junger Kunstschaffender<br />
im Rahmen von <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> auch nach der<br />
eigentlichen Erarbeitung und Präsentation des geförderten kreativen<br />
Projekts an, be<strong>ein</strong>flusst und bereichert die Teilnahme an<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> auch die weitere künstlerische und/oder berufliche<br />
Laufbahn der jungen Kreativen auf produktive Weise?<br />
So essenziell die positive Beantwortung dieser Fragen für<br />
den Erfolg <strong>ein</strong>es Projekts wie <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong>, so falsch<br />
wäre es, hier <strong>ein</strong>e 100-prozentige Erfolgsquote zum Maßstab<br />
zu machen. Viel wichtiger <strong>ist</strong> es da, die Talente der <strong>ein</strong>zelnen<br />
Teilnehmer maximal zu fördern und zu unterstützen, herausragende<br />
Stärken und Fähigkeiten zu erkennen und durch entsprechende<br />
Förderung und Motivation anzuerkennen, aber ebenso<br />
Schwächen, mangelnde Erfahrung etcetera mit professionellem<br />
80.2
Verständnis zu verbessern helfen, also kurz: jeden <strong>ein</strong>zelnen Teilnehmer<br />
mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und so gut<br />
wie möglich zu s<strong>ein</strong>er persönlichen Bestle<strong>ist</strong>ung zu motivieren <strong>–</strong><br />
und das in <strong>ein</strong>em zeitgleich professionellen wie geschützten<br />
Rahmen.<br />
Entsprechend fiel die Entscheidung bei der Planung des<br />
vorliegenden Beitrags auf <strong>ein</strong>e fragebogengestützte qualitative,<br />
<strong>ein</strong>gehende und persönliche Befragung <strong>ein</strong>iger ehemaliger<br />
<strong>ARTig</strong>-Teilnehmer (sogenannte <strong>ARTig</strong>-Alumni). Gem<strong>ein</strong>sam mit<br />
der <strong>ARTig</strong>-Projektleitung wurde <strong>ein</strong> neun <strong>ein</strong>schlägige Fragen<br />
umfassender Fragebogen entwickelt, mit dem Alumni aus verschiedenen<br />
künstlerischen Sparten sowie ehemalige und derzeitige<br />
Mitglieder des <strong>ARTig</strong>-Teams befragt wurden. Die Fragen<br />
drehten sich dabei um die persönlichen Erfahrungen der Alumni<br />
bei der Betreuung ihrer realisierten Projekte und mit dem <strong>ARTig</strong>-<br />
Netzwerk; um ihre Einschätzung, inwieweit <strong>ARTig</strong> ihren Blick<br />
auf das künstlerische Berufsfeld der jeweiligen Sparte prägte und<br />
ob die Teilnahme bei <strong>ARTig</strong> ihre spätere Berufs- und/oder Studienwahl<br />
be<strong>ein</strong>flusste; schließlich, inwieweit man aus der Sicht der<br />
Teilnehmer das Projekt noch verbessern könnte <strong>–</strong> nicht zuletzt<br />
im Vergleich zu anderen künstlerisch-kulturellen Projekten für<br />
Jugendliche und junge Erwachsene.<br />
Die Auswahl der befragten Teilnehmer erfolgte nach dem<br />
Prinzip, <strong>ein</strong>e möglichst heterogene und weitgefächerte Mischung<br />
verschiedenster Individuen mit unterschiedlichen kreativen<br />
Herangehensweisen (während der Teilnahme bei <strong>ARTig</strong>) und an-<br />
schließenden beruflichen Werdegängen zu befragen. Von Schau-<br />
1 Der Bericht konnte hier nur in verkürzter Form wiedergegeben werden und <strong>ist</strong> vollständig<br />
auf www.duesseldorf-<strong>ist</strong>-artig.de zu finden.<br />
80.3<br />
80 81
Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche<br />
spielern über bildende Künstler, Schriftstellern und Theaterre-<br />
gisseuren hin zu ehemaligen und gegenwärtigen Mitgliedern des<br />
<strong>ARTig</strong>-Teams wurden insgesamt elf Einzelpersonen 2 nach ihren<br />
persönlichen Erfahrungen mit <strong>ARTig</strong> befragt.<br />
Und trotz aller Unvoraussagbarkeit der Ergebnisse dieser<br />
Umfrage: Der Eindruck, der sich aus der Auswertung der beantworteten<br />
Fragebögen ergibt, könnte kaum positiver und motivierender<br />
s<strong>ein</strong>. Nicht nur lobende, gar enthusiastische Worte finden<br />
die me<strong>ist</strong>en der Teilnehmer im Zusammenhang mit <strong>ARTig</strong>,<br />
führen das Projekt nicht selten als <strong>ein</strong>en bedeutsamen (Wende-)<br />
Punkt in ihrer künstlerischen beziehungsweise universitären<br />
Laufbahn an, betonen die Einzigartigkeit des Projekts (nicht<br />
nur) im Vergleich zu anderen Förderprojekten für junge Kunstschaffende<br />
und haben oftmals nur wenige bis gar k<strong>ein</strong>e Verbesserungsvorschläge<br />
<strong>–</strong> schlichtweg deswegen, weil sie der Ansicht<br />
sind, dass das Wesentliche (und selbst das Unwesentliche) bereits<br />
absolut richtig läuft. Um trotzdem die f<strong>ein</strong>en Unterschiede<br />
zwischen den verschiedenen Aussagen herauszuarbeiten und<br />
zu erkennen, bedarf es daher <strong>ein</strong>er intensiveren Betrachtung <strong>–</strong><br />
bewusst wird dabei auf <strong>ein</strong>zelne Aussagen der jeweiligen <strong>ARTig</strong>-<br />
Alumni <strong>ein</strong>gegangen, die im Folgenden immer wieder auch mit<br />
Namen genannt werden.<br />
ii.<br />
Sprungbrett, Inspiration, große Chance: Es sind bege<strong>ist</strong>erte<br />
Worte, die die <strong>ARTig</strong>-Alumni finden, wenn sie an ihre Teilnahme<br />
bei <strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> zurückdenken. Tatsächlich sucht man in<br />
den Aussagen der ehemaligen Teilnehmer darüber, was sie in<br />
<strong>ARTig</strong> sehen und was ihre Teilnahme für sie bedeutete, negative<br />
80.4
Äußerungen nahezu vergebens. Stattdessen zeichnet sich das<br />
Bild <strong>ein</strong>es lebendigen Förderprojekts ab, das junge Menschen<br />
nicht nur ernst nimmt und ihnen auf Augenhöhe begegnet,<br />
das zeitgleich, anstatt sie lediglich an die Hand zu nehmen und<br />
schlussendlich doch nur wieder hinter sich herzuziehen, ihre<br />
Eigenverantwortung fördert, sie auf <strong>ein</strong>en Weg der selbstbestimmten<br />
künstlerischen Arbeit <strong>–</strong> fernab von den oft strengen<br />
und selten Raum für die Entwicklung <strong>ein</strong>er künstlerischen Identität<br />
bietenden Vorgaben <strong>ein</strong>es schulischen Kunstunterrichts <strong>–</strong><br />
führt; und das ihnen dabei aber nie das dämpfende Gefühl vermittelt,<br />
unter dem Druck zu stehen, etwas Fertiges, etwas Perfektes<br />
präsentieren zu müssen, sondern stattdessen „den Luxus<br />
bietet, scheitern zu dürfen“ <strong>–</strong> wie es der ehemalige Teilnehmer<br />
Claudius von Stolzmann3 formuliert.<br />
Für den heute 28-jährigen Schauspieler war das Besondere<br />
an <strong>ARTig</strong>, dass sich dort junge Leute ausprobieren konnten <strong>–</strong> und<br />
zwar in <strong>ein</strong>em geschützten Raum: Als Hauptdarsteller in <strong>ein</strong>er<br />
Inszenierung von Georg Büchners Woyzeck im Rahmen des ersten<br />
<strong>ARTig</strong>-Festivals im März 2005 konnte von Stolzmann, damals<br />
noch Medizinstudent, auf <strong>ein</strong>er großen Bühne vor <strong>ein</strong>em ebenso<br />
großen Publikum auftreten, das ihn als Schauspieler ernst nahm<br />
<strong>–</strong> und doch stets mit der Sicherheit, hier mit doppeltem Boden<br />
zu spielen. Einem doppelten Boden, den von Stolzmann mittlerweile<br />
nicht mehr braucht: Nach Ausbildungen in Frankfurt und<br />
an der renommierten Berliner Hochschule für Schauspielkunst<br />
Ernst Busch spielte er bereits an verschiedenen kl<strong>ein</strong>en und gro-<br />
2 Insgesamt wurden 25 Ehemalige angesprochen, von denen elf den Fragebogen ausfüllten<br />
und darüber hinaus zu Gesprächen zur Verfügung standen.<br />
3 Kurze biographische Angaben zu den befragten Alumni befinden sich im Anhang.<br />
80.5<br />
80 81
Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche<br />
ßen Bühnen in Deutschland und Österreich und wurde gleich<br />
zweimal in Folge für den österreichischen Nestroy-Theaterpreis als<br />
bester Nachwuchsdarsteller nominiert. Für s<strong>ein</strong>e spätere Arbeit<br />
am Theater war die <strong>ARTig</strong>-Woyzeck-Inszenierung <strong>ein</strong>e wertvolle<br />
Erfahrung: Hier konnte er <strong>ein</strong>en real<strong>ist</strong>ischen Einblick in den<br />
Ablauf <strong>ein</strong>er abendfüllenden Theaterinszenierung samt ihrer<br />
Probenprozesse, der Erarbeitung des Stücks und aller Schwierigkeiten,<br />
die sich dabei auftun, gewinnen <strong>–</strong> <strong>ein</strong> Eindruck, der s<strong>ein</strong>e<br />
zukünftigen Proben- und Arbeitsweisen nachhaltig be<strong>ein</strong>flusst<br />
hat, wie er selbst sagt.<br />
Auch s<strong>ein</strong> damaliger Regisseur, der 26-jährige Kolja Burgschuld,<br />
erinnert sich mit positiven Gefühlen an s<strong>ein</strong>e <strong>ARTig</strong>-Teilnahme:<br />
„Damals war ich vollkommen bege<strong>ist</strong>ert, gleich nach<br />
der Schule, wo ich m<strong>ein</strong>e ersten Theatererfahrungen gesammelt<br />
hatte, bei <strong>ein</strong>em solchen Projekt dabei s<strong>ein</strong> zu können“. Auch für<br />
ihn war der Woyzeck die erste Theatererfahrung unter annähernd<br />
real<strong>ist</strong>ischen Bedingungen. Nicht nur habe die Erfahrung s<strong>ein</strong>en<br />
Blick auf das Theater und die Arbeit als Regisseur stark geprägt,<br />
in den besten Momenten habe ihn <strong>ARTig</strong> in den Proben- und<br />
Konzeptionsphasen des Projekts die „Magie des Theaters“ erleben<br />
lassen <strong>–</strong> zu <strong>ein</strong>em Grad, den er bis dahin in dieser Form gar nicht<br />
kannte. <strong>ARTig</strong>, so gibt er gerne zu, war für Burgschuld, der damals<br />
zwischen der Entscheidung zu <strong>ein</strong>em Schlagzeug-Studium<br />
und dem Weg in Richtung Theaterbühne schwankte, „<strong>ein</strong>er der<br />
wenigen entscheidenden Impulse, die mich in jene Richtung geführt<br />
haben, die ich bis zum heutigen Tag weiter gehe.“<br />
Agnes Jaraczewski fand nach ihren <strong>ARTig</strong>-Teilnahmen in<br />
den ersten beiden Jahrgängen ihren Weg ins Kulturmanagement:<br />
Sie studierte Kulturpädagogik auf Bachelor und Kulturmanagement,<br />
engagierte sich nach ihrer Teilnahme mit <strong>ein</strong>er<br />
80.6
Tanzperformance und <strong>ein</strong>er Ausstellung ihrer bildenden Kunst<br />
als jahrelanges Mitglied im <strong>ARTig</strong>-Team. <strong>ARTig</strong>, so sagt sie, habe<br />
ihr <strong>ein</strong>e Möglichkeit gegeben, sich auszuprobieren und <strong>ein</strong>er<br />
Herausforderung zu stellen und vor allem: ihre Arbeit in <strong>ein</strong>em<br />
Kontext präsentieren zu können. An die ersten Jahre der Arbeit<br />
im <strong>ARTig</strong>-Team, während der sie „viele interessante Personen“<br />
kennengelernt habe, denkt sie ebenso gern wie an die Gegenwart:<br />
„Damals war das Team noch recht geschlossen. Ein wilder<br />
Trupp von jungen Kreativen, die etwas richtig Cooles auf die<br />
B<strong>ein</strong>e stellten.“ Nach und nach habe sich die Struktur gewandelt,<br />
ab dem dritten Jahr wurde das Team geöffnet, durchmischte sich<br />
mit ersten Alumni und die Arbeit wurde auch nach außen hin<br />
offener kommuniziert. Seit letztem Jahr leitet Agnes Jaraczewski<br />
schließlich auch die <strong>ARTig</strong> sagt-Redaktion.<br />
Ein Beispiel dafür <strong>ist</strong> auch Raphael Sbrzesny, der nach<br />
s<strong>ein</strong>er <strong>ARTig</strong>-Teilnahme 2006 nicht nur Fuß, sondern gar Füße<br />
fasste: Für den bis dahin eigentlichen Musiker bedeutete <strong>ARTig</strong><br />
die Hinführung zur bildenden Kunst, an der er sich damals zum<br />
ersten Mal in <strong>ein</strong>em professionellen Rahmen probieren konnte.<br />
Es blieb nicht beim Versuch: Neben der universitären Vertiefung<br />
s<strong>ein</strong>er Schlagzeugstudien kam es ebenfalls zu <strong>ein</strong>em Studium<br />
an der Akademie der bildenden Künste in Stuttgart und infolgedessen<br />
zu mehreren Förderpreisen und Auszeichnungen für s<strong>ein</strong>e<br />
Kunstprojekte. An <strong>ARTig</strong> schätzt der 25-Jährige besonders die<br />
Möglichkeit, Verantwortung für erste eigene Projekte und deren<br />
Umsetzung zu übernehmen, dabei aber dennoch in kritischen<br />
Gesprächen gefordert zu werden: So bezeichnet er das Verhältnis<br />
zu s<strong>ein</strong>em Mentor als im Positiven spannungsgeladene Zusammenarbeit,<br />
bei der er immer wieder zum kritischen Hinterfragen<br />
s<strong>ein</strong>es Projekts aufgefordert wurde.<br />
80.7<br />
80 81
Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche<br />
Diese enge Zusammenarbeit mit den Mentoren schätzte<br />
auch Annette Günter (20), die in den letzten beiden <strong>ARTig</strong>-Durch-<br />
gängen in der Sparte der bildenden Kunst teilnahm und zur Zeit<br />
an der H<strong>ein</strong>rich-H<strong>ein</strong>e-Universität studiert. Das Gefühl, „dass<br />
da jemand <strong>ist</strong>, der Dir weiterhelfen kann oder Dich <strong>ein</strong>fach nur<br />
in D<strong>ein</strong>er Entscheidung bestätigt“, war für sie <strong>ein</strong>e besondere<br />
Qualität der Unterstützung durch <strong>ARTig</strong>, die ihr nicht nur wäh-<br />
rend kreativer Höhenflüge, sondern ebenso während dem <strong>ein</strong><br />
oder anderen Tief anerkennend und motivierend zur Seite stand.<br />
Diese richtige Mischung aus Förderung und Forderung, die Notwendigkeit,<br />
„sich ranzuhalten mit der Umsetzung“, lernen zu<br />
müssen, mit Zeit umzugehen (schließlich rückt der Termin der<br />
öffentlichen Präsentation schneller nah als man denkt) <strong>–</strong> das<br />
alles gehörte für sie zu den Besonderheiten von <strong>ARTig</strong>.<br />
Auch für die 27-jährige Fotokünstlerin Lioba Keuck bedeutete<br />
die Möglichkeit der <strong>ARTig</strong>-Teilnahme, „das erste Mal ernst<br />
genommen zu werden.“ Während bei <strong>ARTig</strong> I das Verhältnis zu<br />
ihrem Mentor eher gespannt war, so wandelte sich beim zweiten<br />
Durchgang dieser erste getrübte Eindruck ins komplette Gegenteil:<br />
In der Zusammenarbeit mit der Mentorin Nina Schmitz<br />
nahm Lioba Keuck nicht nur bereits während der <strong>ARTig</strong>-Teilnahme<br />
viel mit <strong>–</strong> darüber hinaus organisierte die Mentorin in ihrer<br />
Wohnung eigens für die Teilnehmer der Fotosparte zusätzliche<br />
Vorträge und Werkschau-Abende mit namhaften Fotografen:<br />
<strong>ein</strong>e perfekte Gelegenheit, um Kontakte zur Szene zu knüpfen.<br />
Ähnlich wie Lioba Keuck empfand auch Artiom Miziouk<br />
(21), <strong>ein</strong> <strong>ARTig</strong>er der ersten Stunde und heute bereits vierfacher<br />
Teilnehmer, s<strong>ein</strong>e Teilnahme bei <strong>ARTig</strong>: Für ihn war, wie er es<br />
formuliert, <strong>ARTig</strong> „gewissermaßen m<strong>ein</strong> Start in die Mündigkeit.“<br />
Die „große Ermunterung für das eigene künstlerische und<br />
80.8
sonstige Schaffen“, die Unmittelbarkeit des Projekts, die motivierende<br />
Erkenntnis, dass hier jeder <strong>ein</strong>e Chance bekommt, wenn<br />
er sich anstrengt und r<strong>ein</strong>hängt <strong>–</strong> all das macht <strong>ARTig</strong> für ihn zu<br />
etwas Besonderem. Und so <strong>ist</strong> auch nach vier Teilnahmen noch<br />
nicht Schluss mit <strong>ARTig</strong>: Für die Plattform <strong>ARTig</strong> sagt arbeitet<br />
der Student der Philosophie und antiken Kultur als freier Schreiber<br />
<strong>–</strong> und hat dem Netzwerk schließlich nicht nur berufliches,<br />
sondern ebenso <strong>ein</strong> ganz privates Glück zu verdanken: „Ohne<br />
das Netzwerk hätte ich vielleicht m<strong>ein</strong>e Freundin nie kennengelernt“,<br />
verrät er <strong>–</strong> „Ich denke das sagt alles?“<br />
Ein Pool für Kontakte zu Gleichgesinnten bedeutete die Teilnahme<br />
an <strong>ARTig</strong> auch für Pia Weber (22). Immer wieder trifft sie<br />
Leute, die sie bei <strong>ARTig</strong> kennenlernte, in anderen Kulturprojekten<br />
wieder. Wie auch <strong>ein</strong>ige der anderen Alumni arbeitete sie im<br />
Rahmen von <strong>ARTig</strong> das erste Mal an eigenen Fotografieprojekten.<br />
Nicht nur sei sie in der Zeit von <strong>ARTig</strong> sicherer geworden in der<br />
Aus<strong>ein</strong>andersetzung mit den eigenen künstlerischen Arbeiten,<br />
auch habe sie durch die Teilnahme erst richtig das Berufsfeld des<br />
künstlerisch-kulturellen Bereichs als solchen für sich entdeckt.<br />
So habe <strong>ARTig</strong> schließlich ihren Berufswunsch und ihre Studienwahl<br />
„sehr be<strong>ein</strong>flusst und mir Möglichkeiten gezeigt, diesem<br />
näherzukommen“. Die geweckte Neugierde auf die Organisation<br />
von und Mitarbeit an Kunst- und Kulturprojekten führte sie<br />
schließlich zu Studien der „Philosophie und Kulturreflexion“<br />
in Herdecke sowie der „Kulturwissenschaften und ästhetischen<br />
Praxis“ in Hildesheim.<br />
Für Muna Zubi, die derzeitige Projektkoordinatorin von<br />
<strong>ARTig</strong>, bedeutete das Projekt ebenfalls <strong>ein</strong>e folgenreiche Erkennt-<br />
nis: „<strong>ARTig</strong> hat mich auf die Idee gebracht, an der Schnittstel-<br />
le zwischen Kunst/Kultur und Organisation zu arbeiten.“ Dass<br />
80.9<br />
80 81
Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche<br />
man „im Dunstkreis von Kultur“ auch als nicht selbst aktiver<br />
Kunstschaffender arbeiten kann, sei ihr davor gar nicht so klar<br />
gewesen. So motiviert, ergänzte sie ihre praktischen Erfahrungen<br />
durch die Theorie <strong>ein</strong>es Bachelorstudiums der Kultur- und Medienwissenschaften,<br />
der sie <strong>ein</strong> Masterstudium des Kultur- und<br />
Medienmanagements in Hamburg anhängte, bevor sie 2009 zurück<br />
nach <strong>Düsseldorf</strong> kam, um dort hauptberuflich für <strong>ARTig</strong> zu<br />
arbeiten. Für die 27-Jährige <strong>ist</strong> das Projekt der Beweis, dass man<br />
„mit Bege<strong>ist</strong>erung und Tatendrang mehr erreichen kann, als man<br />
vorher zu denken wagt.“ Die Arbeit im <strong>ARTig</strong>-Team empfindet<br />
sie als <strong>ein</strong>e im „positivsten Sinn“ spannungsgeladene, nicht trotz,<br />
sondern gerade weil im Team Jugendliche mit verschiedensten<br />
Fähigkeiten und Hintergründen vertreten seien <strong>–</strong> Jugendliche<br />
als Mitgestalter seien immer fordernd und kritisch, dabei aber<br />
ebenso bereit, engagiert mitzuarbeiten.<br />
Als Erfolgsstory lassen sich die <strong>ARTig</strong>-Erfahrungen der<br />
19-jährigen Schriftstellerin und Studentin Stella Volkenand lesen:<br />
Hatte sie Fragen während ihrer künstlerischen Teilnahme<br />
an den <strong>ARTig</strong>-Durchgängen III (2006), V (2008) und VI (2009), so<br />
seien diese vom Team jederzeit schnell beantwortet worden; außerdem<br />
sei vom Team die <strong>ARTig</strong> sagt-Redaktion ins Leben gerufen<br />
worden <strong>–</strong> für die sie zur Zeit schreibt. Auch die im Rahmen von<br />
<strong>ARTig</strong> angebotenen Workshops habe sie schon mehrfach wahrgenommen.<br />
Schließlich erhielt sie im Jahr 2008 die Eigen<strong>ARTig</strong>-<br />
Auszeichnung im Bereich Literatur und bekam in diesem Zusammenhang<br />
die Gelegenheit, im Rahmen der <strong>Düsseldorf</strong>er Nacht<br />
der Museen ihre Texte <strong>ein</strong>er größeren Öffentlichkeit auch außerhalb<br />
des <strong>ARTig</strong>-Festivals zu präsentieren. Ihre Mentorin kümmert<br />
sich nach wie vor um sie <strong>–</strong> und durch ihre Teilnahme bei <strong>ARTig</strong><br />
80.10
sei sie schließlich auch in die Poetry-Slam-Szene gerutscht und<br />
habe neue Freunde mit denselben Interessen gefunden.<br />
Darauf, neue Leute, Gleichgesinnte kennenzulernen, freute<br />
sich s<strong>ein</strong>erzeit auch Julius Brauckmann. Die Arbeit mit der<br />
Gruppe, die Kommunikation mit s<strong>ein</strong>em Mentor, der Bescheid<br />
wusste, viele Fragen klären konnte, Tipps zur Produktion gab<br />
und ihn motivierte <strong>–</strong> das alles hatte <strong>ein</strong>en hohen Stellenwert für<br />
den 24-Jährigen, der ähnlich wie Raphael Sbrzesny im Rahmen<br />
von <strong>ARTig</strong> zum ersten Mal etwas Neues ausprobierte, in s<strong>ein</strong>em<br />
Fall Illustrationen, Grafiken und Texte, die mittels Siebdruck auf<br />
Textilien aufgetragen wurden. Auch ihn führte der weitere Lebenslauf<br />
in <strong>ein</strong> künstlerisches Studium an der Hamburger Hochschule<br />
für bildende Künste. Empfehlen kann er <strong>ARTig</strong> schließlich<br />
so ziemlich jedem jungen Kreativen: ob Jugendlichen mit Ideen,<br />
aber ohne die nötigen Mittel zur Umsetzung; oder jungen Menschen<br />
ohne Ideen, aber mit dem nötigen Elan, gestalterisch aktiv<br />
zu werden <strong>–</strong> oder selbst jenen, die auch ohne <strong>ARTig</strong> ihre Projekte<br />
umsetzen könnten, aber, so glaubt er, durch den Austausch in<br />
der Gruppe und mit den Mentoren zusätzliche Einblicke gewinnen<br />
können <strong>–</strong> auch hier also <strong>ein</strong>mal mehr der Eindruck: <strong>ARTig</strong><br />
<strong>ist</strong> für alle da.<br />
iii.<br />
Bei allem Enthusiasmus: Nichts <strong>ist</strong> perfekt, Optimierung<br />
<strong>ist</strong> immer möglich, Weiterentwicklung und -bewegung sind<br />
unentbehrlich. Umso erstaunlicher, dass die Alumni in Bezug<br />
auf die Frage nach möglichen Verbesserungen überraschend<br />
zurückhaltend und kaum bis gar nicht mit wirklich grundsätz-<br />
80.11<br />
80 81
Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche<br />
licher Kritik reagieren: „An <strong>ARTig</strong> selbst gibt es nicht mehr viel<br />
zu verbessern“, m<strong>ein</strong>t zum Beispiel Annette Günther. Für Juli-<br />
us Brauckmann, Teilnehmer am ersten <strong>ARTig</strong>-Festival, waren<br />
wiederum die Räumlichkeiten im Jungen Schauspielhaus nicht<br />
wirklich geeignet für die Präsentation bildender Kunst <strong>–</strong> „aber<br />
das hat sich ja inzwischen geändert“, wie er bereits selbst hinzufügt.<br />
Für Agnes Jaraczewski gehören dann auch schließlich<br />
das Unperfekte und der anhaltende Mut zur Veränderung zum<br />
Kern des ganzen Projekts: „<strong>ARTig</strong> lebt <strong>ein</strong>en eigenen Spirit, der<br />
sich schwer in Worte fassen lässt, weil er auch <strong>ein</strong>em stetigen<br />
Wandel ausgesetzt <strong>ist</strong>. Die Menschen machen das Projekt. Die<br />
Jugend, die Künstler.“ Auch Kolja Burgschuld beobachtet diesen<br />
„stetigen Wandel“: Während er zwar glaubt, mit dem aufwendigen<br />
Bühnenkonzept im Rahmen s<strong>ein</strong>er Woyzeck-Inszenierung<br />
bei <strong>ARTig</strong> I das Projekt an s<strong>ein</strong>e Grenzen gestoßen zu haben, so<br />
gewann er in Gesprächen mit befreundeten <strong>ARTig</strong>-Teilnehmern<br />
späterer Jahrgänge den Eindruck, dass <strong>ARTig</strong> stets enorm aus den<br />
Erfahrungen der vorangegangen Jahre profitierte und sich infolge<br />
immer weiter verbesserte. Stella Volkenand hingegen wünscht<br />
sich vor allem mehr Transparenz in der Außenpräsentation: Sie<br />
hat den Eindruck, dass Nicht-<strong>ARTig</strong>e abgesehen vom Festival<br />
noch zu wenig von der sechsmonatigen Arbeitsphase, die der<br />
Abschlusspräsentation vorangeht, mitbekommen <strong>–</strong> doch auch<br />
an dem Punkt, so glaubt sie, werde bereits gearbeitet.<br />
„Es <strong>ist</strong> ja immer weitergegangen und geht immer weiter,<br />
zum Beispiel mit <strong>ARTig</strong> sagt und <strong>ARTig</strong> plus. Das <strong>ist</strong> gut!“ findet<br />
dann auch Pia Weber. Und <strong>ein</strong> Bild davon, wie es künftig weitergehen<br />
könnte, liefert Artiom Miziouk: Er schlägt vor, den Schritt<br />
zur „außerfestival<strong>ist</strong>ischen Unterstützung“ zu wagen <strong>–</strong> zum Bei-<br />
80.12
spiel in Form <strong>ein</strong>er „kl<strong>ein</strong>en Akademie“, für die in s<strong>ein</strong>en Augen<br />
<strong>ARTig</strong> plus <strong>ein</strong> guter Ausgangspunkt bedeuten könnte.<br />
Doch auch im Angesicht großer und kl<strong>ein</strong>er Verbesserungsvorschläge<br />
<strong>–</strong> „<strong>ARTig</strong> lebt vom Unperfekten“. Für Agnes<br />
Jaraczewski gehört zu <strong>ARTig</strong> auch bei aller Notwendigkeit organisatorischer<br />
Genauigkeit und Dichte „<strong>ein</strong>e gesunde Portion<br />
Rock’n’Roll“ <strong>–</strong> schließlich könne und dürfe <strong>ARTig</strong> nicht „bis ins<br />
letzte Detail durchgestylt“ werden <strong>–</strong> denn dann verliere es s<strong>ein</strong>e<br />
Authentizität.<br />
Genau das nämlich, diese Authentizität <strong>–</strong> das <strong>ist</strong> es, was die<br />
(ehemaligen) Teilnehmer an <strong>ARTig</strong> neben allem anderen augensch<strong>ein</strong>lich<br />
so schätzten und schätzen; Und das <strong>ist</strong> es schließlich<br />
auch, da sind sich alle <strong>ein</strong>ig, was sich <strong>ARTig</strong> bei aller Notwendigkeit<br />
des Wandels und der Weiterentwicklung stets erhalten<br />
sollte. Einen Grund, dies nicht zu tun, gäbe es aber zugegebenermaßen<br />
ohnehin nicht; denn bei aller Komplexität <strong>ein</strong>er Thematik<br />
wie „Nachhaltigkeit“ und den damit verbundenen Fragen <strong>–</strong> so<br />
viel (und noch viel mehr) lässt sich nun mit Sicherheit feststellen:<br />
<strong>ARTig</strong> wirkt. Und <strong>ARTig</strong> wirkt weiter.<br />
80.13<br />
80 81
Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche<br />
80.14
Kai Krösche<br />
Nach <strong>ein</strong>er Hospitanz bei Chr<strong>ist</strong>oph Schlingensief in Berlin ging<br />
er Ende 2005 nach Wien, um dort Theater-, Film- und Medienwissenschaft<br />
zu studieren. Seit 1996 dreht er Kurzfilme, seit 2003<br />
inszeniert er Theaterabende gem<strong>ein</strong>sam im Kollektiv "Darum<br />
Theater" in <strong>Düsseldorf</strong> und Wien. Seit 2009 <strong>ist</strong> er Filmkritiker<br />
für das Magazin WIENER, infolge <strong>ein</strong>er Teilnahme am Theatertreffen-Blog,<br />
der offiziellen Online-Dokumentation des Berliner<br />
Theatertreffens als <strong>ein</strong>er von acht ausgewählten Journal<strong>ist</strong>en,<br />
folgten ab 2010 Arbeiten als Film- und Theaterkritiker für nachtkritik.de,<br />
kultiversum.de und die Wiener Zeitung. Teilnehmer<br />
<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> I, 2004/05<br />
80.15<br />
80 81
Artig wirKt! Fachbeitrag von kai krösche
80 81
inTERViEw marTina STec-meierT
„ Nicht nur künstlerisch, sondern auch<br />
gesellschafts-kreativ.“<br />
82 83<br />
Martina Stec-Meiert war erste Projektkoordinatorin bei <strong>ARTig</strong> von 2004 bis 2009<br />
und hat das Projekt mit herzblut und Engagement geprägt. Über das R<strong>ein</strong>geworfenwerden,<br />
<strong>ARTig</strong> als „offenen Raum“, ihr loslassen und <strong>ein</strong>en Neubeginn sprach sie mit<br />
<strong>ARTig</strong>-Mentor Thomas Weltner.<br />
Thomas Weltner: Martina, ich hab’ ja <strong>ein</strong>e These und darauf bezieht sich auch m<strong>ein</strong>e<br />
erste Frage: <strong>ARTig</strong> findet sozusagen die Leute, nicht die Leute <strong>ARTig</strong>. Aber wie <strong>ist</strong> es<br />
Dir gegangen? hat <strong>ARTig</strong> Dich gefunden oder hast Du <strong>ARTig</strong> gefunden?<br />
Martina Stec: Nachdem ich damals im Ausland war, in Barcelona, habe ich mich zunächst an<br />
m<strong>ein</strong>en Professor gewandt, da ich <strong>ein</strong>en Job im Kulturbereich suchte. Schließlich meldete<br />
sich <strong>ein</strong> guter Freund aus der Theatergem<strong>ein</strong>schaft, Stefan Fischer-Fels, der das <strong>Düsseldorf</strong>er<br />
Kinder- und Jugendtheater viele Jahre geleitet hat, und sagte: Du, ich hab’ leider k<strong>ein</strong>en<br />
Job im Theater. Nee, hab’ ich gesagt, ich will auch gar nicht im Theater arbeiten. Ich wollte<br />
<strong>ein</strong>en anderen Schwerpunkt setzen: Organisation und Jugend, kulturelle Jugendarbeiten,<br />
das <strong>ist</strong> m<strong>ein</strong> Thema. Und dann meldete er sich aber trotzdem wieder und sagte: „Wir treffen<br />
uns <strong>ein</strong>fach mal so zum Quatschen, vielleicht kommen wir ja auf irgendetwas. Ich hab’ da<br />
auch mit dem Kulturamt so <strong>ein</strong>en Termin gehabt …“ Dann habe ich prompt diesen Termin<br />
verpasst. Liege abends im Bett, heiß und kalt wurde mir und ich denke nur, „N<strong>ein</strong>! Heute<br />
war das Treffen.“ Ich habe tatsächlich vier Monate lang <strong>ein</strong>en Job gesucht, hab’ gearbeitet,<br />
um Geld zu verdienen, machte gerade <strong>ein</strong>en Messejob … Ich dachte, das gibt es nicht! Aber<br />
dann ruft der mich am nächsten Tag wieder an und sagt: „Hallo, wo b<strong>ist</strong> du denn? <strong>–</strong> Pass<br />
auf, Du fährst jetzt direkt ins Kulturamt.“ Ich also damals mit m<strong>ein</strong>em Messe-Outfit, was<br />
das schlimmste Outfit der Welt war, bei Frau Winkelmann r<strong>ein</strong>gestolpert und hab als erstes<br />
gesagt: „Schönen guten Tag, so sehe ich normalerweise nicht aus.“ Das erste Mal <strong>ARTig</strong>
inTERViEw marTina STec-meierT<br />
und ich sah aus wie <strong>ein</strong>e Busfahrerin, grau! <strong>–</strong> So. Dann saß ich da und dann haben wir sofort<br />
losgelegt: Es ging schon um die konkrete Konzeptidee und um den Namen. Später dann<br />
kamen noch Judith (Weißenborn), Konstantin (Faust-Olsowski), Fabian (Schulz) und Muna<br />
(Zubi) dazu. <strong>–</strong> Ich glaube, die haben zunächst gedacht, jetzt <strong>ist</strong> es vorbei. Da kommt so <strong>ein</strong>e<br />
in Weste und Anzug. Du glaubst nicht, wie schlimm dieses Treffen war!!! Frau Winkelmann<br />
hatte mit mir bereits geklärt, dass ich bei <strong>ARTig</strong> anfange, und das merkten die anderen<br />
natürlich auch <strong>–</strong> und haben eigentlich am Ende fast gar nichts mehr gesagt. Das war m<strong>ein</strong>e<br />
erste Verbindung mit <strong>ARTig</strong>.<br />
Dann frag’ ich doch gleich weiter. Welches D<strong>ein</strong>e Aufgabe bei <strong>ARTig</strong> war, <strong>ist</strong> ja bekannt.<br />
Aber was hast Du als D<strong>ein</strong>e persönliche herausforderung bei <strong>ARTig</strong> empfunden?<br />
Eigentlich, den Spagat zwischen den <strong>ein</strong>zelnen Zielgruppen hinzubekommen und gleich-<br />
zeitig die Beziehungen aufzubauen. Eigentlich <strong>ein</strong>e wunderschöne Herausforderung, die<br />
Interessen und die Art und Weise der jungen Menschen mit dem zu verbinden, was ich im<br />
Kulturamt mitgenommen habe, bei der Vodafone Stiftung und dann bei den Mentoren.<br />
Und auch zu sehen, wie sich dieses Projekt entwickelt hat <strong>–</strong> durch diese Arbeit, durch die-<br />
se verschiedenen Menschen, dieses Von<strong>ein</strong>anderlernen, An<strong>ein</strong>anderreiben, Auf<strong>ein</strong>ander-<br />
zugehen. Durch dieses Auf<strong>ein</strong>anderprallen unterschiedlichster Welten, durch das dieses<br />
Projekt plötzlich geboren werden konnte. Und das zu leiten und zu steuern, das war m<strong>ein</strong>e<br />
Herausforderung.<br />
Gibt es <strong>ein</strong>e persönliche Geschichte mit <strong>ARTig</strong>? Bestimmt, oder? Welche fällt Dir <strong>ein</strong>?<br />
Viele! Eine persönliche Geschichte … muss ich gleich noch mal drüber nachdenken.<br />
Gibt es <strong>ein</strong>en Moment, in dem Du gesagt hast, jetzt gibt es <strong>ARTig</strong>?<br />
Wenn Du so fragst <strong>–</strong> das war nicht sofort. Gute Frage! Also bestimmt erst nach dem zweiten<br />
Festival, als wir begonnen haben, vom <strong>ARTig</strong> Spirit zu sprechen. Und als wir davon sprachen,<br />
wussten wir auch, dass wir uns irgendwie ähnlich waren, alle beschwingt von der Idee <strong>ARTig</strong>.<br />
Bis das geboren war, da haben wir schon <strong>ein</strong> bisschen arbeiten müssen. Das war, glaube ich,<br />
das zweite Festival. Wir wollten, dass gleich beim Empfang die Menschen das Gefühl haben<br />
zu verstehen, worum es hier geht <strong>–</strong> und das fängt auch schon bei den Medien an. Ich glaube,<br />
da war das so <strong>–</strong> dann gab es irgendwie <strong>ARTig</strong>. Dann haben wir auch nicht mehr von <strong>Düsseldorf</strong><br />
<strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong> gesprochen, sondern nur noch von <strong>ARTig</strong>.
Wie <strong>ist</strong> denn der Name <strong>ARTig</strong> entstanden?<br />
Art:Action. So hieß das noch, als ich an den Tisch mit m<strong>ein</strong>em Busfahrer-Outfit kam. Und so<br />
stand es auch noch in m<strong>ein</strong>em Vertrag. Art und Action… Der Name <strong>ARTig</strong> entstand in <strong>ein</strong>em<br />
Brainstorming. Und daraus <strong>ist</strong> später „<strong>Düsseldorf</strong> <strong>ist</strong> <strong>ARTig</strong>“ entstanden. Es waren viele verschiedene<br />
Namen. Action hieß es am Anfang.<br />
Stimmt ja irgendwie. Trotzdem: Gut, dass es nicht dabei geblieben <strong>ist</strong> …<br />
Ja <strong>–</strong> (lacht.) Das hat es auch übrigens leichter gemacht, nachher noch die Leute zu finden,<br />
wenn wir wirklich speziell jemanden gebraucht haben, also für irgend<strong>ein</strong>e Frage. Dieses<br />
Gefühl zu diesem Projekt. Wir wussten, das <strong>ist</strong> es, was wir machen.<br />
84 85<br />
Du hast <strong>ARTig</strong> 2009 verlassen. und mit <strong>ARTig</strong> wächst ja auch <strong>ein</strong>e Persönlichkeit<br />
heran. Wenn <strong>ARTig</strong> <strong>ein</strong>e Person wäre, wie würdest Du diese Person beschreiben <strong>–</strong> wie<br />
Du sie kennst, wie Du sie erlebt hast?<br />
Weltaufgeschlossen, wandlungsfähig, den Herausforderungen oder auch den Ängsten <strong>ein</strong>er<br />
Gesellschaft gewachsen und auch handlungsfähig, in der Lage zu reagieren. Auch jemand,<br />
der zum Beispiel <strong>ein</strong>e Krise nicht als persönlichen Niedergang sehen würde, sondern daraus<br />
neue Wege findet, <strong>ein</strong>e Weggabelung. Jemand der sagt, „auch gut, da mache ich jetzt mal so<br />
weiter.“ Ja, das Leben <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e Herausforderung mit dem, was kommt. Damit etwas Neues gestalten.<br />
Eigentlich schon sehr kreativ, nicht nur künstlerisch, auch „gesellschafts-kreativ“.<br />
Wie ging es Dir damit, die Person <strong>ARTig</strong> sozusagen ihres Weges gehen zu lassen, zu<br />
sagen, wir sehen uns ab und zu, aber ich bin jetzt mal weg?<br />
Total schwierig. Wenn ich in dem Moment nicht schon <strong>ein</strong> Kind im Körper gehabt hätte, wäre<br />
es noch schwieriger gewesen, weil ich irgendwie immer wusste, die Aufgabe geht vorbei, ich<br />
muss Platz machen. Ich weiß nicht, wie ich den Absprung sonst geschafft hätte. Ich wusste<br />
immer, dass das <strong>ein</strong>e Aufgabe <strong>ist</strong>, die ich da <strong>ein</strong>genommen habe, die irgendwann jemanden<br />
anderen braucht und ich saß ja genau hier mit Muna <strong>–</strong> zufällig, als ich gerade wusste, dass<br />
ich schwanger bin. Mir war aber dann sofort klar, die muss das jetzt machen. Und das war<br />
dann auch so, deshalb konnte ich auch gut gehen, weil ich wusste, das <strong>ist</strong> jetzt die Person.<br />
Die haben wir gefunden. Ich hätte da auf k<strong>ein</strong>en Fall irgendjemanden rangelassen, der diesem<br />
Projekt nicht richtig gewachsen wäre. Ich weiß nicht, wie wir das sonst gemacht hätten
inTERViEw marTina STec-meierT<br />
„ Das Gefühl sollte bleiben,<br />
dass es eigentlich <strong>ein</strong> offener Raum <strong>ist</strong>.“<br />
außer mit jemandem wie Muna, die das Projekt schon kannte. Deswegen <strong>ist</strong> es mir schon<br />
leichter gefallen. Ich merke, jetzt werde ich wieder zurückerinnert <strong>–</strong> ich habe bestimmt <strong>ein</strong><br />
Dreivierteljahr gebraucht, um Abschied zu nehmen. Ich habe mir viele Gedanken gemacht,<br />
ob da noch irgendetwas <strong>ist</strong>, was das Team wissen will. Wie willst Du das transportieren, was<br />
Du da r<strong>ein</strong> gebracht hast, dachte ich mir. Wie willst Du Hilfestellung geben? Letztlich aber<br />
hat sich alles gefunden. Das passt auch zu dieser Person <strong>ARTig</strong>, wenn man <strong>ein</strong>e vor sich<br />
hätte, dass sie das zu lösen weiß.<br />
Das finde ich auch erstaunlich, diese Fähigkeit zur Selbsterneuerung. Woher kommt<br />
dieses Phänomen? Ein nicht durchorganisiertes und strukturiertes Projekt, selbstständig<br />
in der lage, sich zu organisieren …<br />
Ja, das <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> besonderes Geheimrezept … Wenn ich jetzt so darüber nachdenke <strong>–</strong> hab’ ich<br />
noch nie <strong>–</strong>, besteht es aus diesen Beziehungen, aus diesen Spannungsverhältnissen oder<br />
Energiefeldern, die die Menschen mitbringen. Vielleicht dadurch, dass immer wieder Neue<br />
hinzukommen, jedes Jahr. Dadurch bleibt diese Reibungsfläche. Da sind ja auch immer <strong>ein</strong><br />
paar Alte dabei. Irgendwie <strong>ist</strong> es dadurch tatsächlich schwierig, <strong>ARTig</strong> nachmachen zu wol len.<br />
Du kannst es eigentlich nicht kopieren.<br />
Ja, das <strong>ist</strong> interessant.<br />
Das <strong>ist</strong> auch gut, das macht es ja auch so <strong>ein</strong>zigartig.<br />
Das <strong>ist</strong> erstaunlich, das stimmt.<br />
Wir haben auch immer gesagt, das <strong>ist</strong> so <strong>ein</strong> Selbstläufer. Es <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> abgedroschenes Wort,<br />
aber es stimmt.
Es haben ja ganz wesentliche leute mit Dir angefangen. Aber auch Mentoren wie<br />
Klaus Sievers und Andrea canta haben irgendwann aufgehört. <strong>ARTig</strong> gibt es aber nach<br />
wie vor. Es verändert sich, aber es kommt irgendwie immer wieder in gute hände.<br />
Es bleibt in guten händen, es gibt immer wieder neue Impulse. Ist die Fähigkeit der<br />
<strong>ARTig</strong>-Beteiligten, auch Abschied nehmen zu können etwas, das <strong>ARTig</strong> stärkt?<br />
Auf jeden Fall. Also, ich glaube, dass war mir auch super wichtig, gehen zu können. Ich glau-<br />
be, das macht <strong>ein</strong> System oder <strong>ein</strong>e Organisation oder <strong>ein</strong> Projekt krank, wenn da Menschen<br />
nicht loslassen können. Du lässt etwas Altes und me<strong>ist</strong>ens etwas, was nicht mehr so fit <strong>ist</strong> zu-<br />
rück und das bringt nichts. Entweder geht man und dann muss man sich auch verabschieden<br />
oder man bleibt. Das fand ich immer wichtig. Es hat natürlich die Anlaufstelle im Kulturamt,<br />
die sehr wichtig <strong>ist</strong>. Ich glaube schon, dass Frau Winkelmann da <strong>ein</strong>e sehr zentrale, <strong>ein</strong>e sehr<br />
wichtige Aufgabe innehat. Ich glaube, das <strong>ist</strong> sehr wichtig. Sie <strong>ist</strong> das Rückgrat.<br />
Wo siehst Du die Grenzen von <strong>ARTig</strong>?<br />
und sollten die <strong>ARTig</strong>en sie überschreiten dürfen?<br />
Es <strong>ist</strong> die Frage, was sind Grenzen? Das fängt mit der Altersgrenze an. Das <strong>ist</strong> das erste, was<br />
mir <strong>ein</strong>fällt. Ich fand das immer sehr schwierig. Bei jemandem, der dreiundzwanzig<strong>ein</strong>halb<br />
war und unbedingt mitmachen wollte, konnte ich die Grenze (23 Jahre) schwer aufrechterhalten.<br />
Inhaltlich gibt es da, glaube ich, eher Grenzthemen. Ich erinnere mich immer an <strong>ein</strong>e<br />
Skatergruppe. Die wollten <strong>ein</strong>en Skaterpark bekommen, hatten das aber anders formuliert.<br />
Da <strong>ist</strong> dann auch die Aufgabe von <strong>ARTig</strong> zu gucken, was <strong>ist</strong> die Idee wirklich? Und da zu<br />
sehen, dass es nicht unser Thema, sondern <strong>ein</strong> Grenzthema <strong>ist</strong>. Es könnte passen, aber es<br />
passt nicht. Und dann zu sagen, dafür gibt es <strong>ein</strong>fach andere Orte.<br />
Warum passte das nicht?<br />
86 87<br />
Die wollten wirklich <strong>ein</strong>en Skaterpark aufgebauen, also Geld für <strong>ein</strong>en Skaterpark bekommen.<br />
Die dachten nicht an <strong>ein</strong>e Skateboard-Performance oder Malerei auf ihren Boards.<br />
Ist ja interessant, dass die überhaupt darauf kamen, dass das für sie infrage kommen<br />
könnte.<br />
Ich glaube, das kam auch, weil wir Stadt-Promotion gemacht haben und damit natürlich<br />
auch Grenzzielgruppen erreicht haben.
inTERViEw marTina STec-meierT<br />
Du sagtest ja eben schon, dass es räumliche Grenzen gibt für <strong>ARTig</strong>, beziehungsweise<br />
Grenzen des Kopierens. Das finde ich ganz interessant.<br />
Kopierschutz!<br />
Es <strong>ist</strong> so schwer zu definieren und daher auch schwer zu kopieren. Das wäre ja <strong>ein</strong>e<br />
Grenze, die <strong>ARTig</strong> auch schützt. Auf der anderen Seite wiederum könnte man ja auch<br />
sagen: Was spricht dagegen, dass andere Städte auch so <strong>ein</strong> Projekt bekommen? Das<br />
muss ja <strong>ARTig</strong> nicht weh tun, das kann ja anders heißen.<br />
Es <strong>ist</strong> schwierig, und es würde auch immer anders werden. Das kannst Du nicht irgendwo<br />
hinsetzen und das entfaltet sich dann genauso. Deswegen habe ich immer gesagt, wenn<br />
es passieren würde in <strong>ein</strong>er anderen Stadt, dann wäre es <strong>ein</strong> ganz anderes Projekt und dann<br />
wäre es auch nicht schlimm. Aber so, wie wir das hier erlebt haben, und auch mit dieser<br />
Entwicklungsgeschichte passt das ja dann auch zu der Stadt und zu den Menschen.<br />
Was denkst Du, was <strong>ARTig</strong> werden soll oder bleiben sollten?<br />
Also, was es werden soll, möchte ich gar nicht beantworten, und kann das auch gar nicht<br />
beantworten. Da würde ich k<strong>ein</strong>e Prognosen entwickeln. Ich kann nur hoffen, dass es so<br />
gesund bleibt, wie es jetzt <strong>ist</strong>, und dass sich dieses Samenkorn immer weiter trägt und nicht<br />
abstirbt, dass es immer irgendwie wieder Wasser findet bei Leuten, wo es weiter wachsen<br />
kann, so könnte ich das beantworten. Das soll werden.<br />
Bleiben sollte es tatsächlich weiterhin <strong>ein</strong>e Plattform, die obwohl sie so speziell <strong>ist</strong>, offen<br />
<strong>ist</strong> für neue Leute, für Menschen, die Lust drauf haben. Das Gefühl sollte bleiben, dass es<br />
eigentlich <strong>ein</strong> offener Raum <strong>ist</strong>.<br />
Also ich hab’ die Erfahrung ja ganz konkret gemacht. Ich bin ja 2008 durch Dich neu<br />
dazugekommen, und wir haben da m<strong>ein</strong>e Aufgabe <strong>–</strong> die Mentorenschaft Kommunikation<br />
<strong>–</strong> neu definiert. Das hat mich be<strong>ein</strong>druckt, dass <strong>ein</strong> Projekt so aufmerksam <strong>ist</strong>,<br />
den Blick so offen hat, dass es so etwas überhaupt sieht. Das gibt es selten, nur selten<br />
sogar in sehr innovativen unternehmen.<br />
Ja, und das war ja auch tatsächlich <strong>ein</strong>e Begegnung zwischen uns, wo wir da saßen, wo ich<br />
wusste in dem Moment, das könnte so <strong>ein</strong> Raum s<strong>ein</strong>, in dem könntest Du dich wohlfühlen.<br />
Und da muss jetzt nur genug Sauerstoff s<strong>ein</strong>, damit es weitergeht für Dich oder überhaupt<br />
beginnen kann.
Ich hab’ es nicht <strong>ein</strong>en Moment als Hürde empfunden, in das Projekt hin<strong>ein</strong>zukommen.<br />
Natürlich brauchte es Zeit, bis ich alles mitbekommen hatte. Dann hatte ich ja<br />
anders als die Mentorenkollegen, die wechseln, die <strong>ein</strong>e bereits bestehende Aufgabe<br />
ja anders neu ausfüllen, diesen Raum auch erst <strong>ein</strong>mal zu entwickeln. Da war ich<br />
gefordert. Das findet sich immer noch.<br />
Es <strong>ist</strong> immer <strong>ein</strong> Nährboden, also genau so <strong>ein</strong> Nährboden, ja der soll bleiben. Das wäre<br />
auch <strong>ein</strong> Wunsch für die Zukunft, dass die Menschen, die in diesem Projekt arbeiten, dass<br />
sie es schaffen, das aufrechtzuerhalten. Das <strong>ist</strong> für die Zukunft vielleicht so <strong>ein</strong>e Vision.<br />
Das <strong>ist</strong> wichtig.<br />
Welches war D<strong>ein</strong> Abschiedserlebnis mit <strong>ARTig</strong>?<br />
Mit Rut auf der Bühne. Das war schon <strong>ein</strong> Abschiedserlebnis. Rut (Profe-Bracht), die ich ja<br />
auch schon ganz lange kenne, mit mir da auf der Bühne. Sie war hochschwanger, ich ebenfalls<br />
schon schwanger. Ich sagte dann: „Da kommt die Rut angerollt. Die sieht aus wie <strong>ein</strong><br />
Berliner.“ <strong>–</strong> Wir hatten gerade <strong>ein</strong> Projekt in dieser Runde, das hieß „Die Berliner.“ <strong>–</strong> Da hat die<br />
mich angeguckt. Sie wusste auch, dass ich schwanger war … Das war vielleicht so <strong>ein</strong>e sehr<br />
persönliche Abschiedsgeschichte. Das persönliche Erlebnis gab’s eigentlich immer wieder.<br />
Ich hatte immer Momente, an die ich mich erinnern kann.<br />
Momente, wenn ich Projekte vorgestellt bekam, bei denen ich realisierte: Oh Gott, was machen<br />
wir hier eigentlich Tolles! Was <strong>ist</strong> denn das? Das <strong>ist</strong> so anders. Wir machen wirklich<br />
etwas ganz Tolles!<br />
„ Das Gefühl sollte bleiben,<br />
dass es eigentlich <strong>ein</strong> offener Raum <strong>ist</strong>.“<br />
88 89
ARTiG fESTiVAL 2009 arTig vi<br />
Agnes Jaracewski, was sollte <strong>ARTig</strong> werden oder bleiben?<br />
<strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e Baustelle,<br />
die sich ständig erneuert,<br />
sich selbst neue Ziele steckt.<br />
Es muss frei, jung und<br />
reaktionsfähig bleiben.
<strong>ARTig</strong> vI<br />
Festival 2009<br />
90 91
cRYPSiS FaBian ScHumacHer, daniel FrieS, ToBiaS raaB, luc Jouon, arTig iv
BEYoN D<br />
ThE<br />
lIMIT<br />
92 93
DE AnimALiBuS in uRBE <strong>–</strong> STADTfABEL anTonia BeeSkow, arTig vii<br />
Ein ort an dem Stahl in den himmel ragt.<br />
Allerhand Getier trifft auf Getier und lebt me<strong>ist</strong> in friedlicher Symbiose.<br />
Die Stadt <strong>ist</strong> tödlich …
94 95
ARTiG fESTiVAL 2010 arTig vii<br />
<strong>ARTig</strong> vII<br />
Festival 2010
Muna Zubi, wie beurteilst Du <strong>ARTig</strong>s Fähigkeit<br />
zur Partizipation und Selbsterneuerung?<br />
<strong>ARTig</strong> <strong>ist</strong> nachwachsender<br />
Rohstoff. Doch der kann<br />
nur unter guten Wachstumsbedingungen<br />
gedeihen,<br />
und die müssen geschaffen<br />
werden!<br />
96 97
VARiniA AKuA varinia akua, arTig iv
KoMM IN MEINE ARME<br />
Ich MuNTER DIch AuF<br />
IMMER IMMER WIEDER<br />
SolANG Du ES BRAuchST<br />
BABY Ich TRAG DIch<br />
Ich TRAG DIch EGAl WIE lANG<br />
Ich ERINNER DIch<br />
DASS Du FlIEGEN KANNST<br />
98 99
Von jEDEm woRT, DAS unnüTz unS EnTfALLEn monika malczewSki, arTig vii<br />
Warum in aller Welt hat man für das Wort Abkürzung k<strong>ein</strong> kürzeres gewählt<br />
Warum <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>silbig dreisilbig<br />
Was haben Schmetterlinge im Bauch wenn sie verliebt sind<br />
Wenn <strong>ein</strong>e Getreidemühle Getreide mahlt und <strong>ein</strong>e Pfeffermühle Pfeffer,<br />
was passiert in der Windmühle<br />
Warum können Nasen laufen und Füße auch riechen<br />
haben Teefabrikarbeiter auch Kaffeepausen
?<br />
?<br />
?<br />
?<br />
?<br />
?<br />
100 101
TEAM<br />
Team
„ Wir haben <strong>ein</strong> immer gleich<br />
bleibendes Herzstück, zwar mit<br />
wechselnden Teilnehmern,<br />
aber <strong>ein</strong>er gem<strong>ein</strong>samen Idee,<br />
der <strong>ARTig</strong>en.“<br />
102 103
AnhAnG<br />
ANhANG
Über die vodafone Stiftung<br />
Erkennen. Fördern. Bewegen.<br />
104 105<br />
Die Vodafone Stiftung <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>e der großen unternehmensverbundenen Stiftungen in<br />
Deutschland und Mitglied <strong>ein</strong>er weltweiten Stiftungsfamilie. Als eigenständige gem<strong>ein</strong>-<br />
nützige Institution fördert und initiiert sie Projekte insbesondere mit Bildungsbezug. Ziel <strong>ist</strong><br />
es, Impulse für den gesellschaftlichen Fortschritt zu geben, die Entwicklung <strong>ein</strong>er aktiven<br />
Bürgergesellschaft zu unterstützen und gesellschaftspolitische Verantwortung zu überneh-<br />
men. Dabei geht es der Stiftung vor allem darum, benachteiligten Kindern und Jugendlichen<br />
sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Das Förderprofil der Stiftung steht unter dem Leitmotiv:<br />
„Erkennen. Fördern. Bewegen.“
AnhAnG<br />
<strong>ARTig</strong>-Alumni<br />
Die Kurzbiografien der von Kai Krösche für den Beitrag <strong>ARTig</strong> wirkt befragten Alumni<br />
Julius Brauckmann<br />
<strong>ARTig</strong> I Bildende Kunst (2005), Studium „Visuelle Kommunikation“ an der Hochschule für<br />
Bildende Künste Hamburg<br />
Kolja Burgschuld<br />
<strong>ARTig</strong> I (Theater), Studium der Theater- Film- und Medienwissenschaft an der Universität<br />
Wien, freier Theater- und Filmemacher, seit 2011 Geschäftsführer der ASSITEJ Austria,<br />
Wien<br />
Annette Günther<br />
<strong>ARTig</strong> VI (2009), <strong>ARTig</strong> VII (2010), Bildende Kunst, Studium an der H<strong>ein</strong>rich-H<strong>ein</strong>e-Universität<br />
<strong>Düsseldorf</strong> (WS 2010), Kunstgeschichte und Antike Kulturen<br />
Agnes Jaraczewski<br />
<strong>ARTig</strong> I Tanz (2005), <strong>ARTig</strong> II Bildende Kunst/Installation (2006), Ausbildung Mediengestalterin,<br />
BA Kulturpädagogik, MA Kulturmanagement, Arbeit im <strong>ARTig</strong>-Team, Redaktionsleitung<br />
<strong>ARTig</strong> sagt, seit 2010 Projektkoordinatorin „<strong>Musenkuss</strong> <strong>–</strong> Bildungsplan <strong>Düsseldorf</strong>“<br />
lioba Keuck<br />
<strong>ARTig</strong> I Fotographie (2005), <strong>ARTig</strong> II Ass<strong>ist</strong>entin der Mentorin Nina Schmitz, ab 2004 Studium<br />
Freie Kunst Schwerpunkt Fotografie Kunstakademie Münster, ab 2006 Zweitstudium<br />
Fotodesign FH Dortmund, 2009 Ernennung zur Me<strong>ist</strong>erschülerin Kunstakademie Münster,<br />
2010 Auslandsstudium Lissabon
Artiom Miziouk<br />
<strong>ARTig</strong> I Bildende Kunst (2005), <strong>ARTig</strong> II Theater (2006), <strong>ARTig</strong> IV Bildende Kunst (2007),<br />
<strong>ARTig</strong> V Bildende Kunst (2008), Studium der Philosophie und Antike Kultur an der H<strong>ein</strong>rich-<br />
H<strong>ein</strong>e-Universität <strong>Düsseldorf</strong> (WS 2010)<br />
Raphael Srbzeszny<br />
<strong>ARTig</strong> II Bildende Kunst (2006), Schlagzeugstudium in verschiedensten Städten, Bildhauerei<br />
und Freie Kunst, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Musiktheater und<br />
Komposition in Bern<br />
claudius von Stolzmann<br />
<strong>ARTig</strong> I (Schauspieler in Woyzeck), Schauspielstudium an der Schauspielschule Frankfurt<br />
(2005<strong>–</strong>2006) und an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin (2006<strong>–</strong><br />
2010), seitdem zahlreiche Engagements im ganzen deutschsprachigen Raum<br />
Stella volkenand<br />
<strong>ARTig</strong> III Fotografie (2007), <strong>ARTig</strong> V Literatur (2008), <strong>ARTig</strong> VI Literatur (2009), Studium<br />
„Medien- und Kulturwissenschaften“, HHU <strong>Düsseldorf</strong><br />
Pia Weber<br />
<strong>ARTig</strong> II Fotografie (2006), <strong>ARTig</strong> III Fotographie (2007), Mitarbeit im <strong>ARTig</strong>-Team, Studium<br />
„Philosophie und Kulturreflexion“ (Universität Witten/Herdecke), anschließend „Kulturwissenschaften<br />
und ästhetische Praxis“ (Hildesheim)<br />
Muna Zubi<br />
<strong>ARTig</strong> I <strong>–</strong> IV Team, ab 2009 Projektkoordination, Studium BA Kultur- und Medienwissen-<br />
schaften, MA Kultur- und Medienmanagement<br />
106 107
Impressum<br />
herausgeber<br />
Vodafone Stiftung Deutschland<br />
gem<strong>ein</strong>nützige GmbH<br />
Am Seestern 1<br />
40547 <strong>Düsseldorf</strong><br />
www.vodafone-stiftung.de<br />
Telefon +49 211 533-5392<br />
Telefax +49 211 533-1898<br />
verantwortlich<br />
Petra Wickenkamp<br />
Konzeption und Redaktion<br />
Petra Winkelmann<br />
Muna Zubi<br />
Thomas Weltner<br />
Grafische Konzeption und Gestaltung<br />
trafodesign GmbH, <strong>Düsseldorf</strong><br />
Fotonachweise<br />
Jürgen Wogirz
Erkennen. Fördern. Bewegen.<br />
Vodafone Stiftung Deutschland<br />
gem<strong>ein</strong>nützige GmbH<br />
Am Seestern 1<br />
40547 <strong>Düsseldorf</strong><br />
Telefon: +49 211 533-5392<br />
Telefax: +49 211 533-1898<br />
info@vodafone-stiftung.de<br />
www.vodafone-stiftung.de