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Verona - Hamburg Ballett

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BALLETT PREMIERE<br />

›DER VERLORENE SOHN‹ ›LE PAVILLON D’ARMIDE‹BALLETTSCHULE<br />

foto: Fred Fehl<br />

Die Geschichte vom verlorenen Sohn<br />

George Balanchines 1929 entstandenes <strong>Ballett</strong> über ein biblisches Gleichnis<br />

Patricia Neary als Sirene, 1964<br />

■ George Balanchine schuf mit dem »Verlore -<br />

nen Sohn« sein letztes <strong>Ballett</strong> für Serge Diaghilew<br />

und die Ballets Russes. Die Ausstattung übernahm<br />

der französische Maler und Grafiker Georges<br />

Rouault, die Musik komponierte Sergej Pro -<br />

kofjew, der die Premiere drei Monate vor dem<br />

Tod Diaghilews (am 19. August 1929) im Pariser<br />

Théâtre Sarah-Bernhardt dirigierte. Diaghilews<br />

Assis tent Boris Kochno, der das Werk angeregt<br />

hatte, entwarf das Szenario. Die Quelle reicht<br />

Probenfotos mit Hélène Bouchet, Alexandr Trusch und Ensemble<br />

6 | Journal 6<br />

zurück bis zum biblischen Gleichnis des verlorenen<br />

Sohnes, das Lukas in Kapitel 15 beschreibt,<br />

ohne dieses zu paraphrasieren. Wichtiger ist die<br />

Anregung, die Kochno von Alexander Puschkins<br />

Erzählung »Der Postmeister« erhielt. Dort<br />

betrachtet der Ich-Erzähler drei Gemälde an der<br />

Wand einer Wohnung, die sich in einer ländlichen,<br />

typisch russischen Poststation befinden.<br />

Die Gemälde zeigen einzelne Szenen der lukanischen<br />

Ge schich te, so wie sie Puschkin schildert:<br />

»Auf dem ersten entlässt ein ehrwürdiger Greis<br />

in Schlaf rock und Schlafmütze den ungestümen<br />

Jüngling, der eiligst den Segen und einen Sack voll<br />

Geld dahin nimmt. Auf dem zweiten ist in grellen<br />

Far ben das liederliche Leben des Jünglings<br />

geschildert. Er sitzt an einem Tische, umgeben von<br />

fal schen Freunden und schamlosen Weibern.<br />

Weiter hütet der Jüngling, nachdem er sein Gut<br />

verprasste, die Schweine. Er ist in Lumpen gehüllt<br />

und teilt mit den Tieren das Futter. Auf seinem<br />

Ge sicht ist tiefe Trauer und Reue ausgeprägt.<br />

Endlich wird die Rückkehr zum Vater dargestellt.<br />

Der gute Greis eilt ihm in demselben Schlafrock<br />

und derselben Schlafmütze ent gegen. Der verlorene<br />

Sohn liegt vor ihm auf den Knien; in einiger<br />

Entfernung schlachtet der Koch das gemästete<br />

Kalb, und der ältere Bruder fragt die Diener<br />

nach dem Grunde dieser Freude.« Mit seiner<br />

Gliederung in drei Bilder orientiert sich das Bal -<br />

lett an Puschkins Ausführung. Die erste Szene<br />

ver deutlicht den Abschied, in der zweiten befin-<br />

den wir uns in der Fremde, bevor es im dritten<br />

Bild zur Rückkehr des Sohnes kommt.<br />

»Der verlorene Sohn« – neben »Josephs Le gen -<br />

de« eines der sakralen <strong>Ballett</strong>e der Compagnie von<br />

Serge Diaghilew – wurde bereits in einem kleinen<br />

Ausschnitt im Rahmen der Nijinsky-Gala V 1979<br />

in <strong>Hamburg</strong> präsentiert. An dem Abend, der dem<br />

großen Impresario gewidmet war, tanzten Ghislaine<br />

Thesmar und Georges Piletta den Pas de deux aus<br />

dem zweiten Bild. Dort erliegt der verlorene Sohn<br />

den Verfüh run gen der Sirene, von Balanchine er -<br />

greifend cho re o grafiert. John Neumeier würdigt<br />

das Vermächt nis George Balanchines, der von 1925<br />

bis 1929 Chefchoreograf der Ballets Russes war:<br />

»Seine Leistung war von besonderer Art. Sie wurde<br />

in vergleichbarer Weise nur von ganz wenigen Per -<br />

sön lichkeiten der <strong>Ballett</strong>geschichte vollbracht. Er<br />

war ein ›Arbeiter‹ unter den Choreografen, ein<br />

›Ma cher‹. Er wartete nicht auf die Muse, sondern<br />

schuf sein gewaltiges Œuvre durch die kontinuierliche<br />

Arbeit mit einer und für eine Compagnie,<br />

die er dabei gleichzeitig entwickelte und der er ein<br />

unverwechselbares Gesicht gab. Er war ein Erneu -<br />

erer, der die Tradition nicht verleugnete, sondern<br />

seine eigenen ›Wurzeln‹ tief in die Tradition hineinversenkte<br />

und mit der Kraft, die ihm daraus er -<br />

wuchs, ständig das Neue schuf. Balanchine hat uns<br />

modellhaft vorgeführt, dass ›Klassik‹ nur durch<br />

neues Leben überlebt.«<br />

ANDRÉ PODSCHUN

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