Verona - Hamburg Ballett
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So bereitwillig Eltern ihren heranwachsenden Töchtern oft den Weg<br />
zum Tanz ebnen, so schwer tun sie sich mitunter, wenn ihre Söhne sich fürs<br />
<strong>Ballett</strong> begeistern. Auch Thiago Bordin musste einige Hürden nehmen,<br />
bevor er seinen Traum verwirklichen durfte. Der 1983 in São Paulo geborene<br />
Thiago sah mit knapp vier Jahren zum ersten Mal ein <strong>Ballett</strong> – und wollte<br />
sofort nur noch tanzen. Seine Mutter versuchte zunächst, den Wunsch<br />
zu überhören, schließlich interessieren sich Gleichaltrige in Brasilien traditionsgemäß<br />
für Fußball. Doch Thiago blieb dabei, <strong>Ballett</strong> war seine Welt.<br />
Zwei Jahre und einige Familienzwiste später wurde der fünfjährige Junge<br />
zum Kinderpsychologen geschickt – die Hartnäckigkeit, mit der er am Tanz<br />
festhielt, beunruhigte seine Familie. Doch glücklicherweise wurde keine<br />
Krankheit diagnostiziert, sondern ein Rat erteilt: »Lassen Sie den Jungen<br />
tanzen!« Der Sechsjährige durfte endlich eine private <strong>Ballett</strong>schule besuchen.<br />
Und aufgrund seiner Begabung bereits ein Jahr später an die Schule<br />
des Teatro de São Paulo wechseln.<br />
Von den dort unterrichteten Disziplinen avancierte die Komposition<br />
sofort zu seinem Lieblingsfach. Doch mit der Kreativität kam die Krise. Als<br />
er zehn Jahre alt war, hatte sich sein Ziel verändert: Nicht mehr Tänzer, sondern<br />
Choreograf wolle er nun werden; den neuen Lebensentwurf und die<br />
damit verbundenen Änderungswünsche bezüglich der tänzerischen<br />
Ausbildung besprach Thiago ausgiebig mit seiner Lehrerin! Die brachte zum<br />
Glück die notwendige Geduld und Überzeugungskraft auf, so dass der ungeduldige<br />
Schüler schließlich einwilligte, die Tanzausbildung von insgesamt<br />
sieben Jahren Dauer zunächst abzuschließen. Sogar mit der Teilnahme an<br />
renommierten <strong>Ballett</strong>wettbewerben erklärte er sich einverstanden, denn<br />
die ersetzen in Brasilien die fehlende Bühnenpraxis der angehenden Tänzer.<br />
Und bringen den Nachwuchs mit Größen der internationalen Tanzwelt<br />
zusammen, in Thiago Bordins Fall war es die schicksalhafte Begegnung mit<br />
Birgit Keil und Vladimir Klos. Die Klarheit des Angebots machte ihm damals<br />
die Entscheidung leicht, und so wählte er die Akademie des Tanzes im (gänzlich<br />
unbekannten) Mannheim – und schlug die Stipendien aus Dresden,<br />
Wien und London aus. 1999 flog der 16-Jährige nach Deutschland, um zwei<br />
weitere Jahre Tanz und Komposition an der Mannheimer Akademie zu studieren;<br />
weder Heimweh noch Sprachbarrieren brachten ihn von seinem Weg<br />
ab. Im Jahr seines Abschlusses war es endlich soweit: Als Absolvent vergleichsweise<br />
unausgelastet, erlaubte ihm Akademieleiterin Birgit Keil, mit<br />
zehn Studenten zu proben. So entstand 2001 die erste Choreografie:<br />
»Violinkonzert« zu Musik von Sergej Prokofjew. Im gleichen Jahr holte ihn<br />
John Neumeier zum HAMBURG BALLETT; hier stieg er 2005 zum Solisten<br />
auf, nur ein Jahr später ernannte ihn der <strong>Hamburg</strong>er <strong>Ballett</strong>chef nach seiner<br />
enormen Leistung als Romeo zum Ersten Solisten – einem der jüngsten<br />
in der Geschichte der Compagnie.<br />
Doch das Jahr 2006 nahm für ihn kein gutes Ende: Ein Kranken -<br />
hausaufenthalt im November machte eine dreimonatige Pause unabdingbar,<br />
die Verletzungen stellten sogar seine Tänzerkarriere in Frage. Doch ein<br />
Kämpfer wie er schaffte es natürlich, im Februar 2007 stand er in New York<br />
wieder auf der Bühne – und verletzte sich erneut. »Ich war wie ein Pony,<br />
wollte alles, war aber noch nicht reif!« Das ist er inzwischen, reif zum Beispiel<br />
für Rollen wie den Armand in »Die Kameliendame«. Und auch sein choreografisches<br />
Werk ist gereift: 2009 übernahm Birgit Keil »A Foreign Sound«<br />
ins Repertoire ihres Badischen Staatstheaters Karlsruhe, das <strong>Hamburg</strong>er<br />
Publikum konnte die Kreation schon im vergangenen Jahr bei den »Jungen<br />
Choreografen« auf Kampnagel erleben. Bleiben da noch unerfüllte Träume<br />
übrig? Doch, ja, in John Neumeiers »Matthäus-Passion« zu tanzen, zum<br />
Beispiel. Aber rundum glücklich ist er schon jetzt: »Es ist Wahnsinn, ich<br />
hab’ so viel bekommen – ich bin dankbar!«<br />
Dagmar Ellen Fischer<br />
fotos: holger badekow<br />
Journal 6 | 19