baff 2-2007.indd - Bayerisches Jugendrotkreuz
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Lantmann das nicht sehen konnte. „Für mich ist<br />
sie zu teuer. Für uns. Wir haben das Geld nicht.“<br />
„So“, sagte Frau Lantmann. Mehr nicht. Vivi räusperte<br />
sich, um zu zeigen, dass sie noch da war.<br />
„So, so“, sagte Frau Lantmann noch einmal. „Es<br />
geht mich zwar nichts an, wofür ihr euer Geld ausgebt.<br />
Aber tu doch bitte nicht so, als würdet ihr<br />
am Hungertuch nagen! Ich weiß genau, wie viel<br />
Arbeitslosengeld der Staat und damit wir alle für<br />
euch bezahlen.“<br />
Vivi schluckte. Sie empfand dieselbe Hilfl osigkeit<br />
wie damals, als Anna die Arbeitslosen als Faultiere<br />
beschimpft hatte. Wieso behaupteten Anna,<br />
ihre Mutter und andere auch, immerzu Dinge, die<br />
überhaupt nicht stimmten? Das Arbeitslosengeld<br />
kam doch gar nicht vom Staat. Die Arbeitslosen<br />
hatten es selber eingezahlt, vor ihrer Arbeitslosigkeit,<br />
als sie noch jeden Monat ihren Lohn gekriegt<br />
hatten. Mama hatte es Vivi genau erklärt, zusammen<br />
mit vielen anderen Sachen, die furchtbar<br />
kompliziert und verwickelt waren. Vivi hatte nicht<br />
mal die Hälfte davon begriffen, was es mit den<br />
ganzen Rechten und Pfl ichten und Ansprüchen<br />
auf sich hatte. Aber dass Arbeitslosengeld nichts<br />
mit Wohltätigkeit oder Almosen zu tun hatte - das<br />
hatte sie sehr gut verstanden. Es war wie bei der<br />
Krankenversicherung: Alle zahlen jeden Monat<br />
etwas ein, auch wenn sie kerngesund sind und<br />
jahrelang keinen Arzt brauchen. Aber wenn dann<br />
einer krank wird und nur durch eine teure Operation<br />
gerettet werden kann, dann wird die eben aus<br />
dem gemeinsamen Topf bezahlt.<br />
Auf einmal hörte Vivi sich sagen: „Das ist alles total<br />
bescheuert.“<br />
Frau Lantmann hüstelte. „Wie bitte? Was meinst<br />
du?“, fragte sie.<br />
Vivi wiederholte den Satz. Sie brauchte nicht lange<br />
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nachzudenken, die weiteren Wörter kamen wie<br />
von selbst aus ihrem Mund, ganz ruhig. Nicht das<br />
kleinste bisschen Wut war in ihrem Bauch. „Es ist<br />
alles total bescheuert, was Sie eben gesagt haben.<br />
Und was Anna gesagt hat, ist noch bescheuerter.“<br />
Vivi machte eine kleine Pause und überlegte, ob<br />
sie wirklich aussprechen sollte, was ihr schon auf<br />
der Zunge lag: ‚Sie können sich Ihren super Party-<br />
Service in die Haare schmieren’, oder: ‚Pfl astern<br />
sie doch Ihr Klo mit den teuren CDs’, oder: ‚Wenn<br />
Dummheit krank machen würde, dann wären Sie<br />
jetzt ein Fall für den Notarzt’. Aber Vivi sagte nichts<br />
von alledem. Nicht, weil sie sich nicht traute.<br />
Sondern weil es Verschwendung gewesen wäre.<br />
Frau Lantmann hätte es ja doch nicht kapiert! Also<br />
schnaubte Vivi einmal kurz und einmal lang, um<br />
die wunderbar gemeinen Ausdrücke aus sich herauszublasen.<br />
Dann sagte sie höfl ich, wenn auch<br />
mit einigem Herzklopfen: „Grüßen Sie Anna von<br />
mir! Und sagen Sie ihr bitte, dass ich nicht zu ihrer<br />
Party kommen möchte. Tschüs!“ Vivi legte auf.<br />
Cool, dachte sie, das war total cool! Sie musste<br />
grinsen, ob sie wollte oder nicht. Jetzt war es heraus,<br />
endlich. Jetzt musste sie sich nicht mehr verstecken.<br />
Nicht immer so tun, als sei alles in bester<br />
Ordnung, als ginge es ihnen prima.<br />
Vivi fühlte sich auf einmal so gut! Sie stieß einen<br />
kleinen Schrei aus und riss die Arme hoch. Ziem-<br />
lich heftig, ziemlich ungeschickt - au verdammt!<br />
Das Telefon! Krachend fi el es auf den Boden, der<br />
Hörer lag daneben und gab ein ununterbrochenes<br />
Tuten von sich.<br />
„Mist!“, stieß Vivi hervor. Das fehlte noch - ein kaputtes<br />
Telefon! Vorsichtig legte sie den Hörer auf,<br />
nahm ihn wieder ab, horchte. Alles funktionierte.<br />
Vivi stellte den Apparat sachte wie ein rohes Ei an<br />
seinen Platz zurück.<br />
Fortsetzung folgt..<br />
Regina Busch:<br />
Die paar Kröten<br />
Omnibus / C. Bertelsmann<br />
Jugendbuch Verlag,<br />
München, 2003,<br />
ISBN: 3-570-12763-X<br />
bäffchen | 22