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LANDWIRTSCHAFT - BMELV-Forschung

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Bundesministerium für<br />

Ernährung, Landwirtschaft<br />

und Forsten<br />

2/1998<br />

DIE ZEITSCHRIFT DES SENATS DER BUNDESFORSCHUNGSANSTALTEN<br />

FORSCHUNGS<br />

ERNÄHRUNG · <strong>LANDWIRTSCHAFT</strong> · FORSTEN<br />

Schwerpunkt:<br />

Biotechnologie<br />

rund um’s Tier<br />

Kennzeichnung<br />

gentechnisch veränderter<br />

Lebensmittel<br />

Report<br />

Zustand der deutschen<br />

Waldböden


Bundesministerium für<br />

Ernährung, Landwirtschaft<br />

und Forsten<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

DER FORSCHUNGSBEREICH<br />

Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten<br />

(BML) unterhält einen <strong>Forschung</strong>sbereich, um wissenschaftliche Entscheidungshilfen für<br />

die Ernährungs-, Land- und Forstwirtschaftspolitik der Bundesregierung zu erarbeiten und<br />

damit zugleich die Erkenntnisse auf diesen Gebieten zum Nutzen des Gemeinwohls zu<br />

erweitern (Rochusstr. 1, 53123 Bonn, Tel.: 0228/529-0, Fax: 0228/529-4262).<br />

Dieser <strong>Forschung</strong>sbereich wird von 10 Bundesforschungsanstalten und der Zentralstelle<br />

für Agrardokumentation und -information (ZADI) gebildet und hat folgende Aufgaben:<br />

■ Bundesforschungsanstalt für<br />

Landwirtschaft (FAL):<br />

Erhaltung und Pflege natürlicher Ressourcen<br />

agrarischer Ökosysteme und<br />

Weiterentwicklung der Nahrungs- und<br />

Rohstoffproduktion unter verstärkter Einbeziehung<br />

neuer Wissensgebiete und <strong>Forschung</strong>smethoden.<br />

Dabei stellen die Analyse,<br />

Folgenabschätzung und Bewertung<br />

von zukünftigen Entwicklungen für die<br />

Landwirtschaft und die ländlichen Räume<br />

einen besonderen Schwerpunkt dar (Bundesallee<br />

50, 38116 Braunschweig, Tel.:<br />

0531/596-1, Fax: 0531/596-814).<br />

■ Biologische Bundesanstalt<br />

für Land- und Forstwirtschaft<br />

(BBA):<br />

Eine selbständige Bundesoberbehörde<br />

und Bundesforschungsanstalt mit im Pflanzenschutz-,<br />

Gentechnik- und Bundesseuchengesetz<br />

festgelegten Aufgaben. <strong>Forschung</strong><br />

auf dem Gesamtgebiet des Pflanzen-<br />

und Vorratsschutzes; Prüfung und Zulassung<br />

von Pflanzenschutzmitteln; Eintragung<br />

und Prüfung von Pflanzenschutzgeräten;<br />

Beteiligung bei der Bewertung<br />

von Umweltchemikalien nach dem Chemikaliengesetz;<br />

Mitwirkung bei der Genehmigung<br />

zur Freisetzung und zum Inverkehrbringen<br />

gentechnisch veränderter Organismen<br />

(Messeweg 11/12, 38104<br />

Braunschweig, Tel.: 0531/299-5, Fax:<br />

0531/299-3000).<br />

■ Bundesanstalt für<br />

Milchforschung (BAfM):<br />

Erarbeitung der Grundlagen für die Erzeugung<br />

von Milch, die Herstellung von<br />

Milchprodukten und anderen Lebensmitteln<br />

und die ökonomische Bewertung der<br />

Verarbeitungsprozesse sowie den Verzehr<br />

von Lebensmitteln mit dem Ziel einer gesunden<br />

Ernährung (Hermann-Weigmann-<br />

Str. 1, 24103 Kiel, Tel.: 0431/609-1,<br />

Fax: 0431/609-2222).<br />

■ Bundesforschungsanstalt für<br />

Fischerei (BFAFi):<br />

Bearbeitung der Probleme der<br />

Fischwirtschaft von der Produktion bis zur<br />

Verarbeitung unter Berücksichtigung aller<br />

Zweige der Küsten- und Hochseefischerei<br />

und zum Teil auch der Binnenfischerei<br />

(Palmaille 9, 22767 Hamburg, Tel.:<br />

040/38905-0; Fax: 040/38905-200).<br />

■ Bundesforschungsanstalt für<br />

Forst- und Holzwirtschaft<br />

(BFH):<br />

Wissenschaftliche Untersuchungen zur<br />

Erhaltung des Waldes und zur Steigerung<br />

seiner Leistung sowie zur Verbesserung<br />

der Nutzung des Rohstoffes Holz und zur<br />

Steigerung der Produktivität in der<br />

Holzwirtschaft (Leuschnerstr. 91, 21031<br />

Hamburg, Tel.: 040/73962-0, Fax:<br />

040/73962-480).<br />

■ Bundesanstalt für Getreide-,<br />

Kartoffel- und Fettforschung<br />

(BAGKF):<br />

<strong>Forschung</strong>sarbeiten mit der Zielsetzung<br />

einer Qualitätsverbesserung von Getreide,<br />

Mehl, Brot und anderen Getreideerzeugnissen,<br />

von Kartoffeln und deren<br />

Veredlungsprodukten sowie der Lösung<br />

wissenschaftlicher und technologischer<br />

Fragen im Zusammenhang mit Ölsaaten<br />

und -früchten und daraus gewonnenen<br />

Nahrungsfetten und -ölen sowie<br />

Eiweißstoffen (Schützenberg 12, 32756<br />

Detmold, Tel.: 05231/741-0, Fax:<br />

05231/741-1 00).<br />

■ Bundesforschungsanstalt für<br />

Viruskrankheiten der Tiere<br />

(BFAV):<br />

Eine selbständige Bundesoberbehörde<br />

mit im Tierseuchengesetz und Gentechnikgesetz<br />

festgelegten Aufgaben. Erforschung<br />

und Erarbeitung von Grundlagen<br />

für die Bekämpfung viraler Tierseuchen<br />

(Boddenblick 5a, 17498 Insel Riems,<br />

Tel.: 038351/7-0, Fax: 038351/<br />

7-151).<br />

■ Bundesanstalt für Fleischforschung<br />

(BAFF):<br />

Erforschung der Voraussetzungen, unter<br />

denen die Versorgung mit qualitativ<br />

hochwertigem Fleisch sowie einwandfreien<br />

Fleischerzeugnissen einschließlich<br />

Schlachtfetten und Geflügelerzeugnissen<br />

sichergestellt ist (E.-C.-Baumann-Str. 20,<br />

95326 Kulmbach, Tel.: 09221/803-1,<br />

Fax: 09221/803-244).<br />

■ Bundesforschungsanstalt für<br />

Ernährung (BFE):<br />

Horizontale, das gesamte Gebiet der<br />

Ernährungs-, Lebensmittel- und Haushaltswissenschaften<br />

übergreifende Aufgabenstellung<br />

(Haid-und-Neu-Str. 9, 76131<br />

Karlsruhe, Tel.: 0721/6625-0, Fax:<br />

0721/ 6625-111).<br />

2<br />

■ Bundesanstalt für Züchtungsforschung<br />

an Kulturpflanzen<br />

(BAZ):<br />

Erhöhung der biotischen Resistenz und<br />

der Verbesserung der abiotischen Toleranz<br />

der Kulturpflanzen sowie Entwicklung<br />

von Zuchtmethoden und Verbesserung der<br />

Produktqualität (Neuer Weg 22/23,<br />

06484 Quedlinburg, Tel.: 03946/47-0,<br />

Fax: 03946/47-255).<br />

■ Zentralstelle für Agrardokumentation<br />

und -information (ZADI):<br />

Aufbau des Deutschen Agrarinformationsnetzes<br />

(DAlNet), Online-Angebot nationaler<br />

und internationaler Datenbanken,<br />

<strong>Forschung</strong> und Entwicklung auf den Gebieten<br />

Agrardokumentation und Informatik<br />

sowie Koordinierung der Dokumentation<br />

im Fachinformationssystem Ernährung,<br />

Land- und Forstwirtschaft (FIS-ELF) (Villichgasse<br />

17,53177 Bonn, Tel.: 0228/<br />

9548-0, Fax: 0228/9548-149).<br />

● <strong>Forschung</strong>seinrichtungen der<br />

Blauen Liste:<br />

Darüber hinaus sind sechs <strong>Forschung</strong>seinrichtungen<br />

der Blauen Liste dem Geschäftsbereich<br />

des BML zugeordnet: Deutsche<br />

<strong>Forschung</strong>sanstalt für Lebensmittelchemie<br />

(DFA) (Lichtenbergstr. 4, 85748<br />

Garching, Tel.: 089/28914170, Fax:<br />

089/28914183); Zentrum für Agrarlandschafts-<br />

und Landnutzungsforschung<br />

e. V. (ZALF) (Eberswalder Str. 84, 15374<br />

Müncheberg, Tel.: 033432/82-0, Fax:<br />

033432/82-212); Institut für Agrartechnik<br />

Bornim e. V. (ATB) (Max-Eyth-Allee<br />

100, 14469 Potsdam-Bornim, Tel.:<br />

0331/5699-0, Fax: 0331/5699-<br />

849); Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau<br />

Großbeeren/Erfurt e. V. (IGZ)<br />

(Theodor-Echtermeyer-Weg 1, 14979<br />

Großbeeren, Tel.: 033701/78-0, Fax:<br />

033701/55391); <strong>Forschung</strong>sinstitut für<br />

die Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere<br />

(FBN) (Wilhelm-Stahl-Allee 2, 18196<br />

Dummerstorf, Tel.: 038208/68-5, Fax:<br />

038208/686-02); Institut für Agrarentwicklung<br />

in Mittel- und Osteuropa (IAMO)<br />

(Magdeburger Str. 1, 06112 Halle/S.,<br />

Tel.: 0345/5008-111, Fax: 0345/<br />

5126599).<br />

Die wissenschaftlichen Aktivitäten des<br />

<strong>Forschung</strong>sbereiches werden durch den<br />

Senat der Bundesforschungsanstalten<br />

koordiniert, dem die Leiter der Bundesforschungsanstalten,<br />

der Leiter der ZADI und<br />

sieben zusätzlich aus dem <strong>Forschung</strong>sbereich<br />

gewählte Wissenschaftler angehören.<br />

Der Senat wird von einem auf zwei Jahre<br />

gewählten Präsidium geleitet, das die Geschäfte<br />

des Senats führt und den <strong>Forschung</strong>sbereich<br />

gegenüber anderen wissenschaftlichen<br />

Institutionen und dem BML vertritt<br />

(Präsidium des Senats der Bundesforschungsanstalten,<br />

c/o BBA, Messeweg 11/12,<br />

38104 Braunschweig, Tel.: 0531/299-5,<br />

Fax: 0531/299-3001).


Guten Tag,<br />

EDITORIAL INHALT<br />

als ich mir neulich abends bei einem Gläschen Wein Gedanken<br />

zum Editorial für diesen ‘biotechnologischen’ <strong>Forschung</strong>sReport<br />

machte, wurde mir klar, daß ich eigentlich schon mitten im<br />

Thema war. Denn was ist Wein anderes als ein Produkt<br />

biotechnologischer Erzeugung, bei dem die Stoffwechselleistung<br />

von Mikroorganismen, konkret die Vergärung von Zucker durch<br />

Hefen, gezielt ausgenutzt wird? Biotechnologie begleitet uns in<br />

vielen Bereichen unseres Lebens – in ihren Urformen schon seit<br />

Jahrtausenden.<br />

Die Möglichkeiten der<br />

Biotechnologie haben sich<br />

allerdings durch die<br />

Fortschritte in der<br />

Molekularbiologie, aber<br />

auch der Verfahrens- und<br />

Computertechnik,<br />

immens erhöht. Nach<br />

Meinung vieler Experten<br />

sehen wir einem<br />

„Jahrhundert der<br />

Biologie” entgegen. Da<br />

neue Technologien auf<br />

gesellschaftliche Akzeptanz<br />

angewiesen sind, kommen sie nicht ohne öffentliche Diskussion<br />

aus. Wesentliche Voraussetzung dafür ist ein guter Kenntnisstand<br />

über das aktuell Machbare und seine möglichen Auswirkungen.<br />

Wer über den Stand der <strong>Forschung</strong> und ihre Umsetzung in die<br />

Praxis informiert ist, wird neue Entwicklungen besser beurteilen<br />

können und weniger den Statements und Prognosen<br />

selbsternannter Experten glauben müssen.<br />

Hier ist die Ressortforschung gefragt. Zu ihren wichtigsten<br />

Aufgaben zählt die Unterrichtung und Beratung der politischen<br />

Entscheidungsträger. Daher muß sie gerade auch in heiß<br />

diskutierten <strong>Forschung</strong>sfeldern präsent sein. Ressortforschung ist<br />

überwiegend angewandte <strong>Forschung</strong> mit direktem Bezug auf<br />

praktische Erfordernisse und verantwortbare Entscheidungen.<br />

Das läßt keinen Platz für Elfenbeintürme.<br />

Der <strong>Forschung</strong>sReport greift in seinem Schwerpunkt<br />

„Biotechnologie rund um’s Tier” einige topaktuelle Themen auf,<br />

die im Brennpunkt des öffentlichen Interesses stehen. Dabei geht<br />

es um innovative Verfahren im Bereich der Lebensmittelproduktion<br />

ebenso wie um neue Impfstoffe und um<br />

landwirtschaftliche Nutztiere, die in der Biomedizin eine Rolle<br />

spielen können. Biotechnologie – und mit ihr die Gentechnik als<br />

Teilbereich – hat hier viele Türen geöffnet. Was sich hinter den<br />

Türen verbirgt und welche Perspektiven sich auftun, erfahren Sie<br />

auf den folgenden Seiten.<br />

Ihr<br />

Prof. Dr. F. Klingauf<br />

Präsident des Senats der Bundesforschungsanstalten<br />

3<br />

DER FORSCHUNGSBEREICH 2<br />

BERICHTE AUS DER FORSCHUNG<br />

Neue Impfstoffe gegen<br />

Viruskrankheiten bei Tieren<br />

Entwicklungssprung durch die Gentechnologie 4<br />

Tiere als Arzneimittel- und<br />

Organlieferanten<br />

Neue Perspektiven in der Biomedizin 9<br />

In-vitro-Erzeugung von<br />

Rinderembryonen<br />

Ultraschallgeleitete Entnahme von Eizellen<br />

beschleunigt den Zuchterfolg 14<br />

Gesündere Tiere durch<br />

besseres Futter 18<br />

Biotechnologie in<br />

der Käseherstellung 22<br />

Biokonservierung von<br />

Fleischerzeugnissen<br />

Bacteriocinogene Milchsäurebakterien<br />

können Pathogene hemmen 26<br />

Kennzeichnung von gentechnisch<br />

veränderten Lebensmitteln 30<br />

Neuentwicklungen<br />

auf dem Prüfstand<br />

Über die Verzahnung von wissenschaftlichen<br />

Arbeiten und behördlichen Entscheidungen 34<br />

Zustand der<br />

deutschen Waldböden<br />

Auswirkungen anthropogener Einflüsse 38<br />

IMPRESSUM 43<br />

PORTRAIT<br />

Institut für Tierzucht und<br />

Tierverhalten Mariensee 44<br />

Institut für landwirtschaftliche<br />

Kulturen, Groß Lüsewitz 46<br />

NACHRICHTEN 48<br />

TAGUNGEN 50<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT


Abb. 1:<br />

Blutungen in<br />

verschiedenen<br />

Organen, hier in<br />

der Lunge und<br />

der Luftröhre,<br />

sind typische<br />

Symptome der<br />

HämorrhagischenKaninchenkrankheit.<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

Neue Impfstoffe<br />

gegen<br />

Viruskrankheiten<br />

bei Tieren<br />

Entwicklungssprung durch die<br />

Gentechnologie<br />

V. Kaden, G. M. Keil, N. Osterrieder, H. Schirrmeier<br />

und T. C. Mettenleiter (Insel Riems)<br />

Gegen Infektionskrankheiten, die durch Viren verursacht werden, gibt es keine oder<br />

nur unzureichende Behandlungsmöglichkeiten. Daher ist die Entwicklung von Impfstoffen,<br />

die vorbeugend eingesetzt werden, eine der Hauptaufgaben virologischer<br />

<strong>Forschung</strong>. Die aktive Immunisierung von Tier und Mensch erfolgt entweder mit Impfstoffen<br />

aus vermehrungsfähigen Erregern (sog. „Lebendvakzinen”) oder inaktivierten<br />

Erregern („Totvakzinen”). Seit einigen Jahren werden sowohl Lebend- als auch Totvakzinen<br />

unter Einsatz gentechnologischer Verfahren hergestellt.<br />

Die gezielte Inaktivierung von Genen,<br />

die für die krankmachenden Eigenschaften<br />

der Erreger verantwortlich<br />

sind, führt zu biologisch sicheren<br />

Lebendvakzinen. Darüber hinaus besteht<br />

die Möglichkeit, Gene anderer<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

Erreger in das genetische Material<br />

eines Virus einzubauen und so<br />

gleichzeitig gegen mehrere Infektionen<br />

zu schützen („Vektorvakzinen”).<br />

Immunogene Proteine von viralen Erregern<br />

können auch biotechnologisch<br />

in Bakterien oder in Zellkulturen<br />

hergestellt und nach der Reinigung<br />

für eine Impfung verwendet werden<br />

(„Subunit-Vakzinen”). Die neueste Entwicklung<br />

beruht auf der Immunisierung<br />

mit „nackter” DNA (DNA-Vakzinen).<br />

Gentechnologisch produzierte<br />

Vakzinen bieten gegenüber konventionell<br />

hergestellten Impfstoffen mehrere<br />

Vorteile. Durch die gezielte Manipulation<br />

ist eine hohe biologische<br />

Sicherheit von Lebendvakzinen gegeben.<br />

Zweitens kann ein hoher<br />

gleichbleibender Reinheitsgrad der<br />

Impfstoffe gewährleistet werden. Drittens<br />

erlaubt die Gentechnologie die<br />

Schaffung sogenannter „Markerimpf-<br />

4<br />

stoffe” und damit die Möglichkeit,<br />

zwischen geimpften und infizierten<br />

Tieren zu unterscheiden.<br />

Im folgenden wird anhand von<br />

Beispielen auf die Möglichkeiten der<br />

Bekämpfung von viralen Infektionskrankheiten<br />

bei Tieren durch gentechnologisch<br />

produzierte Impfstoffe<br />

eingegangen.<br />

HÄMORRHAGISCHE<br />

KANINCHENKRANKHEIT<br />

Im Jahr 1984 trat in China bei<br />

Angorakaninchen, die zwei Monate<br />

zuvor aus Deutschland importiert<br />

worden waren, eine hochansteckende<br />

Viruserkrankung auf, an der nahezu<br />

alle betroffenen Tiere in kurzer<br />

Zeit verendeten. Die Kaninchen hatten<br />

massive Leberschäden und Blutungen<br />

(= Hämorrhagien) in verschiedenen<br />

Organen (Abb.1). Dieses<br />

Krankheitsbild führte zu dem Namen<br />

‘Hämorrhagische Kaninchenkrankheit’<br />

(engl. Rabbit Hemorrhagic Disease,<br />

RHD). Die Seuche breitete<br />

sich in der Folgezeit sehr rasch aus<br />

und wurde ein Jahr später auch in<br />

Korea festgestellt.


Beginnend mit dem Jahr 1986<br />

wurde bis 1990 nahezu der gesamte<br />

europäische Kontinent erfaßt. Seuchenausbrüche<br />

wurden auch aus<br />

Mexiko, Nordafrika und dem Nahen<br />

Osten gemeldet. Der größte Seuchenherd<br />

existiert gegenwärtig in<br />

Australien, wo der Erreger im Rahmen<br />

eines wissenschaftlich und<br />

ethisch umstrittenen Programms zur<br />

Bekämpfung der Wildkaninchenplage<br />

freigesetzt wurde.<br />

In Deutschland wurden erste RHD-<br />

Fälle im 2. Halbjahr 1988 festgestellt.<br />

Trotz des Einsatzes von Impfstoffen<br />

sind seit 1989 jährlich zwischen<br />

1000 und 2000 Seuchenausbrüche<br />

zu verzeichnen.<br />

Die RHD ist ein Beispiel dafür, daß<br />

ständig mit dem plötzlichen Auftreten<br />

neuer Erkrankungen gerechnet werden<br />

muß. In diesen Fällen ist es von<br />

besonderer Wichtigkeit, sehr schnell<br />

alle notwendigen Werkzeuge für<br />

Diagnose und Bekämpfung verfügbar<br />

zu machen.<br />

Der Erreger der Hämorrhagischen<br />

Kaninchenkrankheit wird den Caliciviren<br />

zugeordnet. Die gesamte genetische<br />

Information ist in einem einzigen<br />

RNA-Strang lokalisiert, der circa<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

7.500 Nukleotide (Einzelbausteine<br />

der RNA) umfaßt. Die Viruspartikel<br />

bestehen im wesentlichen aus einem<br />

einzigen Protein, dem VP60. Dieses<br />

Protein löst im Tier die Bildung von virusneutralisierenden,<br />

das heißt vor einer<br />

Erkrankung schützenden Antikörpern<br />

aus. Alle Anstrengungen zur Entwicklung<br />

eines Impfstoffes zielen also<br />

letztlich darauf ab, im geimpften Tier<br />

Antikörper gegen dieses Protein zu<br />

erzeugen.<br />

Bis heute läßt sich der Erreger<br />

nicht in Zellkultur züchten, so daß alle<br />

eingesetzten Impfstoffe gegen die<br />

Kaninchenseuche aus der Leber experimentell<br />

infizierter Tiere gewonnen<br />

werden müssen. Dies ist nicht nur<br />

sehr aufwendig, sondern auch aus<br />

Gründen des Tierschutzes längerfristig<br />

nicht tolerierbar. Unsere Arbeiten<br />

haben daher das Ziel, auf gentechnischem<br />

Wege einen Impfstoff zu entwickeln,<br />

der Kaninchen einen wirksamen<br />

Schutz verleiht.<br />

Dazu wurde die genetische Information<br />

für das VP60 in ein anderes<br />

Virus verbracht, das Kaninchen nicht<br />

befallen kann. Solche Erreger sind<br />

zum Beispiel Insektenviren wie die<br />

Baculoviren. Dieser<br />

Virentyp kann<br />

sich in Warmblütern<br />

nicht vermehren<br />

und erfüllt<br />

so bereits<br />

wesentliche Forderungen<br />

an die<br />

Biosicherheit. Typisch<br />

für diese Viren<br />

ist, daß im<br />

Überschuß ein<br />

Protein (Polyhedrin)<br />

gebildet<br />

wird, in das die<br />

reifen Viruspartikel eingeschlossen<br />

werden, wodurch sie mit einer besseren<br />

Überlebensfähigkeit in der freien<br />

Natur ausgestattet sind. Diese<br />

Überschußproduktion macht man<br />

sich zunutze, indem man DNA-Abschnitte,<br />

die für das Polyhedrin kodieren,<br />

gegen die des gewünschten<br />

Proteins austauscht. Auf diese Weise<br />

wird anstelle des Polyhedrins zum<br />

Beispiel VP60 produziert.<br />

Zu diesem Zweck haben wir den<br />

für das VP60 kodierenden Genabschnitt<br />

in Baculoviren eingefügt. Diese<br />

Viren produzieren nun im Rahmen<br />

Abb. 2: Prinzip der Herstellung von Subunit-Vakzinen mit Hilfe von Baculoviren.<br />

Die genetische Information für ein schutzerzeugendes Protein wird in<br />

das Erbgut der Baculoviren integriert und das Fremdgen nach Infektion von<br />

Insektenzellen exprimiert. Nach Aufreinigung wird das Protein zur Immunisierung<br />

verwandt.<br />

RHD-Virus<br />

Aufreinigung des<br />

RHD-Virus VP60-Proteins<br />

5<br />

VP 60-Gen<br />

Baculovirus-DNA<br />

Insektenzellen<br />

(Spodoptera frugiperda Sf9)<br />

IMMUNISIERUNG<br />

rekombinante<br />

Baculovirus-DNA<br />

Einschleusen der rekombinanten DNA<br />

in Insektenzellen<br />

rekombinantes<br />

Baculovirus<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />

In Fermenten<br />

können<br />

neuartige<br />

Impfstoffe mit<br />

Hilfe von<br />

Bakterien<br />

hergestellt<br />

werden


ihres eigenen Vermehrungszyklusses<br />

in kultivierten Insektenzellen das<br />

VP60 in großer Menge (Abb. 2 und<br />

3). Dieses Material wurde dann zur<br />

Impfung von Kaninchen verwendet.<br />

Nach einmaliger Impfung bildeten<br />

die Tiere Antikörper, die sie vor einer<br />

ansonsten tödlich verlaufenden RHD-<br />

Virus-Infektion schützten. Der Schutz<br />

trat innerhalb von 6-10 Tagen ein<br />

und war mit dem durch herkömmliche<br />

Impfstoffe vermittelten vergleichbar<br />

(Abb. 4).<br />

Auf diesem Wege ist es gelungen,<br />

eine neuartige Vakzine zu entwickeln,<br />

die in Zukunft die Verwendung<br />

von Tieren zur Herstellung von<br />

Impfstoffen gegen RHD überflüssig<br />

machen sollte.<br />

SCHWEINEPEST<br />

Die Klassische oder Europäische<br />

Schweinepest (KSP) verursacht hohe<br />

wirtschaftliche Verluste in der Landwirtschaft.<br />

Durch verschiedene<br />

Bekämpfungsmaßnahmen konnte die<br />

KSP-Verseuchung beim Hausschwein<br />

im europäischen Raum zurückgedrängt<br />

werden, wobei lange Zeit ein<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

höchst wirksamer Lebendimpfstoff<br />

eingesetzt wurde. Mit der Internationalisierung<br />

des Marktes war es notwendig,<br />

die Schweinepestimpfung<br />

einzustellen, damit lebende Schweine<br />

und Fleischprodukte in und aus<br />

der Europäischen Union uneingeschränkt<br />

gehandelt werden können<br />

(Hintergrund: Um eine Verbreitung<br />

der Krankheit zu verhindern, dürfen<br />

nur KSP-negative Schweine gehandelt<br />

werden, was durch das Fehlen<br />

von Antikörpern gegen KSP definiert<br />

ist. Geimpfte Tiere bilden aber ebenso<br />

wie latent infizierte Schweine Antikörper,<br />

so daß eine Unterscheidung<br />

nicht möglich ist).<br />

Die Bekämpfung der Schweinepest<br />

erfolgt daher zur Zeit durch<br />

Tötung infizierter und ansteckungsverdächtiger<br />

Tierbestände einschließlich<br />

Quarantäne- und Hygienemaßnahmen<br />

sowie intensiver diagnostisch-epidemiologischerUntersuchungen.<br />

Die auf der Richtlinie<br />

80/217/EWG basierende<br />

Schweinepest-Verordnung vom<br />

24.10.1994 erlaubt jedoch unter<br />

besonderen Seuchenbedingungen<br />

die Impfung. Impfungen mit einem<br />

konventionellen und daher unmar-<br />

Abb. 4: Antikörperentwicklung nach Verabreichung eines kommerziellen Impfstoffes<br />

(Gruppe 2), von VP60 exprimierendem Baculovirus (Gruppe 3) und von mit<br />

Immunstimulantien versetztem Baculovirus (Gruppe 4) an Kaninchen. Gruppe 1:<br />

nicht vakzinierte Kontrolltiere. Die Antikörper wurden in einem ELISA gegen gereinigtes<br />

RHD-Virus getestet. Die Menge der gebildeten Antikörper (ablesbar an<br />

der Höhe der optischen Dichte) korreliert mit dem Impfschutz.<br />

1,2<br />

1,0<br />

0,8<br />

0,6<br />

0,4<br />

0,2<br />

0,0<br />

Optische Dichte (490 nm)<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4<br />

0 4 7 13 21 28 35 55 69 126<br />

Tage nach Vakzinierung<br />

6<br />

Abb. 3: Expression von VP60 des RHD-<br />

Virus in Insekten-Zellkulturen, die mit<br />

gentechnisch veränderten Baculoviren<br />

infiziert worden sind. Nachweis des<br />

Proteins mittels eines VP60-spezifischen<br />

Antikörpers in der Immunfluoreszenz.<br />

kierten Impfstoff führen allerdings zu<br />

umfangreichen Handelsrestriktionen,<br />

die ebenfalls große wirtschaftliche<br />

Verluste nach sich ziehen.<br />

Schweinepestausbrüche haben in<br />

Deutschland, Belgien und den Niederlanden<br />

enorme wirtschaftliche<br />

Schäden verursacht. So kam es<br />

1997 allein in Deutschland zu<br />

44 Ausbrüchen, bei denen<br />

39.000 Schweine gekeult werden<br />

mußten; darüber hinaus wurden in<br />

351 Kontaktbetrieben 36.700 Tiere<br />

vorbeugend gekeult. Um hier Abhilfe<br />

zu schaffen wird intensiv an der Entwicklung<br />

eines Markerimpfstoffes gegen<br />

die Schweinepest gearbeitet. An<br />

einen solchen markierten Impfstoff<br />

sind hinsichtlich seiner Unschädlichkeit<br />

und Wirksamkeit hohe Anforderungen<br />

zu stellen, wie<br />

1. Schutz gegenüber einer natürlichen<br />

Kontaktinfektion;<br />

2. keine Übertragung von Feldvirus<br />

durch geimpfte Schweine auf Kontakttiere;<br />

3. keine Übertragung des Schweinepestvirus<br />

von geimpften Sauen<br />

auf die Nachkommen;<br />

4. effektiver Langzeitschutz möglichst<br />

nach einmaliger Impfung;<br />

5. eindeutige Unterscheidung von infizierten<br />

und geimpften Tieren;<br />

6. keine Handelsbarrieren für die<br />

geimpften Schweine.<br />

Bei der Entwicklung von Schweinepest-Markervakzinen<br />

wurden mehrere<br />

Wege beschritten. Schweine bil-


den nach natürlicher Infektion Antikörper<br />

gegen verschiedene Virusproteine,<br />

vor allem gegen die Strukturproteine<br />

E rns und E2 sowie das Protein<br />

NS3 (Abb. 5). Besonders die<br />

gegen E2 gerichteten Antikörper<br />

führen zu einem Immunschutz, so<br />

daß dieses Protein in einem Impfstoff<br />

enthalten sein muß. Bisher wurde vor<br />

allem an der Entwicklung von Subunit-Vakzinen<br />

sowie rekombinanten<br />

Vektorvakzinen mit Erfolg gearbeitet.<br />

Während der Schweinepest-Markerimpfstoff<br />

der ersten Generation, die<br />

Subunit-Vakzine, vor der Zulassung<br />

steht, dürften zur Einführung rekombinanter<br />

vermehrungsfähiger Vektorvakzinen<br />

noch umfangreiche Untersuchungen<br />

erforderlich sein.<br />

Subunit-Vakzine<br />

Bei der Subunit-Vakzine wird das<br />

Gen für das E2-Protein in das Genom<br />

eines genetisch veränderten Baculovirus<br />

integriert (Abb. 5; in Zusammenarbeit<br />

mit der Universität<br />

Gießen). Gereinigtes E2 dient dann<br />

als Totimpfstoff, wobei Antikörper nur<br />

gegen dieses Virusprotein gebildet<br />

werden. Werden zusätzlich Antikörper<br />

gegen weitere Proteine des<br />

Schweinepest-Virus gefunden, so<br />

liegt eine Infektion mit Feldvirus vor.<br />

Das Tier muß dann geschlachtet und<br />

unschädlich beseitigt werden. Eine<br />

solche Unterscheidung läßt sich<br />

durch Blutuntersuchungen durchführen.<br />

Laboruntersuchungen haben<br />

gezeigt, daß ein derartiger Impfstoff<br />

geeignet ist, nach zweimaliger Impfung<br />

eine Schweinepest-Infektion bei<br />

Läuferschweinen und Sauen sowie<br />

eine Feldvirusausscheidung wirksam<br />

zu verhindern. Da es sich bei der<br />

Subunit-Vakzine um einen Totimpfstoff<br />

handelt, der zudem nur auf einem<br />

einzelnen Protein – dem E2 – basiert,<br />

wird der Schutz im Vergleich zur konventionellen<br />

Lebendvakzine, bei der<br />

ja sämtliche Proteine des Schweinepestvirus<br />

vorliegen, später ausgebildet.<br />

Wichtige zellvermittelte Immunmechanismen<br />

werden ebenfalls<br />

nicht genügend in Gang gesetzt. Daher<br />

dürfte dieser Impfstoff, dessen<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

Abb. 5: Genom-Organisation des KSP-Virus. Das schutzvermittelnde E2-Glykoprotein<br />

wird mittels gentechnisch veränderter Baculoviren exprimiert und<br />

zur Immunisierung der Schweine verwandt. Nach Immunisierung mit E2 werden<br />

nur Antikörper gegen dieses Protein gebildet (rot dargestellte Antikörper).<br />

Die Immunantwort von infizierten Tieren ist gegen alle Proteine gerichtet,<br />

vor allem gegen E rns , E2 und NS2/3 (blau dargestellte Antikörper). Wenn<br />

in Schweinen nur Antikörper gegen E2 nachzuweisen sind, handelt es sich um<br />

geimpfte Tiere, bei Nachweis von Antikörpern sowohl gegen E2 als auch gegen<br />

E rns und/oder NS2/3 um infizierte Tiere.<br />

Herstellung auch relativ teuer ist, nur<br />

bedingt für einen Einsatz geeignet<br />

sein. Dennoch stellt er ein wichtiges<br />

Instrument bei der künftigen Beherrschung<br />

der Schweinepest dar.<br />

Rekombinante<br />

Vektorvakzinen<br />

Arbeiten zur Entwicklung von Markervakzinen<br />

auf der Grundlage von<br />

vermehrungsfähigen Viren als Träger<br />

(Vektoren) KSP-Virus-spezifischer Antigene<br />

wurden bisher sowohl in<br />

Deutschland (BFAV, Universität<br />

Gießen) als auch im Ausland durchgeführt.<br />

Grundlagen hierfür bildeten<br />

genetisch veränderte Viren, wie beispielsweise<br />

das Virus der Aujeszky’schen<br />

Krankheit, in dessen genetisches<br />

Material das Gen für E2 integriert<br />

wurde. Vakzinen auf der Basis<br />

vermehrungsfähiger Vektoren haben<br />

entscheidende Vorteile gegenüber<br />

7<br />

Subunit-Vakzinen: Neben der Antikörper-Immunität<br />

wird auch die zellvermittelte<br />

Immunität stimuliert, was zu einer<br />

höheren und früheren Schutzwirkung<br />

führt. Gerade letzteres ist zum<br />

Beispiel für Schweinebestände von<br />

Bedeutung, die unmittelbar Kontakt<br />

zum Seuchenbetrieb hatten. Ein weiterer<br />

Vorteil einer solchen Vakzine ergibt<br />

sich aus der Tatsache, daß nicht<br />

nur effizient gegen Schweinepest immunisiert<br />

werden kann, sondern auch<br />

gegen den Erreger, der als Vektor genutzt<br />

wird (z. B. Schweinepest und<br />

Aujeszky’sche Krankheit).<br />

ANIMALE HERPESVIREN<br />

ALS MARKER- UND<br />

VEKTORIMPFSTOFFE<br />

Herpesviren sind bedeutende<br />

Krankheitserreger bei Mensch und<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT


Abb. 6: Prinzip der<br />

DNA-Immunisierung:<br />

Das virale<br />

Gen, welches für<br />

ein schutzerzeugendesProtein<br />

kodiert, wird<br />

in ein Plasmid<br />

unter Kontrolle<br />

starker Promotoren<br />

eingefügt<br />

und in Bakterien<br />

vermehrt. Die<br />

Plasmid-DNA wird<br />

nach Aufreinigung<br />

in Schweine injiziert.<br />

Nach der<br />

Impfung kommt es<br />

zu einer Immunreaktion<br />

im Tier<br />

gegen das entsprechende<br />

Protein.<br />

Tier und verursachen erhebliche ökonomische<br />

Verluste in der Nutztierhaltung.<br />

Die zur Zeit verfügbaren Impfstoffe<br />

für Rinder, Schweine und Geflügel<br />

müssen meist mehrmals angewendet<br />

werden, um einen sicheren<br />

Schutz vor den jeweiligen Erkrankungen<br />

zu gewährleisten. Ein weiterer<br />

Nachteil klassischer Impfstoffe ist,<br />

daß diese im allgemeinen keine Unterscheidung<br />

zwischen geimpften<br />

und infizierten Tieren erlauben. Deshalb<br />

sind auch hier Markerimpfstoffe<br />

wünschenswert, um Bekämpfungsprogramme<br />

effizient durchführen zu<br />

können. Weiterhin werden Herpesvirus-Vektoren<br />

entwickelt, die zur Immunisierung<br />

gegen mehrere Krankheitserreger<br />

verwendet werden können.<br />

In den Labors der Bundesforschungsanstalt<br />

für Viruskrankheiten<br />

der Tiere (BFAV) ist bereits ein solcher<br />

Impfstoff auf der Basis eines Herpesvirus<br />

hergestellt worden, der Rinder<br />

gegen zwei verschiedene Viruskrankheiten<br />

gleichzeitig schützt. Darüber<br />

hinaus sollen die immunisierenden Eigenschaften<br />

der Impfstoffe so erhöht<br />

werden, daß nach einmaliger<br />

Anwendung bereits ausreichender<br />

Schutz vorhanden ist.<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

Derartige kostengünstige Impfstoffe<br />

könnten vor allem in Staaten der<br />

Dritten Welt die Durchführung von<br />

Impfprogrammen wesentlich erleichtern.<br />

Die Genome von Herpesviren enthalten<br />

eine Vielzahl von Genen (zwischen<br />

60 und 200), von denen fast<br />

die Hälfte für die Virusvermehrung<br />

nicht benötigt wird. Einige von diesen<br />

können durch andere Gene ersetzt<br />

werden, ohne daß die Virusvermehrung<br />

in der Zellkultur und die<br />

schutzvermittelnden Eigenschaften im<br />

Tier wesentlich beeinträchtigt werden<br />

– beides eine Voraussetzung für die<br />

Entwicklung effizienter Vektorimpfstoffe<br />

der nächsten Generation.<br />

DNA-VAKZINIERUNG<br />

GEGEN DIE AUJESZKY’SCHE<br />

KRANKHEIT<br />

Bei konventionellen Lebend- und<br />

Totvakzinen wird mit Protein (=Antigen)<br />

geimpft. Es ist allerdings auch<br />

möglich, durch direkte Verabreichung<br />

eines Gens, das für ein immunogenes<br />

Protein kodiert, einen Impfschutz<br />

zu erzeugen. Hierbei entfällt<br />

8<br />

die zum Teil aufwendige Reinigung<br />

des Antigens. Darüber hinaus werden<br />

durch die DNA-Immunisierung<br />

beide Seiten des Immunsystems, die<br />

Antikörper- und die zellvermittelte Immunität,<br />

gleichermaßen stimuliert.<br />

Für die DNA-Immunisierung wird<br />

das virale Gen in ein Plasmid (ringförmiges<br />

Stück Bakterien-DNA) eingefügt<br />

und unter die Kontrolle eines<br />

starken Promotors gebracht, also eines<br />

genetischen Elements, das später<br />

für eine hohe Synthese des Proteins in<br />

den Säugetierzellen sorgt. Das Plasmid<br />

wird in Bakterienkultur vermehrt.<br />

Wir haben diese Möglichkeit bei der<br />

Immunisierung gegen die Aujeszky’sche<br />

Krankheit der Schweine untersucht.<br />

Das Prinzip ist in Abbildung 6<br />

dargestellt. Wurde den Versuchstieren<br />

die entsprechende Plasmid-DNA<br />

in die Haut injiziert, konnte ein belastbarer<br />

Impfschutz gegen eine Infektion<br />

mit dem Aujeszky-Virus hervorgerufen<br />

werden. Die Wirksamkeit<br />

lag zwischen der einer Tot- und einer<br />

Lebendvakzine.<br />

NEUE CHANCEN<br />

Die dargestellten Beispiele zeigen,<br />

wie mit gentechnischen Methoden<br />

effektive und sichere Impfstoffe<br />

entwickelt werden können. Den Nutzen<br />

haben nicht nur Landwirte, auch<br />

unter dem Blickwinkel des Tierschutzes<br />

ergeben sich Vorteile: Spektakuläre<br />

Tötungsaktionen wie im Falle<br />

der Schweinepest wären vermeidbar,<br />

darüber hinaus eröffnen sich<br />

Möglichkeiten, Impfstoffe (z. B. gegen<br />

die Hämorrhagische Kaninchenkrankheit)<br />

vermehrt in Zellkulturen zu<br />

produzieren, wodurch sich die Verwendung<br />

von Labortieren deutlich reduzieren<br />

läßt. ■<br />

Dr. habil. Volker Kaden, Dr. Günter<br />

M. Keil, PD Dr. Nikolaus Osterrieder,<br />

Dr. Horst Schirrmeier, Prof. Dr. Thomas<br />

C. Mettenleiter, Bundesforschungsanstalt<br />

für Viruskrankheiten<br />

der Tiere, Friedrich-Loeffler-<br />

Institute, 17498 Insel Riems


Tiere als Arzneimittel- und<br />

Organlieferanten<br />

Neue Perspektiven in der Biomedizin<br />

Heiner Niemann (Neustadt-Mariensee)<br />

Im Jahr 1985 wurde erstmals über die Geburt transgener Nutztiere berichtet. Seitdem hat es auf diesem Gebiet erhebliche<br />

Fortschritte gegeben. Transgene Nutztiere haben allerdings bislang weniger in der Landwirtschaft, als vielmehr in einem<br />

anderen Bereich Bedeutung erlangt: in der Biomedizin. Dies liegt unter anderem daran, daß bisher kaum Gene bekannt<br />

sind, die im engeren Sinne landwirtschaftlich relevante Merkmale ausprägen. Zudem werden tierzüchterisch interessante<br />

Merkmale häufig durch das Zusammenspiel mehrerer Gene beeinflußt. Im folgenden werden die gegenwärtigen methodischen<br />

Ansätze zur Erstellung transgener Tiere kurz skizziert und der Entwicklungsstand in zwei biomedizinisch relevanten<br />

Bereichen – der Produktion rekombinanter Proteine durch transgene Nutztiere und der Transplantation von Tierorganen auf<br />

den Menschen – näher erläutert.<br />

ERSTELLUNG<br />

TRANSGENER TIERE<br />

Aufgrund des langen Generationsintervalls<br />

(Tabelle 1) ist die Erstellung<br />

transgener Linien bei Nutztieren<br />

ein sehr langwieriges Unternehmen.<br />

Mit dem Gentransfer soll erreicht<br />

werden, ein Genkonstrukt in allen<br />

Körperzellen eines Tieres einschließlich<br />

der Keimzellen zu integrieren<br />

und zu exprimieren. Deshalb sind für<br />

den Gentransfer bisher fast ausschließlich<br />

frühe embryonale Entwicklungsstadien<br />

verwendet worden.<br />

Voraussetzung für einen erfolgreichen<br />

Gentransfer ist ein funktionsfähiges<br />

Genkonstrukt. Dafür muß ein<br />

Strukturgen, also das Gen, das für<br />

ein bestimmtes Protein kodiert, mit<br />

einem geeigneten Regulationselement<br />

(Promotor) zusammengebracht<br />

werden. Man ist dabei nicht an Promotor-Elemente<br />

der gleichen Tierart<br />

gebunden.<br />

Die Genkonstrukte sind bisher<br />

überwiegend in frisch befruchtete Eizellen<br />

(Zygoten) übertragen worden,<br />

und zwar zu einem Zeitpunkt,<br />

bei dem die Kerne des Spermiums<br />

und der Eizelle noch nicht miteinander<br />

verschmolzen sind, sondern sich<br />

als Vorkerne getrennt in der Zygote<br />

befinden. Das genetische Material<br />

wurde durch Mikroinjektion in einen<br />

der beiden Vorkerne eingebracht.<br />

Die Eizelle hat einen Durchmesser<br />

von rund 150 µm; der männliche<br />

und weibliche Vorkern ist jeweils<br />

etwa 8-10 µm groß. Für die Gen-<br />

9<br />

übertragung wird eine geeignete Injektionsnadel<br />

unter mikroskopischer<br />

Kontrolle in einen Vorkern vorgeschoben<br />

und die DNA-Lösung mit<br />

Tab. 1: Auswirkungen des Generationsintervalls auf die<br />

Erstellung transgener Tiere<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />

Zeitpunkt nach Mikroinjektion<br />

(in Monaten)<br />

Maus Schaf Schwein Rind<br />

Geschlechtsreife


Abb. 2: Schematische Darstellung des Kerntransfers mit<br />

embryonalen Zellen (Oozyte = weibl. Keimzelle)<br />

(a)<br />

(c)<br />

(e)<br />

etwa 3.000 bis 5.000 Kopien des<br />

jeweiligen Genkonstruktes mikroinjiziert<br />

(Abb. 1). In der nachfolgenden<br />

Verschmelzung der beiden Vorkerne<br />

wird das mütterliche und väterliche<br />

Erbgut neu kombiniert, so daß auch<br />

das Fremdgen in das Genom des<br />

Wirtes mit eingebaut werden kann.<br />

Die Zygoten befinden sich zu<br />

dem Zeitpunkt, an dem sie für die<br />

Mikroinjektion benötigt werden,<br />

noch im Eileiter und können über einen<br />

operativen Eingriff durch Spülung<br />

der Eileiter gewonnen werden.<br />

Beim Rind ist dies sehr aufwendig,<br />

deshalb werden dort überwiegend<br />

in vitro erzeugte Embryonalstadien<br />

verwendet. Die mikroinjizierten Eizellen<br />

werden dann nach einer kurzzeitigen<br />

in-vitro-Kultivierung, bei der<br />

injektionsbedingte Schädigungen<br />

(b)<br />

(d)<br />

(a) Metaphase II - Oozyte<br />

(b) Metaphase II - Oozyte nach Entfernung der Chromosomen<br />

(c) Spenderembryo mit 16 Blastomeren<br />

(d) Entkernte Empfängeroozyte vor Transfer der Blastomere<br />

(e) Oozyte und Blastomere nach Transfer<br />

(f) Aufnahme der Blastomere im Ooplasma nach Elektrofusion und<br />

Kernschwellung als Zeichen der Reprogrammierung<br />

(f)<br />

erkannt werden können, in die Eileiter<br />

synchronisierter, das heißt zyklusgleicher<br />

Empfängertiere übertragen.<br />

Das gesamte Verfahren ist sehr<br />

aufwendig und nur wenig effizient,<br />

da durchschnittlich nur 1–4 % der<br />

geborenen Nachkommen das<br />

Fremdgen integriert haben und damit<br />

als ‘transgen’ bezeichnet werden<br />

können. Zudem erfolgt die Integration<br />

zufällig in das Wirtsgenom,<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

und die Expression des fremden<br />

Gens kann durch das umgebende<br />

Genom beeinflußt werden. Deshalb<br />

wird intensiv nach effizienteren Alternativen<br />

gesucht. Dazu müssen geeignete,<br />

in der in-vitro-Kultur handhabbare<br />

Zellen oder Zellinien verfügbar<br />

sein. Diese scheinen inzwischen<br />

bei landwirtschaftlichen Nutztieren<br />

in Form von fetalen Fibroblasten<br />

(Bindegewebszellen), möglicherweise<br />

auch Keimzell-Vorläuferzellen,<br />

vorhanden zu sein.<br />

Erste Studien haben ergeben,<br />

daß sich diese Zellen relativ leicht<br />

genetisch verändern lassen und zudem<br />

die Integration und Funktionsfähigkeit<br />

des Transgens in vitro geprüft<br />

werden kann. Der Kern einer<br />

solchen transgenen Zelle wird in<br />

eine Empfänger-Eizelle, deren Chromosomen<br />

zuvor entfernt wurden,<br />

eingesetzt (Abb. 2). Auf diese Weise<br />

sind kürzlich erstmals transgene<br />

Schafe und Rinder geboren worden.<br />

DIE MILCHDRÜSE<br />

ALS BIOREAKTOR<br />

Für zahlreiche pharmazeutisch<br />

wirksame Proteine, insbesondere<br />

Blutgerinnungsfaktoren und andere<br />

Blutproteine, überschreitet der Bedarf<br />

bei weitem die heutigen Produktionsmöglichkeiten.<br />

Diese Stoffe<br />

werden überwiegend noch durch<br />

Fraktionierung menschlichen Blutes<br />

gewonnen. Trotz sorgfältigster Kontrollen<br />

besteht dabei das Risiko der<br />

Übertragung viraler Krankheitserreger,<br />

wie Hepatitis B oder HIV. Aufgrund<br />

der aufwendigen und teuren<br />

Reinigungsverfahren sind die benötigten<br />

Proteine zudem extrem teuer.<br />

Durch den Mangel an diesen Proteinen<br />

können Patienten statt der erforderlichen<br />

prophylaktischen Behandlung<br />

häufig nur sporadisch und therapeutisch<br />

behandelt werden, was<br />

erhebliche Beschwerden und Einbußen<br />

in der Lebensqualität verursacht.<br />

Mit Hilfe der Gentechnologie<br />

wird weltweit nach alternativen Pro-<br />

10<br />

duktionswegen gesucht. Die Produktion<br />

biologisch aktiver pharmazeutischer<br />

Proteine mit Hilfe gentechnisch<br />

veränderter Bakterien oder Hefen ist<br />

jedoch meist nicht möglich, da diese<br />

Mikroorganismen nicht die Fähigkeit<br />

besitzen, die primären Genkonstrukte<br />

innerhalb der Zelle korrekt<br />

weiterzuverarbeiten. Proteine sind<br />

nämlich mehr als die bloße Aneinanderreihung<br />

von Aminosäuren, die<br />

durch das Gen kodiert werden. Für<br />

die biologische Wirksamkeit komplexer<br />

Proteine sind auch bestimmte<br />

Modifikationen, wie Glykosylierung,<br />

ß-Hydroxilierungen oder Karboxilierungen,<br />

notwendig. Die hierfür<br />

benötigen Enzyme fehlen den Bakterienzellen<br />

oder Hefen häufig.<br />

Transgene Nutztiere wie Rind,<br />

Schaf, Ziege, aber auch Schwein<br />

produzieren große Mengen Milchproteine,<br />

die leicht durch Melken zu<br />

gewinnen sind. Beispielsweise beträgt<br />

die Syntheserate der Milchdrüse<br />

für endogene Proteine zum Laktationshöhepunkt<br />

etwa 0,1 kg Protein/Tag<br />

beim Schaf und 1 kg/Tag<br />

beim Rind. Da diese enorme Syntheseleistung<br />

auch eine hohe Fremdgenexpression<br />

erwarten läßt, liegt<br />

die Idee nahe, die Milchdrüse als<br />

Bioreaktor zu verwenden. Die Milchdrüsenzellen<br />

transgener Nutztiere<br />

sind in der Lage, die erforderlichen<br />

Modifikationen an den Fremdproteinen<br />

durchzuführen, die für eine biologische<br />

Aktivität erforderlich sind.


Abb. 1: Mikroinjektion in den Vorkern<br />

einer Schafzygote bei 320facher mikroskopischer<br />

Vergrößerung.<br />

Allerdings ist der finanzielle Aufwand,<br />

um ein exprimierendes Tier zu<br />

erstellen, aufgrund der geringen Effizienz<br />

des Gentransfers über Mikroinjektion<br />

noch sehr hoch. Da die Genkonstrukte<br />

aber nach den Mendel’schen<br />

Regeln weitervererbt werden,<br />

stehen nach einem entsprechenden<br />

Zeitraum homozygote, also reinerbige<br />

Individuen zur Verfügung. Nachdem<br />

eine solche transgene Linie erst<br />

einmal etabliert ist, sind die Haltungskosten<br />

für die Tiere gering, auch<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

im Verhältnis zu anderen Produktionssystemen.<br />

Die Proteine müssen aus<br />

der Milch gewonnen, aufgereinigt<br />

und als pharmazeutisch wirksame<br />

Substanzen aufbereitet werden.<br />

Inzwischen sind mehrere Proteine<br />

in der Milchdrüse transgener Tiere<br />

teilweise in beachtlichen Konzentrationen<br />

produziert worden (Tabelle 2).<br />

Prominentestes Beispiel ist sicherlich<br />

die Produktion von �-Anti-Trypsin in<br />

der Milchdrüse des transgenen Schafes<br />

„Tracy” (Abb. 3). �-Anti-Trypsin ist<br />

der Hauptgegenspieler des Enzyms<br />

Elastase, das den Abbau während<br />

des kontinuierlichen Ab- und Neuaufbaus<br />

des Gewebes steuert. Ein genetisch<br />

bedingter Mangel oder vollständiges<br />

Fehlen von �-Anti-Trypsin<br />

führt zu gesteigertem Gewebeabbau,<br />

der besonders in der Lunge manifest<br />

wird. Von diesem genetischen<br />

Defekt sind in Europa und Amerika<br />

etwa 100.000 Menschen betroffen.<br />

Die benötigten Mengen an �-Anti-<br />

Trypsin können durch Isolierung aus<br />

menschlichem Blutplasma nicht gewonnen<br />

werden.<br />

Bei dem Schaf „Tracy” lag die Expressionshöhe<br />

in der Milch bis zu<br />

63 g pro Liter, bei durchschnittlich<br />

35 g pro Liter während der gesamten<br />

Laktation. Das aus der Milch aufgereinigte<br />

Protein war vollständig<br />

11<br />

und korrekt glykosiliert und besaß<br />

eine nahezu identische biologische<br />

Aktivität wie das humane �-Anti-<br />

Trypsin-Präparat.<br />

Inzwischen sind neben dem �-<br />

Anti-Trypsin auch der Tissue Plasminogen<br />

Activator (TPA), eine Substanz,<br />

die hochwirksam Blutgerinnsel<br />

aufzulösen vermag, und Antithrombin<br />

III, eine gerinnungshem-<br />

mende Substanz, in der Milchdrüse<br />

transgener Schafe und Ziegen produziert<br />

und aufgereinigt worden.<br />

Diese drei Substanzen befinden sich<br />

bereits im fortgeschrittenen Stadium<br />

der klinischen Prüfung. Bei deren positiven<br />

Ausgang wird damit gerechnet,<br />

daß sie im Jahre 2001 bis<br />

2002 auf den Markt kommen. Dies<br />

sind dann die ersten pharmazeutischen<br />

Proteine, die aus der Milchdrüse<br />

transgener Tiere für therapeutische<br />

Zwecke bereitgestellt werden<br />

Tab. 2: Transgene landwirtschaftliche Nutztiere mit milchdrüsenspezifischer Expression pharmazeutischer Proteine<br />

Mikroinjizierte Nachkommen Transgene Nach- Expressionshöhe<br />

Tierart Genkonstrukt übertragene Eizellen Anzahl/(%)* kommen/Exp.* (pro ml) Autoren<br />

Schaf �-lac-hFIX 307 57 (18,6) 4/2 25 ng Simons et. al. (1988); Clark et al. (1989)<br />

Schaf �-lac-hαAT 439 113 (25,7) 5/4 35 mg (bis 63 mg) Wright et al. (1991)<br />

Schaf �-lac-hFVIII-MT-I 277 103 (37,2) 6/3 5 – 10 ng Niemann et al. (1996, 1997)<br />

Schaf MAR �-lac-hFVIII-MT-I 255 94 (36,9) 4/1 mRNA Niemann et al. (1996)<br />

Ziege mWAP-LA-tPA 203 29 (14,3) 2/1 2 – 3 mg Ebert et al. (1991)<br />

Schwein mWAP-hPrC 320 26 ( 8,2) 7 1 mg Velander et al. (1992)<br />

Rind �-cas-hLF 129 19 (14,7) 2/1 � 30 mg Lee and de Boer (1994);<br />

Krimpenfort et al. (1991)<br />

Rind �-cas-hERY 859 1 ( 0,1) 1/0 – Hyttinen et al. (1994)<br />

�-lac = ß-Lactoglobulin<br />

FIX = humaner Blutgerinnungsfaktor IX<br />

hPrC = humanes Protein C<br />

MAR = Matrix Attachment Regions<br />

h�AT = humanes �-Anti-Trypsin<br />

hLF = humanes Laktoferrin<br />

�-cas = boviner Caseinpromotor<br />

hFVIII = humaner Blutgerinnungsfaktor VIII<br />

hERY = humanes Erythropoetin<br />

mWAP = muriner saurer Molkenproteinpromotor<br />

LA-tPA = Gewebe Plasminogen-Aktivator<br />

MT-I = Murines Metallothionein I<br />

* Die Angaben sind folgendermaßen zu verstehen: Aus 307 übertragenen Eizellen (im Fall der transgenen Schafe mit β-lac-hFIX-Genkonstrukt) sind 57 Nachkommen (= 18,6 %) hervorgegangen, davon<br />

waren 4 Tiere transgen, von diesen exprimierten 2 das entsprechende Protein.<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />

Die Milchdrüse<br />

als Bioreaktor:<br />

Aus der Milch<br />

transgener<br />

Kühe, Schafe<br />

und Ziegen<br />

sollen pharmazeutisch<br />

wirksame<br />

Proteine<br />

gewonnen<br />

werden.


können. Angesichts dieser äußerst<br />

komplexen und schwierigen Technologie<br />

ist die kurze Entwicklungszeit<br />

von annähernd 20 Jahren besonders<br />

bemerkenswert. Diese Arbeiten<br />

sind im wesentlichen durch zwei<br />

Biotechnologie-Firmen, Genzyme<br />

Transgenics in den USA und Pharmaceutical<br />

Proteins Ltd. (PPL) in<br />

Schottland, durchgeführt worden.<br />

In eigenen <strong>Forschung</strong>sarbeiten<br />

am FAL-Institut für Tierzucht und Tierverhalten<br />

ist in engster Kooperation<br />

mit der Arbeitsgruppe Zellbiologie<br />

des Fraunhofer Instituts in Hannover<br />

der menschliche Blutgerinnungsfaktor<br />

VIII in der Milchdrüse transgener<br />

Schafe exprimiert worden. Genetisch<br />

bedingter Mangel oder vollständiges<br />

Fehlen von Faktor VIII hat<br />

das klinische Bild der Hämophilie A<br />

zur Folge. Dabei handelt es sich um<br />

die am weitesten verbreitete genetisch<br />

bedingte Blutgerinnungsstörung<br />

beim Menschen („Bluterkrankheit”).<br />

Zur Behandlung werden<br />

überwiegend Plasmapräparate eingesetzt,<br />

die vielfach mit pathogenen<br />

Viren kontaminiert und zudem mengenmäßig<br />

völlig unzureichend verfügbar<br />

sind.<br />

Das Faktor VIII-Gen ist ein besonders<br />

großes und extrem komplex reguliertes<br />

Gen, was eine effiziente<br />

Expression in der Milchdrüse transgener<br />

Tiere besonders schwierig<br />

macht. In den bisherigen Untersuchungen<br />

ist gezeigt worden, daß<br />

Faktor VIII-Foundertiere lebensfähig<br />

sind und die Genkonstrukte von<br />

transgenen Tieren weitervererbt werden,<br />

daß das Genkonstrukt in der<br />

Milchdrüse korrekt prozessiert wird<br />

und biologische Wirksamkeit entfaltet.<br />

In zukünftigen <strong>Forschung</strong>sarbeiten<br />

soll die Expressionshöhe durch<br />

neuartige Genkonstrukte erhöht werden.<br />

Berechnungen haben ergeben,<br />

daß bereits 20–25 Schafe den<br />

gesamten Jahresbedarf der USA an<br />

Faktor VIII (ca. 120 g) decken könnten,<br />

und zwar unter der Voraussetzung<br />

einer Expressionshöhe von<br />

0,01 g/ltr. und einer Ausbeute von<br />

nur 10 % des Proteins.<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

XENOTRANSPLANTATION<br />

Viele Menschen verdanken ihr Leben<br />

der Übertragung eines geeigneten<br />

Organs. In solchen Fällen existierte<br />

keine alternative Behandlungsmöglichkeit,<br />

und der Empfänger<br />

wäre ohne die Organtransplantation<br />

gestorben. Die großen medizinisch-technischen<br />

Fortschritte bei<br />

der Organtransplantation, die heute<br />

das Überleben vieler Kranker gewährleisten,<br />

haben jedoch weltweit<br />

zu einem akuten Mangel an Spenderorganen<br />

geführt. Während die<br />

Nachfrage nach transplantierbaren<br />

Organen jährlich um circa 15 %<br />

steigt, ist die Bereitschaft zur Organspende<br />

in etwa gleich geblieben<br />

oder sogar gesunken. Schätzungen<br />

in den USA haben ergeben,<br />

daß für 45.000 Menschen, jünger<br />

als 65 Jahre, eine Herztransplantation<br />

notwendig ist, aber nur<br />

2.000 menschliche Herzen pro Jahr<br />

zur Verfügung stehen. Deshalb sterben<br />

heute in jedem Jahr viele tausend<br />

Patienten, die bei Verfügbarkeit<br />

geeigneter Organe überleben<br />

könnten.<br />

Um diese immer größer werdende<br />

Lücke zwischen Nachfrage und<br />

Verfügbarkeit geeigneter Organe<br />

schließen zu können, wird heute die<br />

Xenotransplantation – das heißt<br />

Übertragung von Organen zwischen<br />

nichtverwandten Arten, zum<br />

Beispiel von Tieren auf den Menschen<br />

– als beste Lösung angesehen.<br />

Dabei ist das Schwein offenbar<br />

besonders geeignet, da dessen Organe<br />

in etwa die gleiche Größe<br />

und eine ähnliche Physiologie und<br />

Anatomie wie die des Menschen<br />

besitzen. Charakteristisch für das<br />

Schwein sind außerdem kurze Reproduktionszyklen<br />

und große Nachkommenzahlen<br />

sowie schnelles<br />

Wachstum. Darüber hinaus sind die<br />

Haltungskosten auch unter hygienisch<br />

hohem Standard relativ niedrig.<br />

Die wesentliche immunologische<br />

Hürde, die überwunden werden<br />

muß, ist die hyperakute Abstoßung,<br />

12<br />

Abb. 3: Das transgene Schaf „Tracy” mit<br />

Nachkommen im schottischen Roslin-<br />

Institut<br />

(Foto: Ges. für Biotechnische <strong>Forschung</strong>)<br />

die innerhalb von Sekunden bis Minuten<br />

nach Übertragung eines Xenotransplantats<br />

eintritt. Im Falle der<br />

Übertragung von Organen des<br />

Schweins auf den Menschen reagieren<br />

die menschlichen Antikörper<br />

auf Antigene auf der Oberfläche<br />

des Fremdorgans. Diese Antikörper<br />

aktivieren das Komplementsystem,<br />

eines der Hauptabwehrsysteme im<br />

Blut des Empfängers, und die Antikörper-Komplementkomplexezerstören<br />

die Gefäßinnenauskleidung<br />

des Fremdorgans und damit letztlich<br />

das Organ selbst.<br />

Dementsprechend zielt die Strategie,<br />

Schweine genetisch zu verändern,<br />

im wesentlichen darauf ab,<br />

diese hyperakute Abstoßungsreaktion<br />

zu überwinden. Dies kann durch<br />

Synthese humaner Komplementregulatoren<br />

im Schwein offenbar erreicht<br />

werden. Nach Transplantation in<br />

den Empfänger würde das Schweineorgan<br />

diese Regulatoren produzieren<br />

und damit die Komplementattacke<br />

des Empfängers ausschalten.<br />

Inzwischen sind transgene<br />

Schweine erstellt worden, die humane<br />

Komplementregulatoren exprimieren<br />

und deren Herzen in Primaten<br />

übertragen worden sind. Die<br />

durchschnittliche Überlebensrate betrug<br />

30–60 Tage, während die


nichttransgenen Kontrollen bereits innerhalb<br />

weniger Minuten zerstört<br />

wurden. Empfängerprimaten mußten<br />

allerdings mit immunsuppressiven<br />

Medikamenten behandelt<br />

werden, um die akute<br />

Abstoßungsreaktion, die auch bei<br />

der Transplantation menschlicher<br />

Organe auftritt, zu beherrschen.<br />

Eine andere Strategie für eine erfolgreiche<br />

Xenotransplantation könnte<br />

die Ausschaltung der auf der<br />

Oberfläche der Schweineorgane<br />

befindlichen antigenen Strukturen<br />

betreffen. Diese sind als 1,3ß-Gal-<br />

Epitope bekannt. Da jedoch bei<br />

Nutztieren – anders als bei der<br />

Maus – noch keine effektiven Verfahren<br />

zum Knock-out (= Ausschaltung)<br />

von Genen bekannt sind, wird<br />

versucht, die Enzyme, die für die Bildung<br />

dieser Epitope verantwortlich<br />

sind, kompetetiv durch Überproduktion<br />

eines anderen Enzyms zu unterdrücken.<br />

UMSETZUNG<br />

IN DIE PRAXIS<br />

Am weitesten ist die Entwicklung<br />

der Xenotransplantation bisher bei<br />

der Firma Imutran, einer Tochter der<br />

schweizer Firma Novartis, gediehen.<br />

Sie besitzt bereits umfangreiche<br />

Erfahrungen mit der Übertragung<br />

von Herzen aus transgenen<br />

Schweinen in Primaten. Allerdings<br />

sind die beantragten klinischen Tests<br />

zunächst zurückgestellt worden, um<br />

weitere Erkenntnisse zur potentiellen<br />

Übertragung von Krankheitserregern<br />

zu gewinnen.<br />

In den USA werden zur Zeit Experimente<br />

durchgeführt, in denen<br />

das Blut von leberkranken Patienten<br />

durch eine außerhalb des Körpers<br />

befindliche Schweineleber geführt<br />

wird. Dies stellt eine Überbrückungsmaßnahme<br />

dar, bis ein geeignetes<br />

humanes Organ beschafft werden<br />

kann.<br />

Wesentlich für eine erfolgreiche<br />

Anwendung der Xenotransplantation<br />

wird die Klärung der Frage sein,<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

inwieweit endogene Retroviren vom<br />

Xenotransplantat auf den Menschen<br />

übergehen können. Es wird heute<br />

davon ausgegangen, daß durch<br />

entsprechend hohe hygienische<br />

Standards und prophylaktische Behandlungen<br />

das Risiko einer Übertragung<br />

anderer Erreger weitgehend<br />

ausgeschaltet werden kann.<br />

Daneben wird auch bedeutsam<br />

sein, inwieweit die Fremdorgane im<br />

Empfänger ihre Aufgaben hinreichend<br />

erfüllen. In einem größeren<br />

Kooperationsprojekt mit mehreren<br />

Arbeitsgruppen, unter anderem<br />

auch an der Medizinischen Hochschule<br />

Hannover, werden in eigenen<br />

<strong>Forschung</strong>sarbeiten transgene<br />

Schweine erstellt, die für Xenotransplantations-<strong>Forschung</strong>sarbeitenverwendet<br />

werden können (Abb. 4). Erste<br />

Ergebnisse zeigen, daß die eingesetzten<br />

Transgene an die Nachkommen<br />

weitergegeben und auch<br />

exprimiert werden.<br />

Prognosen besagen, daß die Xenotransplantation<br />

im Verlaufe der<br />

nächsten 8–10 Jahre klinisch einsetzbar<br />

sein wird, wobei vor allem<br />

Herz, Lunge und auch Niere verwendet<br />

werden können. Bei der Leber<br />

erscheint dies hingegen – wesentlich<br />

bedingt durch die umfangreiche<br />

Syntheseleistung biologisch<br />

wirksamer Substanzen – fraglich.<br />

Mit der Verfügbarkeit geeigneter Xenotransplantate<br />

könnten viele der<br />

bedrückenden Probleme, die durch<br />

den Mangel an geeigneten Organen<br />

auftreten, gemildert werden.<br />

Dies ist auch angesichts der Tatsache<br />

bedeutsam, daß alternative Verfahren,<br />

wie künstliche Organe und<br />

Zellinien, offenbar in absehbarer<br />

Zeit nicht zur Verfügung stehen werden.<br />

SCHLUßFOLGERUNGEN<br />

Transgene Nutztiere bieten beachtliche<br />

Perspektiven zur Lösung<br />

dringender Fragen in der Humanmedizin.<br />

Die Entwicklung auf diesem<br />

Sektor ist erheblich weiter als<br />

13<br />

auf dem landwirtschaftlichen Anwendungssektor<br />

für transgene Nutztiere.<br />

Es ist davon auszugehen, daß<br />

Produkte bzw. Organe transgener<br />

Tiere innerhalb der nächsten<br />

10 Jahre einen wichtigen Bestandteil<br />

neuzeitlicher Therapieformen<br />

ausmachen werden und zu beträchtlichen<br />

Verbesserungen in der medizinischen<br />

Versorgung bei zahlreichen<br />

Patientengruppen beitragen<br />

werden.<br />

Jüngste <strong>Forschung</strong>sergebnisse, in<br />

denen erstmals transgene Tiere über<br />

die Verwendung transfizierter Zellen<br />

und Kerntransfer erstellt wurden, lassen<br />

vermuten, daß die Effizienz des<br />

Gentransfers sowohl qualitativ als<br />

auch quantitativ in absehbarer Zukunft<br />

erheblich verbessert werden<br />

wird. Dies wird auch die Entwicklung<br />

von Anwendungsmodellen für<br />

transgene Nutztiere mit Merkmalen<br />

im engeren landwirtschaftlichen Sinne<br />

möglich machen, zumal die<br />

Kenntnisse über Gene und deren<br />

Funktionen auch in diesem Bereich<br />

stark im Zunehmen begriffen sind.<br />

Aufgrund dieser vielversprechenden<br />

Perspektiven sollte diese Technologie<br />

deshalb intensiv weiterverfolgt<br />

und verbessert werden. ■<br />

Prof. Dr. Dr. habil. Heiner Niemann,<br />

Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft<br />

(FAL), Institut für Tierzucht<br />

und Tierverhalten Mariensee,<br />

31535 Neustadt a. Rbg.<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />

Abb. 4:<br />

Transgene<br />

Schweine im<br />

FAL-Institut in<br />

Mariensee.<br />

Mit den Tieren<br />

werden<br />

Möglichkeiten<br />

der Xenotransplantation<br />

erforscht.


In der Nutztierzucht hängt die<br />

Zeit, die für eine meßbare Veränderung<br />

von Merkmalen in Richtung des<br />

Zuchtzieles benötigt wird, von verschiedenen<br />

Faktoren ab. Wichtige<br />

Fragen sind zum Beispiel: Wie stark<br />

unterscheiden sich die Individuen einer<br />

Population in Bezug auf das Selektionsmerkmal,<br />

in welchem Maße<br />

wird das Merkmal in der nächsten<br />

Generation ausgeprägt und wie lange<br />

brauchen die neugeborenen<br />

Merkmalsträger, um selbst wieder<br />

zur Zucht herangezogen zu werden.<br />

Bei langer Tragezeit und geringer<br />

Anzahl von Nachkommen pro Muttertier<br />

dauert es entsprechend lange,<br />

bis züchterisch auf veränderte<br />

Umweltbedingungen oder neue Ansprüche<br />

der Konsumenten reagiert<br />

werden kann.<br />

Leistungsmerkmale innerhalb einer<br />

Tierpopulation werden über die<br />

Keimzellen (Spermien und Eizellen)<br />

an die folgende Generation weitergegeben.<br />

Sind einzelne Individuen<br />

der Population aufgrund herausragender<br />

Leistungen in besonderem<br />

Maße zur Zucht geeignet, führt eine<br />

frühzeitige und verstärkte Nutzung<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

In-vitro-Erzeugung von<br />

Rinderembryonen<br />

Ultraschallgeleitete Entnahme von Eizellen beschleunigt den<br />

Zuchterfolg<br />

Thomas Greising (Dummerstorf)<br />

Bei Kulturpflanzen sorgen leistungsfähige und angepaßte Sorten für einen hohen Ertrag.<br />

Der Züchtung kommt hier eine Schlüsselstellung zu. Für die Nutztierhaltung liegen die<br />

Dinge ähnlich. Doch während in der Pflanzenzüchtung mit kurzlebigen, in der Regel<br />

einjährigen Arten gearbeitet wird, hat die Züchtung bei Nutztieren mit wesentlich längeren<br />

Generationsintervallen zu kämpfen. Da zudem – gerade bei größeren Nutztieren wie Rindern<br />

– die Zahl der Nachkommen relativ gering ist, dauert es lange, bis sich ein Züchtungsziel<br />

in der Population stabil ausprägt. Mit biotechnologischen Methoden ist es möglich, sowohl<br />

die Generationsintervalle zu verkürzen als auch die Nachkommensrate zu erhöhen.<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

ihres Keimzellpotentials zu einer erhöhten<br />

Anzahl von Nachkommen,<br />

die Träger der Erbanlagen für dieses<br />

Leistungsmerkmal sind.<br />

In den letzten Jahren wurden moderne<br />

biotechnische Verfahren zur<br />

Kontrolle und Steuerung der Fortpflanzung<br />

entwickelt, die den Tierzüchter<br />

bei der Zucht gesunder,<br />

fruchtbarer Tiere unterstützen können<br />

und zu einem schnelleren Zuchterfolg<br />

verhelfen.<br />

DIE VATERTIERE<br />

In der Rinderzucht ist es durch die<br />

Entwicklung der künstlichen Besamung<br />

möglich geworden, die<br />

züchterischen Ressourcen ausgewählter<br />

männlicher Tiere besser zu<br />

nutzen. Kontinuierliche Samengewinnung<br />

und Tiefgefrierkonservierung<br />

verdünnter Ejakulatportionen<br />

erlauben es, das genetische Potential<br />

leistungsstarker Bullen in einem<br />

weitaus stärkeren Maße zur Zucht<br />

zu nutzen, als das zuvor durch den<br />

natürlichen Deckakt möglich gewesen<br />

ist.<br />

14<br />

SCHWIERIGKEITEN BEI<br />

DER NUTZUNG WEIB-<br />

LICHER KEIMZELLEN<br />

Problematischer gestaltete sich<br />

die verstärkte Nutzung des Keimzellpotentials<br />

weiblicher Hochleistungsrinder.<br />

Säugetiere verfügen bei ihrer<br />

Geburt auf den Ovarien (Eierstöcken)<br />

über etwa 400.000 Follikel<br />

und in diesen Follikeln über je<br />

eine Eizelle. Trotz dieser enorm<br />

großen Zahl ist die Entwicklungsrate<br />

zur befruchtungsfähigen Eizelle<br />

äußerst gering. Bis auf wenige Ausnahmen<br />

reift in jedem ovariellen Zyklus<br />

beim Rind nur eine einzige Eizelle<br />

soweit heran, daß sie befruch-


Umsetzen von tiefgefrierkonservierten<br />

Embryonen aus der Gefriermaschine in<br />

den Container<br />

tet werden kann. Die Anzahl erzeugter<br />

Nachkommen pro Kuh ist<br />

daher relativ gering. Oft sind es<br />

nicht mehr als fünf Kälber, die von einem<br />

Muttertier geboren werden.<br />

Damit ist die Möglichkeit, die Erbanlagen<br />

weiblicher Hochleistungsrinder<br />

auf konventionelle Weise<br />

in der Zucht zu nutzen, sehr beschränkt.<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

DER EMBRYOTRANSFER<br />

Anfang der 70er Jahre wurde das<br />

Verfahren des Embryotransfers beim<br />

Rind entwickelt.<br />

Die sogenannte Superovulationsbehandlung<br />

– ein Teilschritt dieses<br />

Verfahrens – stellt einen wichtigen<br />

Meilenstein bei der verstärkten Nutzung<br />

des weiblichen Keimzellpotentials<br />

dar. Unter Superovulation versteht<br />

man die gezielte Behandlung<br />

von Kühen und Färsen mit Hormonen,<br />

die dazu führt, daß auf den<br />

Ovarien dieser Tiere vermehrt Follikel<br />

und damit befruchtungsfähige Eizellen<br />

heranreifen. Nach der Ovulation<br />

(Eisprung) werden durch künstliche<br />

Besamung statt einem gleich<br />

mehrere Embryonen erzeugt, die<br />

durch Spülung von Eileiter und Uterus<br />

aus dem Spendertier gewonnen<br />

werden können.<br />

Die Embryonen werden in Empfängertiere<br />

transferiert und von ihnen<br />

ausgetragen. Pro Behandlung und<br />

Spendertier liegt die Erfolgsrate derzeit<br />

bei etwa 5-7 transfertauglichen<br />

Embryonen, von denen sich in der<br />

Regel 2-3 zu Kälbern entwickeln.<br />

Bei wiederholter Nutzung dieses<br />

Verfahrens sind bis zu 100 Nachkommen<br />

pro Kuh möglich.<br />

Superovulation und Embryotransfer<br />

tragen als Komplex dazu bei, die<br />

Erbanlagen weiblicher Hochleistungstiere<br />

in wesentlich stärkerem<br />

Maße in die Gesamtpopulation einzubringen,<br />

als es durch ‘klassische’<br />

künstliche Besamung der Tiere möglich<br />

wäre.<br />

Abb. 1:<br />

Die ultraschallgeleitete<br />

Follikelaspiration<br />

beim Rind.<br />

A) Die Ultraschallsonde<br />

wird durch den Tierarzt<br />

fixiert und die<br />

Aspirationskanüle<br />

durch einen Helfer<br />

eingeführt.<br />

B) Ultraschallbild<br />

eines Rinder-Ovars.<br />

15<br />

DIE FORSCHUNG<br />

Obwohl Superovulation und Embryotransfer<br />

beim Rind mittlerweile<br />

feste Bestandteile der Arbeit von<br />

Zuchtverbänden sind, wird weiter<br />

an ihrer Optimierung gearbeitet.<br />

Beiden Verfahren liegen äußerst<br />

komplexe biologische Mechanismen<br />

zugrunde, derenCharakterisierung<br />

ein breites Methodenspektrumerfordert.<br />

Die Untersuchungen<br />

an lebenden<br />

Tieren dienen<br />

dabei als Grundlage<br />

für die Erarbeitung<br />

von Modellen<br />

zur Simulation physiologischerVorgänge.<br />

Ziel ist es, zelluläre<br />

und systemischeRegulationsmechanismen<br />

genauer<br />

zu untersuchen und<br />

zu entschlüsseln. Die komplexe Nutzung<br />

zellphysiologischer, biochemischer<br />

und klinischer Methoden trägt<br />

neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn<br />

auch zur Entwicklung<br />

von innovativen biotechnischen<br />

Verfahren bei. Ein Beispiel hierfür ist<br />

die ultraschallkontrollierte Entnahme<br />

von Eizellen aus den Follikeln (Follikelaspiration),<br />

die als Grundlage für<br />

die In-vitro-Produktion von Embryonen<br />

dient.<br />

DIE TRANSVAGINALE<br />

ULTRASCHALLGELEITETE<br />

FOLLIKELASPIRATION<br />

Superovulation und Embryotransfer<br />

waren zunächst die einzigen<br />

Möglichkeiten, das Eizellpotential<br />

weiblicher Hochleistungsrinder in<br />

verstärktem Maße zu Zucht zu nutzen.<br />

Nach wie vor war man aber<br />

darauf angewiesen, die Kühe künstlich<br />

zu besamen und die Embryonen<br />

durch Spülung von Eileiter und Uterus<br />

zu gewinnen. Mit der Entwicklung<br />

von In-vitro-Techniken zur Eizell-<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />

Laden des<br />

Transfergerätes<br />

mit einem<br />

aufgetauten<br />

TG-Embryo<br />

vor der<br />

Übertragung


Abb. 2:<br />

Zwei Rinderembryonen<br />

im<br />

Stadium der<br />

Blastozyste,<br />

8 Tage nach der<br />

Befruchtung<br />

der Eizellen.<br />

reifung, Befruchtung und Embryokultur<br />

eröffnete sich die Möglichkeit,<br />

Embryonen auch außerhalb des Organismus<br />

zu erzeugen.<br />

Das Problem bei der praktischen<br />

Anwendung bestand allerdings darin,<br />

daß zur Eizellgewinnung anfangs<br />

nur die Ovarien geschlachteter<br />

Rinder genutzt werden konnten.<br />

Von lebenden Tieren ließen sich keine<br />

frischen unbefruchteten Eizellen<br />

gewinnen. Die sogenannte ultraschallgeleitete<br />

Follikelaspiration hat<br />

hier zu einem Durchbruch geführt.<br />

Bei diesem Verfahren werden die<br />

Ovarien des Eizellspenders und<br />

eine transvaginal eingeführte Kanüle<br />

mittels Ultraschallsonde auf einem<br />

Monitor sichtbar gemacht (Abb. 1).<br />

Dadurch kann der Tierarzt das Absaugen<br />

von Follikelflüssigkeit und Eizellen<br />

auf dem Bildschirm genau<br />

verfolgen. Für die Spendertiere stellt<br />

dieser Eingriff keine starke Belastung<br />

dar, er kann daher in regelmäßigen<br />

Abständen wiederholt werden.<br />

UNTERSUCHUNGEN<br />

AM FBN<br />

Seit mehreren Jahren werden im<br />

<strong>Forschung</strong>sbereich Fortpflanzungsbiologie<br />

des <strong>Forschung</strong>sinstituts für<br />

die Biologie landwirtschaftlicher<br />

Nutztiere (FBN) in Dummerstorf<br />

grundlagenorientierte <strong>Forschung</strong>sarbeiten<br />

zur ultraschallgeleiteten Follikelaspiration<br />

durchgeführt. Ein Team<br />

von Wissenschaftlern untersucht derzeit<br />

den Einfluß verschiedener Fakto-<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

ren auf die Effizienz der Technik. Im<br />

Vordergrund stehen dabei das Alter,<br />

der Zyklusstand und die hormonelle<br />

Behandlung der Tiere. Die gewonnenen<br />

Daten geben Auskunft über<br />

die Auswirkungen biologischer Einflußgrößen<br />

auf die Anzahl und Qualität<br />

der Eizellen. Die Optimierung<br />

technischer Details wie Aspirationsdruck,<br />

Ultraschallsonde und Aspirationssystem<br />

soll dazu beitragen, die<br />

Methode als neue Biotechnik in<br />

größerem Rahmen als bisher für die<br />

Praxis nutzbar zu machen. Gegenwärtig<br />

können in Dummerstorf im<br />

Mittel sechs reifungstaugliche Eizellen<br />

pro Spendertier und Aspiration<br />

gewonnen und für die Embryonenproduktion<br />

in vitro genutzt werden.<br />

Im Labor werden die gewonnenen<br />

Eizellen in Abhängigkeit von<br />

der hormonellen Vorbehandlung der<br />

Tiere, vom Gewinnungszeitpunkt<br />

und vom morphologischen Zustand<br />

der Eizellen gereift. Bei ihrer Befruchtung<br />

konnte ein Einfluß des Bullen<br />

auf die Befruchtungsrate nachgewiesen<br />

werden. Durch verschiedene<br />

Medienzusätze soll die Effizienz der<br />

Embryoproduktion optimiert werden.<br />

Derzeit ist es möglich, aus den<br />

gewonnen Eizellen im Durchschnitt<br />

20 % Morulae und Blastozysten – erste<br />

Entwicklungsstadien auf dem<br />

Weg zum Embryo – zu erzeugen<br />

(Abb. 2). Nachdem die ultraschall-<br />

16<br />

geleitete Follikelaspiration anfänglich<br />

nur bei „Problemtieren” angewandt<br />

worden ist, also bei Kühen,<br />

die auf die Superovulationsbehandlung<br />

nicht angesprochen haben<br />

oder von denen aus anderen Gründen<br />

keine Embryonen gewonnen<br />

werden konnten, stehen mittlerweile<br />

vor allem tragende Tiere bis zum<br />

vierten Trächtigkeitsmonat sowie<br />

Kälber und Jungtiere im Mittelpunkt<br />

des Interesses der Forscher.<br />

NUTZEN FÜR<br />

DIE TIERZUCHT<br />

Besonders vielversprechend im<br />

Hinblick auf eine Beschleunigung<br />

des Zuchtfortschrittes ist die Nutzung<br />

von Tieren noch vor der Geschlechtsreife.<br />

Durch die beschriebenen<br />

Techniken wird es möglich,<br />

Nachkommen auch von Tieren zu<br />

erzeugen, die aufgrund ihres geringen<br />

Alters noch nicht in der konventionellen<br />

Zucht verwendet werden<br />

können. Eine frühere Nutzung der<br />

Jungtiere, das heißt eine Verkürzung<br />

des Generationsintervalls, bedeutet<br />

eine erhöhte Anzahl von Nachkommen<br />

pro Muttertier und damit eine<br />

größere Einflußnahme ihrerseits auf<br />

den Zuchtfortschritt.<br />

Diese Tatsache gewinnt besondere<br />

Bedeutung im Zusammenhang mit


sogenannten MOET-Zuchtprogrammen.<br />

Diese Programme sind dadurch<br />

gekennzeichnet, daß die<br />

Zucht ausschließlich innerhalb bestimmter<br />

kleiner Kernpopulationen<br />

stattfindet. Charakteristisch für diese<br />

Programme ist die Tatsache, daß die<br />

Prüfung des Zuchtfortschrittes nicht<br />

anhand umfangreicher Nachkommengruppen<br />

durchgeführt wird, sondern<br />

stattdessen Prüfungsergebnisse<br />

von Ahnen, Voll- und Halbgeschwistern<br />

herangezogen werden. Ausschlaggebend<br />

für die Zuverlässigkeit<br />

einer so gefällten Selektionsentscheidung<br />

ist die Anzahl und Aussagekraft<br />

der Informationen über Eltern<br />

und Geschwistertiere. Zwangsläufig<br />

ergibt sich damit die Forderung<br />

nach einer hohen Anzahl an Nachkommen<br />

pro Elternpaar. Die Kombination<br />

von ultraschallgeleiteter Follikelaspiration<br />

und In-vitro-Techniken<br />

zur Embryoproduktion stellt eine<br />

Möglichkeit dar, dieser Forderung<br />

gerecht zu werden.<br />

RESÜMEE<br />

Wissenschaftliche Erkenntnisse<br />

haben mehr und mehr Eingang in<br />

die moderne Tierzucht gefunden.<br />

Damit ein rascher Wissens- und<br />

Technologietransfer in die Praxis sichergestellt<br />

wird, sollten Grundla-<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

genforschung und praktische Anwendung<br />

nicht voneinander getrennt<br />

werden.<br />

Einzelne Methoden und Modelle<br />

fortpflanzungsbiologischer Grundlagenforschung<br />

bieten die Möglichkeit,<br />

die Prozesse von Keimzellentwicklung<br />

und Befruchtung bis hin zur<br />

Wechselwirkung von Embryo und<br />

Muttertier genauer zu durchdringen.<br />

Für die praktische Nutzung dieses<br />

Wissens ist es oft notwendig, verschiedene<br />

Techniken innerhalb eines<br />

biotechnischen Verfahrens zusammenzufügen.<br />

Die Möglichkeit, durch ultraschallgeleitete<br />

Follikelaspiration in regelmäßiger<br />

Folge Eizellen vom lebenden<br />

Tier zu gewinnen, eröffnet dem<br />

17<br />

Tierzüchter in Kombination mit den<br />

In-vitro-Techniken der Reifung, Befruchtung<br />

und Embryokultur sowie<br />

dem Embryonentransfer neue Perspektiven.<br />

Mit Hilfe dieses Methodenkomplexes<br />

wird er in die Lage<br />

versetzt, das Generationsintervall zu<br />

verkürzen und das genetische Potential<br />

weiblicher Hochleistungstiere<br />

verstärkt für die Zucht zu nutzen.<br />

Alle genannten biotechnischen<br />

Verfahren haben derzeit einen<br />

Stand erreicht, der ihre praktische<br />

Nutzung möglich macht.<br />

Nun kommt es darauf an, den aus<br />

der Praxis erfolgenden Informationsrücklauf<br />

in die fortlaufenden <strong>Forschung</strong>sarbeiten<br />

zu integrieren, um<br />

die Systeme weiter zu verbessern.<br />

Wissenschaft und Praxis im Komplex<br />

schaffen so die Möglichkeit,<br />

den ökonomischen Anforderungen<br />

in der Landwirtschaft weiter gerecht<br />

zu werden. ■<br />

Dr. Thomas Greising, <strong>Forschung</strong>sinstitut<br />

für die Biologie landwirtschaftlicher<br />

Nutztiere, <strong>Forschung</strong>sbereich<br />

Fortpflanzungsbiologie, Wilhelm-<br />

Stahl-Allee 2, 18196 Dummerstorf<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />

Rinderembryo<br />

30 Tage nach<br />

Befruchtung<br />

(links: Größe<br />

etwa 10 mm)<br />

und 10 Tage<br />

später (unten:<br />

Größe 20 mm)


KONSERVIERUNG VON<br />

WIRTSCHAFTSGETREIDE<br />

In der Bundesrepublik Deutschland<br />

werden regelmäßig 50-85 %<br />

des Getreides in nicht lagerfähigem<br />

Zustand mit Feuchten über 14 % gedroschen.<br />

Um dem Verderb vorzubeugen,<br />

müssen geeignete Konservierungsmaßnahmen<br />

durchgeführt<br />

werden. Solche Verfahren sollten an<br />

die Feuchte des Ernteguts, den Verwendungszweck<br />

und die vorhande-<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

Gesündere Tiere<br />

durch besseres Futter<br />

Christine Idler, Christian Fürll, Thomas Ziegler<br />

und Reiner Brunsch (Potsdam-Bornim)<br />

In der modernen Tierhaltung besteht ein großer Teil der eingesetzten Futtermittel aus<br />

Konservaten. Dies trifft nicht nur auf Getreide in der Schweine- und Geflügelproduktion<br />

zu, auch in der Rinderhaltung werden überwiegend Konservate – meist in Form<br />

von Silagen und wirtschaftseigenem Getreide – verfüttert. Die Qualität dieses Futters<br />

hängt einerseits von den Nährstoffen, Spurenelementen und Vitaminen ab, andererseits<br />

aber auch von unerwünschten Stoffen wie Verschmutzungen oder Toxinen. Pilzbefall<br />

und damit verbundene Mykotoxine (Gifte von Schimmelpilzen) stellen eine schleichende<br />

Gefahr für die Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Nutztiere dar. So wurde festgestellt,<br />

daß Milchkühe weniger Futter aufnehmen, wenn die Silage Mykotoxine enthält.<br />

In der Schweinezucht sind erhöhte Totgeburtenraten, schlechte Fruchtbarkeit und gestiegene<br />

Ferkelverluste als Folge von Mykotoxinen im Mischfutter beobachtet worden.<br />

Um derartiges zu vermeiden, muß die Verfahrenstechnik Voraussetzungen schaffen, die<br />

eine Bildung unerwünschter Pilze in Futterkonservaten verhindern.<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

ne technische Ausstattung angepaßt<br />

sein, um die Kosten zu senken. Im Institut<br />

für Agrartechnik Bornim (ATB)<br />

werden verschiedene Verfahren zur<br />

Konservierung von Futtergetreide untersucht<br />

und bewertet. Im folgenden<br />

werden drei unterschiedliche Ansätze<br />

für neue Konservierungsverfahren<br />

für Futtergetreide vorgestellt.<br />

Chemische Konservierung<br />

durch Milchsäure<br />

Zur chemischen Konservierung<br />

werden am häufigsten Propionsäure<br />

oder Mischungen anderer Säuren<br />

eingesetzt. Die Wirkungsweise dieser<br />

Konservierungsmittel beruht auf<br />

der Abtötung und/oder Inaktivierung<br />

der am Korn anhaftenden Mikroorganismen.<br />

Der Umgang mit Propionsäure ist<br />

aus Gründen des Umwelt- und Arbeitsschutzes<br />

nicht ganz unproblematisch.<br />

Eine Alternative kann hier<br />

Milchsäure sein. Sie ist als organische<br />

Säure weniger aggressiv, besitzt<br />

aber vergleichbare konservierende<br />

Eigenschaften. Milchsäure<br />

läßt sich nicht nur auf chemischem<br />

18<br />

Wege herstellen, sondern auch biotechnologisch<br />

auf der Basis nachwachsender<br />

Rohstoffe.<br />

Die Eignung von Milchsäure als<br />

Konservierungsmittel konnte am ATB<br />

in verschiedenen Modellversuchen<br />

an erntefeuchter beziehungsweise<br />

Abb. 1: Einfluß von unterschiedlichen Säuren auf d<br />

melpilzwachstum während der Lagerung von Gerst<br />

nem Feuchtegehalt von 22 %<br />

log Zellzahl in KbE/g FM 1<br />

10 6<br />

10 5<br />

10 4<br />

10 3<br />

10 2<br />

10<br />

0<br />

Schwellenwert<br />

0 1 3 6<br />

Lagerzeit in Monaten<br />

ohne Zusatz 90 % Propionsäure 90 % Mil<br />

1 KbE/g FM Koloniebildende Einheiten/Gramm Frischmasse


s Schime<br />

mit ei-<br />

9<br />

hsäure<br />

wiederbefeuchteter Gerste nachgewiesen<br />

werden (vgl. Abb. 1). Aus<br />

der Abbildung wird deutlich, daß<br />

90 %ige Milchsäure in gleicher Aufwandmenge<br />

wie Propionsäure die<br />

Zahl der Schimmelpilze unterhalb eines<br />

Schwellenwertes von 20.000<br />

koloniebildenden Einheiten pro<br />

Gramm Frischmasse reduzieren<br />

kann. Aufwandmenge und Konzentration<br />

müssen allerdings für eine<br />

qualitätserhaltende einjährige Lagerung<br />

noch optimiert werden. Mit der<br />

Überprüfung der Ergebnisse in der<br />

Praxis wird in diesem Jahr begonnen.<br />

Sollten sich diese günstigen Resultate<br />

in der Praxis bestätigen, stünde<br />

damit dem Landwirt ein preiswertes<br />

Verfahren (ca. 3 DM/dt) zur<br />

Konservierung von Futtergetreide zur<br />

Verfügung.<br />

Bei der biotechnologischen Erzeugung<br />

von Milchsäure mit Hilfe<br />

von Bakterien ist es möglich, überwiegend<br />

die physiologisch vorteil-<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

hafte L(+) - Milchsäure zu produzieren.<br />

Es wird vermutet, daß diese Form<br />

der Milchsäure in konserviertem Futter<br />

probiotische Wirkungen entfaltet<br />

und sich positiv auf die Gesundheit<br />

der Tiere auswirkt. Dies soll in weiterführenden<br />

Arbeiten näher untersucht<br />

werden.<br />

Lagerung unter<br />

Luftabschluß<br />

Eine weitere Möglichkeit ist die<br />

Lagerung von geschrotetem Getreide<br />

bis 20 % Feuchtegehalt unter Luftabschluß.<br />

Dieses Verfahren erscheint<br />

wegen der niedrigen Kosten<br />

(2 DM/dt) und der geringen lagerbedingten<br />

Verluste attraktiv. Seit 5<br />

Jahren untersuchen wir diese Form<br />

der Konservierung in verschiedenen<br />

brandenburgischen Praxisbetrieben<br />

bei erntefeuchter Gerste, Tritikale<br />

und bei Roggen.<br />

Die Verfahrensgestaltung gliedert<br />

sich in folgende Prozesse: Annahme<br />

des Getreides, Zerkleinern, Einlagern<br />

in Fahrsilos, Verdichten des<br />

Schrotes im Silo und Abdecken des<br />

Silos mit Folie. Die Verfahrensabschnitte<br />

„Zerkleinern” und „Verdichten”<br />

wurden besonders intensiv bearbeitet.<br />

Auf Grund der Verdauungsphysiologie<br />

muß das Getreide für die<br />

Schweinefütterung stärker zerkleinert<br />

werden als für die Rinderfütterung.<br />

Beim Schweinefutter sollten 50 %<br />

der Getreidepartikel kleiner/gleich<br />

1 mm sein, während beim Rinderfutter<br />

4 mm ausreichend sind. Für die<br />

Rinder sollte das Korn also lediglich<br />

gequetscht sein, damit das Korninnere<br />

zugänglich wird.<br />

Die Zerkleinerung des Getreides<br />

erfolgt am zweckmäßigsten mit einem<br />

Doppelwalzenstuhl (Abb. 2,<br />

S. 20).<br />

Dieses Verfahren ist energetisch<br />

wesentlich günstiger zu bewerten<br />

als das sonst übliche Zerkleinern mit<br />

Hilfe von Hammermühlen. Hohe Lagerungsdichten<br />

sind nach der Zerkleinerung<br />

eine Grundvoraussetzung<br />

für das Gelingen der Konser-<br />

19<br />

vierung. Während bei fein zerkleinertem<br />

Getreide durch Überfahren<br />

mit schwerem Gerät Lagerungsdichten<br />

bis ca. 1.000 kg/m 3 erzielt<br />

werden können, liegen die Dichten<br />

bei grob zerkleinertem Futter zwischen<br />

700 kg/m 3 und 850 kg/m 3 .<br />

Die Untersuchungen am ATB haben<br />

ergeben, daß auch grob zerkleinertes<br />

Getreide durch eine anaerobe<br />

Lagerung konserviert wird. Bei allen<br />

Versuchsansätzen konnte qualitätsgerechtes<br />

Futter erzeugt werden.<br />

Die Nährstoffverluste waren gering,<br />

ebenso der Besatz an Verderbniserregern.<br />

Der Gehalt an Ochratoxin A<br />

– einem verbreiteten Mykotoxin, das<br />

hauptsächlich von Schimmelpilzen<br />

der Gattungen Penicillium und<br />

Aspergillus gebildet wird – lag bei<br />

allen Varianten unterhalb von<br />

3 µg/kg. Dieser Wert wird zur Zeit<br />

als EU-einheitlicher Grenzwert für<br />

Ochratoxin A diskutiert. Der Energiebedarf<br />

konnte um 65 % und die<br />

Kosten um 15 DM/t gesenkt werden.<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />

Gerste 25 %<br />

Feuchtigkeitsgehalt,<br />

4 Wochen nach<br />

Versuchsbeginn:<br />

Mit<br />

Propionsäure<br />

behandelt<br />

(oben),<br />

unbehandelt<br />

(unten)


Solarunterstützte Trocknung<br />

Speziell in der Landwirtschaft bietet<br />

sich die solare Lufterwärmung für<br />

Trocknungszwecke an, da Ernteperiode<br />

und Hauptenergieangebot der<br />

Sonne im Jahresverlauf zeitlich zusammenfallen.<br />

Bei der möglichst<br />

kontinuierlich durchzuführenden<br />

Satztrocknung von Getreide mit solar<br />

erwärmter Luft muß jedoch auch<br />

bei ungünstigen solaren Einstrahlungsverhältnissen<br />

– also bei bedecktem<br />

Himmel – ein rechtzeitiger<br />

Trocknungsabschluß sichergestellt<br />

sein, um Qualitätseinbußen durch<br />

einsetzende Verderbnisprozesse zu<br />

vermeiden. Im Institut für Agrartechnik<br />

Bornim wird daher an einem<br />

Sorptionsspeicher von solarem<br />

Trocknungspotential gearbeitet, der<br />

durch die Nutzung von Getreide als<br />

Speichermedium neue Realisierungsmöglichkeiten<br />

für die solar unterstützte<br />

Trocknung eröffnet (vgl.<br />

Abb. 3).<br />

Das Prinzip der Sorptionsspeicherung<br />

nutzt die latente Wärmeenergie<br />

des in der Außenluft enthaltenen<br />

Wasserdampfes. Bei der Entfeuchtung<br />

des Speichers – tagsüber mit<br />

solar erwärmter Luft – kühlt sich die<br />

durchströmende Luft infolge der aufzubringenden<br />

Desorptionswärme<br />

ab. Bei der Befeuchtung des Speichers<br />

hingegen – nachts durch<br />

Außenluft – erwärmt sich die durchströmende<br />

Luft durch die freigesetzte<br />

Abb. 2: Doppelwalzenstuhl<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

Abb. 3: Mehrfachnutzung von Solardach und Sorptionsspeicher für nachgeschaltete<br />

Trocknungsprozesse (schematisch): A = Solardach, B = Sorptionsspeicher,<br />

C = Mischkammer, D = Ventilator, E = Getreidetrocknung; F = Heutrocknung,<br />

G = Holzhackschnitzeltrocknung, � = relative Luftfeuchte<br />

Adsorptionswärme. Im Ergebnis<br />

liegt die relative Feuchte der Speicheraustrittsluft<br />

normalerweise immer<br />

unterhalb der relativen Feuchte<br />

der (nicht erwärmten) Außenluft.<br />

Simulationsrechnungen zeigen,<br />

daß trocknungsfähige Luft mit einer<br />

relativen Feuchte von 65 % auch bei<br />

extrem ungünstigen Witterungsbedingungen<br />

über mehrere Wochen<br />

hinweg Tag und Nacht ohne zusätzliche<br />

Lufterwärmung bereitgestellt<br />

werden kann. Getreide als Spei-<br />

20<br />

chermedium steht im landwirtschaftlichen<br />

Betrieb konkurrenzlos preiswert<br />

zur Verfügung und besitzt gegenüber<br />

technischen Sorbentien,<br />

wie zum Beispiel Silika-Gel, entscheidende<br />

verfahrenstechnische<br />

Vorteile. So verschlechtert Staub die<br />

Sorptionseigenschaften von Silika-<br />

Gel – aber nicht die von Getreide.<br />

Mykotoxinbildung infolge von<br />

Schimmelpilzwachstum im Inneren<br />

des Speichers kann ausgeschlossen<br />

werden, da schädigungsrelevante<br />

Luftzustände praktisch nicht erreicht<br />

werden; das Speichergetreide<br />

bleibt „trocken”, das heißt unterhalb<br />

des bezüglich der Verderbgefährdung<br />

kritischen Wassergehaltes.<br />

Diese Art der Trocknung ist nicht<br />

nur für frisch geerntetes Getreide,<br />

sondern auch für Saatgut, Heu oder<br />

Holzhackschnitzel geeignet. Die<br />

Wirtschaftlichkeit des Verfahrens<br />

wird entscheidend von der Mehrfachnutzung<br />

der Kollektor-Speicher-<br />

Einheit für die nachgeschalteten<br />

Trocknungsprozesse abhängen. Die<br />

vergleichsweise kleine Menge an<br />

Speichergetreide kann nach Abschluß<br />

der Trocknungsperiode als<br />

Viehfutter verwendet werden.


KONSERVIERUNG<br />

VON HALMFUTTER<br />

Grünfutter kann auf verschiedenem<br />

Wege haltbar gemacht werden:<br />

Neben der Bereitung von Heu<br />

ist die Silierung das wichtigste Konservierungsverfahren.<br />

Bei der Silierung<br />

von Grünfutter treten insbesondere<br />

bei schwer vergärbaren Futterstoffen<br />

wie Gräsern und Leguminosen<br />

sowie bei ungünstigen Witterungsbedingungen<br />

immer wieder<br />

Fehlgärungen auf. Diese können zu<br />

erheblichen Qualitätsverlusten und<br />

zur Beeinträchtigung der Tiergesundheit<br />

führen. Viele Faktoren, die<br />

die Silierung beeinflussen, zum Beispiel<br />

die Anzahl der Milchsäurebakterien<br />

im Gärgut oder die Konzentration<br />

an fermentierbaren Kohlenhydraten,<br />

sind zu Beginn des Prozesses<br />

meist nicht optimal vorhanden.<br />

Durch Zusatz von Siliermitteln kann<br />

der Silierprozeß sichergestellt werden.<br />

Neben chemischen Siliermitteln<br />

werden aus Gründen des Arbeitsschutzes<br />

und der Verträglichkeit in<br />

der Tierernährung verstärkt Milchsäurebakterien<br />

als Silage-Impfkulturen<br />

verwendet. Eine Vielzahl solcher<br />

Impfpräparate ist bereits auf dem<br />

Abb. 4: Einfluß unterschiedlicher Bakteriengemische auf das Gärsäurespektrum<br />

von Gras-Silagen nach 90tägiger Fermentation<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Gehalt in g/kg TS<br />

Markt. Doch auch bei ihrer Verwendung<br />

bleibt der Siliererfolg zuweilen<br />

aus. Ursache für die Unwirksamkeit<br />

einiger Präparate sind häufig ungeeigneteMilchsäurebakterienstämme.<br />

Die Suche nach wirksamen<br />

Impfkulturen bleibt daher trotz der<br />

Vielfalt der angebotenen Präparate<br />

eine wichtige Aufgabe.<br />

Im Institut für Agrartechnik wurden<br />

über viele Jahre Milchsäurebakterien<br />

isoliert und auf ihre Siliereignung zur<br />

Konservierung von Gras untersucht.<br />

Aus einem Pool von 250 Stämmen<br />

hat sich ein Gemisch aus den Stämmen<br />

Lactobacillus casei und Lactobacillus<br />

rhamnosus ausgezeichnet.<br />

Es beeinflußt das Gärsäurespektrum<br />

positiv (hoher Gehalt an Milchsäure<br />

und geringe Mengen an Buttersäure<br />

und Ammoniak, vgl. Abb. 4) und<br />

führt zu einer besseren Verdaulich-<br />

21<br />

keit der Rohnährstoffe. Seit zwei Jahren<br />

wird diese Bakterienkombination<br />

erfolgreich zur Gras-Silierung unter<br />

Praxisbedingungen eingesetzt. In<br />

diesem Jahr sind auf diese Weise<br />

15.000 Tonnen Welsches Weidelgras<br />

(Lolium multiflorum) in der<br />

Agrargenossenschaft in Niederschöna<br />

einsiliert worden. Zur Zeit<br />

wird an einem Verfahren gearbeitet,<br />

mit dem der Landwirt auf seinem Hof<br />

diese Stämme selbst vermehren und<br />

somit erhebliche Siliermittelkosten<br />

Ammoniak Alkohol Milchsäure Essigsäure Buttersäure<br />

■ ohne Zusatz<br />

■ Bakteriengemisch: Lactobacillus casei, Lactobacillus rhamnosus<br />

■ Bakteriengemisch: Lactobacillus casei, Lactobacillus delbrückii, Enterococcus faecium<br />

pH-Werte<br />

■ 4,14<br />

■ 3,57<br />

■ 3,64<br />

einsparen kann. Die gegenwärtigen<br />

Kosten von ca. 4 DM pro Tonne Siliergut<br />

könnten sich auf 1-2 DM reduzieren.<br />

Im nächsten Jahr wird eine<br />

Pilotanlage dazu in der Agrargenossenschaft<br />

in Niederschöna errichtet<br />

werden.<br />

Alle dargestellten Verfahren zielen<br />

auf die Erzeugung von lagerfähigen,<br />

qualitativ hochwertigen Futtermitteln.<br />

Nährstoffreiches, mykotoxinfreies<br />

Futter ist die Voraussetzung für<br />

eine optimale Ernährung der Nutztiere<br />

und die Erhaltung ihrer Gesundheit<br />

sowie für die Erzeugung unbelasteter<br />

Lebensmittel. ■<br />

Dr. Christine Idler, Prof. Dr.-Ing. habil.<br />

Christian Fürll, Dipl.-Ing. Thomas<br />

Ziegler, Dr. Reiner Brunsch, Institut für<br />

Agrartechnik Bornim e.V., Max-Eyth-<br />

Allee 100, 14469 Potsdam-Bornim<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT


BIOTECHNOLOGIE<br />

Biotechnologie in<br />

der Käseherstellung<br />

Klaus Pabst, Arnold Geis und Wilhelm Bockelmann (Kiel)<br />

Milch ist nicht gleich Milch: Über den Weg der Tierzucht lassen sich Kühe selektieren,<br />

deren Milch bestimmte Ansprüche hinsichtlich der Inhaltsstoffe erfüllt. Beispielsweise<br />

ist es möglich, die Zusammensetzung des Eiweißes zu beeinflussen,<br />

was die Ausbeute in der Käserei verbessern kann und zu mehr Milchgeld für die Landwirte<br />

führt. In die Verarbeitungsprozesse der Milch haben moderne biotechnologische<br />

Verfahren Einzug gehalten. So dürfen Käsereien gentechnisch hergestelltes Lab-Enzym<br />

zum Dicklegen der Milch einsetzen. Sie müssen dies nicht deklarieren, weil es identisch<br />

ist mit dem traditionell verwendeten Kälber-Lab. Ein wichtiger Prozeß der Käseherstellung<br />

ist die Reifung, die dem Käse seinen typischen Charakter gibt. Die dabei ablaufenden<br />

komplexen Vorgänge beginnt man zu verstehen. Im Rahmen von EU-<strong>Forschung</strong>sprogrammen<br />

werden erste Versuche unternommen, den Reifungsvorgang mit Hilfe bestimmter<br />

Starterkulturen zu optimieren.<br />

BEDEUTUNG VON<br />

MILCHPROTEINVARIANTEN<br />

Milcheiweiß ist kein einheitlicher<br />

Stoff, sondern aus verschiedenen<br />

Casein- und Molkenproteinfraktionen<br />

zusammengesetzt. In der Milch<br />

liegen die Caseine in Micellen<br />

(Abb. 1) vor, die durch �-Casein stabilisiert<br />

werden. Die Molkenproteine<br />

sind in Lösung.<br />

Jedes Protein wird nach der Vorgabe<br />

von 2 Allelen gebildet (gleichsinnige<br />

Gene auf homologen Chromosomen),<br />

die entsprechend des<br />

väterlichen und mütterlichen Erbguts<br />

verschieden sein können. Das kann<br />

zu unterschiedlichen Aminosäuremustern<br />

führen (Milchproteinvarianten).<br />

Zwischen den einzelnen Rinderrassen<br />

gibt es große Unterschiede<br />

hinsichtlich der Häufigkeit bestimmter<br />

Formen. Positiv wirksame<br />

Allele sind relativ selten. Durch die<br />

Auswahl der Zuchttiere kann ihre<br />

Zahl jedoch angehoben werden.<br />

Im Zusammenhang mit der Herstellung<br />

von Käse ist das �-Casein<br />

von großem Interesse, weil es auf<br />

die Gerinnungseigenschaften der<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

Milch wirkt. Kühe mit dem Genotyp<br />

BB haben kleinere und gleichmäßiger<br />

verteilte Micellen als solche mit<br />

dem Genotyp AA. Mischerbige (heterozygote)<br />

Tiere mit dem Genotyp<br />

AB stehen zwischen den Extremen.<br />

Fügt man den verschiedenen Milchtypen<br />

das Gerinnungsenzym Lab<br />

(Chymosin) zu, so gerinnt BB-Milch<br />

schneller, weil die Gesamtoberfläche<br />

der Micellen und damit die<br />

Reaktionsfläche größer ist. Dadurch<br />

entsteht relativ rasch ein dichtes<br />

Netzwerk (Gallerte), in dem mehr<br />

Casein gebunden werden kann.<br />

DER PRAKTISCHE BEZUG<br />

Versuche der Bundesanstalt für<br />

Milchforschung (BAfM) – zunächst<br />

im kleinen Maßstab mit Milch von<br />

Kühen aus der Versuchsstation<br />

Schaedtbek durchgeführt – deuteten<br />

auf eine höhere Käseausbeute bei<br />

der BB-Milch hin. Erkenntnisse dieser<br />

Art können für die Käsereipraxis<br />

von großer Bedeutung sein. Daher<br />

wurden Versuche im Praxismaßstab<br />

geplant, für die die Unterstützung<br />

22<br />

Abb. 1: Modell für den Aufbau einer<br />

Casein-Micelle in der Milch.<br />

von Landwirten und Molkereien notwendig<br />

war.<br />

Zunächst wurde von 2.868<br />

Kühen aus 50 landwirtschaftlichen<br />

Betrieben der Genotyp festgestellt.<br />

153 Kühe mit dem �-Caseingenotyp<br />

BB wurden extra gemolken (BB-<br />

Milch). Die Milch von 542 Kühen<br />

diente als Kontrolle. Die Abend- und<br />

Morgengemelke wurden getrennt<br />

mit einem Tanksammelwagen eingesammelt.<br />

Die Adelbyer Nordfrieslandmilch<br />

eG unterstützte diesen<br />

Teil. Eine Feinkäserei in Sarzbüttel


(Dithmarschen) verarbeitete die<br />

Milch zu Tilsiter Käse.<br />

Die Milch wurde von Angler<br />

Kühen (Abb. 2) in Schleswig-Holstein<br />

gesammelt, weil etwa 12 %<br />

der Kühe den erwünschten Genotyp<br />

BB für das �-Casein haben, wohingegen<br />

bei Schwarzbunten nur 2 %<br />

vorkommen.<br />

Aus der BB-Milch ließ sich 4,6 %<br />

mehr Käse gewinnen als aus der<br />

Kontrollmilch; die Rohstoffkosten wa-<br />

ren um 0,01 DM/kg Milch niedriger.<br />

Bei gleichen Produktionskosten<br />

und gegebenem Käsepreis standen<br />

damit rund 0,04 DM/kg Milch für<br />

eine höhere Milchgeldauszahlung<br />

und zur Begleichung möglicher<br />

Züchtungskosten zur Verfügung.<br />

Es zeigte sich auch, daß BB-Milch<br />

eine höhere Hitzestabilität hat. Dies<br />

könnte sich positiv auf die Qualität<br />

erhitzter Produkte wie Milchpulver<br />

und H-Milch auswirken.<br />

23<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

Natürlich hat man sich gefragt,<br />

ob die Tatsache, daß BB-Milch gebende<br />

Tiere relativ selten vorkommen,<br />

durch Mängel bei anderen<br />

Merkmalen begründet ist, insbesondere<br />

bei der Gesundheit. Jedoch haben<br />

alle bisherigen Untersuchungen<br />

ergeben, daß negative Zusammenhänge<br />

nicht vorliegen. Solche Untersuchungen<br />

sind nicht nur auf das eigene,<br />

der BAfM zur Verfügung stehende<br />

Material beschränkt, dieser<br />

Frage ist auch international nachgegangen<br />

worden. Nach dieser wichtigen<br />

Antwort besteht die Möglichkeit,<br />

Tiere mit geeignetem Genotyp<br />

gezielt anzupaaren.<br />

EFFEKTIVERE ZÜCHTUNG<br />

DURCH BIOTECHNOLOGIE<br />

Die Genotypisierung der Rinder<br />

kann anhand von Milchproben erfolgen,<br />

deren Proteine durch isoelektrische<br />

Fokussierung aufgetrennt und<br />

nach Anfärbung ausgewertet werden.<br />

In einer Probe können alle Caseine<br />

und Molkenproteine gleichzeitig<br />

bestimmt werden. Mit molekularbiologischen<br />

Techniken kann altersund<br />

geschlechtsunabhängig auch<br />

an Haar-, Sperma- oder Blutproben<br />

eine direkte Analyse der DNA vorgenommen<br />

und so genotypisiert<br />

werden. Die Untersuchungskosten<br />

liegen deutlich unter 100 DM pro<br />

Tier. Natürlich können Tiere mit günstigem<br />

Genotyp nur für den Einsatz<br />

empfohlen werden, wenn die Zuchtwerte<br />

für Leistung, Fruchtbarkeit und<br />

Gesundheit möglichst positiv sind.<br />

Gerade in Fällen, wo Rinder mit<br />

erwünschten Proteinvarianten in der<br />

Milch selten sind, greifen moderne<br />

Methoden der Fortpflanzungsbiologie:<br />

Bekannte Merkmalsträger aus<br />

verschiedenen Gegenden der Welt<br />

können unabhängig vom Standort<br />

durch tiefgefrorenes Sperma angepaart<br />

werden. Mit Hilfe der Superovulation<br />

(vgl. Beitrag auf Seite 14)<br />

läßt sich die Anzahl der Embryonen<br />

und damit die Nachkommenzahl<br />

steigern.<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT


Was ist für die Zukunft denkbar?<br />

Entscheidend wird sein, in welchem<br />

Maße Genwirkungen aufgeklärt<br />

und genutzt werden können. Zum<br />

Beispiel könnte die Menge eines bestimmten<br />

Proteins in der Milch durch<br />

das Einbringen von Mehrfachkopien<br />

des zugehörigen Gens gesteigert<br />

werden. Eine solche Steigerung<br />

ließe sich auch mit Hilfe eines geeigneten<br />

Promotors erreichen, also<br />

einer DNA-Sequenz, die die Aktivität<br />

eines Gens erhöhen kann.<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

In den letzten Jahrzehnten führten<br />

weltweit steigende Käseproduktion<br />

und rückläufige Kälberschlachtungen<br />

zu einem Chymosinmangel.<br />

Dieser Mangel konnte zum Teil<br />

durch den Einsatz mikrobieller milchgerinnender<br />

Enzyme ausgeglichen<br />

werden, deren Eignung zur Käseherstellung<br />

hinsichtlich Ausbeute und<br />

Geschmack jedoch deutlich hinter<br />

der von Kälberlab zurückblieb.<br />

Anfang der 80er Jahre wurde das<br />

Gen für Chymosin sequenziert, also<br />

Abb. 2: Bei Angler Kühen finden sich relativ häufig Tiere, deren Milch kleine Casein-Micellen<br />

und gute Gerinnungseigenschaften aufweist (Foto: I. Rossen)<br />

CHYMOSINPRODUKTION<br />

DURCH<br />

MIKROORGANISMEN<br />

Die für die Käseherstellung<br />

benötigten Enzyme zur Milchgerinnung<br />

(Lab-Enzym) wurden seit Menschengedenken<br />

aus Mägen von säugenden<br />

Kälbern gewonnen. Der<br />

wässrige Extrakt aus diesen Mägen<br />

enthält im wesentlichen Chymosin,<br />

ein proteolytisches (eiweißspaltendes)<br />

Enzym, welches das �-Casein<br />

der Milch in spezifischer Weise hydrolysiert,<br />

was zur Dicklegung der<br />

Milch führt. Neben dieser Hauptkomponente<br />

enthält Kälberlab weitere eiweißspaltende<br />

Enzyme (z. B. Pepsine)<br />

in geringeren Konzentrationen.<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

die für die Bildung des Enzyms zugrundeliegende<br />

genetische Information<br />

entschlüsselt. Mit Methoden der<br />

modernen Gentechnologie gelang<br />

es mehreren Arbeitsgruppen, dieses<br />

Gen in Mikroorganismen einzuführen<br />

und diese zur Bildung des Enzyms<br />

zu veranlassen.<br />

Das Verfahren ist folgendermaßen<br />

(Abb. 3): Die chromosomale DNA-<br />

Sequenz des Gens wird in eine Boten-(messenger)<br />

RNA (mRNA) übersetzt<br />

und diese Nukleinsäure anschließend<br />

mit Hilfe des Enzyms ‘Reverse<br />

Transcriptase’ in die komplementäre<br />

DNA (cDNA) umgeschrieben.<br />

Diese DNA enthält die genetische<br />

Information für eine Vorform<br />

des Chymosins, das sogenannte<br />

24<br />

Pro-Chymosin. Die cDNA wird im<br />

nächsten Schritt enzymatisch mit einem<br />

speziellen Träger-DNA-Molekül<br />

(Plasmidvektor) verbunden (kloniert).<br />

Für diesen Zweck sind eine Vielzahl<br />

von Vektoren verfügbar. Um eine effiziente<br />

Synthese von Pro-Chymosin<br />

zu gewährleisten, muß das Gen mit<br />

geeigneten genetischen Kontrollsequenzen<br />

(Promotoren) versehen werden.<br />

Spezielle – induzierbare – Promotoren<br />

erlauben sogar ein gezieltes<br />

Ein- und Ausschalten der Enzymsynthese.<br />

Die bei der Klonierung erhaltenen<br />

DNA-Moleküle werden in einen geeigneten<br />

Mikroorganismus eingeführt.<br />

Für die Produktion von Chymosin<br />

werden heute Bakterien (E. coli),<br />

Hefen (Klyveromyces lactis) und<br />

Schimmelpilze (Aspergillus niger)<br />

verwendet.<br />

Je nach Mikroorganismus und Art<br />

des Genkonstruktes wird das gebildete<br />

Pro-Chymosin entweder aus<br />

den Mikroorganismenzellen oder<br />

aus dem Fermentationsmedium isoliert<br />

und anschließend mit herkömmlichen<br />

biochemischen Methoden<br />

gereinigt. In E. coli werden circa<br />

300.000 Moleküle des Enzyms pro<br />

Zelle gebildet, die sich zu unlöslichen<br />

Partikeln (inclusion bodies) zusammenlagern.<br />

Diese lassen sich<br />

nach Aufbrechen der Bakterienzellen<br />

leicht isolieren. Um aktives Enzym<br />

zu erhalten, müssen diese Partikel<br />

aufgelöst und das freigesetzte<br />

Enzym renaturiert werden. Anschließend<br />

läßt sich das Pro-Chymosin<br />

bei niedrigem pH-Wert in aktives<br />

Chymosin überführen.<br />

Das durch gentechnisch veränderte<br />

Mikroorganismen produzierte (rekombinante)<br />

Chymosin wurde vor<br />

seiner Zulassung intensiven biochemischen,<br />

immunologischen und<br />

toxikologischen Prüfungen unterzogen.<br />

Dabei ergaben sich folgende Befunde:<br />

Chymosin aus Kälberlab und<br />

rekombinantes Chymosin sind identisch<br />

bezüglich der molekularen<br />

Masse der Proteine und deren physikochemischen<br />

und immunologi-


schen Eigenschaften sowie der enzymatischen<br />

Spezifität. Mikrobiell<br />

erzeugte Chymosinpräparate wiesen<br />

keine enzymatischen Fremdaktivitäten<br />

auf, enthielten keine Produktionskeime<br />

oder rekombinante DNA.<br />

In Tierversuchen konnten keinerlei toxische<br />

Substanzen nachgewiesen<br />

werden. Bei Käsereiversuchen traten<br />

bei der Herstellung verschiedener<br />

Käsetypen keine relevanten Unterschiede<br />

bezüglich Ausbeute, Textur,<br />

Geruch, Geschmack und Reifung<br />

der Käse auf.<br />

Rekombinantes Chymosin ist daher<br />

seit einigen Jahren in vielen Ländern<br />

für den Einsatz in der Käseherstellung<br />

zugelassen.<br />

Aufgrund der zahlreichen Vorteile<br />

dieser Produktionsweise, wie Unabhängigkeit<br />

von Rohstoffmärkten,<br />

hohe hygienische und technologische<br />

Produkt- und Herstellungssicherheit,<br />

umweltschonende Herstellungsweise<br />

sowie die für einige wichtige<br />

Märkte bedeutende Koscher- und<br />

Vegetarierakzeptanz, ist es nicht verwunderlich,<br />

daß in den USA etwa<br />

90 % und in Großbritannien mehr<br />

als 80 % der Käse bereits mit mikrobiell<br />

gewonnenem Chymosin hergestellt<br />

werden.<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

Abb. 3: Biosynthese des Milchgerinnungsenzyms Chymosin. Links der natürliche<br />

Weg im Kälbermagen, rechts in Mikroorganismen, in die die Erbsubstanz<br />

für die Enzymbildung überführt wurde<br />

GENTECHNIK IN DER<br />

KÄSEHERSTELLUNG<br />

Bei der Produktion der meisten<br />

Käse ist die Reifung ein kostenintensiver,<br />

arbeits- und zeitaufwendiger<br />

Vorgang. Die Optimierung dieses<br />

Prozesses, insbesondere seine Beschleunigung,<br />

ist daher seit Jahren<br />

Ziel vielfacher <strong>Forschung</strong>sbemühungen.<br />

Neben physikalischen und<br />

chemischen Reaktionen ist besonders<br />

die partielle Spaltung von<br />

Milchproteinen ein wesentlicher Vorgang<br />

bei der Reifung. Die Proteolyse<br />

durch milcheigene Enzyme und<br />

durch die Enzymsysteme der Startermikroorganismen<br />

ist ein hochkomplexer<br />

Vorgang, der erst in den letzten<br />

Jahren, insbesondere durch multinationale<br />

<strong>Forschung</strong>sarbeiten im<br />

Rahmen mehrerer EU-<strong>Forschung</strong>sprogramme,<br />

besser verstanden<br />

wird.<br />

Zur Aufklärung der grundlegenden<br />

Mechanismen wurden verschiedene<br />

proteolytische Enzyme aus<br />

Starterbakterien identifiziert, gereinigt<br />

und charakterisiert. Mit Hilfe<br />

moderner molekularbiologischer<br />

Techniken konnten die entsprechenden<br />

Gene gefunden und entschlüs-<br />

25<br />

selt werden. Mit diesen Kenntnissen<br />

wurden Starterbakterien, insbesondere<br />

solche der Gattung Lactococcus,<br />

gezielt in ihren proteolytischen<br />

Aktivitäten verändert. Einige dieser<br />

Mutanten, die die niederländische<br />

Universität Groningen zur Verfügung<br />

stellte, wurden an der Bundesanstalt<br />

für Milchforschung für die Herstellung<br />

von Versuchskäsen eingesetzt.<br />

In einem ersten Schritt, der die<br />

Grundlagen für eine Optimierung<br />

der Käsereifung liefern soll, wurde<br />

versucht, Aromaeigenschaften sensorisch<br />

und biochemisch nachzuweisen<br />

und mit der An- bzw. Abwesenheit<br />

spezifischer Enzyme (Peptidasen)<br />

zu korrelieren.<br />

Da es sich bei den eingesetzten<br />

Mutanten der Starterbakterien um<br />

gentechnisch veränderte Mikroorganismen<br />

handelt, mußten gemäß<br />

Gentechnikgesetz bestimmte räumliche<br />

Voraussetzungen geschaffen<br />

werden. Mit dem Bau eines S1-Labors,<br />

in dem Käsereiversuche durchgeführt<br />

werden können, wurden diese<br />

gesetzlichen Vorgaben erfüllt. Die<br />

Ergebnisse aus den ersten beiden<br />

Versuchskäseproduktionen mit fünf<br />

verschiedenen, in ihren Peptidase-<br />

Aktivitäten veränderten Lactococcus-<br />

Mutanten werden Ende 1998 vorgestellt.<br />

■<br />

Dr. K. Pabst, Institut für Chemie und<br />

Physik; PD Dr. A. Geis, Dr. W.<br />

Bockelmann, Institut für Mikrobiologie;<br />

Bundesanstalt für Milchforschung,<br />

Postfach 6069, 24121 Kiel<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT


Typische „Hürden” oder „Barrieren”<br />

sind niedrige pH- und a w -Werte<br />

(erhöhter Säuregrad und weniger mikrobiell<br />

verfügbares Wasser). Unter<br />

diesen Bedingungen können viele<br />

Verderbniserreger nicht wachsen. Mikrobiologisch<br />

gefährdet sind vor allem<br />

Erzeugnisse, die nur wenige Barrieren<br />

enthalten. So können<br />

zum Beispiel Kochschinken- und<br />

Brühwurstaufschnitt in Vakuumverpackung<br />

(Abb. 1) trotz Pasteurisierung<br />

und Kühlung leicht verderben,<br />

da ihre pH- und a w -Hürden mit pH<br />

6,2 und a w 0,98 nur wenig ausgeprägt<br />

sind. Obwohl sich fast alle<br />

Nahrungsmittel heute leicht durch chemische<br />

Zusatzstoffe oder eine ausreichende<br />

physikalische Behandlung mikrobiologisch<br />

stabilisieren lassen,<br />

steigt die Nachfrage nach „gesünderen”,<br />

das heißt naturbelassenen, chemiefreien,<br />

salz- und fettarmen Nahrungsmitteln<br />

mit geringer Verarbeitungstiefe.<br />

Solche Erzeugnisse sind jedoch<br />

mikrobiologisch hochgradig instabil.<br />

Sie müssen entweder relativ<br />

schnell zum Verzehr gelangen oder<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

Biokonservierung von<br />

Fleischerzeugnissen<br />

Bacteriocinogene Milchsäurebakterien können<br />

Pathogene hemmen<br />

Lothar Kröckel (Kulmbach)<br />

Fleisch verdirbt schnell. Wenn keine spezifischen Maßnahmen zur Verlängerung der<br />

Haltbarkeit und zur Kontrolle pathogener Mikroorganismen ergriffen werden, kann<br />

es rasch zu einem Gesundheitsrisiko für den Verbraucher werden. Eine verbesserte<br />

Lagerstabilität von Fleischerzeugnissen erreicht man häufig durch eine Kombination unterschiedlicher<br />

Konservierungsverfahren. Produkte, die ausreichend durch Trocknung,<br />

Salz und Säure stabilisiert sind, etwa langgereifte Rohwürste, können auch ohne Kühlung<br />

oder Erhitzung längere Zeit aufbewahrt werden. Erhitzte Fleischerzeugnisse verderben<br />

während der Kühllagerung weniger schnell, wenn sie zusätzlich durch Salze oder<br />

Genußsäuren stabilisiert sind. Die gezielte Kombination solcher Verfahren in der Produktentwicklung<br />

ist als „Hürdentechnologie” bekannt geworden.<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

geeignete „natürliche” Barrieren gegen<br />

unerwünschte Mikroorganismen<br />

(Krankheits- und Verderbniserreger)<br />

enthalten. Am Institut für Mikrobiologie<br />

und Toxikologie der Bundesanstalt<br />

für Fleischforschung in Kulmbach erforschen<br />

wir solche „natürlichen” Barrieren<br />

für die Biokonservierung von<br />

Fleisch und Fleischerzeugnissen.<br />

26<br />

STARTER- UND<br />

SCHUTZKULTUREN<br />

Speziell selektierte Milchsäurebakterien<br />

werden seit Jahrzehnten als<br />

Starterkulturen zur Herstellung der unterschiedlichsten<br />

fermentierten Lebensmittel<br />

eingesetzt. Bei der Herstellung<br />

langgereifter Rohwürste (Salami;<br />

Abb. 2) liefern diese Bakterien<br />

aber nicht nur einen wesentlichen<br />

technologischen Beitrag im Sinne einer<br />

erwünschten Veränderung des<br />

Rohmaterials, sondern sie verhindern<br />

als „Schutzkulturen” gleichzeitig die<br />

Vermehrung von unerwünschten Mikroorganismen<br />

und bewirken so eine<br />

natürliche Konservierung.<br />

Milchsäurebakterien können aber<br />

auch zur hygienischen Stabilisierung,<br />

zum Beispiel von vakuumverpacktem<br />

Brühwurst- und Kochschinkenauf-<br />

Abb. 1:<br />

VakuumverpackterBrühwurstundKochschinkenaufschnitt


Abb. 2:<br />

Aufschnittplatte<br />

mit<br />

Rohwurst<br />

schnitt eingesetzt werden. Die mikrobiologische<br />

Sicherheit und Stabilität<br />

dieser Erzeugnisse hängt wesentlich<br />

von der Art und Menge der bakteriellen<br />

Kontamination der Produkte<br />

während des Aufschneidens und Verpackens<br />

und von der Bevorratungstemperatur<br />

der verkaufsfertigen Erzeugnisse<br />

ab. In Abwesenheit einer<br />

mikrobiellen Konkurrenzflora, zum<br />

Beispiel aus Milchsäurebakterien,<br />

kann bei 7 °C die humanpathogene<br />

Bakterienart Listeria monocytogenes<br />

noch gut wachsen und gesundheitlich<br />

bedenkliche Keimzahlen von<br />

10 3 –10 5 Mikroorganismen pro<br />

Gramm Produkt erreichen.<br />

Listeria monocytogenes ist in der<br />

Umwelt weit verbreitet und wurde in<br />

der Vergangenheit von vielen Lebensmitteln<br />

– auch von Fleisch und<br />

Fleischerzeugnissen – isoliert. In<br />

Frischfleisch wird dieses GRAM-positive,<br />

psychrotrophe (zum Wachstum<br />

bei Kühltemperaturen befähigte) Bakterium<br />

regelmäßig nachgewiesen.<br />

Der Keim wurde aber auch in fermentierten<br />

Rohwürsten gefunden.<br />

In fleischverarbeitenden Betrieben<br />

kann L. monocytogenes in Aufschneideräumen<br />

zur Herstellung von<br />

Aufschnittware vorkommen und<br />

pasteurisierte Fleischerzeugnisse<br />

während des Aufschneidens und Verpackens<br />

rekontaminieren. Erkrankungen<br />

des Menschen als Folge einer Infektion<br />

durch Listerien kommen vergleichsweise<br />

selten vor, sie dürfen<br />

aber aufgrund der häufig schweren<br />

Krankheitsverläufe (u. a. Hirnhautentzündung)<br />

nicht unterschätzt werden.<br />

Zu den von Milchsäurebakterien pro-<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

duzierten antagonistischen, das<br />

heißt andere Mikroorganismen hemmenden<br />

Substanzen gehören Milchund<br />

Essigsäure, Kohlendioxid, Wasserstoffperoxid,<br />

Diacetyl und Bacteriocine.<br />

Für Fleisch und Fleischerzeugnisse<br />

ist die Milchsäure in dieser<br />

Beziehung am bedeutendsten,<br />

da sie mengenmäßig dominiert und<br />

die Vermehrung der meisten unerwünschten<br />

Mikroorganismen<br />

hemmt. Leider bleiben aber einige<br />

pathogene Bakterien, etwa Listerien,<br />

auch in Gegenwart von Milchsäure<br />

lange Zeit lebensfähig.<br />

BACTERIOCINE<br />

Bei der Suche nach weiteren nutzbaren<br />

antagonistischen Substanzen<br />

konzentrierten wir uns daher auf die<br />

sensorisch neutralen Bacteriocine.<br />

Dabei handelt es sich um eiweißartige<br />

Substanzen mit mehr oder weniger<br />

breiter Hemmwirkung gegen andere<br />

GRAM-positive Bakterien, die<br />

von manchen Milchsäurebakterien in<br />

das Außenmedium abgegeben werden.<br />

Einige dieser gesundheitlich unbedenklichen<br />

Bacteriocine sind hoch<br />

wirksam gegen Listerien.<br />

Von den bei Fleisch und Fleischerzeugnissen<br />

„erwünschten” Milchsäurebakterien<br />

sind die psychrotrophen<br />

Bakterien Lactobacillus sakei<br />

und Lactobacillus curvatus am besten<br />

an das Substrat Fleisch angepaßt<br />

(Abb. 3). Bestimmte Stämme dieser<br />

Arten produzieren Bacteriocine, die<br />

in der Lage sind, Listerien abzutöten<br />

bzw. deren Vermehrung zu hemmen.<br />

Einige dieser anti-listeriellen Bacteriocine,<br />

insbesondere Sakacin A und<br />

Sakacin P von Lactobacillus sakei<br />

Stamm Lb706 und Stamm Lb674<br />

und Curvacin 1071 von Lactobacillus<br />

curvatus Stamm Lb1071, wurden<br />

von uns charakterisiert und in Fleischerzeugnissen<br />

getestet (Abb. 4).<br />

Es handelt sich bei diesen Bacteriocinen<br />

um kleine, hitzestabile, ribosomal<br />

synthetisierte Peptide (= aus<br />

nur wenigen Aminosäuren bestehende<br />

„Mini-Eiweiße”), die nach Ab-<br />

27<br />

spaltung einer Präsequenz aus der<br />

Bakterienzelle ausgeschleust werden.<br />

Das Bacteriocin Sakacin P<br />

bleibt in Fleischsaft, Hackfleisch und<br />

Brühwurst biologisch aktiv und eignet<br />

sich daher auch als Zusatzstoff.<br />

Das Gencluster für die Produktion<br />

des Sakacin P in L. sakei Lb674 wurde<br />

kloniert und sequenziert. Ein<br />

7.600 Basenpaare großes chromosomales<br />

DNA-Fragment enthielt alle<br />

für die Expression von Sakacin P in<br />

Bacteriocin-negativen Stämmen von<br />

L. sakei erforderlichen Gene (Abb.<br />

5). Das Gencluster umfaßt sechs aufeinanderfolgende<br />

Gene: sppK,<br />

sppR, sppA, spiA, sppT und sppE.<br />

Die beiden ersten Gene, sppK und<br />

sppR, sind für die Regulation der Bacteriocinproduktion<br />

von Bedeutung.<br />

Die Gene sppA und spiA kodieren<br />

ein Sakacin P Präprotein und ein Protein,<br />

das Immunität gegen Sakacin P<br />

verleiht. SppT und SppE zeigen starke<br />

Ähnlichkeiten mit den Transportproteinen<br />

anderer Bacteriocinsyste-<br />

me. Diese Proteine dürften dafür zuständig<br />

sein, das Sakacin P aus der<br />

Zelle in das Außenmedium zu transportieren.<br />

Die Bacteriocinproduktion<br />

ist somit ein sehr komplexer Vorgang,<br />

der aufwendigen Regulations-, Prozessierungs-<br />

und Exportmechanismen<br />

unterliegt.<br />

EINSATZPOTENTIALE<br />

Für die Biokonservierung von<br />

Fleischerzeugnissen ist die Einführung<br />

einer konkurrenzstarken Milchsäure-<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />

Abb. 3:<br />

Laktobazillen<br />

(Milchsäure-<br />

Stäbchen) in<br />

Salami unter<br />

dem Elektronenmikroskop


akterien-Mikroflora aus L. sakei oder<br />

L. curvatus – vorzugsweise mit der<br />

Fähigkeit zur Bacteriocinbildung –<br />

oder der direkte Einsatz von gereinigtem<br />

anti-listeriellen Bacteriocin als Lebensmittelzusatzstoff<br />

für kühlgelagerte,<br />

verzehrsfertige Fleischerzeugnisse<br />

denkbar.<br />

Neben den „nützlichen” Lactobazillen<br />

können auch andere Milchsäurebakterien<br />

vorverpackten Kochschinken-<br />

und Brühwurstaufschnitt besiedeln.<br />

Sie sind meist unerwünscht, da<br />

sie zu einem vorzeitigen Verderb der<br />

Ware etwa durch Schleimbildung, einer<br />

zu starken Säuerung oder anderen<br />

Geschmacksabweichungen<br />

führen können.<br />

Da eine keimfreie Aufschneidetechnik<br />

in der Praxis nicht möglich ist,<br />

gelangen regelmäßig verschiedene<br />

Mikroorganismen – harmlose, pathogene<br />

und verderbniserregende – auf<br />

die pasteurisierten Erzeugnisse. Bei<br />

7 °C und in Abwesenheit von Sauerstoff<br />

vermehren sich dann vor allem<br />

psychrotrophe Milchsäurebakterien<br />

und Listerien. Eine „gezielte” Rekontamination<br />

mit sensorisch akzeptablen<br />

Milchsäurebakterien-Stämmen, die<br />

sowohl Listerien als auch unerwünschte<br />

Milchsäurebakterien in<br />

Schach halten, würde daher zu einer<br />

besseren mikrobiologischen Sicherheit<br />

und sensorischen Stabilität der<br />

Produkte beitragen und möglicherweise<br />

auch die Herstellung salz- und<br />

nitritreduzierter Ware erlauben. Bei<br />

der Herstellung von Rohwurst können<br />

Bacteriocinbildner gleichzeitig als<br />

Starter- und Schutzkultur von Nutzen<br />

sein.<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

Abb. 4: Primärsequenz (Abfolge der Aminosäuren) von Sakacin A und P<br />

1 10 20 30 40<br />

1. ARSYGNGVYCNNKKCWVNRGEATQSIIGGMISGWASGLAGM<br />

2. KYYGNGVHCGKHSCTVDWGTAIGNIGNNAAANWATGGNAGWNK<br />

(identische Aminosäurereste sind durch vertikale Striche gekennzeichnet)<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

Bacteriocin Produzent<br />

1. Sakacin A Lactobacillus sakei Lb706<br />

2. Sakacin P Lactobacillus sakei Lb674<br />

VAKUUMVERPACKTER<br />

BRÜHWURSTAUFSCHNITT<br />

Während der Kühllagerung von<br />

vakuumverpacktem Brühwurstaufschnitt<br />

produzierte L. sakei Lb674<br />

(Sakacin P) ab einer Einsaatdichte<br />

von 10 5 -10 6 Bakterien/g Wurst ausreichende<br />

Konzentrationen von<br />

Bacteriocin. Das Wachstum von Listeria<br />

monocytogenes wurde verzögert<br />

und in einigen Fällen vollständig<br />

gehemmt (Abb. 6). Ähnliche Ergebnisse<br />

wurden mit L. sakei Lb706 (Sakacin<br />

A) erhalten. Bacteriocin-negative<br />

Varianten dieser Stämme oder andere<br />

aus Fleisch isolierte, Bacteriocin-negative<br />

Milchsäurebakterien<br />

verhinderten das Wachstum der Listerien<br />

nicht. Die Inokulation von Schutzkulturen<br />

in Anfangskeimzahlen von<br />

10 5 -10 6 /g führte erwartungsgemäß<br />

nach wenigen Tagen zu einer<br />

Keimzahl von circa 10 8<br />

Milchsäurebakterien/g. Die damit<br />

einhergehende Milchsäureprodukti-<br />

Abb. 5: Genkarte des Sakacin P Clusters<br />

28<br />

on und relativ geringe pH-Abnahme<br />

zeigten keine sensorisch nachteiligen<br />

Auswirkungen auf das Produkt.<br />

Als Zusatzstoff zeigte gereinigtes<br />

Bacteriocin (Sakacin P) in Abwesenheit<br />

einer Schutzkultur einen deutlichen<br />

Anfangseffekt auf L. monocytogenes<br />

und reduzierte das Wachstum<br />

während der Lagerung (Abb. 7). Allerdings<br />

wurden die zu Beginn des<br />

Versuchs eingebrachten Listerien<br />

nicht völlig abgetötet. Nach einer<br />

vollständigen Wachstumshemmung<br />

in den ersten 3 Tagen konnten sich<br />

überlebende Listerien auch in Anwesenheit<br />

des Bacteriocins vermehren,<br />

aber mit deutlich geringerer Rate als<br />

in bacteriocinfreier Wurst. Wurden<br />

Sakacin P-haltige Produkte zusätzlich<br />

mit L. sakei Lb674 als Schutzkultur in<br />

niedrigen Anfangskeimzahlen (10 2<br />

Bakterien/g) beimpft, so wurde die<br />

Vermehrung der Listerien noch stärker<br />

gehemmt (Abb. 7). Innerhalb weniger<br />

Tage erreichten die Milchsäurebakterien<br />

genügend hohe Zellzahlen,<br />

um den Bacteriocin-Effekt zu unterstützen.<br />

Im weiteren Verlauf hemmten<br />

sie die Listerien, die in Anwesenheit<br />

des Bacteriocins überlebten und<br />

vermehrungsfähig blieben.<br />

Bacteriocinbildende Milchsäurebakterien<br />

können also das Wachstum<br />

von Listeria monocytogenes auf<br />

„sensiblen” Fleischerzeugnissen verhindern,<br />

wenn sie als Schutzkulturen<br />

während des Aufschneidens in ausreichend<br />

hohen Keimzahlen zugegeben<br />

werden.<br />

sppK sppR spiA sppT sppE<br />

sppI sppA<br />

(Auto-) Induktor<br />

Organisation des Sakacin P Gen-Clusters in Lactobacillus sakei Lb 674<br />

Regulation der<br />

Bacteriocin-Produktion<br />

(Prä-) Sakacin P<br />

Strukturgen<br />

Immunität gegen<br />

Sakacin P<br />

Bacteriocin-Export<br />

und Prozessierung<br />

1 kb


In der industriellen Praxis könnten<br />

zum Beispiel die Aufschneidemaschinen<br />

(Slicer) mit einer automatischen<br />

Sprühvorrichtung für Schutzkulturen<br />

nachgerüstet werden.<br />

Bacteriocin-negative Milchsäurebakterien<br />

sind unter gleichen Bedingungen<br />

deutlich weniger wirksam.<br />

Als Zusatzstoff zeigt Sakacin P zwar<br />

Wirkung, kann aber das Wachstum<br />

von Listeria monocytogenes nicht im<br />

erwünschten Umfang verhindern.<br />

ROHWURST<br />

Die Stämme L. sakei Lb674 und L.<br />

curvatus Lb1071 eignen sich auch<br />

als Starterkulturen für Salami. Beide<br />

Stämme führten bei 23 °C und den<br />

üblichen Einimpfmengen (10 6 Bakterien/g)<br />

zu einer schnellen Umrötung<br />

und Säuerung der Produkte. Farbe<br />

und Bindung der Erzeugnisse waren<br />

ausgezeichnet. Geschmacklich waren<br />

die Würste gut und leicht säurebetont.<br />

Die Bacteriocinbildner blieben<br />

im gesamten Reifeverlauf dominant<br />

und zeigten auch sonst keine für<br />

die Rohwurstherstellung ungünstigen<br />

Eigenschaften.<br />

Auch eine wesentlich geringere<br />

Einsaatdichte von 10 3 /g L. sakei<br />

Lb674 oder L. curvatus Lb1071 führte<br />

im Laufe der Reifung schon zu ähnlich<br />

positiven Ergebnissen. Die niedrigere<br />

Anfangskeimzahl der zugesetzten<br />

Milchsäurebakterien hatte<br />

eine langsamere Abnahme des pH-<br />

Wertes zur Folge. Dadurch wurde<br />

eine mildere Säuerung der Würste<br />

erreicht, die sensorisch häufig bevorzugt<br />

wird.<br />

L. sakei Lb674 produzierte kaum<br />

Bacteriocin in Rohwurst, obwohl dieser<br />

Stamm sonst alle wichtigen Selektionskriterien<br />

für eine Starterkultur erfüllt.<br />

L. curvatus Lb1071 war dagegen<br />

in Rohwurst ein hervorragender<br />

Bacteriocinproduzent. Listeria monocytogenes<br />

konnte sich unter den gewählten<br />

Versuchsbedingungen in der<br />

Rohwurst nicht vermehren und nahm<br />

im Laufe der Reifung in allen<br />

Versuchschargen ab. Im Vergleich zu<br />

BIOTECHNOLOGIE<br />

einem kommerziellen L. curvatus-Starter<br />

bewirkte L. curvatus Lb1071 eine<br />

deutlich größere Reduktion der Listerien.<br />

(Abb. 8).<br />

AUSBLICK<br />

Milchsäurebakterien spielen bei<br />

der Herstellung von Rohwürsten eine<br />

große Rolle. Starterkulturen werden<br />

daher regelmäßig neu bewertet und<br />

neuen Anforderungen angepaßt. Die<br />

zunehmende Nachfrage nach schonend<br />

verarbeiteten, verzehrsfertigen<br />

Convenience-Produkten, die durch<br />

Kühlung alleine nicht ausreichend hygienisch<br />

stabilisiert werden können,<br />

eröffnet zusätzliche Einsatzmöglichkeiten<br />

für diese Bakterien als Schutzkulturen.<br />

Ziel unserer Arbeiten ist es,<br />

unter den vielen natürlich vorkommenden<br />

Milchsäurebakterien diejenigen<br />

zu finden, die über eine möglichst<br />

optimale Kombination erwünschter<br />

Eigenschaften verfügen,<br />

diese Bakterien möglichst genau zu<br />

charakterisieren und die Eignung dieser<br />

Kulturen für traditionelle und neue<br />

Anwendungsfelder zu demonstrieren.<br />

Schutzkulturen mit der Fähigkeit<br />

zur Bacteriocinbildung bieten neue<br />

Möglichkeiten zur Verbesserung der<br />

Sicherheit und Haltbarkeit konventioneller<br />

Fleischerzeugnisse. Mit ihrer<br />

Hilfe könnten neue Produkte entwickelt<br />

werden, die milder und aufgrund<br />

einer effektiven Unterdrückung<br />

der Begleitflora „reiner” im Geschmack<br />

sind.<br />

Die meisten anti-listeriellen Bacteriocine<br />

weisen in ihrem N-terminalen<br />

Bereich die Aminosäure-Sequenz<br />

‘YGNGV’ auf (vgl. Abb. 1). Die Rolle<br />

weiterer Sequenzelemente ist noch<br />

nicht ausreichend bekannt, so daß<br />

die Suche nach weiteren natürlichen<br />

– möglicherweise besseren –Varianten<br />

interessant bleibt. ■<br />

Dr. Lothar Kröckel, Bundesanstalt für<br />

Fleischforschung, Institut für Mikrobiologie<br />

und Toxikologie, E.-C.-Baumann-Str.<br />

20, 95326 Kulmbach<br />

29<br />

Abb. 6: Vakuumverpackter Brühwurstaufschnitt (1)<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

log 10 L. monocytogenes/g<br />

Bac -<br />

ph-Verlauf<br />

Bac +<br />

pH-Wert<br />

0 7 14 21 28<br />

Tage<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />

7,0<br />

6,5<br />

6,0<br />

5,5<br />

5,0<br />

zugesetzte<br />

Milchsäurebakterien:<br />

105 – 106 Zellen/g<br />

Lagertemperatur:<br />

7 °C<br />

Verhalten von Listeria monocytogenes auf vakuumverpacktem Brühwurstaufschnitt in<br />

Gegenwart bacteriocinogener (Bac + ) und nicht-bacteriocinogener (Bac – ) Milchsäurebakterien<br />

(MSB)<br />

Abb. 7: Vakuumverpackter Brühwurstaufschnitt (2)<br />

8<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

log 10 L. monocytogenes/g<br />

– MSB<br />

+ MSB<br />

zugesetzte<br />

Milchsäurebakterien:<br />

102 Zellen/g<br />

(Stamm Lb674)<br />

pH-Werte nach<br />

28 Tagen:<br />

pH 5,5 – 5,7<br />

zugesetzte<br />

Bacteriocinmenge:<br />

500 – 1500 AU/g<br />

(AU = Aktivitätseinheiten)<br />

0<br />

0 7 14<br />

Tage<br />

21 28<br />

Verhalten von Listeria monocytogenes auf vakuumverpacktem Brühwurstaufschnitt mit<br />

Sakacin P-Zusatz bei 7 °C, mit und ohne bacteriocinogene Milchsäurebakterien (MSB)<br />

Abb. 8: Reifung von Salami<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

log 10 L. monocytogenes/g<br />

zugesetzte<br />

Milchsäurebakterien:<br />

10 6 Zellen/g<br />

Lactobacillus curvatus<br />

Stamm Lc3 (Bac-)<br />

Lactobacillus curvatus<br />

Stamm Lb1071 (Bac+)<br />

0<br />

0 7 14 21 28 35<br />

Tage<br />

Verhalten von Listeria monocytogenes in Salami in Gegenwart bacteriocinogener Milchsäurebakterien<br />

(Lb1071) und einer nicht-bacteriocinogenen Starterkultur (Lc3)


In Deutschland werden unter „Novel<br />

Food” fast ausschließlich gentechnisch<br />

modifizierte Lebensmittel verstanden.<br />

Die Novel Food-Verordnung (Verordnung<br />

EG Nr. 258/97 des Europäischen<br />

Parlaments und des Rates<br />

über neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten)<br />

faßt allerdings eine<br />

breite Palette unterschiedlichster Produkte<br />

zusammen. Dabei handelt es<br />

sich um Lebensmittel und Lebensmittelzutaten,<br />

die bislang im gemeinsamen<br />

EU-Markt noch nicht verzehrt wurden<br />

LEBENSMITTEL<br />

Kennzeichnung von<br />

gentechnisch veränderten<br />

Lebensmitteln<br />

Klaus-Dieter Jany und Ralf Greiner (Karlsruhe)<br />

Für neuartige Lebensmittel ist in der Europäischen Union am 15. Mai 1997 nach<br />

langjährigen Verhandlungen die Novel Food-Verordnung in Kraft getreten. Diese Verordnung<br />

regelt das Inverkehrbringen und die Etikettierung von neuartigen Lebensmitteln<br />

in allen EU-Mitgliedstaaten nach einheitlichen Kriterien. Da die Handhabung in der<br />

Praxis auf Probleme gestoßen ist, sind von der EU ergänzende Verordnungen erlassen<br />

worden. Die Anlaufschwierigkeiten und Unsicherheiten und die gefundenen Lösungsansätze<br />

schildert der folgende Beitrag.<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

(z. B. Produkte aus Algen oder Mikroorganismen)<br />

und sich sechs genau definierten<br />

Kategorien zuordnen lassen.<br />

Lediglich zwei betreffen die Gentechnik:<br />

■ Lebensmittel, die selbst den gentechnisch<br />

veränderten Organismus<br />

(GVO) darstellen (z. B. Flavr-Savr-<br />

Tomate) oder GVO enthalten (Joghurt<br />

mit Lebendkulturen) und<br />

■ Produkte, die aus GVO gewonnen<br />

werden, aber den lebenden GVO<br />

nicht mehr enthalten (z. B. Öl aus<br />

herbizidtoleranten Sojabohnen).<br />

30<br />

In Artikel 8 der Novel Food-Verordnung<br />

sind die Etikettierungsanforderungen<br />

zur Unterrichtung der Verbraucher<br />

festgelegt. Sie gelten für alle<br />

neuartigen Lebensmittel und sind nicht<br />

speziell auf gentechnisch modifizierte<br />

Erzeugnisse ausgerichtet. In Tabelle 1<br />

sind die Kennzeichnungskriterien aufgelistet.<br />

Informiert werden die Verbraucher<br />

über die jeweilige Veränderung und<br />

das Verfahren. Die Etikettierung gilt<br />

sowohl für verpackte als auch für offene<br />

Ware sowie für Lebensmittel aus<br />

der Gemeinschaftsverpflegung.


Grundsätzlich müssen alle Lebensmittel<br />

und Lebensmittelzutaten gekennzeichnet<br />

werden, die lebende GVO<br />

sind oder enthalten. Ebenso müssen<br />

Verbraucher durch eine entsprechende<br />

Kennzeichnung informiert werden,<br />

wenn das neuartige Erzeugnis im Vergleich<br />

zum traditionellen Lebensmittel<br />

Stoffe enthält, die die Gesundheit bestimmter<br />

Menschen beeinflussen können<br />

(z. B. neues oder erhöhtes allergenes<br />

Potential), oder wenn gegen<br />

Stoffe in dem neuen Lebensmittel ethische<br />

oder religiöse Bedenken oder<br />

aufgrund bestimmter Ernährungsformen<br />

Vorbehalte bestehen. Dies könnte<br />

zum Beispiel der Fall sein, wenn ein<br />

tierisches Gen (Protein) in traditionell<br />

vegetarischen Produkten oder ein<br />

„Schweine-Gen” in Lebensmitteln für<br />

Moslems vorhanden ist. Ebenso müssen<br />

Erzeugnisse gekennzeichnet werden,<br />

die sich von vergleichbaren traditionellen<br />

Lebensmitteln unterscheiden,<br />

das heißt, wenn sie nicht gleichwertig<br />

sind (Artikel 8, Absatz 1a).<br />

WAS BEDEUTET<br />

„GLEICHWERTIG”?<br />

Im Sinne der Novel Food-Verordnung<br />

werden neuartige Lebensmittel<br />

als nicht gleichwertig angesehen,<br />

wenn sie gegenüber vergleichbaren<br />

traditionellen Erzeugnissen Unterschiede<br />

aufweisen, die sich analytisch<br />

und auf der Basis einer wissenschaftlichen<br />

Beurteilung feststellen lassen.<br />

Offen blieb dabei allerdings die<br />

Frage nach den Kriterien für die<br />

Gleichwertigkeit und den Analysenmethoden.<br />

Sehr leicht läßt sich eine<br />

gezielte Veränderung anhand der<br />

stofflichen Zusammensetzung nachweisen.<br />

So müssen Öle mit einer veränderten<br />

Fettsäurezusammensetzung<br />

(z. B. höherer Gehalt an mehrfach<br />

ungesättigten Fettsäuren) oder Stärken<br />

mit verändertem Ver-zweigungsgrad<br />

(z. B. vorwiegend Amylose oder Amylopektin)<br />

stets gekennzeichnet werden,<br />

denn sie unterscheiden sich von<br />

den entsprechenden konventionellen<br />

Erzeugnissen. Eine Kennzeichnung<br />

LEBENSMITTEL<br />

wird auch erforderlich, wenn in dem<br />

Erzeugnis noch die neueingeführte<br />

genetische Information (DNA) oder<br />

das (die) neueingeführte(n) Protein(e)<br />

nachweisbar enthalten sind. In diesen<br />

Fällen ist das neuartige Erzeugnis in<br />

seiner Zusammensetzung zu dem vergleichbaren<br />

traditionellen nicht mehr<br />

gleichwertig (der Begriff ‘nicht gleichwertig’<br />

impliziert keine Wertung in<br />

Richtung ‘schlechter’, sondern ist im<br />

Sinne von ‘anders’ zu verstehen).<br />

Eine Kennzeichnung ist nicht erforderlich,<br />

wenn die Erzeugnisse keine<br />

stofflichen oder ernährungsphysiologischen<br />

Unterschiede zu konventionel-<br />

Tab. 1: Kriterien für die Kennzeichnung<br />

von Lebensmitteln nach der<br />

Novel Food-Verordnung<br />

Gekennzeichnet werden Erzeugnisse<br />

■ die lebende GVO darstellen oder enthalten,<br />

■ die die Gesundheit bestimmter Bevölkerungsgruppen<br />

beeinflussen können,<br />

■ gegen die ethische Vorbehalte bestehen,<br />

■ die keine Gleichwertigkeit zu vergleichbaren<br />

traditionellen Produkten<br />

– in der Zusammensetzung,<br />

– im Nährwert, in der nutritiven Wirkung,<br />

– im Gebrauch, usw.<br />

aufweisen.<br />

31<br />

len Produkten aufweisen. So enthalten<br />

zum Beispiel raffinierte Öle aus transgenem<br />

Raps, Mais und transgenen<br />

Sojabohnen keine DNA und keine<br />

Proteine mehr. Infolgedessen werden<br />

sie sowohl in der Sicherheitsbeurteilung<br />

als auch in der stofflichen Zusammensetzung<br />

als gleichwertig zu<br />

den konventionellen Ölen bewertet.<br />

Gerade in dem Kriterium der<br />

Gleichwertigkeit von Produkten sehen<br />

viele Verbraucher und Kritiker der<br />

Gentechnik einen Mangel der Novel<br />

Food-Verordnung. Sie sind der Ansicht,<br />

daß hierdurch viele Lebensmittel<br />

von der Kennzeichnungsregelung ausgenommen<br />

und die Verbraucher nicht<br />

hinreichend über den Einsatz der<br />

Gentechnik informiert werden. Hierbei<br />

ist allerdings zu bedenken, daß<br />

eine Kennzeichnung nur verläßlich<br />

praktiziert werden kann, wenn sie<br />

auch überprüfbar ist. Wenn aber in<br />

einem hochaufbereiteten und gereinigten<br />

Produkt wie raffiniertem Öl<br />

oder raffiniertem Zucker die gentechnische<br />

Veränderung nicht nachweisbar<br />

ist, weil die in Frage kommenden<br />

Stoffe (DNA oder Proteine)<br />

gar nicht mehr vorhanden sind, ist<br />

auch eine Kennzeichnung nicht mehr<br />

sinnvoll.<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT


Abb. 1:<br />

Schokoriegel mit<br />

Cornflakes und<br />

Stärke aus<br />

transgenem<br />

Mais. Die<br />

Zutatenliste auf<br />

der Rückseite<br />

der Verpackung<br />

enthält die<br />

Deklaration<br />

„aus genetisch<br />

verändertem<br />

Mais hergestellt”<br />

(Fotos:<br />

M. Welling)<br />

SOJABOHNEN UND MAIS<br />

Im Frühjahr 1997, kurz vor Inkrafttreten<br />

der Novel Food-Verordnung, erhielten<br />

herbizidtolerante Roundup<br />

Ready Sojabohnen und insektenresistenter<br />

Bt-Mais in der EU die Genehmigung<br />

zum Inverkehrbringen nach<br />

der Freisetzungsrichtline. In den<br />

entsprechenden Entscheidungen<br />

96/281/EG (Soja) und<br />

97/98/EG (Mais) wurde keine spezielle<br />

Kenntlichmachung der Produkte<br />

vorgeschrieben. Wären sie nach der<br />

Novel Food- Verordnung zugelassen<br />

worden, so hätte zum Beispiel Sojaprotein<br />

aus den herbizidtoleranten Sojabohnen<br />

gekennzeichnet werden<br />

müssen.<br />

Da Soja- und Maisverarbeitungsprodukte<br />

in sehr vielen Lebensmitteln<br />

vorhanden sind, Verbraucher ein Anrecht<br />

auf Information haben und auch<br />

um Wettbewerbsverzerrungen für<br />

möglicherweise folgende transgene<br />

Soja- und Maisvarietäten abzubauen,<br />

hat die EU-Kommission die Etikettierungsrichtlinie<br />

ergänzt: Die bereits zugelassenen<br />

Soja- und Maisprodukte<br />

müssen ab 1. November 1997 ebenfalls<br />

entsprechend Artikel 8 der Novel<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

LEBENSMITTEL<br />

Food-Verordnung gekennzeichnet<br />

werden (Ergänzungsverordnung EG<br />

1813/97).<br />

Obwohl derartige Mais- und Sojaprodukte<br />

auf dem Markt sind und die<br />

Verordnung in Kraft getreten ist, lassen<br />

sich kaum gekennzeichnete Lebensmittel<br />

im Regal finden. Dies liegt daran,<br />

daß weder bestimmt wurde, wie<br />

die Etikettierung konkret vorzunehmen<br />

sei, noch welche Nachweisverfahren<br />

zum Tragen kommen sollen. Die Novel<br />

Food-Verordnung ließ sich somit<br />

nicht direkt anwenden. Weder Lebensmittelhersteller<br />

noch Überwachungsbehörden<br />

hatten klare Handlungsanweisungen.<br />

Um hier Abhilfe<br />

zu schaffen, legte die Kommission im<br />

Dezember 1997 einen ergänzenden<br />

Vorschlag zur Etikettierung für Sojaund<br />

Maisprodukte vor. Richtungsweisend<br />

für die wissenschaftliche Beurteilung<br />

der Nichtgleichwertigkeit zwischen<br />

neuartigen und konventionellen<br />

Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten<br />

waren die Ausführungen zum DNAund<br />

Proteinnachweis. Hiernach soll<br />

bereits das Vorhandensein der neueingeführten<br />

DNA das Kriterium der<br />

Nichtgleichwertigkeit erfüllen. Dadurch<br />

werden ganz im Sinne der Verbraucherinformation<br />

eine größere Anzahl<br />

von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten<br />

erfaßt. Erst wenn die Identifikation<br />

der neueingeführten DNA versagt,<br />

soll das Proteinkriterium zum Tragen<br />

kommen. Da DNA in Verarbeitungsprozessen<br />

relativ häufig in ihre<br />

Einzelbausteine zerlegt wird, erweitert<br />

die Proteinanalytik den Etikettierungsumfang.<br />

Diese Bestimmungen wurden in<br />

eine sogenannte Ablöseverordnung<br />

(EG Nr. 1139/98) hineingeschrieben.<br />

Sie ist am 1. September 1998 in<br />

Kraft getreten und löst die vorhergehende<br />

Ergänzungsverordnung ab. Die<br />

Ablöseverordnung gilt ausschließlich<br />

für die beiden genannten Soja- und<br />

Maisvarietäten „Roundup Ready Sojabohnen”<br />

und „Novartis Bt-Mais 176”.<br />

Es ist aber davon auszugehen, daß<br />

diese Ausführungen demnächst auf<br />

alle gentechnisch modifizierten Erzeugnisse<br />

angewendet werden.<br />

32<br />

DIE KENNZEICHNUNG<br />

Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten<br />

aus gentechnisch verändertem<br />

Soja oder Mais müssen immer dann<br />

gekennzeichnet werden, wenn sich<br />

die neueingeführte DNA oder das<br />

neueingeführte Protein im Endprodukt<br />

– also dem Produkt, das für den Verbraucher<br />

zum Verzehr bestimmt ist –<br />

nachweisen läßt. In diesen Fällen<br />

muß eine Kennzeichnung mit „aus genetisch<br />

veränderten Sojabohnen hergestellt”<br />

bzw. „aus genetisch verändertem<br />

Mais hergestellt” erfolgen<br />

(Abb. 1). Es müssen nicht beide neuen<br />

Komponenten nachgewiesen werden.<br />

Aber falls sich die neueingeführte<br />

DNA nicht nachweisen läßt, muß<br />

überprüft werden, ob in dem Produkt<br />

noch das neue Protein enthalten ist.<br />

Erst wenn die Nachweise für beide<br />

Komponenten negativ ausfallen, ergibt<br />

sich keine Kennzeichnungspflicht.<br />

Gegenwärtig beschränkt sich<br />

der Nachweis ausschließlich auf die<br />

Detektion der neueingeführten DNA.<br />

Für Soja und Mais stehen in Ringversuchen<br />

überprüfte Verfahren zur Verfügung,<br />

allerdings wurden die Nachweise<br />

in weiterverarbeiteten Produkten<br />

bislang noch nicht so intensiv bearbeitet.<br />

Am Molekularbiologischen<br />

Zentrum der Bundesforschungsanstalt<br />

für Ernährung (BFE) ist für gentechnisch<br />

modifiziertes Soja auch ein Proteinnachweis<br />

entwickelt worden, der<br />

zur Zeit weiter optimiert wird.<br />

Zum Auffinden der veränderten<br />

DNA ist die „Polymerase Chain Reaction”<br />

(PCR) Methode der Wahl. Mit<br />

ihr lassen sich einzelne DNA-Fragmente<br />

exponentiell vervielfältigen und<br />

im weiteren Verlauf identifizieren<br />

(Abb. 2). Die PCR läßt sich mit einem<br />

Kopiergerät im Büro vergleichen, das<br />

von einer Vorlage beliebig viele identische<br />

Kopien produzieren kann.<br />

Die PCR ist ein hochempfindliches<br />

Nachweisverfahren. Um zu verhindern,<br />

daß jede kleine Verunreinigung<br />

des Endprodukts mit neuer DNA zu<br />

einer Kennzeichnung führt, soll ein<br />

Schwellenwert eingeführt werden,<br />

oberhalb dessen erst gekennzeichnet


werden muß. Gegenwärtig ist ein solcher<br />

Schwellenwert noch nicht festgelegt.<br />

In der Diskussion stehen relative<br />

Werte zwischen 1–3 % der neueingeführten<br />

DNA in Bezug auf den Gesamt-DNA-Gehalt.<br />

In der Ablöseverordnung<br />

ist auch eine Negativliste für<br />

Produkte, die nicht gekennzeichnet zu<br />

werden brauchen, aufgenommen<br />

worden. Klassische Beispiele hierfür<br />

sind raffinierte Öle aus Soja oder<br />

Mais.<br />

Zusatzstoffe (zum Beispiel Sojalecithin),<br />

Aromen und Extraktionsmittel<br />

werden von der Novel Food Verordnung<br />

und auch von der Ablöseverordnung<br />

nicht erfaßt. Sie unterliegen somit<br />

auch keiner Kennzeichnung.<br />

Nicht eindeutig ist die Stellung von<br />

Enzymen, die als Verarbeitungshilfsstoffe<br />

verwendet werden. In der EU-<br />

Kommission wird aber bereits eine Regelung<br />

für Enzyme diskutiert.<br />

„GENTECHNIKFREI”<br />

In der Präambel zur Novel Food-<br />

Verordnung wird ausdrücklich darauf<br />

hingewiesen, daß auch eine Kennzeichnung<br />

derart erfolgen kann, daß<br />

das Lebensmittel kein neuartiges Erzeugnis<br />

im Sinne der Verordnung darstellt.<br />

Eine Kennzeichnung „gentechnikfrei”<br />

ist möglich. Auf europäischer<br />

Ebene sind allerdings bis heute die<br />

Begriffe „gentechnikfrei” oder „Ohne<br />

Gentechnik” noch nicht definiert.<br />

Österreich hat im nationalen Rahmen<br />

schon eine entsprechende Regelung<br />

eingeführt, und für Deutschland ist im<br />

Juli 1998 vom Bundesrat eine Gesetzesvorlage<br />

für die Etikettierung „Ohne<br />

Gentechnik” verabschiedet worden.<br />

Diese Regelung steht zur Notifizierung<br />

durch die EU an. Gegenwärtig<br />

werden die Begriffe sehr restriktiv verstanden.<br />

Der Produzent/Vertreiber<br />

muß lückenlos nachweisen können,<br />

daß in keinem Herstellungsschritt –<br />

vom Rohstoff bis zum Endprodukt –<br />

die Gentechnik in irgendeiner Weise<br />

bei dem Lebensmittel eine Rolle gespielt<br />

hat. Nach der deutschen Regelung<br />

dürfen Lebensmittel, die nachweislich<br />

auf keiner Stufe der Herstellung<br />

mit der Gentechnik in Berührung<br />

gekommen sind, mit dem Begriff<br />

„Ohne Gentechnik” gekennzeichnet<br />

werden. Eine Auslobung mit „gentechnikfrei”<br />

ist nicht erlaubt. „Ohne<br />

Gentechnik” bedeutet hier, daß weder<br />

Rohstoffe aus transgenen Pflanzen,<br />

noch Enzyme oder Zusatzstoffe<br />

und Aromen aus gentechnisch veränderten<br />

Mikroorganismen für die Lebensmittelherstellung<br />

verwendet werden.<br />

In der Tierhaltung dürfen keine Futtermittel<br />

oder Futtermittelzutaten aus<br />

transgenen Organismen eingesetzt<br />

werden. Eine Überprüfung ist hier<br />

schwierig. So liefert eine Kuh, die mit<br />

transgenem Soja- oder Rapsschrot<br />

oder Mais gefüttert wurde, keine gentechnisch<br />

veränderte Milch; diese ist<br />

substantiell gleichwertig der Milch<br />

von Kühen, die mit traditionellem Futter<br />

gefüttert worden sind.<br />

Ein analytischer Nachweis des Einsatzes<br />

von transgenem Futter ist im tierischen<br />

Endprodukt nicht möglich.<br />

Hier muß man sich auf die Aufzeichnungspflicht<br />

des Landwirts und die Erklärungen<br />

der Futtermittellieferanten<br />

verlassen.<br />

Der Landwirt ist nicht verpflichtet,<br />

DNA-Nachweise für die Futtermittel<br />

durchführen zu lassen. Solange ein<br />

Landwirt seinen Nutztieren Futter aus<br />

nicht transgenen Pflanzen gibt und<br />

das Futter mit Enzymen, Vitaminen,<br />

Aminosäuren aus nicht transgenen Mikroorganismen<br />

versetzt, kann er die<br />

Erzeugnisse mit „Ohne Gentechnik”<br />

33<br />

LEBENSMITTEL<br />

ausloben. Nicht geklärt ist, wie der<br />

Landwirt mit der Kennzeichnung umgehen<br />

muß, falls er – zum Beispiel in<br />

den Wintermonaten – transgenes<br />

Material zufüttert und dann später<br />

wieder auf nicht transgenes Futter umstellt.<br />

Die Verwendung von Arzneioder<br />

Impfmitteln aus transgenen Organismen<br />

haben keinen Einfluß auf<br />

die Kennzeichnung.<br />

Neu eingeführte DNA darf aber<br />

auch in Lebensmitteln „Ohne Gentechnik”<br />

vorhanden sein, solange<br />

nachgewiesen werden kann, daß<br />

diese DNA unbeabsichtigt oder aufgrund<br />

unvermeidbarer Gegebenheiten<br />

in das Produkt gelangt ist. Letztes<br />

wäre zum Beispiel beim Sammeln<br />

und Transport von konventionellem<br />

Soja in Silos und Schiffen, die zuvor<br />

transgene Sojabohnen enthielten. Es<br />

ist unmöglich, unter wirtschaftlichen<br />

Bedingungen eine Reinigung zu er-<br />

zielen, die eine absolute „Gentechnikfreiheit”<br />

der Anlagen garantieren<br />

würde.<br />

Verbraucher haben einen Anspruch<br />

auf Information über Inhaltsstoffe und<br />

Herstellungsverfahren ihrer Lebensmittel.<br />

Die Etikettierung muß nicht nur<br />

sachgerecht, sondern auch überprüfbar<br />

sein. Kennzeichnung und Überprüfbarkeit,<br />

das heißt die Nachweisbarkeit<br />

der gentechnischen Modifikationen<br />

und die richtige Etikettierung,<br />

sind eng miteinander verbunden. ■<br />

Prof. Dr. Klaus-Dieter Jany, Dr. Ralf<br />

Greiner, Bundesforschungsanstalt für<br />

Ernährung, Haid-und-Neu-Straße 9,<br />

76131Karlsruhe<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />

Abb. 2:<br />

Mit Hilfe der<br />

PCR lassen sich<br />

bestimmte –<br />

also auch gentechnischeingefügte<br />

– DNA-<br />

Fragmente<br />

vervielfältigen<br />

und auf einem<br />

Gel als Banden<br />

sichtbar<br />

machen.<br />

Die Abbildung<br />

zeigt eine PCR-<br />

Untersuchung<br />

von transgenem<br />

Raps.


Abb. 1: Aufgabenstruktur des wissenschaftlichen Personals<br />

an der Biologischen Bundesanstalt<br />

3,6 %<br />

2,6 %<br />

25,0 %<br />

2,6 %<br />

10,7 % 20,9 %<br />

Hoheitsaufgaben und unmittelbar<br />

damit zusammenhängende<br />

<strong>Forschung</strong> 65,3 %<br />

■ Prüfung und Zulassung von<br />

Pflanzenschutzmitteln<br />

■ Geräteliste, Anwendungstechnik<br />

■ Gentechnikgesetz<br />

■ Chemikaliengesetz<br />

■ Resistenzprüfung<br />

■ Erstellung von Richtlinien und Grundsätzen<br />

FORSCHUNG & ADMINISTRATION<br />

Neuentwicklungen auf<br />

dem Prüfstand<br />

Über die Verzahnung von wissenschaftlichen Arbeiten<br />

und behördlichen Entscheidungen<br />

Wohlert Wohlers und Michael Welling (Braunschweig)<br />

Unter den Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums<br />

für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML) befinden sich Einrichtungen, die<br />

gleichzeitig auch als selbständige Bundesoberbehörden tätig sind. Diese Doppelkonstruktion<br />

spiegelt die Notwendigkeit wider, administrative Regelungen und Entscheidungen<br />

auch in äußerst komplexen naturwissenschaftlich-technischen Bereichen treffen<br />

zu müssen – und das gelingt oft nur, wenn auf wissenschaftlichen Sachverstand aus erster<br />

Hand zurückgegriffen werden kann. Pflanzenschutzmittel zum Beispiel werden in<br />

Deutschland von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) zugelassen.<br />

Die Entscheidung, ob und gegebenenfalls mit welchen Auflagen solche Zulassungen<br />

erteilt werden – eine Aufgabe der BBA als Behörde – wäre ohne das wissenschaftliche<br />

Fundament der BBA als <strong>Forschung</strong>sanstalt kaum tragfähig.<br />

8,7 %<br />

Die Aufgaben der Biologischen<br />

Bundesanstalt sind im wesentlichen<br />

im Pflanzenschutzgesetz festgelegt.<br />

Dazu kommen Tätigkeiten, die sich<br />

aus dem Gentechnikgesetz sowie<br />

aus dem Chemikalien- und dem Bundesseuchengesetz<br />

ergeben. Wie<br />

stark die wissenschaftlichen und ad-<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

26,0 %<br />

<strong>Forschung</strong>, die mittelbar zu<br />

Hoheitsaufgaben führt 34,7 %<br />

■ <strong>Forschung</strong> zur Phytopathologie und<br />

zum Pflanzenschutz<br />

■ <strong>Forschung</strong>smanagement, Bibliotheken,<br />

sonstige<br />

ministrativen Arbeitsfelder ineinandergreifen,<br />

zeigen die folgenden<br />

Beispiele. An der BBA sind fast zwei<br />

Drittel des wissenschaftlichen Personals<br />

mit hoheitlichen Pflichten betraut<br />

(Abb. 1). Dabei ermöglicht die Verzahnung<br />

von <strong>Forschung</strong> und Hoheitsaufgaben<br />

ein für eine Behörde<br />

schnelles Reagieren auf neue Entwicklungen<br />

im Bereich der Wissenschaft.<br />

PFLANZENSCHUTZ-<br />

MITTELPRÜFUNG<br />

Pflanzenschutzmittel dürfen in<br />

Deutschland nur in Verkehr gebracht<br />

werden, wenn sie durch die Biologische<br />

Bundesanstalt geprüft und zugelassen<br />

wurden. Die Einrichtungen<br />

zweier anderer Ministerien – das<br />

Umweltbundesamt (UBA) und das<br />

Bundesinstitut für gesundheitlichen<br />

Verbraucherschutz und Veterinärmedizin<br />

(BgVV) – wirken dabei als Einvernehmensbehörden<br />

mit.<br />

34<br />

Für inländische wie für importierte<br />

Pflanzenschutzmittel gelten heute<br />

hohe Anforderungen an den Schutz<br />

von Mensch, Tier und Umwelt. Geprüft<br />

wird nicht nur der Wirkstoff,<br />

sondern auch das Pflanzenschutzmittel<br />

als Ganzes mit all seinen Bestandteilen<br />

einschließlich der Formulierungsstoffe<br />

sowie seine Abbauprodukte.<br />

Dabei beschränkt sich<br />

eine Prüfung nicht nur auf das sorgfältige<br />

Studium der von den Herstellern<br />

gelieferten Unterlagen: Die<br />

BBA-Wissenschaftler führen in einzelnen<br />

Bereichen auch eigene Laborversuche<br />

oder chemische Analysen<br />

durch. Aufgrund der umfangreichen<br />

Prüfvorschriften gehören Pflanzenschutzmittel<br />

zu den am besten<br />

untersuchten Chemikalien überhaupt.<br />

Die Prüfung umfaßt fünf wichtige<br />

Bereiche:<br />

Wirksamkeit<br />

Pflanzenschutzmittel müssen hinreichend<br />

wirksam sein, sonst dürfen


FORSCHUNG & ADMINISTRATION<br />

Die Widerstandsfähigkeit von Zierpflanzen gegen Krankheiten wird erforscht (hier:<br />

Mehltau an Begonien)<br />

sie von der Biologischen Bundesanstalt<br />

nicht zugelassen werden. Dadurch<br />

soll unter anderem eine unnötige<br />

Umweltbelastung durch schlecht<br />

wirksame Mittel verhindert werden.<br />

Mit berücksichtigt wird bei der Prüfung<br />

auch, daß die Pflanzenschutzmittel<br />

zwar die Schaderreger verläßlich<br />

bekämpfen, die behandelten<br />

Kulturpflanzen aber nicht schädigen<br />

sollen.<br />

Da immer wieder Schadorganismen<br />

mit Resistenzen auftreten, ist die<br />

Wirksamkeitsprüfung ein dynamischer<br />

Prozeß mit permanentem <strong>Forschung</strong>sbedarf.<br />

Anwenderschutz<br />

Es muß gewährleistet sein, daß<br />

der Anwender – also der Landwirt,<br />

Gärtner oder Förster – bei einer<br />

sachgerechten und bestimmungsgemäßen<br />

Anwendung nicht gefährdet<br />

ist. Auch eine mögliche Langzeitgefährdung,<br />

wie zum Beispiel<br />

die Erkrankung an Krebs nach 20<br />

oder 30 Jahren, muß nach jeweiligem<br />

Stand der <strong>Forschung</strong> ausgeschlossen<br />

sein.<br />

Verbraucherschutz<br />

Es muß sichergestellt sein, daß<br />

die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln<br />

im Erntegut beziehungsweise<br />

ihre Abbauprodukte so niedrig sind,<br />

daß die Gesundheit der Verbraucherinnen<br />

und Verbraucher nicht gefährdet<br />

wird. Die Lebensmitteluntersuchungsämter<br />

der Länder nehmen<br />

auf den Märkten und in Geschäften<br />

regelmäßig Proben und kontrollieren<br />

sie auf Rückstände. In der BBA werden<br />

diese Verfahren vor allem auf<br />

ihre Praktikabilität hin geprüft, so<br />

daß die Untersuchungsämter einheitliche<br />

Methoden verwenden können.<br />

Die Qualität heutiger Lebensmittel<br />

ist, wie die Kontrollen zeigen, sehr<br />

gut: Nur bei ca. 1 % der Untersuchungen<br />

werden noch – meist geringfügige<br />

– Überschreitungen der<br />

Rückstands-Höchstmengen festgestellt<br />

(Abb. 2).<br />

Boden, Wasser, Luft<br />

Das Verhalten der Pflanzenschutzmittel<br />

im Boden, im Wasser und in<br />

der Luft wird eingehend untersucht.<br />

Die Bodenfruchtbarkeit darf durch<br />

Pflanzenschutzmittel nicht beeinträchtigt<br />

werden. Beim Trinkwasser<br />

besteht ein so hohes Reinheitsgebot,<br />

daß von einem Quasi-Nullwert gesprochen<br />

werden kann: Die erlaubte<br />

Rückstands-Höchstmenge eines<br />

Pflanzenschutzmittelwirkstoffs im<br />

Trinkwasser beträgt 0,1 µg pro Liter<br />

(entspricht 1 Teil auf 10 Milliarden)<br />

und bewegt sich damit nahe an der<br />

derzeitigen Nachweisgrenze.<br />

35<br />

Abtrift von Pflanzenschutzmitteln<br />

ist seit langem ein <strong>Forschung</strong>sgebiet<br />

in der Biologischen Bundesanstalt.<br />

In welchem Ausmaß Pflanzenschutzmittel<br />

verdunsten können, wurde hingegen<br />

erst vor einigen Jahren durch<br />

umfangreiche und schwierige Versuche<br />

festgestellt.<br />

Zeitgemäße Analyseverfahren<br />

sind der Schlüssel für Untersuchungen<br />

zum Verbleib der Präparate. Am<br />

BBA-Institut für ökologische Chemie<br />

wurde zum Beispiel eine Methode<br />

entwickelt, mit der 180 Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe<br />

in einem einzigen<br />

Arbeitsgang nachgewiesen<br />

werden können.<br />

Belebte Umwelt<br />

Die Eigenschaften der Pflanzenschutzmittel<br />

auf die belebte Umwelt<br />

Abb. 2: Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Obst<br />

und Gemüse bzw. in Getreide (Untersuchungsergebnisse<br />

für das Jahr 1996)<br />

Obst und Gemüse<br />

Obst und Gemüse<br />

inländische Erzeugung<br />

ausländische Erzeugung<br />

1 % 4 %<br />

31 % 34 %<br />

68 % 62 %<br />

10 %<br />

Getreide<br />

inländische Erzeugung<br />

0,33 %<br />

90 %<br />

45 %<br />

Proben ohne Rückstände (nicht bestimmbar)<br />

Proben mit Rückständen bis einschl. der Höchstmenge<br />

Proben mit Rückständen über der Höchstmenge<br />

sind ein wichtiges und entscheidendes<br />

Prüfgebiet, da beim ‘Spritzen’<br />

meist nicht nur die Schaderreger getroffen<br />

werden, sondern auch sogenannte<br />

Nicht-Zielorganismen. Um<br />

die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln<br />

in dieser Hinsicht abschätzen<br />

zu können, muß jedes<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />

Getreide<br />

ausländische Erzeugung<br />

5 %<br />

50 %


Gentechnik:<br />

Mit einer<br />

„Genkanone”<br />

lassen sich<br />

fremde Gene in<br />

die Zellen von<br />

einkeimblättrigen<br />

Pflanzen<br />

(z. B. Mais)<br />

hineinschießen<br />

FORSCHUNG & ADMINISTRATION<br />

Präparat eine Reihe von Tests durchlaufen.<br />

Dabei werden bestimmte Organismen<br />

stellvertretend für die Vielzahl<br />

der in Frage kommenden Arten<br />

als Prüfobjekte ausgewählt. Richtlinien<br />

für diese Tests werden von BBA-<br />

Wissenschaftlern – teils in internationaler<br />

Zusammenarbeit – entwickelt<br />

und erprobt. Bestehende Richtlinien<br />

werden nach dem jeweils neuesten<br />

Wissensstand überarbeitet. In diesen<br />

Regelwerken sind zum Beispiel<br />

die Versuchstiere, die Versuchsdurchführung<br />

und die Auswertung der<br />

Tests beschrieben, so daß standardisierte<br />

Prüfungen möglich sind.<br />

Die Tests erfolgen in einem Stufensystem:<br />

Am Beginn stehen Laborversuche,<br />

in denen die direkte Giftigkeit<br />

(Toxizität) oder stark schwächende<br />

Effekte ermittelt werden.<br />

Langjährige Erfahrungen haben gezeigt,<br />

daß diese Versuche in der Regel<br />

den „worst case”, also den härtesten<br />

Test darstellen. Werden hier<br />

keine Gefährdungen festgestellt, so<br />

kann davon ausgegangen werden,<br />

daß die Mittel unter natürlichen Freilandbedingungen<br />

erst recht keine<br />

gravierenden Auswirkungen auf die<br />

getestete Art haben. Ist eine eindeutige<br />

Bewertung aufgrund dieser Labortests<br />

nicht möglich, so können<br />

aufwendigere Versuche unter praxisnahen<br />

Bedingungen folgen (z. B. im<br />

Freilandkäfig oder auf dem Feld).<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

Bedenkliche Mittel werden entweder<br />

nicht zugelassen oder sind so<br />

gekennzeichnet, daß ein Anwender<br />

erkennt, ob beispielsweise Bienen<br />

oder Marienkäfer und andere Nützlinge<br />

geschädigt werden können.<br />

Auflagen und Anwendungsbestimmungen<br />

sollen gewährleisten, daß<br />

bestimmte Gefährdungen, zum Beispiel<br />

ein Eintrag in Gewässer, nicht<br />

eintreten können. Ihre Übertretung<br />

kann mit Bußgeld bis 100.000 DM<br />

geahndet werden.<br />

VERFAHREN IM<br />

UMBRUCH<br />

Zum 1. Juli 1998 ist eine Neufassung<br />

des Pflanzenschutzgesetzes in<br />

Kraft getreten, die die Richtlinie<br />

91/414/EWG der Europäischen<br />

Union zur Harmonisierung der<br />

Pflanzenschutzmittelzulassung in deutsches<br />

Recht umsetzt. Zwar ist eine einheitliche<br />

EU-Zulassung unter anderem<br />

wegen der großen klimatischen Unterschiede<br />

in Europa nicht vorgesehen,<br />

jedoch müssen die Mitgliedstaaten<br />

Zulassungen aus anderen Staaten<br />

übernehmen, wenn keine gravierenden<br />

Gründe dagegen stehen. Es können<br />

künftig nur Mittel zugelassen werden,<br />

deren Wirkstoffe EU-weit geprüft<br />

und akzeptiert sind.<br />

PRÜFUNG VON<br />

PFLANZENSCHUTZ-<br />

GERÄTEN<br />

Pflanzenschutzgeräte müssen<br />

gleichmäßig arbeiten und sicher für<br />

den Landwirt, Winzer oder Gärtner<br />

sein. Die BBA prüft die schriftlich eingereichten<br />

Erklärungen und Unterlagen<br />

für neue Geräte. Die Gerätetypen<br />

werden in die Pflanzenschutzgeräteliste<br />

eingetragen und im<br />

Bundesanzeiger bekanntgegeben.<br />

Nur die in dieser Liste verzeichneten<br />

Typen dürfen in Deutschland verkauft<br />

werden. Die Sicherheitsanforderungen<br />

für Pflanzenschutzgeräte sollen<br />

EU-weit harmonisiert werden. Auch<br />

36<br />

Der Kompostwurm Eisenia foetida ist<br />

Prüfobjekt, um die Auswirkungen von<br />

Pflanzenschutzmitteln auf Bodenorganismen<br />

zu beurteilen (Foto: H. Kula)<br />

hier trägt die BBA mit eigenen <strong>Forschung</strong>en<br />

dazu bei, einheitliche Regelungen<br />

zu erarbeiten.<br />

GENTECHNISCHE<br />

SICHERHEIT<br />

Die Regelungen zum Schutz der<br />

menschlichen Gesundheit und der<br />

Umwelt bei der Freisetzung und dem<br />

Inverkehrbringen gentechnisch veränderter<br />

Organismen sind EU-weit<br />

harmonisiert.<br />

Die Biologische Bundesanstalt<br />

muß – ebenso wie das Umweltbundesamt<br />

und in bestimmten Fällen<br />

auch die Bundesforschungsanstalt<br />

für Viruskrankheiten der Tiere – vor<br />

jeder Freisetzung in Deutschland ihr<br />

Einvernehmen geben, bevor ein entsprechender<br />

Antrag vom Berliner<br />

Robert-Koch-Institut genehmigt wird.<br />

Auch auf diesem Gebiet ist eine umfassende<br />

Begleitforschung unerläß-


FORSCHUNG & ADMINISTRATION<br />

lich, um gentechnische Sicherheitsfragen<br />

kompetent beurteilen zu können.<br />

Innerhalb der BBA wird federführend<br />

vom Institut für Pflanzenviro-<br />

Pestizide oder Pflanzenschutzmittel?<br />

Statt „Pflanzenschutzmittel” wird<br />

häufig das Wort „Pestizid”<br />

verwendet. Es leitet sich aus<br />

dem Englischen ab und umfaßt<br />

dort auch Mittel gegen Hygieneschädlinge<br />

und Lästlinge,<br />

z. B. Flöhe und Stechmücken<br />

(englisch: pests). Im Englischen<br />

gibt es unseren Begriff Pflanzenschutzmittel<br />

nicht, obwohl EUweit<br />

neuerdings der Ausdruck<br />

„plant protection products”<br />

verwendet wird. „Pestizid” stellt<br />

einen ungenauen Begriff dar<br />

und sollte deshalb vermieden<br />

werden. Im Gegensatz dazu<br />

sind die Begriffe „Herbizid”<br />

(gegen Unkräuter/Ungräser,<br />

engl. herbs), „Fungizid”<br />

(gegen Pilze) und „Insektizid”<br />

(gegen Insekten) unstrittig.<br />

logie, Mikrobiologie und biologische<br />

Sicherheit in Braunschweig für<br />

jeden Freisetzungsantrag eine umfassende<br />

Sicherheitsbewertung vorgenommen.<br />

Die Züchter müssen genaue<br />

Angaben machen über die<br />

verwendeten gentechnischen Methoden<br />

und über die Herkunft der<br />

neuen Gene. Die Gesamteigenschaften<br />

der transgenen Organismen<br />

sowie mögliche Auswirkungen<br />

auf den Naturhaushalt werden aufgrund<br />

der gelieferten Informationen<br />

und des durch eigene Arbeiten gewonnenen<br />

Fachwissens abgeschätzt.<br />

Beim Inverkehrbringen von<br />

gentechnisch veränderten Organismen<br />

durch Mitgliedstaaten der EU<br />

wirkt die BBA ebenfalls mit. In Europa<br />

wurden bisher für sechs verschiedene<br />

Kulturarten Genehmigungen<br />

erteilt, unter anderem für die viel diskutierte<br />

herbizidtolerante Sojabohne<br />

und für insektenresistenten Mais (Bt-<br />

Auch<br />

Pflanzenschutzgeräte<br />

wie dieses<br />

Recyclinggerät für<br />

den Weinbau müssen<br />

gesetzliche<br />

Anforderungen<br />

erfüllen<br />

Mais). International liegen inzwischen<br />

umfangreiche Erfahrungen mit<br />

gentechnisch veränderten Kulturpflanzen<br />

vor. 1998 wurden sie weltweit<br />

bereits auf rund 28 Mio. ha<br />

kommerziell angebaut, wobei die<br />

USA mit etwa 20 Mio. ha Anbaufläche<br />

führend sind.<br />

Die in Deutschland durchgeführten<br />

Freilandversuche mit transgenen<br />

Pflanzen werden von <strong>Forschung</strong>sprojekten<br />

begleitet, die auch ökologische<br />

Fragestellungen mit einbeziehen<br />

und wertvolle Daten für die Beurteilung<br />

eventueller Langzeitauswirkungen<br />

liefern. Das BBA-Institut für in-<br />

37<br />

tegrierten Pflanzenschutz in Kleinmachnow<br />

betreut beispielsweise einen<br />

mehrjährigen Feldversuch mit<br />

transgenem Raps und Mais, bei<br />

dem verschiedene Pflanzenschutzaspekte<br />

im Mittelpunkt stehen. Durch<br />

solche praxisnahen Untersuchungen<br />

läßt sich abschätzen, wie sich gentechnisch<br />

veränderte Kulturpflanzen<br />

in moderne Pflanzenschutzkonzepte<br />

einbinden lassen.<br />

FORSCHUNG<br />

FÜR VERBRAUCHER<br />

UND UMWELT<br />

Viele wissenschaftliche Arbeiten<br />

an der BBA fließen unmittelbar in die<br />

ihr gesetzlich übertragenen hoheitlichen<br />

Aufgaben ein. Die Anforderungen<br />

an die Zulassung von<br />

Pflanzenschutzmitteln werden ständig<br />

optimiert und an den Stand der<br />

<strong>Forschung</strong> angepaßt. Molekularbiologische<br />

Arbeiten erlauben es,<br />

Entwicklungen im Bereich der Gentechnik<br />

beurteilen und bewerten zu<br />

können. Praktische Feldversuche geben<br />

Auskunft über den Erfolg neuer<br />

Ansätze im Pflanzenschutz.<br />

Die <strong>Forschung</strong>en bilden damit die<br />

Grundlage für Entscheidungen zum<br />

Wohl der Verbraucher und des Naturhaushalts.<br />

■<br />

Dr. W. Wohlers, Dr. M. Welling,<br />

Biologische Bundesanstalt für Landund<br />

Forstwirtschaft, Messeweg 11-<br />

12, 38104 Braunschweig<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT


WALDBÖDEN<br />

SIND LEBENDIG<br />

Etwa 4.000 bis 5.000 gut sichtbare<br />

Bodentiere (> 2 mm) wurden in<br />

Waldbodenfallen je Quadratmeter<br />

pro Jahr gefangen (vgl. Abb. 1).<br />

Rechnet man noch die mit bloßem<br />

Auge unsichtbaren Lebewesen hinzu,<br />

ergeben sich sogar Individuenzahlen<br />

in Größenordnungen von Billionen<br />

(10 12 ). Für diese Lebewesen<br />

stellt der Waldboden den notwendigen<br />

Lebensraum dar.<br />

Gleichzeitig sind die Waldbodenlebewesen<br />

aber auch für das<br />

Zustandekommen der Böden und<br />

den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit<br />

eine unabdingbare Voraussetzung.<br />

Sie ernähren sich von der alljährlich<br />

anfallenden Blattstreu und wandeln<br />

dabei (manchmal erst nach mehreren<br />

„Fraß-Hierarchien”) die in den<br />

pflanzlichen Resten gespeicherten<br />

Nährstoffe in pflanzenverfügbare<br />

Stoffe (Mineralien) um.<br />

Abhängig von den Standortbedingungen<br />

geschieht dieser Abbau<br />

unterschiedlich schnell. Etwa fünf<br />

Jahre dauert es zum Beispiel, bis in<br />

WALDÖKOLOGIE<br />

Zustand der<br />

deutschen Waldböden<br />

Auswirkungen anthropogener Einflüsse<br />

Barbara Wolff, Winfried Riek und Petra Hennig (Eberswalde)<br />

Die Böden der deutschen Wälder haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert.<br />

Vor allem durch hohe Fremdstoffeinträge aus der Atmosphäre ist die Funktionsfähigkeit<br />

der Waldböden – regional in unterschiedlichem Ausmaß – beeinträchtigt.<br />

Um die Rolle des Bodens im Zusammenhang mit den Immissionsbelastungen<br />

der Waldökosysteme regional differenziert beurteilen zu können, wurde im Zeitraum<br />

von 1987-1993 eine bundesweite Bodenzustandserhebung im Wald (BZE) durchgeführt.<br />

Durch die anschließende Zusammenführung ausgewählter Inventurdaten konnte<br />

an der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft (BFH) erstmalig eine nach<br />

einheitlichen Kriterien erhobene nationale Datenbasis über den Waldbodenzustand und<br />

die Ernährungssituation der Waldbäume aufgebaut werden.<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

einem typischen Buchenwald die<br />

Blattstrukturen in der Bodenstreu<br />

weitgehend zerstört sind, und erst<br />

nach weiteren fünf Jahren entstehen<br />

mineralische Substanzen und lösliche<br />

Humusstoffe, welche die<br />

Abb. 1: Anzahl von Waldbodentieren pro Quadratmeter und Jahr. Durchschnittliche<br />

Fangsummen aus 24 in vier Waldgebieten aufgestellten Bodenfallen<br />

(Photoeklektoren) (Graphik: U. Schulz)<br />

38


WALDÖKOLOGIE<br />

39<br />

schwarze Färbung der obersten Mineralbodenschicht<br />

verursachen (vgl.<br />

Abb. 2). In einem Auwald wird dagegen<br />

die Streu bereits in einem<br />

Jahr abgebaut.<br />

Im Verlauf der Evolution haben<br />

sich unterschiedliche Waldökosystemtypen<br />

an die verschiedensten<br />

Standortverhältnisse angepaßt, immer<br />

jedoch ist der Boden die Schaltstelle<br />

für den Stoffkreislauf in Wäldern.<br />

Hier findet das ökologische<br />

Zusammenspiel von biologischen<br />

(Tiere, Pflanzen), chemischen (z. B.<br />

Nährelementvorräte, Schadstoffkon-<br />

Abb. 2: Der Bohrkern zeigt die obersten<br />

Bodenschichten mit Blattstreu, zunehmender<br />

Zersetzung des organischen Materials<br />

und schwarzer Humusschicht<br />

zentrationen) und physikalischen<br />

(z. B. Wasser, Luft) Faktoren statt,<br />

dessen Ergebnis in der Bodenfruchtbarkeit<br />

zum Ausdruck kommt. Obwohl<br />

die im Boden wirksamen Regelmechanismen<br />

längst noch nicht<br />

alle erforscht sind, haben die Erfahrungen<br />

der Vergangenheit gezeigt,<br />

daß massive oder langanhaltende<br />

Eingriffe in dieses biologische Regelsystem<br />

gravierende Auswirkungen<br />

auch auf das Waldwachstum haben.<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT


WALDBÖDEN SIND SAUER<br />

Unter natürlichen Bedingungen<br />

wird Säure bei mikrobiellen Stoffumwandlungsprozessen,<br />

bei der Atmung<br />

der Wurzeln und der Festlegung<br />

von Nährelementen in der Biomasse<br />

gebildet. Auch periodische<br />

Störungen, wie etwa das Zusam-<br />

Abb. 3: Bodenprofil in einem Buchenmischwald:<br />

Der Bodentyp ist ein Sandbraun-<br />

Podsol; die vertikale Störung rührt von<br />

einem alten Wurzelkanal her<br />

menbrechen alter Waldbestände,<br />

können aufgrund der dann beschleunigt<br />

ablaufenden Mineralisierung<br />

der Humusschicht eine Erhöhung<br />

der Bodenacidität bewirken.<br />

Waldböden sind daher von<br />

Natur aus stets saurer als Ackerböden.<br />

Allerdings stellt diese natürliche<br />

Säurelast kein Problem für die Wälder<br />

dar: Die Waldböden können im<br />

Normalfall darauf mit chemischen<br />

Reaktionen reagieren, das heißt, sie<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

WALDÖKOLOGIE<br />

sind in der Lage, die Säure abzupuffern.<br />

WALDBÖDEN<br />

WERDEN BEOBACHTET<br />

Untersuchungen aus den letzten<br />

20 Jahren in verschiedenen Waldökosystemen<br />

zeigen ernsthafte und<br />

außergewöhnlich schnell ablaufende<br />

Veränderungen des chemischen<br />

Waldbodenzustandes – verursacht<br />

durch Fremdstoffeinträge aus der Atmosphäre.<br />

Überdies kamen viele interdisziplinäre<br />

<strong>Forschung</strong>sprogramme zu<br />

dem Ergebnis, daß auch die seit<br />

Mitte der 70er Jahre in Deutschland<br />

großflächig auftretenden Waldschäden<br />

(Kronenverlichtungen) vielerorts<br />

auf Luftschadstoffe, die in den Boden<br />

eingetragen wurden, zurückzuführen<br />

sind. Von dem Filter-, Pufferund<br />

Stoffumwandlungsvermögen<br />

der Waldböden hängt es nämlich<br />

letztlich ab, ob die im Laufe der Jahre<br />

angesammelten Fremdstoffe zu<br />

ernsthaften Störungen der Lebensgemeinschaft<br />

Wald führen.<br />

BUNDESWEITE BODEN-<br />

ZUSTANDSERHEBUNG<br />

IM WALD (BZE)<br />

Um die Rolle des Bodens im Zusammenhang<br />

mit den Immissionsbelastungen<br />

der Waldökosysteme<br />

regional differenziert beurteilen zu<br />

können, wurde von 1987 bis 1993<br />

eine bundesweite Bodenzustandserhebung<br />

im Wald (BZE) durchgeführt.<br />

Dies geschah in Ergänzung<br />

zur jährlichen Waldzustandserhebung.<br />

Über ganz Deutschland wurde<br />

dafür ein regelmäßiges Gitternetz<br />

mit einer Maschenweite von 8x8 km<br />

gelegt. Jeder Gitternetzschnittpunkt<br />

stellt heute einen BZE-Stichprobenpunkt<br />

dar: Genau dort bzw. in der<br />

nahen Umgebung dieses Punktes<br />

wurde ein Bodenprofil gegraben<br />

(Abb. 3), Bodenproben und Humus-<br />

40<br />

proben entnommen sowie der<br />

Waldzustand eingeschätzt. Überdies<br />

wurden Nadel-/Blattproben<br />

gewonnen, um auch die<br />

Ernährungssituation der Waldbäume<br />

untersuchen zu können.<br />

Die BZE war Teil des bundesweiten<br />

Umweltmonitorings im Wald.<br />

Sie erfolgte in Regie der jeweiligen<br />

Bundesländer. Ausgewählte Inventurdaten<br />

wurden am BFH-Institut für<br />

Forstökologie und Walderfassung in<br />

Eberswalde zusammengeführt und<br />

ausgewertet. Dadurch war es erstmalig<br />

möglich, eine nach einheitlichen<br />

Kriterien erhobene und nach<br />

vergleichbaren Methoden analysierte<br />

nationale Datenbasis über den<br />

Waldbodenzustand und die<br />

Ernährungssituation der Waldbäume<br />

aufzubauen.<br />

Die vorliegenden Kennwerte erlauben<br />

regional differenzierte Aussagen<br />

über:<br />

■ das Ausmaß von Bodenversauerung<br />

und Basenverarmung,<br />

■ die Akkumulation von Schadstoffen,<br />

■ Risiken für Grund- und Quellwasser,<br />

■ Ungleichgewichte in der Baumernährung.<br />

Abb. 4: Zusammenhang zwischen pH-Wert und<br />

Basensättigung. In einem relativ engen Bereich<br />

um pH 4 kommt es zu einem starken Umschwung<br />

in der Basensättigung<br />

Basensättigung (%)<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

karbonathaltige<br />

neutrale Böden<br />

60<br />

Bereich hoher<br />

Versauerungs-<br />

50<br />

40<br />

dynamik<br />

30 extrem<br />

20<br />

10<br />

0<br />

saure<br />

Böden<br />

2,5 3 3,5 4 4,5 5 5,5 6 6,5 7<br />

pH-Wert in 0-10 cm Tiefe


Entnahme einer Bodenprobe<br />

Neben der Dokumentation des<br />

aktuellen Waldboden- und<br />

Ernährungszustandes liefert die BZE<br />

– vor allem im Zusammenhang mit<br />

künftigen Folge-Inventuren – Aussagen<br />

über Ausmaß, Dynamik und<br />

räumliche Verbreitung von Bodenveränderungen.<br />

WALDBÖDEN<br />

WERDEN SAURER<br />

Fallstudien haben zu dem Schluß<br />

geführt, daß anthropogene, säurebildende<br />

Stoffeinträge („Saurer Regen”)<br />

die bodeninternen Puffersysteme<br />

überfordern können.<br />

Ein Indiz für den Säurezustand<br />

des Bodens ist der pH-Wert. Er beschreibt<br />

die im Boden vorhandene<br />

Säurestärke. Absinkende pH-Werte<br />

weisen darauf hin, daß die Säurebelastung<br />

die Pufferrate der Böden<br />

übersteigt. Ab einem pH unter 4,2<br />

(Aluminium-Pufferbereich) gelangen<br />

zunehmend für Lebewesen schädliche<br />

Aluminium- (Al 3+ ), Eisen- (Fe 3+ )<br />

und Wasserstoff-Ionen (H + ) in die<br />

Bodenlösung. Weil Säureeinträge<br />

auch zu stofflichen Umwandlungen<br />

im Boden führen können, ohne daß<br />

sich der pH-Wert merklich ändert, ist<br />

der pH-Wert allein noch kein aussagefähiger<br />

Kennwert zur Beschreibung<br />

von Versauerungserscheinun-<br />

WALDÖKOLOGIE<br />

gen. Die Basensättigung – das heißt<br />

der Anteil der austauschbar gebundenen<br />

basischen Nährelemente – ist<br />

dagegen ein guter Weiser für die<br />

Säureneutralisationskapazität der<br />

Böden. Mit ihr läßt sich bei Berücksichtigung<br />

des Ausgangsgesteins<br />

die Elastizität gegenüber weiteren<br />

Säureeinträgen beurteilen (vgl. Abb.<br />

4).<br />

Entsprechend der geochemischen,<br />

klimatischen und nutzungsgeschichtlichen<br />

Vielfalt der deutschen<br />

Waldböden war für den Säure-/Basenzustand<br />

eine hohe Variabilität zu<br />

erwarten. Gemessen an den erheblichen<br />

Unterschieden im Mineralbestand<br />

der einzelnen Gesteine<br />

(= Substrate) sind die aktuellen substratspezifischen<br />

Unterschiede im<br />

Oberboden (bis in 30 cm Tiefe)<br />

aber ausgesprochen gering. Lediglich<br />

die Kalkstandorte sowie Böden<br />

auf Basalt bzw. Diabas zeichnen<br />

sich durch eine bessere Ausstattung<br />

mit Nährelementen sowie höhere<br />

pH-Werte aus.<br />

Mehr als 80 % der untersuchten<br />

carbonatfreien Standorte befinden<br />

sich bis in die Tiefe von 30 cm in<br />

dem für viele Bodenlebewesen<br />

ungünstigen Aluminium- oder Eisenpufferbereich<br />

(pH < 4.2), mehr als<br />

60 % weisen geringe bis sehr<br />

geringe Basensättigungen auf<br />

(BS < 15 %). Tendenziell höhere<br />

pH-Werte, die nicht auf das Substrat<br />

zurückgeführt werden können, kennzeichnen<br />

das Nordostdeutsche Tiefland<br />

(vgl. Abb. 5). Dies wird auf die<br />

hier in der Vergangenheit vergleichsweise<br />

geringeren Säuredepositionen<br />

in Verbindung mit hohen Einträgen<br />

basischer Flugaschen zurückgeführt.<br />

Generell nimmt der Basenanteil<br />

mit zunehmender Tiefe zu. Im Unterboden<br />

(bis 140 cm Tiefe) weisen<br />

noch etwa ein Drittel der BZE-Standorte<br />

hohe Pufferreserven auf; insgesamt<br />

überwiegen aber geringe<br />

bis mäßige Basensättigungsgrade<br />

(BS 5–30 %).<br />

Die BZE-Stichprobe belegt, daß<br />

mit Ausnahme der Kalkstandorte von<br />

41<br />

einer flächendeckenden, weitgehend<br />

substratunabhängigen Versauerung<br />

und Basenverarmung im<br />

Oberboden ausgegangen werden<br />

muß.<br />

DIE BODENFRUCHTBARKEIT<br />

LEIDET<br />

Nimmt der pH-Wert ab, können<br />

wichtige Bodenlebewesen nicht<br />

mehr an der Zersetzung der Bodenstreu<br />

teilhaben. Die Streu sammelt<br />

sich, und die darin enthaltenen<br />

Nährstoffe werden (zumindest vorübergehend)<br />

dem Stoffkreislauf entzogen.<br />

Die BZE-Auswertung hat gezeigt,<br />

daß sich vor allem bei denjenigen<br />

Standorten, die schon von<br />

Natur aus nährstoffarm sind, derzeit<br />

der überwiegende Anteil der kurzbis<br />

mittelfristig verfügbaren Nährele-<br />

mente in der Humusauflage und<br />

nicht mehr im Mineralboden befindet.<br />

Durch die gleichzeitig zu beobachtende<br />

Basenauswaschung aus<br />

dem Mineralboden geraten die<br />

Waldökosysteme in eine zunehmend<br />

instabile Versorgungssituation.<br />

Insbesondere für Magnesium stellen<br />

sich bereits heute – schwerpunktmäßig<br />

in den Mittelgebirgslagen –<br />

Mangelsituationen ein.<br />

Bei der Bewertung der Ernährungssituation<br />

der Waldbäume anhand<br />

der Nadel-/Blattanalysedaten<br />

deutet sich überdies vor allem im<br />

nördlichen Teil Deutschlands eine<br />

Überernährung mit Stickstoff an. Zu-<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />

Bodenproben<br />

werden im<br />

Labor für die<br />

chemische<br />

Analyse<br />

vorbereitet


FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

WALDÖKOLOGIE<br />

Abb. 5: Räumliche Verteilung der pH-Werte (in 10-30 cm Bodentiefe) im deutschen Bundesgebiet<br />

42


dem weisen alle beprobten Kiefern<br />

und Buchen sowie 59 % der Fichten<br />

erhöhte Schwefelgehalte auf, so<br />

daß von einer flächendeckenden,<br />

wenn auch regional unterschiedlich<br />

hohen, Schwefel-Immissionseinwirkung<br />

auszugehen ist.<br />

Die großräumige Immissionsbelastung<br />

der Waldböden zeigt sich<br />

auch bei der Betrachtung der<br />

Schwermetallgehalte in der Humusauflage.<br />

Auf 25 % bzw. 38 % der<br />

BZE-Standorte wurden Blei- und<br />

Kupfergehalte gemessen, die für<br />

wichtige Bodenorganismen im Stoffkreislauf<br />

der Wälder giftig sind.<br />

DIE WASSERQUALITÄT<br />

LEIDET<br />

Waldböden speichern das Niederschlagswasser<br />

und geben es nur<br />

langsam wieder ab. Im Verlauf der<br />

Versickerung durch den Waldboden<br />

wird das Niederschlagswasser von<br />

Schadstoffen gereinigt. Diese Filterwirkung<br />

von Waldstandorten ist für<br />

die Trinkwassergewinnung von essentieller<br />

Bedeutung.<br />

Heute ist jedoch festzustellen,<br />

daß die mit der Bodenversauerung<br />

einhergehende Mobilisierung von<br />

Aluminium, Eisen und Mangan zu<br />

erhöhten Konzentrationen dieser Elemente<br />

im abfließenden Sicker- und<br />

Oberflächenwasser der Wälder<br />

führt.<br />

Überdies stellt die Verlagerung<br />

von versauerungsbedingt mobilisierten<br />

Schwermetallen ein Gefahrenpotential<br />

für die Hydrosphäre dar.<br />

Die BZE-Auswertungen legen den<br />

Schluß nahe, daß in Belastungsgebieten<br />

mit hohen Schwermetalleinträgen<br />

aus der Atmosphäre davon<br />

auszugehen ist, daß bei den beobachteten<br />

niedrigen pH-Werten im<br />

Oberboden bereits größere Mengen<br />

Zink und Cadmium ausgewaschen<br />

worden sind.<br />

Angesichts der bedeutenden luftverfrachteten<br />

Stickstoffeinträge in<br />

Wälder und der Ansammlung von<br />

Stickstoff in den Humusauflagen der<br />

WALDÖKOLOGIE<br />

sauren Waldböden muß außerdem<br />

bei einem beschleunigtem Humusvorratsabbau<br />

mit erhöhten Nitratausträgen<br />

aus den betroffenen Waldökosystemen<br />

gerechnet werden.<br />

DIE WALDÖKOSYSTEME<br />

SIND GESTÖRT<br />

Wie die bundesweite Bodenzustandserhebung<br />

im Wald (BZE) gezeigt<br />

hat, sind die Filter-, Puffer- und<br />

Stoffumwandlungseigenschaften der<br />

Waldböden in vielen Regionen gestört.<br />

Erste integrierende Auswertungen<br />

von bodenchemischen und<br />

ernährungskundlichen Daten sowie<br />

den Ergebnissen der terrestrischen<br />

Waldzustandserhebung haben zudem<br />

Zusammenhänge zwischen<br />

dem Bodenzustand, dem Ernährungszustand<br />

und der Vitalität der<br />

Waldbäume deutlich werden lassen.<br />

Natürlich sind längst noch nicht<br />

alle Wirkungsmechanismen in<br />

Waldökosystemen bekannt. Durch<br />

die BZE konnte aber bereits jetzt sicher<br />

festgestellt werden, daß viele<br />

Waldböden ihre Aufgabe in einem<br />

funktionierenden Waldökosystem<br />

nur noch eingeschränkt wahrnehmen<br />

können. Die Selbstregulationsfähigkeit<br />

der Wälder ist überschritten,<br />

Vitalitätseinbußen der Waldbäume<br />

sind die Folge. Nur durch<br />

ein konsequentes, aber behutsames,<br />

umweltbewußtes Handeln wird es<br />

möglich sein, die eingetretenen<br />

Schäden teilweise zu beheben.<br />

Für die Forstwirtschaft bedeutet<br />

dies, aus standortangepaßten,<br />

IMPRESSUM<br />

FORSCHUNGSREPORT<br />

Ernährung – Landwirtschaft –<br />

Forsten<br />

2/1998 (Heft 18)<br />

Herausgeber:<br />

Senat der Bundesforschungsanstalten<br />

im Geschäftsbereich des Bundesministeriums<br />

für Ernährung,<br />

Landwirtschaft und Forsten<br />

43<br />

Schriftleitung & Redaktion:<br />

Dr. M. Welling<br />

Geschäftsstelle des Senats<br />

der Bundesforschungsanstalten<br />

c/o Biologische Bundesanstalt für<br />

Land- und Forstwirtschaft,<br />

Messeweg 11/12,<br />

38104 Braunschweig<br />

Tel.: 0531 / 299-3396<br />

Fax: 0531 / 299-3001<br />

E-mail: senat@bba.de<br />

Redaktionsbeirat:<br />

Dr. P.W. Wohlers, BBA Braunschweig<br />

Dr. H. Brüning, BAZ Grünbach<br />

möglichst tiefwurzelnden Baumarten<br />

stabile und – soweit standörtlich<br />

möglich – artenreiche Mischbestände<br />

herauszupflegen. Humusschonende<br />

Bewirtschaftungsweisen, die<br />

Vermeidung von Kahlschlägen sowie<br />

die Verringerung überhöhter<br />

Wildbestände sind dabei unbedingt<br />

zu berücksichtigen.<br />

Allerdings können Waldbewirtschaftungsverfahren<br />

– ebenso wie<br />

Bodenschutzkalkungen und Ergänzungsdüngungen<br />

– die Probleme<br />

nur begrenzt entschärfen. Eine weitere<br />

Reduzierung von Luftschadstof-<br />

fen und eine konsequente Luftreinhaltepolitik<br />

sind daher für die Erhaltung<br />

der Waldökosysteme zwingend<br />

erforderlich. ■<br />

Dr. B. Wolff, Dr. W. Riek und P. Hennig,<br />

Bundesforschungsanstalt für<br />

Forst- und Holzwirtschaft, Institut für<br />

Forstökologie und Walderfassung,<br />

Postfach 10 01 47, 16201 Eberswalde<br />

Online-Redaktion:<br />

TAKO<br />

Auf dem Äckerchen 11<br />

53343 Wachtberg<br />

Tel.: 0228 / 9323213<br />

E-mail: frohberg@tako.de<br />

Konzeption, Satz und<br />

Druck:<br />

AgroConcept GmbH<br />

Clemens-August-Str. 12-14<br />

53115 Bonn<br />

Tel.: 0228/969426-0<br />

Fax: 0228/630311<br />

Internet-Adresse:<br />

http://www.dainet.de/senat/<br />

Bildnachweis:<br />

AgroConcept GmbH, Bonn<br />

D. Fraatz, BBA Braunschweig<br />

M. Welling, Braunschweig<br />

Erscheinungsweise:<br />

Der <strong>Forschung</strong>sReport erscheint<br />

zweimal jährlich<br />

Nachdruck, auch auszugsweise,<br />

mit Quellenangabe zulässig<br />

(Belegexemplar erbeten)<br />

ISSN 0931-2277<br />

Druck auf chlorfrei gebleichtem<br />

Papier<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />

Die Bodenversauerung<br />

kann<br />

Oberflächengewässer<br />

in<br />

Wäldern<br />

beeinträchtigen


Das Institut für<br />

Tierzucht und<br />

Tierverhalten<br />

ist ein<br />

ehemaliges<br />

Klostergut,<br />

eingebettet in<br />

den dörflichen<br />

Charakter ca.<br />

20 km<br />

nordwestlich<br />

von Hannover<br />

UMSTRUKTURIERUNG<br />

Seit dem 1. Januar 1998 werden<br />

das Institut für Tierzucht und Tierverhalten<br />

Mariensee und das Institut für<br />

Kleintierforschung Celle/Merbitz als<br />

Institut für Tierzucht und Tierverhalten<br />

Mariensee mit vier Außenstandorten<br />

(Trenthorst/Wulmenau, Celle, Höfer,<br />

Merbitz) weitergeführt. Die Außenstandorte<br />

werden in Folge des Rahmenkonzeptes<br />

des BML nach einem<br />

mehrstufigen Umsetzungskonzept in<br />

den nächsten Jahren geschlossen, wobei<br />

die Aufgaben an die FAL-Standorte<br />

Mariensee und Braunschweig (Geflügelernährung)<br />

verlegt werden.<br />

Auch fachliche Gründe sprechen für<br />

eine Umstrukturierung der Nutztierforschung<br />

der FAL mit Konzentration am<br />

Standort Mariensee: Bestehende, hi-<br />

PORTRAIT<br />

BUNDESFORSCHUNGSANSTALT FÜR <strong>LANDWIRTSCHAFT</strong> (FAL)<br />

Institut für Tierzucht und Tierverhalten<br />

Mariensee<br />

Rund 63 % der Verkaufserlöse der deutschen Landwirtschaft (ca. 38 Mrd. DM) stammen<br />

aus der tierischen Produktion. Die Hauptzielsetzung ist eine international<br />

wettbewerbsfähige Erzeugung hochwertiger Produkte für den menschlichen Konsum<br />

unter Berücksichtigung von Verbraucherwünschen, Gesundheit und Schutz der Tiere,<br />

Erhaltung der genetischen Vielfalt sowie Umweltverträglichkeit. Dabei ist die Tierproduktion<br />

auf eine ebenso wettbewerbsfähige wie innovative <strong>Forschung</strong> angewiesen. Das<br />

Institut für Tierzucht und Tierverhalten Mariensee erarbeitet als Ressortforschungsinstitut<br />

auf den genannten Gebieten wissenschaftliche Grundlagen als Entscheidungshilfe für<br />

das BML und erweitert den wissenschaftlichen Erkenntnisstand.<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

storisch begründete Grenzen zwischen<br />

Groß- und Kleintierforschung<br />

sind nicht länger aufrecht zu erhalten.<br />

Wissensbasis, Fragen, Problemstellungen<br />

und Methodenrepertoire sind<br />

sehr ähnlich; Effizienz, Verbesserung<br />

und Optimierung der Nutzung verfügbarer<br />

Ressourcen durch fachliche und<br />

räumliche Zusammenführung von fünf<br />

auf einen Standort lassen eine Verbesserung<br />

der wissenschaftlichen Effizienz,<br />

der interdisziplinär-fachlichen Interaktion<br />

und der Wahrnehmung von<br />

Ressortaufgaben erwarten.<br />

Die künftigen Arbeitsschwerpunkte<br />

sind im „Wissenschaftlichen und organisatorischen<br />

Konzept der FAL für<br />

das Institut für Tierzucht und Tierverhalten”<br />

aus dem Jahre 1997 niedergelegt<br />

und nachfolgend verkürzt wiedergegeben.<br />

44<br />

FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE<br />

Genetik und<br />

Genetische Ressourcen<br />

■ Züchtungs- und Populationsgenetik:<br />

Erarbeitung methodischer und theoretischer<br />

Kenntnisse vor allem im<br />

Bereich statistischer Modelle für die<br />

Tierzucht; Anwendung genetischstatistischer<br />

Verfahren unter Nutzung<br />

neuer biotechnologischer Entwicklungen;<br />

Planung und Bewertung<br />

von Zuchtprogrammen; Weiterentwicklung<br />

von wissenschaftlichen<br />

Grundlagen der Leistungsprüfung;<br />

Züchterische Einflüsse auf Verhaltensmerkmale(Verhaltensgenetik).<br />

■ Molekulargenetik und molekulare<br />

Marker: Nutzung molekularbiologischer<br />

Verfahren für die Züchtung;<br />

Aufklärung der Zusammenhänge<br />

von Struktur, Organisation und<br />

Funktion von Genen als Voraussetzung<br />

für den Gentransfer bei landwirtschaftlichen<br />

Nutztieren.<br />

■ Tiergenetische Ressourcen: Nutzung<br />

populationsgenetischer und<br />

molekulargenetischer Verfahren zur<br />

Identifizierung von Populationen;<br />

Erarbeitung von Methoden und<br />

Strategien zur Erhaltung nutztiergenetischer<br />

Ressourcen.<br />

Nutztierphysiologie<br />

■ Erarbeitung systemphysiologischer<br />

Zusammenhänge der Körperfunktion<br />

landwirtschaftlicher Nutztiere:<br />

Regulation des prä- und postnatalen<br />

Wachstums, Regulation der Reproduktion,<br />

Regulation des Verhaltens.<br />

■ Erforschung molekularer und physiologischer,<br />

besonders endokriner<br />

Regelsysteme: von Wachstum, Reproduktion<br />

und Adaptation und<br />

von Verhaltensäußerungen.


Produktqualität von landwirtschaftlichen<br />

Nutztieren ist mit Hilfe der Computertomographie<br />

bereits am lebenden Tier<br />

feststellbar<br />

■ Leistungsphysiologie der Tierproduktion:<br />

zur Erkennung und Bewertung<br />

von physiologischen Grenzen.<br />

■ Biologische Folgenabschätzung:<br />

von bio- und gentechnischen Verfahren,<br />

von züchtungsbedingten<br />

Veränderungen genomischer Expression.<br />

■ Entwicklung von Methoden in der<br />

Nutztierphysiologie: zur Abschätzung<br />

des Bedarfs der Tiere, zum<br />

Schutz der Tiere.<br />

Biotechnologie<br />

■ Entwicklung neuer Verwendungsmöglichkeiten<br />

und Nutzung landwirtschaftlicher<br />

Nutztiere (transgene<br />

Tiermodelle als Produktionsalternativen).<br />

■ Biotechnologie-Folgeabschätzung<br />

zum Schutz von Tier und Konsument<br />

(Molekulare und zellbiologische<br />

Regulation der frühen Embryonalentwicklung<br />

und Differenzierung<br />

– Genexpression).<br />

■ Entwicklung von Biotechnologien<br />

zur Erhaltung tiergenetischer Ressourcen<br />

(Reifung und Befruchtung<br />

von Oocyten und in vitro Entwicklung<br />

von Embryonen).<br />

■ Entwicklung biotechnischer Verfahren<br />

als Beitrag zur Sicherung der<br />

Ernährung der Weltbevölkerung.<br />

Haltung und Tierschutz<br />

■ Bewertung, Weiterentwicklung<br />

und Optimierung von Haltungs-<br />

PORTRAIT<br />

systemen unter Gesichtspunkten<br />

des biologischen Bedarfs, der Tiergesundheit,<br />

der Ökologie und der<br />

Ökonomie.<br />

■ Ermittlung des biologischen Bedarfs<br />

unter besonderer Berücksichtigung<br />

von Motivation, Furcht, Verhaltensontogenese,<br />

-adaptation,<br />

-rhythmizität und -expression bei<br />

Haltung und Transport.<br />

■ Untersuchungen zum Einfluß und<br />

zur Bedeutung natürlicher und technisch<br />

bedingter Umweltfaktoren<br />

auf Funktion und Verhalten von<br />

Nutztieren.<br />

■ Methodische Entwicklungen insbesondere<br />

zu tierschutzrelevanten<br />

Fragestellungen.<br />

Prozeß- und<br />

Produktqualität<br />

■ Interaktionen zwischen Produktqualität,<br />

Umwelt, Haltungsverfahren,<br />

Leistungsfähigkeit, Gesundheit und<br />

Hygiene.<br />

■ Magnet-Resonanz-Analysen von<br />

Körperzusammensetzung und von<br />

Qualitätsmerkmalen während des<br />

Wachstums und bei der Fleischerzeugung.<br />

■ Neue Methoden und Überprüfung<br />

der Qualitätsbewertung, Tiergesundheit<br />

und Bestandshygiene.<br />

■ Entwicklung, Erprobung und Einführung<br />

molekularbiologischer Methoden<br />

für die Diagnostik und Epidemiologie<br />

tier-, produkt- und prozeßhygienisch<br />

relevanter bakterieller<br />

Erreger.<br />

INFRASTRUKTUR<br />

Das Aufgabenspektrum des Instituts<br />

ist nur über eine Verstärkung des planmäßigen<br />

Wissenschaftlerstammes<br />

durch zahlreiche Gastwissenschaftler<br />

aus dem In- und Ausland sowie durch<br />

Drittmittel zu bewältigen. Darüber hinaus<br />

wird eine intensive Zusammenarbeit<br />

mit universitären und außeruniversitären<br />

Einrichtungen im In- und Ausland<br />

gepflegt.<br />

Neben Standardlaboratorien, (Biophysikalische<br />

Meßwerterfassung,<br />

45<br />

Molekularbiologie bis zur Sicherheitsstufe<br />

2, Hormonanalytik, Zellkultur,<br />

Mikrobiologie, Histologie, Verhaltensforschung<br />

einschließlich Bioakustik)<br />

verfügt das Institut über spezielle Versuchseinrichtungen<br />

für landwirtschaftliche<br />

Nutztiere (Magnet-Resonanz-Tomographie<br />

für Tiere, Hochgeschwindigkeitslaufband,<br />

Operationsräume,<br />

Klimastall, Brüterei, Schlachtanlagen<br />

u.a.m.).<br />

Die Versuchswirtschaften stehen für<br />

die versuchsmäßige Unterbringung<br />

und Versorgung von Rindern, Schafen,<br />

Schweinen, Pferden sowie Geflügel<br />

und Kaninchen mit modernen Stallungen,<br />

Ausläufen und schlagkräftiger<br />

Außenwirtschaft bereit.<br />

Das Institut nimmt Diplomanden,<br />

Doktoranden und Postdocs auf. Es ist<br />

anerkannte Weiterbildungsstätte für<br />

Tierärzte zum Fachtierarzt für Physiologie<br />

und Physiologische Chemie, Mikrobiologie<br />

sowie Reproduktionsmedizin.<br />

Außerdem ist es Ausbildungsstätte<br />

für Biologielaboranten, land-<br />

wirtschaftlich technische Assistenten/innen<br />

(Schwerpunkt Tierproduktion),<br />

für Tierwirte (Geflügel), für Handwerker<br />

(Feinmechaniker), landwirtschaftliche<br />

Gehilfen und Landmaschinenmechaniker.<br />

■<br />

Prof. Dr. sc. agr. Dr. habil. Dr. h.c.<br />

Franz Ellendorff (M.Sc.), Bundesforschungsanstalt<br />

für Landwirtschaft<br />

(FAL), Institut für Tierzucht und Tierverhalten,<br />

Höltystraße 10, 31535 Neustadt<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />

<strong>Forschung</strong>sarbeiten<br />

zur<br />

Erhaltung<br />

genetischer<br />

Ressourcen<br />

(hier das<br />

Schwarzbunte<br />

Niederungsrind)<br />

und zur<br />

umweltgerechtenFlächenbewirtschaftung<br />

werden<br />

durch größere<br />

Tierbestände<br />

und Flächen<br />

ermöglicht


Dem Institut für landwirtschaftliche<br />

Kulturen (ILK) stehen nach dem Feinkonzept<br />

2005 für die <strong>Forschung</strong> im<br />

Ressortbereich des Bundesministeriums<br />

für Ernährung, Landwirtschaft<br />

und Forsten (BML) 35 Personalstellen<br />

aus Haushaltsmitteln zur Verfügung,<br />

davon zwölf Wissenschaftlerstellen.<br />

Aus Drittmitteln sind zur Zeit weitere<br />

acht wissenschaftliche und technische<br />

Mitarbeiter angestellt.<br />

Das ILK unterhält circa 2600 m 2<br />

Gewächshausfläche, zum Teil als klimatisierbareKabinengewächshäuser<br />

und S1-Gentechnik-Arbeitsbereiche,<br />

sowie rund 900 m 2 Molekularbiologie-,<br />

Biotechnologie-, Radionuklid-,<br />

Resistenzlaborflächen sowie<br />

sonstige Arbeitsräume. Gemeinsam<br />

mit dem Nachbarinstitut werden<br />

52 ha Versuchsfläche einschließlich<br />

Freisetzungsflächen bewirtschaftet.<br />

AUFGABEN<br />

Das ILK hat die Aufgabe, für ausgewählte<br />

landwirtschaftliche Kulturarten<br />

genetisch definiertes Basismaterial<br />

zu erstellen und effiziente Züchtungsmethoden<br />

zu erarbeiten. Hierbei<br />

stehen Aspekte der gesunden<br />

PORTRAIT<br />

BUNDESANSTALT FÜR ZÜCHTUNGSFORSCHUNG AN KULTURPFLANZEN<br />

Institut für landwirtschaftliche<br />

Kulturen, Groß Lüsewitz<br />

Mit der Gründung der Bundesanstalt<br />

für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen<br />

(BAZ) am 1. Januar 1992<br />

wurden am Standort Groß Lüsewitz bei Rostock<br />

drei Institute eingerichtet: Das Institut<br />

für Streßphysiologie und Rohstoffqualität,<br />

das Institut für Züchtung landwirtschaftlicher<br />

Kulturpflanzen und das Institut für<br />

Züchtungsmethodik landwirtschaftlicher<br />

Kulturpflanzen. Die beiden letztgenannten<br />

Institute wurden im Mai 1998 zum Institut<br />

für landwirtschaftliche Kulturen zusammengefaßt.<br />

Merkmalsgene für die markergestützte Selektion werden isoliert und charakterisiert<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

Pflanze, der Produktqualität sowie<br />

der nachwachsenden Rohstoffe im<br />

Vordergrund.<br />

Die Auswahl der bearbeiteten<br />

landwirtschaftlichen Kulturpflanzen<br />

orientiert sich am langfristigen <strong>Forschung</strong>sbedarf<br />

sowie an den regionalen<br />

ökologischen und pflanzenbaulich-züchterisch<br />

relevanten Gegebenheiten.<br />

Die gegenwärtig bearbeiteten<br />

ca. 30 <strong>Forschung</strong>sprojekte<br />

befassen sich mit Raps und anderen<br />

Brassicaceen, Kartoffel, Gerste, Roggen,<br />

Hafer, Triticale und Weidelgräsern.<br />

ERSTELLUNG VON<br />

BASISMATERIAL<br />

Das ILK erstellt Ausgangsmaterial<br />

für die Pflanzenzüchtung mit genetisch<br />

definierten Merkmalen. Dafür<br />

werden sowohl klassische als auch<br />

biotechnologische und gentechnische<br />

Methoden angewendet.<br />

Arbeitsschwerpunkte bei der Kartoffel<br />

sind dauerhafte Resistenzen gegenüber<br />

dem Pilz Phytophthora infestans<br />

und Erregern der Knollenfäulen,<br />

Kaltlagerungseignung im Hinblick<br />

auf die Kartoffelverarbeitung und in<br />

46<br />

begrenztem Maße die Züchtung auf<br />

diploider Valenzstufe. Die Resistenzzüchtung<br />

bedient sich zum einen<br />

langfristig angelegter Kreuzungs- und<br />

Selektionsprogramme, um aus verwandten,<br />

kreuzbaren Wildarten der<br />

Kartoffel wertvolle Resistenzgene in<br />

das Genom der Kulturkartoffel einzulagern.<br />

Zum anderen werden auch<br />

nicht kreuzbare Solanum-Arten als<br />

Resistenzquelle genutzt, indem durch<br />

die Fusion zellwandloser Pflanzenzellen<br />

(Protoplastenfusion) die Genome<br />

verschiedener Partner miteinander<br />

kombiniert werden.<br />

Die züchterischen Aktivitäten bei<br />

Raps konzentrieren sich gegenwärtig<br />

auf die Bearbeitung der Ölqualität<br />

und die Nutzung der Selbstinkompatibilität<br />

als System der Befruchtungskontrolle.<br />

Für die Verwendung als<br />

nachwachsender Rohstoff können<br />

Rapsformen erzeugt werden, die besonders<br />

hohe Gehalte an bestimmten<br />

Fettsäuren im Samenöl aufweisen.<br />

Hierzu werden am ILK neben klassisch-züchterischen<br />

auch gentechnische<br />

Methoden angewandt, um<br />

durch die Übertragung von Genen<br />

aus ölreichen Wildpflanzen oder anderen<br />

Organismen das hohe natürliche<br />

Öl-Ertragspotential von Raps mit


der Fähigkeit zur Synthese spezifischer<br />

Fettsäuren zu kombinieren.<br />

Die Aktivitäten bei Getreide und<br />

Gräsern konzentrieren sich auf die<br />

Erzeugung krankheitsresistenten Materials<br />

unter Berücksichtigung der<br />

agronomischen Leistungsmerkmale.<br />

Schwerpunkte sind das Screening<br />

von Genbankmaterial und dessen<br />

Nutzung als genetische Ressource für<br />

Resistenzgene gegenüber Blattkrankheiten<br />

bei Roggen und Weidelgras,<br />

Virusresistenz bei Hafer sowie gegenüber<br />

Ähren- und Blattkrankheiten<br />

bei Triticale.<br />

ERARBEITUNG VON<br />

ZÜCHTUNGSMETHODEN<br />

Eine Reihe züchtungsmethodisch<br />

ausgerichteter Arbeiten befaßt sich<br />

mit der Entwicklung molekularer Marker<br />

für die markergestützte Selektion<br />

auf Resistenz- und Qualitätsmerkmale.<br />

Möglichkeiten zum Einsatz der<br />

Selbstinkompatibilität oder gentechnisch<br />

erzeugter männlicher Sterilität<br />

für die Züchtung bei Raps sind Gegenstand<br />

weiterer Projekte.<br />

Züchtungsmethodisch orientiert<br />

sind auch Arbeiten, die sich mit der<br />

PORTRAIT<br />

Sich aus Mikrosporen entwickelnde Raps-<br />

Embryonen in Flüssigmedium<br />

Entwicklung molekularer Nachweismethoden<br />

zur Identifizierung transgener<br />

Pflanzen im Züchtungsprozeß<br />

oder mit der Isolierung von Genen für<br />

die Befruchtungskontrolle bei Gräsern<br />

befassen. Im Bereich der biotechnologischen<br />

Verfahren wird nach<br />

Möglichkeiten gesucht, die züchterisch<br />

nutzbare genetische Variabilität<br />

bei Solanaceen und Brassicaceen<br />

durch Fusion von Protoplasten (zellwandlose<br />

Zellen) zu verbreitern. In<br />

weiteren Arbeiten werden Methoden<br />

Test auf Braunfäuleresistenz von Kartoffelknollen. Äußere Reihen: anfällige Genotypen<br />

mit gering bzw. stark ausgeprägter Verbräunung; mittlere Reihe: BAZ-Zuchtstamm mit<br />

hoher Resistenz<br />

47<br />

zur gentechnischen Bearbeitung von<br />

Kulturpflanzen optimiert.<br />

ARBEITSGRUPPEN<br />

Drei Arbeitsgruppen widmen sich<br />

den unterschiedlichen methodischen<br />

Aspekten der <strong>Forschung</strong>sprojekte.<br />

Die einzelnen Projekte werden integriert<br />

– das heißt möglichst unter Beteiligung<br />

jeder Arbeitsgruppe – bearbeitet.<br />

Am Beispiel der <strong>Forschung</strong>sarbeiten<br />

am Raps soll dies illustriert<br />

werden.<br />

In der AG „Biotechnologie” wird<br />

Raps mit Genkonstrukten unterschiedlicher<br />

Art transformiert, um die Ölqualität<br />

entsprechend den jeweiligen<br />

Zuchtzielen modifizieren zu können.<br />

Die transformierten Gewebe werden<br />

in vitro zu vollständigen Pflanzen regeneriert<br />

und den beteiligten externen<br />

Partnern für züchterische Arbeiten<br />

zur Verfügung gestellt.<br />

Die AG „Molekulare Züchtungsmethoden”<br />

charakterisiert transgene<br />

Rapslinien hinsichtlich der Anzahl<br />

eingefügter Genkopien. Für spezifische<br />

Transgene werden PCR-Assays<br />

entwickelt und optimiert, so daß mit<br />

ihnen Typisierungen mit hohem Probendurchsatz<br />

möglich sind.<br />

Die AG „Züchtung/Basismaterial”<br />

führt mehrjährige Freisetzungsversuche<br />

mit dem Ziel durch, die Merkmalsausprägung<br />

der eingeführten<br />

Gene unter Freilandbedingungen zu<br />

testen. Hierzu werden größere Mengen<br />

an Rapssamen im Feld produziert<br />

und zum einen im eigenen Labor<br />

in ihrer Fettsäurezusammensetzung<br />

charakterisiert. Zum anderen werden<br />

Samenpartien im Pilotmaßstab an Ölmühlen<br />

weitergegeben, welche die<br />

technologischen Parameter des transgenen<br />

Materials im Hinblick auf dessen<br />

industrielle Nutzung als nachwachsender<br />

Rohstoff testen. ■<br />

Priv.-Doz. Dr. Peter Wehling, Bundesanstalt<br />

für Züchtungsforschung an<br />

Kulturpflanzen, Institut für landwirtschaftliche<br />

Kulturen, Rudolf-Schick-<br />

Platz 1, 18190 Groß Lüsewitz<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT


Biotechnologische<br />

Verfahren<br />

könnten in<br />

Zukunft<br />

die Tierkennzeichnung<br />

durch<br />

Ohrmarken<br />

ergänzen<br />

Bundesanstalt für<br />

Fleischforschung und<br />

Bundesforschungsanstalt für<br />

Viruskrankheiten der Tiere<br />

Immunologische<br />

Ohrmarke für<br />

Rinder<br />

Biomarkierung als Alternative für die<br />

Herkunftssicherung?<br />

Wissenschaftler der Bundesanstalt<br />

für Fleischforschung und der<br />

Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten<br />

der Tiere arbeiten zusammen<br />

an einem neuen, immunologischen<br />

Verfahren, mit dem sich<br />

die Herkunft von Rindern und Rindfleischprodukten<br />

überprüfen und<br />

zweifelsfrei nachweisen lassen soll.<br />

Hintergrund ist der „Rinderwahnsinn”<br />

BSE. Die Geschehnisse rund<br />

um diese Seuche haben das Vertrauen<br />

der Verbraucher in die Unbedenklichkeit<br />

von Lebensmitteln tierischer<br />

Herkunft, speziell Rindfleisch,<br />

stark beeinträchtigt.<br />

Der Herkunftssicherung und Kennzeichnung<br />

von Nutztieren kommt in<br />

diesem Zusammenhang eine steigende<br />

Bedeutung zu. Seit Anfang<br />

1998 gelten EU-weit einheitliche<br />

Vorschriften für die Kennzeichnung<br />

und Registrierung von Rindern. So<br />

müssen Kälber jetzt mit zwei Ohrmarken<br />

markiert werden, außerdem<br />

gibt es Tierpässe sowie neue Meldeund<br />

Registrierverfahren. Begleitet<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

NACHRICHTEN<br />

werden diese Maßnahmen von der<br />

Rindfleischetikettierung.<br />

Ein Problem solcher konventioneller<br />

Dokumentationssysteme könnte –<br />

neben dem vergleichsweise hohen<br />

bürokratischen Aufwand – in einer<br />

fehlenden Fälschungssicherheit liegen<br />

(falsche Bescheinigungen, Daten<br />

etc.). Darüber hinaus kann die<br />

Herkunft von Produkten wie Milch<br />

und Fleisch nicht zweifelsfrei überprüft<br />

werden.<br />

Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung<br />

von anderen Markierungsverfahren<br />

interessant, mit denen<br />

Nutztiere wie auch Lebensmittel auf<br />

natürliche Weise gekennzeichnet<br />

und ihre Herkunft zurückverfolgt werden<br />

können.<br />

Die Wissenschaftler aus Kulmbach<br />

und Tübingen setzen hier auf<br />

eine gezielte Biomarkierung. Das<br />

Verfahren basiert auf der Antikörperreaktion<br />

von Tieren nach Applikation<br />

von definierten Immunogenen<br />

und ist vergleichbar mit den Vorgängen<br />

bei einer aktiven Schutzimpfung.<br />

Würden Kälber mit Immunogenen<br />

behandelt, die eine gute Antikörperbildung<br />

hervorrufen und denen<br />

die Tiere natürlicherweise nie<br />

ausgesetzt sind, dann wäre über einen<br />

einfachen Nachweis der Antikörper<br />

im Blut jederzeit ein Rückschluß<br />

auf das verwendete Immunogen<br />

möglich.<br />

Auf dieser Basis wäre eine immunologische<br />

Kennzeichnung von Tieren<br />

in Erzeugerringen, Qualitätsprogrammen,<br />

einzelnen Bundesländern<br />

oder Staaten denkbar, wobei als<br />

Biomarker bestimmte Peptid-Immunogene<br />

einzeln oder in Kombination<br />

in Frage kommen. Da sich Anti-Peptid-Antikörper<br />

auch in Milch und<br />

Tropfsaft von Fleisch nachweisen lassen,<br />

wäre auf diese Weise nicht nur<br />

eine Kennzeichnung der Tiere<br />

selbst, sondern auch der von ihnen<br />

stammenden Lebensmittel möglich.<br />

Das neu entwickelte Verfahren ist<br />

den Wissenschaftlern mittlerweile<br />

patentiert worden.<br />

(M. Gareis, BAFF und M. Groschup,<br />

BFAV)<br />

48<br />

Bundesforschungsanstalt für<br />

Landwirtschaft (FAL)<br />

Molekularbiologe<br />

der FAL erhielt zwei<br />

Förderpreise<br />

Neue Methode zur Diagnostik von Salmonellen<br />

entwickelt<br />

Dr. Stefan Schwarz vom FAL-Institut<br />

für Tierzucht und Tierverhalten ist<br />

im vergangenen Jahr für seine <strong>Forschung</strong><br />

auf dem Gebiet der Tiergesundheit<br />

gleich doppelt ausgezeichnet<br />

worden. Für seine Arbeiten zur<br />

molekularen Typisierung von Salmonellen<br />

sowie zur Struktur, Regulation<br />

und Übertragbarkeit von Resistenzen<br />

bei Bakterien wurde ihm der<br />

Förderpreis der Akademie für Tiergesundheit<br />

verliehen. Zusätzlich hat<br />

ihn die Deutsche Veterinärmedizinische<br />

Gesellschaft mit dem Preis zur<br />

Förderung von Nachwuchswissenschaftlern<br />

geehrt. Sie würdigte damit<br />

seine Untersuchungen über Mechanismen<br />

der Rekombination von<br />

Resistenzplasmiden sowie seine Arbeiten<br />

auf dem Gebiet der molekularen<br />

Epidemiologie. Der habilitierte<br />

Tierarzt ist seit Oktober 1992 am Institutsstandort<br />

Celle tätig, wo er den<br />

<strong>Forschung</strong>sbereich ‘Molekulare Diagnostik’<br />

aufgebaut und inzwischen<br />

zu internationaler Anerkennung geführt<br />

hat. (FAL)<br />

Zentralstelle für<br />

Agrardokumentation und<br />

-information<br />

Neuer<br />

Informationsservice<br />

der ZADI eröffnet<br />

Mit FIZ-AGRAR auf online-Recherche<br />

Ab sofort bietet die ZADI mit der<br />

Einstiegsseite FIZ-AGRAR (Fachinformationszentrum<br />

Ernährung, Landund<br />

Forstwirtschaft) das gesamte<br />

Spektrum der Agrardatenbanken,<br />

die auf ihrem Datenbankserver lie-


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gen, zur online-Recherche an. Unter<br />

http://www.fiz-agrar.de ist der Service<br />

zu erreichen.<br />

Die Menüstruktur von FIZ-AGRAR<br />

unterscheidet die Datenbanken einerseits<br />

nach Fachgebieten wie<br />

Pflanzenproduktion, Tierproduktion,<br />

Ökonomie, andererseits nach Inhaltstypen<br />

wie Literatur, Fakten und Projekten.<br />

Zur Zeit werden 147 Datenbanken<br />

auf dem Server der ZADI<br />

betrieben. Zu jeder Datenbank liegt<br />

auf FIZ-AGRAR eine Kurzbeschreibung<br />

der Inhalte mit Angaben zu<br />

Umfang, Datenproduzent, Update-<br />

Intervall und Zugangsbedingungen<br />

vor. Mit FIZ-AGRAR verfügt der<br />

Agrarbereich der Bundesrepublik<br />

über eine strukturierte Sammlung<br />

wissenschaftlich fundierter Datenbanken<br />

mit einfach zu bedienenden<br />

Benutzeroberflächen. (ZADI)<br />

Institut für Gemüse- und<br />

Zierpflanzenbau e.V.<br />

Kabinengewächshaus<br />

eingeweiht<br />

Am 3. Juli 1998 wurde im Institut<br />

für Gemüse- und Zierpflanzenbau<br />

e.V. (IGZ) am Standort Großbeeren<br />

bei Berlin eine neue Klimagewächshausanlage<br />

in Betrieb genommen.<br />

Das Gewächshaus ist mit 16 Klimakammern<br />

à 64 m 2 ausgestattet. Die<br />

Wissenschaftler planen unter anderem,<br />

dort die Reaktionen von Pflanzen<br />

auf verschiedene Bedingungen<br />

in der Umgebung des Sprosses, teilweise<br />

in Kombination mit den Bedingungen<br />

in der Wurzelumgebung,<br />

zu untersuchen. Dazu sind so-<br />

NACHRICHTEN<br />

wohl die mikroklimatischen Bedingungen<br />

als auch die Wasser- und<br />

Nährstoffversorgung in den Kabinen<br />

unabhängig untereinander regelbar.<br />

Das IGZ hat die Aufgabe, wissenschaftliche<br />

Grundlagen für die<br />

Produktion von Gemüse und Zierpflanzen<br />

im Spannungsfeld zwischen<br />

Ertrag, Umwelt und Qualität<br />

zu schaffen. Die Kabinengewächshausanlage<br />

bietet den Forschern<br />

dazu viele neue Möglichkeiten nach<br />

neuestem Stand der Technik. (BML)<br />

Bundesministerium für<br />

Ernährung, Landwirtschaft und<br />

Forsten<br />

Förderungsgrundsätze<br />

jetzt im<br />

Internet<br />

Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung<br />

der Agrarstruktur und des<br />

Küstenschutzes”<br />

Die aktuellen Förderungsgrundsätze<br />

des Rahmenplans der Gemeinschaftsaufgabe<br />

„Verbesserung der<br />

Agrarstruktur und des Küstenschutzes”<br />

(GAK) sind mit weiteren Informationen<br />

zur GAK in das Deutsche<br />

Agrarinformationsnetz (DAINet)<br />

eingespeist worden. Die Internet-<br />

Adresse lautet: http://www.<br />

dainet.de/bml/gak. Bei der Gemeinschaftsaufgabe<br />

„Verbesserung<br />

der Agrarstruktur und des Küstenschutzes”<br />

handelt es sich um das<br />

wichtigste Instrument der nationalen<br />

Förderung der Agrarstruktur. Die<br />

GAK umfaßt eine Anzahl von Förderungsrichtlinien,<br />

die jährlich vom<br />

Bund und den Ländern gemeinsam in<br />

49<br />

einem Rahmenplan verabschiedet<br />

werden. Gefördert werden unter anderem<br />

benachteiligte Gebiete, extensive<br />

Produktionsmaßnahmen, die<br />

Dorferneuerung sowie Flurbereinigung<br />

und Flurneuordnung.<br />

Die Durchführung der Förderungsmaßnahmen<br />

ist Aufgabe der Länder.<br />

Finanziert werden die Maßnahmen<br />

zu 60 % vom Bund und zu 40 % von<br />

den Ländern; beim Küstenschutz ist<br />

der Bund zu 70 % beteiligt. 1973,<br />

also vor genau 25 Jahren, wurde der<br />

erste Rahmenplan umgesetzt. (BML)<br />

Bundesforschungsanstalt für<br />

Fischerei<br />

Deutsches<br />

<strong>Forschung</strong>sschiff<br />

auf der<br />

EXPO 98<br />

Eine <strong>Forschung</strong>sexpedition<br />

in das Gebiet<br />

der Iberischen Tiefsee<br />

hat die Bundesforschungsanstalt<br />

für Fischerei<br />

(BFAFi) in der<br />

Zeit vom 14.08.-<br />

24.09.1998 durchgeführt.<br />

Am Ende dieser Reise lief das<br />

Fischereiforschungsschiff „Walther<br />

Herwig III” Lissabon an, wo es die<br />

deutsche Fischereiforschung als Beitrag<br />

auf der EXPO 98 vorstellte. Die<br />

Präsentation war ein großer Erfolg. In<br />

drei Tagen konnten mehr als 13.000<br />

Besucher das <strong>Forschung</strong>sschiff besichtigen.<br />

Die Schiffsbrücke, der Maschinenraum,<br />

die Laboratorien, das <strong>Forschung</strong>sgerät<br />

und eine Posterausstellung<br />

begeisterten das multinationale<br />

Publikum.<br />

Daneben gab es einen kleinen<br />

Empfang, zu dem portugiesische<br />

Meeresforscher, Vertreter der Deutschen<br />

Botschaft und Wissenschaftler<br />

des Marine Habitat Committee des Internationalen<br />

Rates für Meeresforschung<br />

(ICES), der zur gleichen Zeit in<br />

Cascais nahe Lissabon tagte, geladen<br />

waren. (H.-S. Jenke, BFAFi)<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />

Mehrere<br />

Tausend<br />

Besucher<br />

informierten<br />

sich an Bord der<br />

„Walther<br />

Herwig III”<br />

in Lissabon über<br />

die deutsche<br />

Fischereiforschung


Der Amerikaner<br />

Clive James<br />

informierte in<br />

seinem<br />

Eröffnungsvortrag<br />

über<br />

globale<br />

Aspekte der<br />

Vermarktung<br />

transgener<br />

Kulturpflanzen<br />

(Foto: G. Freyer)<br />

Biologische Bundesanstalt für<br />

Land- und Forstwirtschaft<br />

Biologische<br />

Sicherheit bei<br />

transgenen<br />

Organismen<br />

Internationales Symposium in Braunschweig<br />

„The Biosafety Results of Field<br />

Tests of Genetically Modified Plants<br />

and Microorganisms”: Unter diesem<br />

Titel haben sich<br />

zum fünften Mal<br />

Wissenschaftler<br />

aus zahlreichen<br />

Nationen zu einemErfahrungsaustausch<br />

über<br />

die Sicherheit<br />

bei gentechnischveränderten<br />

Pflanzen und<br />

Mikroorganismenzusammengefunden.<br />

Das<br />

Symposium, das<br />

vom 6.-10. September<br />

1998 in<br />

Braunschweig<br />

stattfand, war<br />

von der Biologischen Bundesanstalt<br />

für Land- und Forstwirtschaft (BBA)<br />

unter Beteiligung des United States<br />

Department of Agriculture (USDA)<br />

und der Europäischen Kommission<br />

organisiert worden.<br />

Vor dem Hintergrund<br />

der rasanten Entwicklung<br />

der Gentechnik –<br />

1998 wurden weltweit<br />

auf rund 28 Mio. ha<br />

gentechnisch veränderte<br />

Pflanzen angebaut –<br />

bot das Symposium<br />

den etwa 250 Experten<br />

ein Forum zur Diskussion<br />

von Fragen der<br />

biologischen Sicherheitsforschung,<br />

der Sicherheitsbewertung<br />

und der Standortbe-<br />

FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />

TAGUNGEN<br />

stimmung. Auf der Tagung wurde<br />

deutlich gemacht, daß sich das Risikopotential<br />

für Mensch, Tier und Umwelt<br />

aufgrund der bisherigen Erfahrungen<br />

als wesentlich geringer herausgestellt<br />

hat als anfänglich angenommen.<br />

Die umfangreichen Freilandstudien<br />

mit gentechnisch veränderten<br />

Pflanzen und Mikroorganismen<br />

und der weltweite kommerzielle<br />

Anbau transgener Pflanzen haben<br />

bisher zu keinen negativen Auswirkungen<br />

geführt. Es wurde bestätigt,<br />

daß die Anwendung der Gentechnik<br />

in der Landwirtschaft keine neuen<br />

Risiken gegenüber anderen Techniken<br />

birgt, die in der modernen Lebensmittelproduktion<br />

und -verarbeitung<br />

eingesetzt werden.<br />

Eine Bewertung der transgenen<br />

Pflanzen sollte aus wissenschaftlicher<br />

Sicht produktspezifisch in einer<br />

Fall-für-Fall Betrachtung erfolgen. Bedingt<br />

durch die schnelle Entwicklung<br />

und Nutzung neuer Eigenschaften<br />

(z. B. Salzresistenz, Trockentoleranz,<br />

Herstellung von Pharmaka in<br />

Pflanzen) muß auch die Sicherheitsbewertung<br />

ständig erweitert werden.<br />

Daher sind entsprechende <strong>Forschung</strong>sarbeiten<br />

und der Informations-<br />

und Erfahrungsaustausch außerordentlich<br />

wichtig. Es wurde beschlossen,<br />

sich weiterhin in regelmäßigen<br />

Abständen zu treffen: Das<br />

6. Symposium soll im Jahr 2000 in<br />

Kanada, das 7. Symposium 2002<br />

in China stattfinden. (BML, BBA)<br />

Transgene Kulturpflanzen 1996 – 98<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

Millionen Hektar<br />

1,7<br />

11<br />

50<br />

27,8<br />

1996 1997 1998<br />

Anbaufläche von transgenen Kulturpflanzen weltweit<br />

(ohne China) in Mio. ha (Quelle: Clive James, ISAAA).<br />

Zum Vergleich:<br />

Gesamte Ackerbaufläche Deutschlands: 12 Mio. ha<br />

Bundesanstalt für<br />

Fleischforschung<br />

Gentechnik und<br />

Ernährung<br />

BAFF bot ein Forum für die Diskussion<br />

von Zweifeln und Erwartungen<br />

„Novel Food – Gentechnik –<br />

Ernährung” war der Titel einer Podiumsdiskussion,<br />

mit der die Bundesanstalt<br />

für Fleischforschung ihre diesjährige<br />

„Kulmbacher Woche” – eine<br />

Veranstaltung rund um das Lebensmittel<br />

Fleisch – begann. Acht Vertreter<br />

aus Wissenschaft, Rechtsbereich,<br />

Verwaltung und Politik legten hier<br />

ihre Ansichten dar. Gleichsam als<br />

Motto stand dem Streitgespräch der<br />

Satz voran, mit dem Professor Hans<br />

Steinhart von der Universität Hamburg<br />

die Situation kennzeichnete:<br />

Mögen viele für oder gegen die Gentechnik<br />

sein, aufzuhalten ist sie nicht.<br />

Vor diesem Hintergrund war geradezu<br />

zwangsläufig der Begriff „gentechnikfrei”<br />

auf dem Tisch. Eine solche<br />

Deklaration läßt die EU für Lebensmittel<br />

zu, die kein neuartiges Erzeugnis<br />

im Sinne der Novel Food<br />

Verordnung sind. Die Wissenschaftler<br />

waren sich allerdings einig, daß<br />

sich das Nichtvorhandensein einer<br />

Eigenschaft der wissenschaftlichen<br />

Untersuchung entzieht. Die Deklaration<br />

„gentechnikfrei” kann daher nur<br />

als politischer Ansatz begründet werden.<br />

Dieses Problem hat seine Ursachen<br />

unter anderem in den Nachweismethoden.<br />

Diese können nur<br />

greifen, wenn bekannt ist, wonach<br />

gesucht werden soll. Das sei aber<br />

gerade nur bei Lebensmitteln mit gentechnischen<br />

Veränderungen gegeben,<br />

erklärte Professor Knuth Heller<br />

von der Bundesanstalt für Milchforschung<br />

in Kiel. Solche Veränderungen<br />

erfolgen immer in eng definierten<br />

Bereichen der Erbmasse und<br />

drücken sich folgerichtig auch nur in<br />

einem engen Spektrum von Merkmalen<br />

aus. Sie können daher relativ<br />

leicht analytisch nachgewiesen und<br />

kontrolliert werden. Dr. Ralf Greiner


von der Bundesforschungsanstalt für<br />

Ernährung in Karlsruhe relativierte<br />

diese Sicherheit jedoch im Hinblick<br />

darauf, daß in hochverarbeiteten<br />

Produkten ein Nachweis selbst bei<br />

Kenntnis der Veränderung häufig<br />

nicht mehr möglich sei. Aus dieser<br />

Sicht werde beispielsweise die Aussage<br />

des „gentechnikfreien Tomatenmarks”<br />

schwer nachzuprüfen sein.<br />

Die Ausführungen verdeutlichten,<br />

daß sich zwar eine Übertretung der<br />

Deklaration „gentechnikfrei” unter<br />

günstigen Bedingungen nachweisen<br />

ließe, nicht aber ihre Einhaltung. In<br />

einem Punkt wird es aber doch<br />

größere Sicherheit geben: Gentechnisch<br />

veränderte Produkte bedürfen<br />

einer Zulassung. In diesem Rahmen<br />

werden sie auf Herz und Nieren mit<br />

modernen Analysemethoden geprüft.<br />

Dabei geht es vor allem auch um<br />

das, was die Verbraucher besonders<br />

bewegt: um Allergien. Nach einhelliger<br />

Aussage der Wissenschaftler<br />

sind gerade gentechnisch veränderte<br />

Lebensmittel in positivem Sinne „Novel<br />

Food”, also neuartig. Denn erst<br />

diese Lebensmittel werden konsequent<br />

auf ihre allergieauslösende<br />

Wirkung geprüft. Sie sind damit in<br />

dieser Hinsicht sicherer als manches,<br />

was sonst auf den Tisch kommt. Trotzdem<br />

wurde von Dr. Wilbert Himmighofen<br />

vom Bundesernährungsministerium<br />

(BML) bekräftigt, daß keine<br />

Technologie – auch nicht die Gentechnik<br />

– ohne Risiken sei. Nicht alles<br />

zu machen, was machbar ist, ethische<br />

Grenzen einzuhalten und eben<br />

Risiken zu erkennen und zu kontrollieren,<br />

das mache diese für die Welternährung<br />

künftig so wichtige Wissenschaft<br />

auch sozial verträglich.<br />

Allerdings sehen die Kulmbacher<br />

Fleischforscher für das von ihnen betreute<br />

Lebensmittel die Situation ohnedies<br />

nicht so aufgeregt. „Was wir<br />

an Qualitätsmerkmalen von Fleisch<br />

auch auf lange Sicht erwarten können”,<br />

so schloß der Leiter der BAFF,<br />

Professor Klaus Troeger, die Diskussion,<br />

„das erreichen wir wie bisher mit<br />

ganz normaler Tierzucht und Tierhaltung”.<br />

(BAFF)<br />

TAGUNGEN<br />

Biologische Bundesanstalt für<br />

Land- und Forstwirtschaft<br />

Pflanzenschutz im<br />

Ökolandbau<br />

Wissenschaftler diskutierten mit Verbandsvertretern<br />

und Praktikern<br />

Am 18. Juni 1998 führte die Biologische<br />

Bundesanstalt für Land- und<br />

Forstwirtschaft (BBA) ein Fachgespräch<br />

zu dem Themenkreis „Pflanzenschutz<br />

im ökologischen Landbau<br />

– Probleme und Lösungsansätze” in<br />

Kleinmachnow durch. Im ersten Teil<br />

der Veranstaltung wurden vor dem<br />

Hintergrund der ab 1. Juli 1998 geltenden<br />

neuen Regelungen im Pflanzenschutzgesetz<br />

der Stand und die<br />

Probleme der Registrierung und Anwendung<br />

von Pflanzenstärkungsmitteln<br />

im ökologischen Landbau diskutiert.<br />

Im zweiten Teil wurde die Behandlung<br />

von Getreidesaatgut mit<br />

niederenergetischen Elektronen als<br />

Möglichkeit der Beseitigung von<br />

Schadorganismen, die am Saatgut<br />

anhaften, erörtert. Dabei zeigte<br />

sich, daß weiterer <strong>Forschung</strong>sbedarf<br />

vorhanden ist, insbesondere zur<br />

Klärung mittel- und langfristiger Auswirkungen<br />

dieser Behandlung auf<br />

die Saatgutqualität. (BML)<br />

Senatsarbeitsgruppe<br />

„Qualitätsgerechte und<br />

umweltverträgliche<br />

Agrarproduktion”<br />

Workshop über<br />

„Nachhaltige<br />

Landwirtschaft”<br />

Vom 20.–22. April 1999 lädt<br />

die Arbeitsgruppe „Qualitätsgerechte<br />

und umweltverträgliche Agrarproduktion”<br />

des Senats der Bundesforschungsanstalten<br />

zu einem Workshop<br />

über nachhaltige Landwirtschaft<br />

nach Braunschweig ein.<br />

Tagungsort wird das Forum der FAL<br />

in Braunschweig-Völkenrode sein.<br />

51<br />

Auf dem Workshop sollen der Stand<br />

der <strong>Forschung</strong> zur Nachhaltigkeit in<br />

der Landwirtschaft aufgezeigt sowie<br />

neue Methoden und Trends vorgestellt<br />

werden. Dabei wird der Bogen<br />

gespannt von integrierten Verfahren<br />

der Tier- und Pflanzenproduktion<br />

über Ressourcenschonung und Stoffkreisläufe<br />

bis hin zu sozioökonomischen<br />

Aspekten. Ein großzügiger<br />

Zeitrahmen soll genügend Platz für<br />

Diskussionen lassen. Ziel ist es, sich<br />

durch die Erarbeitung von Bewertungskriterien<br />

dem unscharfen, aber<br />

vielgebrauchten Begriff „Nachhaltigkeit”<br />

zu nähern. Darüber hinaus<br />

soll der Workshop als Informationsdrehscheibe<br />

und Projektbörse dienen<br />

und damit zur Zusammenarbeit<br />

anregen. (Senat)<br />

Institut für Agrartechnik<br />

Bornim e. V.<br />

Computer-<br />

Bildanalyse in der<br />

Landwirtschaft<br />

Zum fünften Mal in Folge findet<br />

am Institut für Agrartechnik Bornim<br />

e. V. (ATB) ein Workshop zur Anwendung<br />

der Computer-Bildanalyse<br />

in der Landwirtschaft statt. Die zusammen<br />

mit der Senatsarbeitsgruppe<br />

„Qualitätsgerechte und umweltverträgliche<br />

Agrarproduktion”<br />

organisierte Arbeitstagung ist für<br />

den 04. Mai 1999 in Potsdam<br />

geplant. Ziel des Workshops, der<br />

sich vorwiegend an Wissenschaftler<br />

und Ingenieure aus <strong>Forschung</strong>seinrichtungen<br />

richtet, ist der Austausch<br />

von Informationen und Erfahrungen<br />

zu spezifischen Anwendungen der<br />

Computer-Bildanalyse. Schwerpunkte<br />

sind die Erkennung von Pflanzen<br />

und Pflanzenbeständen, die Klassifikation<br />

biologischer Objekte und die<br />

Auswertung von Bildinformationen.<br />

Interessenten können sich an<br />

Dr. Bernd Herold vom ATB in Potsdam-Bornim<br />

wenden (e-mail:<br />

bherold@atb-potsdam.de) . (ATB)<br />

2/1998 FORSCHUNGSREPORT


Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich<br />

des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

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