LANDWIRTSCHAFT - BMELV-Forschung
LANDWIRTSCHAFT - BMELV-Forschung
LANDWIRTSCHAFT - BMELV-Forschung
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Bundesministerium für<br />
Ernährung, Landwirtschaft<br />
und Forsten<br />
2/1998<br />
DIE ZEITSCHRIFT DES SENATS DER BUNDESFORSCHUNGSANSTALTEN<br />
FORSCHUNGS<br />
ERNÄHRUNG · <strong>LANDWIRTSCHAFT</strong> · FORSTEN<br />
Schwerpunkt:<br />
Biotechnologie<br />
rund um’s Tier<br />
Kennzeichnung<br />
gentechnisch veränderter<br />
Lebensmittel<br />
Report<br />
Zustand der deutschen<br />
Waldböden
Bundesministerium für<br />
Ernährung, Landwirtschaft<br />
und Forsten<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
DER FORSCHUNGSBEREICH<br />
Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten<br />
(BML) unterhält einen <strong>Forschung</strong>sbereich, um wissenschaftliche Entscheidungshilfen für<br />
die Ernährungs-, Land- und Forstwirtschaftspolitik der Bundesregierung zu erarbeiten und<br />
damit zugleich die Erkenntnisse auf diesen Gebieten zum Nutzen des Gemeinwohls zu<br />
erweitern (Rochusstr. 1, 53123 Bonn, Tel.: 0228/529-0, Fax: 0228/529-4262).<br />
Dieser <strong>Forschung</strong>sbereich wird von 10 Bundesforschungsanstalten und der Zentralstelle<br />
für Agrardokumentation und -information (ZADI) gebildet und hat folgende Aufgaben:<br />
■ Bundesforschungsanstalt für<br />
Landwirtschaft (FAL):<br />
Erhaltung und Pflege natürlicher Ressourcen<br />
agrarischer Ökosysteme und<br />
Weiterentwicklung der Nahrungs- und<br />
Rohstoffproduktion unter verstärkter Einbeziehung<br />
neuer Wissensgebiete und <strong>Forschung</strong>smethoden.<br />
Dabei stellen die Analyse,<br />
Folgenabschätzung und Bewertung<br />
von zukünftigen Entwicklungen für die<br />
Landwirtschaft und die ländlichen Räume<br />
einen besonderen Schwerpunkt dar (Bundesallee<br />
50, 38116 Braunschweig, Tel.:<br />
0531/596-1, Fax: 0531/596-814).<br />
■ Biologische Bundesanstalt<br />
für Land- und Forstwirtschaft<br />
(BBA):<br />
Eine selbständige Bundesoberbehörde<br />
und Bundesforschungsanstalt mit im Pflanzenschutz-,<br />
Gentechnik- und Bundesseuchengesetz<br />
festgelegten Aufgaben. <strong>Forschung</strong><br />
auf dem Gesamtgebiet des Pflanzen-<br />
und Vorratsschutzes; Prüfung und Zulassung<br />
von Pflanzenschutzmitteln; Eintragung<br />
und Prüfung von Pflanzenschutzgeräten;<br />
Beteiligung bei der Bewertung<br />
von Umweltchemikalien nach dem Chemikaliengesetz;<br />
Mitwirkung bei der Genehmigung<br />
zur Freisetzung und zum Inverkehrbringen<br />
gentechnisch veränderter Organismen<br />
(Messeweg 11/12, 38104<br />
Braunschweig, Tel.: 0531/299-5, Fax:<br />
0531/299-3000).<br />
■ Bundesanstalt für<br />
Milchforschung (BAfM):<br />
Erarbeitung der Grundlagen für die Erzeugung<br />
von Milch, die Herstellung von<br />
Milchprodukten und anderen Lebensmitteln<br />
und die ökonomische Bewertung der<br />
Verarbeitungsprozesse sowie den Verzehr<br />
von Lebensmitteln mit dem Ziel einer gesunden<br />
Ernährung (Hermann-Weigmann-<br />
Str. 1, 24103 Kiel, Tel.: 0431/609-1,<br />
Fax: 0431/609-2222).<br />
■ Bundesforschungsanstalt für<br />
Fischerei (BFAFi):<br />
Bearbeitung der Probleme der<br />
Fischwirtschaft von der Produktion bis zur<br />
Verarbeitung unter Berücksichtigung aller<br />
Zweige der Küsten- und Hochseefischerei<br />
und zum Teil auch der Binnenfischerei<br />
(Palmaille 9, 22767 Hamburg, Tel.:<br />
040/38905-0; Fax: 040/38905-200).<br />
■ Bundesforschungsanstalt für<br />
Forst- und Holzwirtschaft<br />
(BFH):<br />
Wissenschaftliche Untersuchungen zur<br />
Erhaltung des Waldes und zur Steigerung<br />
seiner Leistung sowie zur Verbesserung<br />
der Nutzung des Rohstoffes Holz und zur<br />
Steigerung der Produktivität in der<br />
Holzwirtschaft (Leuschnerstr. 91, 21031<br />
Hamburg, Tel.: 040/73962-0, Fax:<br />
040/73962-480).<br />
■ Bundesanstalt für Getreide-,<br />
Kartoffel- und Fettforschung<br />
(BAGKF):<br />
<strong>Forschung</strong>sarbeiten mit der Zielsetzung<br />
einer Qualitätsverbesserung von Getreide,<br />
Mehl, Brot und anderen Getreideerzeugnissen,<br />
von Kartoffeln und deren<br />
Veredlungsprodukten sowie der Lösung<br />
wissenschaftlicher und technologischer<br />
Fragen im Zusammenhang mit Ölsaaten<br />
und -früchten und daraus gewonnenen<br />
Nahrungsfetten und -ölen sowie<br />
Eiweißstoffen (Schützenberg 12, 32756<br />
Detmold, Tel.: 05231/741-0, Fax:<br />
05231/741-1 00).<br />
■ Bundesforschungsanstalt für<br />
Viruskrankheiten der Tiere<br />
(BFAV):<br />
Eine selbständige Bundesoberbehörde<br />
mit im Tierseuchengesetz und Gentechnikgesetz<br />
festgelegten Aufgaben. Erforschung<br />
und Erarbeitung von Grundlagen<br />
für die Bekämpfung viraler Tierseuchen<br />
(Boddenblick 5a, 17498 Insel Riems,<br />
Tel.: 038351/7-0, Fax: 038351/<br />
7-151).<br />
■ Bundesanstalt für Fleischforschung<br />
(BAFF):<br />
Erforschung der Voraussetzungen, unter<br />
denen die Versorgung mit qualitativ<br />
hochwertigem Fleisch sowie einwandfreien<br />
Fleischerzeugnissen einschließlich<br />
Schlachtfetten und Geflügelerzeugnissen<br />
sichergestellt ist (E.-C.-Baumann-Str. 20,<br />
95326 Kulmbach, Tel.: 09221/803-1,<br />
Fax: 09221/803-244).<br />
■ Bundesforschungsanstalt für<br />
Ernährung (BFE):<br />
Horizontale, das gesamte Gebiet der<br />
Ernährungs-, Lebensmittel- und Haushaltswissenschaften<br />
übergreifende Aufgabenstellung<br />
(Haid-und-Neu-Str. 9, 76131<br />
Karlsruhe, Tel.: 0721/6625-0, Fax:<br />
0721/ 6625-111).<br />
2<br />
■ Bundesanstalt für Züchtungsforschung<br />
an Kulturpflanzen<br />
(BAZ):<br />
Erhöhung der biotischen Resistenz und<br />
der Verbesserung der abiotischen Toleranz<br />
der Kulturpflanzen sowie Entwicklung<br />
von Zuchtmethoden und Verbesserung der<br />
Produktqualität (Neuer Weg 22/23,<br />
06484 Quedlinburg, Tel.: 03946/47-0,<br />
Fax: 03946/47-255).<br />
■ Zentralstelle für Agrardokumentation<br />
und -information (ZADI):<br />
Aufbau des Deutschen Agrarinformationsnetzes<br />
(DAlNet), Online-Angebot nationaler<br />
und internationaler Datenbanken,<br />
<strong>Forschung</strong> und Entwicklung auf den Gebieten<br />
Agrardokumentation und Informatik<br />
sowie Koordinierung der Dokumentation<br />
im Fachinformationssystem Ernährung,<br />
Land- und Forstwirtschaft (FIS-ELF) (Villichgasse<br />
17,53177 Bonn, Tel.: 0228/<br />
9548-0, Fax: 0228/9548-149).<br />
● <strong>Forschung</strong>seinrichtungen der<br />
Blauen Liste:<br />
Darüber hinaus sind sechs <strong>Forschung</strong>seinrichtungen<br />
der Blauen Liste dem Geschäftsbereich<br />
des BML zugeordnet: Deutsche<br />
<strong>Forschung</strong>sanstalt für Lebensmittelchemie<br />
(DFA) (Lichtenbergstr. 4, 85748<br />
Garching, Tel.: 089/28914170, Fax:<br />
089/28914183); Zentrum für Agrarlandschafts-<br />
und Landnutzungsforschung<br />
e. V. (ZALF) (Eberswalder Str. 84, 15374<br />
Müncheberg, Tel.: 033432/82-0, Fax:<br />
033432/82-212); Institut für Agrartechnik<br />
Bornim e. V. (ATB) (Max-Eyth-Allee<br />
100, 14469 Potsdam-Bornim, Tel.:<br />
0331/5699-0, Fax: 0331/5699-<br />
849); Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau<br />
Großbeeren/Erfurt e. V. (IGZ)<br />
(Theodor-Echtermeyer-Weg 1, 14979<br />
Großbeeren, Tel.: 033701/78-0, Fax:<br />
033701/55391); <strong>Forschung</strong>sinstitut für<br />
die Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere<br />
(FBN) (Wilhelm-Stahl-Allee 2, 18196<br />
Dummerstorf, Tel.: 038208/68-5, Fax:<br />
038208/686-02); Institut für Agrarentwicklung<br />
in Mittel- und Osteuropa (IAMO)<br />
(Magdeburger Str. 1, 06112 Halle/S.,<br />
Tel.: 0345/5008-111, Fax: 0345/<br />
5126599).<br />
Die wissenschaftlichen Aktivitäten des<br />
<strong>Forschung</strong>sbereiches werden durch den<br />
Senat der Bundesforschungsanstalten<br />
koordiniert, dem die Leiter der Bundesforschungsanstalten,<br />
der Leiter der ZADI und<br />
sieben zusätzlich aus dem <strong>Forschung</strong>sbereich<br />
gewählte Wissenschaftler angehören.<br />
Der Senat wird von einem auf zwei Jahre<br />
gewählten Präsidium geleitet, das die Geschäfte<br />
des Senats führt und den <strong>Forschung</strong>sbereich<br />
gegenüber anderen wissenschaftlichen<br />
Institutionen und dem BML vertritt<br />
(Präsidium des Senats der Bundesforschungsanstalten,<br />
c/o BBA, Messeweg 11/12,<br />
38104 Braunschweig, Tel.: 0531/299-5,<br />
Fax: 0531/299-3001).
Guten Tag,<br />
EDITORIAL INHALT<br />
als ich mir neulich abends bei einem Gläschen Wein Gedanken<br />
zum Editorial für diesen ‘biotechnologischen’ <strong>Forschung</strong>sReport<br />
machte, wurde mir klar, daß ich eigentlich schon mitten im<br />
Thema war. Denn was ist Wein anderes als ein Produkt<br />
biotechnologischer Erzeugung, bei dem die Stoffwechselleistung<br />
von Mikroorganismen, konkret die Vergärung von Zucker durch<br />
Hefen, gezielt ausgenutzt wird? Biotechnologie begleitet uns in<br />
vielen Bereichen unseres Lebens – in ihren Urformen schon seit<br />
Jahrtausenden.<br />
Die Möglichkeiten der<br />
Biotechnologie haben sich<br />
allerdings durch die<br />
Fortschritte in der<br />
Molekularbiologie, aber<br />
auch der Verfahrens- und<br />
Computertechnik,<br />
immens erhöht. Nach<br />
Meinung vieler Experten<br />
sehen wir einem<br />
„Jahrhundert der<br />
Biologie” entgegen. Da<br />
neue Technologien auf<br />
gesellschaftliche Akzeptanz<br />
angewiesen sind, kommen sie nicht ohne öffentliche Diskussion<br />
aus. Wesentliche Voraussetzung dafür ist ein guter Kenntnisstand<br />
über das aktuell Machbare und seine möglichen Auswirkungen.<br />
Wer über den Stand der <strong>Forschung</strong> und ihre Umsetzung in die<br />
Praxis informiert ist, wird neue Entwicklungen besser beurteilen<br />
können und weniger den Statements und Prognosen<br />
selbsternannter Experten glauben müssen.<br />
Hier ist die Ressortforschung gefragt. Zu ihren wichtigsten<br />
Aufgaben zählt die Unterrichtung und Beratung der politischen<br />
Entscheidungsträger. Daher muß sie gerade auch in heiß<br />
diskutierten <strong>Forschung</strong>sfeldern präsent sein. Ressortforschung ist<br />
überwiegend angewandte <strong>Forschung</strong> mit direktem Bezug auf<br />
praktische Erfordernisse und verantwortbare Entscheidungen.<br />
Das läßt keinen Platz für Elfenbeintürme.<br />
Der <strong>Forschung</strong>sReport greift in seinem Schwerpunkt<br />
„Biotechnologie rund um’s Tier” einige topaktuelle Themen auf,<br />
die im Brennpunkt des öffentlichen Interesses stehen. Dabei geht<br />
es um innovative Verfahren im Bereich der Lebensmittelproduktion<br />
ebenso wie um neue Impfstoffe und um<br />
landwirtschaftliche Nutztiere, die in der Biomedizin eine Rolle<br />
spielen können. Biotechnologie – und mit ihr die Gentechnik als<br />
Teilbereich – hat hier viele Türen geöffnet. Was sich hinter den<br />
Türen verbirgt und welche Perspektiven sich auftun, erfahren Sie<br />
auf den folgenden Seiten.<br />
Ihr<br />
Prof. Dr. F. Klingauf<br />
Präsident des Senats der Bundesforschungsanstalten<br />
3<br />
DER FORSCHUNGSBEREICH 2<br />
BERICHTE AUS DER FORSCHUNG<br />
Neue Impfstoffe gegen<br />
Viruskrankheiten bei Tieren<br />
Entwicklungssprung durch die Gentechnologie 4<br />
Tiere als Arzneimittel- und<br />
Organlieferanten<br />
Neue Perspektiven in der Biomedizin 9<br />
In-vitro-Erzeugung von<br />
Rinderembryonen<br />
Ultraschallgeleitete Entnahme von Eizellen<br />
beschleunigt den Zuchterfolg 14<br />
Gesündere Tiere durch<br />
besseres Futter 18<br />
Biotechnologie in<br />
der Käseherstellung 22<br />
Biokonservierung von<br />
Fleischerzeugnissen<br />
Bacteriocinogene Milchsäurebakterien<br />
können Pathogene hemmen 26<br />
Kennzeichnung von gentechnisch<br />
veränderten Lebensmitteln 30<br />
Neuentwicklungen<br />
auf dem Prüfstand<br />
Über die Verzahnung von wissenschaftlichen<br />
Arbeiten und behördlichen Entscheidungen 34<br />
Zustand der<br />
deutschen Waldböden<br />
Auswirkungen anthropogener Einflüsse 38<br />
IMPRESSUM 43<br />
PORTRAIT<br />
Institut für Tierzucht und<br />
Tierverhalten Mariensee 44<br />
Institut für landwirtschaftliche<br />
Kulturen, Groß Lüsewitz 46<br />
NACHRICHTEN 48<br />
TAGUNGEN 50<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT
Abb. 1:<br />
Blutungen in<br />
verschiedenen<br />
Organen, hier in<br />
der Lunge und<br />
der Luftröhre,<br />
sind typische<br />
Symptome der<br />
HämorrhagischenKaninchenkrankheit.<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
Neue Impfstoffe<br />
gegen<br />
Viruskrankheiten<br />
bei Tieren<br />
Entwicklungssprung durch die<br />
Gentechnologie<br />
V. Kaden, G. M. Keil, N. Osterrieder, H. Schirrmeier<br />
und T. C. Mettenleiter (Insel Riems)<br />
Gegen Infektionskrankheiten, die durch Viren verursacht werden, gibt es keine oder<br />
nur unzureichende Behandlungsmöglichkeiten. Daher ist die Entwicklung von Impfstoffen,<br />
die vorbeugend eingesetzt werden, eine der Hauptaufgaben virologischer<br />
<strong>Forschung</strong>. Die aktive Immunisierung von Tier und Mensch erfolgt entweder mit Impfstoffen<br />
aus vermehrungsfähigen Erregern (sog. „Lebendvakzinen”) oder inaktivierten<br />
Erregern („Totvakzinen”). Seit einigen Jahren werden sowohl Lebend- als auch Totvakzinen<br />
unter Einsatz gentechnologischer Verfahren hergestellt.<br />
Die gezielte Inaktivierung von Genen,<br />
die für die krankmachenden Eigenschaften<br />
der Erreger verantwortlich<br />
sind, führt zu biologisch sicheren<br />
Lebendvakzinen. Darüber hinaus besteht<br />
die Möglichkeit, Gene anderer<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
Erreger in das genetische Material<br />
eines Virus einzubauen und so<br />
gleichzeitig gegen mehrere Infektionen<br />
zu schützen („Vektorvakzinen”).<br />
Immunogene Proteine von viralen Erregern<br />
können auch biotechnologisch<br />
in Bakterien oder in Zellkulturen<br />
hergestellt und nach der Reinigung<br />
für eine Impfung verwendet werden<br />
(„Subunit-Vakzinen”). Die neueste Entwicklung<br />
beruht auf der Immunisierung<br />
mit „nackter” DNA (DNA-Vakzinen).<br />
Gentechnologisch produzierte<br />
Vakzinen bieten gegenüber konventionell<br />
hergestellten Impfstoffen mehrere<br />
Vorteile. Durch die gezielte Manipulation<br />
ist eine hohe biologische<br />
Sicherheit von Lebendvakzinen gegeben.<br />
Zweitens kann ein hoher<br />
gleichbleibender Reinheitsgrad der<br />
Impfstoffe gewährleistet werden. Drittens<br />
erlaubt die Gentechnologie die<br />
Schaffung sogenannter „Markerimpf-<br />
4<br />
stoffe” und damit die Möglichkeit,<br />
zwischen geimpften und infizierten<br />
Tieren zu unterscheiden.<br />
Im folgenden wird anhand von<br />
Beispielen auf die Möglichkeiten der<br />
Bekämpfung von viralen Infektionskrankheiten<br />
bei Tieren durch gentechnologisch<br />
produzierte Impfstoffe<br />
eingegangen.<br />
HÄMORRHAGISCHE<br />
KANINCHENKRANKHEIT<br />
Im Jahr 1984 trat in China bei<br />
Angorakaninchen, die zwei Monate<br />
zuvor aus Deutschland importiert<br />
worden waren, eine hochansteckende<br />
Viruserkrankung auf, an der nahezu<br />
alle betroffenen Tiere in kurzer<br />
Zeit verendeten. Die Kaninchen hatten<br />
massive Leberschäden und Blutungen<br />
(= Hämorrhagien) in verschiedenen<br />
Organen (Abb.1). Dieses<br />
Krankheitsbild führte zu dem Namen<br />
‘Hämorrhagische Kaninchenkrankheit’<br />
(engl. Rabbit Hemorrhagic Disease,<br />
RHD). Die Seuche breitete<br />
sich in der Folgezeit sehr rasch aus<br />
und wurde ein Jahr später auch in<br />
Korea festgestellt.
Beginnend mit dem Jahr 1986<br />
wurde bis 1990 nahezu der gesamte<br />
europäische Kontinent erfaßt. Seuchenausbrüche<br />
wurden auch aus<br />
Mexiko, Nordafrika und dem Nahen<br />
Osten gemeldet. Der größte Seuchenherd<br />
existiert gegenwärtig in<br />
Australien, wo der Erreger im Rahmen<br />
eines wissenschaftlich und<br />
ethisch umstrittenen Programms zur<br />
Bekämpfung der Wildkaninchenplage<br />
freigesetzt wurde.<br />
In Deutschland wurden erste RHD-<br />
Fälle im 2. Halbjahr 1988 festgestellt.<br />
Trotz des Einsatzes von Impfstoffen<br />
sind seit 1989 jährlich zwischen<br />
1000 und 2000 Seuchenausbrüche<br />
zu verzeichnen.<br />
Die RHD ist ein Beispiel dafür, daß<br />
ständig mit dem plötzlichen Auftreten<br />
neuer Erkrankungen gerechnet werden<br />
muß. In diesen Fällen ist es von<br />
besonderer Wichtigkeit, sehr schnell<br />
alle notwendigen Werkzeuge für<br />
Diagnose und Bekämpfung verfügbar<br />
zu machen.<br />
Der Erreger der Hämorrhagischen<br />
Kaninchenkrankheit wird den Caliciviren<br />
zugeordnet. Die gesamte genetische<br />
Information ist in einem einzigen<br />
RNA-Strang lokalisiert, der circa<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
7.500 Nukleotide (Einzelbausteine<br />
der RNA) umfaßt. Die Viruspartikel<br />
bestehen im wesentlichen aus einem<br />
einzigen Protein, dem VP60. Dieses<br />
Protein löst im Tier die Bildung von virusneutralisierenden,<br />
das heißt vor einer<br />
Erkrankung schützenden Antikörpern<br />
aus. Alle Anstrengungen zur Entwicklung<br />
eines Impfstoffes zielen also<br />
letztlich darauf ab, im geimpften Tier<br />
Antikörper gegen dieses Protein zu<br />
erzeugen.<br />
Bis heute läßt sich der Erreger<br />
nicht in Zellkultur züchten, so daß alle<br />
eingesetzten Impfstoffe gegen die<br />
Kaninchenseuche aus der Leber experimentell<br />
infizierter Tiere gewonnen<br />
werden müssen. Dies ist nicht nur<br />
sehr aufwendig, sondern auch aus<br />
Gründen des Tierschutzes längerfristig<br />
nicht tolerierbar. Unsere Arbeiten<br />
haben daher das Ziel, auf gentechnischem<br />
Wege einen Impfstoff zu entwickeln,<br />
der Kaninchen einen wirksamen<br />
Schutz verleiht.<br />
Dazu wurde die genetische Information<br />
für das VP60 in ein anderes<br />
Virus verbracht, das Kaninchen nicht<br />
befallen kann. Solche Erreger sind<br />
zum Beispiel Insektenviren wie die<br />
Baculoviren. Dieser<br />
Virentyp kann<br />
sich in Warmblütern<br />
nicht vermehren<br />
und erfüllt<br />
so bereits<br />
wesentliche Forderungen<br />
an die<br />
Biosicherheit. Typisch<br />
für diese Viren<br />
ist, daß im<br />
Überschuß ein<br />
Protein (Polyhedrin)<br />
gebildet<br />
wird, in das die<br />
reifen Viruspartikel eingeschlossen<br />
werden, wodurch sie mit einer besseren<br />
Überlebensfähigkeit in der freien<br />
Natur ausgestattet sind. Diese<br />
Überschußproduktion macht man<br />
sich zunutze, indem man DNA-Abschnitte,<br />
die für das Polyhedrin kodieren,<br />
gegen die des gewünschten<br />
Proteins austauscht. Auf diese Weise<br />
wird anstelle des Polyhedrins zum<br />
Beispiel VP60 produziert.<br />
Zu diesem Zweck haben wir den<br />
für das VP60 kodierenden Genabschnitt<br />
in Baculoviren eingefügt. Diese<br />
Viren produzieren nun im Rahmen<br />
Abb. 2: Prinzip der Herstellung von Subunit-Vakzinen mit Hilfe von Baculoviren.<br />
Die genetische Information für ein schutzerzeugendes Protein wird in<br />
das Erbgut der Baculoviren integriert und das Fremdgen nach Infektion von<br />
Insektenzellen exprimiert. Nach Aufreinigung wird das Protein zur Immunisierung<br />
verwandt.<br />
RHD-Virus<br />
Aufreinigung des<br />
RHD-Virus VP60-Proteins<br />
5<br />
VP 60-Gen<br />
Baculovirus-DNA<br />
Insektenzellen<br />
(Spodoptera frugiperda Sf9)<br />
IMMUNISIERUNG<br />
rekombinante<br />
Baculovirus-DNA<br />
Einschleusen der rekombinanten DNA<br />
in Insektenzellen<br />
rekombinantes<br />
Baculovirus<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />
In Fermenten<br />
können<br />
neuartige<br />
Impfstoffe mit<br />
Hilfe von<br />
Bakterien<br />
hergestellt<br />
werden
ihres eigenen Vermehrungszyklusses<br />
in kultivierten Insektenzellen das<br />
VP60 in großer Menge (Abb. 2 und<br />
3). Dieses Material wurde dann zur<br />
Impfung von Kaninchen verwendet.<br />
Nach einmaliger Impfung bildeten<br />
die Tiere Antikörper, die sie vor einer<br />
ansonsten tödlich verlaufenden RHD-<br />
Virus-Infektion schützten. Der Schutz<br />
trat innerhalb von 6-10 Tagen ein<br />
und war mit dem durch herkömmliche<br />
Impfstoffe vermittelten vergleichbar<br />
(Abb. 4).<br />
Auf diesem Wege ist es gelungen,<br />
eine neuartige Vakzine zu entwickeln,<br />
die in Zukunft die Verwendung<br />
von Tieren zur Herstellung von<br />
Impfstoffen gegen RHD überflüssig<br />
machen sollte.<br />
SCHWEINEPEST<br />
Die Klassische oder Europäische<br />
Schweinepest (KSP) verursacht hohe<br />
wirtschaftliche Verluste in der Landwirtschaft.<br />
Durch verschiedene<br />
Bekämpfungsmaßnahmen konnte die<br />
KSP-Verseuchung beim Hausschwein<br />
im europäischen Raum zurückgedrängt<br />
werden, wobei lange Zeit ein<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
höchst wirksamer Lebendimpfstoff<br />
eingesetzt wurde. Mit der Internationalisierung<br />
des Marktes war es notwendig,<br />
die Schweinepestimpfung<br />
einzustellen, damit lebende Schweine<br />
und Fleischprodukte in und aus<br />
der Europäischen Union uneingeschränkt<br />
gehandelt werden können<br />
(Hintergrund: Um eine Verbreitung<br />
der Krankheit zu verhindern, dürfen<br />
nur KSP-negative Schweine gehandelt<br />
werden, was durch das Fehlen<br />
von Antikörpern gegen KSP definiert<br />
ist. Geimpfte Tiere bilden aber ebenso<br />
wie latent infizierte Schweine Antikörper,<br />
so daß eine Unterscheidung<br />
nicht möglich ist).<br />
Die Bekämpfung der Schweinepest<br />
erfolgt daher zur Zeit durch<br />
Tötung infizierter und ansteckungsverdächtiger<br />
Tierbestände einschließlich<br />
Quarantäne- und Hygienemaßnahmen<br />
sowie intensiver diagnostisch-epidemiologischerUntersuchungen.<br />
Die auf der Richtlinie<br />
80/217/EWG basierende<br />
Schweinepest-Verordnung vom<br />
24.10.1994 erlaubt jedoch unter<br />
besonderen Seuchenbedingungen<br />
die Impfung. Impfungen mit einem<br />
konventionellen und daher unmar-<br />
Abb. 4: Antikörperentwicklung nach Verabreichung eines kommerziellen Impfstoffes<br />
(Gruppe 2), von VP60 exprimierendem Baculovirus (Gruppe 3) und von mit<br />
Immunstimulantien versetztem Baculovirus (Gruppe 4) an Kaninchen. Gruppe 1:<br />
nicht vakzinierte Kontrolltiere. Die Antikörper wurden in einem ELISA gegen gereinigtes<br />
RHD-Virus getestet. Die Menge der gebildeten Antikörper (ablesbar an<br />
der Höhe der optischen Dichte) korreliert mit dem Impfschutz.<br />
1,2<br />
1,0<br />
0,8<br />
0,6<br />
0,4<br />
0,2<br />
0,0<br />
Optische Dichte (490 nm)<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4<br />
0 4 7 13 21 28 35 55 69 126<br />
Tage nach Vakzinierung<br />
6<br />
Abb. 3: Expression von VP60 des RHD-<br />
Virus in Insekten-Zellkulturen, die mit<br />
gentechnisch veränderten Baculoviren<br />
infiziert worden sind. Nachweis des<br />
Proteins mittels eines VP60-spezifischen<br />
Antikörpers in der Immunfluoreszenz.<br />
kierten Impfstoff führen allerdings zu<br />
umfangreichen Handelsrestriktionen,<br />
die ebenfalls große wirtschaftliche<br />
Verluste nach sich ziehen.<br />
Schweinepestausbrüche haben in<br />
Deutschland, Belgien und den Niederlanden<br />
enorme wirtschaftliche<br />
Schäden verursacht. So kam es<br />
1997 allein in Deutschland zu<br />
44 Ausbrüchen, bei denen<br />
39.000 Schweine gekeult werden<br />
mußten; darüber hinaus wurden in<br />
351 Kontaktbetrieben 36.700 Tiere<br />
vorbeugend gekeult. Um hier Abhilfe<br />
zu schaffen wird intensiv an der Entwicklung<br />
eines Markerimpfstoffes gegen<br />
die Schweinepest gearbeitet. An<br />
einen solchen markierten Impfstoff<br />
sind hinsichtlich seiner Unschädlichkeit<br />
und Wirksamkeit hohe Anforderungen<br />
zu stellen, wie<br />
1. Schutz gegenüber einer natürlichen<br />
Kontaktinfektion;<br />
2. keine Übertragung von Feldvirus<br />
durch geimpfte Schweine auf Kontakttiere;<br />
3. keine Übertragung des Schweinepestvirus<br />
von geimpften Sauen<br />
auf die Nachkommen;<br />
4. effektiver Langzeitschutz möglichst<br />
nach einmaliger Impfung;<br />
5. eindeutige Unterscheidung von infizierten<br />
und geimpften Tieren;<br />
6. keine Handelsbarrieren für die<br />
geimpften Schweine.<br />
Bei der Entwicklung von Schweinepest-Markervakzinen<br />
wurden mehrere<br />
Wege beschritten. Schweine bil-
den nach natürlicher Infektion Antikörper<br />
gegen verschiedene Virusproteine,<br />
vor allem gegen die Strukturproteine<br />
E rns und E2 sowie das Protein<br />
NS3 (Abb. 5). Besonders die<br />
gegen E2 gerichteten Antikörper<br />
führen zu einem Immunschutz, so<br />
daß dieses Protein in einem Impfstoff<br />
enthalten sein muß. Bisher wurde vor<br />
allem an der Entwicklung von Subunit-Vakzinen<br />
sowie rekombinanten<br />
Vektorvakzinen mit Erfolg gearbeitet.<br />
Während der Schweinepest-Markerimpfstoff<br />
der ersten Generation, die<br />
Subunit-Vakzine, vor der Zulassung<br />
steht, dürften zur Einführung rekombinanter<br />
vermehrungsfähiger Vektorvakzinen<br />
noch umfangreiche Untersuchungen<br />
erforderlich sein.<br />
Subunit-Vakzine<br />
Bei der Subunit-Vakzine wird das<br />
Gen für das E2-Protein in das Genom<br />
eines genetisch veränderten Baculovirus<br />
integriert (Abb. 5; in Zusammenarbeit<br />
mit der Universität<br />
Gießen). Gereinigtes E2 dient dann<br />
als Totimpfstoff, wobei Antikörper nur<br />
gegen dieses Virusprotein gebildet<br />
werden. Werden zusätzlich Antikörper<br />
gegen weitere Proteine des<br />
Schweinepest-Virus gefunden, so<br />
liegt eine Infektion mit Feldvirus vor.<br />
Das Tier muß dann geschlachtet und<br />
unschädlich beseitigt werden. Eine<br />
solche Unterscheidung läßt sich<br />
durch Blutuntersuchungen durchführen.<br />
Laboruntersuchungen haben<br />
gezeigt, daß ein derartiger Impfstoff<br />
geeignet ist, nach zweimaliger Impfung<br />
eine Schweinepest-Infektion bei<br />
Läuferschweinen und Sauen sowie<br />
eine Feldvirusausscheidung wirksam<br />
zu verhindern. Da es sich bei der<br />
Subunit-Vakzine um einen Totimpfstoff<br />
handelt, der zudem nur auf einem<br />
einzelnen Protein – dem E2 – basiert,<br />
wird der Schutz im Vergleich zur konventionellen<br />
Lebendvakzine, bei der<br />
ja sämtliche Proteine des Schweinepestvirus<br />
vorliegen, später ausgebildet.<br />
Wichtige zellvermittelte Immunmechanismen<br />
werden ebenfalls<br />
nicht genügend in Gang gesetzt. Daher<br />
dürfte dieser Impfstoff, dessen<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
Abb. 5: Genom-Organisation des KSP-Virus. Das schutzvermittelnde E2-Glykoprotein<br />
wird mittels gentechnisch veränderter Baculoviren exprimiert und<br />
zur Immunisierung der Schweine verwandt. Nach Immunisierung mit E2 werden<br />
nur Antikörper gegen dieses Protein gebildet (rot dargestellte Antikörper).<br />
Die Immunantwort von infizierten Tieren ist gegen alle Proteine gerichtet,<br />
vor allem gegen E rns , E2 und NS2/3 (blau dargestellte Antikörper). Wenn<br />
in Schweinen nur Antikörper gegen E2 nachzuweisen sind, handelt es sich um<br />
geimpfte Tiere, bei Nachweis von Antikörpern sowohl gegen E2 als auch gegen<br />
E rns und/oder NS2/3 um infizierte Tiere.<br />
Herstellung auch relativ teuer ist, nur<br />
bedingt für einen Einsatz geeignet<br />
sein. Dennoch stellt er ein wichtiges<br />
Instrument bei der künftigen Beherrschung<br />
der Schweinepest dar.<br />
Rekombinante<br />
Vektorvakzinen<br />
Arbeiten zur Entwicklung von Markervakzinen<br />
auf der Grundlage von<br />
vermehrungsfähigen Viren als Träger<br />
(Vektoren) KSP-Virus-spezifischer Antigene<br />
wurden bisher sowohl in<br />
Deutschland (BFAV, Universität<br />
Gießen) als auch im Ausland durchgeführt.<br />
Grundlagen hierfür bildeten<br />
genetisch veränderte Viren, wie beispielsweise<br />
das Virus der Aujeszky’schen<br />
Krankheit, in dessen genetisches<br />
Material das Gen für E2 integriert<br />
wurde. Vakzinen auf der Basis<br />
vermehrungsfähiger Vektoren haben<br />
entscheidende Vorteile gegenüber<br />
7<br />
Subunit-Vakzinen: Neben der Antikörper-Immunität<br />
wird auch die zellvermittelte<br />
Immunität stimuliert, was zu einer<br />
höheren und früheren Schutzwirkung<br />
führt. Gerade letzteres ist zum<br />
Beispiel für Schweinebestände von<br />
Bedeutung, die unmittelbar Kontakt<br />
zum Seuchenbetrieb hatten. Ein weiterer<br />
Vorteil einer solchen Vakzine ergibt<br />
sich aus der Tatsache, daß nicht<br />
nur effizient gegen Schweinepest immunisiert<br />
werden kann, sondern auch<br />
gegen den Erreger, der als Vektor genutzt<br />
wird (z. B. Schweinepest und<br />
Aujeszky’sche Krankheit).<br />
ANIMALE HERPESVIREN<br />
ALS MARKER- UND<br />
VEKTORIMPFSTOFFE<br />
Herpesviren sind bedeutende<br />
Krankheitserreger bei Mensch und<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT
Abb. 6: Prinzip der<br />
DNA-Immunisierung:<br />
Das virale<br />
Gen, welches für<br />
ein schutzerzeugendesProtein<br />
kodiert, wird<br />
in ein Plasmid<br />
unter Kontrolle<br />
starker Promotoren<br />
eingefügt<br />
und in Bakterien<br />
vermehrt. Die<br />
Plasmid-DNA wird<br />
nach Aufreinigung<br />
in Schweine injiziert.<br />
Nach der<br />
Impfung kommt es<br />
zu einer Immunreaktion<br />
im Tier<br />
gegen das entsprechende<br />
Protein.<br />
Tier und verursachen erhebliche ökonomische<br />
Verluste in der Nutztierhaltung.<br />
Die zur Zeit verfügbaren Impfstoffe<br />
für Rinder, Schweine und Geflügel<br />
müssen meist mehrmals angewendet<br />
werden, um einen sicheren<br />
Schutz vor den jeweiligen Erkrankungen<br />
zu gewährleisten. Ein weiterer<br />
Nachteil klassischer Impfstoffe ist,<br />
daß diese im allgemeinen keine Unterscheidung<br />
zwischen geimpften<br />
und infizierten Tieren erlauben. Deshalb<br />
sind auch hier Markerimpfstoffe<br />
wünschenswert, um Bekämpfungsprogramme<br />
effizient durchführen zu<br />
können. Weiterhin werden Herpesvirus-Vektoren<br />
entwickelt, die zur Immunisierung<br />
gegen mehrere Krankheitserreger<br />
verwendet werden können.<br />
In den Labors der Bundesforschungsanstalt<br />
für Viruskrankheiten<br />
der Tiere (BFAV) ist bereits ein solcher<br />
Impfstoff auf der Basis eines Herpesvirus<br />
hergestellt worden, der Rinder<br />
gegen zwei verschiedene Viruskrankheiten<br />
gleichzeitig schützt. Darüber<br />
hinaus sollen die immunisierenden Eigenschaften<br />
der Impfstoffe so erhöht<br />
werden, daß nach einmaliger<br />
Anwendung bereits ausreichender<br />
Schutz vorhanden ist.<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
Derartige kostengünstige Impfstoffe<br />
könnten vor allem in Staaten der<br />
Dritten Welt die Durchführung von<br />
Impfprogrammen wesentlich erleichtern.<br />
Die Genome von Herpesviren enthalten<br />
eine Vielzahl von Genen (zwischen<br />
60 und 200), von denen fast<br />
die Hälfte für die Virusvermehrung<br />
nicht benötigt wird. Einige von diesen<br />
können durch andere Gene ersetzt<br />
werden, ohne daß die Virusvermehrung<br />
in der Zellkultur und die<br />
schutzvermittelnden Eigenschaften im<br />
Tier wesentlich beeinträchtigt werden<br />
– beides eine Voraussetzung für die<br />
Entwicklung effizienter Vektorimpfstoffe<br />
der nächsten Generation.<br />
DNA-VAKZINIERUNG<br />
GEGEN DIE AUJESZKY’SCHE<br />
KRANKHEIT<br />
Bei konventionellen Lebend- und<br />
Totvakzinen wird mit Protein (=Antigen)<br />
geimpft. Es ist allerdings auch<br />
möglich, durch direkte Verabreichung<br />
eines Gens, das für ein immunogenes<br />
Protein kodiert, einen Impfschutz<br />
zu erzeugen. Hierbei entfällt<br />
8<br />
die zum Teil aufwendige Reinigung<br />
des Antigens. Darüber hinaus werden<br />
durch die DNA-Immunisierung<br />
beide Seiten des Immunsystems, die<br />
Antikörper- und die zellvermittelte Immunität,<br />
gleichermaßen stimuliert.<br />
Für die DNA-Immunisierung wird<br />
das virale Gen in ein Plasmid (ringförmiges<br />
Stück Bakterien-DNA) eingefügt<br />
und unter die Kontrolle eines<br />
starken Promotors gebracht, also eines<br />
genetischen Elements, das später<br />
für eine hohe Synthese des Proteins in<br />
den Säugetierzellen sorgt. Das Plasmid<br />
wird in Bakterienkultur vermehrt.<br />
Wir haben diese Möglichkeit bei der<br />
Immunisierung gegen die Aujeszky’sche<br />
Krankheit der Schweine untersucht.<br />
Das Prinzip ist in Abbildung 6<br />
dargestellt. Wurde den Versuchstieren<br />
die entsprechende Plasmid-DNA<br />
in die Haut injiziert, konnte ein belastbarer<br />
Impfschutz gegen eine Infektion<br />
mit dem Aujeszky-Virus hervorgerufen<br />
werden. Die Wirksamkeit<br />
lag zwischen der einer Tot- und einer<br />
Lebendvakzine.<br />
NEUE CHANCEN<br />
Die dargestellten Beispiele zeigen,<br />
wie mit gentechnischen Methoden<br />
effektive und sichere Impfstoffe<br />
entwickelt werden können. Den Nutzen<br />
haben nicht nur Landwirte, auch<br />
unter dem Blickwinkel des Tierschutzes<br />
ergeben sich Vorteile: Spektakuläre<br />
Tötungsaktionen wie im Falle<br />
der Schweinepest wären vermeidbar,<br />
darüber hinaus eröffnen sich<br />
Möglichkeiten, Impfstoffe (z. B. gegen<br />
die Hämorrhagische Kaninchenkrankheit)<br />
vermehrt in Zellkulturen zu<br />
produzieren, wodurch sich die Verwendung<br />
von Labortieren deutlich reduzieren<br />
läßt. ■<br />
Dr. habil. Volker Kaden, Dr. Günter<br />
M. Keil, PD Dr. Nikolaus Osterrieder,<br />
Dr. Horst Schirrmeier, Prof. Dr. Thomas<br />
C. Mettenleiter, Bundesforschungsanstalt<br />
für Viruskrankheiten<br />
der Tiere, Friedrich-Loeffler-<br />
Institute, 17498 Insel Riems
Tiere als Arzneimittel- und<br />
Organlieferanten<br />
Neue Perspektiven in der Biomedizin<br />
Heiner Niemann (Neustadt-Mariensee)<br />
Im Jahr 1985 wurde erstmals über die Geburt transgener Nutztiere berichtet. Seitdem hat es auf diesem Gebiet erhebliche<br />
Fortschritte gegeben. Transgene Nutztiere haben allerdings bislang weniger in der Landwirtschaft, als vielmehr in einem<br />
anderen Bereich Bedeutung erlangt: in der Biomedizin. Dies liegt unter anderem daran, daß bisher kaum Gene bekannt<br />
sind, die im engeren Sinne landwirtschaftlich relevante Merkmale ausprägen. Zudem werden tierzüchterisch interessante<br />
Merkmale häufig durch das Zusammenspiel mehrerer Gene beeinflußt. Im folgenden werden die gegenwärtigen methodischen<br />
Ansätze zur Erstellung transgener Tiere kurz skizziert und der Entwicklungsstand in zwei biomedizinisch relevanten<br />
Bereichen – der Produktion rekombinanter Proteine durch transgene Nutztiere und der Transplantation von Tierorganen auf<br />
den Menschen – näher erläutert.<br />
ERSTELLUNG<br />
TRANSGENER TIERE<br />
Aufgrund des langen Generationsintervalls<br />
(Tabelle 1) ist die Erstellung<br />
transgener Linien bei Nutztieren<br />
ein sehr langwieriges Unternehmen.<br />
Mit dem Gentransfer soll erreicht<br />
werden, ein Genkonstrukt in allen<br />
Körperzellen eines Tieres einschließlich<br />
der Keimzellen zu integrieren<br />
und zu exprimieren. Deshalb sind für<br />
den Gentransfer bisher fast ausschließlich<br />
frühe embryonale Entwicklungsstadien<br />
verwendet worden.<br />
Voraussetzung für einen erfolgreichen<br />
Gentransfer ist ein funktionsfähiges<br />
Genkonstrukt. Dafür muß ein<br />
Strukturgen, also das Gen, das für<br />
ein bestimmtes Protein kodiert, mit<br />
einem geeigneten Regulationselement<br />
(Promotor) zusammengebracht<br />
werden. Man ist dabei nicht an Promotor-Elemente<br />
der gleichen Tierart<br />
gebunden.<br />
Die Genkonstrukte sind bisher<br />
überwiegend in frisch befruchtete Eizellen<br />
(Zygoten) übertragen worden,<br />
und zwar zu einem Zeitpunkt,<br />
bei dem die Kerne des Spermiums<br />
und der Eizelle noch nicht miteinander<br />
verschmolzen sind, sondern sich<br />
als Vorkerne getrennt in der Zygote<br />
befinden. Das genetische Material<br />
wurde durch Mikroinjektion in einen<br />
der beiden Vorkerne eingebracht.<br />
Die Eizelle hat einen Durchmesser<br />
von rund 150 µm; der männliche<br />
und weibliche Vorkern ist jeweils<br />
etwa 8-10 µm groß. Für die Gen-<br />
9<br />
übertragung wird eine geeignete Injektionsnadel<br />
unter mikroskopischer<br />
Kontrolle in einen Vorkern vorgeschoben<br />
und die DNA-Lösung mit<br />
Tab. 1: Auswirkungen des Generationsintervalls auf die<br />
Erstellung transgener Tiere<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />
Zeitpunkt nach Mikroinjektion<br />
(in Monaten)<br />
Maus Schaf Schwein Rind<br />
Geschlechtsreife
Abb. 2: Schematische Darstellung des Kerntransfers mit<br />
embryonalen Zellen (Oozyte = weibl. Keimzelle)<br />
(a)<br />
(c)<br />
(e)<br />
etwa 3.000 bis 5.000 Kopien des<br />
jeweiligen Genkonstruktes mikroinjiziert<br />
(Abb. 1). In der nachfolgenden<br />
Verschmelzung der beiden Vorkerne<br />
wird das mütterliche und väterliche<br />
Erbgut neu kombiniert, so daß auch<br />
das Fremdgen in das Genom des<br />
Wirtes mit eingebaut werden kann.<br />
Die Zygoten befinden sich zu<br />
dem Zeitpunkt, an dem sie für die<br />
Mikroinjektion benötigt werden,<br />
noch im Eileiter und können über einen<br />
operativen Eingriff durch Spülung<br />
der Eileiter gewonnen werden.<br />
Beim Rind ist dies sehr aufwendig,<br />
deshalb werden dort überwiegend<br />
in vitro erzeugte Embryonalstadien<br />
verwendet. Die mikroinjizierten Eizellen<br />
werden dann nach einer kurzzeitigen<br />
in-vitro-Kultivierung, bei der<br />
injektionsbedingte Schädigungen<br />
(b)<br />
(d)<br />
(a) Metaphase II - Oozyte<br />
(b) Metaphase II - Oozyte nach Entfernung der Chromosomen<br />
(c) Spenderembryo mit 16 Blastomeren<br />
(d) Entkernte Empfängeroozyte vor Transfer der Blastomere<br />
(e) Oozyte und Blastomere nach Transfer<br />
(f) Aufnahme der Blastomere im Ooplasma nach Elektrofusion und<br />
Kernschwellung als Zeichen der Reprogrammierung<br />
(f)<br />
erkannt werden können, in die Eileiter<br />
synchronisierter, das heißt zyklusgleicher<br />
Empfängertiere übertragen.<br />
Das gesamte Verfahren ist sehr<br />
aufwendig und nur wenig effizient,<br />
da durchschnittlich nur 1–4 % der<br />
geborenen Nachkommen das<br />
Fremdgen integriert haben und damit<br />
als ‘transgen’ bezeichnet werden<br />
können. Zudem erfolgt die Integration<br />
zufällig in das Wirtsgenom,<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
und die Expression des fremden<br />
Gens kann durch das umgebende<br />
Genom beeinflußt werden. Deshalb<br />
wird intensiv nach effizienteren Alternativen<br />
gesucht. Dazu müssen geeignete,<br />
in der in-vitro-Kultur handhabbare<br />
Zellen oder Zellinien verfügbar<br />
sein. Diese scheinen inzwischen<br />
bei landwirtschaftlichen Nutztieren<br />
in Form von fetalen Fibroblasten<br />
(Bindegewebszellen), möglicherweise<br />
auch Keimzell-Vorläuferzellen,<br />
vorhanden zu sein.<br />
Erste Studien haben ergeben,<br />
daß sich diese Zellen relativ leicht<br />
genetisch verändern lassen und zudem<br />
die Integration und Funktionsfähigkeit<br />
des Transgens in vitro geprüft<br />
werden kann. Der Kern einer<br />
solchen transgenen Zelle wird in<br />
eine Empfänger-Eizelle, deren Chromosomen<br />
zuvor entfernt wurden,<br />
eingesetzt (Abb. 2). Auf diese Weise<br />
sind kürzlich erstmals transgene<br />
Schafe und Rinder geboren worden.<br />
DIE MILCHDRÜSE<br />
ALS BIOREAKTOR<br />
Für zahlreiche pharmazeutisch<br />
wirksame Proteine, insbesondere<br />
Blutgerinnungsfaktoren und andere<br />
Blutproteine, überschreitet der Bedarf<br />
bei weitem die heutigen Produktionsmöglichkeiten.<br />
Diese Stoffe<br />
werden überwiegend noch durch<br />
Fraktionierung menschlichen Blutes<br />
gewonnen. Trotz sorgfältigster Kontrollen<br />
besteht dabei das Risiko der<br />
Übertragung viraler Krankheitserreger,<br />
wie Hepatitis B oder HIV. Aufgrund<br />
der aufwendigen und teuren<br />
Reinigungsverfahren sind die benötigten<br />
Proteine zudem extrem teuer.<br />
Durch den Mangel an diesen Proteinen<br />
können Patienten statt der erforderlichen<br />
prophylaktischen Behandlung<br />
häufig nur sporadisch und therapeutisch<br />
behandelt werden, was<br />
erhebliche Beschwerden und Einbußen<br />
in der Lebensqualität verursacht.<br />
Mit Hilfe der Gentechnologie<br />
wird weltweit nach alternativen Pro-<br />
10<br />
duktionswegen gesucht. Die Produktion<br />
biologisch aktiver pharmazeutischer<br />
Proteine mit Hilfe gentechnisch<br />
veränderter Bakterien oder Hefen ist<br />
jedoch meist nicht möglich, da diese<br />
Mikroorganismen nicht die Fähigkeit<br />
besitzen, die primären Genkonstrukte<br />
innerhalb der Zelle korrekt<br />
weiterzuverarbeiten. Proteine sind<br />
nämlich mehr als die bloße Aneinanderreihung<br />
von Aminosäuren, die<br />
durch das Gen kodiert werden. Für<br />
die biologische Wirksamkeit komplexer<br />
Proteine sind auch bestimmte<br />
Modifikationen, wie Glykosylierung,<br />
ß-Hydroxilierungen oder Karboxilierungen,<br />
notwendig. Die hierfür<br />
benötigen Enzyme fehlen den Bakterienzellen<br />
oder Hefen häufig.<br />
Transgene Nutztiere wie Rind,<br />
Schaf, Ziege, aber auch Schwein<br />
produzieren große Mengen Milchproteine,<br />
die leicht durch Melken zu<br />
gewinnen sind. Beispielsweise beträgt<br />
die Syntheserate der Milchdrüse<br />
für endogene Proteine zum Laktationshöhepunkt<br />
etwa 0,1 kg Protein/Tag<br />
beim Schaf und 1 kg/Tag<br />
beim Rind. Da diese enorme Syntheseleistung<br />
auch eine hohe Fremdgenexpression<br />
erwarten läßt, liegt<br />
die Idee nahe, die Milchdrüse als<br />
Bioreaktor zu verwenden. Die Milchdrüsenzellen<br />
transgener Nutztiere<br />
sind in der Lage, die erforderlichen<br />
Modifikationen an den Fremdproteinen<br />
durchzuführen, die für eine biologische<br />
Aktivität erforderlich sind.
Abb. 1: Mikroinjektion in den Vorkern<br />
einer Schafzygote bei 320facher mikroskopischer<br />
Vergrößerung.<br />
Allerdings ist der finanzielle Aufwand,<br />
um ein exprimierendes Tier zu<br />
erstellen, aufgrund der geringen Effizienz<br />
des Gentransfers über Mikroinjektion<br />
noch sehr hoch. Da die Genkonstrukte<br />
aber nach den Mendel’schen<br />
Regeln weitervererbt werden,<br />
stehen nach einem entsprechenden<br />
Zeitraum homozygote, also reinerbige<br />
Individuen zur Verfügung. Nachdem<br />
eine solche transgene Linie erst<br />
einmal etabliert ist, sind die Haltungskosten<br />
für die Tiere gering, auch<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
im Verhältnis zu anderen Produktionssystemen.<br />
Die Proteine müssen aus<br />
der Milch gewonnen, aufgereinigt<br />
und als pharmazeutisch wirksame<br />
Substanzen aufbereitet werden.<br />
Inzwischen sind mehrere Proteine<br />
in der Milchdrüse transgener Tiere<br />
teilweise in beachtlichen Konzentrationen<br />
produziert worden (Tabelle 2).<br />
Prominentestes Beispiel ist sicherlich<br />
die Produktion von �-Anti-Trypsin in<br />
der Milchdrüse des transgenen Schafes<br />
„Tracy” (Abb. 3). �-Anti-Trypsin ist<br />
der Hauptgegenspieler des Enzyms<br />
Elastase, das den Abbau während<br />
des kontinuierlichen Ab- und Neuaufbaus<br />
des Gewebes steuert. Ein genetisch<br />
bedingter Mangel oder vollständiges<br />
Fehlen von �-Anti-Trypsin<br />
führt zu gesteigertem Gewebeabbau,<br />
der besonders in der Lunge manifest<br />
wird. Von diesem genetischen<br />
Defekt sind in Europa und Amerika<br />
etwa 100.000 Menschen betroffen.<br />
Die benötigten Mengen an �-Anti-<br />
Trypsin können durch Isolierung aus<br />
menschlichem Blutplasma nicht gewonnen<br />
werden.<br />
Bei dem Schaf „Tracy” lag die Expressionshöhe<br />
in der Milch bis zu<br />
63 g pro Liter, bei durchschnittlich<br />
35 g pro Liter während der gesamten<br />
Laktation. Das aus der Milch aufgereinigte<br />
Protein war vollständig<br />
11<br />
und korrekt glykosiliert und besaß<br />
eine nahezu identische biologische<br />
Aktivität wie das humane �-Anti-<br />
Trypsin-Präparat.<br />
Inzwischen sind neben dem �-<br />
Anti-Trypsin auch der Tissue Plasminogen<br />
Activator (TPA), eine Substanz,<br />
die hochwirksam Blutgerinnsel<br />
aufzulösen vermag, und Antithrombin<br />
III, eine gerinnungshem-<br />
mende Substanz, in der Milchdrüse<br />
transgener Schafe und Ziegen produziert<br />
und aufgereinigt worden.<br />
Diese drei Substanzen befinden sich<br />
bereits im fortgeschrittenen Stadium<br />
der klinischen Prüfung. Bei deren positiven<br />
Ausgang wird damit gerechnet,<br />
daß sie im Jahre 2001 bis<br />
2002 auf den Markt kommen. Dies<br />
sind dann die ersten pharmazeutischen<br />
Proteine, die aus der Milchdrüse<br />
transgener Tiere für therapeutische<br />
Zwecke bereitgestellt werden<br />
Tab. 2: Transgene landwirtschaftliche Nutztiere mit milchdrüsenspezifischer Expression pharmazeutischer Proteine<br />
Mikroinjizierte Nachkommen Transgene Nach- Expressionshöhe<br />
Tierart Genkonstrukt übertragene Eizellen Anzahl/(%)* kommen/Exp.* (pro ml) Autoren<br />
Schaf �-lac-hFIX 307 57 (18,6) 4/2 25 ng Simons et. al. (1988); Clark et al. (1989)<br />
Schaf �-lac-hαAT 439 113 (25,7) 5/4 35 mg (bis 63 mg) Wright et al. (1991)<br />
Schaf �-lac-hFVIII-MT-I 277 103 (37,2) 6/3 5 – 10 ng Niemann et al. (1996, 1997)<br />
Schaf MAR �-lac-hFVIII-MT-I 255 94 (36,9) 4/1 mRNA Niemann et al. (1996)<br />
Ziege mWAP-LA-tPA 203 29 (14,3) 2/1 2 – 3 mg Ebert et al. (1991)<br />
Schwein mWAP-hPrC 320 26 ( 8,2) 7 1 mg Velander et al. (1992)<br />
Rind �-cas-hLF 129 19 (14,7) 2/1 � 30 mg Lee and de Boer (1994);<br />
Krimpenfort et al. (1991)<br />
Rind �-cas-hERY 859 1 ( 0,1) 1/0 – Hyttinen et al. (1994)<br />
�-lac = ß-Lactoglobulin<br />
FIX = humaner Blutgerinnungsfaktor IX<br />
hPrC = humanes Protein C<br />
MAR = Matrix Attachment Regions<br />
h�AT = humanes �-Anti-Trypsin<br />
hLF = humanes Laktoferrin<br />
�-cas = boviner Caseinpromotor<br />
hFVIII = humaner Blutgerinnungsfaktor VIII<br />
hERY = humanes Erythropoetin<br />
mWAP = muriner saurer Molkenproteinpromotor<br />
LA-tPA = Gewebe Plasminogen-Aktivator<br />
MT-I = Murines Metallothionein I<br />
* Die Angaben sind folgendermaßen zu verstehen: Aus 307 übertragenen Eizellen (im Fall der transgenen Schafe mit β-lac-hFIX-Genkonstrukt) sind 57 Nachkommen (= 18,6 %) hervorgegangen, davon<br />
waren 4 Tiere transgen, von diesen exprimierten 2 das entsprechende Protein.<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />
Die Milchdrüse<br />
als Bioreaktor:<br />
Aus der Milch<br />
transgener<br />
Kühe, Schafe<br />
und Ziegen<br />
sollen pharmazeutisch<br />
wirksame<br />
Proteine<br />
gewonnen<br />
werden.
können. Angesichts dieser äußerst<br />
komplexen und schwierigen Technologie<br />
ist die kurze Entwicklungszeit<br />
von annähernd 20 Jahren besonders<br />
bemerkenswert. Diese Arbeiten<br />
sind im wesentlichen durch zwei<br />
Biotechnologie-Firmen, Genzyme<br />
Transgenics in den USA und Pharmaceutical<br />
Proteins Ltd. (PPL) in<br />
Schottland, durchgeführt worden.<br />
In eigenen <strong>Forschung</strong>sarbeiten<br />
am FAL-Institut für Tierzucht und Tierverhalten<br />
ist in engster Kooperation<br />
mit der Arbeitsgruppe Zellbiologie<br />
des Fraunhofer Instituts in Hannover<br />
der menschliche Blutgerinnungsfaktor<br />
VIII in der Milchdrüse transgener<br />
Schafe exprimiert worden. Genetisch<br />
bedingter Mangel oder vollständiges<br />
Fehlen von Faktor VIII hat<br />
das klinische Bild der Hämophilie A<br />
zur Folge. Dabei handelt es sich um<br />
die am weitesten verbreitete genetisch<br />
bedingte Blutgerinnungsstörung<br />
beim Menschen („Bluterkrankheit”).<br />
Zur Behandlung werden<br />
überwiegend Plasmapräparate eingesetzt,<br />
die vielfach mit pathogenen<br />
Viren kontaminiert und zudem mengenmäßig<br />
völlig unzureichend verfügbar<br />
sind.<br />
Das Faktor VIII-Gen ist ein besonders<br />
großes und extrem komplex reguliertes<br />
Gen, was eine effiziente<br />
Expression in der Milchdrüse transgener<br />
Tiere besonders schwierig<br />
macht. In den bisherigen Untersuchungen<br />
ist gezeigt worden, daß<br />
Faktor VIII-Foundertiere lebensfähig<br />
sind und die Genkonstrukte von<br />
transgenen Tieren weitervererbt werden,<br />
daß das Genkonstrukt in der<br />
Milchdrüse korrekt prozessiert wird<br />
und biologische Wirksamkeit entfaltet.<br />
In zukünftigen <strong>Forschung</strong>sarbeiten<br />
soll die Expressionshöhe durch<br />
neuartige Genkonstrukte erhöht werden.<br />
Berechnungen haben ergeben,<br />
daß bereits 20–25 Schafe den<br />
gesamten Jahresbedarf der USA an<br />
Faktor VIII (ca. 120 g) decken könnten,<br />
und zwar unter der Voraussetzung<br />
einer Expressionshöhe von<br />
0,01 g/ltr. und einer Ausbeute von<br />
nur 10 % des Proteins.<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
XENOTRANSPLANTATION<br />
Viele Menschen verdanken ihr Leben<br />
der Übertragung eines geeigneten<br />
Organs. In solchen Fällen existierte<br />
keine alternative Behandlungsmöglichkeit,<br />
und der Empfänger<br />
wäre ohne die Organtransplantation<br />
gestorben. Die großen medizinisch-technischen<br />
Fortschritte bei<br />
der Organtransplantation, die heute<br />
das Überleben vieler Kranker gewährleisten,<br />
haben jedoch weltweit<br />
zu einem akuten Mangel an Spenderorganen<br />
geführt. Während die<br />
Nachfrage nach transplantierbaren<br />
Organen jährlich um circa 15 %<br />
steigt, ist die Bereitschaft zur Organspende<br />
in etwa gleich geblieben<br />
oder sogar gesunken. Schätzungen<br />
in den USA haben ergeben,<br />
daß für 45.000 Menschen, jünger<br />
als 65 Jahre, eine Herztransplantation<br />
notwendig ist, aber nur<br />
2.000 menschliche Herzen pro Jahr<br />
zur Verfügung stehen. Deshalb sterben<br />
heute in jedem Jahr viele tausend<br />
Patienten, die bei Verfügbarkeit<br />
geeigneter Organe überleben<br />
könnten.<br />
Um diese immer größer werdende<br />
Lücke zwischen Nachfrage und<br />
Verfügbarkeit geeigneter Organe<br />
schließen zu können, wird heute die<br />
Xenotransplantation – das heißt<br />
Übertragung von Organen zwischen<br />
nichtverwandten Arten, zum<br />
Beispiel von Tieren auf den Menschen<br />
– als beste Lösung angesehen.<br />
Dabei ist das Schwein offenbar<br />
besonders geeignet, da dessen Organe<br />
in etwa die gleiche Größe<br />
und eine ähnliche Physiologie und<br />
Anatomie wie die des Menschen<br />
besitzen. Charakteristisch für das<br />
Schwein sind außerdem kurze Reproduktionszyklen<br />
und große Nachkommenzahlen<br />
sowie schnelles<br />
Wachstum. Darüber hinaus sind die<br />
Haltungskosten auch unter hygienisch<br />
hohem Standard relativ niedrig.<br />
Die wesentliche immunologische<br />
Hürde, die überwunden werden<br />
muß, ist die hyperakute Abstoßung,<br />
12<br />
Abb. 3: Das transgene Schaf „Tracy” mit<br />
Nachkommen im schottischen Roslin-<br />
Institut<br />
(Foto: Ges. für Biotechnische <strong>Forschung</strong>)<br />
die innerhalb von Sekunden bis Minuten<br />
nach Übertragung eines Xenotransplantats<br />
eintritt. Im Falle der<br />
Übertragung von Organen des<br />
Schweins auf den Menschen reagieren<br />
die menschlichen Antikörper<br />
auf Antigene auf der Oberfläche<br />
des Fremdorgans. Diese Antikörper<br />
aktivieren das Komplementsystem,<br />
eines der Hauptabwehrsysteme im<br />
Blut des Empfängers, und die Antikörper-Komplementkomplexezerstören<br />
die Gefäßinnenauskleidung<br />
des Fremdorgans und damit letztlich<br />
das Organ selbst.<br />
Dementsprechend zielt die Strategie,<br />
Schweine genetisch zu verändern,<br />
im wesentlichen darauf ab,<br />
diese hyperakute Abstoßungsreaktion<br />
zu überwinden. Dies kann durch<br />
Synthese humaner Komplementregulatoren<br />
im Schwein offenbar erreicht<br />
werden. Nach Transplantation in<br />
den Empfänger würde das Schweineorgan<br />
diese Regulatoren produzieren<br />
und damit die Komplementattacke<br />
des Empfängers ausschalten.<br />
Inzwischen sind transgene<br />
Schweine erstellt worden, die humane<br />
Komplementregulatoren exprimieren<br />
und deren Herzen in Primaten<br />
übertragen worden sind. Die<br />
durchschnittliche Überlebensrate betrug<br />
30–60 Tage, während die
nichttransgenen Kontrollen bereits innerhalb<br />
weniger Minuten zerstört<br />
wurden. Empfängerprimaten mußten<br />
allerdings mit immunsuppressiven<br />
Medikamenten behandelt<br />
werden, um die akute<br />
Abstoßungsreaktion, die auch bei<br />
der Transplantation menschlicher<br />
Organe auftritt, zu beherrschen.<br />
Eine andere Strategie für eine erfolgreiche<br />
Xenotransplantation könnte<br />
die Ausschaltung der auf der<br />
Oberfläche der Schweineorgane<br />
befindlichen antigenen Strukturen<br />
betreffen. Diese sind als 1,3ß-Gal-<br />
Epitope bekannt. Da jedoch bei<br />
Nutztieren – anders als bei der<br />
Maus – noch keine effektiven Verfahren<br />
zum Knock-out (= Ausschaltung)<br />
von Genen bekannt sind, wird<br />
versucht, die Enzyme, die für die Bildung<br />
dieser Epitope verantwortlich<br />
sind, kompetetiv durch Überproduktion<br />
eines anderen Enzyms zu unterdrücken.<br />
UMSETZUNG<br />
IN DIE PRAXIS<br />
Am weitesten ist die Entwicklung<br />
der Xenotransplantation bisher bei<br />
der Firma Imutran, einer Tochter der<br />
schweizer Firma Novartis, gediehen.<br />
Sie besitzt bereits umfangreiche<br />
Erfahrungen mit der Übertragung<br />
von Herzen aus transgenen<br />
Schweinen in Primaten. Allerdings<br />
sind die beantragten klinischen Tests<br />
zunächst zurückgestellt worden, um<br />
weitere Erkenntnisse zur potentiellen<br />
Übertragung von Krankheitserregern<br />
zu gewinnen.<br />
In den USA werden zur Zeit Experimente<br />
durchgeführt, in denen<br />
das Blut von leberkranken Patienten<br />
durch eine außerhalb des Körpers<br />
befindliche Schweineleber geführt<br />
wird. Dies stellt eine Überbrückungsmaßnahme<br />
dar, bis ein geeignetes<br />
humanes Organ beschafft werden<br />
kann.<br />
Wesentlich für eine erfolgreiche<br />
Anwendung der Xenotransplantation<br />
wird die Klärung der Frage sein,<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
inwieweit endogene Retroviren vom<br />
Xenotransplantat auf den Menschen<br />
übergehen können. Es wird heute<br />
davon ausgegangen, daß durch<br />
entsprechend hohe hygienische<br />
Standards und prophylaktische Behandlungen<br />
das Risiko einer Übertragung<br />
anderer Erreger weitgehend<br />
ausgeschaltet werden kann.<br />
Daneben wird auch bedeutsam<br />
sein, inwieweit die Fremdorgane im<br />
Empfänger ihre Aufgaben hinreichend<br />
erfüllen. In einem größeren<br />
Kooperationsprojekt mit mehreren<br />
Arbeitsgruppen, unter anderem<br />
auch an der Medizinischen Hochschule<br />
Hannover, werden in eigenen<br />
<strong>Forschung</strong>sarbeiten transgene<br />
Schweine erstellt, die für Xenotransplantations-<strong>Forschung</strong>sarbeitenverwendet<br />
werden können (Abb. 4). Erste<br />
Ergebnisse zeigen, daß die eingesetzten<br />
Transgene an die Nachkommen<br />
weitergegeben und auch<br />
exprimiert werden.<br />
Prognosen besagen, daß die Xenotransplantation<br />
im Verlaufe der<br />
nächsten 8–10 Jahre klinisch einsetzbar<br />
sein wird, wobei vor allem<br />
Herz, Lunge und auch Niere verwendet<br />
werden können. Bei der Leber<br />
erscheint dies hingegen – wesentlich<br />
bedingt durch die umfangreiche<br />
Syntheseleistung biologisch<br />
wirksamer Substanzen – fraglich.<br />
Mit der Verfügbarkeit geeigneter Xenotransplantate<br />
könnten viele der<br />
bedrückenden Probleme, die durch<br />
den Mangel an geeigneten Organen<br />
auftreten, gemildert werden.<br />
Dies ist auch angesichts der Tatsache<br />
bedeutsam, daß alternative Verfahren,<br />
wie künstliche Organe und<br />
Zellinien, offenbar in absehbarer<br />
Zeit nicht zur Verfügung stehen werden.<br />
SCHLUßFOLGERUNGEN<br />
Transgene Nutztiere bieten beachtliche<br />
Perspektiven zur Lösung<br />
dringender Fragen in der Humanmedizin.<br />
Die Entwicklung auf diesem<br />
Sektor ist erheblich weiter als<br />
13<br />
auf dem landwirtschaftlichen Anwendungssektor<br />
für transgene Nutztiere.<br />
Es ist davon auszugehen, daß<br />
Produkte bzw. Organe transgener<br />
Tiere innerhalb der nächsten<br />
10 Jahre einen wichtigen Bestandteil<br />
neuzeitlicher Therapieformen<br />
ausmachen werden und zu beträchtlichen<br />
Verbesserungen in der medizinischen<br />
Versorgung bei zahlreichen<br />
Patientengruppen beitragen<br />
werden.<br />
Jüngste <strong>Forschung</strong>sergebnisse, in<br />
denen erstmals transgene Tiere über<br />
die Verwendung transfizierter Zellen<br />
und Kerntransfer erstellt wurden, lassen<br />
vermuten, daß die Effizienz des<br />
Gentransfers sowohl qualitativ als<br />
auch quantitativ in absehbarer Zukunft<br />
erheblich verbessert werden<br />
wird. Dies wird auch die Entwicklung<br />
von Anwendungsmodellen für<br />
transgene Nutztiere mit Merkmalen<br />
im engeren landwirtschaftlichen Sinne<br />
möglich machen, zumal die<br />
Kenntnisse über Gene und deren<br />
Funktionen auch in diesem Bereich<br />
stark im Zunehmen begriffen sind.<br />
Aufgrund dieser vielversprechenden<br />
Perspektiven sollte diese Technologie<br />
deshalb intensiv weiterverfolgt<br />
und verbessert werden. ■<br />
Prof. Dr. Dr. habil. Heiner Niemann,<br />
Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft<br />
(FAL), Institut für Tierzucht<br />
und Tierverhalten Mariensee,<br />
31535 Neustadt a. Rbg.<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />
Abb. 4:<br />
Transgene<br />
Schweine im<br />
FAL-Institut in<br />
Mariensee.<br />
Mit den Tieren<br />
werden<br />
Möglichkeiten<br />
der Xenotransplantation<br />
erforscht.
In der Nutztierzucht hängt die<br />
Zeit, die für eine meßbare Veränderung<br />
von Merkmalen in Richtung des<br />
Zuchtzieles benötigt wird, von verschiedenen<br />
Faktoren ab. Wichtige<br />
Fragen sind zum Beispiel: Wie stark<br />
unterscheiden sich die Individuen einer<br />
Population in Bezug auf das Selektionsmerkmal,<br />
in welchem Maße<br />
wird das Merkmal in der nächsten<br />
Generation ausgeprägt und wie lange<br />
brauchen die neugeborenen<br />
Merkmalsträger, um selbst wieder<br />
zur Zucht herangezogen zu werden.<br />
Bei langer Tragezeit und geringer<br />
Anzahl von Nachkommen pro Muttertier<br />
dauert es entsprechend lange,<br />
bis züchterisch auf veränderte<br />
Umweltbedingungen oder neue Ansprüche<br />
der Konsumenten reagiert<br />
werden kann.<br />
Leistungsmerkmale innerhalb einer<br />
Tierpopulation werden über die<br />
Keimzellen (Spermien und Eizellen)<br />
an die folgende Generation weitergegeben.<br />
Sind einzelne Individuen<br />
der Population aufgrund herausragender<br />
Leistungen in besonderem<br />
Maße zur Zucht geeignet, führt eine<br />
frühzeitige und verstärkte Nutzung<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
In-vitro-Erzeugung von<br />
Rinderembryonen<br />
Ultraschallgeleitete Entnahme von Eizellen beschleunigt den<br />
Zuchterfolg<br />
Thomas Greising (Dummerstorf)<br />
Bei Kulturpflanzen sorgen leistungsfähige und angepaßte Sorten für einen hohen Ertrag.<br />
Der Züchtung kommt hier eine Schlüsselstellung zu. Für die Nutztierhaltung liegen die<br />
Dinge ähnlich. Doch während in der Pflanzenzüchtung mit kurzlebigen, in der Regel<br />
einjährigen Arten gearbeitet wird, hat die Züchtung bei Nutztieren mit wesentlich längeren<br />
Generationsintervallen zu kämpfen. Da zudem – gerade bei größeren Nutztieren wie Rindern<br />
– die Zahl der Nachkommen relativ gering ist, dauert es lange, bis sich ein Züchtungsziel<br />
in der Population stabil ausprägt. Mit biotechnologischen Methoden ist es möglich, sowohl<br />
die Generationsintervalle zu verkürzen als auch die Nachkommensrate zu erhöhen.<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
ihres Keimzellpotentials zu einer erhöhten<br />
Anzahl von Nachkommen,<br />
die Träger der Erbanlagen für dieses<br />
Leistungsmerkmal sind.<br />
In den letzten Jahren wurden moderne<br />
biotechnische Verfahren zur<br />
Kontrolle und Steuerung der Fortpflanzung<br />
entwickelt, die den Tierzüchter<br />
bei der Zucht gesunder,<br />
fruchtbarer Tiere unterstützen können<br />
und zu einem schnelleren Zuchterfolg<br />
verhelfen.<br />
DIE VATERTIERE<br />
In der Rinderzucht ist es durch die<br />
Entwicklung der künstlichen Besamung<br />
möglich geworden, die<br />
züchterischen Ressourcen ausgewählter<br />
männlicher Tiere besser zu<br />
nutzen. Kontinuierliche Samengewinnung<br />
und Tiefgefrierkonservierung<br />
verdünnter Ejakulatportionen<br />
erlauben es, das genetische Potential<br />
leistungsstarker Bullen in einem<br />
weitaus stärkeren Maße zur Zucht<br />
zu nutzen, als das zuvor durch den<br />
natürlichen Deckakt möglich gewesen<br />
ist.<br />
14<br />
SCHWIERIGKEITEN BEI<br />
DER NUTZUNG WEIB-<br />
LICHER KEIMZELLEN<br />
Problematischer gestaltete sich<br />
die verstärkte Nutzung des Keimzellpotentials<br />
weiblicher Hochleistungsrinder.<br />
Säugetiere verfügen bei ihrer<br />
Geburt auf den Ovarien (Eierstöcken)<br />
über etwa 400.000 Follikel<br />
und in diesen Follikeln über je<br />
eine Eizelle. Trotz dieser enorm<br />
großen Zahl ist die Entwicklungsrate<br />
zur befruchtungsfähigen Eizelle<br />
äußerst gering. Bis auf wenige Ausnahmen<br />
reift in jedem ovariellen Zyklus<br />
beim Rind nur eine einzige Eizelle<br />
soweit heran, daß sie befruch-
Umsetzen von tiefgefrierkonservierten<br />
Embryonen aus der Gefriermaschine in<br />
den Container<br />
tet werden kann. Die Anzahl erzeugter<br />
Nachkommen pro Kuh ist<br />
daher relativ gering. Oft sind es<br />
nicht mehr als fünf Kälber, die von einem<br />
Muttertier geboren werden.<br />
Damit ist die Möglichkeit, die Erbanlagen<br />
weiblicher Hochleistungsrinder<br />
auf konventionelle Weise<br />
in der Zucht zu nutzen, sehr beschränkt.<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
DER EMBRYOTRANSFER<br />
Anfang der 70er Jahre wurde das<br />
Verfahren des Embryotransfers beim<br />
Rind entwickelt.<br />
Die sogenannte Superovulationsbehandlung<br />
– ein Teilschritt dieses<br />
Verfahrens – stellt einen wichtigen<br />
Meilenstein bei der verstärkten Nutzung<br />
des weiblichen Keimzellpotentials<br />
dar. Unter Superovulation versteht<br />
man die gezielte Behandlung<br />
von Kühen und Färsen mit Hormonen,<br />
die dazu führt, daß auf den<br />
Ovarien dieser Tiere vermehrt Follikel<br />
und damit befruchtungsfähige Eizellen<br />
heranreifen. Nach der Ovulation<br />
(Eisprung) werden durch künstliche<br />
Besamung statt einem gleich<br />
mehrere Embryonen erzeugt, die<br />
durch Spülung von Eileiter und Uterus<br />
aus dem Spendertier gewonnen<br />
werden können.<br />
Die Embryonen werden in Empfängertiere<br />
transferiert und von ihnen<br />
ausgetragen. Pro Behandlung und<br />
Spendertier liegt die Erfolgsrate derzeit<br />
bei etwa 5-7 transfertauglichen<br />
Embryonen, von denen sich in der<br />
Regel 2-3 zu Kälbern entwickeln.<br />
Bei wiederholter Nutzung dieses<br />
Verfahrens sind bis zu 100 Nachkommen<br />
pro Kuh möglich.<br />
Superovulation und Embryotransfer<br />
tragen als Komplex dazu bei, die<br />
Erbanlagen weiblicher Hochleistungstiere<br />
in wesentlich stärkerem<br />
Maße in die Gesamtpopulation einzubringen,<br />
als es durch ‘klassische’<br />
künstliche Besamung der Tiere möglich<br />
wäre.<br />
Abb. 1:<br />
Die ultraschallgeleitete<br />
Follikelaspiration<br />
beim Rind.<br />
A) Die Ultraschallsonde<br />
wird durch den Tierarzt<br />
fixiert und die<br />
Aspirationskanüle<br />
durch einen Helfer<br />
eingeführt.<br />
B) Ultraschallbild<br />
eines Rinder-Ovars.<br />
15<br />
DIE FORSCHUNG<br />
Obwohl Superovulation und Embryotransfer<br />
beim Rind mittlerweile<br />
feste Bestandteile der Arbeit von<br />
Zuchtverbänden sind, wird weiter<br />
an ihrer Optimierung gearbeitet.<br />
Beiden Verfahren liegen äußerst<br />
komplexe biologische Mechanismen<br />
zugrunde, derenCharakterisierung<br />
ein breites Methodenspektrumerfordert.<br />
Die Untersuchungen<br />
an lebenden<br />
Tieren dienen<br />
dabei als Grundlage<br />
für die Erarbeitung<br />
von Modellen<br />
zur Simulation physiologischerVorgänge.<br />
Ziel ist es, zelluläre<br />
und systemischeRegulationsmechanismen<br />
genauer<br />
zu untersuchen und<br />
zu entschlüsseln. Die komplexe Nutzung<br />
zellphysiologischer, biochemischer<br />
und klinischer Methoden trägt<br />
neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn<br />
auch zur Entwicklung<br />
von innovativen biotechnischen<br />
Verfahren bei. Ein Beispiel hierfür ist<br />
die ultraschallkontrollierte Entnahme<br />
von Eizellen aus den Follikeln (Follikelaspiration),<br />
die als Grundlage für<br />
die In-vitro-Produktion von Embryonen<br />
dient.<br />
DIE TRANSVAGINALE<br />
ULTRASCHALLGELEITETE<br />
FOLLIKELASPIRATION<br />
Superovulation und Embryotransfer<br />
waren zunächst die einzigen<br />
Möglichkeiten, das Eizellpotential<br />
weiblicher Hochleistungsrinder in<br />
verstärktem Maße zu Zucht zu nutzen.<br />
Nach wie vor war man aber<br />
darauf angewiesen, die Kühe künstlich<br />
zu besamen und die Embryonen<br />
durch Spülung von Eileiter und Uterus<br />
zu gewinnen. Mit der Entwicklung<br />
von In-vitro-Techniken zur Eizell-<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />
Laden des<br />
Transfergerätes<br />
mit einem<br />
aufgetauten<br />
TG-Embryo<br />
vor der<br />
Übertragung
Abb. 2:<br />
Zwei Rinderembryonen<br />
im<br />
Stadium der<br />
Blastozyste,<br />
8 Tage nach der<br />
Befruchtung<br />
der Eizellen.<br />
reifung, Befruchtung und Embryokultur<br />
eröffnete sich die Möglichkeit,<br />
Embryonen auch außerhalb des Organismus<br />
zu erzeugen.<br />
Das Problem bei der praktischen<br />
Anwendung bestand allerdings darin,<br />
daß zur Eizellgewinnung anfangs<br />
nur die Ovarien geschlachteter<br />
Rinder genutzt werden konnten.<br />
Von lebenden Tieren ließen sich keine<br />
frischen unbefruchteten Eizellen<br />
gewinnen. Die sogenannte ultraschallgeleitete<br />
Follikelaspiration hat<br />
hier zu einem Durchbruch geführt.<br />
Bei diesem Verfahren werden die<br />
Ovarien des Eizellspenders und<br />
eine transvaginal eingeführte Kanüle<br />
mittels Ultraschallsonde auf einem<br />
Monitor sichtbar gemacht (Abb. 1).<br />
Dadurch kann der Tierarzt das Absaugen<br />
von Follikelflüssigkeit und Eizellen<br />
auf dem Bildschirm genau<br />
verfolgen. Für die Spendertiere stellt<br />
dieser Eingriff keine starke Belastung<br />
dar, er kann daher in regelmäßigen<br />
Abständen wiederholt werden.<br />
UNTERSUCHUNGEN<br />
AM FBN<br />
Seit mehreren Jahren werden im<br />
<strong>Forschung</strong>sbereich Fortpflanzungsbiologie<br />
des <strong>Forschung</strong>sinstituts für<br />
die Biologie landwirtschaftlicher<br />
Nutztiere (FBN) in Dummerstorf<br />
grundlagenorientierte <strong>Forschung</strong>sarbeiten<br />
zur ultraschallgeleiteten Follikelaspiration<br />
durchgeführt. Ein Team<br />
von Wissenschaftlern untersucht derzeit<br />
den Einfluß verschiedener Fakto-<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
ren auf die Effizienz der Technik. Im<br />
Vordergrund stehen dabei das Alter,<br />
der Zyklusstand und die hormonelle<br />
Behandlung der Tiere. Die gewonnenen<br />
Daten geben Auskunft über<br />
die Auswirkungen biologischer Einflußgrößen<br />
auf die Anzahl und Qualität<br />
der Eizellen. Die Optimierung<br />
technischer Details wie Aspirationsdruck,<br />
Ultraschallsonde und Aspirationssystem<br />
soll dazu beitragen, die<br />
Methode als neue Biotechnik in<br />
größerem Rahmen als bisher für die<br />
Praxis nutzbar zu machen. Gegenwärtig<br />
können in Dummerstorf im<br />
Mittel sechs reifungstaugliche Eizellen<br />
pro Spendertier und Aspiration<br />
gewonnen und für die Embryonenproduktion<br />
in vitro genutzt werden.<br />
Im Labor werden die gewonnenen<br />
Eizellen in Abhängigkeit von<br />
der hormonellen Vorbehandlung der<br />
Tiere, vom Gewinnungszeitpunkt<br />
und vom morphologischen Zustand<br />
der Eizellen gereift. Bei ihrer Befruchtung<br />
konnte ein Einfluß des Bullen<br />
auf die Befruchtungsrate nachgewiesen<br />
werden. Durch verschiedene<br />
Medienzusätze soll die Effizienz der<br />
Embryoproduktion optimiert werden.<br />
Derzeit ist es möglich, aus den<br />
gewonnen Eizellen im Durchschnitt<br />
20 % Morulae und Blastozysten – erste<br />
Entwicklungsstadien auf dem<br />
Weg zum Embryo – zu erzeugen<br />
(Abb. 2). Nachdem die ultraschall-<br />
16<br />
geleitete Follikelaspiration anfänglich<br />
nur bei „Problemtieren” angewandt<br />
worden ist, also bei Kühen,<br />
die auf die Superovulationsbehandlung<br />
nicht angesprochen haben<br />
oder von denen aus anderen Gründen<br />
keine Embryonen gewonnen<br />
werden konnten, stehen mittlerweile<br />
vor allem tragende Tiere bis zum<br />
vierten Trächtigkeitsmonat sowie<br />
Kälber und Jungtiere im Mittelpunkt<br />
des Interesses der Forscher.<br />
NUTZEN FÜR<br />
DIE TIERZUCHT<br />
Besonders vielversprechend im<br />
Hinblick auf eine Beschleunigung<br />
des Zuchtfortschrittes ist die Nutzung<br />
von Tieren noch vor der Geschlechtsreife.<br />
Durch die beschriebenen<br />
Techniken wird es möglich,<br />
Nachkommen auch von Tieren zu<br />
erzeugen, die aufgrund ihres geringen<br />
Alters noch nicht in der konventionellen<br />
Zucht verwendet werden<br />
können. Eine frühere Nutzung der<br />
Jungtiere, das heißt eine Verkürzung<br />
des Generationsintervalls, bedeutet<br />
eine erhöhte Anzahl von Nachkommen<br />
pro Muttertier und damit eine<br />
größere Einflußnahme ihrerseits auf<br />
den Zuchtfortschritt.<br />
Diese Tatsache gewinnt besondere<br />
Bedeutung im Zusammenhang mit
sogenannten MOET-Zuchtprogrammen.<br />
Diese Programme sind dadurch<br />
gekennzeichnet, daß die<br />
Zucht ausschließlich innerhalb bestimmter<br />
kleiner Kernpopulationen<br />
stattfindet. Charakteristisch für diese<br />
Programme ist die Tatsache, daß die<br />
Prüfung des Zuchtfortschrittes nicht<br />
anhand umfangreicher Nachkommengruppen<br />
durchgeführt wird, sondern<br />
stattdessen Prüfungsergebnisse<br />
von Ahnen, Voll- und Halbgeschwistern<br />
herangezogen werden. Ausschlaggebend<br />
für die Zuverlässigkeit<br />
einer so gefällten Selektionsentscheidung<br />
ist die Anzahl und Aussagekraft<br />
der Informationen über Eltern<br />
und Geschwistertiere. Zwangsläufig<br />
ergibt sich damit die Forderung<br />
nach einer hohen Anzahl an Nachkommen<br />
pro Elternpaar. Die Kombination<br />
von ultraschallgeleiteter Follikelaspiration<br />
und In-vitro-Techniken<br />
zur Embryoproduktion stellt eine<br />
Möglichkeit dar, dieser Forderung<br />
gerecht zu werden.<br />
RESÜMEE<br />
Wissenschaftliche Erkenntnisse<br />
haben mehr und mehr Eingang in<br />
die moderne Tierzucht gefunden.<br />
Damit ein rascher Wissens- und<br />
Technologietransfer in die Praxis sichergestellt<br />
wird, sollten Grundla-<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
genforschung und praktische Anwendung<br />
nicht voneinander getrennt<br />
werden.<br />
Einzelne Methoden und Modelle<br />
fortpflanzungsbiologischer Grundlagenforschung<br />
bieten die Möglichkeit,<br />
die Prozesse von Keimzellentwicklung<br />
und Befruchtung bis hin zur<br />
Wechselwirkung von Embryo und<br />
Muttertier genauer zu durchdringen.<br />
Für die praktische Nutzung dieses<br />
Wissens ist es oft notwendig, verschiedene<br />
Techniken innerhalb eines<br />
biotechnischen Verfahrens zusammenzufügen.<br />
Die Möglichkeit, durch ultraschallgeleitete<br />
Follikelaspiration in regelmäßiger<br />
Folge Eizellen vom lebenden<br />
Tier zu gewinnen, eröffnet dem<br />
17<br />
Tierzüchter in Kombination mit den<br />
In-vitro-Techniken der Reifung, Befruchtung<br />
und Embryokultur sowie<br />
dem Embryonentransfer neue Perspektiven.<br />
Mit Hilfe dieses Methodenkomplexes<br />
wird er in die Lage<br />
versetzt, das Generationsintervall zu<br />
verkürzen und das genetische Potential<br />
weiblicher Hochleistungstiere<br />
verstärkt für die Zucht zu nutzen.<br />
Alle genannten biotechnischen<br />
Verfahren haben derzeit einen<br />
Stand erreicht, der ihre praktische<br />
Nutzung möglich macht.<br />
Nun kommt es darauf an, den aus<br />
der Praxis erfolgenden Informationsrücklauf<br />
in die fortlaufenden <strong>Forschung</strong>sarbeiten<br />
zu integrieren, um<br />
die Systeme weiter zu verbessern.<br />
Wissenschaft und Praxis im Komplex<br />
schaffen so die Möglichkeit,<br />
den ökonomischen Anforderungen<br />
in der Landwirtschaft weiter gerecht<br />
zu werden. ■<br />
Dr. Thomas Greising, <strong>Forschung</strong>sinstitut<br />
für die Biologie landwirtschaftlicher<br />
Nutztiere, <strong>Forschung</strong>sbereich<br />
Fortpflanzungsbiologie, Wilhelm-<br />
Stahl-Allee 2, 18196 Dummerstorf<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />
Rinderembryo<br />
30 Tage nach<br />
Befruchtung<br />
(links: Größe<br />
etwa 10 mm)<br />
und 10 Tage<br />
später (unten:<br />
Größe 20 mm)
KONSERVIERUNG VON<br />
WIRTSCHAFTSGETREIDE<br />
In der Bundesrepublik Deutschland<br />
werden regelmäßig 50-85 %<br />
des Getreides in nicht lagerfähigem<br />
Zustand mit Feuchten über 14 % gedroschen.<br />
Um dem Verderb vorzubeugen,<br />
müssen geeignete Konservierungsmaßnahmen<br />
durchgeführt<br />
werden. Solche Verfahren sollten an<br />
die Feuchte des Ernteguts, den Verwendungszweck<br />
und die vorhande-<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
Gesündere Tiere<br />
durch besseres Futter<br />
Christine Idler, Christian Fürll, Thomas Ziegler<br />
und Reiner Brunsch (Potsdam-Bornim)<br />
In der modernen Tierhaltung besteht ein großer Teil der eingesetzten Futtermittel aus<br />
Konservaten. Dies trifft nicht nur auf Getreide in der Schweine- und Geflügelproduktion<br />
zu, auch in der Rinderhaltung werden überwiegend Konservate – meist in Form<br />
von Silagen und wirtschaftseigenem Getreide – verfüttert. Die Qualität dieses Futters<br />
hängt einerseits von den Nährstoffen, Spurenelementen und Vitaminen ab, andererseits<br />
aber auch von unerwünschten Stoffen wie Verschmutzungen oder Toxinen. Pilzbefall<br />
und damit verbundene Mykotoxine (Gifte von Schimmelpilzen) stellen eine schleichende<br />
Gefahr für die Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Nutztiere dar. So wurde festgestellt,<br />
daß Milchkühe weniger Futter aufnehmen, wenn die Silage Mykotoxine enthält.<br />
In der Schweinezucht sind erhöhte Totgeburtenraten, schlechte Fruchtbarkeit und gestiegene<br />
Ferkelverluste als Folge von Mykotoxinen im Mischfutter beobachtet worden.<br />
Um derartiges zu vermeiden, muß die Verfahrenstechnik Voraussetzungen schaffen, die<br />
eine Bildung unerwünschter Pilze in Futterkonservaten verhindern.<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
ne technische Ausstattung angepaßt<br />
sein, um die Kosten zu senken. Im Institut<br />
für Agrartechnik Bornim (ATB)<br />
werden verschiedene Verfahren zur<br />
Konservierung von Futtergetreide untersucht<br />
und bewertet. Im folgenden<br />
werden drei unterschiedliche Ansätze<br />
für neue Konservierungsverfahren<br />
für Futtergetreide vorgestellt.<br />
Chemische Konservierung<br />
durch Milchsäure<br />
Zur chemischen Konservierung<br />
werden am häufigsten Propionsäure<br />
oder Mischungen anderer Säuren<br />
eingesetzt. Die Wirkungsweise dieser<br />
Konservierungsmittel beruht auf<br />
der Abtötung und/oder Inaktivierung<br />
der am Korn anhaftenden Mikroorganismen.<br />
Der Umgang mit Propionsäure ist<br />
aus Gründen des Umwelt- und Arbeitsschutzes<br />
nicht ganz unproblematisch.<br />
Eine Alternative kann hier<br />
Milchsäure sein. Sie ist als organische<br />
Säure weniger aggressiv, besitzt<br />
aber vergleichbare konservierende<br />
Eigenschaften. Milchsäure<br />
läßt sich nicht nur auf chemischem<br />
18<br />
Wege herstellen, sondern auch biotechnologisch<br />
auf der Basis nachwachsender<br />
Rohstoffe.<br />
Die Eignung von Milchsäure als<br />
Konservierungsmittel konnte am ATB<br />
in verschiedenen Modellversuchen<br />
an erntefeuchter beziehungsweise<br />
Abb. 1: Einfluß von unterschiedlichen Säuren auf d<br />
melpilzwachstum während der Lagerung von Gerst<br />
nem Feuchtegehalt von 22 %<br />
log Zellzahl in KbE/g FM 1<br />
10 6<br />
10 5<br />
10 4<br />
10 3<br />
10 2<br />
10<br />
0<br />
Schwellenwert<br />
0 1 3 6<br />
Lagerzeit in Monaten<br />
ohne Zusatz 90 % Propionsäure 90 % Mil<br />
1 KbE/g FM Koloniebildende Einheiten/Gramm Frischmasse
s Schime<br />
mit ei-<br />
9<br />
hsäure<br />
wiederbefeuchteter Gerste nachgewiesen<br />
werden (vgl. Abb. 1). Aus<br />
der Abbildung wird deutlich, daß<br />
90 %ige Milchsäure in gleicher Aufwandmenge<br />
wie Propionsäure die<br />
Zahl der Schimmelpilze unterhalb eines<br />
Schwellenwertes von 20.000<br />
koloniebildenden Einheiten pro<br />
Gramm Frischmasse reduzieren<br />
kann. Aufwandmenge und Konzentration<br />
müssen allerdings für eine<br />
qualitätserhaltende einjährige Lagerung<br />
noch optimiert werden. Mit der<br />
Überprüfung der Ergebnisse in der<br />
Praxis wird in diesem Jahr begonnen.<br />
Sollten sich diese günstigen Resultate<br />
in der Praxis bestätigen, stünde<br />
damit dem Landwirt ein preiswertes<br />
Verfahren (ca. 3 DM/dt) zur<br />
Konservierung von Futtergetreide zur<br />
Verfügung.<br />
Bei der biotechnologischen Erzeugung<br />
von Milchsäure mit Hilfe<br />
von Bakterien ist es möglich, überwiegend<br />
die physiologisch vorteil-<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
hafte L(+) - Milchsäure zu produzieren.<br />
Es wird vermutet, daß diese Form<br />
der Milchsäure in konserviertem Futter<br />
probiotische Wirkungen entfaltet<br />
und sich positiv auf die Gesundheit<br />
der Tiere auswirkt. Dies soll in weiterführenden<br />
Arbeiten näher untersucht<br />
werden.<br />
Lagerung unter<br />
Luftabschluß<br />
Eine weitere Möglichkeit ist die<br />
Lagerung von geschrotetem Getreide<br />
bis 20 % Feuchtegehalt unter Luftabschluß.<br />
Dieses Verfahren erscheint<br />
wegen der niedrigen Kosten<br />
(2 DM/dt) und der geringen lagerbedingten<br />
Verluste attraktiv. Seit 5<br />
Jahren untersuchen wir diese Form<br />
der Konservierung in verschiedenen<br />
brandenburgischen Praxisbetrieben<br />
bei erntefeuchter Gerste, Tritikale<br />
und bei Roggen.<br />
Die Verfahrensgestaltung gliedert<br />
sich in folgende Prozesse: Annahme<br />
des Getreides, Zerkleinern, Einlagern<br />
in Fahrsilos, Verdichten des<br />
Schrotes im Silo und Abdecken des<br />
Silos mit Folie. Die Verfahrensabschnitte<br />
„Zerkleinern” und „Verdichten”<br />
wurden besonders intensiv bearbeitet.<br />
Auf Grund der Verdauungsphysiologie<br />
muß das Getreide für die<br />
Schweinefütterung stärker zerkleinert<br />
werden als für die Rinderfütterung.<br />
Beim Schweinefutter sollten 50 %<br />
der Getreidepartikel kleiner/gleich<br />
1 mm sein, während beim Rinderfutter<br />
4 mm ausreichend sind. Für die<br />
Rinder sollte das Korn also lediglich<br />
gequetscht sein, damit das Korninnere<br />
zugänglich wird.<br />
Die Zerkleinerung des Getreides<br />
erfolgt am zweckmäßigsten mit einem<br />
Doppelwalzenstuhl (Abb. 2,<br />
S. 20).<br />
Dieses Verfahren ist energetisch<br />
wesentlich günstiger zu bewerten<br />
als das sonst übliche Zerkleinern mit<br />
Hilfe von Hammermühlen. Hohe Lagerungsdichten<br />
sind nach der Zerkleinerung<br />
eine Grundvoraussetzung<br />
für das Gelingen der Konser-<br />
19<br />
vierung. Während bei fein zerkleinertem<br />
Getreide durch Überfahren<br />
mit schwerem Gerät Lagerungsdichten<br />
bis ca. 1.000 kg/m 3 erzielt<br />
werden können, liegen die Dichten<br />
bei grob zerkleinertem Futter zwischen<br />
700 kg/m 3 und 850 kg/m 3 .<br />
Die Untersuchungen am ATB haben<br />
ergeben, daß auch grob zerkleinertes<br />
Getreide durch eine anaerobe<br />
Lagerung konserviert wird. Bei allen<br />
Versuchsansätzen konnte qualitätsgerechtes<br />
Futter erzeugt werden.<br />
Die Nährstoffverluste waren gering,<br />
ebenso der Besatz an Verderbniserregern.<br />
Der Gehalt an Ochratoxin A<br />
– einem verbreiteten Mykotoxin, das<br />
hauptsächlich von Schimmelpilzen<br />
der Gattungen Penicillium und<br />
Aspergillus gebildet wird – lag bei<br />
allen Varianten unterhalb von<br />
3 µg/kg. Dieser Wert wird zur Zeit<br />
als EU-einheitlicher Grenzwert für<br />
Ochratoxin A diskutiert. Der Energiebedarf<br />
konnte um 65 % und die<br />
Kosten um 15 DM/t gesenkt werden.<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />
Gerste 25 %<br />
Feuchtigkeitsgehalt,<br />
4 Wochen nach<br />
Versuchsbeginn:<br />
Mit<br />
Propionsäure<br />
behandelt<br />
(oben),<br />
unbehandelt<br />
(unten)
Solarunterstützte Trocknung<br />
Speziell in der Landwirtschaft bietet<br />
sich die solare Lufterwärmung für<br />
Trocknungszwecke an, da Ernteperiode<br />
und Hauptenergieangebot der<br />
Sonne im Jahresverlauf zeitlich zusammenfallen.<br />
Bei der möglichst<br />
kontinuierlich durchzuführenden<br />
Satztrocknung von Getreide mit solar<br />
erwärmter Luft muß jedoch auch<br />
bei ungünstigen solaren Einstrahlungsverhältnissen<br />
– also bei bedecktem<br />
Himmel – ein rechtzeitiger<br />
Trocknungsabschluß sichergestellt<br />
sein, um Qualitätseinbußen durch<br />
einsetzende Verderbnisprozesse zu<br />
vermeiden. Im Institut für Agrartechnik<br />
Bornim wird daher an einem<br />
Sorptionsspeicher von solarem<br />
Trocknungspotential gearbeitet, der<br />
durch die Nutzung von Getreide als<br />
Speichermedium neue Realisierungsmöglichkeiten<br />
für die solar unterstützte<br />
Trocknung eröffnet (vgl.<br />
Abb. 3).<br />
Das Prinzip der Sorptionsspeicherung<br />
nutzt die latente Wärmeenergie<br />
des in der Außenluft enthaltenen<br />
Wasserdampfes. Bei der Entfeuchtung<br />
des Speichers – tagsüber mit<br />
solar erwärmter Luft – kühlt sich die<br />
durchströmende Luft infolge der aufzubringenden<br />
Desorptionswärme<br />
ab. Bei der Befeuchtung des Speichers<br />
hingegen – nachts durch<br />
Außenluft – erwärmt sich die durchströmende<br />
Luft durch die freigesetzte<br />
Abb. 2: Doppelwalzenstuhl<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
Abb. 3: Mehrfachnutzung von Solardach und Sorptionsspeicher für nachgeschaltete<br />
Trocknungsprozesse (schematisch): A = Solardach, B = Sorptionsspeicher,<br />
C = Mischkammer, D = Ventilator, E = Getreidetrocknung; F = Heutrocknung,<br />
G = Holzhackschnitzeltrocknung, � = relative Luftfeuchte<br />
Adsorptionswärme. Im Ergebnis<br />
liegt die relative Feuchte der Speicheraustrittsluft<br />
normalerweise immer<br />
unterhalb der relativen Feuchte<br />
der (nicht erwärmten) Außenluft.<br />
Simulationsrechnungen zeigen,<br />
daß trocknungsfähige Luft mit einer<br />
relativen Feuchte von 65 % auch bei<br />
extrem ungünstigen Witterungsbedingungen<br />
über mehrere Wochen<br />
hinweg Tag und Nacht ohne zusätzliche<br />
Lufterwärmung bereitgestellt<br />
werden kann. Getreide als Spei-<br />
20<br />
chermedium steht im landwirtschaftlichen<br />
Betrieb konkurrenzlos preiswert<br />
zur Verfügung und besitzt gegenüber<br />
technischen Sorbentien,<br />
wie zum Beispiel Silika-Gel, entscheidende<br />
verfahrenstechnische<br />
Vorteile. So verschlechtert Staub die<br />
Sorptionseigenschaften von Silika-<br />
Gel – aber nicht die von Getreide.<br />
Mykotoxinbildung infolge von<br />
Schimmelpilzwachstum im Inneren<br />
des Speichers kann ausgeschlossen<br />
werden, da schädigungsrelevante<br />
Luftzustände praktisch nicht erreicht<br />
werden; das Speichergetreide<br />
bleibt „trocken”, das heißt unterhalb<br />
des bezüglich der Verderbgefährdung<br />
kritischen Wassergehaltes.<br />
Diese Art der Trocknung ist nicht<br />
nur für frisch geerntetes Getreide,<br />
sondern auch für Saatgut, Heu oder<br />
Holzhackschnitzel geeignet. Die<br />
Wirtschaftlichkeit des Verfahrens<br />
wird entscheidend von der Mehrfachnutzung<br />
der Kollektor-Speicher-<br />
Einheit für die nachgeschalteten<br />
Trocknungsprozesse abhängen. Die<br />
vergleichsweise kleine Menge an<br />
Speichergetreide kann nach Abschluß<br />
der Trocknungsperiode als<br />
Viehfutter verwendet werden.
KONSERVIERUNG<br />
VON HALMFUTTER<br />
Grünfutter kann auf verschiedenem<br />
Wege haltbar gemacht werden:<br />
Neben der Bereitung von Heu<br />
ist die Silierung das wichtigste Konservierungsverfahren.<br />
Bei der Silierung<br />
von Grünfutter treten insbesondere<br />
bei schwer vergärbaren Futterstoffen<br />
wie Gräsern und Leguminosen<br />
sowie bei ungünstigen Witterungsbedingungen<br />
immer wieder<br />
Fehlgärungen auf. Diese können zu<br />
erheblichen Qualitätsverlusten und<br />
zur Beeinträchtigung der Tiergesundheit<br />
führen. Viele Faktoren, die<br />
die Silierung beeinflussen, zum Beispiel<br />
die Anzahl der Milchsäurebakterien<br />
im Gärgut oder die Konzentration<br />
an fermentierbaren Kohlenhydraten,<br />
sind zu Beginn des Prozesses<br />
meist nicht optimal vorhanden.<br />
Durch Zusatz von Siliermitteln kann<br />
der Silierprozeß sichergestellt werden.<br />
Neben chemischen Siliermitteln<br />
werden aus Gründen des Arbeitsschutzes<br />
und der Verträglichkeit in<br />
der Tierernährung verstärkt Milchsäurebakterien<br />
als Silage-Impfkulturen<br />
verwendet. Eine Vielzahl solcher<br />
Impfpräparate ist bereits auf dem<br />
Abb. 4: Einfluß unterschiedlicher Bakteriengemische auf das Gärsäurespektrum<br />
von Gras-Silagen nach 90tägiger Fermentation<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Gehalt in g/kg TS<br />
Markt. Doch auch bei ihrer Verwendung<br />
bleibt der Siliererfolg zuweilen<br />
aus. Ursache für die Unwirksamkeit<br />
einiger Präparate sind häufig ungeeigneteMilchsäurebakterienstämme.<br />
Die Suche nach wirksamen<br />
Impfkulturen bleibt daher trotz der<br />
Vielfalt der angebotenen Präparate<br />
eine wichtige Aufgabe.<br />
Im Institut für Agrartechnik wurden<br />
über viele Jahre Milchsäurebakterien<br />
isoliert und auf ihre Siliereignung zur<br />
Konservierung von Gras untersucht.<br />
Aus einem Pool von 250 Stämmen<br />
hat sich ein Gemisch aus den Stämmen<br />
Lactobacillus casei und Lactobacillus<br />
rhamnosus ausgezeichnet.<br />
Es beeinflußt das Gärsäurespektrum<br />
positiv (hoher Gehalt an Milchsäure<br />
und geringe Mengen an Buttersäure<br />
und Ammoniak, vgl. Abb. 4) und<br />
führt zu einer besseren Verdaulich-<br />
21<br />
keit der Rohnährstoffe. Seit zwei Jahren<br />
wird diese Bakterienkombination<br />
erfolgreich zur Gras-Silierung unter<br />
Praxisbedingungen eingesetzt. In<br />
diesem Jahr sind auf diese Weise<br />
15.000 Tonnen Welsches Weidelgras<br />
(Lolium multiflorum) in der<br />
Agrargenossenschaft in Niederschöna<br />
einsiliert worden. Zur Zeit<br />
wird an einem Verfahren gearbeitet,<br />
mit dem der Landwirt auf seinem Hof<br />
diese Stämme selbst vermehren und<br />
somit erhebliche Siliermittelkosten<br />
Ammoniak Alkohol Milchsäure Essigsäure Buttersäure<br />
■ ohne Zusatz<br />
■ Bakteriengemisch: Lactobacillus casei, Lactobacillus rhamnosus<br />
■ Bakteriengemisch: Lactobacillus casei, Lactobacillus delbrückii, Enterococcus faecium<br />
pH-Werte<br />
■ 4,14<br />
■ 3,57<br />
■ 3,64<br />
einsparen kann. Die gegenwärtigen<br />
Kosten von ca. 4 DM pro Tonne Siliergut<br />
könnten sich auf 1-2 DM reduzieren.<br />
Im nächsten Jahr wird eine<br />
Pilotanlage dazu in der Agrargenossenschaft<br />
in Niederschöna errichtet<br />
werden.<br />
Alle dargestellten Verfahren zielen<br />
auf die Erzeugung von lagerfähigen,<br />
qualitativ hochwertigen Futtermitteln.<br />
Nährstoffreiches, mykotoxinfreies<br />
Futter ist die Voraussetzung für<br />
eine optimale Ernährung der Nutztiere<br />
und die Erhaltung ihrer Gesundheit<br />
sowie für die Erzeugung unbelasteter<br />
Lebensmittel. ■<br />
Dr. Christine Idler, Prof. Dr.-Ing. habil.<br />
Christian Fürll, Dipl.-Ing. Thomas<br />
Ziegler, Dr. Reiner Brunsch, Institut für<br />
Agrartechnik Bornim e.V., Max-Eyth-<br />
Allee 100, 14469 Potsdam-Bornim<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT
BIOTECHNOLOGIE<br />
Biotechnologie in<br />
der Käseherstellung<br />
Klaus Pabst, Arnold Geis und Wilhelm Bockelmann (Kiel)<br />
Milch ist nicht gleich Milch: Über den Weg der Tierzucht lassen sich Kühe selektieren,<br />
deren Milch bestimmte Ansprüche hinsichtlich der Inhaltsstoffe erfüllt. Beispielsweise<br />
ist es möglich, die Zusammensetzung des Eiweißes zu beeinflussen,<br />
was die Ausbeute in der Käserei verbessern kann und zu mehr Milchgeld für die Landwirte<br />
führt. In die Verarbeitungsprozesse der Milch haben moderne biotechnologische<br />
Verfahren Einzug gehalten. So dürfen Käsereien gentechnisch hergestelltes Lab-Enzym<br />
zum Dicklegen der Milch einsetzen. Sie müssen dies nicht deklarieren, weil es identisch<br />
ist mit dem traditionell verwendeten Kälber-Lab. Ein wichtiger Prozeß der Käseherstellung<br />
ist die Reifung, die dem Käse seinen typischen Charakter gibt. Die dabei ablaufenden<br />
komplexen Vorgänge beginnt man zu verstehen. Im Rahmen von EU-<strong>Forschung</strong>sprogrammen<br />
werden erste Versuche unternommen, den Reifungsvorgang mit Hilfe bestimmter<br />
Starterkulturen zu optimieren.<br />
BEDEUTUNG VON<br />
MILCHPROTEINVARIANTEN<br />
Milcheiweiß ist kein einheitlicher<br />
Stoff, sondern aus verschiedenen<br />
Casein- und Molkenproteinfraktionen<br />
zusammengesetzt. In der Milch<br />
liegen die Caseine in Micellen<br />
(Abb. 1) vor, die durch �-Casein stabilisiert<br />
werden. Die Molkenproteine<br />
sind in Lösung.<br />
Jedes Protein wird nach der Vorgabe<br />
von 2 Allelen gebildet (gleichsinnige<br />
Gene auf homologen Chromosomen),<br />
die entsprechend des<br />
väterlichen und mütterlichen Erbguts<br />
verschieden sein können. Das kann<br />
zu unterschiedlichen Aminosäuremustern<br />
führen (Milchproteinvarianten).<br />
Zwischen den einzelnen Rinderrassen<br />
gibt es große Unterschiede<br />
hinsichtlich der Häufigkeit bestimmter<br />
Formen. Positiv wirksame<br />
Allele sind relativ selten. Durch die<br />
Auswahl der Zuchttiere kann ihre<br />
Zahl jedoch angehoben werden.<br />
Im Zusammenhang mit der Herstellung<br />
von Käse ist das �-Casein<br />
von großem Interesse, weil es auf<br />
die Gerinnungseigenschaften der<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
Milch wirkt. Kühe mit dem Genotyp<br />
BB haben kleinere und gleichmäßiger<br />
verteilte Micellen als solche mit<br />
dem Genotyp AA. Mischerbige (heterozygote)<br />
Tiere mit dem Genotyp<br />
AB stehen zwischen den Extremen.<br />
Fügt man den verschiedenen Milchtypen<br />
das Gerinnungsenzym Lab<br />
(Chymosin) zu, so gerinnt BB-Milch<br />
schneller, weil die Gesamtoberfläche<br />
der Micellen und damit die<br />
Reaktionsfläche größer ist. Dadurch<br />
entsteht relativ rasch ein dichtes<br />
Netzwerk (Gallerte), in dem mehr<br />
Casein gebunden werden kann.<br />
DER PRAKTISCHE BEZUG<br />
Versuche der Bundesanstalt für<br />
Milchforschung (BAfM) – zunächst<br />
im kleinen Maßstab mit Milch von<br />
Kühen aus der Versuchsstation<br />
Schaedtbek durchgeführt – deuteten<br />
auf eine höhere Käseausbeute bei<br />
der BB-Milch hin. Erkenntnisse dieser<br />
Art können für die Käsereipraxis<br />
von großer Bedeutung sein. Daher<br />
wurden Versuche im Praxismaßstab<br />
geplant, für die die Unterstützung<br />
22<br />
Abb. 1: Modell für den Aufbau einer<br />
Casein-Micelle in der Milch.<br />
von Landwirten und Molkereien notwendig<br />
war.<br />
Zunächst wurde von 2.868<br />
Kühen aus 50 landwirtschaftlichen<br />
Betrieben der Genotyp festgestellt.<br />
153 Kühe mit dem �-Caseingenotyp<br />
BB wurden extra gemolken (BB-<br />
Milch). Die Milch von 542 Kühen<br />
diente als Kontrolle. Die Abend- und<br />
Morgengemelke wurden getrennt<br />
mit einem Tanksammelwagen eingesammelt.<br />
Die Adelbyer Nordfrieslandmilch<br />
eG unterstützte diesen<br />
Teil. Eine Feinkäserei in Sarzbüttel
(Dithmarschen) verarbeitete die<br />
Milch zu Tilsiter Käse.<br />
Die Milch wurde von Angler<br />
Kühen (Abb. 2) in Schleswig-Holstein<br />
gesammelt, weil etwa 12 %<br />
der Kühe den erwünschten Genotyp<br />
BB für das �-Casein haben, wohingegen<br />
bei Schwarzbunten nur 2 %<br />
vorkommen.<br />
Aus der BB-Milch ließ sich 4,6 %<br />
mehr Käse gewinnen als aus der<br />
Kontrollmilch; die Rohstoffkosten wa-<br />
ren um 0,01 DM/kg Milch niedriger.<br />
Bei gleichen Produktionskosten<br />
und gegebenem Käsepreis standen<br />
damit rund 0,04 DM/kg Milch für<br />
eine höhere Milchgeldauszahlung<br />
und zur Begleichung möglicher<br />
Züchtungskosten zur Verfügung.<br />
Es zeigte sich auch, daß BB-Milch<br />
eine höhere Hitzestabilität hat. Dies<br />
könnte sich positiv auf die Qualität<br />
erhitzter Produkte wie Milchpulver<br />
und H-Milch auswirken.<br />
23<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
Natürlich hat man sich gefragt,<br />
ob die Tatsache, daß BB-Milch gebende<br />
Tiere relativ selten vorkommen,<br />
durch Mängel bei anderen<br />
Merkmalen begründet ist, insbesondere<br />
bei der Gesundheit. Jedoch haben<br />
alle bisherigen Untersuchungen<br />
ergeben, daß negative Zusammenhänge<br />
nicht vorliegen. Solche Untersuchungen<br />
sind nicht nur auf das eigene,<br />
der BAfM zur Verfügung stehende<br />
Material beschränkt, dieser<br />
Frage ist auch international nachgegangen<br />
worden. Nach dieser wichtigen<br />
Antwort besteht die Möglichkeit,<br />
Tiere mit geeignetem Genotyp<br />
gezielt anzupaaren.<br />
EFFEKTIVERE ZÜCHTUNG<br />
DURCH BIOTECHNOLOGIE<br />
Die Genotypisierung der Rinder<br />
kann anhand von Milchproben erfolgen,<br />
deren Proteine durch isoelektrische<br />
Fokussierung aufgetrennt und<br />
nach Anfärbung ausgewertet werden.<br />
In einer Probe können alle Caseine<br />
und Molkenproteine gleichzeitig<br />
bestimmt werden. Mit molekularbiologischen<br />
Techniken kann altersund<br />
geschlechtsunabhängig auch<br />
an Haar-, Sperma- oder Blutproben<br />
eine direkte Analyse der DNA vorgenommen<br />
und so genotypisiert<br />
werden. Die Untersuchungskosten<br />
liegen deutlich unter 100 DM pro<br />
Tier. Natürlich können Tiere mit günstigem<br />
Genotyp nur für den Einsatz<br />
empfohlen werden, wenn die Zuchtwerte<br />
für Leistung, Fruchtbarkeit und<br />
Gesundheit möglichst positiv sind.<br />
Gerade in Fällen, wo Rinder mit<br />
erwünschten Proteinvarianten in der<br />
Milch selten sind, greifen moderne<br />
Methoden der Fortpflanzungsbiologie:<br />
Bekannte Merkmalsträger aus<br />
verschiedenen Gegenden der Welt<br />
können unabhängig vom Standort<br />
durch tiefgefrorenes Sperma angepaart<br />
werden. Mit Hilfe der Superovulation<br />
(vgl. Beitrag auf Seite 14)<br />
läßt sich die Anzahl der Embryonen<br />
und damit die Nachkommenzahl<br />
steigern.<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT
Was ist für die Zukunft denkbar?<br />
Entscheidend wird sein, in welchem<br />
Maße Genwirkungen aufgeklärt<br />
und genutzt werden können. Zum<br />
Beispiel könnte die Menge eines bestimmten<br />
Proteins in der Milch durch<br />
das Einbringen von Mehrfachkopien<br />
des zugehörigen Gens gesteigert<br />
werden. Eine solche Steigerung<br />
ließe sich auch mit Hilfe eines geeigneten<br />
Promotors erreichen, also<br />
einer DNA-Sequenz, die die Aktivität<br />
eines Gens erhöhen kann.<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
In den letzten Jahrzehnten führten<br />
weltweit steigende Käseproduktion<br />
und rückläufige Kälberschlachtungen<br />
zu einem Chymosinmangel.<br />
Dieser Mangel konnte zum Teil<br />
durch den Einsatz mikrobieller milchgerinnender<br />
Enzyme ausgeglichen<br />
werden, deren Eignung zur Käseherstellung<br />
hinsichtlich Ausbeute und<br />
Geschmack jedoch deutlich hinter<br />
der von Kälberlab zurückblieb.<br />
Anfang der 80er Jahre wurde das<br />
Gen für Chymosin sequenziert, also<br />
Abb. 2: Bei Angler Kühen finden sich relativ häufig Tiere, deren Milch kleine Casein-Micellen<br />
und gute Gerinnungseigenschaften aufweist (Foto: I. Rossen)<br />
CHYMOSINPRODUKTION<br />
DURCH<br />
MIKROORGANISMEN<br />
Die für die Käseherstellung<br />
benötigten Enzyme zur Milchgerinnung<br />
(Lab-Enzym) wurden seit Menschengedenken<br />
aus Mägen von säugenden<br />
Kälbern gewonnen. Der<br />
wässrige Extrakt aus diesen Mägen<br />
enthält im wesentlichen Chymosin,<br />
ein proteolytisches (eiweißspaltendes)<br />
Enzym, welches das �-Casein<br />
der Milch in spezifischer Weise hydrolysiert,<br />
was zur Dicklegung der<br />
Milch führt. Neben dieser Hauptkomponente<br />
enthält Kälberlab weitere eiweißspaltende<br />
Enzyme (z. B. Pepsine)<br />
in geringeren Konzentrationen.<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
die für die Bildung des Enzyms zugrundeliegende<br />
genetische Information<br />
entschlüsselt. Mit Methoden der<br />
modernen Gentechnologie gelang<br />
es mehreren Arbeitsgruppen, dieses<br />
Gen in Mikroorganismen einzuführen<br />
und diese zur Bildung des Enzyms<br />
zu veranlassen.<br />
Das Verfahren ist folgendermaßen<br />
(Abb. 3): Die chromosomale DNA-<br />
Sequenz des Gens wird in eine Boten-(messenger)<br />
RNA (mRNA) übersetzt<br />
und diese Nukleinsäure anschließend<br />
mit Hilfe des Enzyms ‘Reverse<br />
Transcriptase’ in die komplementäre<br />
DNA (cDNA) umgeschrieben.<br />
Diese DNA enthält die genetische<br />
Information für eine Vorform<br />
des Chymosins, das sogenannte<br />
24<br />
Pro-Chymosin. Die cDNA wird im<br />
nächsten Schritt enzymatisch mit einem<br />
speziellen Träger-DNA-Molekül<br />
(Plasmidvektor) verbunden (kloniert).<br />
Für diesen Zweck sind eine Vielzahl<br />
von Vektoren verfügbar. Um eine effiziente<br />
Synthese von Pro-Chymosin<br />
zu gewährleisten, muß das Gen mit<br />
geeigneten genetischen Kontrollsequenzen<br />
(Promotoren) versehen werden.<br />
Spezielle – induzierbare – Promotoren<br />
erlauben sogar ein gezieltes<br />
Ein- und Ausschalten der Enzymsynthese.<br />
Die bei der Klonierung erhaltenen<br />
DNA-Moleküle werden in einen geeigneten<br />
Mikroorganismus eingeführt.<br />
Für die Produktion von Chymosin<br />
werden heute Bakterien (E. coli),<br />
Hefen (Klyveromyces lactis) und<br />
Schimmelpilze (Aspergillus niger)<br />
verwendet.<br />
Je nach Mikroorganismus und Art<br />
des Genkonstruktes wird das gebildete<br />
Pro-Chymosin entweder aus<br />
den Mikroorganismenzellen oder<br />
aus dem Fermentationsmedium isoliert<br />
und anschließend mit herkömmlichen<br />
biochemischen Methoden<br />
gereinigt. In E. coli werden circa<br />
300.000 Moleküle des Enzyms pro<br />
Zelle gebildet, die sich zu unlöslichen<br />
Partikeln (inclusion bodies) zusammenlagern.<br />
Diese lassen sich<br />
nach Aufbrechen der Bakterienzellen<br />
leicht isolieren. Um aktives Enzym<br />
zu erhalten, müssen diese Partikel<br />
aufgelöst und das freigesetzte<br />
Enzym renaturiert werden. Anschließend<br />
läßt sich das Pro-Chymosin<br />
bei niedrigem pH-Wert in aktives<br />
Chymosin überführen.<br />
Das durch gentechnisch veränderte<br />
Mikroorganismen produzierte (rekombinante)<br />
Chymosin wurde vor<br />
seiner Zulassung intensiven biochemischen,<br />
immunologischen und<br />
toxikologischen Prüfungen unterzogen.<br />
Dabei ergaben sich folgende Befunde:<br />
Chymosin aus Kälberlab und<br />
rekombinantes Chymosin sind identisch<br />
bezüglich der molekularen<br />
Masse der Proteine und deren physikochemischen<br />
und immunologi-
schen Eigenschaften sowie der enzymatischen<br />
Spezifität. Mikrobiell<br />
erzeugte Chymosinpräparate wiesen<br />
keine enzymatischen Fremdaktivitäten<br />
auf, enthielten keine Produktionskeime<br />
oder rekombinante DNA.<br />
In Tierversuchen konnten keinerlei toxische<br />
Substanzen nachgewiesen<br />
werden. Bei Käsereiversuchen traten<br />
bei der Herstellung verschiedener<br />
Käsetypen keine relevanten Unterschiede<br />
bezüglich Ausbeute, Textur,<br />
Geruch, Geschmack und Reifung<br />
der Käse auf.<br />
Rekombinantes Chymosin ist daher<br />
seit einigen Jahren in vielen Ländern<br />
für den Einsatz in der Käseherstellung<br />
zugelassen.<br />
Aufgrund der zahlreichen Vorteile<br />
dieser Produktionsweise, wie Unabhängigkeit<br />
von Rohstoffmärkten,<br />
hohe hygienische und technologische<br />
Produkt- und Herstellungssicherheit,<br />
umweltschonende Herstellungsweise<br />
sowie die für einige wichtige<br />
Märkte bedeutende Koscher- und<br />
Vegetarierakzeptanz, ist es nicht verwunderlich,<br />
daß in den USA etwa<br />
90 % und in Großbritannien mehr<br />
als 80 % der Käse bereits mit mikrobiell<br />
gewonnenem Chymosin hergestellt<br />
werden.<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
Abb. 3: Biosynthese des Milchgerinnungsenzyms Chymosin. Links der natürliche<br />
Weg im Kälbermagen, rechts in Mikroorganismen, in die die Erbsubstanz<br />
für die Enzymbildung überführt wurde<br />
GENTECHNIK IN DER<br />
KÄSEHERSTELLUNG<br />
Bei der Produktion der meisten<br />
Käse ist die Reifung ein kostenintensiver,<br />
arbeits- und zeitaufwendiger<br />
Vorgang. Die Optimierung dieses<br />
Prozesses, insbesondere seine Beschleunigung,<br />
ist daher seit Jahren<br />
Ziel vielfacher <strong>Forschung</strong>sbemühungen.<br />
Neben physikalischen und<br />
chemischen Reaktionen ist besonders<br />
die partielle Spaltung von<br />
Milchproteinen ein wesentlicher Vorgang<br />
bei der Reifung. Die Proteolyse<br />
durch milcheigene Enzyme und<br />
durch die Enzymsysteme der Startermikroorganismen<br />
ist ein hochkomplexer<br />
Vorgang, der erst in den letzten<br />
Jahren, insbesondere durch multinationale<br />
<strong>Forschung</strong>sarbeiten im<br />
Rahmen mehrerer EU-<strong>Forschung</strong>sprogramme,<br />
besser verstanden<br />
wird.<br />
Zur Aufklärung der grundlegenden<br />
Mechanismen wurden verschiedene<br />
proteolytische Enzyme aus<br />
Starterbakterien identifiziert, gereinigt<br />
und charakterisiert. Mit Hilfe<br />
moderner molekularbiologischer<br />
Techniken konnten die entsprechenden<br />
Gene gefunden und entschlüs-<br />
25<br />
selt werden. Mit diesen Kenntnissen<br />
wurden Starterbakterien, insbesondere<br />
solche der Gattung Lactococcus,<br />
gezielt in ihren proteolytischen<br />
Aktivitäten verändert. Einige dieser<br />
Mutanten, die die niederländische<br />
Universität Groningen zur Verfügung<br />
stellte, wurden an der Bundesanstalt<br />
für Milchforschung für die Herstellung<br />
von Versuchskäsen eingesetzt.<br />
In einem ersten Schritt, der die<br />
Grundlagen für eine Optimierung<br />
der Käsereifung liefern soll, wurde<br />
versucht, Aromaeigenschaften sensorisch<br />
und biochemisch nachzuweisen<br />
und mit der An- bzw. Abwesenheit<br />
spezifischer Enzyme (Peptidasen)<br />
zu korrelieren.<br />
Da es sich bei den eingesetzten<br />
Mutanten der Starterbakterien um<br />
gentechnisch veränderte Mikroorganismen<br />
handelt, mußten gemäß<br />
Gentechnikgesetz bestimmte räumliche<br />
Voraussetzungen geschaffen<br />
werden. Mit dem Bau eines S1-Labors,<br />
in dem Käsereiversuche durchgeführt<br />
werden können, wurden diese<br />
gesetzlichen Vorgaben erfüllt. Die<br />
Ergebnisse aus den ersten beiden<br />
Versuchskäseproduktionen mit fünf<br />
verschiedenen, in ihren Peptidase-<br />
Aktivitäten veränderten Lactococcus-<br />
Mutanten werden Ende 1998 vorgestellt.<br />
■<br />
Dr. K. Pabst, Institut für Chemie und<br />
Physik; PD Dr. A. Geis, Dr. W.<br />
Bockelmann, Institut für Mikrobiologie;<br />
Bundesanstalt für Milchforschung,<br />
Postfach 6069, 24121 Kiel<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT
Typische „Hürden” oder „Barrieren”<br />
sind niedrige pH- und a w -Werte<br />
(erhöhter Säuregrad und weniger mikrobiell<br />
verfügbares Wasser). Unter<br />
diesen Bedingungen können viele<br />
Verderbniserreger nicht wachsen. Mikrobiologisch<br />
gefährdet sind vor allem<br />
Erzeugnisse, die nur wenige Barrieren<br />
enthalten. So können<br />
zum Beispiel Kochschinken- und<br />
Brühwurstaufschnitt in Vakuumverpackung<br />
(Abb. 1) trotz Pasteurisierung<br />
und Kühlung leicht verderben,<br />
da ihre pH- und a w -Hürden mit pH<br />
6,2 und a w 0,98 nur wenig ausgeprägt<br />
sind. Obwohl sich fast alle<br />
Nahrungsmittel heute leicht durch chemische<br />
Zusatzstoffe oder eine ausreichende<br />
physikalische Behandlung mikrobiologisch<br />
stabilisieren lassen,<br />
steigt die Nachfrage nach „gesünderen”,<br />
das heißt naturbelassenen, chemiefreien,<br />
salz- und fettarmen Nahrungsmitteln<br />
mit geringer Verarbeitungstiefe.<br />
Solche Erzeugnisse sind jedoch<br />
mikrobiologisch hochgradig instabil.<br />
Sie müssen entweder relativ<br />
schnell zum Verzehr gelangen oder<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
Biokonservierung von<br />
Fleischerzeugnissen<br />
Bacteriocinogene Milchsäurebakterien können<br />
Pathogene hemmen<br />
Lothar Kröckel (Kulmbach)<br />
Fleisch verdirbt schnell. Wenn keine spezifischen Maßnahmen zur Verlängerung der<br />
Haltbarkeit und zur Kontrolle pathogener Mikroorganismen ergriffen werden, kann<br />
es rasch zu einem Gesundheitsrisiko für den Verbraucher werden. Eine verbesserte<br />
Lagerstabilität von Fleischerzeugnissen erreicht man häufig durch eine Kombination unterschiedlicher<br />
Konservierungsverfahren. Produkte, die ausreichend durch Trocknung,<br />
Salz und Säure stabilisiert sind, etwa langgereifte Rohwürste, können auch ohne Kühlung<br />
oder Erhitzung längere Zeit aufbewahrt werden. Erhitzte Fleischerzeugnisse verderben<br />
während der Kühllagerung weniger schnell, wenn sie zusätzlich durch Salze oder<br />
Genußsäuren stabilisiert sind. Die gezielte Kombination solcher Verfahren in der Produktentwicklung<br />
ist als „Hürdentechnologie” bekannt geworden.<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
geeignete „natürliche” Barrieren gegen<br />
unerwünschte Mikroorganismen<br />
(Krankheits- und Verderbniserreger)<br />
enthalten. Am Institut für Mikrobiologie<br />
und Toxikologie der Bundesanstalt<br />
für Fleischforschung in Kulmbach erforschen<br />
wir solche „natürlichen” Barrieren<br />
für die Biokonservierung von<br />
Fleisch und Fleischerzeugnissen.<br />
26<br />
STARTER- UND<br />
SCHUTZKULTUREN<br />
Speziell selektierte Milchsäurebakterien<br />
werden seit Jahrzehnten als<br />
Starterkulturen zur Herstellung der unterschiedlichsten<br />
fermentierten Lebensmittel<br />
eingesetzt. Bei der Herstellung<br />
langgereifter Rohwürste (Salami;<br />
Abb. 2) liefern diese Bakterien<br />
aber nicht nur einen wesentlichen<br />
technologischen Beitrag im Sinne einer<br />
erwünschten Veränderung des<br />
Rohmaterials, sondern sie verhindern<br />
als „Schutzkulturen” gleichzeitig die<br />
Vermehrung von unerwünschten Mikroorganismen<br />
und bewirken so eine<br />
natürliche Konservierung.<br />
Milchsäurebakterien können aber<br />
auch zur hygienischen Stabilisierung,<br />
zum Beispiel von vakuumverpacktem<br />
Brühwurst- und Kochschinkenauf-<br />
Abb. 1:<br />
VakuumverpackterBrühwurstundKochschinkenaufschnitt
Abb. 2:<br />
Aufschnittplatte<br />
mit<br />
Rohwurst<br />
schnitt eingesetzt werden. Die mikrobiologische<br />
Sicherheit und Stabilität<br />
dieser Erzeugnisse hängt wesentlich<br />
von der Art und Menge der bakteriellen<br />
Kontamination der Produkte<br />
während des Aufschneidens und Verpackens<br />
und von der Bevorratungstemperatur<br />
der verkaufsfertigen Erzeugnisse<br />
ab. In Abwesenheit einer<br />
mikrobiellen Konkurrenzflora, zum<br />
Beispiel aus Milchsäurebakterien,<br />
kann bei 7 °C die humanpathogene<br />
Bakterienart Listeria monocytogenes<br />
noch gut wachsen und gesundheitlich<br />
bedenkliche Keimzahlen von<br />
10 3 –10 5 Mikroorganismen pro<br />
Gramm Produkt erreichen.<br />
Listeria monocytogenes ist in der<br />
Umwelt weit verbreitet und wurde in<br />
der Vergangenheit von vielen Lebensmitteln<br />
– auch von Fleisch und<br />
Fleischerzeugnissen – isoliert. In<br />
Frischfleisch wird dieses GRAM-positive,<br />
psychrotrophe (zum Wachstum<br />
bei Kühltemperaturen befähigte) Bakterium<br />
regelmäßig nachgewiesen.<br />
Der Keim wurde aber auch in fermentierten<br />
Rohwürsten gefunden.<br />
In fleischverarbeitenden Betrieben<br />
kann L. monocytogenes in Aufschneideräumen<br />
zur Herstellung von<br />
Aufschnittware vorkommen und<br />
pasteurisierte Fleischerzeugnisse<br />
während des Aufschneidens und Verpackens<br />
rekontaminieren. Erkrankungen<br />
des Menschen als Folge einer Infektion<br />
durch Listerien kommen vergleichsweise<br />
selten vor, sie dürfen<br />
aber aufgrund der häufig schweren<br />
Krankheitsverläufe (u. a. Hirnhautentzündung)<br />
nicht unterschätzt werden.<br />
Zu den von Milchsäurebakterien pro-<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
duzierten antagonistischen, das<br />
heißt andere Mikroorganismen hemmenden<br />
Substanzen gehören Milchund<br />
Essigsäure, Kohlendioxid, Wasserstoffperoxid,<br />
Diacetyl und Bacteriocine.<br />
Für Fleisch und Fleischerzeugnisse<br />
ist die Milchsäure in dieser<br />
Beziehung am bedeutendsten,<br />
da sie mengenmäßig dominiert und<br />
die Vermehrung der meisten unerwünschten<br />
Mikroorganismen<br />
hemmt. Leider bleiben aber einige<br />
pathogene Bakterien, etwa Listerien,<br />
auch in Gegenwart von Milchsäure<br />
lange Zeit lebensfähig.<br />
BACTERIOCINE<br />
Bei der Suche nach weiteren nutzbaren<br />
antagonistischen Substanzen<br />
konzentrierten wir uns daher auf die<br />
sensorisch neutralen Bacteriocine.<br />
Dabei handelt es sich um eiweißartige<br />
Substanzen mit mehr oder weniger<br />
breiter Hemmwirkung gegen andere<br />
GRAM-positive Bakterien, die<br />
von manchen Milchsäurebakterien in<br />
das Außenmedium abgegeben werden.<br />
Einige dieser gesundheitlich unbedenklichen<br />
Bacteriocine sind hoch<br />
wirksam gegen Listerien.<br />
Von den bei Fleisch und Fleischerzeugnissen<br />
„erwünschten” Milchsäurebakterien<br />
sind die psychrotrophen<br />
Bakterien Lactobacillus sakei<br />
und Lactobacillus curvatus am besten<br />
an das Substrat Fleisch angepaßt<br />
(Abb. 3). Bestimmte Stämme dieser<br />
Arten produzieren Bacteriocine, die<br />
in der Lage sind, Listerien abzutöten<br />
bzw. deren Vermehrung zu hemmen.<br />
Einige dieser anti-listeriellen Bacteriocine,<br />
insbesondere Sakacin A und<br />
Sakacin P von Lactobacillus sakei<br />
Stamm Lb706 und Stamm Lb674<br />
und Curvacin 1071 von Lactobacillus<br />
curvatus Stamm Lb1071, wurden<br />
von uns charakterisiert und in Fleischerzeugnissen<br />
getestet (Abb. 4).<br />
Es handelt sich bei diesen Bacteriocinen<br />
um kleine, hitzestabile, ribosomal<br />
synthetisierte Peptide (= aus<br />
nur wenigen Aminosäuren bestehende<br />
„Mini-Eiweiße”), die nach Ab-<br />
27<br />
spaltung einer Präsequenz aus der<br />
Bakterienzelle ausgeschleust werden.<br />
Das Bacteriocin Sakacin P<br />
bleibt in Fleischsaft, Hackfleisch und<br />
Brühwurst biologisch aktiv und eignet<br />
sich daher auch als Zusatzstoff.<br />
Das Gencluster für die Produktion<br />
des Sakacin P in L. sakei Lb674 wurde<br />
kloniert und sequenziert. Ein<br />
7.600 Basenpaare großes chromosomales<br />
DNA-Fragment enthielt alle<br />
für die Expression von Sakacin P in<br />
Bacteriocin-negativen Stämmen von<br />
L. sakei erforderlichen Gene (Abb.<br />
5). Das Gencluster umfaßt sechs aufeinanderfolgende<br />
Gene: sppK,<br />
sppR, sppA, spiA, sppT und sppE.<br />
Die beiden ersten Gene, sppK und<br />
sppR, sind für die Regulation der Bacteriocinproduktion<br />
von Bedeutung.<br />
Die Gene sppA und spiA kodieren<br />
ein Sakacin P Präprotein und ein Protein,<br />
das Immunität gegen Sakacin P<br />
verleiht. SppT und SppE zeigen starke<br />
Ähnlichkeiten mit den Transportproteinen<br />
anderer Bacteriocinsyste-<br />
me. Diese Proteine dürften dafür zuständig<br />
sein, das Sakacin P aus der<br />
Zelle in das Außenmedium zu transportieren.<br />
Die Bacteriocinproduktion<br />
ist somit ein sehr komplexer Vorgang,<br />
der aufwendigen Regulations-, Prozessierungs-<br />
und Exportmechanismen<br />
unterliegt.<br />
EINSATZPOTENTIALE<br />
Für die Biokonservierung von<br />
Fleischerzeugnissen ist die Einführung<br />
einer konkurrenzstarken Milchsäure-<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />
Abb. 3:<br />
Laktobazillen<br />
(Milchsäure-<br />
Stäbchen) in<br />
Salami unter<br />
dem Elektronenmikroskop
akterien-Mikroflora aus L. sakei oder<br />
L. curvatus – vorzugsweise mit der<br />
Fähigkeit zur Bacteriocinbildung –<br />
oder der direkte Einsatz von gereinigtem<br />
anti-listeriellen Bacteriocin als Lebensmittelzusatzstoff<br />
für kühlgelagerte,<br />
verzehrsfertige Fleischerzeugnisse<br />
denkbar.<br />
Neben den „nützlichen” Lactobazillen<br />
können auch andere Milchsäurebakterien<br />
vorverpackten Kochschinken-<br />
und Brühwurstaufschnitt besiedeln.<br />
Sie sind meist unerwünscht, da<br />
sie zu einem vorzeitigen Verderb der<br />
Ware etwa durch Schleimbildung, einer<br />
zu starken Säuerung oder anderen<br />
Geschmacksabweichungen<br />
führen können.<br />
Da eine keimfreie Aufschneidetechnik<br />
in der Praxis nicht möglich ist,<br />
gelangen regelmäßig verschiedene<br />
Mikroorganismen – harmlose, pathogene<br />
und verderbniserregende – auf<br />
die pasteurisierten Erzeugnisse. Bei<br />
7 °C und in Abwesenheit von Sauerstoff<br />
vermehren sich dann vor allem<br />
psychrotrophe Milchsäurebakterien<br />
und Listerien. Eine „gezielte” Rekontamination<br />
mit sensorisch akzeptablen<br />
Milchsäurebakterien-Stämmen, die<br />
sowohl Listerien als auch unerwünschte<br />
Milchsäurebakterien in<br />
Schach halten, würde daher zu einer<br />
besseren mikrobiologischen Sicherheit<br />
und sensorischen Stabilität der<br />
Produkte beitragen und möglicherweise<br />
auch die Herstellung salz- und<br />
nitritreduzierter Ware erlauben. Bei<br />
der Herstellung von Rohwurst können<br />
Bacteriocinbildner gleichzeitig als<br />
Starter- und Schutzkultur von Nutzen<br />
sein.<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
Abb. 4: Primärsequenz (Abfolge der Aminosäuren) von Sakacin A und P<br />
1 10 20 30 40<br />
1. ARSYGNGVYCNNKKCWVNRGEATQSIIGGMISGWASGLAGM<br />
2. KYYGNGVHCGKHSCTVDWGTAIGNIGNNAAANWATGGNAGWNK<br />
(identische Aminosäurereste sind durch vertikale Striche gekennzeichnet)<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
Bacteriocin Produzent<br />
1. Sakacin A Lactobacillus sakei Lb706<br />
2. Sakacin P Lactobacillus sakei Lb674<br />
VAKUUMVERPACKTER<br />
BRÜHWURSTAUFSCHNITT<br />
Während der Kühllagerung von<br />
vakuumverpacktem Brühwurstaufschnitt<br />
produzierte L. sakei Lb674<br />
(Sakacin P) ab einer Einsaatdichte<br />
von 10 5 -10 6 Bakterien/g Wurst ausreichende<br />
Konzentrationen von<br />
Bacteriocin. Das Wachstum von Listeria<br />
monocytogenes wurde verzögert<br />
und in einigen Fällen vollständig<br />
gehemmt (Abb. 6). Ähnliche Ergebnisse<br />
wurden mit L. sakei Lb706 (Sakacin<br />
A) erhalten. Bacteriocin-negative<br />
Varianten dieser Stämme oder andere<br />
aus Fleisch isolierte, Bacteriocin-negative<br />
Milchsäurebakterien<br />
verhinderten das Wachstum der Listerien<br />
nicht. Die Inokulation von Schutzkulturen<br />
in Anfangskeimzahlen von<br />
10 5 -10 6 /g führte erwartungsgemäß<br />
nach wenigen Tagen zu einer<br />
Keimzahl von circa 10 8<br />
Milchsäurebakterien/g. Die damit<br />
einhergehende Milchsäureprodukti-<br />
Abb. 5: Genkarte des Sakacin P Clusters<br />
28<br />
on und relativ geringe pH-Abnahme<br />
zeigten keine sensorisch nachteiligen<br />
Auswirkungen auf das Produkt.<br />
Als Zusatzstoff zeigte gereinigtes<br />
Bacteriocin (Sakacin P) in Abwesenheit<br />
einer Schutzkultur einen deutlichen<br />
Anfangseffekt auf L. monocytogenes<br />
und reduzierte das Wachstum<br />
während der Lagerung (Abb. 7). Allerdings<br />
wurden die zu Beginn des<br />
Versuchs eingebrachten Listerien<br />
nicht völlig abgetötet. Nach einer<br />
vollständigen Wachstumshemmung<br />
in den ersten 3 Tagen konnten sich<br />
überlebende Listerien auch in Anwesenheit<br />
des Bacteriocins vermehren,<br />
aber mit deutlich geringerer Rate als<br />
in bacteriocinfreier Wurst. Wurden<br />
Sakacin P-haltige Produkte zusätzlich<br />
mit L. sakei Lb674 als Schutzkultur in<br />
niedrigen Anfangskeimzahlen (10 2<br />
Bakterien/g) beimpft, so wurde die<br />
Vermehrung der Listerien noch stärker<br />
gehemmt (Abb. 7). Innerhalb weniger<br />
Tage erreichten die Milchsäurebakterien<br />
genügend hohe Zellzahlen,<br />
um den Bacteriocin-Effekt zu unterstützen.<br />
Im weiteren Verlauf hemmten<br />
sie die Listerien, die in Anwesenheit<br />
des Bacteriocins überlebten und<br />
vermehrungsfähig blieben.<br />
Bacteriocinbildende Milchsäurebakterien<br />
können also das Wachstum<br />
von Listeria monocytogenes auf<br />
„sensiblen” Fleischerzeugnissen verhindern,<br />
wenn sie als Schutzkulturen<br />
während des Aufschneidens in ausreichend<br />
hohen Keimzahlen zugegeben<br />
werden.<br />
sppK sppR spiA sppT sppE<br />
sppI sppA<br />
(Auto-) Induktor<br />
Organisation des Sakacin P Gen-Clusters in Lactobacillus sakei Lb 674<br />
Regulation der<br />
Bacteriocin-Produktion<br />
(Prä-) Sakacin P<br />
Strukturgen<br />
Immunität gegen<br />
Sakacin P<br />
Bacteriocin-Export<br />
und Prozessierung<br />
1 kb
In der industriellen Praxis könnten<br />
zum Beispiel die Aufschneidemaschinen<br />
(Slicer) mit einer automatischen<br />
Sprühvorrichtung für Schutzkulturen<br />
nachgerüstet werden.<br />
Bacteriocin-negative Milchsäurebakterien<br />
sind unter gleichen Bedingungen<br />
deutlich weniger wirksam.<br />
Als Zusatzstoff zeigt Sakacin P zwar<br />
Wirkung, kann aber das Wachstum<br />
von Listeria monocytogenes nicht im<br />
erwünschten Umfang verhindern.<br />
ROHWURST<br />
Die Stämme L. sakei Lb674 und L.<br />
curvatus Lb1071 eignen sich auch<br />
als Starterkulturen für Salami. Beide<br />
Stämme führten bei 23 °C und den<br />
üblichen Einimpfmengen (10 6 Bakterien/g)<br />
zu einer schnellen Umrötung<br />
und Säuerung der Produkte. Farbe<br />
und Bindung der Erzeugnisse waren<br />
ausgezeichnet. Geschmacklich waren<br />
die Würste gut und leicht säurebetont.<br />
Die Bacteriocinbildner blieben<br />
im gesamten Reifeverlauf dominant<br />
und zeigten auch sonst keine für<br />
die Rohwurstherstellung ungünstigen<br />
Eigenschaften.<br />
Auch eine wesentlich geringere<br />
Einsaatdichte von 10 3 /g L. sakei<br />
Lb674 oder L. curvatus Lb1071 führte<br />
im Laufe der Reifung schon zu ähnlich<br />
positiven Ergebnissen. Die niedrigere<br />
Anfangskeimzahl der zugesetzten<br />
Milchsäurebakterien hatte<br />
eine langsamere Abnahme des pH-<br />
Wertes zur Folge. Dadurch wurde<br />
eine mildere Säuerung der Würste<br />
erreicht, die sensorisch häufig bevorzugt<br />
wird.<br />
L. sakei Lb674 produzierte kaum<br />
Bacteriocin in Rohwurst, obwohl dieser<br />
Stamm sonst alle wichtigen Selektionskriterien<br />
für eine Starterkultur erfüllt.<br />
L. curvatus Lb1071 war dagegen<br />
in Rohwurst ein hervorragender<br />
Bacteriocinproduzent. Listeria monocytogenes<br />
konnte sich unter den gewählten<br />
Versuchsbedingungen in der<br />
Rohwurst nicht vermehren und nahm<br />
im Laufe der Reifung in allen<br />
Versuchschargen ab. Im Vergleich zu<br />
BIOTECHNOLOGIE<br />
einem kommerziellen L. curvatus-Starter<br />
bewirkte L. curvatus Lb1071 eine<br />
deutlich größere Reduktion der Listerien.<br />
(Abb. 8).<br />
AUSBLICK<br />
Milchsäurebakterien spielen bei<br />
der Herstellung von Rohwürsten eine<br />
große Rolle. Starterkulturen werden<br />
daher regelmäßig neu bewertet und<br />
neuen Anforderungen angepaßt. Die<br />
zunehmende Nachfrage nach schonend<br />
verarbeiteten, verzehrsfertigen<br />
Convenience-Produkten, die durch<br />
Kühlung alleine nicht ausreichend hygienisch<br />
stabilisiert werden können,<br />
eröffnet zusätzliche Einsatzmöglichkeiten<br />
für diese Bakterien als Schutzkulturen.<br />
Ziel unserer Arbeiten ist es,<br />
unter den vielen natürlich vorkommenden<br />
Milchsäurebakterien diejenigen<br />
zu finden, die über eine möglichst<br />
optimale Kombination erwünschter<br />
Eigenschaften verfügen,<br />
diese Bakterien möglichst genau zu<br />
charakterisieren und die Eignung dieser<br />
Kulturen für traditionelle und neue<br />
Anwendungsfelder zu demonstrieren.<br />
Schutzkulturen mit der Fähigkeit<br />
zur Bacteriocinbildung bieten neue<br />
Möglichkeiten zur Verbesserung der<br />
Sicherheit und Haltbarkeit konventioneller<br />
Fleischerzeugnisse. Mit ihrer<br />
Hilfe könnten neue Produkte entwickelt<br />
werden, die milder und aufgrund<br />
einer effektiven Unterdrückung<br />
der Begleitflora „reiner” im Geschmack<br />
sind.<br />
Die meisten anti-listeriellen Bacteriocine<br />
weisen in ihrem N-terminalen<br />
Bereich die Aminosäure-Sequenz<br />
‘YGNGV’ auf (vgl. Abb. 1). Die Rolle<br />
weiterer Sequenzelemente ist noch<br />
nicht ausreichend bekannt, so daß<br />
die Suche nach weiteren natürlichen<br />
– möglicherweise besseren –Varianten<br />
interessant bleibt. ■<br />
Dr. Lothar Kröckel, Bundesanstalt für<br />
Fleischforschung, Institut für Mikrobiologie<br />
und Toxikologie, E.-C.-Baumann-Str.<br />
20, 95326 Kulmbach<br />
29<br />
Abb. 6: Vakuumverpackter Brühwurstaufschnitt (1)<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
log 10 L. monocytogenes/g<br />
Bac -<br />
ph-Verlauf<br />
Bac +<br />
pH-Wert<br />
0 7 14 21 28<br />
Tage<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />
7,0<br />
6,5<br />
6,0<br />
5,5<br />
5,0<br />
zugesetzte<br />
Milchsäurebakterien:<br />
105 – 106 Zellen/g<br />
Lagertemperatur:<br />
7 °C<br />
Verhalten von Listeria monocytogenes auf vakuumverpacktem Brühwurstaufschnitt in<br />
Gegenwart bacteriocinogener (Bac + ) und nicht-bacteriocinogener (Bac – ) Milchsäurebakterien<br />
(MSB)<br />
Abb. 7: Vakuumverpackter Brühwurstaufschnitt (2)<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
log 10 L. monocytogenes/g<br />
– MSB<br />
+ MSB<br />
zugesetzte<br />
Milchsäurebakterien:<br />
102 Zellen/g<br />
(Stamm Lb674)<br />
pH-Werte nach<br />
28 Tagen:<br />
pH 5,5 – 5,7<br />
zugesetzte<br />
Bacteriocinmenge:<br />
500 – 1500 AU/g<br />
(AU = Aktivitätseinheiten)<br />
0<br />
0 7 14<br />
Tage<br />
21 28<br />
Verhalten von Listeria monocytogenes auf vakuumverpacktem Brühwurstaufschnitt mit<br />
Sakacin P-Zusatz bei 7 °C, mit und ohne bacteriocinogene Milchsäurebakterien (MSB)<br />
Abb. 8: Reifung von Salami<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
log 10 L. monocytogenes/g<br />
zugesetzte<br />
Milchsäurebakterien:<br />
10 6 Zellen/g<br />
Lactobacillus curvatus<br />
Stamm Lc3 (Bac-)<br />
Lactobacillus curvatus<br />
Stamm Lb1071 (Bac+)<br />
0<br />
0 7 14 21 28 35<br />
Tage<br />
Verhalten von Listeria monocytogenes in Salami in Gegenwart bacteriocinogener Milchsäurebakterien<br />
(Lb1071) und einer nicht-bacteriocinogenen Starterkultur (Lc3)
In Deutschland werden unter „Novel<br />
Food” fast ausschließlich gentechnisch<br />
modifizierte Lebensmittel verstanden.<br />
Die Novel Food-Verordnung (Verordnung<br />
EG Nr. 258/97 des Europäischen<br />
Parlaments und des Rates<br />
über neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten)<br />
faßt allerdings eine<br />
breite Palette unterschiedlichster Produkte<br />
zusammen. Dabei handelt es<br />
sich um Lebensmittel und Lebensmittelzutaten,<br />
die bislang im gemeinsamen<br />
EU-Markt noch nicht verzehrt wurden<br />
LEBENSMITTEL<br />
Kennzeichnung von<br />
gentechnisch veränderten<br />
Lebensmitteln<br />
Klaus-Dieter Jany und Ralf Greiner (Karlsruhe)<br />
Für neuartige Lebensmittel ist in der Europäischen Union am 15. Mai 1997 nach<br />
langjährigen Verhandlungen die Novel Food-Verordnung in Kraft getreten. Diese Verordnung<br />
regelt das Inverkehrbringen und die Etikettierung von neuartigen Lebensmitteln<br />
in allen EU-Mitgliedstaaten nach einheitlichen Kriterien. Da die Handhabung in der<br />
Praxis auf Probleme gestoßen ist, sind von der EU ergänzende Verordnungen erlassen<br />
worden. Die Anlaufschwierigkeiten und Unsicherheiten und die gefundenen Lösungsansätze<br />
schildert der folgende Beitrag.<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
(z. B. Produkte aus Algen oder Mikroorganismen)<br />
und sich sechs genau definierten<br />
Kategorien zuordnen lassen.<br />
Lediglich zwei betreffen die Gentechnik:<br />
■ Lebensmittel, die selbst den gentechnisch<br />
veränderten Organismus<br />
(GVO) darstellen (z. B. Flavr-Savr-<br />
Tomate) oder GVO enthalten (Joghurt<br />
mit Lebendkulturen) und<br />
■ Produkte, die aus GVO gewonnen<br />
werden, aber den lebenden GVO<br />
nicht mehr enthalten (z. B. Öl aus<br />
herbizidtoleranten Sojabohnen).<br />
30<br />
In Artikel 8 der Novel Food-Verordnung<br />
sind die Etikettierungsanforderungen<br />
zur Unterrichtung der Verbraucher<br />
festgelegt. Sie gelten für alle<br />
neuartigen Lebensmittel und sind nicht<br />
speziell auf gentechnisch modifizierte<br />
Erzeugnisse ausgerichtet. In Tabelle 1<br />
sind die Kennzeichnungskriterien aufgelistet.<br />
Informiert werden die Verbraucher<br />
über die jeweilige Veränderung und<br />
das Verfahren. Die Etikettierung gilt<br />
sowohl für verpackte als auch für offene<br />
Ware sowie für Lebensmittel aus<br />
der Gemeinschaftsverpflegung.
Grundsätzlich müssen alle Lebensmittel<br />
und Lebensmittelzutaten gekennzeichnet<br />
werden, die lebende GVO<br />
sind oder enthalten. Ebenso müssen<br />
Verbraucher durch eine entsprechende<br />
Kennzeichnung informiert werden,<br />
wenn das neuartige Erzeugnis im Vergleich<br />
zum traditionellen Lebensmittel<br />
Stoffe enthält, die die Gesundheit bestimmter<br />
Menschen beeinflussen können<br />
(z. B. neues oder erhöhtes allergenes<br />
Potential), oder wenn gegen<br />
Stoffe in dem neuen Lebensmittel ethische<br />
oder religiöse Bedenken oder<br />
aufgrund bestimmter Ernährungsformen<br />
Vorbehalte bestehen. Dies könnte<br />
zum Beispiel der Fall sein, wenn ein<br />
tierisches Gen (Protein) in traditionell<br />
vegetarischen Produkten oder ein<br />
„Schweine-Gen” in Lebensmitteln für<br />
Moslems vorhanden ist. Ebenso müssen<br />
Erzeugnisse gekennzeichnet werden,<br />
die sich von vergleichbaren traditionellen<br />
Lebensmitteln unterscheiden,<br />
das heißt, wenn sie nicht gleichwertig<br />
sind (Artikel 8, Absatz 1a).<br />
WAS BEDEUTET<br />
„GLEICHWERTIG”?<br />
Im Sinne der Novel Food-Verordnung<br />
werden neuartige Lebensmittel<br />
als nicht gleichwertig angesehen,<br />
wenn sie gegenüber vergleichbaren<br />
traditionellen Erzeugnissen Unterschiede<br />
aufweisen, die sich analytisch<br />
und auf der Basis einer wissenschaftlichen<br />
Beurteilung feststellen lassen.<br />
Offen blieb dabei allerdings die<br />
Frage nach den Kriterien für die<br />
Gleichwertigkeit und den Analysenmethoden.<br />
Sehr leicht läßt sich eine<br />
gezielte Veränderung anhand der<br />
stofflichen Zusammensetzung nachweisen.<br />
So müssen Öle mit einer veränderten<br />
Fettsäurezusammensetzung<br />
(z. B. höherer Gehalt an mehrfach<br />
ungesättigten Fettsäuren) oder Stärken<br />
mit verändertem Ver-zweigungsgrad<br />
(z. B. vorwiegend Amylose oder Amylopektin)<br />
stets gekennzeichnet werden,<br />
denn sie unterscheiden sich von<br />
den entsprechenden konventionellen<br />
Erzeugnissen. Eine Kennzeichnung<br />
LEBENSMITTEL<br />
wird auch erforderlich, wenn in dem<br />
Erzeugnis noch die neueingeführte<br />
genetische Information (DNA) oder<br />
das (die) neueingeführte(n) Protein(e)<br />
nachweisbar enthalten sind. In diesen<br />
Fällen ist das neuartige Erzeugnis in<br />
seiner Zusammensetzung zu dem vergleichbaren<br />
traditionellen nicht mehr<br />
gleichwertig (der Begriff ‘nicht gleichwertig’<br />
impliziert keine Wertung in<br />
Richtung ‘schlechter’, sondern ist im<br />
Sinne von ‘anders’ zu verstehen).<br />
Eine Kennzeichnung ist nicht erforderlich,<br />
wenn die Erzeugnisse keine<br />
stofflichen oder ernährungsphysiologischen<br />
Unterschiede zu konventionel-<br />
Tab. 1: Kriterien für die Kennzeichnung<br />
von Lebensmitteln nach der<br />
Novel Food-Verordnung<br />
Gekennzeichnet werden Erzeugnisse<br />
■ die lebende GVO darstellen oder enthalten,<br />
■ die die Gesundheit bestimmter Bevölkerungsgruppen<br />
beeinflussen können,<br />
■ gegen die ethische Vorbehalte bestehen,<br />
■ die keine Gleichwertigkeit zu vergleichbaren<br />
traditionellen Produkten<br />
– in der Zusammensetzung,<br />
– im Nährwert, in der nutritiven Wirkung,<br />
– im Gebrauch, usw.<br />
aufweisen.<br />
31<br />
len Produkten aufweisen. So enthalten<br />
zum Beispiel raffinierte Öle aus transgenem<br />
Raps, Mais und transgenen<br />
Sojabohnen keine DNA und keine<br />
Proteine mehr. Infolgedessen werden<br />
sie sowohl in der Sicherheitsbeurteilung<br />
als auch in der stofflichen Zusammensetzung<br />
als gleichwertig zu<br />
den konventionellen Ölen bewertet.<br />
Gerade in dem Kriterium der<br />
Gleichwertigkeit von Produkten sehen<br />
viele Verbraucher und Kritiker der<br />
Gentechnik einen Mangel der Novel<br />
Food-Verordnung. Sie sind der Ansicht,<br />
daß hierdurch viele Lebensmittel<br />
von der Kennzeichnungsregelung ausgenommen<br />
und die Verbraucher nicht<br />
hinreichend über den Einsatz der<br />
Gentechnik informiert werden. Hierbei<br />
ist allerdings zu bedenken, daß<br />
eine Kennzeichnung nur verläßlich<br />
praktiziert werden kann, wenn sie<br />
auch überprüfbar ist. Wenn aber in<br />
einem hochaufbereiteten und gereinigten<br />
Produkt wie raffiniertem Öl<br />
oder raffiniertem Zucker die gentechnische<br />
Veränderung nicht nachweisbar<br />
ist, weil die in Frage kommenden<br />
Stoffe (DNA oder Proteine)<br />
gar nicht mehr vorhanden sind, ist<br />
auch eine Kennzeichnung nicht mehr<br />
sinnvoll.<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT
Abb. 1:<br />
Schokoriegel mit<br />
Cornflakes und<br />
Stärke aus<br />
transgenem<br />
Mais. Die<br />
Zutatenliste auf<br />
der Rückseite<br />
der Verpackung<br />
enthält die<br />
Deklaration<br />
„aus genetisch<br />
verändertem<br />
Mais hergestellt”<br />
(Fotos:<br />
M. Welling)<br />
SOJABOHNEN UND MAIS<br />
Im Frühjahr 1997, kurz vor Inkrafttreten<br />
der Novel Food-Verordnung, erhielten<br />
herbizidtolerante Roundup<br />
Ready Sojabohnen und insektenresistenter<br />
Bt-Mais in der EU die Genehmigung<br />
zum Inverkehrbringen nach<br />
der Freisetzungsrichtline. In den<br />
entsprechenden Entscheidungen<br />
96/281/EG (Soja) und<br />
97/98/EG (Mais) wurde keine spezielle<br />
Kenntlichmachung der Produkte<br />
vorgeschrieben. Wären sie nach der<br />
Novel Food- Verordnung zugelassen<br />
worden, so hätte zum Beispiel Sojaprotein<br />
aus den herbizidtoleranten Sojabohnen<br />
gekennzeichnet werden<br />
müssen.<br />
Da Soja- und Maisverarbeitungsprodukte<br />
in sehr vielen Lebensmitteln<br />
vorhanden sind, Verbraucher ein Anrecht<br />
auf Information haben und auch<br />
um Wettbewerbsverzerrungen für<br />
möglicherweise folgende transgene<br />
Soja- und Maisvarietäten abzubauen,<br />
hat die EU-Kommission die Etikettierungsrichtlinie<br />
ergänzt: Die bereits zugelassenen<br />
Soja- und Maisprodukte<br />
müssen ab 1. November 1997 ebenfalls<br />
entsprechend Artikel 8 der Novel<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
LEBENSMITTEL<br />
Food-Verordnung gekennzeichnet<br />
werden (Ergänzungsverordnung EG<br />
1813/97).<br />
Obwohl derartige Mais- und Sojaprodukte<br />
auf dem Markt sind und die<br />
Verordnung in Kraft getreten ist, lassen<br />
sich kaum gekennzeichnete Lebensmittel<br />
im Regal finden. Dies liegt daran,<br />
daß weder bestimmt wurde, wie<br />
die Etikettierung konkret vorzunehmen<br />
sei, noch welche Nachweisverfahren<br />
zum Tragen kommen sollen. Die Novel<br />
Food-Verordnung ließ sich somit<br />
nicht direkt anwenden. Weder Lebensmittelhersteller<br />
noch Überwachungsbehörden<br />
hatten klare Handlungsanweisungen.<br />
Um hier Abhilfe<br />
zu schaffen, legte die Kommission im<br />
Dezember 1997 einen ergänzenden<br />
Vorschlag zur Etikettierung für Sojaund<br />
Maisprodukte vor. Richtungsweisend<br />
für die wissenschaftliche Beurteilung<br />
der Nichtgleichwertigkeit zwischen<br />
neuartigen und konventionellen<br />
Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten<br />
waren die Ausführungen zum DNAund<br />
Proteinnachweis. Hiernach soll<br />
bereits das Vorhandensein der neueingeführten<br />
DNA das Kriterium der<br />
Nichtgleichwertigkeit erfüllen. Dadurch<br />
werden ganz im Sinne der Verbraucherinformation<br />
eine größere Anzahl<br />
von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten<br />
erfaßt. Erst wenn die Identifikation<br />
der neueingeführten DNA versagt,<br />
soll das Proteinkriterium zum Tragen<br />
kommen. Da DNA in Verarbeitungsprozessen<br />
relativ häufig in ihre<br />
Einzelbausteine zerlegt wird, erweitert<br />
die Proteinanalytik den Etikettierungsumfang.<br />
Diese Bestimmungen wurden in<br />
eine sogenannte Ablöseverordnung<br />
(EG Nr. 1139/98) hineingeschrieben.<br />
Sie ist am 1. September 1998 in<br />
Kraft getreten und löst die vorhergehende<br />
Ergänzungsverordnung ab. Die<br />
Ablöseverordnung gilt ausschließlich<br />
für die beiden genannten Soja- und<br />
Maisvarietäten „Roundup Ready Sojabohnen”<br />
und „Novartis Bt-Mais 176”.<br />
Es ist aber davon auszugehen, daß<br />
diese Ausführungen demnächst auf<br />
alle gentechnisch modifizierten Erzeugnisse<br />
angewendet werden.<br />
32<br />
DIE KENNZEICHNUNG<br />
Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten<br />
aus gentechnisch verändertem<br />
Soja oder Mais müssen immer dann<br />
gekennzeichnet werden, wenn sich<br />
die neueingeführte DNA oder das<br />
neueingeführte Protein im Endprodukt<br />
– also dem Produkt, das für den Verbraucher<br />
zum Verzehr bestimmt ist –<br />
nachweisen läßt. In diesen Fällen<br />
muß eine Kennzeichnung mit „aus genetisch<br />
veränderten Sojabohnen hergestellt”<br />
bzw. „aus genetisch verändertem<br />
Mais hergestellt” erfolgen<br />
(Abb. 1). Es müssen nicht beide neuen<br />
Komponenten nachgewiesen werden.<br />
Aber falls sich die neueingeführte<br />
DNA nicht nachweisen läßt, muß<br />
überprüft werden, ob in dem Produkt<br />
noch das neue Protein enthalten ist.<br />
Erst wenn die Nachweise für beide<br />
Komponenten negativ ausfallen, ergibt<br />
sich keine Kennzeichnungspflicht.<br />
Gegenwärtig beschränkt sich<br />
der Nachweis ausschließlich auf die<br />
Detektion der neueingeführten DNA.<br />
Für Soja und Mais stehen in Ringversuchen<br />
überprüfte Verfahren zur Verfügung,<br />
allerdings wurden die Nachweise<br />
in weiterverarbeiteten Produkten<br />
bislang noch nicht so intensiv bearbeitet.<br />
Am Molekularbiologischen<br />
Zentrum der Bundesforschungsanstalt<br />
für Ernährung (BFE) ist für gentechnisch<br />
modifiziertes Soja auch ein Proteinnachweis<br />
entwickelt worden, der<br />
zur Zeit weiter optimiert wird.<br />
Zum Auffinden der veränderten<br />
DNA ist die „Polymerase Chain Reaction”<br />
(PCR) Methode der Wahl. Mit<br />
ihr lassen sich einzelne DNA-Fragmente<br />
exponentiell vervielfältigen und<br />
im weiteren Verlauf identifizieren<br />
(Abb. 2). Die PCR läßt sich mit einem<br />
Kopiergerät im Büro vergleichen, das<br />
von einer Vorlage beliebig viele identische<br />
Kopien produzieren kann.<br />
Die PCR ist ein hochempfindliches<br />
Nachweisverfahren. Um zu verhindern,<br />
daß jede kleine Verunreinigung<br />
des Endprodukts mit neuer DNA zu<br />
einer Kennzeichnung führt, soll ein<br />
Schwellenwert eingeführt werden,<br />
oberhalb dessen erst gekennzeichnet
werden muß. Gegenwärtig ist ein solcher<br />
Schwellenwert noch nicht festgelegt.<br />
In der Diskussion stehen relative<br />
Werte zwischen 1–3 % der neueingeführten<br />
DNA in Bezug auf den Gesamt-DNA-Gehalt.<br />
In der Ablöseverordnung<br />
ist auch eine Negativliste für<br />
Produkte, die nicht gekennzeichnet zu<br />
werden brauchen, aufgenommen<br />
worden. Klassische Beispiele hierfür<br />
sind raffinierte Öle aus Soja oder<br />
Mais.<br />
Zusatzstoffe (zum Beispiel Sojalecithin),<br />
Aromen und Extraktionsmittel<br />
werden von der Novel Food Verordnung<br />
und auch von der Ablöseverordnung<br />
nicht erfaßt. Sie unterliegen somit<br />
auch keiner Kennzeichnung.<br />
Nicht eindeutig ist die Stellung von<br />
Enzymen, die als Verarbeitungshilfsstoffe<br />
verwendet werden. In der EU-<br />
Kommission wird aber bereits eine Regelung<br />
für Enzyme diskutiert.<br />
„GENTECHNIKFREI”<br />
In der Präambel zur Novel Food-<br />
Verordnung wird ausdrücklich darauf<br />
hingewiesen, daß auch eine Kennzeichnung<br />
derart erfolgen kann, daß<br />
das Lebensmittel kein neuartiges Erzeugnis<br />
im Sinne der Verordnung darstellt.<br />
Eine Kennzeichnung „gentechnikfrei”<br />
ist möglich. Auf europäischer<br />
Ebene sind allerdings bis heute die<br />
Begriffe „gentechnikfrei” oder „Ohne<br />
Gentechnik” noch nicht definiert.<br />
Österreich hat im nationalen Rahmen<br />
schon eine entsprechende Regelung<br />
eingeführt, und für Deutschland ist im<br />
Juli 1998 vom Bundesrat eine Gesetzesvorlage<br />
für die Etikettierung „Ohne<br />
Gentechnik” verabschiedet worden.<br />
Diese Regelung steht zur Notifizierung<br />
durch die EU an. Gegenwärtig<br />
werden die Begriffe sehr restriktiv verstanden.<br />
Der Produzent/Vertreiber<br />
muß lückenlos nachweisen können,<br />
daß in keinem Herstellungsschritt –<br />
vom Rohstoff bis zum Endprodukt –<br />
die Gentechnik in irgendeiner Weise<br />
bei dem Lebensmittel eine Rolle gespielt<br />
hat. Nach der deutschen Regelung<br />
dürfen Lebensmittel, die nachweislich<br />
auf keiner Stufe der Herstellung<br />
mit der Gentechnik in Berührung<br />
gekommen sind, mit dem Begriff<br />
„Ohne Gentechnik” gekennzeichnet<br />
werden. Eine Auslobung mit „gentechnikfrei”<br />
ist nicht erlaubt. „Ohne<br />
Gentechnik” bedeutet hier, daß weder<br />
Rohstoffe aus transgenen Pflanzen,<br />
noch Enzyme oder Zusatzstoffe<br />
und Aromen aus gentechnisch veränderten<br />
Mikroorganismen für die Lebensmittelherstellung<br />
verwendet werden.<br />
In der Tierhaltung dürfen keine Futtermittel<br />
oder Futtermittelzutaten aus<br />
transgenen Organismen eingesetzt<br />
werden. Eine Überprüfung ist hier<br />
schwierig. So liefert eine Kuh, die mit<br />
transgenem Soja- oder Rapsschrot<br />
oder Mais gefüttert wurde, keine gentechnisch<br />
veränderte Milch; diese ist<br />
substantiell gleichwertig der Milch<br />
von Kühen, die mit traditionellem Futter<br />
gefüttert worden sind.<br />
Ein analytischer Nachweis des Einsatzes<br />
von transgenem Futter ist im tierischen<br />
Endprodukt nicht möglich.<br />
Hier muß man sich auf die Aufzeichnungspflicht<br />
des Landwirts und die Erklärungen<br />
der Futtermittellieferanten<br />
verlassen.<br />
Der Landwirt ist nicht verpflichtet,<br />
DNA-Nachweise für die Futtermittel<br />
durchführen zu lassen. Solange ein<br />
Landwirt seinen Nutztieren Futter aus<br />
nicht transgenen Pflanzen gibt und<br />
das Futter mit Enzymen, Vitaminen,<br />
Aminosäuren aus nicht transgenen Mikroorganismen<br />
versetzt, kann er die<br />
Erzeugnisse mit „Ohne Gentechnik”<br />
33<br />
LEBENSMITTEL<br />
ausloben. Nicht geklärt ist, wie der<br />
Landwirt mit der Kennzeichnung umgehen<br />
muß, falls er – zum Beispiel in<br />
den Wintermonaten – transgenes<br />
Material zufüttert und dann später<br />
wieder auf nicht transgenes Futter umstellt.<br />
Die Verwendung von Arzneioder<br />
Impfmitteln aus transgenen Organismen<br />
haben keinen Einfluß auf<br />
die Kennzeichnung.<br />
Neu eingeführte DNA darf aber<br />
auch in Lebensmitteln „Ohne Gentechnik”<br />
vorhanden sein, solange<br />
nachgewiesen werden kann, daß<br />
diese DNA unbeabsichtigt oder aufgrund<br />
unvermeidbarer Gegebenheiten<br />
in das Produkt gelangt ist. Letztes<br />
wäre zum Beispiel beim Sammeln<br />
und Transport von konventionellem<br />
Soja in Silos und Schiffen, die zuvor<br />
transgene Sojabohnen enthielten. Es<br />
ist unmöglich, unter wirtschaftlichen<br />
Bedingungen eine Reinigung zu er-<br />
zielen, die eine absolute „Gentechnikfreiheit”<br />
der Anlagen garantieren<br />
würde.<br />
Verbraucher haben einen Anspruch<br />
auf Information über Inhaltsstoffe und<br />
Herstellungsverfahren ihrer Lebensmittel.<br />
Die Etikettierung muß nicht nur<br />
sachgerecht, sondern auch überprüfbar<br />
sein. Kennzeichnung und Überprüfbarkeit,<br />
das heißt die Nachweisbarkeit<br />
der gentechnischen Modifikationen<br />
und die richtige Etikettierung,<br />
sind eng miteinander verbunden. ■<br />
Prof. Dr. Klaus-Dieter Jany, Dr. Ralf<br />
Greiner, Bundesforschungsanstalt für<br />
Ernährung, Haid-und-Neu-Straße 9,<br />
76131Karlsruhe<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />
Abb. 2:<br />
Mit Hilfe der<br />
PCR lassen sich<br />
bestimmte –<br />
also auch gentechnischeingefügte<br />
– DNA-<br />
Fragmente<br />
vervielfältigen<br />
und auf einem<br />
Gel als Banden<br />
sichtbar<br />
machen.<br />
Die Abbildung<br />
zeigt eine PCR-<br />
Untersuchung<br />
von transgenem<br />
Raps.
Abb. 1: Aufgabenstruktur des wissenschaftlichen Personals<br />
an der Biologischen Bundesanstalt<br />
3,6 %<br />
2,6 %<br />
25,0 %<br />
2,6 %<br />
10,7 % 20,9 %<br />
Hoheitsaufgaben und unmittelbar<br />
damit zusammenhängende<br />
<strong>Forschung</strong> 65,3 %<br />
■ Prüfung und Zulassung von<br />
Pflanzenschutzmitteln<br />
■ Geräteliste, Anwendungstechnik<br />
■ Gentechnikgesetz<br />
■ Chemikaliengesetz<br />
■ Resistenzprüfung<br />
■ Erstellung von Richtlinien und Grundsätzen<br />
FORSCHUNG & ADMINISTRATION<br />
Neuentwicklungen auf<br />
dem Prüfstand<br />
Über die Verzahnung von wissenschaftlichen Arbeiten<br />
und behördlichen Entscheidungen<br />
Wohlert Wohlers und Michael Welling (Braunschweig)<br />
Unter den Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums<br />
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML) befinden sich Einrichtungen, die<br />
gleichzeitig auch als selbständige Bundesoberbehörden tätig sind. Diese Doppelkonstruktion<br />
spiegelt die Notwendigkeit wider, administrative Regelungen und Entscheidungen<br />
auch in äußerst komplexen naturwissenschaftlich-technischen Bereichen treffen<br />
zu müssen – und das gelingt oft nur, wenn auf wissenschaftlichen Sachverstand aus erster<br />
Hand zurückgegriffen werden kann. Pflanzenschutzmittel zum Beispiel werden in<br />
Deutschland von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) zugelassen.<br />
Die Entscheidung, ob und gegebenenfalls mit welchen Auflagen solche Zulassungen<br />
erteilt werden – eine Aufgabe der BBA als Behörde – wäre ohne das wissenschaftliche<br />
Fundament der BBA als <strong>Forschung</strong>sanstalt kaum tragfähig.<br />
8,7 %<br />
Die Aufgaben der Biologischen<br />
Bundesanstalt sind im wesentlichen<br />
im Pflanzenschutzgesetz festgelegt.<br />
Dazu kommen Tätigkeiten, die sich<br />
aus dem Gentechnikgesetz sowie<br />
aus dem Chemikalien- und dem Bundesseuchengesetz<br />
ergeben. Wie<br />
stark die wissenschaftlichen und ad-<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
26,0 %<br />
<strong>Forschung</strong>, die mittelbar zu<br />
Hoheitsaufgaben führt 34,7 %<br />
■ <strong>Forschung</strong> zur Phytopathologie und<br />
zum Pflanzenschutz<br />
■ <strong>Forschung</strong>smanagement, Bibliotheken,<br />
sonstige<br />
ministrativen Arbeitsfelder ineinandergreifen,<br />
zeigen die folgenden<br />
Beispiele. An der BBA sind fast zwei<br />
Drittel des wissenschaftlichen Personals<br />
mit hoheitlichen Pflichten betraut<br />
(Abb. 1). Dabei ermöglicht die Verzahnung<br />
von <strong>Forschung</strong> und Hoheitsaufgaben<br />
ein für eine Behörde<br />
schnelles Reagieren auf neue Entwicklungen<br />
im Bereich der Wissenschaft.<br />
PFLANZENSCHUTZ-<br />
MITTELPRÜFUNG<br />
Pflanzenschutzmittel dürfen in<br />
Deutschland nur in Verkehr gebracht<br />
werden, wenn sie durch die Biologische<br />
Bundesanstalt geprüft und zugelassen<br />
wurden. Die Einrichtungen<br />
zweier anderer Ministerien – das<br />
Umweltbundesamt (UBA) und das<br />
Bundesinstitut für gesundheitlichen<br />
Verbraucherschutz und Veterinärmedizin<br />
(BgVV) – wirken dabei als Einvernehmensbehörden<br />
mit.<br />
34<br />
Für inländische wie für importierte<br />
Pflanzenschutzmittel gelten heute<br />
hohe Anforderungen an den Schutz<br />
von Mensch, Tier und Umwelt. Geprüft<br />
wird nicht nur der Wirkstoff,<br />
sondern auch das Pflanzenschutzmittel<br />
als Ganzes mit all seinen Bestandteilen<br />
einschließlich der Formulierungsstoffe<br />
sowie seine Abbauprodukte.<br />
Dabei beschränkt sich<br />
eine Prüfung nicht nur auf das sorgfältige<br />
Studium der von den Herstellern<br />
gelieferten Unterlagen: Die<br />
BBA-Wissenschaftler führen in einzelnen<br />
Bereichen auch eigene Laborversuche<br />
oder chemische Analysen<br />
durch. Aufgrund der umfangreichen<br />
Prüfvorschriften gehören Pflanzenschutzmittel<br />
zu den am besten<br />
untersuchten Chemikalien überhaupt.<br />
Die Prüfung umfaßt fünf wichtige<br />
Bereiche:<br />
Wirksamkeit<br />
Pflanzenschutzmittel müssen hinreichend<br />
wirksam sein, sonst dürfen
FORSCHUNG & ADMINISTRATION<br />
Die Widerstandsfähigkeit von Zierpflanzen gegen Krankheiten wird erforscht (hier:<br />
Mehltau an Begonien)<br />
sie von der Biologischen Bundesanstalt<br />
nicht zugelassen werden. Dadurch<br />
soll unter anderem eine unnötige<br />
Umweltbelastung durch schlecht<br />
wirksame Mittel verhindert werden.<br />
Mit berücksichtigt wird bei der Prüfung<br />
auch, daß die Pflanzenschutzmittel<br />
zwar die Schaderreger verläßlich<br />
bekämpfen, die behandelten<br />
Kulturpflanzen aber nicht schädigen<br />
sollen.<br />
Da immer wieder Schadorganismen<br />
mit Resistenzen auftreten, ist die<br />
Wirksamkeitsprüfung ein dynamischer<br />
Prozeß mit permanentem <strong>Forschung</strong>sbedarf.<br />
Anwenderschutz<br />
Es muß gewährleistet sein, daß<br />
der Anwender – also der Landwirt,<br />
Gärtner oder Förster – bei einer<br />
sachgerechten und bestimmungsgemäßen<br />
Anwendung nicht gefährdet<br />
ist. Auch eine mögliche Langzeitgefährdung,<br />
wie zum Beispiel<br />
die Erkrankung an Krebs nach 20<br />
oder 30 Jahren, muß nach jeweiligem<br />
Stand der <strong>Forschung</strong> ausgeschlossen<br />
sein.<br />
Verbraucherschutz<br />
Es muß sichergestellt sein, daß<br />
die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln<br />
im Erntegut beziehungsweise<br />
ihre Abbauprodukte so niedrig sind,<br />
daß die Gesundheit der Verbraucherinnen<br />
und Verbraucher nicht gefährdet<br />
wird. Die Lebensmitteluntersuchungsämter<br />
der Länder nehmen<br />
auf den Märkten und in Geschäften<br />
regelmäßig Proben und kontrollieren<br />
sie auf Rückstände. In der BBA werden<br />
diese Verfahren vor allem auf<br />
ihre Praktikabilität hin geprüft, so<br />
daß die Untersuchungsämter einheitliche<br />
Methoden verwenden können.<br />
Die Qualität heutiger Lebensmittel<br />
ist, wie die Kontrollen zeigen, sehr<br />
gut: Nur bei ca. 1 % der Untersuchungen<br />
werden noch – meist geringfügige<br />
– Überschreitungen der<br />
Rückstands-Höchstmengen festgestellt<br />
(Abb. 2).<br />
Boden, Wasser, Luft<br />
Das Verhalten der Pflanzenschutzmittel<br />
im Boden, im Wasser und in<br />
der Luft wird eingehend untersucht.<br />
Die Bodenfruchtbarkeit darf durch<br />
Pflanzenschutzmittel nicht beeinträchtigt<br />
werden. Beim Trinkwasser<br />
besteht ein so hohes Reinheitsgebot,<br />
daß von einem Quasi-Nullwert gesprochen<br />
werden kann: Die erlaubte<br />
Rückstands-Höchstmenge eines<br />
Pflanzenschutzmittelwirkstoffs im<br />
Trinkwasser beträgt 0,1 µg pro Liter<br />
(entspricht 1 Teil auf 10 Milliarden)<br />
und bewegt sich damit nahe an der<br />
derzeitigen Nachweisgrenze.<br />
35<br />
Abtrift von Pflanzenschutzmitteln<br />
ist seit langem ein <strong>Forschung</strong>sgebiet<br />
in der Biologischen Bundesanstalt.<br />
In welchem Ausmaß Pflanzenschutzmittel<br />
verdunsten können, wurde hingegen<br />
erst vor einigen Jahren durch<br />
umfangreiche und schwierige Versuche<br />
festgestellt.<br />
Zeitgemäße Analyseverfahren<br />
sind der Schlüssel für Untersuchungen<br />
zum Verbleib der Präparate. Am<br />
BBA-Institut für ökologische Chemie<br />
wurde zum Beispiel eine Methode<br />
entwickelt, mit der 180 Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe<br />
in einem einzigen<br />
Arbeitsgang nachgewiesen<br />
werden können.<br />
Belebte Umwelt<br />
Die Eigenschaften der Pflanzenschutzmittel<br />
auf die belebte Umwelt<br />
Abb. 2: Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Obst<br />
und Gemüse bzw. in Getreide (Untersuchungsergebnisse<br />
für das Jahr 1996)<br />
Obst und Gemüse<br />
Obst und Gemüse<br />
inländische Erzeugung<br />
ausländische Erzeugung<br />
1 % 4 %<br />
31 % 34 %<br />
68 % 62 %<br />
10 %<br />
Getreide<br />
inländische Erzeugung<br />
0,33 %<br />
90 %<br />
45 %<br />
Proben ohne Rückstände (nicht bestimmbar)<br />
Proben mit Rückständen bis einschl. der Höchstmenge<br />
Proben mit Rückständen über der Höchstmenge<br />
sind ein wichtiges und entscheidendes<br />
Prüfgebiet, da beim ‘Spritzen’<br />
meist nicht nur die Schaderreger getroffen<br />
werden, sondern auch sogenannte<br />
Nicht-Zielorganismen. Um<br />
die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln<br />
in dieser Hinsicht abschätzen<br />
zu können, muß jedes<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />
Getreide<br />
ausländische Erzeugung<br />
5 %<br />
50 %
Gentechnik:<br />
Mit einer<br />
„Genkanone”<br />
lassen sich<br />
fremde Gene in<br />
die Zellen von<br />
einkeimblättrigen<br />
Pflanzen<br />
(z. B. Mais)<br />
hineinschießen<br />
FORSCHUNG & ADMINISTRATION<br />
Präparat eine Reihe von Tests durchlaufen.<br />
Dabei werden bestimmte Organismen<br />
stellvertretend für die Vielzahl<br />
der in Frage kommenden Arten<br />
als Prüfobjekte ausgewählt. Richtlinien<br />
für diese Tests werden von BBA-<br />
Wissenschaftlern – teils in internationaler<br />
Zusammenarbeit – entwickelt<br />
und erprobt. Bestehende Richtlinien<br />
werden nach dem jeweils neuesten<br />
Wissensstand überarbeitet. In diesen<br />
Regelwerken sind zum Beispiel<br />
die Versuchstiere, die Versuchsdurchführung<br />
und die Auswertung der<br />
Tests beschrieben, so daß standardisierte<br />
Prüfungen möglich sind.<br />
Die Tests erfolgen in einem Stufensystem:<br />
Am Beginn stehen Laborversuche,<br />
in denen die direkte Giftigkeit<br />
(Toxizität) oder stark schwächende<br />
Effekte ermittelt werden.<br />
Langjährige Erfahrungen haben gezeigt,<br />
daß diese Versuche in der Regel<br />
den „worst case”, also den härtesten<br />
Test darstellen. Werden hier<br />
keine Gefährdungen festgestellt, so<br />
kann davon ausgegangen werden,<br />
daß die Mittel unter natürlichen Freilandbedingungen<br />
erst recht keine<br />
gravierenden Auswirkungen auf die<br />
getestete Art haben. Ist eine eindeutige<br />
Bewertung aufgrund dieser Labortests<br />
nicht möglich, so können<br />
aufwendigere Versuche unter praxisnahen<br />
Bedingungen folgen (z. B. im<br />
Freilandkäfig oder auf dem Feld).<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
Bedenkliche Mittel werden entweder<br />
nicht zugelassen oder sind so<br />
gekennzeichnet, daß ein Anwender<br />
erkennt, ob beispielsweise Bienen<br />
oder Marienkäfer und andere Nützlinge<br />
geschädigt werden können.<br />
Auflagen und Anwendungsbestimmungen<br />
sollen gewährleisten, daß<br />
bestimmte Gefährdungen, zum Beispiel<br />
ein Eintrag in Gewässer, nicht<br />
eintreten können. Ihre Übertretung<br />
kann mit Bußgeld bis 100.000 DM<br />
geahndet werden.<br />
VERFAHREN IM<br />
UMBRUCH<br />
Zum 1. Juli 1998 ist eine Neufassung<br />
des Pflanzenschutzgesetzes in<br />
Kraft getreten, die die Richtlinie<br />
91/414/EWG der Europäischen<br />
Union zur Harmonisierung der<br />
Pflanzenschutzmittelzulassung in deutsches<br />
Recht umsetzt. Zwar ist eine einheitliche<br />
EU-Zulassung unter anderem<br />
wegen der großen klimatischen Unterschiede<br />
in Europa nicht vorgesehen,<br />
jedoch müssen die Mitgliedstaaten<br />
Zulassungen aus anderen Staaten<br />
übernehmen, wenn keine gravierenden<br />
Gründe dagegen stehen. Es können<br />
künftig nur Mittel zugelassen werden,<br />
deren Wirkstoffe EU-weit geprüft<br />
und akzeptiert sind.<br />
PRÜFUNG VON<br />
PFLANZENSCHUTZ-<br />
GERÄTEN<br />
Pflanzenschutzgeräte müssen<br />
gleichmäßig arbeiten und sicher für<br />
den Landwirt, Winzer oder Gärtner<br />
sein. Die BBA prüft die schriftlich eingereichten<br />
Erklärungen und Unterlagen<br />
für neue Geräte. Die Gerätetypen<br />
werden in die Pflanzenschutzgeräteliste<br />
eingetragen und im<br />
Bundesanzeiger bekanntgegeben.<br />
Nur die in dieser Liste verzeichneten<br />
Typen dürfen in Deutschland verkauft<br />
werden. Die Sicherheitsanforderungen<br />
für Pflanzenschutzgeräte sollen<br />
EU-weit harmonisiert werden. Auch<br />
36<br />
Der Kompostwurm Eisenia foetida ist<br />
Prüfobjekt, um die Auswirkungen von<br />
Pflanzenschutzmitteln auf Bodenorganismen<br />
zu beurteilen (Foto: H. Kula)<br />
hier trägt die BBA mit eigenen <strong>Forschung</strong>en<br />
dazu bei, einheitliche Regelungen<br />
zu erarbeiten.<br />
GENTECHNISCHE<br />
SICHERHEIT<br />
Die Regelungen zum Schutz der<br />
menschlichen Gesundheit und der<br />
Umwelt bei der Freisetzung und dem<br />
Inverkehrbringen gentechnisch veränderter<br />
Organismen sind EU-weit<br />
harmonisiert.<br />
Die Biologische Bundesanstalt<br />
muß – ebenso wie das Umweltbundesamt<br />
und in bestimmten Fällen<br />
auch die Bundesforschungsanstalt<br />
für Viruskrankheiten der Tiere – vor<br />
jeder Freisetzung in Deutschland ihr<br />
Einvernehmen geben, bevor ein entsprechender<br />
Antrag vom Berliner<br />
Robert-Koch-Institut genehmigt wird.<br />
Auch auf diesem Gebiet ist eine umfassende<br />
Begleitforschung unerläß-
FORSCHUNG & ADMINISTRATION<br />
lich, um gentechnische Sicherheitsfragen<br />
kompetent beurteilen zu können.<br />
Innerhalb der BBA wird federführend<br />
vom Institut für Pflanzenviro-<br />
Pestizide oder Pflanzenschutzmittel?<br />
Statt „Pflanzenschutzmittel” wird<br />
häufig das Wort „Pestizid”<br />
verwendet. Es leitet sich aus<br />
dem Englischen ab und umfaßt<br />
dort auch Mittel gegen Hygieneschädlinge<br />
und Lästlinge,<br />
z. B. Flöhe und Stechmücken<br />
(englisch: pests). Im Englischen<br />
gibt es unseren Begriff Pflanzenschutzmittel<br />
nicht, obwohl EUweit<br />
neuerdings der Ausdruck<br />
„plant protection products”<br />
verwendet wird. „Pestizid” stellt<br />
einen ungenauen Begriff dar<br />
und sollte deshalb vermieden<br />
werden. Im Gegensatz dazu<br />
sind die Begriffe „Herbizid”<br />
(gegen Unkräuter/Ungräser,<br />
engl. herbs), „Fungizid”<br />
(gegen Pilze) und „Insektizid”<br />
(gegen Insekten) unstrittig.<br />
logie, Mikrobiologie und biologische<br />
Sicherheit in Braunschweig für<br />
jeden Freisetzungsantrag eine umfassende<br />
Sicherheitsbewertung vorgenommen.<br />
Die Züchter müssen genaue<br />
Angaben machen über die<br />
verwendeten gentechnischen Methoden<br />
und über die Herkunft der<br />
neuen Gene. Die Gesamteigenschaften<br />
der transgenen Organismen<br />
sowie mögliche Auswirkungen<br />
auf den Naturhaushalt werden aufgrund<br />
der gelieferten Informationen<br />
und des durch eigene Arbeiten gewonnenen<br />
Fachwissens abgeschätzt.<br />
Beim Inverkehrbringen von<br />
gentechnisch veränderten Organismen<br />
durch Mitgliedstaaten der EU<br />
wirkt die BBA ebenfalls mit. In Europa<br />
wurden bisher für sechs verschiedene<br />
Kulturarten Genehmigungen<br />
erteilt, unter anderem für die viel diskutierte<br />
herbizidtolerante Sojabohne<br />
und für insektenresistenten Mais (Bt-<br />
Auch<br />
Pflanzenschutzgeräte<br />
wie dieses<br />
Recyclinggerät für<br />
den Weinbau müssen<br />
gesetzliche<br />
Anforderungen<br />
erfüllen<br />
Mais). International liegen inzwischen<br />
umfangreiche Erfahrungen mit<br />
gentechnisch veränderten Kulturpflanzen<br />
vor. 1998 wurden sie weltweit<br />
bereits auf rund 28 Mio. ha<br />
kommerziell angebaut, wobei die<br />
USA mit etwa 20 Mio. ha Anbaufläche<br />
führend sind.<br />
Die in Deutschland durchgeführten<br />
Freilandversuche mit transgenen<br />
Pflanzen werden von <strong>Forschung</strong>sprojekten<br />
begleitet, die auch ökologische<br />
Fragestellungen mit einbeziehen<br />
und wertvolle Daten für die Beurteilung<br />
eventueller Langzeitauswirkungen<br />
liefern. Das BBA-Institut für in-<br />
37<br />
tegrierten Pflanzenschutz in Kleinmachnow<br />
betreut beispielsweise einen<br />
mehrjährigen Feldversuch mit<br />
transgenem Raps und Mais, bei<br />
dem verschiedene Pflanzenschutzaspekte<br />
im Mittelpunkt stehen. Durch<br />
solche praxisnahen Untersuchungen<br />
läßt sich abschätzen, wie sich gentechnisch<br />
veränderte Kulturpflanzen<br />
in moderne Pflanzenschutzkonzepte<br />
einbinden lassen.<br />
FORSCHUNG<br />
FÜR VERBRAUCHER<br />
UND UMWELT<br />
Viele wissenschaftliche Arbeiten<br />
an der BBA fließen unmittelbar in die<br />
ihr gesetzlich übertragenen hoheitlichen<br />
Aufgaben ein. Die Anforderungen<br />
an die Zulassung von<br />
Pflanzenschutzmitteln werden ständig<br />
optimiert und an den Stand der<br />
<strong>Forschung</strong> angepaßt. Molekularbiologische<br />
Arbeiten erlauben es,<br />
Entwicklungen im Bereich der Gentechnik<br />
beurteilen und bewerten zu<br />
können. Praktische Feldversuche geben<br />
Auskunft über den Erfolg neuer<br />
Ansätze im Pflanzenschutz.<br />
Die <strong>Forschung</strong>en bilden damit die<br />
Grundlage für Entscheidungen zum<br />
Wohl der Verbraucher und des Naturhaushalts.<br />
■<br />
Dr. W. Wohlers, Dr. M. Welling,<br />
Biologische Bundesanstalt für Landund<br />
Forstwirtschaft, Messeweg 11-<br />
12, 38104 Braunschweig<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT
WALDBÖDEN<br />
SIND LEBENDIG<br />
Etwa 4.000 bis 5.000 gut sichtbare<br />
Bodentiere (> 2 mm) wurden in<br />
Waldbodenfallen je Quadratmeter<br />
pro Jahr gefangen (vgl. Abb. 1).<br />
Rechnet man noch die mit bloßem<br />
Auge unsichtbaren Lebewesen hinzu,<br />
ergeben sich sogar Individuenzahlen<br />
in Größenordnungen von Billionen<br />
(10 12 ). Für diese Lebewesen<br />
stellt der Waldboden den notwendigen<br />
Lebensraum dar.<br />
Gleichzeitig sind die Waldbodenlebewesen<br />
aber auch für das<br />
Zustandekommen der Böden und<br />
den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit<br />
eine unabdingbare Voraussetzung.<br />
Sie ernähren sich von der alljährlich<br />
anfallenden Blattstreu und wandeln<br />
dabei (manchmal erst nach mehreren<br />
„Fraß-Hierarchien”) die in den<br />
pflanzlichen Resten gespeicherten<br />
Nährstoffe in pflanzenverfügbare<br />
Stoffe (Mineralien) um.<br />
Abhängig von den Standortbedingungen<br />
geschieht dieser Abbau<br />
unterschiedlich schnell. Etwa fünf<br />
Jahre dauert es zum Beispiel, bis in<br />
WALDÖKOLOGIE<br />
Zustand der<br />
deutschen Waldböden<br />
Auswirkungen anthropogener Einflüsse<br />
Barbara Wolff, Winfried Riek und Petra Hennig (Eberswalde)<br />
Die Böden der deutschen Wälder haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert.<br />
Vor allem durch hohe Fremdstoffeinträge aus der Atmosphäre ist die Funktionsfähigkeit<br />
der Waldböden – regional in unterschiedlichem Ausmaß – beeinträchtigt.<br />
Um die Rolle des Bodens im Zusammenhang mit den Immissionsbelastungen<br />
der Waldökosysteme regional differenziert beurteilen zu können, wurde im Zeitraum<br />
von 1987-1993 eine bundesweite Bodenzustandserhebung im Wald (BZE) durchgeführt.<br />
Durch die anschließende Zusammenführung ausgewählter Inventurdaten konnte<br />
an der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft (BFH) erstmalig eine nach<br />
einheitlichen Kriterien erhobene nationale Datenbasis über den Waldbodenzustand und<br />
die Ernährungssituation der Waldbäume aufgebaut werden.<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
einem typischen Buchenwald die<br />
Blattstrukturen in der Bodenstreu<br />
weitgehend zerstört sind, und erst<br />
nach weiteren fünf Jahren entstehen<br />
mineralische Substanzen und lösliche<br />
Humusstoffe, welche die<br />
Abb. 1: Anzahl von Waldbodentieren pro Quadratmeter und Jahr. Durchschnittliche<br />
Fangsummen aus 24 in vier Waldgebieten aufgestellten Bodenfallen<br />
(Photoeklektoren) (Graphik: U. Schulz)<br />
38
WALDÖKOLOGIE<br />
39<br />
schwarze Färbung der obersten Mineralbodenschicht<br />
verursachen (vgl.<br />
Abb. 2). In einem Auwald wird dagegen<br />
die Streu bereits in einem<br />
Jahr abgebaut.<br />
Im Verlauf der Evolution haben<br />
sich unterschiedliche Waldökosystemtypen<br />
an die verschiedensten<br />
Standortverhältnisse angepaßt, immer<br />
jedoch ist der Boden die Schaltstelle<br />
für den Stoffkreislauf in Wäldern.<br />
Hier findet das ökologische<br />
Zusammenspiel von biologischen<br />
(Tiere, Pflanzen), chemischen (z. B.<br />
Nährelementvorräte, Schadstoffkon-<br />
Abb. 2: Der Bohrkern zeigt die obersten<br />
Bodenschichten mit Blattstreu, zunehmender<br />
Zersetzung des organischen Materials<br />
und schwarzer Humusschicht<br />
zentrationen) und physikalischen<br />
(z. B. Wasser, Luft) Faktoren statt,<br />
dessen Ergebnis in der Bodenfruchtbarkeit<br />
zum Ausdruck kommt. Obwohl<br />
die im Boden wirksamen Regelmechanismen<br />
längst noch nicht<br />
alle erforscht sind, haben die Erfahrungen<br />
der Vergangenheit gezeigt,<br />
daß massive oder langanhaltende<br />
Eingriffe in dieses biologische Regelsystem<br />
gravierende Auswirkungen<br />
auch auf das Waldwachstum haben.<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT
WALDBÖDEN SIND SAUER<br />
Unter natürlichen Bedingungen<br />
wird Säure bei mikrobiellen Stoffumwandlungsprozessen,<br />
bei der Atmung<br />
der Wurzeln und der Festlegung<br />
von Nährelementen in der Biomasse<br />
gebildet. Auch periodische<br />
Störungen, wie etwa das Zusam-<br />
Abb. 3: Bodenprofil in einem Buchenmischwald:<br />
Der Bodentyp ist ein Sandbraun-<br />
Podsol; die vertikale Störung rührt von<br />
einem alten Wurzelkanal her<br />
menbrechen alter Waldbestände,<br />
können aufgrund der dann beschleunigt<br />
ablaufenden Mineralisierung<br />
der Humusschicht eine Erhöhung<br />
der Bodenacidität bewirken.<br />
Waldböden sind daher von<br />
Natur aus stets saurer als Ackerböden.<br />
Allerdings stellt diese natürliche<br />
Säurelast kein Problem für die Wälder<br />
dar: Die Waldböden können im<br />
Normalfall darauf mit chemischen<br />
Reaktionen reagieren, das heißt, sie<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
WALDÖKOLOGIE<br />
sind in der Lage, die Säure abzupuffern.<br />
WALDBÖDEN<br />
WERDEN BEOBACHTET<br />
Untersuchungen aus den letzten<br />
20 Jahren in verschiedenen Waldökosystemen<br />
zeigen ernsthafte und<br />
außergewöhnlich schnell ablaufende<br />
Veränderungen des chemischen<br />
Waldbodenzustandes – verursacht<br />
durch Fremdstoffeinträge aus der Atmosphäre.<br />
Überdies kamen viele interdisziplinäre<br />
<strong>Forschung</strong>sprogramme zu<br />
dem Ergebnis, daß auch die seit<br />
Mitte der 70er Jahre in Deutschland<br />
großflächig auftretenden Waldschäden<br />
(Kronenverlichtungen) vielerorts<br />
auf Luftschadstoffe, die in den Boden<br />
eingetragen wurden, zurückzuführen<br />
sind. Von dem Filter-, Pufferund<br />
Stoffumwandlungsvermögen<br />
der Waldböden hängt es nämlich<br />
letztlich ab, ob die im Laufe der Jahre<br />
angesammelten Fremdstoffe zu<br />
ernsthaften Störungen der Lebensgemeinschaft<br />
Wald führen.<br />
BUNDESWEITE BODEN-<br />
ZUSTANDSERHEBUNG<br />
IM WALD (BZE)<br />
Um die Rolle des Bodens im Zusammenhang<br />
mit den Immissionsbelastungen<br />
der Waldökosysteme<br />
regional differenziert beurteilen zu<br />
können, wurde von 1987 bis 1993<br />
eine bundesweite Bodenzustandserhebung<br />
im Wald (BZE) durchgeführt.<br />
Dies geschah in Ergänzung<br />
zur jährlichen Waldzustandserhebung.<br />
Über ganz Deutschland wurde<br />
dafür ein regelmäßiges Gitternetz<br />
mit einer Maschenweite von 8x8 km<br />
gelegt. Jeder Gitternetzschnittpunkt<br />
stellt heute einen BZE-Stichprobenpunkt<br />
dar: Genau dort bzw. in der<br />
nahen Umgebung dieses Punktes<br />
wurde ein Bodenprofil gegraben<br />
(Abb. 3), Bodenproben und Humus-<br />
40<br />
proben entnommen sowie der<br />
Waldzustand eingeschätzt. Überdies<br />
wurden Nadel-/Blattproben<br />
gewonnen, um auch die<br />
Ernährungssituation der Waldbäume<br />
untersuchen zu können.<br />
Die BZE war Teil des bundesweiten<br />
Umweltmonitorings im Wald.<br />
Sie erfolgte in Regie der jeweiligen<br />
Bundesländer. Ausgewählte Inventurdaten<br />
wurden am BFH-Institut für<br />
Forstökologie und Walderfassung in<br />
Eberswalde zusammengeführt und<br />
ausgewertet. Dadurch war es erstmalig<br />
möglich, eine nach einheitlichen<br />
Kriterien erhobene und nach<br />
vergleichbaren Methoden analysierte<br />
nationale Datenbasis über den<br />
Waldbodenzustand und die<br />
Ernährungssituation der Waldbäume<br />
aufzubauen.<br />
Die vorliegenden Kennwerte erlauben<br />
regional differenzierte Aussagen<br />
über:<br />
■ das Ausmaß von Bodenversauerung<br />
und Basenverarmung,<br />
■ die Akkumulation von Schadstoffen,<br />
■ Risiken für Grund- und Quellwasser,<br />
■ Ungleichgewichte in der Baumernährung.<br />
Abb. 4: Zusammenhang zwischen pH-Wert und<br />
Basensättigung. In einem relativ engen Bereich<br />
um pH 4 kommt es zu einem starken Umschwung<br />
in der Basensättigung<br />
Basensättigung (%)<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
karbonathaltige<br />
neutrale Böden<br />
60<br />
Bereich hoher<br />
Versauerungs-<br />
50<br />
40<br />
dynamik<br />
30 extrem<br />
20<br />
10<br />
0<br />
saure<br />
Böden<br />
2,5 3 3,5 4 4,5 5 5,5 6 6,5 7<br />
pH-Wert in 0-10 cm Tiefe
Entnahme einer Bodenprobe<br />
Neben der Dokumentation des<br />
aktuellen Waldboden- und<br />
Ernährungszustandes liefert die BZE<br />
– vor allem im Zusammenhang mit<br />
künftigen Folge-Inventuren – Aussagen<br />
über Ausmaß, Dynamik und<br />
räumliche Verbreitung von Bodenveränderungen.<br />
WALDBÖDEN<br />
WERDEN SAURER<br />
Fallstudien haben zu dem Schluß<br />
geführt, daß anthropogene, säurebildende<br />
Stoffeinträge („Saurer Regen”)<br />
die bodeninternen Puffersysteme<br />
überfordern können.<br />
Ein Indiz für den Säurezustand<br />
des Bodens ist der pH-Wert. Er beschreibt<br />
die im Boden vorhandene<br />
Säurestärke. Absinkende pH-Werte<br />
weisen darauf hin, daß die Säurebelastung<br />
die Pufferrate der Böden<br />
übersteigt. Ab einem pH unter 4,2<br />
(Aluminium-Pufferbereich) gelangen<br />
zunehmend für Lebewesen schädliche<br />
Aluminium- (Al 3+ ), Eisen- (Fe 3+ )<br />
und Wasserstoff-Ionen (H + ) in die<br />
Bodenlösung. Weil Säureeinträge<br />
auch zu stofflichen Umwandlungen<br />
im Boden führen können, ohne daß<br />
sich der pH-Wert merklich ändert, ist<br />
der pH-Wert allein noch kein aussagefähiger<br />
Kennwert zur Beschreibung<br />
von Versauerungserscheinun-<br />
WALDÖKOLOGIE<br />
gen. Die Basensättigung – das heißt<br />
der Anteil der austauschbar gebundenen<br />
basischen Nährelemente – ist<br />
dagegen ein guter Weiser für die<br />
Säureneutralisationskapazität der<br />
Böden. Mit ihr läßt sich bei Berücksichtigung<br />
des Ausgangsgesteins<br />
die Elastizität gegenüber weiteren<br />
Säureeinträgen beurteilen (vgl. Abb.<br />
4).<br />
Entsprechend der geochemischen,<br />
klimatischen und nutzungsgeschichtlichen<br />
Vielfalt der deutschen<br />
Waldböden war für den Säure-/Basenzustand<br />
eine hohe Variabilität zu<br />
erwarten. Gemessen an den erheblichen<br />
Unterschieden im Mineralbestand<br />
der einzelnen Gesteine<br />
(= Substrate) sind die aktuellen substratspezifischen<br />
Unterschiede im<br />
Oberboden (bis in 30 cm Tiefe)<br />
aber ausgesprochen gering. Lediglich<br />
die Kalkstandorte sowie Böden<br />
auf Basalt bzw. Diabas zeichnen<br />
sich durch eine bessere Ausstattung<br />
mit Nährelementen sowie höhere<br />
pH-Werte aus.<br />
Mehr als 80 % der untersuchten<br />
carbonatfreien Standorte befinden<br />
sich bis in die Tiefe von 30 cm in<br />
dem für viele Bodenlebewesen<br />
ungünstigen Aluminium- oder Eisenpufferbereich<br />
(pH < 4.2), mehr als<br />
60 % weisen geringe bis sehr<br />
geringe Basensättigungen auf<br />
(BS < 15 %). Tendenziell höhere<br />
pH-Werte, die nicht auf das Substrat<br />
zurückgeführt werden können, kennzeichnen<br />
das Nordostdeutsche Tiefland<br />
(vgl. Abb. 5). Dies wird auf die<br />
hier in der Vergangenheit vergleichsweise<br />
geringeren Säuredepositionen<br />
in Verbindung mit hohen Einträgen<br />
basischer Flugaschen zurückgeführt.<br />
Generell nimmt der Basenanteil<br />
mit zunehmender Tiefe zu. Im Unterboden<br />
(bis 140 cm Tiefe) weisen<br />
noch etwa ein Drittel der BZE-Standorte<br />
hohe Pufferreserven auf; insgesamt<br />
überwiegen aber geringe<br />
bis mäßige Basensättigungsgrade<br />
(BS 5–30 %).<br />
Die BZE-Stichprobe belegt, daß<br />
mit Ausnahme der Kalkstandorte von<br />
41<br />
einer flächendeckenden, weitgehend<br />
substratunabhängigen Versauerung<br />
und Basenverarmung im<br />
Oberboden ausgegangen werden<br />
muß.<br />
DIE BODENFRUCHTBARKEIT<br />
LEIDET<br />
Nimmt der pH-Wert ab, können<br />
wichtige Bodenlebewesen nicht<br />
mehr an der Zersetzung der Bodenstreu<br />
teilhaben. Die Streu sammelt<br />
sich, und die darin enthaltenen<br />
Nährstoffe werden (zumindest vorübergehend)<br />
dem Stoffkreislauf entzogen.<br />
Die BZE-Auswertung hat gezeigt,<br />
daß sich vor allem bei denjenigen<br />
Standorten, die schon von<br />
Natur aus nährstoffarm sind, derzeit<br />
der überwiegende Anteil der kurzbis<br />
mittelfristig verfügbaren Nährele-<br />
mente in der Humusauflage und<br />
nicht mehr im Mineralboden befindet.<br />
Durch die gleichzeitig zu beobachtende<br />
Basenauswaschung aus<br />
dem Mineralboden geraten die<br />
Waldökosysteme in eine zunehmend<br />
instabile Versorgungssituation.<br />
Insbesondere für Magnesium stellen<br />
sich bereits heute – schwerpunktmäßig<br />
in den Mittelgebirgslagen –<br />
Mangelsituationen ein.<br />
Bei der Bewertung der Ernährungssituation<br />
der Waldbäume anhand<br />
der Nadel-/Blattanalysedaten<br />
deutet sich überdies vor allem im<br />
nördlichen Teil Deutschlands eine<br />
Überernährung mit Stickstoff an. Zu-<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />
Bodenproben<br />
werden im<br />
Labor für die<br />
chemische<br />
Analyse<br />
vorbereitet
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
WALDÖKOLOGIE<br />
Abb. 5: Räumliche Verteilung der pH-Werte (in 10-30 cm Bodentiefe) im deutschen Bundesgebiet<br />
42
dem weisen alle beprobten Kiefern<br />
und Buchen sowie 59 % der Fichten<br />
erhöhte Schwefelgehalte auf, so<br />
daß von einer flächendeckenden,<br />
wenn auch regional unterschiedlich<br />
hohen, Schwefel-Immissionseinwirkung<br />
auszugehen ist.<br />
Die großräumige Immissionsbelastung<br />
der Waldböden zeigt sich<br />
auch bei der Betrachtung der<br />
Schwermetallgehalte in der Humusauflage.<br />
Auf 25 % bzw. 38 % der<br />
BZE-Standorte wurden Blei- und<br />
Kupfergehalte gemessen, die für<br />
wichtige Bodenorganismen im Stoffkreislauf<br />
der Wälder giftig sind.<br />
DIE WASSERQUALITÄT<br />
LEIDET<br />
Waldböden speichern das Niederschlagswasser<br />
und geben es nur<br />
langsam wieder ab. Im Verlauf der<br />
Versickerung durch den Waldboden<br />
wird das Niederschlagswasser von<br />
Schadstoffen gereinigt. Diese Filterwirkung<br />
von Waldstandorten ist für<br />
die Trinkwassergewinnung von essentieller<br />
Bedeutung.<br />
Heute ist jedoch festzustellen,<br />
daß die mit der Bodenversauerung<br />
einhergehende Mobilisierung von<br />
Aluminium, Eisen und Mangan zu<br />
erhöhten Konzentrationen dieser Elemente<br />
im abfließenden Sicker- und<br />
Oberflächenwasser der Wälder<br />
führt.<br />
Überdies stellt die Verlagerung<br />
von versauerungsbedingt mobilisierten<br />
Schwermetallen ein Gefahrenpotential<br />
für die Hydrosphäre dar.<br />
Die BZE-Auswertungen legen den<br />
Schluß nahe, daß in Belastungsgebieten<br />
mit hohen Schwermetalleinträgen<br />
aus der Atmosphäre davon<br />
auszugehen ist, daß bei den beobachteten<br />
niedrigen pH-Werten im<br />
Oberboden bereits größere Mengen<br />
Zink und Cadmium ausgewaschen<br />
worden sind.<br />
Angesichts der bedeutenden luftverfrachteten<br />
Stickstoffeinträge in<br />
Wälder und der Ansammlung von<br />
Stickstoff in den Humusauflagen der<br />
WALDÖKOLOGIE<br />
sauren Waldböden muß außerdem<br />
bei einem beschleunigtem Humusvorratsabbau<br />
mit erhöhten Nitratausträgen<br />
aus den betroffenen Waldökosystemen<br />
gerechnet werden.<br />
DIE WALDÖKOSYSTEME<br />
SIND GESTÖRT<br />
Wie die bundesweite Bodenzustandserhebung<br />
im Wald (BZE) gezeigt<br />
hat, sind die Filter-, Puffer- und<br />
Stoffumwandlungseigenschaften der<br />
Waldböden in vielen Regionen gestört.<br />
Erste integrierende Auswertungen<br />
von bodenchemischen und<br />
ernährungskundlichen Daten sowie<br />
den Ergebnissen der terrestrischen<br />
Waldzustandserhebung haben zudem<br />
Zusammenhänge zwischen<br />
dem Bodenzustand, dem Ernährungszustand<br />
und der Vitalität der<br />
Waldbäume deutlich werden lassen.<br />
Natürlich sind längst noch nicht<br />
alle Wirkungsmechanismen in<br />
Waldökosystemen bekannt. Durch<br />
die BZE konnte aber bereits jetzt sicher<br />
festgestellt werden, daß viele<br />
Waldböden ihre Aufgabe in einem<br />
funktionierenden Waldökosystem<br />
nur noch eingeschränkt wahrnehmen<br />
können. Die Selbstregulationsfähigkeit<br />
der Wälder ist überschritten,<br />
Vitalitätseinbußen der Waldbäume<br />
sind die Folge. Nur durch<br />
ein konsequentes, aber behutsames,<br />
umweltbewußtes Handeln wird es<br />
möglich sein, die eingetretenen<br />
Schäden teilweise zu beheben.<br />
Für die Forstwirtschaft bedeutet<br />
dies, aus standortangepaßten,<br />
IMPRESSUM<br />
FORSCHUNGSREPORT<br />
Ernährung – Landwirtschaft –<br />
Forsten<br />
2/1998 (Heft 18)<br />
Herausgeber:<br />
Senat der Bundesforschungsanstalten<br />
im Geschäftsbereich des Bundesministeriums<br />
für Ernährung,<br />
Landwirtschaft und Forsten<br />
43<br />
Schriftleitung & Redaktion:<br />
Dr. M. Welling<br />
Geschäftsstelle des Senats<br />
der Bundesforschungsanstalten<br />
c/o Biologische Bundesanstalt für<br />
Land- und Forstwirtschaft,<br />
Messeweg 11/12,<br />
38104 Braunschweig<br />
Tel.: 0531 / 299-3396<br />
Fax: 0531 / 299-3001<br />
E-mail: senat@bba.de<br />
Redaktionsbeirat:<br />
Dr. P.W. Wohlers, BBA Braunschweig<br />
Dr. H. Brüning, BAZ Grünbach<br />
möglichst tiefwurzelnden Baumarten<br />
stabile und – soweit standörtlich<br />
möglich – artenreiche Mischbestände<br />
herauszupflegen. Humusschonende<br />
Bewirtschaftungsweisen, die<br />
Vermeidung von Kahlschlägen sowie<br />
die Verringerung überhöhter<br />
Wildbestände sind dabei unbedingt<br />
zu berücksichtigen.<br />
Allerdings können Waldbewirtschaftungsverfahren<br />
– ebenso wie<br />
Bodenschutzkalkungen und Ergänzungsdüngungen<br />
– die Probleme<br />
nur begrenzt entschärfen. Eine weitere<br />
Reduzierung von Luftschadstof-<br />
fen und eine konsequente Luftreinhaltepolitik<br />
sind daher für die Erhaltung<br />
der Waldökosysteme zwingend<br />
erforderlich. ■<br />
Dr. B. Wolff, Dr. W. Riek und P. Hennig,<br />
Bundesforschungsanstalt für<br />
Forst- und Holzwirtschaft, Institut für<br />
Forstökologie und Walderfassung,<br />
Postfach 10 01 47, 16201 Eberswalde<br />
Online-Redaktion:<br />
TAKO<br />
Auf dem Äckerchen 11<br />
53343 Wachtberg<br />
Tel.: 0228 / 9323213<br />
E-mail: frohberg@tako.de<br />
Konzeption, Satz und<br />
Druck:<br />
AgroConcept GmbH<br />
Clemens-August-Str. 12-14<br />
53115 Bonn<br />
Tel.: 0228/969426-0<br />
Fax: 0228/630311<br />
Internet-Adresse:<br />
http://www.dainet.de/senat/<br />
Bildnachweis:<br />
AgroConcept GmbH, Bonn<br />
D. Fraatz, BBA Braunschweig<br />
M. Welling, Braunschweig<br />
Erscheinungsweise:<br />
Der <strong>Forschung</strong>sReport erscheint<br />
zweimal jährlich<br />
Nachdruck, auch auszugsweise,<br />
mit Quellenangabe zulässig<br />
(Belegexemplar erbeten)<br />
ISSN 0931-2277<br />
Druck auf chlorfrei gebleichtem<br />
Papier<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />
Die Bodenversauerung<br />
kann<br />
Oberflächengewässer<br />
in<br />
Wäldern<br />
beeinträchtigen
Das Institut für<br />
Tierzucht und<br />
Tierverhalten<br />
ist ein<br />
ehemaliges<br />
Klostergut,<br />
eingebettet in<br />
den dörflichen<br />
Charakter ca.<br />
20 km<br />
nordwestlich<br />
von Hannover<br />
UMSTRUKTURIERUNG<br />
Seit dem 1. Januar 1998 werden<br />
das Institut für Tierzucht und Tierverhalten<br />
Mariensee und das Institut für<br />
Kleintierforschung Celle/Merbitz als<br />
Institut für Tierzucht und Tierverhalten<br />
Mariensee mit vier Außenstandorten<br />
(Trenthorst/Wulmenau, Celle, Höfer,<br />
Merbitz) weitergeführt. Die Außenstandorte<br />
werden in Folge des Rahmenkonzeptes<br />
des BML nach einem<br />
mehrstufigen Umsetzungskonzept in<br />
den nächsten Jahren geschlossen, wobei<br />
die Aufgaben an die FAL-Standorte<br />
Mariensee und Braunschweig (Geflügelernährung)<br />
verlegt werden.<br />
Auch fachliche Gründe sprechen für<br />
eine Umstrukturierung der Nutztierforschung<br />
der FAL mit Konzentration am<br />
Standort Mariensee: Bestehende, hi-<br />
PORTRAIT<br />
BUNDESFORSCHUNGSANSTALT FÜR <strong>LANDWIRTSCHAFT</strong> (FAL)<br />
Institut für Tierzucht und Tierverhalten<br />
Mariensee<br />
Rund 63 % der Verkaufserlöse der deutschen Landwirtschaft (ca. 38 Mrd. DM) stammen<br />
aus der tierischen Produktion. Die Hauptzielsetzung ist eine international<br />
wettbewerbsfähige Erzeugung hochwertiger Produkte für den menschlichen Konsum<br />
unter Berücksichtigung von Verbraucherwünschen, Gesundheit und Schutz der Tiere,<br />
Erhaltung der genetischen Vielfalt sowie Umweltverträglichkeit. Dabei ist die Tierproduktion<br />
auf eine ebenso wettbewerbsfähige wie innovative <strong>Forschung</strong> angewiesen. Das<br />
Institut für Tierzucht und Tierverhalten Mariensee erarbeitet als Ressortforschungsinstitut<br />
auf den genannten Gebieten wissenschaftliche Grundlagen als Entscheidungshilfe für<br />
das BML und erweitert den wissenschaftlichen Erkenntnisstand.<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
storisch begründete Grenzen zwischen<br />
Groß- und Kleintierforschung<br />
sind nicht länger aufrecht zu erhalten.<br />
Wissensbasis, Fragen, Problemstellungen<br />
und Methodenrepertoire sind<br />
sehr ähnlich; Effizienz, Verbesserung<br />
und Optimierung der Nutzung verfügbarer<br />
Ressourcen durch fachliche und<br />
räumliche Zusammenführung von fünf<br />
auf einen Standort lassen eine Verbesserung<br />
der wissenschaftlichen Effizienz,<br />
der interdisziplinär-fachlichen Interaktion<br />
und der Wahrnehmung von<br />
Ressortaufgaben erwarten.<br />
Die künftigen Arbeitsschwerpunkte<br />
sind im „Wissenschaftlichen und organisatorischen<br />
Konzept der FAL für<br />
das Institut für Tierzucht und Tierverhalten”<br />
aus dem Jahre 1997 niedergelegt<br />
und nachfolgend verkürzt wiedergegeben.<br />
44<br />
FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE<br />
Genetik und<br />
Genetische Ressourcen<br />
■ Züchtungs- und Populationsgenetik:<br />
Erarbeitung methodischer und theoretischer<br />
Kenntnisse vor allem im<br />
Bereich statistischer Modelle für die<br />
Tierzucht; Anwendung genetischstatistischer<br />
Verfahren unter Nutzung<br />
neuer biotechnologischer Entwicklungen;<br />
Planung und Bewertung<br />
von Zuchtprogrammen; Weiterentwicklung<br />
von wissenschaftlichen<br />
Grundlagen der Leistungsprüfung;<br />
Züchterische Einflüsse auf Verhaltensmerkmale(Verhaltensgenetik).<br />
■ Molekulargenetik und molekulare<br />
Marker: Nutzung molekularbiologischer<br />
Verfahren für die Züchtung;<br />
Aufklärung der Zusammenhänge<br />
von Struktur, Organisation und<br />
Funktion von Genen als Voraussetzung<br />
für den Gentransfer bei landwirtschaftlichen<br />
Nutztieren.<br />
■ Tiergenetische Ressourcen: Nutzung<br />
populationsgenetischer und<br />
molekulargenetischer Verfahren zur<br />
Identifizierung von Populationen;<br />
Erarbeitung von Methoden und<br />
Strategien zur Erhaltung nutztiergenetischer<br />
Ressourcen.<br />
Nutztierphysiologie<br />
■ Erarbeitung systemphysiologischer<br />
Zusammenhänge der Körperfunktion<br />
landwirtschaftlicher Nutztiere:<br />
Regulation des prä- und postnatalen<br />
Wachstums, Regulation der Reproduktion,<br />
Regulation des Verhaltens.<br />
■ Erforschung molekularer und physiologischer,<br />
besonders endokriner<br />
Regelsysteme: von Wachstum, Reproduktion<br />
und Adaptation und<br />
von Verhaltensäußerungen.
Produktqualität von landwirtschaftlichen<br />
Nutztieren ist mit Hilfe der Computertomographie<br />
bereits am lebenden Tier<br />
feststellbar<br />
■ Leistungsphysiologie der Tierproduktion:<br />
zur Erkennung und Bewertung<br />
von physiologischen Grenzen.<br />
■ Biologische Folgenabschätzung:<br />
von bio- und gentechnischen Verfahren,<br />
von züchtungsbedingten<br />
Veränderungen genomischer Expression.<br />
■ Entwicklung von Methoden in der<br />
Nutztierphysiologie: zur Abschätzung<br />
des Bedarfs der Tiere, zum<br />
Schutz der Tiere.<br />
Biotechnologie<br />
■ Entwicklung neuer Verwendungsmöglichkeiten<br />
und Nutzung landwirtschaftlicher<br />
Nutztiere (transgene<br />
Tiermodelle als Produktionsalternativen).<br />
■ Biotechnologie-Folgeabschätzung<br />
zum Schutz von Tier und Konsument<br />
(Molekulare und zellbiologische<br />
Regulation der frühen Embryonalentwicklung<br />
und Differenzierung<br />
– Genexpression).<br />
■ Entwicklung von Biotechnologien<br />
zur Erhaltung tiergenetischer Ressourcen<br />
(Reifung und Befruchtung<br />
von Oocyten und in vitro Entwicklung<br />
von Embryonen).<br />
■ Entwicklung biotechnischer Verfahren<br />
als Beitrag zur Sicherung der<br />
Ernährung der Weltbevölkerung.<br />
Haltung und Tierschutz<br />
■ Bewertung, Weiterentwicklung<br />
und Optimierung von Haltungs-<br />
PORTRAIT<br />
systemen unter Gesichtspunkten<br />
des biologischen Bedarfs, der Tiergesundheit,<br />
der Ökologie und der<br />
Ökonomie.<br />
■ Ermittlung des biologischen Bedarfs<br />
unter besonderer Berücksichtigung<br />
von Motivation, Furcht, Verhaltensontogenese,<br />
-adaptation,<br />
-rhythmizität und -expression bei<br />
Haltung und Transport.<br />
■ Untersuchungen zum Einfluß und<br />
zur Bedeutung natürlicher und technisch<br />
bedingter Umweltfaktoren<br />
auf Funktion und Verhalten von<br />
Nutztieren.<br />
■ Methodische Entwicklungen insbesondere<br />
zu tierschutzrelevanten<br />
Fragestellungen.<br />
Prozeß- und<br />
Produktqualität<br />
■ Interaktionen zwischen Produktqualität,<br />
Umwelt, Haltungsverfahren,<br />
Leistungsfähigkeit, Gesundheit und<br />
Hygiene.<br />
■ Magnet-Resonanz-Analysen von<br />
Körperzusammensetzung und von<br />
Qualitätsmerkmalen während des<br />
Wachstums und bei der Fleischerzeugung.<br />
■ Neue Methoden und Überprüfung<br />
der Qualitätsbewertung, Tiergesundheit<br />
und Bestandshygiene.<br />
■ Entwicklung, Erprobung und Einführung<br />
molekularbiologischer Methoden<br />
für die Diagnostik und Epidemiologie<br />
tier-, produkt- und prozeßhygienisch<br />
relevanter bakterieller<br />
Erreger.<br />
INFRASTRUKTUR<br />
Das Aufgabenspektrum des Instituts<br />
ist nur über eine Verstärkung des planmäßigen<br />
Wissenschaftlerstammes<br />
durch zahlreiche Gastwissenschaftler<br />
aus dem In- und Ausland sowie durch<br />
Drittmittel zu bewältigen. Darüber hinaus<br />
wird eine intensive Zusammenarbeit<br />
mit universitären und außeruniversitären<br />
Einrichtungen im In- und Ausland<br />
gepflegt.<br />
Neben Standardlaboratorien, (Biophysikalische<br />
Meßwerterfassung,<br />
45<br />
Molekularbiologie bis zur Sicherheitsstufe<br />
2, Hormonanalytik, Zellkultur,<br />
Mikrobiologie, Histologie, Verhaltensforschung<br />
einschließlich Bioakustik)<br />
verfügt das Institut über spezielle Versuchseinrichtungen<br />
für landwirtschaftliche<br />
Nutztiere (Magnet-Resonanz-Tomographie<br />
für Tiere, Hochgeschwindigkeitslaufband,<br />
Operationsräume,<br />
Klimastall, Brüterei, Schlachtanlagen<br />
u.a.m.).<br />
Die Versuchswirtschaften stehen für<br />
die versuchsmäßige Unterbringung<br />
und Versorgung von Rindern, Schafen,<br />
Schweinen, Pferden sowie Geflügel<br />
und Kaninchen mit modernen Stallungen,<br />
Ausläufen und schlagkräftiger<br />
Außenwirtschaft bereit.<br />
Das Institut nimmt Diplomanden,<br />
Doktoranden und Postdocs auf. Es ist<br />
anerkannte Weiterbildungsstätte für<br />
Tierärzte zum Fachtierarzt für Physiologie<br />
und Physiologische Chemie, Mikrobiologie<br />
sowie Reproduktionsmedizin.<br />
Außerdem ist es Ausbildungsstätte<br />
für Biologielaboranten, land-<br />
wirtschaftlich technische Assistenten/innen<br />
(Schwerpunkt Tierproduktion),<br />
für Tierwirte (Geflügel), für Handwerker<br />
(Feinmechaniker), landwirtschaftliche<br />
Gehilfen und Landmaschinenmechaniker.<br />
■<br />
Prof. Dr. sc. agr. Dr. habil. Dr. h.c.<br />
Franz Ellendorff (M.Sc.), Bundesforschungsanstalt<br />
für Landwirtschaft<br />
(FAL), Institut für Tierzucht und Tierverhalten,<br />
Höltystraße 10, 31535 Neustadt<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />
<strong>Forschung</strong>sarbeiten<br />
zur<br />
Erhaltung<br />
genetischer<br />
Ressourcen<br />
(hier das<br />
Schwarzbunte<br />
Niederungsrind)<br />
und zur<br />
umweltgerechtenFlächenbewirtschaftung<br />
werden<br />
durch größere<br />
Tierbestände<br />
und Flächen<br />
ermöglicht
Dem Institut für landwirtschaftliche<br />
Kulturen (ILK) stehen nach dem Feinkonzept<br />
2005 für die <strong>Forschung</strong> im<br />
Ressortbereich des Bundesministeriums<br />
für Ernährung, Landwirtschaft<br />
und Forsten (BML) 35 Personalstellen<br />
aus Haushaltsmitteln zur Verfügung,<br />
davon zwölf Wissenschaftlerstellen.<br />
Aus Drittmitteln sind zur Zeit weitere<br />
acht wissenschaftliche und technische<br />
Mitarbeiter angestellt.<br />
Das ILK unterhält circa 2600 m 2<br />
Gewächshausfläche, zum Teil als klimatisierbareKabinengewächshäuser<br />
und S1-Gentechnik-Arbeitsbereiche,<br />
sowie rund 900 m 2 Molekularbiologie-,<br />
Biotechnologie-, Radionuklid-,<br />
Resistenzlaborflächen sowie<br />
sonstige Arbeitsräume. Gemeinsam<br />
mit dem Nachbarinstitut werden<br />
52 ha Versuchsfläche einschließlich<br />
Freisetzungsflächen bewirtschaftet.<br />
AUFGABEN<br />
Das ILK hat die Aufgabe, für ausgewählte<br />
landwirtschaftliche Kulturarten<br />
genetisch definiertes Basismaterial<br />
zu erstellen und effiziente Züchtungsmethoden<br />
zu erarbeiten. Hierbei<br />
stehen Aspekte der gesunden<br />
PORTRAIT<br />
BUNDESANSTALT FÜR ZÜCHTUNGSFORSCHUNG AN KULTURPFLANZEN<br />
Institut für landwirtschaftliche<br />
Kulturen, Groß Lüsewitz<br />
Mit der Gründung der Bundesanstalt<br />
für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen<br />
(BAZ) am 1. Januar 1992<br />
wurden am Standort Groß Lüsewitz bei Rostock<br />
drei Institute eingerichtet: Das Institut<br />
für Streßphysiologie und Rohstoffqualität,<br />
das Institut für Züchtung landwirtschaftlicher<br />
Kulturpflanzen und das Institut für<br />
Züchtungsmethodik landwirtschaftlicher<br />
Kulturpflanzen. Die beiden letztgenannten<br />
Institute wurden im Mai 1998 zum Institut<br />
für landwirtschaftliche Kulturen zusammengefaßt.<br />
Merkmalsgene für die markergestützte Selektion werden isoliert und charakterisiert<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
Pflanze, der Produktqualität sowie<br />
der nachwachsenden Rohstoffe im<br />
Vordergrund.<br />
Die Auswahl der bearbeiteten<br />
landwirtschaftlichen Kulturpflanzen<br />
orientiert sich am langfristigen <strong>Forschung</strong>sbedarf<br />
sowie an den regionalen<br />
ökologischen und pflanzenbaulich-züchterisch<br />
relevanten Gegebenheiten.<br />
Die gegenwärtig bearbeiteten<br />
ca. 30 <strong>Forschung</strong>sprojekte<br />
befassen sich mit Raps und anderen<br />
Brassicaceen, Kartoffel, Gerste, Roggen,<br />
Hafer, Triticale und Weidelgräsern.<br />
ERSTELLUNG VON<br />
BASISMATERIAL<br />
Das ILK erstellt Ausgangsmaterial<br />
für die Pflanzenzüchtung mit genetisch<br />
definierten Merkmalen. Dafür<br />
werden sowohl klassische als auch<br />
biotechnologische und gentechnische<br />
Methoden angewendet.<br />
Arbeitsschwerpunkte bei der Kartoffel<br />
sind dauerhafte Resistenzen gegenüber<br />
dem Pilz Phytophthora infestans<br />
und Erregern der Knollenfäulen,<br />
Kaltlagerungseignung im Hinblick<br />
auf die Kartoffelverarbeitung und in<br />
46<br />
begrenztem Maße die Züchtung auf<br />
diploider Valenzstufe. Die Resistenzzüchtung<br />
bedient sich zum einen<br />
langfristig angelegter Kreuzungs- und<br />
Selektionsprogramme, um aus verwandten,<br />
kreuzbaren Wildarten der<br />
Kartoffel wertvolle Resistenzgene in<br />
das Genom der Kulturkartoffel einzulagern.<br />
Zum anderen werden auch<br />
nicht kreuzbare Solanum-Arten als<br />
Resistenzquelle genutzt, indem durch<br />
die Fusion zellwandloser Pflanzenzellen<br />
(Protoplastenfusion) die Genome<br />
verschiedener Partner miteinander<br />
kombiniert werden.<br />
Die züchterischen Aktivitäten bei<br />
Raps konzentrieren sich gegenwärtig<br />
auf die Bearbeitung der Ölqualität<br />
und die Nutzung der Selbstinkompatibilität<br />
als System der Befruchtungskontrolle.<br />
Für die Verwendung als<br />
nachwachsender Rohstoff können<br />
Rapsformen erzeugt werden, die besonders<br />
hohe Gehalte an bestimmten<br />
Fettsäuren im Samenöl aufweisen.<br />
Hierzu werden am ILK neben klassisch-züchterischen<br />
auch gentechnische<br />
Methoden angewandt, um<br />
durch die Übertragung von Genen<br />
aus ölreichen Wildpflanzen oder anderen<br />
Organismen das hohe natürliche<br />
Öl-Ertragspotential von Raps mit
der Fähigkeit zur Synthese spezifischer<br />
Fettsäuren zu kombinieren.<br />
Die Aktivitäten bei Getreide und<br />
Gräsern konzentrieren sich auf die<br />
Erzeugung krankheitsresistenten Materials<br />
unter Berücksichtigung der<br />
agronomischen Leistungsmerkmale.<br />
Schwerpunkte sind das Screening<br />
von Genbankmaterial und dessen<br />
Nutzung als genetische Ressource für<br />
Resistenzgene gegenüber Blattkrankheiten<br />
bei Roggen und Weidelgras,<br />
Virusresistenz bei Hafer sowie gegenüber<br />
Ähren- und Blattkrankheiten<br />
bei Triticale.<br />
ERARBEITUNG VON<br />
ZÜCHTUNGSMETHODEN<br />
Eine Reihe züchtungsmethodisch<br />
ausgerichteter Arbeiten befaßt sich<br />
mit der Entwicklung molekularer Marker<br />
für die markergestützte Selektion<br />
auf Resistenz- und Qualitätsmerkmale.<br />
Möglichkeiten zum Einsatz der<br />
Selbstinkompatibilität oder gentechnisch<br />
erzeugter männlicher Sterilität<br />
für die Züchtung bei Raps sind Gegenstand<br />
weiterer Projekte.<br />
Züchtungsmethodisch orientiert<br />
sind auch Arbeiten, die sich mit der<br />
PORTRAIT<br />
Sich aus Mikrosporen entwickelnde Raps-<br />
Embryonen in Flüssigmedium<br />
Entwicklung molekularer Nachweismethoden<br />
zur Identifizierung transgener<br />
Pflanzen im Züchtungsprozeß<br />
oder mit der Isolierung von Genen für<br />
die Befruchtungskontrolle bei Gräsern<br />
befassen. Im Bereich der biotechnologischen<br />
Verfahren wird nach<br />
Möglichkeiten gesucht, die züchterisch<br />
nutzbare genetische Variabilität<br />
bei Solanaceen und Brassicaceen<br />
durch Fusion von Protoplasten (zellwandlose<br />
Zellen) zu verbreitern. In<br />
weiteren Arbeiten werden Methoden<br />
Test auf Braunfäuleresistenz von Kartoffelknollen. Äußere Reihen: anfällige Genotypen<br />
mit gering bzw. stark ausgeprägter Verbräunung; mittlere Reihe: BAZ-Zuchtstamm mit<br />
hoher Resistenz<br />
47<br />
zur gentechnischen Bearbeitung von<br />
Kulturpflanzen optimiert.<br />
ARBEITSGRUPPEN<br />
Drei Arbeitsgruppen widmen sich<br />
den unterschiedlichen methodischen<br />
Aspekten der <strong>Forschung</strong>sprojekte.<br />
Die einzelnen Projekte werden integriert<br />
– das heißt möglichst unter Beteiligung<br />
jeder Arbeitsgruppe – bearbeitet.<br />
Am Beispiel der <strong>Forschung</strong>sarbeiten<br />
am Raps soll dies illustriert<br />
werden.<br />
In der AG „Biotechnologie” wird<br />
Raps mit Genkonstrukten unterschiedlicher<br />
Art transformiert, um die Ölqualität<br />
entsprechend den jeweiligen<br />
Zuchtzielen modifizieren zu können.<br />
Die transformierten Gewebe werden<br />
in vitro zu vollständigen Pflanzen regeneriert<br />
und den beteiligten externen<br />
Partnern für züchterische Arbeiten<br />
zur Verfügung gestellt.<br />
Die AG „Molekulare Züchtungsmethoden”<br />
charakterisiert transgene<br />
Rapslinien hinsichtlich der Anzahl<br />
eingefügter Genkopien. Für spezifische<br />
Transgene werden PCR-Assays<br />
entwickelt und optimiert, so daß mit<br />
ihnen Typisierungen mit hohem Probendurchsatz<br />
möglich sind.<br />
Die AG „Züchtung/Basismaterial”<br />
führt mehrjährige Freisetzungsversuche<br />
mit dem Ziel durch, die Merkmalsausprägung<br />
der eingeführten<br />
Gene unter Freilandbedingungen zu<br />
testen. Hierzu werden größere Mengen<br />
an Rapssamen im Feld produziert<br />
und zum einen im eigenen Labor<br />
in ihrer Fettsäurezusammensetzung<br />
charakterisiert. Zum anderen werden<br />
Samenpartien im Pilotmaßstab an Ölmühlen<br />
weitergegeben, welche die<br />
technologischen Parameter des transgenen<br />
Materials im Hinblick auf dessen<br />
industrielle Nutzung als nachwachsender<br />
Rohstoff testen. ■<br />
Priv.-Doz. Dr. Peter Wehling, Bundesanstalt<br />
für Züchtungsforschung an<br />
Kulturpflanzen, Institut für landwirtschaftliche<br />
Kulturen, Rudolf-Schick-<br />
Platz 1, 18190 Groß Lüsewitz<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT
Biotechnologische<br />
Verfahren<br />
könnten in<br />
Zukunft<br />
die Tierkennzeichnung<br />
durch<br />
Ohrmarken<br />
ergänzen<br />
Bundesanstalt für<br />
Fleischforschung und<br />
Bundesforschungsanstalt für<br />
Viruskrankheiten der Tiere<br />
Immunologische<br />
Ohrmarke für<br />
Rinder<br />
Biomarkierung als Alternative für die<br />
Herkunftssicherung?<br />
Wissenschaftler der Bundesanstalt<br />
für Fleischforschung und der<br />
Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten<br />
der Tiere arbeiten zusammen<br />
an einem neuen, immunologischen<br />
Verfahren, mit dem sich<br />
die Herkunft von Rindern und Rindfleischprodukten<br />
überprüfen und<br />
zweifelsfrei nachweisen lassen soll.<br />
Hintergrund ist der „Rinderwahnsinn”<br />
BSE. Die Geschehnisse rund<br />
um diese Seuche haben das Vertrauen<br />
der Verbraucher in die Unbedenklichkeit<br />
von Lebensmitteln tierischer<br />
Herkunft, speziell Rindfleisch,<br />
stark beeinträchtigt.<br />
Der Herkunftssicherung und Kennzeichnung<br />
von Nutztieren kommt in<br />
diesem Zusammenhang eine steigende<br />
Bedeutung zu. Seit Anfang<br />
1998 gelten EU-weit einheitliche<br />
Vorschriften für die Kennzeichnung<br />
und Registrierung von Rindern. So<br />
müssen Kälber jetzt mit zwei Ohrmarken<br />
markiert werden, außerdem<br />
gibt es Tierpässe sowie neue Meldeund<br />
Registrierverfahren. Begleitet<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
NACHRICHTEN<br />
werden diese Maßnahmen von der<br />
Rindfleischetikettierung.<br />
Ein Problem solcher konventioneller<br />
Dokumentationssysteme könnte –<br />
neben dem vergleichsweise hohen<br />
bürokratischen Aufwand – in einer<br />
fehlenden Fälschungssicherheit liegen<br />
(falsche Bescheinigungen, Daten<br />
etc.). Darüber hinaus kann die<br />
Herkunft von Produkten wie Milch<br />
und Fleisch nicht zweifelsfrei überprüft<br />
werden.<br />
Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung<br />
von anderen Markierungsverfahren<br />
interessant, mit denen<br />
Nutztiere wie auch Lebensmittel auf<br />
natürliche Weise gekennzeichnet<br />
und ihre Herkunft zurückverfolgt werden<br />
können.<br />
Die Wissenschaftler aus Kulmbach<br />
und Tübingen setzen hier auf<br />
eine gezielte Biomarkierung. Das<br />
Verfahren basiert auf der Antikörperreaktion<br />
von Tieren nach Applikation<br />
von definierten Immunogenen<br />
und ist vergleichbar mit den Vorgängen<br />
bei einer aktiven Schutzimpfung.<br />
Würden Kälber mit Immunogenen<br />
behandelt, die eine gute Antikörperbildung<br />
hervorrufen und denen<br />
die Tiere natürlicherweise nie<br />
ausgesetzt sind, dann wäre über einen<br />
einfachen Nachweis der Antikörper<br />
im Blut jederzeit ein Rückschluß<br />
auf das verwendete Immunogen<br />
möglich.<br />
Auf dieser Basis wäre eine immunologische<br />
Kennzeichnung von Tieren<br />
in Erzeugerringen, Qualitätsprogrammen,<br />
einzelnen Bundesländern<br />
oder Staaten denkbar, wobei als<br />
Biomarker bestimmte Peptid-Immunogene<br />
einzeln oder in Kombination<br />
in Frage kommen. Da sich Anti-Peptid-Antikörper<br />
auch in Milch und<br />
Tropfsaft von Fleisch nachweisen lassen,<br />
wäre auf diese Weise nicht nur<br />
eine Kennzeichnung der Tiere<br />
selbst, sondern auch der von ihnen<br />
stammenden Lebensmittel möglich.<br />
Das neu entwickelte Verfahren ist<br />
den Wissenschaftlern mittlerweile<br />
patentiert worden.<br />
(M. Gareis, BAFF und M. Groschup,<br />
BFAV)<br />
48<br />
Bundesforschungsanstalt für<br />
Landwirtschaft (FAL)<br />
Molekularbiologe<br />
der FAL erhielt zwei<br />
Förderpreise<br />
Neue Methode zur Diagnostik von Salmonellen<br />
entwickelt<br />
Dr. Stefan Schwarz vom FAL-Institut<br />
für Tierzucht und Tierverhalten ist<br />
im vergangenen Jahr für seine <strong>Forschung</strong><br />
auf dem Gebiet der Tiergesundheit<br />
gleich doppelt ausgezeichnet<br />
worden. Für seine Arbeiten zur<br />
molekularen Typisierung von Salmonellen<br />
sowie zur Struktur, Regulation<br />
und Übertragbarkeit von Resistenzen<br />
bei Bakterien wurde ihm der<br />
Förderpreis der Akademie für Tiergesundheit<br />
verliehen. Zusätzlich hat<br />
ihn die Deutsche Veterinärmedizinische<br />
Gesellschaft mit dem Preis zur<br />
Förderung von Nachwuchswissenschaftlern<br />
geehrt. Sie würdigte damit<br />
seine Untersuchungen über Mechanismen<br />
der Rekombination von<br />
Resistenzplasmiden sowie seine Arbeiten<br />
auf dem Gebiet der molekularen<br />
Epidemiologie. Der habilitierte<br />
Tierarzt ist seit Oktober 1992 am Institutsstandort<br />
Celle tätig, wo er den<br />
<strong>Forschung</strong>sbereich ‘Molekulare Diagnostik’<br />
aufgebaut und inzwischen<br />
zu internationaler Anerkennung geführt<br />
hat. (FAL)<br />
Zentralstelle für<br />
Agrardokumentation und<br />
-information<br />
Neuer<br />
Informationsservice<br />
der ZADI eröffnet<br />
Mit FIZ-AGRAR auf online-Recherche<br />
Ab sofort bietet die ZADI mit der<br />
Einstiegsseite FIZ-AGRAR (Fachinformationszentrum<br />
Ernährung, Landund<br />
Forstwirtschaft) das gesamte<br />
Spektrum der Agrardatenbanken,<br />
die auf ihrem Datenbankserver lie-
Das<br />
neue<br />
Gewächshaus<br />
in<br />
Großbeeren<br />
gen, zur online-Recherche an. Unter<br />
http://www.fiz-agrar.de ist der Service<br />
zu erreichen.<br />
Die Menüstruktur von FIZ-AGRAR<br />
unterscheidet die Datenbanken einerseits<br />
nach Fachgebieten wie<br />
Pflanzenproduktion, Tierproduktion,<br />
Ökonomie, andererseits nach Inhaltstypen<br />
wie Literatur, Fakten und Projekten.<br />
Zur Zeit werden 147 Datenbanken<br />
auf dem Server der ZADI<br />
betrieben. Zu jeder Datenbank liegt<br />
auf FIZ-AGRAR eine Kurzbeschreibung<br />
der Inhalte mit Angaben zu<br />
Umfang, Datenproduzent, Update-<br />
Intervall und Zugangsbedingungen<br />
vor. Mit FIZ-AGRAR verfügt der<br />
Agrarbereich der Bundesrepublik<br />
über eine strukturierte Sammlung<br />
wissenschaftlich fundierter Datenbanken<br />
mit einfach zu bedienenden<br />
Benutzeroberflächen. (ZADI)<br />
Institut für Gemüse- und<br />
Zierpflanzenbau e.V.<br />
Kabinengewächshaus<br />
eingeweiht<br />
Am 3. Juli 1998 wurde im Institut<br />
für Gemüse- und Zierpflanzenbau<br />
e.V. (IGZ) am Standort Großbeeren<br />
bei Berlin eine neue Klimagewächshausanlage<br />
in Betrieb genommen.<br />
Das Gewächshaus ist mit 16 Klimakammern<br />
à 64 m 2 ausgestattet. Die<br />
Wissenschaftler planen unter anderem,<br />
dort die Reaktionen von Pflanzen<br />
auf verschiedene Bedingungen<br />
in der Umgebung des Sprosses, teilweise<br />
in Kombination mit den Bedingungen<br />
in der Wurzelumgebung,<br />
zu untersuchen. Dazu sind so-<br />
NACHRICHTEN<br />
wohl die mikroklimatischen Bedingungen<br />
als auch die Wasser- und<br />
Nährstoffversorgung in den Kabinen<br />
unabhängig untereinander regelbar.<br />
Das IGZ hat die Aufgabe, wissenschaftliche<br />
Grundlagen für die<br />
Produktion von Gemüse und Zierpflanzen<br />
im Spannungsfeld zwischen<br />
Ertrag, Umwelt und Qualität<br />
zu schaffen. Die Kabinengewächshausanlage<br />
bietet den Forschern<br />
dazu viele neue Möglichkeiten nach<br />
neuestem Stand der Technik. (BML)<br />
Bundesministerium für<br />
Ernährung, Landwirtschaft und<br />
Forsten<br />
Förderungsgrundsätze<br />
jetzt im<br />
Internet<br />
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung<br />
der Agrarstruktur und des<br />
Küstenschutzes”<br />
Die aktuellen Förderungsgrundsätze<br />
des Rahmenplans der Gemeinschaftsaufgabe<br />
„Verbesserung der<br />
Agrarstruktur und des Küstenschutzes”<br />
(GAK) sind mit weiteren Informationen<br />
zur GAK in das Deutsche<br />
Agrarinformationsnetz (DAINet)<br />
eingespeist worden. Die Internet-<br />
Adresse lautet: http://www.<br />
dainet.de/bml/gak. Bei der Gemeinschaftsaufgabe<br />
„Verbesserung<br />
der Agrarstruktur und des Küstenschutzes”<br />
handelt es sich um das<br />
wichtigste Instrument der nationalen<br />
Förderung der Agrarstruktur. Die<br />
GAK umfaßt eine Anzahl von Förderungsrichtlinien,<br />
die jährlich vom<br />
Bund und den Ländern gemeinsam in<br />
49<br />
einem Rahmenplan verabschiedet<br />
werden. Gefördert werden unter anderem<br />
benachteiligte Gebiete, extensive<br />
Produktionsmaßnahmen, die<br />
Dorferneuerung sowie Flurbereinigung<br />
und Flurneuordnung.<br />
Die Durchführung der Förderungsmaßnahmen<br />
ist Aufgabe der Länder.<br />
Finanziert werden die Maßnahmen<br />
zu 60 % vom Bund und zu 40 % von<br />
den Ländern; beim Küstenschutz ist<br />
der Bund zu 70 % beteiligt. 1973,<br />
also vor genau 25 Jahren, wurde der<br />
erste Rahmenplan umgesetzt. (BML)<br />
Bundesforschungsanstalt für<br />
Fischerei<br />
Deutsches<br />
<strong>Forschung</strong>sschiff<br />
auf der<br />
EXPO 98<br />
Eine <strong>Forschung</strong>sexpedition<br />
in das Gebiet<br />
der Iberischen Tiefsee<br />
hat die Bundesforschungsanstalt<br />
für Fischerei<br />
(BFAFi) in der<br />
Zeit vom 14.08.-<br />
24.09.1998 durchgeführt.<br />
Am Ende dieser Reise lief das<br />
Fischereiforschungsschiff „Walther<br />
Herwig III” Lissabon an, wo es die<br />
deutsche Fischereiforschung als Beitrag<br />
auf der EXPO 98 vorstellte. Die<br />
Präsentation war ein großer Erfolg. In<br />
drei Tagen konnten mehr als 13.000<br />
Besucher das <strong>Forschung</strong>sschiff besichtigen.<br />
Die Schiffsbrücke, der Maschinenraum,<br />
die Laboratorien, das <strong>Forschung</strong>sgerät<br />
und eine Posterausstellung<br />
begeisterten das multinationale<br />
Publikum.<br />
Daneben gab es einen kleinen<br />
Empfang, zu dem portugiesische<br />
Meeresforscher, Vertreter der Deutschen<br />
Botschaft und Wissenschaftler<br />
des Marine Habitat Committee des Internationalen<br />
Rates für Meeresforschung<br />
(ICES), der zur gleichen Zeit in<br />
Cascais nahe Lissabon tagte, geladen<br />
waren. (H.-S. Jenke, BFAFi)<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT<br />
Mehrere<br />
Tausend<br />
Besucher<br />
informierten<br />
sich an Bord der<br />
„Walther<br />
Herwig III”<br />
in Lissabon über<br />
die deutsche<br />
Fischereiforschung
Der Amerikaner<br />
Clive James<br />
informierte in<br />
seinem<br />
Eröffnungsvortrag<br />
über<br />
globale<br />
Aspekte der<br />
Vermarktung<br />
transgener<br />
Kulturpflanzen<br />
(Foto: G. Freyer)<br />
Biologische Bundesanstalt für<br />
Land- und Forstwirtschaft<br />
Biologische<br />
Sicherheit bei<br />
transgenen<br />
Organismen<br />
Internationales Symposium in Braunschweig<br />
„The Biosafety Results of Field<br />
Tests of Genetically Modified Plants<br />
and Microorganisms”: Unter diesem<br />
Titel haben sich<br />
zum fünften Mal<br />
Wissenschaftler<br />
aus zahlreichen<br />
Nationen zu einemErfahrungsaustausch<br />
über<br />
die Sicherheit<br />
bei gentechnischveränderten<br />
Pflanzen und<br />
Mikroorganismenzusammengefunden.<br />
Das<br />
Symposium, das<br />
vom 6.-10. September<br />
1998 in<br />
Braunschweig<br />
stattfand, war<br />
von der Biologischen Bundesanstalt<br />
für Land- und Forstwirtschaft (BBA)<br />
unter Beteiligung des United States<br />
Department of Agriculture (USDA)<br />
und der Europäischen Kommission<br />
organisiert worden.<br />
Vor dem Hintergrund<br />
der rasanten Entwicklung<br />
der Gentechnik –<br />
1998 wurden weltweit<br />
auf rund 28 Mio. ha<br />
gentechnisch veränderte<br />
Pflanzen angebaut –<br />
bot das Symposium<br />
den etwa 250 Experten<br />
ein Forum zur Diskussion<br />
von Fragen der<br />
biologischen Sicherheitsforschung,<br />
der Sicherheitsbewertung<br />
und der Standortbe-<br />
FORSCHUNGSREPORT 2/1998<br />
TAGUNGEN<br />
stimmung. Auf der Tagung wurde<br />
deutlich gemacht, daß sich das Risikopotential<br />
für Mensch, Tier und Umwelt<br />
aufgrund der bisherigen Erfahrungen<br />
als wesentlich geringer herausgestellt<br />
hat als anfänglich angenommen.<br />
Die umfangreichen Freilandstudien<br />
mit gentechnisch veränderten<br />
Pflanzen und Mikroorganismen<br />
und der weltweite kommerzielle<br />
Anbau transgener Pflanzen haben<br />
bisher zu keinen negativen Auswirkungen<br />
geführt. Es wurde bestätigt,<br />
daß die Anwendung der Gentechnik<br />
in der Landwirtschaft keine neuen<br />
Risiken gegenüber anderen Techniken<br />
birgt, die in der modernen Lebensmittelproduktion<br />
und -verarbeitung<br />
eingesetzt werden.<br />
Eine Bewertung der transgenen<br />
Pflanzen sollte aus wissenschaftlicher<br />
Sicht produktspezifisch in einer<br />
Fall-für-Fall Betrachtung erfolgen. Bedingt<br />
durch die schnelle Entwicklung<br />
und Nutzung neuer Eigenschaften<br />
(z. B. Salzresistenz, Trockentoleranz,<br />
Herstellung von Pharmaka in<br />
Pflanzen) muß auch die Sicherheitsbewertung<br />
ständig erweitert werden.<br />
Daher sind entsprechende <strong>Forschung</strong>sarbeiten<br />
und der Informations-<br />
und Erfahrungsaustausch außerordentlich<br />
wichtig. Es wurde beschlossen,<br />
sich weiterhin in regelmäßigen<br />
Abständen zu treffen: Das<br />
6. Symposium soll im Jahr 2000 in<br />
Kanada, das 7. Symposium 2002<br />
in China stattfinden. (BML, BBA)<br />
Transgene Kulturpflanzen 1996 – 98<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
Millionen Hektar<br />
1,7<br />
11<br />
50<br />
27,8<br />
1996 1997 1998<br />
Anbaufläche von transgenen Kulturpflanzen weltweit<br />
(ohne China) in Mio. ha (Quelle: Clive James, ISAAA).<br />
Zum Vergleich:<br />
Gesamte Ackerbaufläche Deutschlands: 12 Mio. ha<br />
Bundesanstalt für<br />
Fleischforschung<br />
Gentechnik und<br />
Ernährung<br />
BAFF bot ein Forum für die Diskussion<br />
von Zweifeln und Erwartungen<br />
„Novel Food – Gentechnik –<br />
Ernährung” war der Titel einer Podiumsdiskussion,<br />
mit der die Bundesanstalt<br />
für Fleischforschung ihre diesjährige<br />
„Kulmbacher Woche” – eine<br />
Veranstaltung rund um das Lebensmittel<br />
Fleisch – begann. Acht Vertreter<br />
aus Wissenschaft, Rechtsbereich,<br />
Verwaltung und Politik legten hier<br />
ihre Ansichten dar. Gleichsam als<br />
Motto stand dem Streitgespräch der<br />
Satz voran, mit dem Professor Hans<br />
Steinhart von der Universität Hamburg<br />
die Situation kennzeichnete:<br />
Mögen viele für oder gegen die Gentechnik<br />
sein, aufzuhalten ist sie nicht.<br />
Vor diesem Hintergrund war geradezu<br />
zwangsläufig der Begriff „gentechnikfrei”<br />
auf dem Tisch. Eine solche<br />
Deklaration läßt die EU für Lebensmittel<br />
zu, die kein neuartiges Erzeugnis<br />
im Sinne der Novel Food<br />
Verordnung sind. Die Wissenschaftler<br />
waren sich allerdings einig, daß<br />
sich das Nichtvorhandensein einer<br />
Eigenschaft der wissenschaftlichen<br />
Untersuchung entzieht. Die Deklaration<br />
„gentechnikfrei” kann daher nur<br />
als politischer Ansatz begründet werden.<br />
Dieses Problem hat seine Ursachen<br />
unter anderem in den Nachweismethoden.<br />
Diese können nur<br />
greifen, wenn bekannt ist, wonach<br />
gesucht werden soll. Das sei aber<br />
gerade nur bei Lebensmitteln mit gentechnischen<br />
Veränderungen gegeben,<br />
erklärte Professor Knuth Heller<br />
von der Bundesanstalt für Milchforschung<br />
in Kiel. Solche Veränderungen<br />
erfolgen immer in eng definierten<br />
Bereichen der Erbmasse und<br />
drücken sich folgerichtig auch nur in<br />
einem engen Spektrum von Merkmalen<br />
aus. Sie können daher relativ<br />
leicht analytisch nachgewiesen und<br />
kontrolliert werden. Dr. Ralf Greiner
von der Bundesforschungsanstalt für<br />
Ernährung in Karlsruhe relativierte<br />
diese Sicherheit jedoch im Hinblick<br />
darauf, daß in hochverarbeiteten<br />
Produkten ein Nachweis selbst bei<br />
Kenntnis der Veränderung häufig<br />
nicht mehr möglich sei. Aus dieser<br />
Sicht werde beispielsweise die Aussage<br />
des „gentechnikfreien Tomatenmarks”<br />
schwer nachzuprüfen sein.<br />
Die Ausführungen verdeutlichten,<br />
daß sich zwar eine Übertretung der<br />
Deklaration „gentechnikfrei” unter<br />
günstigen Bedingungen nachweisen<br />
ließe, nicht aber ihre Einhaltung. In<br />
einem Punkt wird es aber doch<br />
größere Sicherheit geben: Gentechnisch<br />
veränderte Produkte bedürfen<br />
einer Zulassung. In diesem Rahmen<br />
werden sie auf Herz und Nieren mit<br />
modernen Analysemethoden geprüft.<br />
Dabei geht es vor allem auch um<br />
das, was die Verbraucher besonders<br />
bewegt: um Allergien. Nach einhelliger<br />
Aussage der Wissenschaftler<br />
sind gerade gentechnisch veränderte<br />
Lebensmittel in positivem Sinne „Novel<br />
Food”, also neuartig. Denn erst<br />
diese Lebensmittel werden konsequent<br />
auf ihre allergieauslösende<br />
Wirkung geprüft. Sie sind damit in<br />
dieser Hinsicht sicherer als manches,<br />
was sonst auf den Tisch kommt. Trotzdem<br />
wurde von Dr. Wilbert Himmighofen<br />
vom Bundesernährungsministerium<br />
(BML) bekräftigt, daß keine<br />
Technologie – auch nicht die Gentechnik<br />
– ohne Risiken sei. Nicht alles<br />
zu machen, was machbar ist, ethische<br />
Grenzen einzuhalten und eben<br />
Risiken zu erkennen und zu kontrollieren,<br />
das mache diese für die Welternährung<br />
künftig so wichtige Wissenschaft<br />
auch sozial verträglich.<br />
Allerdings sehen die Kulmbacher<br />
Fleischforscher für das von ihnen betreute<br />
Lebensmittel die Situation ohnedies<br />
nicht so aufgeregt. „Was wir<br />
an Qualitätsmerkmalen von Fleisch<br />
auch auf lange Sicht erwarten können”,<br />
so schloß der Leiter der BAFF,<br />
Professor Klaus Troeger, die Diskussion,<br />
„das erreichen wir wie bisher mit<br />
ganz normaler Tierzucht und Tierhaltung”.<br />
(BAFF)<br />
TAGUNGEN<br />
Biologische Bundesanstalt für<br />
Land- und Forstwirtschaft<br />
Pflanzenschutz im<br />
Ökolandbau<br />
Wissenschaftler diskutierten mit Verbandsvertretern<br />
und Praktikern<br />
Am 18. Juni 1998 führte die Biologische<br />
Bundesanstalt für Land- und<br />
Forstwirtschaft (BBA) ein Fachgespräch<br />
zu dem Themenkreis „Pflanzenschutz<br />
im ökologischen Landbau<br />
– Probleme und Lösungsansätze” in<br />
Kleinmachnow durch. Im ersten Teil<br />
der Veranstaltung wurden vor dem<br />
Hintergrund der ab 1. Juli 1998 geltenden<br />
neuen Regelungen im Pflanzenschutzgesetz<br />
der Stand und die<br />
Probleme der Registrierung und Anwendung<br />
von Pflanzenstärkungsmitteln<br />
im ökologischen Landbau diskutiert.<br />
Im zweiten Teil wurde die Behandlung<br />
von Getreidesaatgut mit<br />
niederenergetischen Elektronen als<br />
Möglichkeit der Beseitigung von<br />
Schadorganismen, die am Saatgut<br />
anhaften, erörtert. Dabei zeigte<br />
sich, daß weiterer <strong>Forschung</strong>sbedarf<br />
vorhanden ist, insbesondere zur<br />
Klärung mittel- und langfristiger Auswirkungen<br />
dieser Behandlung auf<br />
die Saatgutqualität. (BML)<br />
Senatsarbeitsgruppe<br />
„Qualitätsgerechte und<br />
umweltverträgliche<br />
Agrarproduktion”<br />
Workshop über<br />
„Nachhaltige<br />
Landwirtschaft”<br />
Vom 20.–22. April 1999 lädt<br />
die Arbeitsgruppe „Qualitätsgerechte<br />
und umweltverträgliche Agrarproduktion”<br />
des Senats der Bundesforschungsanstalten<br />
zu einem Workshop<br />
über nachhaltige Landwirtschaft<br />
nach Braunschweig ein.<br />
Tagungsort wird das Forum der FAL<br />
in Braunschweig-Völkenrode sein.<br />
51<br />
Auf dem Workshop sollen der Stand<br />
der <strong>Forschung</strong> zur Nachhaltigkeit in<br />
der Landwirtschaft aufgezeigt sowie<br />
neue Methoden und Trends vorgestellt<br />
werden. Dabei wird der Bogen<br />
gespannt von integrierten Verfahren<br />
der Tier- und Pflanzenproduktion<br />
über Ressourcenschonung und Stoffkreisläufe<br />
bis hin zu sozioökonomischen<br />
Aspekten. Ein großzügiger<br />
Zeitrahmen soll genügend Platz für<br />
Diskussionen lassen. Ziel ist es, sich<br />
durch die Erarbeitung von Bewertungskriterien<br />
dem unscharfen, aber<br />
vielgebrauchten Begriff „Nachhaltigkeit”<br />
zu nähern. Darüber hinaus<br />
soll der Workshop als Informationsdrehscheibe<br />
und Projektbörse dienen<br />
und damit zur Zusammenarbeit<br />
anregen. (Senat)<br />
Institut für Agrartechnik<br />
Bornim e. V.<br />
Computer-<br />
Bildanalyse in der<br />
Landwirtschaft<br />
Zum fünften Mal in Folge findet<br />
am Institut für Agrartechnik Bornim<br />
e. V. (ATB) ein Workshop zur Anwendung<br />
der Computer-Bildanalyse<br />
in der Landwirtschaft statt. Die zusammen<br />
mit der Senatsarbeitsgruppe<br />
„Qualitätsgerechte und umweltverträgliche<br />
Agrarproduktion”<br />
organisierte Arbeitstagung ist für<br />
den 04. Mai 1999 in Potsdam<br />
geplant. Ziel des Workshops, der<br />
sich vorwiegend an Wissenschaftler<br />
und Ingenieure aus <strong>Forschung</strong>seinrichtungen<br />
richtet, ist der Austausch<br />
von Informationen und Erfahrungen<br />
zu spezifischen Anwendungen der<br />
Computer-Bildanalyse. Schwerpunkte<br />
sind die Erkennung von Pflanzen<br />
und Pflanzenbeständen, die Klassifikation<br />
biologischer Objekte und die<br />
Auswertung von Bildinformationen.<br />
Interessenten können sich an<br />
Dr. Bernd Herold vom ATB in Potsdam-Bornim<br />
wenden (e-mail:<br />
bherold@atb-potsdam.de) . (ATB)<br />
2/1998 FORSCHUNGSREPORT
Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich<br />
des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten