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Aufsätze - PRuF

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<strong>Aufsätze</strong> Andrea Bahr/Sabine Pannen – Soziale Wirklichkeit und regionale Herrschaftspraxis der SED MIP 2011 17. Jhrg.<br />

ben die Partei nicht selten als „Mutter“ und „Vater“.<br />

Sie hatten ihr Leben der sozialistischen Idee<br />

verschrieben. Auch für viele Angehörige der so<br />

genannten HJ- bzw. Aufbaugeneration war der<br />

Eintritt in die SED häufig mit einem politischen<br />

Bekenntnis verbunden. Der Aufbau einer klassenlosen<br />

Gesellschaft, die Chancengleichheit<br />

versprach, und der Antifaschismus waren ideelle<br />

Motive, von denen große Anziehungskräfte ausgingen.<br />

Das Versprechen des Neuanfangs wurde<br />

durch ihren beruflichen und sozialen Aufstieg<br />

biographisch beglaubigt. Dieser Aufbruchspathos<br />

verflüchtigte sich zusehends bei den folgenden<br />

Generationen und das Zugehörigkeitsgefühl<br />

„dabei zu sein und mitzumachen“ sowie die Parteizugehörigkeit<br />

der Eltern wurden zu dominanten<br />

Motiven. 45 Wie auch die FDJ-Mitgliedschaft<br />

und die Teilnahme an der Jugendweihe normal<br />

waren, wurde der Eintritt in die Partei nicht selten<br />

als nächster Schritt zum Erwachsenendasein<br />

empfunden. Jens Bisky, Jahrgang 1966, erinnerte<br />

sich an seinen Eintritt folgendermaßen: „Die<br />

Aufnahme war nach Statut und ohne Feierlichkeiten<br />

erfolgt, der Eintritt für mich eine Selbstverständlichkeit<br />

gewesen, ein Akt, der kein langes<br />

Nachdenken erforderte. Ich zahlte nun noch mehr<br />

Beiträge für Mitgliedschaften, es gab eine Versammlung<br />

mehr jeden Monat. Weiter hatte sich<br />

nichts geändert. Ich war nicht mit allem zufrieden,<br />

aber doch grundsätzlich einverstanden.“ 46<br />

Daneben ist auch ein Unterschied zwischen sozialen<br />

Milieus zu konstatieren. So scheinen nicht<br />

nur ältere Parteimitglieder eine engere Bindung<br />

zur SED und den sozialistischen Idealen, wie<br />

dem Mythos des Antifaschismus oder der friedenspolitischen<br />

Programmatik, gehabt zu haben,<br />

sondern auch Funktionäre des Partei- und Staatsapparates,<br />

Künstler und Intellektuelle gegenüber<br />

Produktionsarbeitern und Angestellten, die tendenziell<br />

eher unpolitisch eingestellt waren. Ne-<br />

45 Vgl. Epstein, Cathrine: The Last Revolutionaries, German<br />

Communists and their Century. Cambridge 2003;<br />

Eckart, Gabriele: So sehe ick die Sache. Protokolle aus<br />

der DDR. Leben im Havelländischen Obstanbaugebiet.<br />

Köln 1984; Fraumann, M.: „Die DDR war ein Teil<br />

meines Lebens.“ Ein deutsches Geschichtsbuch 1918-<br />

2000. Berlin 2006.<br />

46 Bisky, Jens: Geboren am 13. August. Der Sozialismus<br />

und ich. Berlin 2004, S. 106f.<br />

78<br />

ben der von Lutz Niethammer beschriebenen politisch-moralischen<br />

Generationensymbiose47 zwischen<br />

Altkommunisten und HJ-Generation, die<br />

von großer Relevanz für die Anpassungsbereitschaft<br />

schien, müssen jedoch weitere Faktoren<br />

für die Kohäsionskraft der Basis untersucht werden.<br />

Dabei gilt es vor dem Hintergrund der Massenaustritte<br />

im Herbst 1989 ebenso sozial-politische<br />

Mechanismen der Desintegration in den<br />

Blick zu nehmen. Diese größeren Entwicklungslinien<br />

mit Milieu- und Generationensystematik<br />

bilden eine wichtige Bezugsgröße, um Stimmungen<br />

und Meinungen zu bestimmten Ereignissen<br />

zu systematisieren und zu deuten, will man Kohäsionskräfte<br />

sowie Erosionsprozesse identifizieren.<br />

Die Untersuchung der Parteibasis stellt<br />

vor diesem Hintergrund eine doppelte Herausforderung<br />

dar. Es gilt das Bild der willigen Erfüllungsgehilfen<br />

der Herrschaftselite zugunsten<br />

einer differenzierten Betrachtungsweise aufzubrechen,<br />

ohne jedoch das Spezifische der politischen<br />

Zugehörigkeit aus dem Blick zu verlieren.<br />

Eine genauere Betrachtung der untersten Ebene<br />

der SED zeigt, dass sich die Dichotomie zwischen<br />

Herrscher und Beherrschten bzw. zwischen<br />

Bevölkerung und Regime im Hinblick auf<br />

die Parteibasis auflöst. Durch ihre Zugehörigkeit<br />

zur so genannten „Avantgarde“ und ihrer dadurch<br />

bedingten Teilhabe an der Macht verzahnte<br />

die Mitgliedschaft auf allen Ebenen Gesellschaft<br />

und Regime. Insofern gilt es der Parteibasis<br />

mit einer doppelten Perspektive, als Teil der<br />

Staatspartei und als Teil der Gesellschaft, zu begegnen,<br />

möchte man ein instruktives Bild ihrer<br />

sozial-moralischen Verbindungen und Entbindungen<br />

auf verschiedenen Ebenen und für verschiedene<br />

Gruppen gewinnen.<br />

4. Fazit<br />

Die Kreisleitungen und die Parteibasis der SED<br />

waren entscheidende Akteure im Herrschaftsgefüge<br />

und in der Gesellschaft der DDR. In den<br />

Kreisen und Städten sowie in den Betrieben und<br />

Wohnbezirken waren sie nicht allein Repräsentanten<br />

der Staatspartei oder Statthalter der Zen-<br />

47 Niethammer, Lutz: Volkspartei neuen Typs? Sozialbiografische<br />

Voraussetzungen der SED in der Industrieprovinz.<br />

In: Prokla 80 (1990), Nr. 3, S. 40-70.

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