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08.01.2013 Aufrufe

Aufsätze Andrea Bahr/Sabine Pannen – Soziale Wirklichkeit und regionale Herrschaftspraxis der SED MIP 2011 17. Jhrg. von knapp 1.300.000 Millionen Genossen 1946 bis über 2 Million in den achtziger Jahren. 1987 erreichte die Staatspartei mit 2.328.331 Millionen Mitgliedern und Kandidaten25 bei insgesamt 12 Millionen erwachsenen Bürgern den Höchststand ihrer Mitgliederentwicklung. 26 Damit war jeder sechste Bürger der DDR Genosse und der so genannte „Vortrupp der Arbeiterklasse“ auch quantitativ eine nicht zu unterschätzende Größe im gesellschaftlichen Gefüge der DDR. Der Aufbau der Grundorganisationen folgte dem Prinzip des „Demokratischen Zentralismus“. Sie unterstanden den Kreisleitungen als nächst höherer Instanz, die die Sekretäre der Grundorganisationen anleitete. Umgekehrt waren die Sekretäre für die Kommunikation „nach unten“ verantwortlich. 27 Zudem hatten die Kreisleitungen mit ihren Kontrollkommissionen direkten Zugriff auf die unterste Ebene und kontrollierten die soziale Praxis des Parteilebens. Um im Alltag ihre Macht durchzusetzen und aufrechtzuerhalten, war die SED betrieblich organisiert. Diese Organisationsstruktur war Charakteristikum einer kommunistischen Partei sowjetischen Typs und von entscheidender Bedeutung, um in die gesellschaftlichen Nahräume hinein wirken zu können. In Betrieben, Institutionen oder Verwaltungen waren die Parteimitglieder der Belegschaft in Grundorganisationen von mindestens drei bis höchsten 150 Genossen zusammengefasst. In größeren Betrieben mit einer höheren Mitgliederdichte waren die Grundorganisationen unterteilt in Abteilungsparteiorganisationen und diese wiederum in Parteigruppen gegliedert. Letztere bildeten mit 15 bis 20 Genossen die kleinste organisatorische Einheit eines Großbetriebs. Sie bestand in der Regel aus 25 Malycha, Andreas/Winters, Peter Jochen: Die SED. Geschichte einer deutschen Partei. München 2009, S. 412-415. 26 Ammer, Thomas, a.a.O., S. 5. 27 Parteisekretäre von Grundorganisationen, Abteilungsparteiorganisations-Sekretäre und Parteigruppenorganisatoren waren in der Regel ehrenamtlich tätig. Die Betriebsparteileitung größerer Betriebe hatte gewöhnlich einen ersten Sekretär, der hauptamtlich tätig war. Vgl. Herbst, Andreas/Stephan, Gerd-Rüdiger/Winkler, Jürgen (Hg.): Die SED Geschichte-Organisation-Politik. Ein Handbuch. Berlin 1997, S. 511-513. 74 Parteimitgliedern, die auch Kollegen einer Schicht oder einer Abteilung waren. Hausfrauen, Rentner und Selbstständige waren dagegen in Wohnparteiorganisationen zusammengefasst und ohne eine Betriebszugehörigkeit in größerem Maße unabhängig. 28 Diese Verschränkung von Berufsleben und Parteizugehörigkeit war intendiert, denn sie gewährleistete aus der Perspektive der höheren Ebenen eine effiziente Disziplinierung sowie Mobilisierung der Genossen an der Basis zur Umsetzung der „führenden Rolle“ der Partei. Zugleich war die Parteizugehörigkeit auf individueller Ebene eng mit sozialer Mobilität verknüpft und der berufliche Aufstieg ging häufig mit dem Besitz oder dem Erhalt des Parteibuches einher. Diese Wechselbeziehung war Charakteristikum der Herrschaftsstrategie der SED, denn die zentralistische Verteilung von Bildungs-, Berufs- oder Einkommenschancen erfolgte in der Organisationsgesellschaft der DDR, so Detlef Pollack, nach politisch-ideologischen Gesichtspunkten. In einem Austauschverhältnis aus Anpassung und Versorgung waren in den achtziger Jahren im FDGB 97 Prozent der Erwerbstätigen organisiert, 75 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 15 Jahren gehörten der FDJ an und 97 Prozent aller Bauern der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB). 29 Mit der Mitgliedschaft zur SED ging jedoch anders als die Zugehörigkeit zu einer Massenorganisation eine besonders enge Verbundenheit bzw. Integration in das politische System der DDR einher. 3.1 Parteileben und Herrschaftspraxis an der Basis Mit dem Beitritt zur SED bekundete man nicht nur die Zugehörigkeit zu einer politischen Gesinnungsgemeinschaft, sondern trat zugleich ei- 28 Vgl. Herbst, Andreas u.a., a.a.O., S. 496 und 524. Wohnparteiorganisationen folgten dem gleichen organisatorischen Prinzip wie die Betriebsparteiorganisation und waren auch der Kreisleitung unterstellt. Siehe auch Passens, Katrin: Der Zugriff des SED-Herrschaftsapparates auf die Wohnviertel. Berlin 2003. 29 Pollack, Detlef: Kirche in der Organisationsgesellschaft, zum Wandel der gesellschaftlichen Lage der evangelischen Kirche in der DDR. Stuttgart 1994, S. 63-68.

MIP 2011 17. Jhrg. Andrea Bahr/Sabine Pannen – Soziale Wirklichkeit und regionale Herrschaftspraxis der SED Aufsätze ner Dienstklasse bei, die der Herrschaftselite durch ein besonderes Disziplinar- und Loyalitätsverhältnis verbunden war. 30 So heißt es im Statut der SED „Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zu sein ist eine große Ehre.“ 31 Nach erfolgreicher Aufnahme in die Reihen der Einheitspartei ging die Zugehörigkeit mit vielen Verpflichtungen einher. 32 Der Genosse musste im Alltag eine politische, berufliche und private Vorbildfunktion erfüllen sowie als Bindeglied zwischen Partei und Gesellschaft die so genannte „Verbundenheit mit den Massen festigen“, um dem Selbstbild der Einheitspartei als Vortrupp der Arbeiterklasse zu entsprechen. Der Praxis der Parteimitgliedschaft bzw. das Parteileben an der Basis lässt sich dabei in ein System von Binnen- und Außenkommunikation strukturieren. Die Binnengeschlossenheit wurde zunächst durch Parteiversammlungen ausgedrückt, die nur Mitgliedern zugänglich waren. Damit blieben die Genossen aus Sicht der Parteilosen „unter sich.“ Davon ausgehend waren sie angehalten, nach außen und damit in der Regel am Arbeitsplatz, die Parteilinie zu kommunizieren und durch ihre Vorbildrolle zu verkörpern. Das Prinzip dieser Doppelstruktur manifestierte sich in der Losung „Wo ein Genosse ist, da ist die Partei!“ Den Rahmen der Binnenkommunikation bildete das Parteileben. An jedem Montag fand in der gesamten DDR in den Betrieben nach Arbeitsschluss abwechselnd die Versammlung der Grundorganisation, der Abteilungsparteiorgani- 30 Jessen, Ralph: Partei, Staat und „Bündnispartner“: Die Herrschaftsmechanismen der SED-Diktatur, in: Judt, Matthias: DDR-Geschichte in Dokumenten. Bonn 1998, S. 32. 31 Statut der SED von 1968, a.a.O., S. 19. 32 Ab dem 18. Lebensjahr war es möglich, der SED beizutreten. Dazu waren Bürgschaften von zwei Mitgliedern nötig, die mindestens zwei Jahre Parteimitglied waren und die um Aufnahme bemühte Person ein Jahr aus beruflicher und gesellschaftlicher Tätigkeit kannten. Erst dann erfolgte die Aufnahme als Kandidat der Partei. Die Zeit der „Bewährung“ betrug in der Regel ein Jahr. Letztlich entschied die Mitgliederversammlung der Grundorganisation über die Aufnahme des Kandidaten in die Partei. Dieser Beschluss musste von der Kreisleitung als nächst höherer Instanz bestätigt werden. Vgl. Statut der SED von 1968, a.a.O., S. 32. sation, der Parteigruppe oder das Parteilehrjahr statt. Montag war der Tag der Partei und die aktive Teilnahme an jeder Veranstaltung eine zentrale Verpflichtung. Auf den harten Stühlen der Werkkantine oder des Sitzungszimmers hörte man Referate, welche die Planerfüllung des Betriebs, das letzte Plenum des Zentralkomitees oder die aktuelle Rede eines Vertreters der Parteiführung zum Gegenstand hatte. 33 Die Versammlungen werden zeitgenössisch und retrospektiv häufig als Belastung beschrieben, da sie nicht nur zeitintensiv waren, sondern durch ihre Ritualität als eintönig und langweilig empfunden wurden. Allerdings bildeten sie auch den Ort, wo Genossen parteiinterne oder betriebliche Informationen erhielten, die parteilose Kollegen erst einige Tage später zum Beispiel auf der Gewerkschaftsversammlung erfuhren. Das ehemalige SED-Mitglied Irene Böhme schildert 1982, dass die Vorstellung vom „Geheimbund der Kommunisten“ noch nicht verschlissen sei. „Die Genossen seien die Auguren, die Eingeweihten, die wissend Lächelnden; Menschen, die über Informationen verfügen, deren gewöhnliche Sterbliche nicht teilhaftig werden. In einem Land, in dem Informationen sparsam gehandelt und nach hierarchischen Prinzipien dosiert vermittelt werden, erscheint das als Privileg.“ 34 Deshalb trage jeder Genosse bewusst oder unbewusst zu dieser Aura bei. Parteiversammlungen bildeten jedoch auch das Forum, Genossen zu disziplinieren – angefangen mit parteierzieherischen Mitteln, wie Kritik, Missbilligung oder der Verwarnung, die bei geringeren Verstößen angewandt wurden, bis hin zu Parteistrafen, von der Rüge bis zum Parteiausschluss. Als Repräsentanten der Staatspartei kam auch einfachen Mitgliedern eine „Omni-Vorbildfunktion“ zu. Parteistrafen wurden bei privaten „Verfehlungen“ wie Ehebruch oder auch bei Konflikten mit Gesetz und Ordnung 33 Die Ausgestaltung einer Mitgliederversammlung war nicht allein von der Orthodoxie des Parteisekretärs abhängig, sondern auch vom sozialen Milieu und spezifischen beruflichen Kontexten. Das Parteileben folgte in der Akademie der Wissenschaften beispielsweise anderen Schwerpunkten als im Ministerium für Staatssicherheit oder im Stahlwerk in Brandenburg. 34 Böhme, Irene, a.a.O., S. 46-47. 75

MIP 2011 17. Jhrg. Andrea Bahr/Sabine Pannen – Soziale Wirklichkeit und regionale Herrschaftspraxis der SED <strong>Aufsätze</strong><br />

ner Dienstklasse bei, die der Herrschaftselite<br />

durch ein besonderes Disziplinar- und Loyalitätsverhältnis<br />

verbunden war. 30 So heißt es im<br />

Statut der SED „Mitglied der Sozialistischen<br />

Einheitspartei Deutschlands zu sein ist eine<br />

große Ehre.“ 31 Nach erfolgreicher Aufnahme in<br />

die Reihen der Einheitspartei ging die Zugehörigkeit<br />

mit vielen Verpflichtungen einher. 32 Der<br />

Genosse musste im Alltag eine politische, berufliche<br />

und private Vorbildfunktion erfüllen sowie<br />

als Bindeglied zwischen Partei und Gesellschaft<br />

die so genannte „Verbundenheit mit den Massen<br />

festigen“, um dem Selbstbild der Einheitspartei<br />

als Vortrupp der Arbeiterklasse zu entsprechen.<br />

Der Praxis der Parteimitgliedschaft bzw. das<br />

Parteileben an der Basis lässt sich dabei in ein<br />

System von Binnen- und Außenkommunikation<br />

strukturieren. Die Binnengeschlossenheit wurde<br />

zunächst durch Parteiversammlungen ausgedrückt,<br />

die nur Mitgliedern zugänglich waren.<br />

Damit blieben die Genossen aus Sicht der Parteilosen<br />

„unter sich.“ Davon ausgehend waren sie<br />

angehalten, nach außen und damit in der Regel<br />

am Arbeitsplatz, die Parteilinie zu kommunizieren<br />

und durch ihre Vorbildrolle zu verkörpern.<br />

Das Prinzip dieser Doppelstruktur manifestierte<br />

sich in der Losung „Wo ein Genosse ist, da ist<br />

die Partei!“<br />

Den Rahmen der Binnenkommunikation bildete<br />

das Parteileben. An jedem Montag fand in der<br />

gesamten DDR in den Betrieben nach Arbeitsschluss<br />

abwechselnd die Versammlung der<br />

Grundorganisation, der Abteilungsparteiorgani-<br />

30 Jessen, Ralph: Partei, Staat und „Bündnispartner“: Die<br />

Herrschaftsmechanismen der SED-Diktatur, in: Judt,<br />

Matthias: DDR-Geschichte in Dokumenten. Bonn<br />

1998, S. 32.<br />

31 Statut der SED von 1968, a.a.O., S. 19.<br />

32 Ab dem 18. Lebensjahr war es möglich, der SED beizutreten.<br />

Dazu waren Bürgschaften von zwei Mitgliedern<br />

nötig, die mindestens zwei Jahre Parteimitglied<br />

waren und die um Aufnahme bemühte Person ein Jahr<br />

aus beruflicher und gesellschaftlicher Tätigkeit kannten.<br />

Erst dann erfolgte die Aufnahme als Kandidat der<br />

Partei. Die Zeit der „Bewährung“ betrug in der Regel<br />

ein Jahr. Letztlich entschied die Mitgliederversammlung<br />

der Grundorganisation über die Aufnahme des<br />

Kandidaten in die Partei. Dieser Beschluss musste von<br />

der Kreisleitung als nächst höherer Instanz bestätigt<br />

werden. Vgl. Statut der SED von 1968, a.a.O., S. 32.<br />

sation, der Parteigruppe oder das Parteilehrjahr<br />

statt. Montag war der Tag der Partei und die aktive<br />

Teilnahme an jeder Veranstaltung eine zentrale<br />

Verpflichtung. Auf den harten Stühlen der<br />

Werkkantine oder des Sitzungszimmers hörte<br />

man Referate, welche die Planerfüllung des Betriebs,<br />

das letzte Plenum des Zentralkomitees<br />

oder die aktuelle Rede eines Vertreters der Parteiführung<br />

zum Gegenstand hatte. 33 Die Versammlungen<br />

werden zeitgenössisch und retrospektiv<br />

häufig als Belastung beschrieben, da sie<br />

nicht nur zeitintensiv waren, sondern durch ihre<br />

Ritualität als eintönig und langweilig empfunden<br />

wurden. Allerdings bildeten sie auch den Ort, wo<br />

Genossen parteiinterne oder betriebliche Informationen<br />

erhielten, die parteilose Kollegen erst<br />

einige Tage später zum Beispiel auf der Gewerkschaftsversammlung<br />

erfuhren. Das ehemalige<br />

SED-Mitglied Irene Böhme schildert 1982, dass<br />

die Vorstellung vom „Geheimbund der Kommunisten“<br />

noch nicht verschlissen sei. „Die Genossen<br />

seien die Auguren, die Eingeweihten, die<br />

wissend Lächelnden; Menschen, die über Informationen<br />

verfügen, deren gewöhnliche Sterbliche<br />

nicht teilhaftig werden. In einem Land, in<br />

dem Informationen sparsam gehandelt und nach<br />

hierarchischen Prinzipien dosiert vermittelt werden,<br />

erscheint das als Privileg.“ 34 Deshalb trage<br />

jeder Genosse bewusst oder unbewusst zu dieser<br />

Aura bei.<br />

Parteiversammlungen bildeten jedoch auch das<br />

Forum, Genossen zu disziplinieren – angefangen<br />

mit parteierzieherischen Mitteln, wie Kritik,<br />

Missbilligung oder der Verwarnung, die bei geringeren<br />

Verstößen angewandt wurden, bis hin<br />

zu Parteistrafen, von der Rüge bis zum Parteiausschluss.<br />

Als Repräsentanten der Staatspartei<br />

kam auch einfachen Mitgliedern eine „Omni-Vorbildfunktion“<br />

zu. Parteistrafen wurden bei<br />

privaten „Verfehlungen“ wie Ehebruch oder<br />

auch bei Konflikten mit Gesetz und Ordnung<br />

33 Die Ausgestaltung einer Mitgliederversammlung war<br />

nicht allein von der Orthodoxie des Parteisekretärs abhängig,<br />

sondern auch vom sozialen Milieu und spezifischen<br />

beruflichen Kontexten. Das Parteileben folgte in<br />

der Akademie der Wissenschaften beispielsweise anderen<br />

Schwerpunkten als im Ministerium für Staatssicherheit<br />

oder im Stahlwerk in Brandenburg.<br />

34 Böhme, Irene, a.a.O., S. 46-47.<br />

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