Aufsätze - PRuF
Aufsätze - PRuF
Aufsätze - PRuF
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
MIP 2011 17. Jhrg. Andrea Bahr/Sabine Pannen – Soziale Wirklichkeit und regionale Herrschaftspraxis der SED <strong>Aufsätze</strong><br />
wichtige Verkehrsader nur erweitert werden<br />
konnte, weil sich die Betriebe des Kreises auf<br />
Bitte der SED-Kreisleitung hin bereit erklärten,<br />
daran mitzuwirken und ihre Kapazitäten einzubringen:<br />
„Ich hatte mich (…) schon mal mit en paar LPG-<br />
Vorsitzenden unterhalten und die LPGen, die<br />
hatten ja alle ihre eigenen Baubrigaden eingerichtet.<br />
Und die waren teilweise ganz schön leistungsstark.<br />
(…) ich sage: Leute, so in dem Sinne,<br />
wenn ihr euch mal für ein paar Wochen zusammenschmeißen<br />
würdet und auch eure Beziehungen<br />
mit einbringt. Denn keiner hat ja gewusst<br />
wo die mitunter den Zement und den Kies<br />
(…) wo se den hergeholt haben, das wusste mitunter<br />
bloß der liebe Gott noch. Und ich sage:<br />
Aber, det ihr weitgehend euer Material mit einbringt.<br />
Würdet ihr euch zutrauen?“ 22<br />
Mit Hilfe dieser Betriebe wurde die Straße<br />
schließlich gebaut. Auch wenn solche Erzählungen<br />
Teil einer Rechtfertigungsstrategie der örtlichen<br />
Funktionäre sind, so ist doch zu vermuten,<br />
dass diese informellen Arrangements oder Netzwerke<br />
genutzt wurden, um strukturbedingte Defizite<br />
des ineffizienten Planungs- und Leitungssystems<br />
zu kompensieren. 23 Auch damit trugen<br />
die SED-Kreisleitungen zur Stabilität des Regimes<br />
bei.<br />
Bei der Überprüfung beider Hypothesen zur<br />
Herrschaftspraxis der SED-Kreisleitungen gilt<br />
es, die strukturellen Rahmenbedingungen nicht<br />
aus dem Auge zu verlieren. Im größeren Kontext<br />
des DDR-Herrschaftsgefüges wird die scheinbar<br />
dominante Rolle der SED-Kreisleitungen kontrastiert<br />
durch ihre Abhängigkeit von den übergeordneten<br />
Parteileitungen in Zentrale und Bezirk.<br />
An ihre Normen, Vorgaben und Beschlüsse<br />
waren die örtlichen Parteileitungen durch den<br />
„Demokratischen Zentralismus“ gebunden. Die<br />
Disziplinierung und Kontrolle der unteren Herrschaftsinstanzen<br />
erfolgte insbesondere durch das<br />
strikte Informations- und Anleitungssystem, das<br />
22 Interview mit einem 2. Kreissekretär der SED am<br />
23.11.2010. Transkript und Tonbandaufzeichnung der<br />
Verfasser.<br />
23 Vgl. Schuhmann, Annette (Hg.): Vernetzte Improvisationen.<br />
Gesellschaftliche Subsysteme in Ostmitteleuropa<br />
und in der DDR. Köln u.a. 2008.<br />
Nomenklatursystem und die ideologische Determination<br />
durch Parteidisziplin und Parteimoral.<br />
Die SED-Kreisleitungen befanden sich daher in<br />
einer „inbetween“-Situation. Sie waren einerseits<br />
Herrscher in ihrem Territorium und andererseits<br />
Beherrschte im Verhältnis zu den Bezirksleitungen<br />
und der zentralen Parteiführung.<br />
Dennoch waren die SED-Kreisleitungen ein entscheidender<br />
Akteur für die Legitimation und die<br />
Stabilität der DDR, weshalb ihre Erforschung<br />
lohnenswert ist. Sie überformten mit ihrer Herrschaftspraxis,<br />
die sich vielfach auf persönliche<br />
Beziehungen stützte und Volksnähe sowie Fürsorglichkeit<br />
gegenüber „ihren Menschen“ inszenierte,<br />
den diktatorischen Charakter des Regimes.<br />
So waren sie wesentlich daran beteiligt,<br />
dass ein „stilles Arrangement“ 24 zwischen Bevölkerung<br />
und Regime zu Stande kam.<br />
3. Die Parteibasis<br />
Nach Zentrale, Bezirks- und Kreisleitungen bildeten<br />
die Grundorganisationen der SED die unterste<br />
Ebene im hierarchischen Gefüge der<br />
Staatspartei. Sie organisierten die Gesamtheit<br />
der Mitglieder aus allen gesellschaftlichen Bereichen,<br />
weshalb der Begriff Parteibasis hier in<br />
Kontrast zum hauptamtlichen Parteiapparat und<br />
zur Parteiführung verstanden wird. Die SED<br />
selbst begriff laut Statut ihre Grundorganisationen<br />
und damit ihre Mitglieder als „Fundament<br />
der Partei”. Auch wenn diese Metapher Teil des<br />
Parteimythos war, so bringt sie zum Ausdruck,<br />
dass der Mitgliedschaft eine zentrale Stabilisierungsfunktion<br />
zukam. Als Bindeglied zwischen<br />
Regime und Bevölkerung galten sie als Vermittler<br />
und Repräsentanten der Einheitspartei im<br />
staatssozialistischen Alltag und waren somit<br />
zentral für die Legitimation und Aufrechterhaltung<br />
der so genannten führenden Rolle der Partei.<br />
Zugleich handelte es sich bei der Parteibasis um<br />
keine kleine privilegierte Kaste im Staatssozialismus.<br />
Die SED konnte seit ihrer Gründung<br />
1946 die Zahl ihrer Mitglieder stetig vergrößern,<br />
24 Ettrich, Frank: Neotraditionalistischer Staatssozialismus.<br />
Zur Diskussion eines Forschungskonzeptes. In:<br />
Prokla 86/1992, S. 99.<br />
73