Aufsätze - PRuF
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<strong>Aufsätze</strong> Andrea Bahr/Sabine Pannen – Soziale Wirklichkeit und regionale Herrschaftspraxis der SED MIP 2011 17. Jhrg.<br />
Alles zentralisiert! Die SED-Kreisleitung wußte<br />
über alles Bescheid, entschied nahezu alles.“ 9<br />
Dieses Paradigma von der „allmächtigen Partei“<br />
wird von ehemaligen Funktionären immer wieder<br />
betont, muss jedoch hinterfragt oder zumindest<br />
differenziert werden. Auch andere Akteure<br />
spielten in den Kreisen und Städten eine wichtige<br />
Rolle, so zu allererst die Räte und die Betriebe.<br />
Dass die Partei aber zumindest versuchte, alles<br />
zu kontrollieren und in ihre Verantwortlichkeit<br />
zu nehmen, zeigt sich bei einer Analyse der Tagesordnungen<br />
der Sekretariatssitzungen. Besprochen<br />
wurde nicht allein, wie die letzten Mitgliederversammlungen<br />
in den Grundorganisationen<br />
abgelaufen und zu bewerten waren oder welche<br />
Kader wie zu fördern oder zu disziplinieren waren.<br />
Vielmehr waren dort alle Fragen und Probleme<br />
von der Kartoffelversorgung der Bevölkerung<br />
über den Ausbau des Nahverkehrs bis zur<br />
Sicherheit im Territorium auf der Tagesordnung.<br />
In einer Vorlage für das Sekretariat der SED-<br />
Kreisleitung Brandenburg an der Havel10 über<br />
die „Arbeitsweise der Kreisleitung Brandenburg<br />
und ihrer Organe“ wird dies auf den Punkt gebracht:<br />
„Das Sekretariat beschäftigt sich ständig mit den<br />
Grundfragen der politischen, ökonomischen und<br />
kulturellen Entwicklung des Kreises und arbeitet<br />
– ausgehend von den Beschlüssen des ZK [Zentralkomitee,<br />
Anmerkung der Verfasser] und der<br />
BL [SED-Bezirksleitung, Anmerkung der Verfasser]<br />
– Maßnahmen aus, die es den GO [SED-<br />
Grundorganisationen, Anmerkung der Verfasser],<br />
den Staatl. Organen und Massenorganisationen<br />
ermöglichen, ihren spezifischen Aufgaben<br />
entsprechend an der einheitlichen Durchführung<br />
der Parteibeschlüsse mitzuwirken.“ 11<br />
9 Interview in: Zimmermann, Brigitte/Schütt, Hans-Dieter<br />
(Hg.): Noch Fragen, Genossen! Berlin. 1994, S.<br />
184.<br />
10 Im Folgenden ist immer die Stadt Brandenburg an der<br />
Havel gemeint, die beiden Autorinnen als Fallbeispiel<br />
für ihre Untersuchungen dient.<br />
11 „Arbeitsweise der Kreisleitung Brandenburg und ihrer<br />
Organe“ (30.06.1965). In: BLHA, Rep. 531 Brandenburg<br />
Nr. 1011.<br />
70<br />
Neben der Allzuständigkeit macht dieser Auszug<br />
auch deutlich, dass die SED-Kreisleitungen den<br />
Anspruch hatten, alle anderen Institutionen und<br />
Organe im Kreis – den Rat des Kreises bzw. der<br />
Stadt, die Blockparteien und die Massenorganisationen<br />
– anzuleiten und deren Tätigkeit zu<br />
kontrollierten. Anleitung und Kontrolle – so die<br />
Rhetorik der SED – waren die wichtigsten Methoden<br />
sozialistischer Leitungstätigkeit und setzten<br />
den „Demokratischen Zentralismus“ 12 um.<br />
Faktisch hatte die örtliche Parteileitung zwar<br />
kein Weisungsrecht gegenüber staatlichen Organen<br />
und Massenorganisationen, doch sie konnte<br />
„Empfehlungen“ aussprechen und hatte über die<br />
Genossen in den jeweiligen Gremien eine Zugriffsmöglichkeit.<br />
Wurde zum Beispiel dem<br />
Vorsitzenden des Rates des Kreises, der natürlich<br />
SED-Mitglied war, im SED-Kreissekretariat<br />
aufgetragen, er müsse sich um eine Verbesserung<br />
der Wohnungsversorgung im Territorium<br />
kümmern, so war das ein Parteiauftrag, der erfüllt<br />
werden musste. Jeder Genosse, egal auf<br />
welcher Hierarchieebene und in welcher Funktion<br />
oder funktionslos, hatte Parteidisziplin zu<br />
wahren und den Aufträgen der SED Folge zu<br />
leisten 13 .<br />
12 Der Demokratische Zentralismus war das wichtigste<br />
Organisationsprinzip einer bolschewistischen „Partei<br />
neuen Typus“ und kann verkürzt als Unterordnung der<br />
Mehrheit unter die Minderheit beschrieben werden.<br />
Untergeordnete Parteileitungen mussten sich den Beschlüssen<br />
ihrer übergeordneten Leitungen beugen.<br />
Zwar wurden Parteileitungen von unten nach oben gewählt,<br />
faktisch waren dies jedoch öffentliche Abstimmungen<br />
über „von oben“ vorgegebene Kandidaten. In<br />
der Realität überwog also das zentralistische Element.<br />
Vgl. u.a. Ludz, Peter Christian (Hg.): DDR-Handbuch.<br />
Köln 1979, S. 250f.<br />
13 Im Abschnitt I „Die Parteimitglieder, ihre Pflichten<br />
und Rechte“ des Statuts der SED ist u.a. ausgeführt:<br />
„Für das Parteimitglied genügt es nicht, lediglich mit<br />
den Parteibeschlüssen einverstanden zu sein. Das Parteimitglied<br />
ist verpflichtet, dafür zu kämpfen, daß diese<br />
Beschlüsse in die Tat umgesetzt werden.“ Statut der<br />
SED von 1968, a.a.O., S. 21. Vgl. zu den Pflichten der<br />
Funktionäre auch: Ammer, Thomas: Strukturen der<br />
Macht – Die Funktionäre im SED-Staat. In: Ders./Weber,<br />
Jürgen (Hg.): Der SED-Staat: Neues über eine vergangene<br />
Diktatur. München 1994, S. 5-22.