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Aufsätze - PRuF

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MIP 2011 17. Jhrg. Andrea Bahr/Sabine Pannen – Soziale Wirklichkeit und regionale Herrschaftspraxis der SED <strong>Aufsätze</strong><br />

von der teleologischen Vorstellung des Marxismus-Leninismus,<br />

welche den kommunistischen<br />

Parteien die „führende Rolle“ auf dem Weg zum<br />

Kommunismus zuschrieb. Sie sollten durch die<br />

Ausübung der „Diktatur des Proletariats“ 4 in der<br />

Übergangsphase vom Kapitalismus zum Kommunismus<br />

herrschen. 5 Diese Suprematie schrieb<br />

die SED nicht nur in ihrem Statut fest, sondern<br />

ließ sie 1968 auch in der Verfassung der DDR<br />

verankern. Dort hieß es in Artikel 1 Absatz 1:<br />

„Die Deutsche Demokratische Republik ist ein<br />

sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern. Sie<br />

ist die politische Organisation der Werktätigen<br />

in Stadt und Land unter Führung der Arbeiterklasse<br />

und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.“<br />

6<br />

In den Kreisen und Städten der DDR waren die<br />

SED-Kreisleitungen als Repräsentanten der<br />

Staatspartei damit beauftragt, diese „führende<br />

Rolle“ auszufüllen. Die SED-Kreisleitungen<br />

standen der Kreisparteiorganisation, d.h. allen<br />

Mitgliedern der Partei in einem Stadt- oder<br />

Landkreis 7 , vor und wurden von Delegiertenkonferenzen,<br />

die wiederum von den Grundorganisationen<br />

des Territoriums beschickt wurden, gewählt.<br />

Das eigentliche Entscheidungszentrum<br />

der gewählten Kreisleitungen war das Sekretariat.<br />

Es bestand in der Regel aus dem ersten und<br />

zweiten Kreissekretär, jeweils einem Sekretär<br />

4 Diese „wird durch ein System politischer Organisationsformen<br />

der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten<br />

verwirklicht, an deren Spitze die marxistisch-leninistische<br />

Partei der Arbeiterklasse steht und in dem der sozialistische<br />

Staat das Hauptinstrument für den Aufbau<br />

des Sozialismus ist.“ Kleines Politisches Wörterbuch.<br />

Berlin (Ost) 1973, S. 169.<br />

5 Vgl. u.a. den Abschnitt zum Thema „Die SED als Zentrum<br />

der politischen Willensbildung“ im Artikel zur<br />

SED in: Ludz, Peter Christian (Hg.): DDR-Handbuch.<br />

Köln 1979, S. 951f.<br />

6 Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Verfassung<br />

der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober<br />

1974. Zitiert nach: Die neue Verfassung der DDR.<br />

Köln 1974, S. 67.<br />

7 Es ist zwischen territorialen und funktionalen Kreisleitungen<br />

zu unterscheiden. Während erstere in Städten,<br />

Kreisen oder Stadtbezirken gebildet wurden, waren<br />

letztere u.a. in Großbetrieben, Universitäten oder bestimmten<br />

Ministerien anzutreffen. Die funktionalen<br />

Kreisleitungen wurden nach dem so genannten „Produktionsprinzip“<br />

gebildet.<br />

für Wirtschaft, Landwirtschaft, Agitation und<br />

Propaganda sowie Wissenschaft, Volksbildung<br />

und Kultur. Weitere Angehörige des Sekretariats<br />

der Kreisleitung waren die Kreisvorsitzenden der<br />

Freien Deutschen Jugend (FDJ) und des Freien<br />

Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB), die<br />

Vorsitzenden der Kreisparteikontrollkommission<br />

(KPKK), der Kreisplankommission und des Rates<br />

des Kreises bzw. der Stadt. Unterstützt wurde<br />

das Sekretariat durch einen hauptamtlichen Parteiapparat,<br />

also eine Bürokratie, die in den achtziger<br />

Jahren zwischen 30 und 50 Mitarbeiter hatte,<br />

sowie durch sachspezifische Kommissionen<br />

und Arbeitsgruppen.<br />

Das Ziel und die Aufgabe der örtlichen Parteileitungen<br />

war es, in ihrem Einflussbereich die Beschlüsse<br />

der Parteispitze, also des Zentralkomitees,<br />

seines Sekretariats und Politbüros umzusetzen8<br />

und außerdem dafür die Zustimmung der<br />

Bevölkerung zu gewinnen oder zumindest zu<br />

verhindern, dass Unmut oder Unzufriedenheit<br />

aufkam. Wenn nötig, hatten sie Widerstand auch<br />

mit repressiven Maßnahmen zu unterdrücken.<br />

Dazu mussten die SED-Kreisleitungen über alle<br />

gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen<br />

Prozesse in ihren Territorien informiert<br />

sein und diese kontrollieren. Dies führte in der<br />

Praxis zu einer entgrenzten Zuständigkeit, die<br />

Norbert Seichter, 1. FDJ-Sekretär in Treptow<br />

und später Parteisekretär an der Volksbühne in<br />

Berlin, rückblickend in einem Interview beschreibt:<br />

„Als ich schließlich 1. Kreissekretär der FDJ in<br />

Treptow wurde, begriff ich als gleichzeitiges<br />

Mitglied der SED-Kreisleitung: Ohne Partei<br />

läuft im Territorium nichts, überhaupt nichts.<br />

Von der Sicherheit über die Grenzsicherung bis<br />

hin zu den Schulen und vor allem zur Industrie.<br />

8 Im Statut der SED heißt es in Abschnitt V „Die Bezirks-<br />

und Stadtorganisationen, die ländlichen, städtischen<br />

und betrieblichen Kreisorganisationen der Partei“:<br />

„Die Bezirks- und Stadtorganisationen, die ländlichen,<br />

städtischen und betrieblichen Kreisorganisationen<br />

der Partei lassen sich in ihrer Arbeit von dem Programm<br />

und dem Statut der Partei leiten und organisieren<br />

in ihrem Bereich die Durchführung der Beschlüsse<br />

und Direktiven des Zentralkomitees.“ Statut der SED<br />

von 1968, a.a.O., S. 63.<br />

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