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Aufsätze Andrea Bahr/Sabine Pannen – Soziale Wirklichkeit und regionale Herrschaftspraxis der SED MIP 2011 17. Jhrg. Soziale Wirklichkeit und regionale Herrschaftspraxis der SED Andrea Bahr, Dipl.-Pol. * / Sabine Pannen, M.A. ** 1. Fragestellung Im Rückblick ist das DDR-Bild meist von zwei extremen Wahrnehmungen geprägt: Von der verklärenden Sicht der Ostalgie, die soziale Sicherheit und Solidarität ins Zentrum rückt, und von der Reduzierung auf den Repressionsapparat, wobei die Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit im Mittelpunkt steht. Beides greift jedoch zu kurz. Es stellt sich vielmehr die Frage, wie ein differenziertes Bild von der sozialen Wirklichkeit in der DDR gezeichnet werden kann, welches sowohl das Regime und die Gesellschaft als auch ihre wechselseitigen Beziehungen erfasst. Dazu ist es zum einen wichtig, den Fokus auf die SED zu richten, die als sozialer Akteur in der staatssozialistischen Gesellschaft und als politische Herrschaftsinstanz allgegenwärtig war. Zum anderen gilt es, eine verengende Perspektive auf die „Königsebene“ der Partei aufzubrechen 1 und den Blick auf die Herrschaftsdurchsetzung und –aufrechterhaltung in * Andrea Bahr ist Doktorandin am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam (Abteilung 1, Kommunismus und Gesellschaft). ** Sabine Pannen ist assoziierte Doktorandin am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam (Abteilung 1, Kommunismus und Gesellschaft) und Stipendiatin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. 1 In bisherigen Forschungen zur SED war vor allem das Zentralkomitee, sein Sekretariat und Politbüro Thema. Die unteren Hierarchieebenen der Partei sind jedoch noch unzureichend untersucht worden. Insgesamt kann in der DDR-Forschung ein Forschungsdesiderat in Bezug auf die Staatspartei festgestellt werden, das Hermann Weber 1998 in der Zeitschrift Deutschland-Archiv benannte: „Auffallend ist, dass ausgerechnet die SED, deren Führung die Diktatur ausübte (…), immer noch relativ geringe Aufmerksamkeit in der Forschung findet (…).“ Weber, Hermann: Zum Stand der Forschung über die DDR-Geschichte. In: Deutschland-Archiv 31 (1998) 2, S. 256. 68 den sozialen Nahräumen der Gesellschaft zu richten. 2 Insofern sind vor allem die SED-Kreisleitungen, als wichtigste Leitungseinheit unterhalb von Zentrale und Bezirk, sowie die Parteibasis, als „Fundament der Partei“ 3 , von besonderem Interesse. Sie agierten an der Schnittstelle zwischen Bevölkerung und Regime. Die Funktionäre der Kreisleitungen und die einfachen Parteimitglieder waren in das Alltags- und Gemeinschaftsleben ihres Kreises, ihrer Stadt, ihres Betriebes sowie ihres Wohngebietes eingebunden und teilten somit die täglichen Erfahrungen mit der Bevölkerung. In diesen sozialen Nahräumen der Gesellschaft, wo man sich persönlich kannte und sich teilweise mit Vornamen ansprach, entschied sich maßgeblich, wie die Bevölkerung über das Regime und seine Politik dachte. Dort war die SED-Herrschaft konkret erfahrbar. Im Folgenden werden Fragen nach der Herrschaftspraxis der unteren Ebenen der SED sowie nach ihrer Funktion im SED-Regime aufgeworfen. Darüber hinaus wird die Rolle der SED- Kreisleitungen und der Parteibasis in der staatssozialistischen Gesellschaft beleuchtet. 2. Die SED-Kreisleitungen 2.1 Die „führende Rolle“ der Partei im Territorium Die SED beanspruchte für sich die Rolle der omnipräsenten und omnikompetenten Steuerungsinstanz in allen Bereichen des Lebens der DDR: in Gesellschaft, Staat, Wirtschaft, Recht und Kultur. Diesen Führungsanspruch leitete die SED ab 2 Am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam startete 2009 ein Forschungsprojekt zur Geschichte der SED „Die SED zwischen Mauerbau und Mauerfall. Gesellschaftsgeschichte einer kommunistischen Staatpartei“. Die Autorinnen dieses Beitrags bearbeiten in diesem Forschungszusammenhang ihre Dissertationsprojekte zur Herrschaft im Territorium (Andrea Bahr) und zur Parteibasis (Sabine Pannen). 3 Statut der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands: einstimmig angenommen auf dem 6. Parteitag der SED, Berlin, 15. bis 21. Januar 1963, mit den vom 7. Parteitag der SED, Berlin, 17. bis 22. April 1967, bestätigten Abänderungen und Zusätzen. Berlin (Ost) 1968, S.73.
MIP 2011 17. Jhrg. Andrea Bahr/Sabine Pannen – Soziale Wirklichkeit und regionale Herrschaftspraxis der SED Aufsätze von der teleologischen Vorstellung des Marxismus-Leninismus, welche den kommunistischen Parteien die „führende Rolle“ auf dem Weg zum Kommunismus zuschrieb. Sie sollten durch die Ausübung der „Diktatur des Proletariats“ 4 in der Übergangsphase vom Kapitalismus zum Kommunismus herrschen. 5 Diese Suprematie schrieb die SED nicht nur in ihrem Statut fest, sondern ließ sie 1968 auch in der Verfassung der DDR verankern. Dort hieß es in Artikel 1 Absatz 1: „Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.“ 6 In den Kreisen und Städten der DDR waren die SED-Kreisleitungen als Repräsentanten der Staatspartei damit beauftragt, diese „führende Rolle“ auszufüllen. Die SED-Kreisleitungen standen der Kreisparteiorganisation, d.h. allen Mitgliedern der Partei in einem Stadt- oder Landkreis 7 , vor und wurden von Delegiertenkonferenzen, die wiederum von den Grundorganisationen des Territoriums beschickt wurden, gewählt. Das eigentliche Entscheidungszentrum der gewählten Kreisleitungen war das Sekretariat. Es bestand in der Regel aus dem ersten und zweiten Kreissekretär, jeweils einem Sekretär 4 Diese „wird durch ein System politischer Organisationsformen der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten verwirklicht, an deren Spitze die marxistisch-leninistische Partei der Arbeiterklasse steht und in dem der sozialistische Staat das Hauptinstrument für den Aufbau des Sozialismus ist.“ Kleines Politisches Wörterbuch. Berlin (Ost) 1973, S. 169. 5 Vgl. u.a. den Abschnitt zum Thema „Die SED als Zentrum der politischen Willensbildung“ im Artikel zur SED in: Ludz, Peter Christian (Hg.): DDR-Handbuch. Köln 1979, S. 951f. 6 Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1974. Zitiert nach: Die neue Verfassung der DDR. Köln 1974, S. 67. 7 Es ist zwischen territorialen und funktionalen Kreisleitungen zu unterscheiden. Während erstere in Städten, Kreisen oder Stadtbezirken gebildet wurden, waren letztere u.a. in Großbetrieben, Universitäten oder bestimmten Ministerien anzutreffen. Die funktionalen Kreisleitungen wurden nach dem so genannten „Produktionsprinzip“ gebildet. für Wirtschaft, Landwirtschaft, Agitation und Propaganda sowie Wissenschaft, Volksbildung und Kultur. Weitere Angehörige des Sekretariats der Kreisleitung waren die Kreisvorsitzenden der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB), die Vorsitzenden der Kreisparteikontrollkommission (KPKK), der Kreisplankommission und des Rates des Kreises bzw. der Stadt. Unterstützt wurde das Sekretariat durch einen hauptamtlichen Parteiapparat, also eine Bürokratie, die in den achtziger Jahren zwischen 30 und 50 Mitarbeiter hatte, sowie durch sachspezifische Kommissionen und Arbeitsgruppen. Das Ziel und die Aufgabe der örtlichen Parteileitungen war es, in ihrem Einflussbereich die Beschlüsse der Parteispitze, also des Zentralkomitees, seines Sekretariats und Politbüros umzusetzen8 und außerdem dafür die Zustimmung der Bevölkerung zu gewinnen oder zumindest zu verhindern, dass Unmut oder Unzufriedenheit aufkam. Wenn nötig, hatten sie Widerstand auch mit repressiven Maßnahmen zu unterdrücken. Dazu mussten die SED-Kreisleitungen über alle gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Prozesse in ihren Territorien informiert sein und diese kontrollieren. Dies führte in der Praxis zu einer entgrenzten Zuständigkeit, die Norbert Seichter, 1. FDJ-Sekretär in Treptow und später Parteisekretär an der Volksbühne in Berlin, rückblickend in einem Interview beschreibt: „Als ich schließlich 1. Kreissekretär der FDJ in Treptow wurde, begriff ich als gleichzeitiges Mitglied der SED-Kreisleitung: Ohne Partei läuft im Territorium nichts, überhaupt nichts. Von der Sicherheit über die Grenzsicherung bis hin zu den Schulen und vor allem zur Industrie. 8 Im Statut der SED heißt es in Abschnitt V „Die Bezirks- und Stadtorganisationen, die ländlichen, städtischen und betrieblichen Kreisorganisationen der Partei“: „Die Bezirks- und Stadtorganisationen, die ländlichen, städtischen und betrieblichen Kreisorganisationen der Partei lassen sich in ihrer Arbeit von dem Programm und dem Statut der Partei leiten und organisieren in ihrem Bereich die Durchführung der Beschlüsse und Direktiven des Zentralkomitees.“ Statut der SED von 1968, a.a.O., S. 63. 69
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<strong>Aufsätze</strong> Andrea Bahr/Sabine Pannen – Soziale Wirklichkeit und regionale Herrschaftspraxis der SED MIP 2011 17. Jhrg.<br />
Soziale Wirklichkeit und regionale<br />
Herrschaftspraxis der SED<br />
Andrea Bahr, Dipl.-Pol. * /<br />
Sabine Pannen, M.A. **<br />
1. Fragestellung<br />
Im Rückblick ist das DDR-Bild meist von zwei<br />
extremen Wahrnehmungen geprägt: Von der<br />
verklärenden Sicht der Ostalgie, die soziale Sicherheit<br />
und Solidarität ins Zentrum rückt, und<br />
von der Reduzierung auf den Repressionsapparat,<br />
wobei die Tätigkeit des Ministeriums für<br />
Staatssicherheit im Mittelpunkt steht. Beides<br />
greift jedoch zu kurz. Es stellt sich vielmehr die<br />
Frage, wie ein differenziertes Bild von der sozialen<br />
Wirklichkeit in der DDR gezeichnet werden<br />
kann, welches sowohl das Regime und die Gesellschaft<br />
als auch ihre wechselseitigen Beziehungen<br />
erfasst. Dazu ist es zum einen wichtig,<br />
den Fokus auf die SED zu richten, die als sozialer<br />
Akteur in der staatssozialistischen Gesellschaft<br />
und als politische Herrschaftsinstanz allgegenwärtig<br />
war. Zum anderen gilt es, eine verengende<br />
Perspektive auf die „Königsebene“ der<br />
Partei aufzubrechen 1 und den Blick auf die Herrschaftsdurchsetzung<br />
und –aufrechterhaltung in<br />
* Andrea Bahr ist Doktorandin am Zentrum für Zeithistorische<br />
Forschung in Potsdam (Abteilung 1, Kommunismus<br />
und Gesellschaft).<br />
** Sabine Pannen ist assoziierte Doktorandin am Zentrum<br />
für Zeithistorische Forschung in Potsdam (Abteilung 1,<br />
Kommunismus und Gesellschaft) und Stipendiatin der<br />
Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.<br />
1 In bisherigen Forschungen zur SED war vor allem das<br />
Zentralkomitee, sein Sekretariat und Politbüro Thema.<br />
Die unteren Hierarchieebenen der Partei sind jedoch<br />
noch unzureichend untersucht worden. Insgesamt kann<br />
in der DDR-Forschung ein Forschungsdesiderat in Bezug<br />
auf die Staatspartei festgestellt werden, das Hermann<br />
Weber 1998 in der Zeitschrift Deutschland-Archiv<br />
benannte: „Auffallend ist, dass ausgerechnet die<br />
SED, deren Führung die Diktatur ausübte (…), immer<br />
noch relativ geringe Aufmerksamkeit in der Forschung<br />
findet (…).“ Weber, Hermann: Zum Stand der Forschung<br />
über die DDR-Geschichte. In: Deutschland-Archiv<br />
31 (1998) 2, S. 256.<br />
68<br />
den sozialen Nahräumen der Gesellschaft zu<br />
richten. 2<br />
Insofern sind vor allem die SED-Kreisleitungen,<br />
als wichtigste Leitungseinheit unterhalb von<br />
Zentrale und Bezirk, sowie die Parteibasis, als<br />
„Fundament der Partei“ 3 , von besonderem Interesse.<br />
Sie agierten an der Schnittstelle zwischen<br />
Bevölkerung und Regime. Die Funktionäre der<br />
Kreisleitungen und die einfachen Parteimitglieder<br />
waren in das Alltags- und Gemeinschaftsleben<br />
ihres Kreises, ihrer Stadt, ihres Betriebes sowie<br />
ihres Wohngebietes eingebunden und teilten<br />
somit die täglichen Erfahrungen mit der Bevölkerung.<br />
In diesen sozialen Nahräumen der Gesellschaft,<br />
wo man sich persönlich kannte und<br />
sich teilweise mit Vornamen ansprach, entschied<br />
sich maßgeblich, wie die Bevölkerung über das<br />
Regime und seine Politik dachte. Dort war die<br />
SED-Herrschaft konkret erfahrbar.<br />
Im Folgenden werden Fragen nach der Herrschaftspraxis<br />
der unteren Ebenen der SED sowie<br />
nach ihrer Funktion im SED-Regime aufgeworfen.<br />
Darüber hinaus wird die Rolle der SED-<br />
Kreisleitungen und der Parteibasis in der staatssozialistischen<br />
Gesellschaft beleuchtet.<br />
2. Die SED-Kreisleitungen<br />
2.1 Die „führende Rolle“ der Partei im Territorium<br />
Die SED beanspruchte für sich die Rolle der omnipräsenten<br />
und omnikompetenten Steuerungsinstanz<br />
in allen Bereichen des Lebens der DDR: in<br />
Gesellschaft, Staat, Wirtschaft, Recht und Kultur.<br />
Diesen Führungsanspruch leitete die SED ab<br />
2 Am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam<br />
startete 2009 ein Forschungsprojekt zur Geschichte der<br />
SED „Die SED zwischen Mauerbau und Mauerfall.<br />
Gesellschaftsgeschichte einer kommunistischen Staatpartei“.<br />
Die Autorinnen dieses Beitrags bearbeiten in<br />
diesem Forschungszusammenhang ihre Dissertationsprojekte<br />
zur Herrschaft im Territorium (Andrea Bahr)<br />
und zur Parteibasis (Sabine Pannen).<br />
3 Statut der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands:<br />
einstimmig angenommen auf dem 6. Parteitag der<br />
SED, Berlin, 15. bis 21. Januar 1963, mit den vom 7.<br />
Parteitag der SED, Berlin, 17. bis 22. April 1967, bestätigten<br />
Abänderungen und Zusätzen. Berlin (Ost)<br />
1968, S.73.