Aufsätze - PRuF

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08.01.2013 Aufrufe

Aufsätze Nikolas R. Dörr – François Mitterrand und der PCF [...] MIP 2011 17. Jhrg. nerzeit im Vergleich zum Parti Communiste noch deutlich schwächeren, Parti Socialiste, eine enge Zusammenarbeit an, die am 26. Juni 1972 im Programme commun zwischen beiden Parteien mündete. 14 Am 27. November 1973 wurde das Programme commun zusätzlich von Robert Fabre, dem Protagonisten der kleinen linksliberalen Partei MRG, ratifiziert. Seine wahre Strategie im Umgang mit den Kommunisten offenbarte Mitterrand bereits zwei Tage nach der Unterzeichnung des Programme commun am 28. Juni 1972 einem geschlossenen Kreis sozialdemokratischer Spitzenpolitiker um Willy Brandt, Bruno Kreisky und Olof Palme während einer Sitzung der Sozialistischen Internationale in Wien, wo er zu Protokoll gab, dass sein fundamentales Ziel sei, zu demonstrieren, dass von fünf Millionen Wählern der Kommunistischen Partei in Zukunft drei Millionen für die Sozialisten stimmen werden. 15 Dennoch wurde Mitterrand für seine Strategie kritisiert. Die Erfahrungen mit kommunistischen Parteien ließen zahlreiche Führungsfiguren der europäischen Sozialdemokratie am vermeintlichen Erfolg Mitterrands zweifeln. Mehrmals kam es zu offenen Auseinandersetzungen über die Frage der Zusammenarbeit mit Kommunisten. Besonders kritisch zeigte sich der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt dem französischen Sozialistenführer gegenüber. „Keinerlei Zusammenarbeit mit Kommunisten“ warf Schmidt Mitterrand entgegen, als dieser bei dem Treffen europäischer Sozialistenführer im dänischen Helsingör im Januar 1976 die von ihm initiierte Zusammenarbeit mit Kommunisten für die europäischen Schwesternparteien weiterempfahl. 16 Trotz der Kritik hielt Mitterrand dennoch an seiner Strategie fest. Unterstützung erhielt er 14 Das „Programme commun du gouvernement du Parti Communiste Français et du Parti Socialiste“ ist in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Georges Marchais (Hrsg.), Gemeinsames Regierungsprogramm der Französischen Kommunistische Partei und der Sozialistischen Partei vom 27. Juni 1972, Frankfurt am Main 1972. 15 Vgl. Kevin Devlin, Eurocommunism. Between East and West, in: Derek Leebaert (Hrsg.), European Security. Prospects for the 1980s, Lexington (Massachusetts), Toronto 1979, S. 247. 46 vom PCF-Generalsekretär George Marchais. Auch dieser war sich der Notwendigkeit einer taktischen Zusammenarbeit mit den Sozialisten bewusst, um landesweite Wahlen zu gewinnen. Nach Informationen des linksgaullistischen ehemaligen Staatsministers und Regierungssprechers Léo Hamon hatte Georges Marchais zu den Kritikern des Progamme commun im Politbüro des PCF gesagt: „Je mehr die Kommunisten in diesen Ländern [den westlichen Industrienationen, d. Verf.] den Klassenkampf predigten, desto geringer werde ihre Anhängerschaft in der Arbeiterschaft.“ 17 Ebenso erhoffte sich Marchais, den PS durch das gemeinsame Programm von seinem „reformistischen Kurs“ 18 abzubringen. Nichtsdestotrotz stand hinter Marchais Äußerungen keine inhaltliche Neuausrichtung der Kommunisten, sondern lediglich taktisches Kalkül. IV. Die Parlamentswahlen im März 1978 Sechs Monate vor den Parlamentswahlen im März 1978 – in einer Phase als Wahlprognosen einen Sieg der sozialistisch-kommunistischen Union de la gauche für möglich hielten – beendeten die Kommunisten im September 1977 überraschend die Zusammenarbeit mit den Sozialisten während der Überarbeitung des Programme commun. In Folge des Berichts des PCF-Politbüromitglieds Jean Kanapa hatte die Kommunistische Partei ihre verteidigungspolitische Haltung radikal geändert und sprach sich nun, entgegen den Abmachungen im Programme commun, für die Beibehaltung der Force de frappe, der französischen Atomstreitmacht, aus. 19 Zwar hatten beide Parteien von dem gemeinsamen Programm profitiert, die Sozialisten jedoch deutlich stärker als der PCF. Der Abstand 16 Helmut Schmidt zitiert in: Der Spiegel, Nr. 6/1976, S. 82. 17 AdsD, Nachlass Günter Markscheffel, Nr. 22, Brief von Günter Markscheffel an Willy Brandt mit der Aufzeichnung von in Paris geführten Gesprächen Markscheffels am 11. und 12. Okt. 1976, 13.10.1976, S. 6. 18 Ebenda. 19 Zum Kanapa-Bericht und dessen Folgen siehe: Friedhelm B. Meyer zu Natrup, Roter Gaullismus? Die sicherheitspolitischen Vorstellungen der Kommunistischen Partei Frankreichs. 1958-1981, Paderborn 1983, S. 235-259.

MIP 2011 17. Jhrg. Nikolas R. Dörr – François Mitterrand und der PCF [...] Aufsätze in den Wahlen zwischen den seit Jahrzehnten mehr Wählerstimmen erhaltenden Kommunisten und den nunmehr immer stärker aufschließenden Sozialisten hatte sich aus Sicht der PCF-Führung dramatisch reduziert. Die eigenen Zugewinne verliefen nicht proportional zu denen der Sozialistischen Partei Mitterrands, was die Führungsspitze des Parti Communiste um Georges Marchais zu einem kurzfristigen und radikalen Kurswechsel gegen den Parti Socialiste trieb. 20 Darüber hinaus hatte der PS seit der Initiierung der union de la gauche mehr neue Mitglieder als der PCF aufgenommen. Dementsprechend erfolgte der Bruch vor den Parlamentswahlen 1978 nur vordergründig aufgrund von inhaltlichen Meinungsverschiedenheiten. Wichtiger war der PCF-Führung, den gemeinsamen Wahlsieg der Linksunion zu vermeiden, wenn der Parti Socialiste, wie Ende 1977 abzusehen war, als deutlich stärkere Partei aus den Wahlen herausgehen würde. 21 In Folge des Bruchs der union de la gauche kam es vom PCF aus erneut zu einer in ihrer Rhetorik beispiellosen Diffamierung der französischen und europäischen Sozialdemokratie, wobei auch von kommunistischer Seite an antideutsche Ressentiments in der französischen Bevölkerung appelliert wurde. 22 Laut Informationen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel steckte die PCF-Führung nach dem Bruch der Linksunion fünf Millionen DM in eine antisozialistische Kampagne gegen den PS. 23 Nicht zuletzt aufgrund des Bruchs der union de la gauche wurde bei den folgenden Parlamentswahlen am 12. bzw. 19. März 1978 eine linke 20 Vgl. Peter Scholl-Latour, Die politische Zukunft Frankreichs, in: Götz Hohenstein (Hrsg.), Der Umweg zur Macht. Euro-Kommunismus, München 1979, S. 209-213. 21 Vgl. Ronald Tiersky, French Communism, Eurocommunism and Soviet Power, in: Rudolf L. Tökés (Hrsg.), Eurocommunism and Détente, Oxford 1979, S. 196ff. 22 Vgl. Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (Hrsg.), Eurokommunismus und westeuropäische Sicherheitspolitik, Hamburg 1978, S. 51f.; Klaus Kellmann, Pluralistischer Kommunismus? Wandlungstendenzen eurokommunistischer Parteien in Westeuropa und ihre Reaktion auf die Erneuerung in Polen, Stuttgart 1984, S. 229. 23 Der Spiegel, Nr. 51/1977, S. 128. Mehrheit in der Nationalversammlung verfehlt. Allerdings erreichte Mitterrand sein Ziel der rééquilibrage de la gauche. Mit 22,58% zu 20,55% der Wählerstimmen erhielten die Sozialisten erstmals seit Jahrzehnten wieder mehr Wählerstimmen als der Parti Communiste. Der von Mitterrand angestrebte Gleichstand in der französischen Linken war somit in Bezug auf Wählerstimmen und Mandate erreicht und übertroffen worden. In einem nächsten Schritt sollte der Parti Socialiste ein strukturelles Übergewicht auf der Linken erhalten. Hierfür war eine deutliche Schwächung der französischen Kommunisten Voraussetzung. V. Die sozialistisch-kommunistische Regierung 1981 als Teil von Mitterrands Strategie Die endgültige Schwächung der Kommunisten sollte in Folge des deutlichen Wahlsiegs des PS in der Parlamentswahl 1981 durch die Aufnahme der Kommunisten in die Regierung Mauroy, trotz absoluter Mehrheit der sozialistischen Parlamentsfraktion, evoziert werden. Mitterrand ging davon aus, dass die in Folge des Eurokommunismus aufgetretenen innerparteilichen Streitigkeiten bei den französischen Kommunisten durch die Einbindung in die gouvernementale Verantwortung weiter angeheizt werden würden. 24 Die Befürworter einer an der Sowjetunion orientierten Politik um PCF-Generalsekretär Georges Marchais, die in der Regierungsbeteiligung nur einen taktischen Schritt zur eigenen Wählermaximierung sehen würden, sollten früher oder später in Konflikt mit den Anhängern einer eurokommunistischen, von der Sowjetunion unabhängigen Reformpolitik geraten. Durch die Einbindung in die Realpolitik wurden insbesondere die kommunistischen Minister der Regierung Mauroy langfristig zu Protagonisten des eurokommunistischen Flügels im PCF, während sich der Großteil des Politbüros um Generalsekretär Marchais weiterhin in 24 Zum Umgang mit dem Eurokommunismus im PCF siehe: Nikolas Dörr, Wandel des Kommunismus in Westeuropa. Eine Analyse der innerparteilichen Entwicklungen in den Kommunistischen Parteien Frankreichs, Finnlands und Italiens im Zuge des Eurokommunismus, Berlin 2006, S. 21-42 (im Folgenden: Eurokommunismus). 47

<strong>Aufsätze</strong> Nikolas R. Dörr – François Mitterrand und der PCF [...] MIP 2011 17. Jhrg.<br />

nerzeit im Vergleich zum Parti Communiste<br />

noch deutlich schwächeren, Parti Socialiste, eine<br />

enge Zusammenarbeit an, die am 26. Juni 1972<br />

im Programme commun zwischen beiden Parteien<br />

mündete. 14 Am 27. November 1973 wurde<br />

das Programme commun zusätzlich von Robert<br />

Fabre, dem Protagonisten der kleinen linksliberalen<br />

Partei MRG, ratifiziert.<br />

Seine wahre Strategie im Umgang mit den Kommunisten<br />

offenbarte Mitterrand bereits zwei<br />

Tage nach der Unterzeichnung des Programme<br />

commun am 28. Juni 1972 einem geschlossenen<br />

Kreis sozialdemokratischer Spitzenpolitiker um<br />

Willy Brandt, Bruno Kreisky und Olof Palme<br />

während einer Sitzung der Sozialistischen Internationale<br />

in Wien, wo er zu Protokoll gab, dass<br />

sein fundamentales Ziel sei, zu demonstrieren,<br />

dass von fünf Millionen Wählern der Kommunistischen<br />

Partei in Zukunft drei Millionen für<br />

die Sozialisten stimmen werden. 15<br />

Dennoch wurde Mitterrand für seine Strategie<br />

kritisiert. Die Erfahrungen mit kommunistischen<br />

Parteien ließen zahlreiche Führungsfiguren der<br />

europäischen Sozialdemokratie am vermeintlichen<br />

Erfolg Mitterrands zweifeln. Mehrmals<br />

kam es zu offenen Auseinandersetzungen über<br />

die Frage der Zusammenarbeit mit Kommunisten.<br />

Besonders kritisch zeigte sich der deutsche<br />

Bundeskanzler Helmut Schmidt dem französischen<br />

Sozialistenführer gegenüber. „Keinerlei<br />

Zusammenarbeit mit Kommunisten“ warf<br />

Schmidt Mitterrand entgegen, als dieser bei dem<br />

Treffen europäischer Sozialistenführer im dänischen<br />

Helsingör im Januar 1976 die von ihm initiierte<br />

Zusammenarbeit mit Kommunisten für<br />

die europäischen Schwesternparteien weiterempfahl.<br />

16 Trotz der Kritik hielt Mitterrand dennoch<br />

an seiner Strategie fest. Unterstützung erhielt er<br />

14 Das „Programme commun du gouvernement du Parti<br />

Communiste Français et du Parti Socialiste“ ist in deutscher<br />

Übersetzung abgedruckt in: Georges Marchais<br />

(Hrsg.), Gemeinsames Regierungsprogramm der Französischen<br />

Kommunistische Partei und der Sozialistischen<br />

Partei vom 27. Juni 1972, Frankfurt am Main<br />

1972.<br />

15 Vgl. Kevin Devlin, Eurocommunism. Between East<br />

and West, in: Derek Leebaert (Hrsg.), European Security.<br />

Prospects for the 1980s, Lexington (Massachusetts),<br />

Toronto 1979, S. 247.<br />

46<br />

vom PCF-Generalsekretär George Marchais.<br />

Auch dieser war sich der Notwendigkeit einer<br />

taktischen Zusammenarbeit mit den Sozialisten<br />

bewusst, um landesweite Wahlen zu gewinnen.<br />

Nach Informationen des linksgaullistischen ehemaligen<br />

Staatsministers und Regierungssprechers<br />

Léo Hamon hatte Georges Marchais zu<br />

den Kritikern des Progamme commun im Politbüro<br />

des PCF gesagt: „Je mehr die Kommunisten<br />

in diesen Ländern [den westlichen Industrienationen,<br />

d. Verf.] den Klassenkampf predigten,<br />

desto geringer werde ihre Anhängerschaft in der<br />

Arbeiterschaft.“ 17 Ebenso erhoffte sich Marchais,<br />

den PS durch das gemeinsame Programm von<br />

seinem „reformistischen Kurs“ 18 abzubringen.<br />

Nichtsdestotrotz stand hinter Marchais Äußerungen<br />

keine inhaltliche Neuausrichtung der Kommunisten,<br />

sondern lediglich taktisches Kalkül.<br />

IV. Die Parlamentswahlen im März 1978<br />

Sechs Monate vor den Parlamentswahlen im<br />

März 1978 – in einer Phase als Wahlprognosen<br />

einen Sieg der sozialistisch-kommunistischen<br />

Union de la gauche für möglich hielten – beendeten<br />

die Kommunisten im September 1977<br />

überraschend die Zusammenarbeit mit den Sozialisten<br />

während der Überarbeitung des Programme<br />

commun. In Folge des Berichts des<br />

PCF-Politbüromitglieds Jean Kanapa hatte die<br />

Kommunistische Partei ihre verteidigungspolitische<br />

Haltung radikal geändert und sprach sich<br />

nun, entgegen den Abmachungen im Programme<br />

commun, für die Beibehaltung der Force de<br />

frappe, der französischen Atomstreitmacht,<br />

aus. 19 Zwar hatten beide Parteien von dem gemeinsamen<br />

Programm profitiert, die Sozialisten<br />

jedoch deutlich stärker als der PCF. Der Abstand<br />

16 Helmut Schmidt zitiert in: Der Spiegel, Nr. 6/1976, S.<br />

82.<br />

17 AdsD, Nachlass Günter Markscheffel, Nr. 22, Brief<br />

von Günter Markscheffel an Willy Brandt mit der Aufzeichnung<br />

von in Paris geführten Gesprächen Markscheffels<br />

am 11. und 12. Okt. 1976, 13.10.1976, S. 6.<br />

18 Ebenda.<br />

19 Zum Kanapa-Bericht und dessen Folgen siehe: Friedhelm<br />

B. Meyer zu Natrup, Roter Gaullismus? Die sicherheitspolitischen<br />

Vorstellungen der Kommunistischen<br />

Partei Frankreichs. 1958-1981, Paderborn 1983,<br />

S. 235-259.

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