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<strong>Aufsätze</strong> Stephan Klecha – Minderheitsregierungen und Wahlerfolge MIP 2011 17. Jhrg.<br />

sondern zugleich vor den Neuwahlen eine konstruktive<br />

Abwahl des Regierenden Bürgermeisters<br />

über eine Minderheitsregierung organisiert.<br />

Der These stehen auch nicht wirklich die Wahlergebnisse<br />

in Hessen 1987 und in Niedersachsen<br />

1990 entgegen. In Hessen trat, wie schon erwähnt,<br />

der amtierende Ministerpräsident nicht<br />

erneut an und auch in Niedersachsen hatte der<br />

amtierende Ministerpräsident bereits seinen Abtritt<br />

für den Verlauf der folgenden Legislaturperiode<br />

avisiert und war bemüht, im Wahlkampf<br />

seine potentielle Nachfolgerin aufzubauen. Anders<br />

sind in diesem Zusammenhang dann schon<br />

die Wahlen in Berlin 1990 und in Schleswig-Holstein<br />

2009 zu beurteilen, die beide Male<br />

Verluste für die Partei des Ministerpräsidenten<br />

brachten, aber deren Regierungsverbleib gewährleisteten.<br />

In Berlin freilich war bereits zum Zeitpunkt<br />

des Koalitionsbruchs der reguläre Wahlkampf<br />

im Gange, mithin brachte das Ende der<br />

Koalition keinen Solidarisierungseffekt mit sich.<br />

In Schleswig-Holstein wiederum ging der Bruch<br />

der Koalition von der Partei des Ministerpräsidenten<br />

aus, so dass hier ein Solidarisierungseffekt<br />

nicht eintreten konnte, weil der Ministerpräsident<br />

selbst für den Verlust seiner Mehrheit verantwortlich<br />

war. Hinzu kommt, dass beide<br />

Wahlen mit den Bundestagswahlen zusammenfielen<br />

und es hierüber mittelbare Effekte gab.<br />

Es zeigt sich, dass es auf der individuellen Ebene<br />

beachtliche Volatilitäten im Anschluss an Minderheitsregierungen<br />

gibt. Während die Regierung<br />

im Falle einer Abwahl mit immensen Stimmenverlusten<br />

rechnen muss, muss die Partei des<br />

Oppositionsführers nicht minder den folgenden<br />

Urnengang fürchten. Ihr Unvermögen, selbst<br />

eine Regierung zu bilden oder die Minderheit<br />

der Regierung konstruktiv zu nutzen, wird vom<br />

Wähler nämlich weitaus eher und überaus hart<br />

abgestraft. Minderheitsregierungen sind hinsichtlich<br />

künftiger Wahlergebnisse somit aus Sicht<br />

der Regierungspartei attraktiver als aus Sicht der<br />

Opposition. Auffallend ist dabei, dass der Wähler<br />

anscheinend sein Wählervotum in der Regel<br />

so einsetzt, dass die Minderheitsregierung von<br />

einer Mehrheitsregierung abgelöst werden kann.<br />

Dementsprechend profitiert je nach Bewertung<br />

der Leistung der Regierung entweder die Regie-<br />

38<br />

rungspartei oder die Partei des Oppositionsführers.<br />

Anders ausgedrückt, der Wähler billigt<br />

grundsätzlich die Bildung einer Minderheitsregierungen.<br />

Zugleich aber will er im Anschluss<br />

daran wieder klare Mehrheitsverhältnisse haben<br />

und richtet sein Wahlverhalten darauf aus.<br />

Fazit<br />

Das deutsche Regierungssystem hat aus der<br />

Struktur des Parteiensystems heraus bislang eine<br />

vorwiegend lagergebundene Mehrheitsbildung<br />

von zwei Parteien zugelassen. Die Aversion gegen<br />

Minderheitsregierungen oder Regierungsformen<br />

jenseits der Kleinen Koalition von zwei<br />

Parteien speist sich nicht zuletzt aus dieser berechenbaren<br />

Stabilität des Parteiensystems. Mit<br />

dem Hinzutreten der Partei Die Linke hat sich<br />

das Parteiensystems jedoch so verändert, dass<br />

Alternativen dazu notwendig werden. Große Koalitionen<br />

oder Dreierbündnisse ermöglichen eine<br />

Fortführung der vorherigen mehrheitsfixierten<br />

Regierungspraxis. Während Große Koalitionen<br />

als notfalls akzeptabel, aber doch tendenziell unerwünscht<br />

gelten, haben sich Dreierbündnisse<br />

bislang als hochgradig instabil erwiesen. Den<br />

Parteien bleibt als Notausweich deswegen gegenwärtig<br />

noch die Bildung von Minderheitsregierungen<br />

übrig.<br />

Eine Minderheitsregierung ist in der gegenwärtigen<br />

Phase der Neusortierung des Parteiensystems<br />

und wegen der beschränkten Koalitionsfähigkeit<br />

der Parteien zueinander auf jeden Fall<br />

eine zusätzliche Option, derer sich die Parteien<br />

künftig verstärkt bedienen könnten. Diese Regierungsform<br />

scheint in Deutschland in ihrer Fähigkeit,<br />

gesellschaftlichen und politischen Diskurs<br />

anders zu organisieren, zwar nicht das politische<br />

Interesse zu steigern, wohl allerdings stabilisiert<br />

sie das bestehende Parteiensystem insgesamt. Sie<br />

ermöglicht zugleich aber auch eine beschränkte<br />

Neuorientierung der Wähler. Dabei kristallisieren<br />

sich einige Regelmäßigkeiten heraus:<br />

a) Verliert eine Regierung ihre vorherige Mehrheit<br />

ohne Bildung einer alternativen Mehrheit,<br />

kann der amtierende Regierungschef bei<br />

Neuwahlen regelmäßig auf einen Solidarisierungseffekt<br />

hoffen.

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