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Aufsätze - PRuF

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MIP 2011 17. Jhrg. Stephan Klecha – Minderheitsregierungen und Wahlerfolge <strong>Aufsätze</strong><br />

sierung ganz anderer Form nach sich ziehen,<br />

nämlich einen Zuwachs der politischen Extreme.<br />

Verweise auf die Weimarer Republik mit ihren<br />

zahlreichen Minderheitsregierungen stützen dieses<br />

Argument ebenso vordergründig wie die Tatsache,<br />

dass in der Bundesrepublik nach Minderheitsregierungen<br />

immerhin sieben Mal, also ungefähr<br />

jedes zweite Mal, eine Partei in das jeweilige<br />

Parlament einzog, die zuvor nicht darin vertreten<br />

war. Außer für Sachsen-Anhalt 1998 lassen<br />

sich jedoch keine Hinweise für eine besondere<br />

Protesthaltung der Wähler finden. Der Erfolg<br />

der Linken 2009 in Schleswig-Holstein geht<br />

einher mit deren erfolgreicher Ausdehnung in<br />

Westdeutschland und wäre auch ohne vorherige<br />

Minderheitsregierung zu erwarten gewesen. In<br />

den übrigen fünf Fällen handelte es sich durchgängig<br />

um die FDP, die im Anschluss an eine<br />

Minderheitsregierung ein zwischenzeitliches außerparlamentarisches<br />

Dasein beendete (Hessen<br />

1983, Hamburg 1987, Berlin 1990, Berlin 2001<br />

und Sachsen-Anhalt 2002). Die FDP genießt anscheinend<br />

wegen ihrer tradierten Scharnierfunktion<br />

im Parteiensystem nach Minderheitsregierungen<br />

eine besondere Aufmerksamkeit der<br />

Wähler. Ein Grund könnte sein, dass man der<br />

FDP möglicherweise am ehesten zutraut, an einer<br />

Mehrheitsbildung wieder mitzuwirken. Erfüllt<br />

die FDP diese Funktion nicht, so droht ihr<br />

nämlich auch leicht der Absturz aus der parlamentarischen<br />

Sphäre. Immerhin drei Mal (Schleswig-<br />

Holstein 1988, Brandenburg 1994 und Hamburg<br />

2004) flog die FDP nämlich aus einem Parlament,<br />

als eine Minderheitsregierung zur Wahl<br />

stand. Durch ein anderes Koalitionsverhalten<br />

hätte die Partei eine neue Mehrheitsregierung<br />

herbeiführen können. Dieses deutet daraufhin,<br />

dass die Zuweisung der Funktion als Scharnierpartei<br />

durchaus das Wählervotum mit beeinflusst.<br />

Ansonsten lässt sich also weder eine erhöhte Politisierung<br />

beobachten noch eine besondere Protestneigung<br />

der Wähler als Folge einer Minderheitsregierung<br />

ausmachen. Vielmehr kann eine<br />

besondere Stabilität des Parteiensystems sogar<br />

nachgewiesen werden, wenn man zunächst den<br />

Pedersenindex (Pedersen 1979) als Maß für die<br />

aggregierte Volatilität heranzieht. Er wird be-<br />

rechnet aus der durch zwei geteilten Summe der<br />

Beträge aller Stimmengewinne und -verluste. In<br />

der nachfolgenden Tabelle wird der durchschnittliche<br />

Pedersenindex denjenigen Werten<br />

gegenübergestellt, die bei Wahlen im Anschluss<br />

an Minderheitsregierungen ermittelbar sind.<br />

Land Durchschnittlicher<br />

Pedersenindex<br />

Sachsen-<br />

Anhalt<br />

Pedersenindex nach<br />

Minderheitsregierungen<br />

20,4 16,9 (1998)<br />

32,4 (2002)<br />

Hamburg2 11,9 9,2 (1982 II)<br />

5,1 (1987)<br />

30,6 (2004)<br />

Berlin 13,0 15,1 (1990)<br />

21,4 (2001)<br />

Hessen 10,1 8,0 (1983)<br />

6,4 (1987)<br />

14,8 (2009)<br />

Niedersachsen 10,5 4,4 (1990)<br />

Brandenburg 17,2 23,1 (1994)<br />

Schleswig-<br />

Holstein<br />

11,0 11,3 (1988)<br />

26,5 (2009)<br />

Bund 8,5 5,7 (1972)<br />

Eigene Berechnung<br />

Die Empirie zeigt erneut, dass es keinen so eindeutigen<br />

Befund gibt. Immerhin sieben Mal lagen<br />

die Werte bei Wahlen, denen sich eine Minderheitsregierung<br />

stellen musste, unterhalb des<br />

jeweiligen Durchschnitts und acht Mal darüber.<br />

Insofern wäre auch hier die Stabilität des Wählerverhaltens<br />

gegeben beziehungsweise eine anscheinend<br />

normale Abweichung vom Durchschnitt<br />

festzustellen. Minderheitsregierungen<br />

ziehen auf den ersten Blick also keine erhöhte<br />

Volatilität nach sich.<br />

Doch dieser Befund ist etwas zu oberflächlich.<br />

Bemerkenswert ist nämlich bereits die Streuung.<br />

So wurden in Sachsen-Anhalt (2002), in Hamburg<br />

(2004), in Brandenburg jeweils absolute<br />

Maximalwerte erzielt. In Berlin (2001) und<br />

Schleswig-Holstein (2009) lässt sich zudem der<br />

zweithöchste Wert überhaupt messen. Dem steht<br />

gegenüber, dass in Hamburg (1987) und in Nie-<br />

2 Der Hamburgblock ist dabei so einbezogen worden,<br />

dass als Referenz die Summe der beteiligten Quellparteien<br />

berücksichtigt wurde.<br />

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