Aufsätze - PRuF
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<strong>Aufsätze</strong> Stephan Klecha – Minderheitsregierungen und Wahlerfolge MIP 2011 17. Jhrg.<br />
Berlin 2001. Aufbauend auf diese Kooperationserfahrungen<br />
gelangten in Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Berlin und Brandenburg schließlich rot-rote<br />
Mehrheitskoalitionen ins Amt. Insgesamt war<br />
in Ostdeutschland eine recht überschaubare, aber<br />
von Westdeutschland abweichende Konstellation<br />
entstanden.<br />
Seit 2001/2002 wandeln sich die beiden soweit<br />
getrennten Parteiensysteme in Ost- und Westdeutschland<br />
und nähern sich darüber einander<br />
an, was nicht ohne Folgen für die Koalitionsmöglichkeiten<br />
bleibt. Entgegen einer früheren<br />
Annahme (Haas/Jun/Niedermayer 2008: 24) hat<br />
es trotz regionaler Differenzen damit in kürzester<br />
Zeit eine Angleichung der Parteiensysteme in<br />
den Ländern gegeben, die sich auf der Bundesebene<br />
widerspiegelt und Folgen für die Koalitionspolitik<br />
hat.<br />
Im nunmehr gesamtdeutschen „fluiden Fünfparteiensystem“<br />
(Niedermayer 2001; s.a. Niedermayer<br />
2010) ist es keineswegs gesichert, dass eines<br />
der beiden bisherigen Lager eine Mehrheit<br />
der Mandate erhält. 2005 reichte es auf Bundesebene<br />
erstmals seit 1949 nicht mehr für eine<br />
kleine Koalition von SPD beziehungsweise<br />
CDU/CSU mit einem einzigen Koalitionspartner.<br />
Der Abschluss einer Großen Koalition war<br />
vor dem Hintergrund wechselseitiger Koalitionsausschlusserklärungen<br />
die logische Folge (Decker<br />
2011: 111).<br />
Obwohl 2009 die Union dann wieder mit der<br />
FDP eine typische Mehrheitskoalition eines altbundesdeutschen<br />
Lagers bilden konnte, dürfte<br />
die Regierungsbildung auf Bundes- wie auf Länderebene<br />
für die kommenden Jahre vielfach<br />
kompliziert bleiben. Mehrheiten von einer oder<br />
zwei Parteien aus einem Lager sind jedenfalls<br />
nicht mehr garantiert. Die Bundesrepublik ist daher<br />
auf der Suche nach neuen Koalitionsformaten<br />
(Korte 2009b: 68; Eith 2010: 121).<br />
Den formalisierten Ansätzen zur Koalitionsbildung<br />
zufolge (Gamson 1961; Riker 1962, Leiserson<br />
1968; De Swaan 1973; Axelrod 1970;<br />
Bräuninger/Debus 2008) müsste es eigentlich<br />
auch in einem Fünfparteiensystem relativ einfach<br />
sein, mehrheitsfähige Koalitionen zu bilden.<br />
Schließlich streben Parteien möglichst viele Re-<br />
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gierungsämter an (office-seeking) und wollen<br />
ihre eigenen Politikziele umzusetzen (policyseeking),<br />
wofür parlamentarische Mehrheiten<br />
unumgänglich sind. Doch die Parteien zögern,<br />
sich im Fünfparteiensystem innovativ zu verhalten.<br />
Eine gewisse Akzeptanz genießen bei schwierigen<br />
Mehrheitsverhältnissen Große Koalitionen<br />
aus SPD und Union (Decker 2011: 303). Seit<br />
1990 sind immerhin neun Bundesländer und der<br />
Bund wenigstens zwischenzeitlich so regiert<br />
worden, darunter sämtliche ostdeutschen Bundesländer.<br />
Die vier Jahre der Großen Koalition<br />
im Bund waren zugleich die Hochzeit selbiger in<br />
den Ländern. Zwischenzeitlich waren sieben<br />
Länder gleichzeitig von einer Großen Koalition<br />
regiert worden.<br />
Gegen die These einer drohenden Perpetuierung<br />
(siehe Decker 2009a: 81; Oberndörfer/Mielke/<br />
Eith 2009: 269) kann bislang noch eingewandt<br />
werden, dass es nur in Berlin, Brandenburg und<br />
Bremen zu einer Fortsetzung der Zusammenarbeit<br />
nach dem Ende einer Legislaturperiode kam.<br />
Unabhängig davon erfreut sich die Große Koalition<br />
nur einer sehr begrenzten Popularität. Schon<br />
der bloße Abschluss einer solchen Verbindung<br />
reizt einen Teil der Wissenschaft beträchtlich.<br />
Als „demokratischer Sündenfall“ (Kielmansegg<br />
2002) gilt es, wenn sich die beiden Hauptkonkurrenten<br />
des politischen Systems miteinander<br />
verbinden. Es wird gar ein „Widerspruch zum<br />
parlamentarischen System“ ausgemacht (Renzsch/<br />
Schieren 1997: 403), weil die Regierung nicht<br />
mehr vollständig abgewählt werden kann. Allein<br />
zur Auflösung institutioneller Verflechtungen<br />
auf Bundesebene erscheint die Große Koalition<br />
temporär erstrebenswert (Walter 2004: 84ff).<br />
Diese mangelnde Popularität in der Wissenschaft<br />
wird von den betreffenden Parteien geteilt. Die<br />
Spitzen wie die Anhänger von Union und SPD<br />
verspüren eine grundsätzliche Abneigung dagegen.<br />
Die bisherigen Bündnisse gelangten deswegen<br />
oftmals nur ins Amt nach vorherigen zähen<br />
und konfliktreichen innerparteilichen Debatten,<br />
denen sich vor allem die SPD-Führung ausgesetzt<br />
sah (Eith 2010: 121).