Aufsätze - PRuF
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<strong>Aufsätze</strong> Stephan Klecha – Minderheitsregierungen und Wahlerfolge MIP 2011 17. Jhrg.<br />
ment hervor, dem sie hernach gegenüber verantwortlich<br />
bleibt (Hennis 1999: 246). Diese Bindung<br />
an das parlamentarische Vertrauen wird<br />
durch Abstimmung festgestellt. Die damit häufig<br />
verbundene Wahl der Regierung und vor allem<br />
ihre mögliche Abwahl durch selbiges gelten deswegen<br />
als die wichtigsten Rechte des Parlaments.<br />
Daraus folgt fast notwendigerweise das Erfordernis<br />
für Regierungen, eine mehrheitliche Unterstützung<br />
im Parlament zu erlangen. Sie müssen<br />
sich in irgendeiner Form auf eine entsprechende<br />
Mehrheit stützen (positiver Parlamentarismus)<br />
oder wenigstens verhindern, dass sich<br />
eine Mehrheit gegen sie bildet (negativer Parlamentarismus).<br />
Beides ist in jedem Falle gegeben,<br />
wenn die Regierung eine absolute Mandatsmehrheit<br />
im Parlament hinter sich weiß. Vor allem im<br />
positiven Parlamentarismus, wie er den Verfassungen<br />
des Bundes und der Länder in Deutschland<br />
zugrunde liegt, ist die einfache oder teilweise<br />
auch die absolute Mehrheitsfähigkeit bei der<br />
Investitur einer Regierung sogar zwingende Voraussetzung.<br />
Das parlamentarische Regierungssystem ist insoweit<br />
grundlegend auf die Mehrheitsfähigkeit einer<br />
Regierung angelegt. Allerdings bringt es das<br />
Verhältniswahlrecht regelmäßig mit sich, dass<br />
das Parteiensystem fragmentiert ist. Dieses führt<br />
dann dazu, dass eine einzelne Partei nur selten<br />
über eine Mehrheit im Parlament verfügt, was<br />
Koalitionen zur Mehrheitsbildung unausweichlich<br />
macht. Die Parteien, die ansonsten um Wählerstimmen,<br />
Einflüsse und Machtressourcen<br />
wetteifern, müssen dafür ihre Konkurrenz zueinander<br />
„transformieren“ (Decker 2009a: 74f).<br />
Wenn sie dazu nicht bereit sind oder ihnen dieses<br />
misslingt, sind parlamentarische Mehrheiten<br />
aber kurzzeitig oder dauerhaft nicht herstellbar.<br />
Für diese Situation bedarf es einiger Vorkehrungen,<br />
um zu verhindern, dass ein regierungsloser<br />
Zustand eintritt. Das moderne Staatswesen kann<br />
generell nicht ohne eine Regierung auskommen.<br />
Um dem gerecht zu werden, müssen parlamentarische<br />
Regierungssysteme sich dann im Grunde<br />
genommen systemwidrig verhalten und auf das<br />
ihnen inhärente Mehrheitserfordernis verzichten.<br />
30<br />
Zwei Wege können dazu grundsätzlich beschritten<br />
werden. Erstens kann einer amtierenden Regierung<br />
die Pflicht auferlegt werden, vorerst im<br />
Amt zu bleiben. Sie stützt ihre Legitimation<br />
dann auf eine frühere Investitur, die sie unter den<br />
aktuellen Bedingungen nicht (mehr) erreichen<br />
würde. Sie kann dennoch weiter amtieren, solange<br />
das Parlament nicht in der Lage ist, eine andere<br />
mehrheitsfähige Regierung ins Amt zu wählen.<br />
Das Parlament suspendiert die Mehrheitsregel<br />
auf Zeit beziehungsweise es muss auf einen<br />
destruktiven Sturz einer Regierung verzichten.<br />
Wie lange dieser Zustand währen soll, kann unterschiedlich<br />
ausgestaltet sein. Einer unbegrenzten<br />
Dauer stehen in einigen Verfassungen strenge<br />
zeitliche Fristen gegenüber, deren Überschreiten<br />
entweder Neuwahlen des Parlaments nach<br />
sich zieht oder ein vereinfachtes Verfahren der<br />
Regierungsbildung zulässt (Reutter 2008: 208ff).<br />
Solche vereinfachten Verfahren stellen die zweite<br />
Option dar, das Mehrheitsprinzip zu relativieren.<br />
Dazu kann das Parlament eine Regierung<br />
ins Amt wählen, die zwar nicht von einer absoluten<br />
Mehrheit unterstützt wird, die aber eine<br />
hinreichend große Minderheit hinter sich versammelt<br />
und dadurch eine einfache oder relative<br />
Mehrheit aufbringen kann. Das Parlament wahrt<br />
sodann seine Kompetenz, die Regierung zu wählen,<br />
suspendiert oder modifiziert gleichzeitig<br />
aber seine Mehrheitsregeln bis es in der Lage ist,<br />
wieder eine Mehrheitsregierung zu wählen.<br />
Minderheitsregierungen sind also als zulässige<br />
Ausnahme im mehrheitsfixierten parlamentarischen<br />
System konzipiert. Sie werden aber nicht<br />
zuletzt wegen der fortbestehenden und nur temporär<br />
suspendierten Mehrheitsfixierung als<br />
„Übergangskonstellationen“ eingestuft (Korte/<br />
Florack/Grunden 2006: 104). Es gibt freilich einige<br />
parlamentarische Regierungssysteme, in denen<br />
sie häufig anzutreffen sind. In Europa verfügt<br />
immerhin jedes dritte Regierungskabinett<br />
über keine parlamentarische Mehrheit (Kropp/<br />
Schüttemeyer/Sturm 2002; v. Beyme 1999: 476f;<br />
Müller/Ström 2000: 561). Manche Regierungen<br />
sind freilich nur der äußeren Form nach Minderheitsregierungen,<br />
weil einzelne Parteien zwar<br />
nicht in der Regierung über Posten vertreten<br />
sind, wohl aber das Regierungsprogramm über-