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Aufsätze - PRuF

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Rezensionen MIP 2011 17. Jhrg.<br />

Hans Meyer: Die Zukunft des Bundestagswahlrechts.<br />

Zwischen Unverstand, obiter dicta,<br />

Interessenkalkül und Verfassungsverstoß,<br />

Nomos, Baden-Baden 2009, 114 S., ISBN 978-<br />

3-832-96144-2, 32 €.<br />

Allein der Untertitel der kurzen Monographie<br />

von Meyer lässt auf erfrischend-kritische und anregende<br />

Lektüre zu einer umstrittenen Thematik<br />

des Verfassungsrechts hoffen – auch angesichts<br />

früherer pointierter Beiträge Meyers zu Reformproblemen<br />

im Verfassungsrecht, zuletzt der Föderalismusreform.<br />

Der hoffende Leser wird nicht<br />

enttäuscht; der polemisch-kräftige Schreibstil<br />

des Autors mag allerdings auch den einen oder<br />

anderen stören – der scharfsinnigen Fokussierung<br />

des Themas tut dies keinen Abbruch.<br />

In seiner Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit<br />

des negativen Stimmgewichts (BVerfGE<br />

121, 266) hatte das Bundesverfassungsgericht<br />

den durch §§ 7 III; 6 IV, V 2 BWahlG ausgelösten<br />

Effekt beanstandet, dass durch eine Reduzierung<br />

von Zweitstimmen für eine Landesliste in<br />

einem bestimmten Bundesland in diesem Land<br />

Überhangmandate entstehen können, die letztlich<br />

nicht ausgeglichen werden. Dieser Effekt ist<br />

derzeit systemimmanent. Die Bundestagswahl<br />

wurde noch nach diesen Regeln durchgeführt.<br />

Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, das Wahlrecht<br />

bis Juni 2011 anzupassen.<br />

Meyer beleuchtet den aktuellen Schwebezustand<br />

im Licht der Entwicklung des Bundestagswahlrechts<br />

(S. 36 ff., 66 ff.). Zutreffender Ansatzpunkt<br />

ist die Eliminierung des negativen Stimmgewichts<br />

(S. 68), die mit sogenannten „internen<br />

Überhangmandaten“, also Verschiebungen zwischen<br />

den Landeslisten ein und derselben Partei,<br />

zusammenhängen. Sie werden bei der Oberverteilung<br />

gemäß §§ 7 III 2, 6 IV, V BWahlG nicht<br />

abgezogen, so dass die Möglichkeit besteht, dass<br />

mit sinkendem Gesamtanteil der Zweitstimmen<br />

die Überhangmandate zunehmen. Zutreffend<br />

geht Meyer davon aus, dass es zwei Alternativen<br />

gibt: die von ihm sowie in konzeptionellen Vorarbeiten<br />

von Bündnis 90/Die Grünen entworfene<br />

Eliminierung der Überhangmandate oder die<br />

Aufspaltung der Landeslisten ohne länderübergreifende<br />

Oberverteilung. Der zweite Weg ist<br />

192<br />

die von der CDU/CSU favorisierte Lösung als<br />

strukturell von Überhangmandaten begünstigte<br />

Fraktion.<br />

Letzteres Modell, das zur Bundestagswahl 1953<br />

angewandt wurde, hätte Schwächen: die Aufspaltung<br />

des Wahlvolks entgegen Art. 38 GG<br />

(„Vertreter des ganzen Volkes“) und des unitarischen<br />

Charakters des Bundestages und die notwendige<br />

Zuweisung von Sitzkontingenten an die<br />

Länder ohne Rücksicht auf die jeweilige Wahlbeteiligung<br />

und absolute Stimmenzahl (S. 70 f.).<br />

Problematisch ist ferner die Ausgestaltung der<br />

Sperrklausel – ohne bundesweit verbundene Listen<br />

fehlt ihr ein rechtlicher Bezugspunkt; reine<br />

Landessperrklauseln verfehlen den Zweck der<br />

Verhinderung einer Zersplitterung des Parlaments.<br />

Taktische Effekte liefen Gefahr, Wahlergebnisse<br />

zu verzerren: Die Länder würden zu<br />

„Laboren“ des Stimmensplittings: Erststimmenwähler<br />

der CDU in Baden-Württemberg könnten<br />

der FDP ihre nutzlosen Zweitstimmen „schenken“<br />

und so das Gesamtergebnis verzerren<br />

(„doppeltes Stimmgewicht“, S. 71 f., 76 ff.).<br />

Meyer ist zu folgen, wenn er bei den Überhangmandaten<br />

als Grundproblem der Wahlrechtsgleichheit<br />

ansetzt (S. 75). Angesichts der Flexibilisierung<br />

und Ausweitung des Parteienspektrums<br />

auf nunmehr fünf, nicht scharf zwischen<br />

„klein“ und „groß“ zu unterscheidenden Parteien,<br />

erscheint das Sondervotum in BVerfGE 95,<br />

335, 367 (375 f.) in neuem Licht (S. 78 f.). Mit<br />

dem Vorschlag der CDU/CSU wäre zu erwarten,<br />

dass externe Überhangmandate entstünden – jedes<br />

Bundesland, in dem der Zweitstimmenanteil<br />

einer in den Wahlkreisen verankerten Partei absinkt,<br />

würde unausgeglichene Überhangmandate<br />

provozieren (S. 82 f.).<br />

Meyers Lösung (S. 95) ist angesichts vorhandener<br />

Vorarbeiten zur Behebung des negativen<br />

Stimmgewichts und eine Ausgleichsmandatsregelung<br />

(kritisch S. 90 ff.) nicht zwingend: er argumentiert<br />

für ein Einstimmenwahlsystem mit<br />

beachtlichen Argumenten. Der zusammenfassende<br />

Entwurf der Reform des BWahlG (S. 112 ff.)<br />

bündelt diese Gedankenführung und bereichert<br />

ohne Zweifel die verfassungspolitische Diskussion.<br />

Der Entwurf strafft die redaktionell fraglichen<br />

§§ 6, 7 BWahlG auch sprachlich (S. 113).

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