Aufsätze - PRuF

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08.01.2013 Aufrufe

Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung MIP 2011 17. Jhrg. mit 9 von 16 Stimmen angemessen wiedergegeben werde. Abgestellt wird also auf das Gegenüber von Regierungskoalition und Opposition; dabei wird auf das parlamentarische Regierungssystem rekurriert. Beachtlich sind die Sondervoten: eines will den Grundsatz des Gegenübers von Regierung und Opposition (Art. 16a BV) gestärkt sehen und nur noch hierauf bei der Sitzzuteilung abstellen, das andere Sondervotum stellt hingegen auf die Kräfteverhältnisse nach Fraktionen ab und hält daher die vorgenommene Ausschussbesetzung für verfassungswidrig. Die Argumente hierfür sind beachtlich; insbesondere können sie sich auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Problematik „Spiegelbildlichkeit“ stützen. Ob sie an der Besonderheit des Art. 16a BV vorbeikommen, erscheint dennoch fraglich, weil zweifelhaft ist, ob Art. 38 GG über das Homogenitätsgebot in Art. 28 GG zwingend voraussetzt, dass die Spiegelbildlichkeit der Ausschussmandate ohne Rücksicht auf aktuelle Mehrheitsverhältnisse im Parlament erreicht wird. Zu folgen ist der die Entscheidung tragenden Auffassung: der Landtag hat, bei Veränderung politischer Konstellationen oder Lockerung der Koalition (getrenntes Stimmverhalten) über ungerade Ausschusssitze zu entscheiden. Der VerfGH Berlin75 entschied über das Recht des Abgeordneten, gemäß Art. 45 II BerlVerf Akten der Verwaltung – nicht: der Regierung – einzusehen und konkretisierte diese relativ neue Ausprägung des Abgeordnetenstatus der Öffentlichkeit. Im Zuge der Privatisierung der landeseigenen Berliner Wasserbetriebe verlangte ein Abgeordneter Akteneinsicht bei den Senatsverwaltungen für Finanzen sowie für Wirtschaft und Technologie. Gewährt wurde ihm die Akteneinsicht nur teilweise, mit Blick auf Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Investoren und Dritter. Der VerfGH Berlin verpflichtete unter Berufung auf Art. 45 II BerlVerf die Senatsverwaltungen zu umfassendem Zugang zu den Akten. Geheimhaltungsinteressen seien nicht pauschal, sondern detailliert und einzelfallbezogen zu begründen; als Ausnahmen seien sie eng zu handhaben. – Die hier erkennbare Stärkung der 75 Urteil vom 14.07.2010 – Az. 57/08, in: DVBl. 2010, 966 ff. 180 Abgeordnetenrechte ist, wegen der Spezifika des Art. 45 II BerlVerf, nicht unmittelbar auf den Status des Abgeordneten gemäß Art. 38 I GG zu übertragen. Allerdings zeigt die Entscheidung, wie bedeutend Informations- und Auskunftsrechte des Abgeordneten im Umfeld politisch sensibler Entscheidungen geworden sind und dass gerade die entscheidenden Informationen Gefahr laufen, mit einem Geheimhaltungsinteresse versehen zu werden. Sofern Akteneinsicht nicht schon gemäß IFG möglich ist, ist zu überlegen, ob ein entsprechendes Ersuchen im Lichte des Art. 38 I GG zu behandeln ist und, sofern es jedenfalls substantiiert und nicht mit klassischen Auskunftsrechten verfolgbar ist, nicht aus dem Abgeordnetenstatus der Öffentlichkeit selbst folgen könnte. Über das klassische Fragerecht, nach dem der Abgeordnete auf die Bereitstellung von Informationen aus der Verwaltung durch die Regierung angewiesen ist, geht ein solches inquisitorisches Recht, welches nach Bundesverfassungsrecht allein dem Untersuchungsausschuss zukommt, sicherlich weit hinaus; zu bedenken sind auch Gesichtspunkte der Gewaltenteilung. Allerdings liegt im Berliner Modell ein bedenkenswerter Ansatz, der auch in anderen, ostdeutschen Nachwendeverfassungen verfolgt wird. Der VerfGH Sachsen76 hat sich mit der Reichweite des Fragerechts des Abgeordneten auseinandergesetzt. Hintergrund waren Fragen an den Ministerpräsidenten, Stanislaw Tillich, zu Details seines privaten Lebenslaufs vor dem Zusammenbruch der DDR 1989. Abzuwägen war hier das Fragerecht des Abgeordneten mit den Persönlichkeitsrechten des Ministerpräsidenten. Der VerfGH kommt zu dem Ergebnis, dass das Fragerecht zwar umfassend ist, jedoch seine Grenzen in der informationellen Selbstbestimmung des Ministerpräsidenten finden. Dieses private Grundrecht müsse mit dem Fragerecht abgewogen werden, und beiden müssen bestmöglich zur Geltung gebracht werden. Daher muss sich aus der Antwort ergeben, dass eine solche Abwägung vorgenommen wurde. Nicht zulässig ist hingegen die pauschale Ablehnung einer Antwort. Gleichwohl ist die Entscheidung 76 Urteil vom 20.04.2010 – Az. Vf. 54-I-09, veröffentlicht bei juris.

MIP 2011 17. Jhrg. Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung im Ergebnis aus Sicht des Abgeordneten eher dünn: er hat letztlich nur einen Anspruch auf abwägungsfehlerfreie Entscheidung, nicht hingegen auf eine umfassende Antwort. Hieran ist zu kritisieren, dass dies vor dem Hintergrund des öffentlichen Interesses an den Biographien von Regierungsmitgliedern in einem Unrechtsstaat und ihrem Status als öffentlicher Person eine schwache Entscheidung ist. Jedenfalls erhöht dieses öffentliche Interesse das in die Abwägung eingehende Interesse einer umfassenden und sachlich richtigen Antwort, welches zentraler Grundsatz des Abgeordnetenstatus ist. Der VGH Bayern77 entschied abschließend über einen Sonderfall des Spiegelbildlichkeitsprinzips bei der Ausschussbesetzung eines Kreistages. Die klagende SPD-Fraktion hatte durch einen Übertritt ein Mitglied hinzugewonnen, die Grünen-Fraktion hatte hingegen ein Mitglied verloren. Rechnerisch verschob sich dadurch die Mandatszuteilung für die Ausschussbesetzung. Im Anschluss an seine Rechtsprechung (BayVBl. 1993, 81; 2000, 661) hielt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Fraktionswechsel im vorliegenden Fall für eine Neuzuteilung der Ausschussmandate für unbeachtlich. Es hätte einer Abkehr von bisherigen wesentlichen Positionen und Wählergruppen und eine Hinwendung zu neuen Positionen und Milieus bedurft. Der Kreisrat war allerdings weiterhin Grünen-Mitglied und trat – trotz Beitritts zur SPD-Fraktion – nicht in die SPD ein. Erwiesen war, dass hier eine taktische Ausschussgemeinschaft gebildet werden sollte, um die die Zahl der Ausschussmandate für SPD und Grüne insgesamt zu erhöhen. Die Entscheidung ist nicht völlig unbedenklich. Politisch-taktische Erwägungen sind grundsätzlich nicht der Überprüfung durch die Gerichte anheim gestellt (so Sondervotum Lübbe-Wolff, BVerfGE 114, 121, 182 ff.). Dies gilt umso mehr, da gemäß Art. 27 II 5 BayLKrO Zusammenschlüsse von Kreisräten zulässig sind und der Wortlaut dieser Norm keine Einschränkungen vorsieht, die aber der BayVGH dahingehend einschränkend auslegt, dass sich nur Fraktionslose zu Zählgemeinschaften zusammen- 77 Beschluss vom 28.09.2009 – Az. 4 ZB 09.858, in: BayVBl. 2010, 248 f. schließen können (BayVBl. 2004, 432). Vor diesem Hintergrund ist die Einschränkung jedoch verständlich: große Fraktionen sollen nicht durch Zählgemeinschaften in den Ausschüssen erdrückende Mehrheiten gegen kleinere erzeugen. Dieses telos hätte hier zur Nachvollziehbarkeit der Entscheidung durch Verweis auf Art. 38 I, 28 I 1 GG betont werden können. Das OVG Koblenz78 entschied über die Beteiligungsfähigkeit einer Stadtratsfraktion im Verwaltungsprozess, die auf Grund der Neuwahl des Stadtrates zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht mehr im Rat vertreten war. In der Berufung rügte sie, dass das Verwaltungsgericht die Beteiligungsfähigkeit wegen des Grundsatzes der Diskontinuität verneint und ihre Klage gegen einen Beschluss des Rates kurz vor Ablauf der Wahlperiode als unzulässig abgewiesen hatte. Die Entscheidung ist problematisch. Ein formales Verständnis der Diskontinuität müsste dazu führen, dass alle Fraktionen ihre Beteiligungsfähigkeit im Verwaltungsprozess verlören – auch diejenigen, die in die Vertretungskörperschaft zurückgewählt werden. Die Entscheidung läuft ferner auf eine Rechtsschutzverweigerung für solche Fraktionen hinaus, die zwar im Kommunalverfassungsstreit möglicherweise begründete Anträge stellen, aber nicht mehr in die Vertretungskörperschaft zurückgewählt werden. Ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Statusrechtsverletzung – nämlich innerhalb der besagten Wahlperiode – würde dem demokratiesensiblen Charakter des Kommunalverfassungsstreits gerechter, nicht zuletzt in Hinblick auf BVerfGE 4, 144. Das VG Bremen 79 entschied über die Problematik der Fraktionsmindestgrößen in kommunalen Vertretungskörperschaften. Von dem Fraktionsstatus hängt unter anderem der Zugang zu öffentlichen Mitteln und Räumlichkeiten ab. In der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bremerhaven sind seit der Wahl 2007 bei 48 Stadtverordneten mit je drei Mandaten „Die Linke“, 78 Beschluss vom 04.02.2010 – Az. 2 A 11246/09, in: NvwZ-RR 2010, 448 (Leitsatz), in: AS RP-SL 38, 297 ff. (Leitsatz und Gründe). 79 Urteil vom 05.03.2010 – Az. 1 K 1937/07, veröffentlicht bei juris. 181

Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung MIP 2011 17. Jhrg.<br />

mit 9 von 16 Stimmen angemessen wiedergegeben<br />

werde. Abgestellt wird also auf das Gegenüber<br />

von Regierungskoalition und Opposition;<br />

dabei wird auf das parlamentarische Regierungssystem<br />

rekurriert. Beachtlich sind die Sondervoten:<br />

eines will den Grundsatz des Gegenübers<br />

von Regierung und Opposition (Art. 16a BV) gestärkt<br />

sehen und nur noch hierauf bei der Sitzzuteilung<br />

abstellen, das andere Sondervotum stellt<br />

hingegen auf die Kräfteverhältnisse nach Fraktionen<br />

ab und hält daher die vorgenommene<br />

Ausschussbesetzung für verfassungswidrig. Die<br />

Argumente hierfür sind beachtlich; insbesondere<br />

können sie sich auf die Rechtsprechung des<br />

BVerfG zur Problematik „Spiegelbildlichkeit“<br />

stützen. Ob sie an der Besonderheit des Art. 16a<br />

BV vorbeikommen, erscheint dennoch fraglich,<br />

weil zweifelhaft ist, ob Art. 38 GG über das Homogenitätsgebot<br />

in Art. 28 GG zwingend voraussetzt,<br />

dass die Spiegelbildlichkeit der Ausschussmandate<br />

ohne Rücksicht auf aktuelle<br />

Mehrheitsverhältnisse im Parlament erreicht<br />

wird. Zu folgen ist der die Entscheidung tragenden<br />

Auffassung: der Landtag hat, bei Veränderung<br />

politischer Konstellationen oder Lockerung<br />

der Koalition (getrenntes Stimmverhalten) über<br />

ungerade Ausschusssitze zu entscheiden.<br />

Der VerfGH Berlin75 entschied über das Recht<br />

des Abgeordneten, gemäß Art. 45 II BerlVerf<br />

Akten der Verwaltung – nicht: der Regierung –<br />

einzusehen und konkretisierte diese relativ neue<br />

Ausprägung des Abgeordnetenstatus der Öffentlichkeit.<br />

Im Zuge der Privatisierung der landeseigenen<br />

Berliner Wasserbetriebe verlangte ein Abgeordneter<br />

Akteneinsicht bei den Senatsverwaltungen<br />

für Finanzen sowie für Wirtschaft und<br />

Technologie. Gewährt wurde ihm die Akteneinsicht<br />

nur teilweise, mit Blick auf Geheimhaltungsinteressen<br />

der betroffenen Investoren und<br />

Dritter. Der VerfGH Berlin verpflichtete unter<br />

Berufung auf Art. 45 II BerlVerf die Senatsverwaltungen<br />

zu umfassendem Zugang zu den Akten.<br />

Geheimhaltungsinteressen seien nicht pauschal,<br />

sondern detailliert und einzelfallbezogen<br />

zu begründen; als Ausnahmen seien sie eng zu<br />

handhaben. – Die hier erkennbare Stärkung der<br />

75 Urteil vom 14.07.2010 – Az. 57/08, in: DVBl. 2010,<br />

966 ff.<br />

180<br />

Abgeordnetenrechte ist, wegen der Spezifika des<br />

Art. 45 II BerlVerf, nicht unmittelbar auf den<br />

Status des Abgeordneten gemäß Art. 38 I GG zu<br />

übertragen. Allerdings zeigt die Entscheidung,<br />

wie bedeutend Informations- und Auskunftsrechte<br />

des Abgeordneten im Umfeld politisch sensibler<br />

Entscheidungen geworden sind und dass gerade<br />

die entscheidenden Informationen Gefahr<br />

laufen, mit einem Geheimhaltungsinteresse versehen<br />

zu werden. Sofern Akteneinsicht nicht<br />

schon gemäß IFG möglich ist, ist zu überlegen,<br />

ob ein entsprechendes Ersuchen im Lichte des<br />

Art. 38 I GG zu behandeln ist und, sofern es jedenfalls<br />

substantiiert und nicht mit klassischen<br />

Auskunftsrechten verfolgbar ist, nicht aus dem<br />

Abgeordnetenstatus der Öffentlichkeit selbst folgen<br />

könnte. Über das klassische Fragerecht, nach<br />

dem der Abgeordnete auf die Bereitstellung von<br />

Informationen aus der Verwaltung durch die Regierung<br />

angewiesen ist, geht ein solches inquisitorisches<br />

Recht, welches nach Bundesverfassungsrecht<br />

allein dem Untersuchungsausschuss<br />

zukommt, sicherlich weit hinaus; zu bedenken<br />

sind auch Gesichtspunkte der Gewaltenteilung.<br />

Allerdings liegt im Berliner Modell ein bedenkenswerter<br />

Ansatz, der auch in anderen, ostdeutschen<br />

Nachwendeverfassungen verfolgt wird.<br />

Der VerfGH Sachsen76 hat sich mit der Reichweite<br />

des Fragerechts des Abgeordneten auseinandergesetzt.<br />

Hintergrund waren Fragen an den<br />

Ministerpräsidenten, Stanislaw Tillich, zu Details<br />

seines privaten Lebenslaufs vor dem Zusammenbruch<br />

der DDR 1989. Abzuwägen war<br />

hier das Fragerecht des Abgeordneten mit den<br />

Persönlichkeitsrechten des Ministerpräsidenten.<br />

Der VerfGH kommt zu dem Ergebnis, dass das<br />

Fragerecht zwar umfassend ist, jedoch seine<br />

Grenzen in der informationellen Selbstbestimmung<br />

des Ministerpräsidenten finden. Dieses<br />

private Grundrecht müsse mit dem Fragerecht<br />

abgewogen werden, und beiden müssen bestmöglich<br />

zur Geltung gebracht werden. Daher<br />

muss sich aus der Antwort ergeben, dass eine<br />

solche Abwägung vorgenommen wurde. Nicht<br />

zulässig ist hingegen die pauschale Ablehnung<br />

einer Antwort. Gleichwohl ist die Entscheidung<br />

76 Urteil vom 20.04.2010 – Az. Vf. 54-I-09, veröffentlicht<br />

bei juris.

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