Aufsätze - PRuF

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08.01.2013 Aufrufe

Aufgespießt Sebastian Roßner – Überraschende Wirkungen des Wahlrechts MIP 2011 17. Jhrg. chen Mandatsverschaffungsmacht. Anders formuliert: Alle gültigen Stimmen sollen den gleichen Einfluß auf die Zusammensetzung des Parlaments haben9 . Dies ist – wie gezeigt – unter Geltung einer Sperrklausel nicht der Fall. Die Parteiengleichheit nach Art. 21 I GG formuliert den Grundsatz gleicher Wettbewerbschancen der politischen Parteien. Sie soll ebenfalls strikt und formal zu verstehen sein10 . Wie gezeigt markiert der Einzug ins Parlament eine wichtige Schwelle des Erfolges politischer Parteien. Der Blick auf die Parteien erweitert dabei die Perspektive gegenüber der Wahlrechtsgleichheit: Neben der Verzerrung des wichtigen, aber zeitlich punktuellen Wahlereignisses geht es hier um die langfristige Beeinflussung der Wettbewerbschancen von Organisationen, die kontinuierlich die politische Willensbildung des Volkes beeinflussen wollen und sollen. Hinzu tritt als weiterer Maßstab die Freiheit der Wahl, die wiederum durch Art. 38 I 1 GG geschützt ist. Diese soll inhaltlich die Stimmabgabe vor Zwang oder sonstiger unzulässiger Beeinträchtigung bewahren11 . Faßt man die Freiheit der Wahl als Optimierungsgebot auf in Richtung einer möglichst präferenztreue Wahlentscheidungen unterstützenden wahlrechtlichen Regelung, dann ist die Freiheit der Wahl durch die oben geschilderte psychische Wirkung beeinträchtigt, die den Anhänger einer kleinen, von einer Sperrklausel bedrohten Partei tendentiell davon abhält, gemäß seiner eigentlichen politischen Präferenz zu wählen. Zu einer Rechtfertigung von Sperrklauseln Die Wahlrechtsgrundsätze wie die Parteiengleichheit sind vorbehaltlos gewährt. Die Rechtfertigung einer Einschränkung kann also nur durch Kollision mit anderem Verfassungsrecht geschehen. Es ist dann „praktische Konkordanz“ 12 9 Vgl. Morlok, M.: in: Dreier GG, Art. 38 (2006) Rn. 94 ff. m.w.N. 10 BVerfGE 24, 300 (340 f.); 44, 125 (146) ; 85, 264 (297). 11 So etwa BVerfGE 95, 335 (350). 12 Hesse, K.: Verfassungsrecht (1995) Rn. 72. Zur Einschränkung der Wahlrechtsgrundsätze BVerfGE 95, 162 herzustellen, um beiden Positionen zur möglichsten Entfaltung zu verhelfen. Der Gesetzgeber hat somit keine freie Auswahl unter den denkbaren Zwecken einer Einschränkung, sondern ist an die vom Grundgesetz genannten Zwecke gebunden. Insoweit liegt keine Besonderheit vor. Bezüglich wahlrechtlicher Entscheidungen des Gesetzgebers betont das Bundesverfassungsgericht seit einiger Zeit aber auch eine gesteigerte Pflicht des Gesetzgebers, die Prognosen, auf denen seine Ausgestaltung des Wahlrechts beruht, zu überprüfen und gegebenenfalls das Wahlrecht anzupassen13 . Damit etabliert das Gericht für den Gesetzgeber die bemerkenswerte Pflicht, stets aufs Neue eine Realanalyse durchzuführen und bezieht sich dabei auf die herkömmlicherweise zur Rechtfertigung von Sperrklauseln angeführte zentrale Figur der Verhinderung einer Zersplitterung des Parlaments und der damit bewirkten Sicherung seiner Arbeitsfähigkeit. Anders formuliert: Die errichteten Überprüfungspflichten beziehen sich auf die Aspekte der Geeignetheit und Erforderlichkeit von Sperrklauseln14 . Sie lassen aber die Gegengründe einer Sperrklausel empirisch unscharf, die innerhalb des etablierten Prüfungsschemas für Eingriffe in Grundrechte (oder – wie hier – in grundrechtsgleiche Rechte) in der Prüfung der Angemessenheit einer Maßnahme verarbeitet würden. Die Rechtfertigung eines Eingriffes in die Wahlrechtsgrundsätze (wie auch in die Parteiengleichheit) muß aber auch die eingangs skizzierten faktischen Auswirkungen von Sperrklauseln mit ihrem tatsächlichen Gewicht zu berücksichtigen versuchen, um zu einer vollständigen Abwägung zu gelangen. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Realanalyse des Gesetzgebers ist daher entsprechend auszudehnen. 335 (403). 13 So zuletzt 2 BvK 1/07 Abs. 108 ff., Urteil vom 13. Februar 2008; ebenso bereits BVerfGE 107, 286 (292 f.). 14 Ausdrücklich 2 BvK 1/07 Abs. 110, Urteil vom 13. Februar 2008.

MIP 2011 17. Jhrg. Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung 1. Grundlagen zum Parteienrecht Das BAG1 trat der Auffassung des LAG Schleswig-Holstein2 entgegen, wonach der Aufruf des Betriebsrates zur Teilnahme an einem konkreten Volksentscheid eine nach dem Betriebsverfassungsgesetz unzulässige parteipolitische Betätigung sei. Mit einem bloßen Aufruf zur Teilnahme an bevorstehenden Wahlen und Abstimmungen trete der Betriebsrat weder für noch gegen eine politische Partei ein. Des Weiteren gab das BAG in diesem Zusammenhang seine bisherige Rechtsprechung zum Umgang mit dem Verstoß eines Betriebsrates gegen das Verbot der parteipolitischen Betätigung auf. Dem Arbeitgeber stehe kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Unterlassung der parteipolitischen Tätigkeit gegen den Betriebsrat mehr zu, sondern nur noch ein Feststellungsanspruch gefolgt von dem Recht, den Betriebsrat aufzulösen. Dies ergebe sich aus Wortlaut und Systematik der §§ 23 und 74 BetrVG, sowie aus dem Umstand, dass der Betriebsrat vermögenslos ist und ein Unterlassungsanspruch mangels Möglichkeit der Androhung und Festsetzung von Zwangsgeld daher nicht vollstreckbar wäre. Das BVerwG3 entschied aufgrund der Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz4 , nach denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür gegeben waren, dass Teile der Partei „Die Linke“ verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgten, über die Beobachtung eines Parteimitgliedes durch den Verfassungsschutz aufgrund öffentlich zugänglicher Quellen. Abweichend von der Vorinstanz stellte des BVerwG klar, dass auch die Beobachtung mittels allgemein zugänglicher Quellen einer Er- 1 Beschluss vom 17.03.2010 – 7 ABR 95/08, in: NJW 2010, 3322 ff. 2 Beschluss vom 30.09.2008 – 2 TaBV 25/08; siehe auch MIP 2008/2009, 15. Jhg., S. 91. 3 Urteil vom 21.07.2010 – 6 C 22/09, in: DVBl. 2010, 1370 ff. 4 OVG Münster, Urteil vom 13.02.2009 – 16 A 845/08, in: DVBl. 2009, 922ff. mächtigungsgrundlage bedürfe, da durch das systematische Sammeln und Auswerten dieser Informationen ein zusätzlicher Aussagewert entstehe. Eine solche Ermächtigungsgrundlage finde sich in § 8 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Anhaltspunkte dafür, dass einzelne Teile der Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, rechtfertige die Beobachtung der Gesamtpartei. Gerade die innere Zerrissenheit einer Partei und Flügelkämpfe machten eine Überwachung erforderlich, um feststellen zu können, in welche Richtung sich die Partei letztlich bewege. In diesem Zusammenhang sei auch die Beobachtung von Personen zulässig, die nicht der verfassungsfeindlichen Gruppe der Partei angehören, da es ausreiche, wenn diese die verfassungsfeindlichen Ziele auch nur unbewusst durch das Fördern der Gesamtpartei unterstützen. Das BVerwG trat der Auffassung der Vorinstanz entgegen, dass eine solche Beobachtung das freie Mandat verletze. Die Vorschriften des Bundesverfassungsschutzgesetzes seien vielmehr eine zulässige Beschränkung des freien Mandates und des Parteienprivilegs. Auch sei durch die Beobachtung mittels lediglich öffentlich zugänglicher Quellen und ohne heimliche Überwachung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt und die Überwachung rechtmäßig. Demgegenüber hatte sich das VG Saarlouis5 mit der Feststellungsklage eines Mitgliedes der Partei „Die Linke“ zu beschäftigen, über welches lediglich im Zuge der Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz Daten erhoben wurden. Es wies die Klage als unzulässig ab. Die Erhebung der personenbezogenen Daten vermöge nicht ein feststellungsbedürftiges Rechtsverhältnis zwischen dem Parteimitglied und dem Verfassungsschutz zu begründen, da hier in erster Linie die Partei beobachtet wurde und die Daten über die Mitglieder nur als Reflex gesammelt würden. Eine Partei könne nicht beobachtet werden, ohne dass ihre Mitglieder ebenfalls erfasst werden. Aus demselben Grund habe das Parteimitglied auch kein qualifiziertes Interesse in Form eines Rehabilitierungsinteresses an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Überwa- 5 Urteil vom 08.07.2010 – 6 K 214/08, online veröffentlicht bei BeckRS 2010, 51175. 163

MIP 2011 17. Jhrg. Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung<br />

Parteienrecht im Spiegel der<br />

Rechtsprechung<br />

1. Grundlagen zum Parteienrecht<br />

Das BAG1 trat der Auffassung des LAG Schleswig-Holstein2<br />

entgegen, wonach der Aufruf des<br />

Betriebsrates zur Teilnahme an einem konkreten<br />

Volksentscheid eine nach dem Betriebsverfassungsgesetz<br />

unzulässige parteipolitische Betätigung<br />

sei. Mit einem bloßen Aufruf zur Teilnahme<br />

an bevorstehenden Wahlen und Abstimmungen<br />

trete der Betriebsrat weder für noch gegen<br />

eine politische Partei ein. Des Weiteren gab das<br />

BAG in diesem Zusammenhang seine bisherige<br />

Rechtsprechung zum Umgang mit dem Verstoß<br />

eines Betriebsrates gegen das Verbot der parteipolitischen<br />

Betätigung auf. Dem Arbeitgeber stehe<br />

kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf<br />

Unterlassung der parteipolitischen Tätigkeit gegen<br />

den Betriebsrat mehr zu, sondern nur noch<br />

ein Feststellungsanspruch gefolgt von dem<br />

Recht, den Betriebsrat aufzulösen. Dies ergebe<br />

sich aus Wortlaut und Systematik der §§ 23 und<br />

74 BetrVG, sowie aus dem Umstand, dass der<br />

Betriebsrat vermögenslos ist und ein Unterlassungsanspruch<br />

mangels Möglichkeit der Androhung<br />

und Festsetzung von Zwangsgeld daher<br />

nicht vollstreckbar wäre.<br />

Das BVerwG3 entschied aufgrund der Tatsachenfeststellungen<br />

der Vorinstanz4 , nach denen<br />

tatsächliche Anhaltspunkte dafür gegeben waren,<br />

dass Teile der Partei „Die Linke“ verfassungsfeindliche<br />

Bestrebungen verfolgten, über die Beobachtung<br />

eines Parteimitgliedes durch den Verfassungsschutz<br />

aufgrund öffentlich zugänglicher<br />

Quellen. Abweichend von der Vorinstanz stellte<br />

des BVerwG klar, dass auch die Beobachtung<br />

mittels allgemein zugänglicher Quellen einer Er-<br />

1 Beschluss vom 17.03.2010 – 7 ABR 95/08, in: NJW<br />

2010, 3322 ff.<br />

2 Beschluss vom 30.09.2008 – 2 TaBV 25/08; siehe<br />

auch MIP 2008/2009, 15. Jhg., S. 91.<br />

3 Urteil vom 21.07.2010 – 6 C 22/09, in: DVBl. 2010,<br />

1370 ff.<br />

4 OVG Münster, Urteil vom 13.02.2009 – 16 A 845/08,<br />

in: DVBl. 2009, 922ff.<br />

mächtigungsgrundlage bedürfe, da durch das<br />

systematische Sammeln und Auswerten dieser<br />

Informationen ein zusätzlicher Aussagewert entstehe.<br />

Eine solche Ermächtigungsgrundlage finde<br />

sich in § 8 des Bundesverfassungsschutzgesetzes.<br />

Anhaltspunkte dafür, dass einzelne Teile<br />

der Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgen,<br />

rechtfertige die Beobachtung der Gesamtpartei.<br />

Gerade die innere Zerrissenheit einer Partei und<br />

Flügelkämpfe machten eine Überwachung erforderlich,<br />

um feststellen zu können, in welche<br />

Richtung sich die Partei letztlich bewege. In diesem<br />

Zusammenhang sei auch die Beobachtung<br />

von Personen zulässig, die nicht der verfassungsfeindlichen<br />

Gruppe der Partei angehören, da es<br />

ausreiche, wenn diese die verfassungsfeindlichen<br />

Ziele auch nur unbewusst durch das Fördern der<br />

Gesamtpartei unterstützen. Das BVerwG trat der<br />

Auffassung der Vorinstanz entgegen, dass eine<br />

solche Beobachtung das freie Mandat verletze.<br />

Die Vorschriften des Bundesverfassungsschutzgesetzes<br />

seien vielmehr eine zulässige Beschränkung<br />

des freien Mandates und des Parteienprivilegs.<br />

Auch sei durch die Beobachtung mittels lediglich<br />

öffentlich zugänglicher Quellen und ohne<br />

heimliche Überwachung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />

gewahrt und die Überwachung<br />

rechtmäßig.<br />

Demgegenüber hatte sich das VG Saarlouis5 mit<br />

der Feststellungsklage eines Mitgliedes der Partei<br />

„Die Linke“ zu beschäftigen, über welches lediglich<br />

im Zuge der Beobachtung der Partei<br />

durch den Verfassungsschutz Daten erhoben<br />

wurden. Es wies die Klage als unzulässig ab. Die<br />

Erhebung der personenbezogenen Daten vermöge<br />

nicht ein feststellungsbedürftiges Rechtsverhältnis<br />

zwischen dem Parteimitglied und dem<br />

Verfassungsschutz zu begründen, da hier in erster<br />

Linie die Partei beobachtet wurde und die<br />

Daten über die Mitglieder nur als Reflex gesammelt<br />

würden. Eine Partei könne nicht beobachtet<br />

werden, ohne dass ihre Mitglieder ebenfalls erfasst<br />

werden. Aus demselben Grund habe das<br />

Parteimitglied auch kein qualifiziertes Interesse<br />

in Form eines Rehabilitierungsinteresses an der<br />

Feststellung der Rechtswidrigkeit der Überwa-<br />

5 Urteil vom 08.07.2010 – 6 K 214/08, online veröffentlicht<br />

bei BeckRS 2010, 51175.<br />

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