Aufsätze - PRuF

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08.01.2013 Aufrufe

Aufgespießt Rati Bregadze – Manche postsowjetischen Besonderheiten der Parteimitgliedschaft MIP 2011 17. Jhrg. Manche postsowjetischen Besonderheiten der Parteimitgliedschaft Rati Bregadze, LL.M. 1 Einführung Die Schule, in der aus einem politisch interessierten Bürger ein Politiker ausgebildet wird, heißt Partei. Wird dort den Mitgliedern Demokratie beigebracht, dann könnte davon ausgegangen werden, dass im Falle der Machterlangung der praktizierte Führungsstil auch auf den Staat übertragen wird. Wenn eine politische Partei nach dem Führerprinzip organisiert ist und die Mitglieder eine untergeordnete Rolle spielen, dann sind auch bei der Staatsführung mit großer Wahrscheinlichkeit autoritäre Methoden zu erwarten. Nach deutschem Recht und in der politischen Realität sind solche Probleme nicht von großer Bedeutung, aber in postsowjetischen Transformationsstaaten, die sich die Annäherung an die EU zum Ziel gesetzt haben, sind mehrere merkwürdige und mit dem demokratischen Verständnis einer Partei unvereinbare Besonderheiten zu finden. Deren Darstellung und Analyse soll im Folgenden am Beispiel zweier Länder erfolgen: der Ukraine, in der nach der Wahl des neuen Präsidenten Janukovich das Ziel des Beitritts zur Nato nicht mehr auf der Tagesordnung steht, in der aber die europäische Integration weiterhin Priorität hat 2 , und Georgiens, das Mitglied sowohl der EU als auch der NATO werden will. Pflicht zur Abstimmung für Parteikandidaten und ihrer Unterstützung bei den Wahlen Eine merkwürdige und besonders bemerkenswerte Bestimmung, nach der die Mitglieder bei Wahlen für die Parteikandidaten abstimmen 1 Der Verfasser ist Doktorand an der Juristischen Fakultät der Universität Hamburg. 2 Wilfred Jilge, Zur außenpolitischen Orientierung des neuen ukrainischen Präsidenten und der Partei der Regionen, Ukraine Analysen Nr.70, 16.03.2010, S. 2 ff. 156 müssen, enthält die Satzung der ukrainischen Partei Batkivshina. 3 Allgemein kann davon ausgegangen werden, dass die Mitglieder bei den Wahlen der eigenen Partei ihre Stimme geben. Ob es aber eine Pflicht sein darf, ist eine andere Frage, die eher zu verneinen ist. Nach der erwähnten Regelung verstößt das Mitglied gegen die Satzung, wenn es eine andere politische Gruppierung wählt, was den Grund für einen Parteiausschluss liefert. Es stellt sich die Frage, wie ermittelt werden soll, ob ein Mitglied seiner Pflicht nachgekommen ist oder nicht. Eine Möglichkeit könnte z.B. darin bestehen, dass der Wähler in der Wahlkabine ein Foto von dem Wahlzettel, auf dem die betreffende Partei angekreuzt ist, aufnimmt und später als Nachweis bei den entsprechenden Organen vorlegt. Das wäre ein eindeutiger Verstoß gegen den Grundsatz der geheimen Wahl und ist daher unzulässig. Es ist zu betonen, dass solche Methoden bei den Wahlen in den Ländern der neuen postsowjetischen Demokratien dennoch existieren. Insbesondere dann, wenn die Wähler ihre Stimmen nach einer finanziellen Leistung der Partei abgeben. Dieses Vorgehen gehört zur Schattenseite der politischen Praxis und ist – hinsichtlich der Gewährleistung freier Wahlen – eindeutig zu verbieten. Die Verpflichtung des Parteimitglieds, bei Wahlen für die Kandidaten der eigenen Partei abzustimmen, ist auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der freien Wahl, denn trotz bestehenden Wahlgeheimnisses ist ein Parteimitglied als Wähler in seiner Entscheidungsfreiheit wegen dieser Verpflichtung beeinträchtigt. Nicht zu übersehen ist, dass nicht jedes Mitglied diese Wahlgrundsätze kennt, was aus Sicht der politischen Bildung der Bürger, die ebenfalls zu den Aufgaben der politischen Parteien gehört, miserabel ist. So eine Regelung ist ferner ein Beispiel dafür, welche gravierenden Probleme in der politischen Kultur bestehen, und zeigt die Erforderlichkeit der rechtlichen Regulierung. Es verdeutlicht auch, wie der kundgegebene politische Wille und Realität und Arbeitsmethoden in manchen Fällen voneinander abweichen. Die „Legitimierung“ von solch unannehmbaren Verstößen gegen die Wahlrechtsgrundsätze wird auch die Par- 3 Statut Batkivshina Art. 3.6.

MIP 2011 17. Jhrg. Rati Bregadze – Manche postsowjetischen Besonderheiten der Parteimitgliedschaft Aufgespießt tei unglaubwürdig machen, weil es nur schwer zu glauben ist, dass eine politische Vereinigung, die selber die Grundsätze der freien und geheimen Wahl missachtet, sich im Fall der Machterlangung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen wird. Zu erwähnen ist auch die Verpflichtung des Mitglieds der ukrainischen „Partei der Regionen“ zur aktiven Teilnahme an Wahlen und einer Unterstützung der Parteikandidaten. Da das Wort „abstimmen“ nicht erwähnt ist, kann die Unterstützung auch als ein Appell ohne Rechtsfolgen verstanden werden. Grundsätzlich wäre aber die Vermeidung von solchen Bestimmungen empfehlenswert, da sie von Mitgliedern als Aufforderung und Pflicht wahrgenommen werden können. Die Parteien haben auch Sorge dafür zu tragen, dass die Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht verletzt werden und von Maßnahmen abzusehen, sobald sie auch nur indirekt eine Gefahr darstellen. Pflicht zur finanziellen Unterstützung Eine weitere Verpflichtung, nach der die Mitglieder die Partei über die normalen Beiträge hinaus finanziell zu unterstützen haben, enthält erneut die Satzung der Batkivshina. 4 Dabei bleibt ungeklärt, was konkret unter einer finanziellen Unterstützung verstanden werden kann. Spenden sind zulässig, aber freiwillig. Nach dieser Bestimmung könnte der Vorstand ein Mitglied auffordern, in einer „schwierigen Zeit“ eine konkrete Summe für Parteizwecke zur Verfügung zu stellen. Wenn ein Mitglied dieser Verpflichtung nicht nachkommt, können Ordnungsmaßnahmen bis hin zum Ausschluss verhängt werden. Zu erwähnen ist aber, dass der Betroffene wegen der Unbestimmtheit der Regelung nicht in der Lage ist, sich genaue Kenntnisse über seine Verpflichtungen zu verschaffen. Diese Regelung verleiht der Parteiführung die Kompetenz zu einer zwangsweisen Erhebung von Spenden und schwächt dadurch den Mitgliederschutz. Überdies vermag so eine Norm auch indirekt die Praxis der „gekauften sicheren Stellen“ in den Kandidatenlisten zu „legalisie- 4 Statut „Batkivshina“ Art. 3.6. ren“. Dies könnte auch potentielle wohlhabende Mitglieder von einem Beitritt abschrecken, wenn sie damit rechnen müssen, dass sie irgendwann satzungsgemäß, aber unfreiwillig gegenüber der Partei außer den Mitgliederbeiträgen noch andere finanzielle Leistungen erbringen müssen. Die Problematik der Mindestzahl der Mitglieder Schon Aristoteles hat sich gefragt, wie groß eine Stadt sein soll. Er sagte, zehn Einwohner sind zu wenig, zehntausend schon zu viel. Die Frage nach der Zahl der Zugehörigen eines sozialen Gebildes ist ein problematisches Feld und beschäftigt die Jurisprudenz von Anfang an. Das Parteienrecht stellt in dieser Hinsicht keinen Ausnahmefall dar. Im Unterschied zum deutschen Parteiengesetz legt das Organgesetz über die politischen Vereinigungen der Bürger Georgiens die konkrete Mindestzahl der Mitglieder fest, die für die Registrierung der Partei erforderlich ist. Die Zahl ist auf 1000 angesetzt. 5 Die Entscheidung des Gesetzgebers scheint ein begrüßenswerter Schritt zu sein, denn damit sind Willkürentscheidungen über das Vorliegen der Parteieigenschaft ausgeschlossen. Darüber hinaus wird allgemeine Rechtsklarheit geschaffen. Ob die gesetzliche Mindestzahl zu hoch oder zu niedrig ist, kann diskutiert werden, aber in diesem Kontext ist zu erwähnen, dass bisher diese Frage sowohl im Schrifttum als auch in der Rechtsprechung in Georgien nicht problematisiert wurde. Schwierigkeiten können sich mit Blick auf die Überprüfung der Mitgliederzahl ergeben. Eine klare Vorgehensweise ist in der Gesetzgebung Georgiens nicht zu finden. Die Partei muss das Ministerium für Justiz nur über Satzungsänderungen benachrichtigen und entsprechende Unterlagen einreichen. 6 Theoretisch kann eine Überprüfung nur anhand der erlangten Mitglie- 5 Gesetz über politische Vereinigungen der Bürger Art. 22 Punkt C. 6 Gesetz über politische Vereinigungen der Bürger Georgiens Art. 24 Abs. 1. 157

MIP 2011 17. Jhrg. Rati Bregadze – Manche postsowjetischen Besonderheiten der Parteimitgliedschaft Aufgespießt<br />

tei unglaubwürdig machen, weil es nur schwer<br />

zu glauben ist, dass eine politische Vereinigung,<br />

die selber die Grundsätze der freien und geheimen<br />

Wahl missachtet, sich im Fall der Machterlangung<br />

für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit<br />

einsetzen wird.<br />

Zu erwähnen ist auch die Verpflichtung des Mitglieds<br />

der ukrainischen „Partei der Regionen“<br />

zur aktiven Teilnahme an Wahlen und einer Unterstützung<br />

der Parteikandidaten. Da das Wort<br />

„abstimmen“ nicht erwähnt ist, kann die Unterstützung<br />

auch als ein Appell ohne Rechtsfolgen<br />

verstanden werden. Grundsätzlich wäre aber die<br />

Vermeidung von solchen Bestimmungen empfehlenswert,<br />

da sie von Mitgliedern als Aufforderung<br />

und Pflicht wahrgenommen werden können.<br />

Die Parteien haben auch Sorge dafür zu tragen,<br />

dass die Prinzipien der freiheitlich demokratischen<br />

Grundordnung nicht verletzt werden<br />

und von Maßnahmen abzusehen, sobald sie<br />

auch nur indirekt eine Gefahr darstellen.<br />

Pflicht zur finanziellen Unterstützung<br />

Eine weitere Verpflichtung, nach der die Mitglieder<br />

die Partei über die normalen Beiträge<br />

hinaus finanziell zu unterstützen haben, enthält<br />

erneut die Satzung der Batkivshina. 4 Dabei<br />

bleibt ungeklärt, was konkret unter einer finanziellen<br />

Unterstützung verstanden werden kann.<br />

Spenden sind zulässig, aber freiwillig. Nach dieser<br />

Bestimmung könnte der Vorstand ein Mitglied<br />

auffordern, in einer „schwierigen Zeit“<br />

eine konkrete Summe für Parteizwecke zur Verfügung<br />

zu stellen. Wenn ein Mitglied dieser Verpflichtung<br />

nicht nachkommt, können Ordnungsmaßnahmen<br />

bis hin zum Ausschluss verhängt<br />

werden. Zu erwähnen ist aber, dass der Betroffene<br />

wegen der Unbestimmtheit der Regelung<br />

nicht in der Lage ist, sich genaue Kenntnisse<br />

über seine Verpflichtungen zu verschaffen. Diese<br />

Regelung verleiht der Parteiführung die Kompetenz<br />

zu einer zwangsweisen Erhebung von<br />

Spenden und schwächt dadurch den Mitgliederschutz.<br />

Überdies vermag so eine Norm auch indirekt<br />

die Praxis der „gekauften sicheren<br />

Stellen“ in den Kandidatenlisten zu „legalisie-<br />

4 Statut „Batkivshina“ Art. 3.6.<br />

ren“. Dies könnte auch potentielle wohlhabende<br />

Mitglieder von einem Beitritt abschrecken, wenn<br />

sie damit rechnen müssen, dass sie irgendwann<br />

satzungsgemäß, aber unfreiwillig gegenüber der<br />

Partei außer den Mitgliederbeiträgen noch andere<br />

finanzielle Leistungen erbringen müssen.<br />

Die Problematik der Mindestzahl der Mitglieder<br />

Schon Aristoteles hat sich gefragt, wie groß eine<br />

Stadt sein soll. Er sagte, zehn Einwohner sind zu<br />

wenig, zehntausend schon zu viel. Die Frage<br />

nach der Zahl der Zugehörigen eines sozialen<br />

Gebildes ist ein problematisches Feld und beschäftigt<br />

die Jurisprudenz von Anfang an. Das<br />

Parteienrecht stellt in dieser Hinsicht keinen<br />

Ausnahmefall dar.<br />

Im Unterschied zum deutschen Parteiengesetz<br />

legt das Organgesetz über die politischen Vereinigungen<br />

der Bürger Georgiens die konkrete<br />

Mindestzahl der Mitglieder fest, die für die Registrierung<br />

der Partei erforderlich ist. Die Zahl<br />

ist auf 1000 angesetzt. 5 Die Entscheidung des<br />

Gesetzgebers scheint ein begrüßenswerter Schritt<br />

zu sein, denn damit sind Willkürentscheidungen<br />

über das Vorliegen der Parteieigenschaft ausgeschlossen.<br />

Darüber hinaus wird allgemeine<br />

Rechtsklarheit geschaffen.<br />

Ob die gesetzliche Mindestzahl zu hoch oder zu<br />

niedrig ist, kann diskutiert werden, aber in diesem<br />

Kontext ist zu erwähnen, dass bisher diese<br />

Frage sowohl im Schrifttum als auch in der<br />

Rechtsprechung in Georgien nicht problematisiert<br />

wurde.<br />

Schwierigkeiten können sich mit Blick auf die<br />

Überprüfung der Mitgliederzahl ergeben. Eine<br />

klare Vorgehensweise ist in der Gesetzgebung<br />

Georgiens nicht zu finden. Die Partei muss das<br />

Ministerium für Justiz nur über Satzungsänderungen<br />

benachrichtigen und entsprechende Unterlagen<br />

einreichen. 6 Theoretisch kann eine<br />

Überprüfung nur anhand der erlangten Mitglie-<br />

5 Gesetz über politische Vereinigungen der Bürger Art.<br />

22 Punkt C.<br />

6 Gesetz über politische Vereinigungen der Bürger Georgiens<br />

Art. 24 Abs. 1.<br />

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