Aufsätze - PRuF

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08.01.2013 Aufrufe

Aufsätze Roland Höhne – Parteientransformation in Italien – Die nationale Rechte zwischen Tradition und Anpassung MIP 2011 17. Jhrg. Sociale. 137 Die Integration in das Parteiensystem forderte jedoch ihren Preis. Die Polarisierung der Wettbewerbsstruktur und das Wahlrecht138 zwangen die AN zur Bildung von Wahlkoalitionen mit den Parteien der rechten Mitte, insbesondere mit der Forza Italia unter der Führung von Silvio Berlusconi. Die FI bildete sowohl den wichtigsten Verbündeten, gleichzeitig aber auch die wichtigste Konkurrentin um die Führung des bürgerlichen Lagers. Im Konkurrenzkampf beider Parteien gelang es der AN nicht, die Oberhand zu gewinnen. Sie erhielt in den Jahren 1996/2006 nur zwischen 12 und 15 Prozent der Stimmen, die FI aber fast das Doppelte, d. h. zwischen 20 und 29 Prozent. 139 Nach den verlorenen Wahlen von 2006 lancierte Berlusconi das Projekt einer großen Sammelpartei der bürgerlichen Kräfte. Da sich auf der Linken bereits 2007 die gemäßigten Kräfte im Partito Democratico (PD) zusammengeschlossen hatten, besaßen die bürgerlichen Parteien unter den Bedingungen des von ihnen geänderten Wahlrechts nur gemeinsam Machtchancen. 140 Innerhalb der AN befürworte zunächst aber nur der linke Flügel, die Destra Sociale unter der Führung von Alemanno, einen Zusammenschluß. Fini lehnte ihn dagegen strikt ab, da er sich in der Opposition als gemeinsamer Führer des bürgerlichen Lagers profilieren wollte. Er wurde dabei von seiner Hausmacht, der Destra Protagonista, unterstützt. Schließlich befürwortete aber auch er den Zusammenschluß in der Hoffnung, 137 Die kurzlebige Alternativa Sociale war ein Wahlkartell von drei rechtsextremen Splitterparteien unter der Führung von Alessandra Mussolini. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament vom Juni 2004 erhielt sie ein Prozent der Stimmen und damit ein Mandat, bei den Parlamentswahlen von 2006 ging sie mit 0,67 Prozent der Stimmen leer aus. Vgl. für die EU-Wahlen La Repubblica vom 14. Juni 2004, S. 1; für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus M. Corte (Hrsg.), Sessant’anni di elezioni in Italia, op. cit., S. 207. 138 Vgl. Anm. 76 139 Vgl. M. Corte (Hrsg.), Sessant’anni, op.cit., S. 229. 140 Durch Gesetz vom 21. Dezember 2005 wurde das gemischte Wahlsystem durch ein Listenwahlsystem mit Mehrheitsprämie abgelöst. Vgl. Mario Corte (Hrsg.), 1946-2006. Sessant’anni di elezioni in Italia, op. cit., S. 157. Die ersten Parlamentswahlen nach dem neuen Wahlrecht fanden 2006 statt. 150 die gemeinsame Partei dank der organisatorischen Ressourcen und der starken Mitgliederschaft der AN beherrschen zu können. Für die Wahlen von 2008 bildeten zunächst AN und FI unter dem Namen Popolo della Libertà (PdL) erneut eine Wahlkoalition. Nach deren Wahlsieg transformierte sie sich im März 2009 in eine Partei unter dem gleichen Namen. 141 Fini wurde neben Berlusconi gleichberechtigter Gründungspräsident, übernahm aber keine Parteifunktion, sondern das Amt des Kammerpräsidenten. Seine Hoffnung, die gemeinsame Partei mit Hilfe der ehemaligen MSI- bzw. AN-Kader beherrschen zu können, erfüllten sich jedoch nicht. Er profilierte sich daher zunehmend gegenüber Berlusconi als Verteidiger des Rechtsstaates und des parlamentarischen Systems in der Absicht, sich als personelle Alternative zu diesem aufzubauen. Im April 2010 beschuldigte er ihn, die Partei autoritär zu führen und keine freie Diskussion zuzulassen. Am 29. Juli schloß ihn daraufhin der PdL- Vorstand aus der Partei aus und forderte seinen Rücktritt als Präsident der Abgeordnetenkammer. Fini lehnte dies ab und gründete einen Tag später eine eigene Parlamentsfraktion unter dem Namen Futuro et Libertà per l’Italia (FLi). Dieser gehörten 32 Abgeordnete und 10 Senatoren an. Sie verblieben in der Regierungskoalition, verfolgten aber einen eigenständigen Kurs. Am 14. Dezember 2011 stimmten sie gemeinsam mit den Oppositionsparteien der Mitte für das Mißtrauensvotum der Linken gegen Berlusconi. Nach seinem Ausschluß aus der PdL steuerte Fini zielstrebig die Gründung einer eigenen Partei unter dem Namen Futuro e Libertà per l’Italia (FLi) an. In seiner Rede von Mirabello verkündete er am 5. September 2010 deren wesentliche Grundsätze und Ziele. 142 Das Gründungskomitee der neuen Partei publizierte am 25. Oktober 2010 ein Manifest, das einen ersten Programmentwurf enthielt. 143 Dieser wurde auf dem ersten nationalen Konvent von Futuro e Libertà am 6./7. November 2010 einer breiten Öffentlichkeit präsentiert. Dort kündigte Fini auch den 141 Der neuen bürgerlichen Sammelpartei schlossen sich auch 12 Kleinstparteien bzw. Vereinigungen an. Vgl. La Republlica, 28.03.2009. 142 Vgl. La Repubblica, 6.09.2010. 143 Manifesto d’ottobre. http://www.manifestodiottobre.it/

MIP 2011 17. Jhrg. Roland Höhne – Parteientransformation in Italien – Die nationale Rechte zwischen Tradition und Anpassung Aufsätze Rückzug seiner Parteigänger aus der Regierung an und forderte Berlusconi zum Rücktritt auf, damit eine neue Mitte-Rechtsregierung unter Einschluß der christlich-demokratischen UDC gebildet werden könne. 144 Am 15. Dezember 2010 schloß er sich dem Polo della Nazione an, einem losen Zusammenschluß von oppositionellen Formationen der rechten und linken Mitte. 145 Am 17. November 2010 fand in Perugia die Gründungsversammlung, am 11./13. Februar 2011 in Mailand der Gründungsparteitag der neuen Partei statt. Auf dem Gründungsparteitag wurde das Parteiprogramm angenommen und Fini zum Vorsitzenden gewählt. Die neue Partei versteht sich als eine liberal-konservative Rechtspartei, deren zentralen Ziele die Verteidigung der Freiheit, des Rechtsstaates, der Legalität, der staatlichen Institutionen und der Demokratie sind. Daneben fordert sie wie bereits vorher die AN den Schutz der Familie, die Wahrung der staatlichen Einheit, die Erhaltung der Solidarität und die Erneuerung des Landes. 146 Kurz nach der Gründung kam es zu heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen über den künftigen Parteikurs. Fini forderte einen kompromißlosen Kampf gegen Berlusconi und seine Anhänger. Ein Bündnis mit der Linken lehnte er zwar ab, schloß eine taktische Zusammenarbeit mit ihr wie beim Mißtrauensvotum vom 14. Dezember 2010 zum Sturze Berlusconis oder bei der Änderung des Wahlrechts jedoch nicht aus. Gegen seinen kompromißlosen Konfrontationskurs rebellierten zahlreiche konservative Parteimitglieder. Auch sie wollten Berlusconi stürzen, aber auf keinen Fall mit der Linken zusammenarbeiten. Unmittelbar nach dem Gründungskongreß von Mailand verließen sie die Partei, unter ihnen zahlreiche Mitglieder der FLI-Fraktionen. Letztere verloren dadurch ihren Fraktionsstatus. Der Versuch Finis, Berlusconi gemeinsam mit der Linken zu stürzen, ist daher vorläufig gescheitert. Seine Chance, dies bei vorgezogenen 144 Vgl. La Repubblica, 8.09.2010. 145 Alleanza per l’Italia, Movimento per l’Autonomia, Unione di Centro, Liberal Democratici. Am 25. Januar 2011 wurde der Polo della Nazione in Nuovo Polo per l’Italia umbenannt. 146 Vgl. Secolo d’Italia, 15.02.2011. Neuwahlen zu erreichen, gering. Laut Umfragen könnte die FLI maximal mit 3 bis 5 Prozent der Stimmen rechnen. Das würde zum Einzug in das Parlament reichen, zu mehr aber auch nicht. Trotzdem bleibt sie eine Alternative zum PDL, da diese ähnlich wie die DC in der Endphase der I. Republik in Korruptionsaffären und Klientelwirtschaft versinkt. Offen bleibt die Frage, ob im italienischen Parteiensystem genügend Platz für eine große liberal-konservative rechtsstaatliche Rechte ist. Die Geschichte des italienischen Parteiensystems seit 1946 stimmt skeptisch. 4. Fazit Die Transformation des neofaschistischen MSI in die nationalkonservative AN war das Ergebnis eines über sechzigjährigen Anpassungs- und Integrationsprozesses, in dessen Verlauf sich die Partei zunächst nur rein formal den Handlungsbedingungen der italienischen Nachkriegsdemokratie anpaßte, dann passiv in sie einfügte und schließlich in den Jahren 1993/95 zu einem aktiven Akteur des neuen Parteiensystems wurde. Dieser Anpassungs- und Integrationsprozeß beruhte auf der Einsicht, daß der MSI nur Machtund Einflußchancen gewinnen konnte, wenn er sich an die Spielregeln des demokratischen Verfassungsstaates hielt. Gebremst wurde er lange Zeit durch das zähe Festhalten an neofaschistischen Vorstellungen und Zielen. Die Partei war daher im Parteiensystem der I. Republik isoliert. Mit einem konstanten Wählerpotential von etwa 5 Prozent konnte sie sich jedoch am rechten Rand des Parteiensystems behaupten. Die grundlegenden Veränderungen seiner Handlungsbedingungen Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre stellten den MSI vor die Wahl zwischen einer erneuten Radikalisierung seiner bisherigen Antisystemopposition und einer Integration in das neu entstehende Parteiensystem. Nach heftigen internen Auseinandersetzungen entschied er sich unter der Führung eines Repräsentanten der jüngeren Parteigeneration, des Parteivorsitzenden Gianfranco Fini, zur Integration. Mit Rücksicht auf die politisch durch die neofaschistische Subkultur sozialistierten 151

<strong>Aufsätze</strong> Roland Höhne – Parteientransformation in Italien – Die nationale Rechte zwischen Tradition und Anpassung MIP 2011 17. Jhrg.<br />

Sociale. 137 Die Integration in das Parteiensystem<br />

forderte jedoch ihren Preis.<br />

Die Polarisierung der Wettbewerbsstruktur und<br />

das Wahlrecht138 zwangen die AN zur Bildung<br />

von Wahlkoalitionen mit den Parteien der rechten<br />

Mitte, insbesondere mit der Forza Italia unter<br />

der Führung von Silvio Berlusconi. Die FI<br />

bildete sowohl den wichtigsten Verbündeten,<br />

gleichzeitig aber auch die wichtigste Konkurrentin<br />

um die Führung des bürgerlichen Lagers. Im<br />

Konkurrenzkampf beider Parteien gelang es der<br />

AN nicht, die Oberhand zu gewinnen. Sie erhielt<br />

in den Jahren 1996/2006 nur zwischen 12 und 15<br />

Prozent der Stimmen, die FI aber fast das Doppelte,<br />

d. h. zwischen 20 und 29 Prozent. 139<br />

Nach den verlorenen Wahlen von 2006 lancierte<br />

Berlusconi das Projekt einer großen Sammelpartei<br />

der bürgerlichen Kräfte. Da sich auf der Linken<br />

bereits 2007 die gemäßigten Kräfte im Partito<br />

Democratico (PD) zusammengeschlossen<br />

hatten, besaßen die bürgerlichen Parteien unter<br />

den Bedingungen des von ihnen geänderten<br />

Wahlrechts nur gemeinsam Machtchancen. 140 Innerhalb<br />

der AN befürworte zunächst aber nur der<br />

linke Flügel, die Destra Sociale unter der Führung<br />

von Alemanno, einen Zusammenschluß.<br />

Fini lehnte ihn dagegen strikt ab, da er sich in<br />

der Opposition als gemeinsamer Führer des bürgerlichen<br />

Lagers profilieren wollte. Er wurde dabei<br />

von seiner Hausmacht, der Destra Protagonista,<br />

unterstützt. Schließlich befürwortete aber<br />

auch er den Zusammenschluß in der Hoffnung,<br />

137 Die kurzlebige Alternativa Sociale war ein Wahlkartell<br />

von drei rechtsextremen Splitterparteien unter der Führung<br />

von Alessandra Mussolini. Bei den Wahlen zum<br />

Europäischen Parlament vom Juni 2004 erhielt sie ein<br />

Prozent der Stimmen und damit ein Mandat, bei den<br />

Parlamentswahlen von 2006 ging sie mit 0,67 Prozent<br />

der Stimmen leer aus. Vgl. für die EU-Wahlen La Repubblica<br />

vom 14. Juni 2004, S. 1; für die Wahlen zum<br />

Abgeordnetenhaus M. Corte (Hrsg.), Sessant’anni di<br />

elezioni in Italia, op. cit., S. 207.<br />

138 Vgl. Anm. 76<br />

139 Vgl. M. Corte (Hrsg.), Sessant’anni, op.cit., S. 229.<br />

140 Durch Gesetz vom 21. Dezember 2005 wurde das gemischte<br />

Wahlsystem durch ein Listenwahlsystem mit<br />

Mehrheitsprämie abgelöst. Vgl. Mario Corte (Hrsg.),<br />

1946-2006. Sessant’anni di elezioni in Italia, op. cit.,<br />

S. 157. Die ersten Parlamentswahlen nach dem neuen<br />

Wahlrecht fanden 2006 statt.<br />

150<br />

die gemeinsame Partei dank der organisatorischen<br />

Ressourcen und der starken Mitgliederschaft<br />

der AN beherrschen zu können. Für die<br />

Wahlen von 2008 bildeten zunächst AN und FI<br />

unter dem Namen Popolo della Libertà (PdL)<br />

erneut eine Wahlkoalition. Nach deren Wahlsieg<br />

transformierte sie sich im März 2009 in eine Partei<br />

unter dem gleichen Namen. 141 Fini wurde neben<br />

Berlusconi gleichberechtigter Gründungspräsident,<br />

übernahm aber keine Parteifunktion,<br />

sondern das Amt des Kammerpräsidenten. Seine<br />

Hoffnung, die gemeinsame Partei mit Hilfe der<br />

ehemaligen MSI- bzw. AN-Kader beherrschen zu<br />

können, erfüllten sich jedoch nicht. Er profilierte<br />

sich daher zunehmend gegenüber Berlusconi als<br />

Verteidiger des Rechtsstaates und des parlamentarischen<br />

Systems in der Absicht, sich als personelle<br />

Alternative zu diesem aufzubauen. Im<br />

April 2010 beschuldigte er ihn, die Partei autoritär<br />

zu führen und keine freie Diskussion zuzulassen.<br />

Am 29. Juli schloß ihn daraufhin der PdL-<br />

Vorstand aus der Partei aus und forderte seinen<br />

Rücktritt als Präsident der Abgeordnetenkammer.<br />

Fini lehnte dies ab und gründete einen Tag<br />

später eine eigene Parlamentsfraktion unter dem<br />

Namen Futuro et Libertà per l’Italia (FLi). Dieser<br />

gehörten 32 Abgeordnete und 10 Senatoren<br />

an. Sie verblieben in der Regierungskoalition,<br />

verfolgten aber einen eigenständigen Kurs. Am<br />

14. Dezember 2011 stimmten sie gemeinsam mit<br />

den Oppositionsparteien der Mitte für das Mißtrauensvotum<br />

der Linken gegen Berlusconi.<br />

Nach seinem Ausschluß aus der PdL steuerte<br />

Fini zielstrebig die Gründung einer eigenen Partei<br />

unter dem Namen Futuro e Libertà per l’Italia<br />

(FLi) an. In seiner Rede von Mirabello verkündete<br />

er am 5. September 2010 deren wesentliche<br />

Grundsätze und Ziele. 142 Das Gründungskomitee<br />

der neuen Partei publizierte am 25. Oktober<br />

2010 ein Manifest, das einen ersten Programmentwurf<br />

enthielt. 143 Dieser wurde auf dem<br />

ersten nationalen Konvent von Futuro e Libertà<br />

am 6./7. November 2010 einer breiten Öffentlichkeit<br />

präsentiert. Dort kündigte Fini auch den<br />

141 Der neuen bürgerlichen Sammelpartei schlossen sich<br />

auch 12 Kleinstparteien bzw. Vereinigungen an. Vgl.<br />

La Republlica, 28.03.2009.<br />

142 Vgl. La Repubblica, 6.09.2010.<br />

143 Manifesto d’ottobre. http://www.manifestodiottobre.it/

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