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08.01.2013 Aufrufe

Aufsätze Roland Höhne – Parteientransformation in Italien – Die nationale Rechte zwischen Tradition und Anpassung MIP 2011 17. Jhrg. mus propagiert hatte, reduzierte sie auf das Vereins- und Verbandswesen. Ganz in der Tradition der MSI verteidigte sie jedoch die staatliche Einheit gegen den Separatismus der Lega Nord und engagierte sich statt dessen für eine Stärkung der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung. Als Garant der staatlichen Einheit und der Demokratie forderte sie die Direktwahl des Staatspräsidenten. Wirtschaftspolitisch bekannte sich die AN zur Marktwirtschaft, befürwortete jedoch zum Ausgleich regionaler Ungleichheiten staatliche Regelungen der Wettbewerbsfreiheit. Dies lag eindeutig im Interesse ihres süditalienischen Wählerklientels. Sozialpolitisch vertrat die AN sozialprotektionistische Thesen, um sich von ihrem wirtschaftsliberalen Koalitionspartner Forza Italia abzugrenzen. Sie begründete ihren Sozialprotektionismus mit der Pflicht zur Solidarität, die sich aus der nationalen Zugehörigkeit aller Italiener ergebe. Sie pflegt so ihr Image als soziale Rechte. Europapolitisch befürwortete die AN die europäische Integration und damit die Übertragung nationaler Souveränitätsrechte auf europäische Institutionen. Fini kritisierte zu diesem Zeitpunkt allerding noch die Währungsunion und forderte eine neue Aushandlung des Vertrages. 98 Außenpolitisch bekannte sich die AN wie bereits der MSI zur Atlantischen Allianz und zur Kooperation mit den Vereinigten Staaten als Grundlagen der italienischen Außen- und Sicherheitspolitik. Sie forderte jedoch ebenfalls wie dieser die Revision des Vertrages von Osimo mit Jugoslawien von 1975 und die Einführung der Zweisprachigkeit in Istrien. Das Programm von Fiuggi bildete keinen radikalen Bruch mit der Programmatik des MSI, sondern lediglich eine Etappe in deren Transformationsprozeß. Die Partei hatte sich zwar ausdrücklich zur Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie bekannt und den Totalitarismus, Rassismus und Antisemitismus verurteilt, aber sich nicht kritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinan- 98 Vgl. auch Gianfranco Fini, Tranquilla, alla fine vincerà Fini. Interview von A. Padellaro mit Fini, in: L’Espresso, 15. April 1994, S. 22-28. 144 dergesetzt. Da die Mehrheit ihrer Mitglieder aus dem MSI stammte, war dies auch nicht anders zu erwarten. Der Anspruch der AN, eine demokratische Rechtspartei zu sein, stieß daher im In- und Ausland eher auf Skepsis. Bei den Parlamentswahlen 1996 konnte sie zwar ihren Stimmenanteil nach der Verhältniswahl gegenüber 1994 um 2,2 Prozent auf 15,7 Prozent vergrößern, aber sie blieb innerhalb der Mitte-Rechts-Koalition Polo delle Libertà weiterhin nur die zweitstärkste Kraft hinter der Forza Italia mit über 20 Prozent. 99 Bei den partiellen Regionalwahlen 1997 verlor sie aber schon wieder Stimmen. Dies überzeugte Fini von der Notwendigkeit, den programmatischen Transformationsprozeß fortzusetzen. Diesem Zwecke diente der Parteitag von Verona vom 27.02. bis zum 01.03.1998. Die Parteiführung hatte mit Bedacht einen Tagungsort gewählt, der in der Geschichte des Faschismus eine wichtige Rolle spielte. Hier hatte nach dem Zusammenbruch des faschistischen Regimes im Herbst 1943 der Partito fascista repubblicano (PFR) die Carta di Verona beschlossen, welche die ideologisch-programmatische Grundlage der RSI bildete. Im Kontrast zu dieser verkündete die AN ein antietatistisches Projekt für Italien des Jahres 2000. 100 Dessen Kernthese lautete, daß es nicht die Aufgabe des Staates sei, die Gesellschaft zu modernisieren, sondern daß er lediglich seinen Bürgern die Möglichkeit geben müsse, sich frei entfalten zu können. Mit dieser distanzierte sich die AN erneut programmatisch vom MSI. In seiner Eingangsrede forderte Fini die Erneuerung des „Systems Italien“ durch Privatisierung staatlicher Unternehmen und eine Wirtschaftspolitik, die vor allem die mittleren und kleineren Unternehmen fördern solle. Er schärfte damit das neoliberale Profil der Partei. Anschließend bekannte er sich noch einmal zu den in Fiuggi verkündeten Werten und befaßte sich mit dem Verhältnis von Individuum und Nation. Die 99 Der Polo delle Libertà hatte bei der Wahl zur Kammer nach der Mehrheitswahl 40,2 Prozent, die Forza Italia nach der Verhältniswahl 20,6 Prozent gewonnen. Vgl. Mario Corte (Hrsg.), Sessant’anni di elezioni in Italia, op.cit., S. 115-119. 100 Alleanza Nazionale: un progetto per l’Italia del Duemila, Verona 1998.

MIP 2011 17. Jhrg. Roland Höhne – Parteientransformation in Italien – Die nationale Rechte zwischen Tradition und Anpassung Aufsätze Rechte beider hätten den gleichen Stellenwert und müßten deshalb gleichermaßen respektiert werden. Schließlich verteidigte er wie in Fiuggi die nationale Identität. Trotz der europäischen Integration und der Globalisierung bilde sie weiterhin die Grundlage der nationalen Existenz und bleibe neben der europäischen Identität bestehen. In der Sozialpolitik setzte er die Schwerpunkte auf die Familienpolitik, die Demographie, das Rentensystem, die Einwanderung, die Schule und die Universitäten. In der anschließenden Diskussion unterstützte die Mehrheit Finis Positionen. Fini war es damit gelungen, die Partei stärker in die rechte Mitte zu rücken und so auch für gemäßigte Rechtswähler attraktiv zu machen. Unmittelbar vor den Parlamentswahlen vom 13. Mai 2001 fand in Neapel Ende Februar ein Programmkongreß statt. Auf ihm wurde ein Wahlprogramm verabschiedet, das eine freie, eine starke und eine gerechte Regierung forderte. 101 Die Regierung solle sich an der Freiheit des Einzelnen orientieren, die Bürokratie verringern und die Prinzipien des Liberalismus vertreten. 102 Zu den Prinzipien des Liberalismus zählte das Programm die Marktwirtschaft, die Subsidiarität und die Grundsätze des Sozialstaates. Der durch die Fortschreibung der Programmatik von Fiuggi erhoffte Wahlerfolg blieb jedoch aus. Das Mitte-Rechts-Bündnis Casa della Libertà gewann zwar die Wahlen und bildete unter der Führung Berlusconis die Regierung, aber die AN hatte bei der Kammerwahl nach dem Verhältniswahlrecht nur 12,2 Prozent der Stimmen erhalten, das waren 2,5 Prozent weniger als 1996. Sie blieb damit innerhalb des bürgerlichen Wahlbündnisses zwar die zweitstärkste Kraft nach der Forza Italia mit 29,4 Prozent, aber sie hatte gegenüber dieser erheblich an Gewicht verloren. Sie veranstaltete daher ein Jahr später im April 2002 in Bologna ihren dritten Parteitag, um ihren Transformationsprozeß abzuschließen. In dessen Mittelpunkt stand die Überarbeitung der Programmatik. Zu ihrer Vorbereitung hatte 101 Libero Forte Giusto. Il governo che voliamo. Seconda conferenza programmatica. Napoli 23-24-25 Febbraio- Mostra d’Oltremare 2001. 102 Programm di Napoli 2001, S. 2 ff. die Parteiführung wie bereits für den Parteitag von Fiuggi einen Programmentwurf publiziert, der in den Parteigliederungen diskutiert wurde. 103 Er bildet die Grundlage des neuen Programms, das der Parteitag verabschiedete. 104 Im Gegensatz zum Parteitag von Fiuggi waren alle Mitglieder stimmberechtigt und die Parteitagsdelegierten wurden auf Provinzialkongressen gewählt. Dadurch wurden die neuen Parteimitglieder in den innerparteilichen Meinungs- und Willensbildungsprozeß eingebunden und der Einfluß der ehemaligen MSI-Mitglieder zurückgedrängt. Von den Delegierten gehörte etwa die Hälfte der Destra Protagonista an, der Hausmacht Finis. Fini betonte in seiner Eröffnungsrede die inhaltliche Kontinuität der Partei. Die AN habe trotz ihrer programmatischen Entwicklung seit ihrem ersten Parteitag an ihren Kernideen festgehalten. Sie sei eine Partei der Rechten, die als einzige politische Kraft auf dem rechten Spektrum des Parteiensystems verankert sei. Sie werde nicht mehr länger durch die ideologischen Kontroversen der Vergangenheit behindert, sondern beteilige sich als Regierungspartei aktiv an der Umgestaltung des italienischen Staates. 105 Anschließend stellte er das Regierungsprogramm vor. Neu in diesem war das stärkere Bekenntnis zur europäischen Zusammenarbeit, die Betonung der zentralen Rolle (centralità) des Staates in der Gestaltung der nationalen Politik, das Abrücken vom Neoliberalismus zugunsten einer neuen sozialen Marktwirtschaft, die Bejahung des Föderalismus bei gleichzeitiger Betonung der nationalen Einheit. Die AN befürwortete ein Europa der „Einheit in der Vielfalt“, eine Union von Nationalstaaten, in der die nationalen Interessen dazu beitragen, das Gesamtinteresse zu bestimmen. Die Union solle sich mit allen Aufgaben befassen, die sie besser als ihre einzelnen Mitglieder bewältigen könne: 103 Alleanza Nazionale, Vince la Patria. Nasce l’Europa, 2° Congresso Nazionale, Bologna 4/7 aprile 2002. Zitiert als Programmentwurf von Bologna. 104 Pittaforma politico-programmatica del 2° Congresso nazionale. Zitiert als politisches Programm. 105 Gianfranco Fini: Vince la Patria, nasce l’Europa. 2° Congresso Nazionale di Alleanza Nazionale, Bologna 4. aprile 2002, discorso di apertura, S. 3. 145

<strong>Aufsätze</strong> Roland Höhne – Parteientransformation in Italien – Die nationale Rechte zwischen Tradition und Anpassung MIP 2011 17. Jhrg.<br />

mus propagiert hatte, reduzierte sie auf das Vereins-<br />

und Verbandswesen. Ganz in der Tradition<br />

der MSI verteidigte sie jedoch die staatliche Einheit<br />

gegen den Separatismus der Lega Nord und<br />

engagierte sich statt dessen für eine Stärkung der<br />

regionalen und kommunalen Selbstverwaltung.<br />

Als Garant der staatlichen Einheit und der Demokratie<br />

forderte sie die Direktwahl des Staatspräsidenten.<br />

Wirtschaftspolitisch bekannte sich die AN zur<br />

Marktwirtschaft, befürwortete jedoch zum Ausgleich<br />

regionaler Ungleichheiten staatliche Regelungen<br />

der Wettbewerbsfreiheit. Dies lag eindeutig<br />

im Interesse ihres süditalienischen<br />

Wählerklientels. Sozialpolitisch vertrat die AN<br />

sozialprotektionistische Thesen, um sich von ihrem<br />

wirtschaftsliberalen Koalitionspartner Forza<br />

Italia abzugrenzen. Sie begründete ihren Sozialprotektionismus<br />

mit der Pflicht zur Solidarität,<br />

die sich aus der nationalen Zugehörigkeit aller<br />

Italiener ergebe. Sie pflegt so ihr Image als soziale<br />

Rechte.<br />

Europapolitisch befürwortete die AN die europäische<br />

Integration und damit die Übertragung<br />

nationaler Souveränitätsrechte auf europäische<br />

Institutionen. Fini kritisierte zu diesem Zeitpunkt<br />

allerding noch die Währungsunion und forderte<br />

eine neue Aushandlung des Vertrages. 98 Außenpolitisch<br />

bekannte sich die AN wie bereits der<br />

MSI zur Atlantischen Allianz und zur Kooperation<br />

mit den Vereinigten Staaten als Grundlagen<br />

der italienischen Außen- und Sicherheitspolitik.<br />

Sie forderte jedoch ebenfalls wie dieser die Revision<br />

des Vertrages von Osimo mit Jugoslawien<br />

von 1975 und die Einführung der Zweisprachigkeit<br />

in Istrien.<br />

Das Programm von Fiuggi bildete keinen radikalen<br />

Bruch mit der Programmatik des MSI, sondern<br />

lediglich eine Etappe in deren Transformationsprozeß.<br />

Die Partei hatte sich zwar ausdrücklich<br />

zur Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie<br />

bekannt und den Totalitarismus, Rassismus und<br />

Antisemitismus verurteilt, aber sich nicht kritisch<br />

mit der eigenen Vergangenheit auseinan-<br />

98 Vgl. auch Gianfranco Fini, Tranquilla, alla fine vincerà<br />

Fini. Interview von A. Padellaro mit Fini, in: L’Espresso,<br />

15. April 1994, S. 22-28.<br />

144<br />

dergesetzt. Da die Mehrheit ihrer Mitglieder aus<br />

dem MSI stammte, war dies auch nicht anders zu<br />

erwarten. Der Anspruch der AN, eine demokratische<br />

Rechtspartei zu sein, stieß daher im In- und<br />

Ausland eher auf Skepsis. Bei den Parlamentswahlen<br />

1996 konnte sie zwar ihren Stimmenanteil<br />

nach der Verhältniswahl gegenüber 1994 um<br />

2,2 Prozent auf 15,7 Prozent vergrößern, aber sie<br />

blieb innerhalb der Mitte-Rechts-Koalition Polo<br />

delle Libertà weiterhin nur die zweitstärkste<br />

Kraft hinter der Forza Italia mit über 20 Prozent.<br />

99 Bei den partiellen Regionalwahlen 1997<br />

verlor sie aber schon wieder Stimmen. Dies<br />

überzeugte Fini von der Notwendigkeit, den programmatischen<br />

Transformationsprozeß fortzusetzen.<br />

Diesem Zwecke diente der Parteitag von<br />

Verona vom 27.02. bis zum 01.03.1998. Die<br />

Parteiführung hatte mit Bedacht einen Tagungsort<br />

gewählt, der in der Geschichte des Faschismus<br />

eine wichtige Rolle spielte. Hier hatte nach<br />

dem Zusammenbruch des faschistischen Regimes<br />

im Herbst 1943 der Partito fascista repubblicano<br />

(PFR) die Carta di Verona beschlossen,<br />

welche die ideologisch-programmatische Grundlage<br />

der RSI bildete. Im Kontrast zu dieser verkündete<br />

die AN ein antietatistisches Projekt für<br />

Italien des Jahres 2000. 100 Dessen Kernthese lautete,<br />

daß es nicht die Aufgabe des Staates sei, die<br />

Gesellschaft zu modernisieren, sondern daß er<br />

lediglich seinen Bürgern die Möglichkeit geben<br />

müsse, sich frei entfalten zu können. Mit dieser<br />

distanzierte sich die AN erneut programmatisch<br />

vom MSI.<br />

In seiner Eingangsrede forderte Fini die Erneuerung<br />

des „Systems Italien“ durch Privatisierung<br />

staatlicher Unternehmen und eine Wirtschaftspolitik,<br />

die vor allem die mittleren und kleineren<br />

Unternehmen fördern solle. Er schärfte damit<br />

das neoliberale Profil der Partei. Anschließend<br />

bekannte er sich noch einmal zu den in Fiuggi<br />

verkündeten Werten und befaßte sich mit dem<br />

Verhältnis von Individuum und Nation. Die<br />

99 Der Polo delle Libertà hatte bei der Wahl zur Kammer<br />

nach der Mehrheitswahl 40,2 Prozent, die Forza Italia<br />

nach der Verhältniswahl 20,6 Prozent gewonnen. Vgl.<br />

Mario Corte (Hrsg.), Sessant’anni di elezioni in Italia,<br />

op.cit., S. 115-119.<br />

100 Alleanza Nazionale: un progetto per l’Italia del Duemila,<br />

Verona 1998.

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