Aufsätze - PRuF
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<strong>Aufsätze</strong> Roland Höhne – Parteientransformation in Italien – Die nationale Rechte zwischen Tradition und Anpassung MIP 2011 17. Jhrg.<br />
strukturelle Wandlungsprozesse. 68 Ein zentrales<br />
Element dieses Strukturwandels war die Transformation<br />
des PCI in die PDS. Diese wurde von<br />
den demokratischen Parteien als Koalitionspartner<br />
akzeptiert und ermöglichte so die Bildung<br />
von Mitte-Links-Koalitionen unter Einschluß der<br />
Ex-Kommunisten. Dadurch wurde ein demokratischer<br />
Machtwechsel zwischen der Rechten und<br />
der Linken denkbar. 69 Ferner erhöhte sich die politische<br />
Bedeutung der gesellschaftlichen Konflikte,<br />
die bis dahin vom Systemkonflikt überlagert<br />
worden waren: Arbeit-Kapital, Laizismus-<br />
Katholizismus, Zentrum-Peripherie, Nord-Süd.<br />
Koalitionen zwischen Katholiken und Laizisten,<br />
zwischen Zentralisten und Regionalisten, zwischen<br />
Wirtschaftsliberalen und Sozialprotektionisten.<br />
Koalitionsbildungen zwischen den bürgerlichen<br />
Parteien wurden dadurch erheblich<br />
schwieriger, als in der Zeit des Systemkonflikts.<br />
Die Verschärfung des Nord-Süd-Konflikts begünstigte<br />
den Aufstieg der regionalistischen<br />
Lega Nord zu einer ernstzunehmenden politischen<br />
Kraft. Wirtschafts- und sozialpolitisch<br />
stand sie den Parteien der rechten Mitte nahe,<br />
aufgrund ihrer regionalistischen Zielsetzung bildete<br />
sie jedoch einen eigenen Pol im Parteiensystem.<br />
70<br />
Die Verwicklung zahlreicher Politiker der regierenden<br />
Parteien, insbesondere der DC und der<br />
PSI in Korruptionsaffären diskreditierte diese in<br />
den Augen der Öffentlichkeit und delegitimierte<br />
so ihre Herrschaft. Bei den Parlamentswahlen<br />
von 1992 konnten sie zwar ihre Position noch<br />
weitgehend behaupten, verloren danach aber rapide<br />
an Ansehen. 1993 zerfiel die DC in mehrere<br />
Nachfolgeparteien, der PSI und die laizistischen<br />
Parteien verschwanden in der Versenkung. Dadurch<br />
erweiterte sich erheblich der Handlungsspielraum<br />
des MSI. Da er infolge seiner Isolation<br />
nicht in Bestechungsaffären verwickelt war,<br />
konnte er hoffen, die desorientierten Wähler des<br />
Zentrums zu gewinnen und so zur Führungspar-<br />
68 Vgl. Isabel Kneisler, Das italienische Parteiensystem,<br />
S. 92 ff.<br />
69 Vgl. Zohlenhöfer, Das Parteiensystem Italiens, op.cit.,<br />
S. 286 ff.<br />
70 Vgl. Elisabeth Fix, Italiens Parteiensystem im Wandel,<br />
op.cit., S. 115 ff.<br />
138<br />
tei des bürgerlichen Lagers aufzusteigen. Die<br />
Gründung von neuen bürgerlichen Parteien bzw.<br />
die Bildung von bürgerlichen Wahlkoalitionen<br />
und die Einführung eines neuen Wahlrechts im<br />
April 1993 drohten jedoch diese Hoffnung zu<br />
zerstören. Die neuen Parteien boten den bürgerlichen<br />
Wählern demokratische Alternativen 71 , das<br />
neue Wahlrecht benachteiligte Einzelparteien erheblich.<br />
72<br />
3. Die Alleanza Nazionale<br />
3.1. Die Transformation des MSI<br />
Angesichts der neuen politischen Lage besaß der<br />
MSI 1993/1994 nur noch die Wahl zwischen einer<br />
Radikalisierung seiner Antisystemopposition<br />
und einer Integration in das neu entstehende Parteiensystem.<br />
Durch eine Radikalisierung konnte<br />
er hoffen, die Gegner der „Parteienherrschaft“ zu<br />
gewinnen, riskierte aber eine Verstärkung seiner<br />
Isolation, durch eine Integration bot sich ihm dagegen<br />
die Möglichkeit der demokratischen Legi-<br />
71 Die wichtigsten von diesen waren Forza Italia und der<br />
Patto Segni, der gemeinsam mit der DC-Nachfolgepartei<br />
PPI die Wahlkoalition Patto per l’Italia bildete.<br />
Vgl. E. Fix, Italiens Parteiensystem, op.cit., S. 115 ff.;<br />
Ch. Jansen, Italien seit 1945, op.cit., S. 210 ff.<br />
72 Das neue Wahlrecht bestand aus einer komplexen Mischung<br />
aus Mehrheits- und Verhältniswahl. Bei nationalen<br />
Wahlen wurden nun 75 Prozent der Mandate<br />
nach dem Mehrheitswahlsystem und nur noch 25 Prozent<br />
der Mandate nach dem Verhältniswahlsystem vergeben,<br />
bei Kommunalwahlen wurden die Bürgermeister<br />
direkt nach dem Mehrheitswahlrecht in zwei Wahlgängen<br />
gewählt, die Mandate jedoch weiterhin nach<br />
dem Verhältniswahlrecht verteilt. Das neue Wahlrecht<br />
begünstige Großparteien und Wahlkoalitionen, da diese<br />
unter den Bedingungen der Mehrheitswahl die besten<br />
Erfolgsaussichten in den Wahlkreisen besaßen. Es<br />
wurde zu den Parlamentswahlen von 1994, 1996 und<br />
2001 angewendet. Vgl. Hartmut Ullrich, Reform des<br />
italienischen Wahlsystems – Die Fata Morgana des<br />
Ein-Mann-Wahlkreises als Regenerationsinstrument<br />
der Demokratie, in: Luigi Vittorio Graf Ferraris/Günter<br />
Trautmann/Hartmut Ullrich (Hrsg.), Italien auf dem<br />
Weg zur „Zweiten Republik“? Die politische Entwicklung<br />
Italiens seit 1992, Frankfurt a.M. u. a. 1995,<br />
S. 123-149. Außerdem wurden in den Jahren 1993 bis<br />
1995 die Direktwahl der Bürgermeister sowie vier weitere<br />
neue Wahlsysteme für Kommunen unter sowie für<br />
über 15.000 Einwohnern, für die Provinzen und die<br />
Regionen beschlossen. Vgl. Ch. Jansen, Italien seit<br />
1945, op.cit., S. 209.