Aufsätze - PRuF
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<strong>Aufsätze</strong> Roland Höhne – Parteientransformation in Italien – Die nationale Rechte zwischen Tradition und Anpassung MIP 2011 17. Jhrg.<br />
bewerb. 35 Trotz seines Systemcharakters zerstörte<br />
der Konflikt zwischen Kommunisten und Antikommunisten<br />
jedoch nicht den antifaschistischen<br />
Grundkonsens der Verfassungsparteien,<br />
sondern überlagerte ihn lediglich. Die Neofaschisten<br />
blieben daher auch nach Ausbruch des<br />
Kalten Krieges im Parteiensystem isoliert. Allerdings<br />
bildeten sie nun in diesem den antikommunistischen<br />
Gegenpol, um den sich die militanten<br />
Gegner des Kommunismus sammelten. Unter<br />
der Führung des Nationalkatholiken und militanten<br />
Antikommunisten Arturo Michelini bemühte<br />
sich der MSI in den Jahren 1954-1969<br />
verstärkt um eine „Einfügung“ (Inserimento) in<br />
das parlamentarische System. 36 Als Voraussetzung<br />
einer Zusammenarbeit mit der DC betrachtete<br />
Michelini die Transformation des MSI in<br />
eine nationale, soziale und populäre Rechtspartei.<br />
Statt an der RSI sollte sich diese an der Nation,<br />
der abendländischen Zivilisation und dem<br />
westlich-pluralistischen Staats- und Gesellschaftsmodell<br />
orientieren. Aus Protest gegen seine<br />
Transformationsbemühungen verließen die<br />
militanten Systemgegner um Pino Rauti nach<br />
dem Parteitag von Mailand 1956 die Partei und<br />
gründeten den Ordine Nuovo, eine radikalfa-<br />
35 Es handelte sich dabei sowohl um einen außenpolitischen<br />
Orientierungs- als auch um einen innenpolitischen<br />
Systemkonflikt. Andere Konflikte, die ebenfalls<br />
die italienische Politik bestimmten, so der Konflikt<br />
zwischen Kapital und Arbeit, Laizisten und Katholiken,<br />
Stadt und Land, Norden und Süden, Zentrum und<br />
Peripherie verloren dadurch an Bedeutung. Dies ermöglichte<br />
die Bildung antikommunistischer Regierungskoalitionen<br />
aus Christdemokraten, Liberalen, Republikanern<br />
und Sozialdemokraten, an denen sich seit<br />
1963 auch die Sozialisten beteiligten. Diese Koalitionen<br />
beherrschten das Land bis 1994 und verhinderten<br />
so einen demokratischen Machtwechsel. Vgl. Reimut<br />
Zohlnhöfer, Das Parteiensystem Italiens, in: Oskar<br />
Niedermayer/Richard Stöss/Melanie Haas (Hrsg.), Die<br />
Parteiensysteme Westeuropas, Wiesbaden 2006, S. 275-<br />
298.<br />
36 Arturo Michelini war Nationalist, Katholik und Antikommunist.<br />
Er kämpfte als Freiwilliger im Spanischen<br />
Bürgerkrieg auf der Seite der Frankisten und im II.<br />
Weltkrieg als Soldat des italienischen Expeditionskorps<br />
(ARMIR) in der Sowjetunion, war aber nicht<br />
Mitglied der faschistischen Partei PNF und schloß sich<br />
1943 auch nicht der RSI an. Von Oktober 1954 bis zu<br />
seinem Tode im Dezember 1969 war er Vorsitzender<br />
des MSI. Vgl. A. Baldoni, La Destra in Italia, op.cit.,<br />
S. 388, Anm. 35.<br />
134<br />
schistische Aktionsgruppe. Dies stärkte die Position<br />
der Konservativen, welche Michelinis Strategie<br />
unterstützten.<br />
Begünstigt wurde diese durch die labilen parlamentarischen<br />
Mehrheitsverhältnisse. Diese nötigten<br />
die Christdemokraten bis Anfang der<br />
sechziger Jahre, die Neofaschisten bei wichtigen<br />
parlamentarischen Entscheidungen zu konsultieren<br />
und gelegentlich auch informell mit ihnen zu<br />
kooperieren. So waren die DC-Minderheitsregierungen<br />
der Jahre 1957 und 1959 auf die parlamentarische<br />
Unterstützung des MSI angewiesen.<br />
Seinen Höhepunkt erreichte die informelle Zusammenarbeit<br />
beider Parteien unter der DC-Minderheitsregierung<br />
Tambroni 1960. Diese zerbrach<br />
jedoch 1961 am massiven Widerstand antifaschistischer<br />
Kräfte. Tambroni mußte zurücktreten<br />
und die DC wandte sich den Sozialisten<br />
zu. Die „Einfügungsstrategie“ des MSI war damit<br />
gescheitert.<br />
2.6. Das Experiment der „nationalen Rechten“<br />
1969-1977<br />
Nach dem Tod von Michelini 1969 vollzog sich<br />
ein tiefgreifender personeller, strategischer und<br />
programmatischer Wandel der Partei. Ihre Führung<br />
übernahm nun wieder der Repräsentant des<br />
nationalsozialen Flügels, Giorgio Almirante. Er<br />
betonte die traditionellen Werte der Partei und<br />
stützte sich innerparteilich vor allem auf die Parteiaktivisten,<br />
verstand es jedoch, auch die konservativen<br />
Honoratioren einzubinden. Er zentralisierte<br />
den Parteiapparat, schärfte das programmatische<br />
Profil und transformierte den MSI in<br />
eine Massenpartei mit einer ausdifferenzierten<br />
Organisationsstruktur. Dadurch stärkte er die Position<br />
der Parteiführung und ihrer Funktionsträger.<br />
37<br />
Strategisch verfolgte Almirante zwei Ziele. Einerseits<br />
wollte er die gesamte Rechte einschließlich<br />
radikaler Gruppierungen in die Partei integrieren,<br />
um diese zu einem zentralen Akteur der<br />
italienischen Politik zu machen. Andererseits<br />
wollte er einen antikommunistischen Rechtsblocks,<br />
eine Grande Destra aus Neofaschisten,<br />
Monarchisten, Liberalen und konservativen<br />
37 Vgl. P. Ignazi, Il polo escluso, op. cit., S. 133 ff.