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Aufsätze Roland Höhne – Parteientransformation in Italien – Die nationale Rechte zwischen Tradition und Anpassung MIP 2011 17. Jhrg. Entsprechend seiner Forderung nach Wahrung der territorialen Integrität Italiens lehnte der MSI den Friedensvertrag von 1947 ab, verlangte die Rückgabe aller verlorenen Gebiete (Istrien, Fiume, Zara) und der Kolonien, die Rückgliederung Triests und die internationale Gleichberechtigung Italiens. 17 Noch 1975 stimmte er als einzige Partei gegen die Ratifizierung des Vertrages von Osimo, in dem Italien die Nachkriegsgrenze mit Jugoslawien endgültig anerkannte. 18 In dem sich 1946/47 abzeichnenden Ost-West- Konflikt befürwortete der MSI zunächst eine strikte außenpolitische Neutralität und lehnte einen Beitritt zur Atlantischen Allianz ab. 19 Als Alternative zu den politisch-militärischen Blöcken forderte er die Schaffung eines Vereinten Europas unter Einschluß Deutschlands mit Afrika als Ergänzungsraum und der arabischen Welt als Partner. 20 Es sollte ein „Europa der Nationen“ sein im Gegensatz zum supranationalen Europa der Christdemokraten und Sozialisten. 21 Er verurteilte die Teilung des europäischen Kontinents in eine östliche und westliche Hälfte durch die Siegermächte und wandte sich während des Ungarnaufstandes von 1956 scharf gegen die „Logik von Jalta“, d.h. die Respektierung des sowjetischen Herrschaftsbereichs durch den Westen. 22 Die grundlegende Veränderung der sicherheitspolitischen Interessenlage Italiens durch den Kalten Krieg veranlaßte jedoch die Parteiführung bereits im Oktober 1951, sich offiziell zur westlichen Allianz zu bekennen. 23 Damit hatte die Partei bereits in ihrer Frühphase einen zen- 17 So Generalsekretär De Marsanich auf dem III. Parteitag 1952. Vgl. ebd., S. 414 f. 18 Vgl. ebd., S. 425-433. 19 Im Herbst 1949 befürworteten die MSI-Parlamentarier zwar die Aufnahme von Verhandlungen über einen eventuellen Beitritt zur Atlantischen Allianz, stimmten dann aber gegen diesen. Vgl. Giorgio Almirante, Processo al Parlamento, Roma 1968, Bd. I, S. 281. 20 Zur Europakonzeption des MSI vgl. Filippo Anfuso, Botschafter der RSI in Berlin in den Jahren 1943/1944, auf dem III. Parteitag des MSI 1952, in: A. Baldoni, La Destra in Italia, op. cit., S. 416 f. 21 An dieser Idee hielt der MSI bis zu seiner Transformation fest. Siehe die Debatten auf dem VIII. Parteitag des MSI 1965 in Pescara, in: Ebd., S. 573. 22 Vgl. Il Secolo d’Italia vom 1. Nov. 1956. 132 tralen Punkt ihrer außenpolitischen Programmatik unter dem Druck der internationalen Entwicklung revidiert und sich den Positionen der pro-westlichen Parteien angenähert. Gegenüber den westlichen Siegermächten wahrte sie jedoch ihre kritische Distanz. Noch 1984 gedachte sie des vierzigsten Jahrestages des deutsch-italienischen Abwehrerfolges von Anzio im Januar/Februar 1944 gegenüber amerikanischen Landungstruppen. 24 Wirtschaftspolitisch forderten die Radikalen bis in die siebziger Jahre eine korporatistische Wirtschaftsordnung sowie die Sozialisierung der öffentlichen Unternehmen durch eine Beteiligung der Betriebsangehörigen an deren Leitung und Ergebnissen. 25 Der rechte Parteiflügel bekannte sich dagegen zur Marktwirtschaft und lehnte eine staatliche Lenkung der Wirtschaft prinzipiell ab. Der Staat dürfe nur dann wirtschaftlich aktiv werden, wenn die Privatwirtschaft versage. 26 Aufgrund seiner Herkunft, Ideologie und Programmatik war der MSI eindeutig eine neofaschistische Partei, die sich am Bewegungsfaschismus der Frühzeit und der RSI orientierte. Im Unterschied zum Bewegungsfaschismus der Jahre 1919-1922 verzichtete er aber auf die Anwendung von Gewalt zur Machteroberung und fügte sich nolens volens in das demokratische Verfassungssystem ein, und im Unterschied zur faschistischen Staatspartei der RSI trug er seine internen Gegensätze demokratisch aus, da er nur so seine Einheit bewahren konnte. Ideologisch und programmatisch gab es eine gewisse Nähe zu den Monarchisten und zum rechten Flügel der Christdemokraten. Von den Monarchisten unterschied er sich jedoch durch seine Ablehnung der Monarchie, von den Christdemokraten durch seine Ablehnung des antifaschistischen Verfas- 23 Vgl. A. Baldoni, La Destra in Italia, op.cit., S. 321, Anm. 4. 24 Diese Manifestation war eine Gegenveranstaltung zu den westlichen Feierlichkeiten zum vierzigsten Jahrestag der alliierten Landung in der Normandie. 25 So in der programmatischen Erklärung des VIII. Parteitages von Rom 1965. Vgl. A. Baldoni op.cit., S. 577. 26 So A. Michelini auf dem VII. Parteitag des MSI von 1963 in Rom, in: Ebd., S. 566.

MIP 2011 17. Jhrg. Roland Höhne – Parteientransformation in Italien – Die nationale Rechte zwischen Tradition und Anpassung Aufsätze sungskonsenses und seine Distanz zur katholischen Kirche. 2.5. Strategie Zur Durchsetzung seiner Zielsetzungen schwankte der MSI in den ersten Jahren zwischen einer Opposition zum System und einer Opposition zu den Verfassungsparteien im System. Die Radikalen befürworteten eine konsequente Antisystemstrategie, weil sie das demokratische System grundsätzlich ablehnten. Nur aus opportunistischen Gründen befürworteten sie die Beachtung der republikanischen Legalität, um ein Parteiverbot zu vermeiden, sowie die Teilnahme an Wahlen, um die Einflußchancen der Institutionen zu nutzen. Bündnisse mit demokratischen Parteien lehnten sie strikt ab, weil sie einen Verlust der „revolutionären Energien“ fürchteten. Stattdessen pflegten sie Kontakte zu nationalrevolutionären Geheimbünden und Zirkeln. 27 Die Konservativen befürworteten dagegen ab 1950 ein „Einfügen“ in das System sowie Bündnisse mit antikommunistischen Parteien, insbesondere der Democrazia Cristiana (DC). Allerdings betrachteten auch sie die parlamentarische Demokratie nicht als Wertesystem, sondern lediglich als Methode zur Auswahl und Legitimation des politischen Führungspersonals. 28 Unter der Führung von de Marsanich konnten sie sich durchsetzen, verfehlten jedoch ihr Ziel, da weder die Monarchisten noch die Christdemokraten zur Zusammenarbeit bereit waren. Der Stimmenanteil des MSI stieg aber bei den Parlamentswahlen von 1953 gegenüber 1948 von 2 auf 5,8 Prozent. 29 Die operativen Strategien der MSI wurden in hohem Masse von den Handlungsbedingungen des Parteiensystems bestimmt. Diese ergaben sich vor allem aus dessen normativen Grundlagen, dem Ost-West-Konflikt, den Institutionen sowie aus den zentralen Konflikten und den dominie- 27 Vgl. Piero Ignazi, Postfascisti? Dal Movimento sociale italiano ad Alleanza nazionale, Bologna 1994, S. 13f. 28 Vgl. De Marsanich auf dem II. Parteitag des MSI, Juli 1949, in Rom, in: A. Baldoni, La destra in Italia, op.cit., S. 304. 29 Vgl. Mario Corte (Hrsg.), sessant’anni de elezioni in Italia, op. cit., S. 18 ff. renden Weltanschauungen der italienischen Gesellschaft. 30 Normative Grundlage des italienischen Parteiensystems bildete ein antifaschistischer Verfassungskonsens, der von allen politischen Kräften getragen wurde, die den Faschismus bekämpft und sich 1946/47 am Verfassungsgebungsprozeß beteiligt hatten. 31 Er beruhte auf den Werten der pluralistischen Demokratie, des Rechtsstaates und des Antifaschismus. 32 Da der MSI ihn nicht teilte, wurde er von den Verfassungsparteien aus dem demokratischen Leben ausgegrenzt. Er war daher auf der nationalen Ebene bis 1994 weder an Wahlbündnissen noch an Regierungskoalitionen beteiligt. Lediglich auf der kommunalen Ebene kooperierten im Süden die Monarchisten und bis Anfang der sechziger Jahre auch die Christdemokraten mit ihm. Piero Ignazi charakteresierte ihn daher sehr treffend als „ausgeschlossenen Pol“ des italienischen Parteiensystems. 33 Der Kalte Krieg spaltete ab Mai 1947 die Verfassungsparteien in ein kommunistisch-sozialistisches und ein antikommunistisches Lager. Obwohl die sozialistisch-kommunistische Aktionsgemeinschaft 34 sich 1956 auflöste und der Gegensatz beider Lager in den siebziger Jahren an Schärfe verlor, beherrschte dieser bis gegen Ende des Ost-West-Konfliktes den Parteienwett- 30 Vgl. Isabel Kneisler, Das italienische Parteiensystem im Wandel, Wiesbaden 2011, S. 75-91. Elisabeth Fix, Italiens Parteiensystem im Wandel. Von der Ersten zur Zweiten Republik, Frankfurt/Main 1999, S. 51-114. 31 Es handelte sich dabei um Liberale, Katholiken, Sozialisten und Kommunisten. Die Monarchisten hatten seit dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 zwar auch den antifaschistischen Widerstand unterstützt, gehörten jedoch nicht zum „Verfassungsbogen“, da sie die 1946 per Referendum eingeführte Republik ablehnten. 32 Vgl. Ugo De Siervo, Le scelte fondamentali dell’Assemblea Costituente, in: Hartmut Ullrich (Hrsg.), Verfassungsgebung, partitocrazia und Verfassungswandel in Italien vom Ende des II. Weltkrieges bis heute, Frankfurt am Main 2001, S. 57-68. 33 Vgl. Ignazi, Piero: Il polo escluso. Profilo del Movimento Sociale Italiano, Il Mulino, Bologna 1989. 34 Der Patto d’unità d’azione zwischen PCI und PSI vom August 1934 war analog der Front commun zwischen PCF und SFIO in Frankreich im Zuge der kommunistischen Volksfrontstrategie gegründet worden. 133

<strong>Aufsätze</strong> Roland Höhne – Parteientransformation in Italien – Die nationale Rechte zwischen Tradition und Anpassung MIP 2011 17. Jhrg.<br />

Entsprechend seiner Forderung nach Wahrung<br />

der territorialen Integrität Italiens lehnte der MSI<br />

den Friedensvertrag von 1947 ab, verlangte die<br />

Rückgabe aller verlorenen Gebiete (Istrien, Fiume,<br />

Zara) und der Kolonien, die Rückgliederung<br />

Triests und die internationale Gleichberechtigung<br />

Italiens. 17 Noch 1975 stimmte er als einzige<br />

Partei gegen die Ratifizierung des Vertrages von<br />

Osimo, in dem Italien die Nachkriegsgrenze mit<br />

Jugoslawien endgültig anerkannte. 18<br />

In dem sich 1946/47 abzeichnenden Ost-West-<br />

Konflikt befürwortete der MSI zunächst eine<br />

strikte außenpolitische Neutralität und lehnte<br />

einen Beitritt zur Atlantischen Allianz ab. 19 Als<br />

Alternative zu den politisch-militärischen Blöcken<br />

forderte er die Schaffung eines Vereinten<br />

Europas unter Einschluß Deutschlands mit Afrika<br />

als Ergänzungsraum und der arabischen Welt<br />

als Partner. 20 Es sollte ein „Europa der Nationen“<br />

sein im Gegensatz zum supranationalen Europa<br />

der Christdemokraten und Sozialisten. 21 Er verurteilte<br />

die Teilung des europäischen Kontinents<br />

in eine östliche und westliche Hälfte durch die<br />

Siegermächte und wandte sich während des Ungarnaufstandes<br />

von 1956 scharf gegen die „Logik<br />

von Jalta“, d.h. die Respektierung des sowjetischen<br />

Herrschaftsbereichs durch den Westen. 22<br />

Die grundlegende Veränderung der sicherheitspolitischen<br />

Interessenlage Italiens durch den<br />

Kalten Krieg veranlaßte jedoch die Parteiführung<br />

bereits im Oktober 1951, sich offiziell zur<br />

westlichen Allianz zu bekennen. 23 Damit hatte<br />

die Partei bereits in ihrer Frühphase einen zen-<br />

17 So Generalsekretär De Marsanich auf dem III. Parteitag<br />

1952. Vgl. ebd., S. 414 f.<br />

18 Vgl. ebd., S. 425-433.<br />

19 Im Herbst 1949 befürworteten die MSI-Parlamentarier<br />

zwar die Aufnahme von Verhandlungen über einen<br />

eventuellen Beitritt zur Atlantischen Allianz, stimmten<br />

dann aber gegen diesen. Vgl. Giorgio Almirante, Processo<br />

al Parlamento, Roma 1968, Bd. I, S. 281.<br />

20 Zur Europakonzeption des MSI vgl. Filippo Anfuso,<br />

Botschafter der RSI in Berlin in den Jahren 1943/1944,<br />

auf dem III. Parteitag des MSI 1952, in: A. Baldoni,<br />

La Destra in Italia, op. cit., S. 416 f.<br />

21 An dieser Idee hielt der MSI bis zu seiner Transformation<br />

fest. Siehe die Debatten auf dem VIII. Parteitag<br />

des MSI 1965 in Pescara, in: Ebd., S. 573.<br />

22 Vgl. Il Secolo d’Italia vom 1. Nov. 1956.<br />

132<br />

tralen Punkt ihrer außenpolitischen Programmatik<br />

unter dem Druck der internationalen Entwicklung<br />

revidiert und sich den Positionen der<br />

pro-westlichen Parteien angenähert. Gegenüber<br />

den westlichen Siegermächten wahrte sie jedoch<br />

ihre kritische Distanz. Noch 1984 gedachte sie<br />

des vierzigsten Jahrestages des deutsch-italienischen<br />

Abwehrerfolges von Anzio im Januar/Februar<br />

1944 gegenüber amerikanischen Landungstruppen.<br />

24<br />

Wirtschaftspolitisch forderten die Radikalen bis<br />

in die siebziger Jahre eine korporatistische Wirtschaftsordnung<br />

sowie die Sozialisierung der öffentlichen<br />

Unternehmen durch eine Beteiligung<br />

der Betriebsangehörigen an deren Leitung und<br />

Ergebnissen. 25 Der rechte Parteiflügel bekannte<br />

sich dagegen zur Marktwirtschaft und lehnte eine<br />

staatliche Lenkung der Wirtschaft prinzipiell ab.<br />

Der Staat dürfe nur dann wirtschaftlich aktiv werden,<br />

wenn die Privatwirtschaft versage. 26<br />

Aufgrund seiner Herkunft, Ideologie und Programmatik<br />

war der MSI eindeutig eine neofaschistische<br />

Partei, die sich am Bewegungsfaschismus<br />

der Frühzeit und der RSI orientierte.<br />

Im Unterschied zum Bewegungsfaschismus der<br />

Jahre 1919-1922 verzichtete er aber auf die Anwendung<br />

von Gewalt zur Machteroberung und<br />

fügte sich nolens volens in das demokratische<br />

Verfassungssystem ein, und im Unterschied zur<br />

faschistischen Staatspartei der RSI trug er seine<br />

internen Gegensätze demokratisch aus, da er nur<br />

so seine Einheit bewahren konnte. Ideologisch<br />

und programmatisch gab es eine gewisse Nähe<br />

zu den Monarchisten und zum rechten Flügel der<br />

Christdemokraten. Von den Monarchisten unterschied<br />

er sich jedoch durch seine Ablehnung der<br />

Monarchie, von den Christdemokraten durch seine<br />

Ablehnung des antifaschistischen Verfas-<br />

23 Vgl. A. Baldoni, La Destra in Italia, op.cit., S. 321,<br />

Anm. 4.<br />

24 Diese Manifestation war eine Gegenveranstaltung zu<br />

den westlichen Feierlichkeiten zum vierzigsten Jahrestag<br />

der alliierten Landung in der Normandie.<br />

25 So in der programmatischen Erklärung des VIII. Parteitages<br />

von Rom 1965. Vgl. A. Baldoni op.cit., S.<br />

577.<br />

26 So A. Michelini auf dem VII. Parteitag des MSI von<br />

1963 in Rom, in: Ebd., S. 566.

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