Aufsätze - PRuF

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08.01.2013 Aufrufe

Aufsätze Alexandra Bäcker – Das Problem der „Listenorientierung“ des Finanzierungsanspruchs politischer Parteien MIP 2011 17. Jhrg. Selbst in dem Bericht der Kommission findet sich keine Aussage zur Wahlkreisregelung. Der Abschnitt zu den Mindestquoren befasst sich ausschließlich mit der bisherigen Listenregelung und empfiehlt, es für alle anspruchsauslösenden Wahlen – also von nun an sowohl die Bundestags- als auch die Landtagswahlen – bei dem bisher geltenden Mindeststimmenanteil von 0,5% zu belassen17 . Die Normgeschichte erweckt den Eindruck, als sei die 1967 getroffene Wahlkreisregelung bei allen folgenden Gesetzesänderungen lediglich „mitgeschleppt“ worden, ohne sie in den jeweils neuen Regelungszusammenhang – verfassungskonform – zu integrieren. b) Generelle verfassungsrechtliche Bedenken Vor diesem Hintergrund ergeben sich in zweierlei Hinsicht generelle verfassungsrechtliche Bedenken. Zum einen steht in Frage, ob die Wahlkreisregelung in Einklang steht mit der an der Verwurzelung der Parteien in der Gesellschaft orientierten Allgemeinfinanzierung. Zum anderen ist auch die – schon in der ersten Fassung des Parteiengesetzes vorgesehene – Exklusivität der Ansprüche, also der Listenregelung (§18 Abs. 4 S. 1 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 PartG) einerseits und der Wahlkreisregelung (§18 Abs. 4 S. 1 i.V.m. Abs. 3 Nr. 2 PartG) andererseits, kritisch zu hinterfragen. aa) Das Vorenthalten des Zuwendungsanteils und die Beschränkung auf den Wahlkreis als Berechnungsgrundlage Der Parteibegriff (§ 2 PartG), der den Anwendungsbereich des Parteiengesetzes erschließt, verlangt, dass sich politische Parteien (innerhalb eines 6-Jahres-Zeitraumes) mit eigenen Wahlvorschlägen an einer Wahl beteiligen. Er setzt nicht voraus, dass sie dies mit eigenen Listen tun. Der Grundsatz der Chancengleichheit beinhaltet das Gebot des Staates zur formalen Gleichbehandlung aller Parteien, zunächst einmal unab- 17 S. Bundespräsidialamt (Hrsg.), Empfehlungen der Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung, Baden-Baden 1994, S. 59 f. 10 hängig davon, ob sie nun mit Wahlkreisbewerbern oder mit eigenen Listen zur Wahl antreten. Grundsätzlich berücksichtigt § 18 Abs. 4 PartG dies, indem er sowohl für Parteien mit eigenen Listen als auch für Parteien, die „nur“ mit Wahlkreisbewerbern zur Wahl antreten, einen Finanzierungsanspruch vorsieht. Als problematisch erweist sich indes sowohl die generelle Nichtgewährung des Zuwendungsanteils für Parteien, die sich ohne Listen an Wahlen beteiligen (§ 18 Abs. 4 S. 2 und Abs. 3 PartG), als auch die Beschränkung auf den Wahlkreis als Berechnungsgrundlage des Wählerstimmenanteils. Beide Regelungen vernachlässigen über Gebühr die sich aus dem Gebot der Staatsfreiheit der Parteien ergebenden Grundsätze der Mittelverteilung, welche sich eben am Grad der Verwurzelung der Parteien in der Bevölkerung zu orientieren hat. Indem nur Parteien mit eigenen Listen an dem Zuwendungsanteil partizipieren, führt die Wahlkreisregelung zu einer ungleichen Zuteilung der staatlichen Mittel. Dass ein Zuwendungsanteil überhaupt gewährt wird, entspricht den in § 18 Abs. 1 S. 2 PartG festgelegten Maßstäben der Mittelverteilung, die wiederum dem Gebot der Staatsfreiheit politischer Parteien Rechnung tragen. Danach darf das staatliche Finanzierungssystem die Parteien nicht aus der Notwendigkeit entlassen, sich um Zustimmung und aktive – auch finanzielle – Unterstützung in der Bevölkerung zu bemühen. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist diesem Gebot – nämlich die gesellschaftliche Verwurzelung der Parteien auch durch die Art ihrer Finanzierung zu festigen – dadurch Rechnung zu tragen, dass der Verteilungsmaßstab sowohl den Erfolg berücksichtigt, den eine Partei beim Wähler hat, als auch den Erfolg, den sie bei der Summe der Mitgliedsbeiträge sowie bei dem Umfang der von ihr eingeworbenen Spenden erzielt – und zwar zu einem jeweils ins Gewicht fallenden Anteil18 . Danach widerspricht es bereits den sich aus der Verfassung ergebenden Kriterien der staatlichen Parteienfinanzierung, den Zuwendungsanteil bei 18 S. BVerfGE 85, 264 (292).

MIP 2011 17. Jhrg. Alexandra Bäcker – Das Problem der „Listenorientierung“ des Finanzierungsanspruchs politischer Parteien Aufsätze der Zuteilung der Mittel gänzlich unberücksichtigt zu lassen. Selbst wenn der Gesetzgeber lediglich hinsichtlich der Gewichtung der Anteile Unterschiede machen wollte, bedürfte er für eine Differenzierung zwischen den grundsätzlich anspruchsberechtigten Parteien eines zwingenden, rechtfertigenden Grundes. Dabei werden die befürchteten Mitnahmeeffekte und nur auf staatliche Mittel zielende Parteigründungen bzw. Wahlteilnahmen bereits durch die als „Test“ der Ernsthaftigkeit von Wahlerfolgsbemühungen vorgesehenen Mindeststimmenanteile verhindert. Ein zwingender sachlicher Grund ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der die Differenzierung bei den Mindeststimmenanteilen tragenden Erwägungen: Danach war das deutlich höhere Quorum von 10% der Wählerstimmen deshalb gerechtfertigt, weil die enge räumliche Begrenzung eines einzelnen Wahlkreises lokalen Splittergruppen größere Missbrauchschancen eröffnet als das Wahlgebiet im Ganzen. Bezogen auf die Teilhabe am Zuwendungsanteil könnten größere Missbrauchsgefahren im Vergleich zu den Parteien, die sich mit Listen an Wahlen beteiligen, allenfalls in zwei Punkten auszumachen sein: Zum einen könnten die Parteien versucht sein, auf eine Spendenkonzentration in dem betreffenden Wahlkreis hinzuwirken, um so letztlich den auf sie entfallenden Zuwendungsanteil zu erhöhen. Für den Fall, dass dies im Wege einer Falschdeklaration eingenommener Spenden oder Beiträge erfolgen sollte, wirken dem jedoch bereits die sanktionsbewehrten Rechenschaftspflichten entgegen. Im Übrigen steht zu vermuten, dass in dem Wahlkreis des außergewöhnlich erfolgreichen Direktkandidaten die politische Partei – im Vergleich zu ihrem sonstigen Wirkungsbereich – ohnehin deutlich größere Unterstützung aus der Bevölkerung erfährt. Dies ist dann auch lediglich Ausdruck ihrer – erwünschten und gebotenen – Wahlerfolgsbemühungen und spiegelt zutreffend ihre gesellschaftliche Verwurzelung im jeweiligen Wahlkreis. Zwar besteht deshalb zum anderen generell die Gefahr einer überproportionalen Berück- sichtigung der ausschließlich in einem Wahlkreis eingeworbenen Zuwendungen im Verhältnis zu den Gesamteinnahmen der Partei. Dieses Problem entsteht allerdings erst dann, wenn für die Berechnung des Finanzierungsanspruchs – wie bislang auch für den Wählerstimmenanteil vorgesehen – ausschließlich der Rückhalt in den betreffenden Wahlkreisen maßgeblich ist. Auch diese Einschränkung ist jedoch – für den Wählerstimmenanteil ebenso wie für den Zuwendungsanteil – verfassungsrechtlich nicht unproblematisch. Sind die Mindeststimmenanteile als Test auf die Ernsthaftigkeit der Wahlerfolgsbemühungen einer politischen Partei zu verstehen, ist dieser Test mit Erreichen der 10% in einem Wahlkreis bestanden. Die politische Partei hat dann einen Rückhalt in der Bevölkerung belegt, der sie als ernstzunehmende politische Strömung ausweist, und zwar für den gesamten Wirkungsbereich, auf den die Wahlteilnahme zielt – nämlich die Vertretung in einem Landtag, im Bundestag oder im Europaparlament. Anderes hieße, nicht die Ernsthaftigkeit der Wahlerfolgsbemühungen der politischen Partei, sondern des jeweiligen Direktkandidaten zum Maßstab der Mittelverteilung zu machen. Hierfür sind jedoch sachliche Gründe nicht erkennbar. Letztlich würden dann politische Parteien mit erfolgreichen Wahlkreiskandidaten nicht nur schlechter gestellt als die politischen Parteien, die mit Listen zur Wahl antreten. Selbst gegenüber parteilosen Einzelbewerbern in Wahlkreisen wären diese politischen Parteien deutlich benachteiligt. Bezogen auf Bundestagswahlen erhalten parteilose Einzelbewerber nach § 49b BWahlG 2,80 Euro je Stimme. Mit Blick auf entsprechende Regelungen für parteilose Einzelbewerber in den Landeswahlgesetzen verhält es sich mitunter genauso19 , mitunter fällt der Erstattungsbetrag je Stimme aber auch niedriger aus20 . Demgegen- 19 S. etwa § 42 LWahlG NW, der bei einer 5-jährigen Legislaturperiode einen Erstattungsbetrag in Höhe von 3,50 € je Stimme vorsieht. 20 S. etwa § 53 Abs. 1 LWahlG BaWü, der bei einer 5jährigen Legislaturperiode lediglich einen Erstattungsbetrag in Höhe von 2,05 € je Stimme vorsieht. 11

<strong>Aufsätze</strong> Alexandra Bäcker – Das Problem der „Listenorientierung“ des Finanzierungsanspruchs politischer Parteien MIP 2011 17. Jhrg.<br />

Selbst in dem Bericht der Kommission findet<br />

sich keine Aussage zur Wahlkreisregelung. Der<br />

Abschnitt zu den Mindestquoren befasst sich<br />

ausschließlich mit der bisherigen Listenregelung<br />

und empfiehlt, es für alle anspruchsauslösenden<br />

Wahlen – also von nun an sowohl die Bundestags-<br />

als auch die Landtagswahlen – bei dem bisher<br />

geltenden Mindeststimmenanteil von 0,5%<br />

zu belassen17 .<br />

Die Normgeschichte erweckt den Eindruck, als<br />

sei die 1967 getroffene Wahlkreisregelung bei<br />

allen folgenden Gesetzesänderungen lediglich<br />

„mitgeschleppt“ worden, ohne sie in den jeweils<br />

neuen Regelungszusammenhang – verfassungskonform<br />

– zu integrieren.<br />

b) Generelle verfassungsrechtliche Bedenken<br />

Vor diesem Hintergrund ergeben sich in zweierlei<br />

Hinsicht generelle verfassungsrechtliche Bedenken.<br />

Zum einen steht in Frage, ob die Wahlkreisregelung<br />

in Einklang steht mit der an der<br />

Verwurzelung der Parteien in der Gesellschaft<br />

orientierten Allgemeinfinanzierung. Zum anderen<br />

ist auch die – schon in der ersten Fassung<br />

des Parteiengesetzes vorgesehene – Exklusivität<br />

der Ansprüche, also der Listenregelung (§18<br />

Abs. 4 S. 1 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 PartG)<br />

einerseits und der Wahlkreisregelung (§18<br />

Abs. 4 S. 1 i.V.m. Abs. 3 Nr. 2 PartG) andererseits,<br />

kritisch zu hinterfragen.<br />

aa) Das Vorenthalten des Zuwendungsanteils<br />

und die Beschränkung auf den Wahlkreis als<br />

Berechnungsgrundlage<br />

Der Parteibegriff (§ 2 PartG), der den Anwendungsbereich<br />

des Parteiengesetzes erschließt, verlangt,<br />

dass sich politische Parteien (innerhalb eines<br />

6-Jahres-Zeitraumes) mit eigenen Wahlvorschlägen<br />

an einer Wahl beteiligen. Er setzt nicht<br />

voraus, dass sie dies mit eigenen Listen tun.<br />

Der Grundsatz der Chancengleichheit beinhaltet<br />

das Gebot des Staates zur formalen Gleichbehandlung<br />

aller Parteien, zunächst einmal unab-<br />

17 S. Bundespräsidialamt (Hrsg.), Empfehlungen der<br />

Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung,<br />

Baden-Baden 1994, S. 59 f.<br />

10<br />

hängig davon, ob sie nun mit Wahlkreisbewerbern<br />

oder mit eigenen Listen zur Wahl antreten.<br />

Grundsätzlich berücksichtigt § 18 Abs. 4 PartG<br />

dies, indem er sowohl für Parteien mit eigenen<br />

Listen als auch für Parteien, die „nur“ mit Wahlkreisbewerbern<br />

zur Wahl antreten, einen Finanzierungsanspruch<br />

vorsieht.<br />

Als problematisch erweist sich indes sowohl die<br />

generelle Nichtgewährung des Zuwendungsanteils<br />

für Parteien, die sich ohne Listen an Wahlen<br />

beteiligen (§ 18 Abs. 4 S. 2 und Abs. 3 PartG),<br />

als auch die Beschränkung auf den Wahlkreis als<br />

Berechnungsgrundlage des Wählerstimmenanteils.<br />

Beide Regelungen vernachlässigen über<br />

Gebühr die sich aus dem Gebot der Staatsfreiheit<br />

der Parteien ergebenden Grundsätze der Mittelverteilung,<br />

welche sich eben am Grad der Verwurzelung<br />

der Parteien in der Bevölkerung zu<br />

orientieren hat.<br />

Indem nur Parteien mit eigenen Listen an dem<br />

Zuwendungsanteil partizipieren, führt die Wahlkreisregelung<br />

zu einer ungleichen Zuteilung der<br />

staatlichen Mittel.<br />

Dass ein Zuwendungsanteil überhaupt gewährt<br />

wird, entspricht den in § 18 Abs. 1 S. 2 PartG<br />

festgelegten Maßstäben der Mittelverteilung, die<br />

wiederum dem Gebot der Staatsfreiheit politischer<br />

Parteien Rechnung tragen. Danach darf das<br />

staatliche Finanzierungssystem die Parteien nicht<br />

aus der Notwendigkeit entlassen, sich um Zustimmung<br />

und aktive – auch finanzielle – Unterstützung<br />

in der Bevölkerung zu bemühen. Nach<br />

den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist<br />

diesem Gebot – nämlich die gesellschaftliche<br />

Verwurzelung der Parteien auch durch die Art<br />

ihrer Finanzierung zu festigen – dadurch Rechnung<br />

zu tragen, dass der Verteilungsmaßstab sowohl<br />

den Erfolg berücksichtigt, den eine Partei<br />

beim Wähler hat, als auch den Erfolg, den sie bei<br />

der Summe der Mitgliedsbeiträge sowie bei dem<br />

Umfang der von ihr eingeworbenen Spenden erzielt<br />

– und zwar zu einem jeweils ins Gewicht<br />

fallenden Anteil18 .<br />

Danach widerspricht es bereits den sich aus der<br />

Verfassung ergebenden Kriterien der staatlichen<br />

Parteienfinanzierung, den Zuwendungsanteil bei<br />

18 S. BVerfGE 85, 264 (292).

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