Gefaltete Lochkarte - Fassade
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FASSADEN-ARCHITEKTUR<br />
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FASSADE 2/2003<br />
<strong>Gefaltete</strong> <strong>Lochkarte</strong><br />
Der Architekt spricht von dem „Kleid“. Die Fugen zwischen den Betonplatten nennt er<br />
„Nähte“. Ein weißes Kleid also mit wild verteilten Rauten darauf. Kein Ballkleid,<br />
sondern eher eines für alle Tage. Denn die Hülle, um die es geht, ist die <strong>Fassade</strong>, die<br />
Rauten sind die Fenster einer Lagerhalle. Das Berliner Büro weber+würschinger setzte<br />
beim Bau konsequent auf Porenbeton und Glas. Das Ergebnis ist eine aufregend<br />
rhythmisierte Hülle, die zudem auch noch funktional ist.
„… im Block gefaltete<br />
<strong>Lochkarte</strong>.“ Blick<br />
von der Straßenseite<br />
(Westen).<br />
Bis noch vor ein paar Jahren gab es<br />
für Gewerbebauten wie Lagerhallen<br />
eine Art genetischen Plan, den die meisten<br />
Architekten zwanghaft umsetzten.<br />
Die Devise heißt: Schaffe eine wettergeschützte<br />
Fläche für eine flexible Nutzung.<br />
Nicht mehr, eher weniger.<br />
Das Ergebnis waren dann meist klotzige<br />
Billigbauten, die wegen ihrer Größe unglücklicherweise<br />
auch noch weithin sichtbar<br />
waren. Seit einigen Jahren aber haben<br />
immer mehr Architekten den Ehrgeiz, ihre<br />
Kreativität auch bei Zweckbauten zu beweisen.<br />
Zuweilen kann man gar den eindruck<br />
gewinnen, dass sich die Architektur-Avantgarde<br />
zunehmend im Lager der<br />
Lagerbauer umtreibt. Selbst prominenteste<br />
Architekten haben sich zuletzt dem<br />
Thema gewidmet.<br />
Die Berliner Architekten Michael Weber<br />
und Klaus Würschinger entwerfen und<br />
bauen seit fünf Jahren Industrie- und Gewerbebauten.<br />
2001 haben sie im bayerischen<br />
Weiden eine Lagerhalle für einen<br />
Textil-Versandhandel entworfen und gebaut.<br />
Das Besondere daran ist die <strong>Fassade</strong><br />
aus preiswertem Porenbeton. „Das ist eigentlich<br />
ein gewöhnlicher Baustoff, der<br />
beim Bau vieler Gebäude auf billige und<br />
hässliche Weise eingesetzt wird“, sagt<br />
Würschinger. Dennoch entschieden sie<br />
sich dafür, verwarfen andere Lösungen<br />
aus Holz oder Aluminium nicht nur aus<br />
Kostengründen. „Es reizte uns, das mit Porenbeton<br />
auszuprobieren“, sagt Klaus<br />
Würschinger.<br />
Morsezeichen<br />
Kräftigstes Merkmal des quaderförmigen<br />
Gebäudes ist die scheinbar wilde Anordnung<br />
der Fenster auf allen vier Gebäudeseiten.<br />
Der visuelle Eindruck, der entsteht,<br />
ist der einer im Block gefalteten <strong>Lochkarte</strong>,<br />
jener Datenträger aus der Frühzeit der<br />
digitalen Ära. Die <strong>Fassade</strong> also als Träger<br />
eines binären Codes, in Glas und Beton<br />
gefasste Morsezeichen, die eine geheime<br />
Nachricht in sich verbergen!?<br />
Die Verteilung der Fensteröffnungen ist<br />
aber genauso wie die Löcher in der alten<br />
<strong>Lochkarte</strong> alles andere als zufällig. Würschinger:<br />
„Sie hat einen Bezug zum Innenraum<br />
und ergibt sich aus der Position<br />
der Regale, den Flurbreiten und der Höhe<br />
des Regalsystems.“<br />
Würschinger beschreibt die Entstehung<br />
des rhythmischen Musters so: „Wir haben<br />
zwei <strong>Fassade</strong>n-Module unter statischen<br />
Erwägungen maximal mit Fenstern versehen.<br />
Dann haben wir angefangen, nach<br />
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FASSADE 2/2003<br />
„In Glas und Beton<br />
gefasste Morsezeichen<br />
…“ Nordfassade.
Prototyp. Die Verladerampen<br />
an der Südseite sahen erbärmlich<br />
aus. Mit der Hülle<br />
aus Fertigbetonteilen, passen<br />
sie zur sachlichen <strong>Fassade</strong>.<br />
ästhetischen und funktionalen Gesichtspunkten<br />
Fenster herauszunehmen.“<br />
Um so zu arbeiten, mussten die Architekten<br />
wissen, wie das Innenleben der Halle<br />
aussehen wird, wie die Regalmöblierung<br />
exakt verläuft. Denn wem nutzt die spannendste<br />
<strong>Fassade</strong>, wenn die Fenster innen<br />
keine sinnvolle Lichtverteilung schaffen?<br />
„Wir haben deswegen vorher mit dem Regalbauer<br />
gesprochen und mit ihm einen<br />
Plan erarbeitet, der festschrieb, wie die<br />
Regale stehen werden“, sagt Michael Weber.<br />
Mit dieser Information gingen die<br />
beiden daran, die Fenster leicht versetzt<br />
und doch punktuell auf den Innenraum<br />
auszurichten. „Die großen Fenster fallen<br />
auf die Gänge zwischen den Regalen“,<br />
sagt Weber. „Denn hauptsächlich dort<br />
wird viel Licht gebraucht.“ Es gibt nur<br />
zwei Fenstergrößen, weil sie aus Gründen<br />
der Statik nur die einfache oder die doppelte<br />
Breite der Porenbetonplatten haben<br />
durften. Anderenfalls wäre die Lastabtragung<br />
der Platten nicht gewährleistet gewesen.<br />
Würschinger: „Das Innenleben der Halle<br />
kommt der punktuellen Belichtung entgegen.<br />
Bei einem Bürogebäude ist das etwas<br />
anderes, da ist eine bandweise Belichtung<br />
zweckmäßiger.“<br />
weber+würschinger sprechen von einer<br />
„oszillogrammartigen“ Verteilung. Dass es<br />
nur zwei jeweils sechs Meter breite unterschiedliche<br />
<strong>Fassade</strong>n-Module sind, die abwechselnd<br />
hintereinandergesetzt wurden,<br />
ist optisch kaum wahrnehmbar. Das digi-<br />
tale Band scheint ohne Anfang und Ende.<br />
Eine Ausrichtung bekommt der Block vor<br />
allem durch die rückseitigen Lieferrampen<br />
und Treppengerüste aus Sichtbeton und<br />
verzinktem Stahl.<br />
Auch bei den Lieferrampen ließen es die<br />
Architekten nicht bei der Standardversion<br />
bewenden. Die üblichen Isopaneel verkleideten<br />
Anlieferungsrampen sahen so erbärmlich<br />
aus, dass die Architekten sie in<br />
maßgeschneiderte Kammern aus Stahl-<br />
Beton-Fertigteilen einkleideten.<br />
Ganzheitliches Bild<br />
weber+würschinger wollten, dass die Halle<br />
ein „ganzheitliches Bild“ abgibt. Das<br />
haben sie u. a. mit einer subtilen naturbelassenen<br />
Materialauswahl erreicht. „Da<br />
spielt die Materialechtheit eine Rolle“,<br />
sagt Würschinger über die <strong>Fassade</strong>, die<br />
sich praktisch nur aus vier Materialien<br />
und Farbtönen gestaltet: Sichtbeton und<br />
Porenbeton, Glas und eloxiertes Aluminium<br />
bei Fensterrahmen und Attikaabdeckung.<br />
Um den Eindruck des Materials noch zu<br />
erhöhen, wollten die Architekten die offenporige<br />
Betonstruktur ursprünglich nur<br />
lasieren. Das war dem Bauherrn zu rauh.<br />
Man einigte sich auf eine Farbbehandlung<br />
in einem Ton, der dem Originalmaterial<br />
sehr nahe kommt.<br />
Würschinger: „Viele Gewerbebauten wirken<br />
sehr aufgeregt, weil verschiedene Farben<br />
eingesetzt werden. Das wollten wir<br />
FASSADEN-ARCHITEKTUR<br />
nicht, keine Störungen durch Farben und<br />
anderes, sondern etwas Subtileres mit einer<br />
natürlichen Haptik. Es sollte wie ein<br />
schönes Kleid sein.“ □<br />
Bautafel<br />
Bauherr: Fa. Würschinger GbR, Weiden<br />
Architekten: weber+würschinger,<br />
Berlin, Michael Weber + Klaus Würschinger;<br />
Mitarbeit Michaela Holzwarth<br />
Tragwerksplanung: Ingenieurgruppe<br />
Schieder, Weiden<br />
HLS Planung: Planungsbüro Markl,<br />
Weiden<br />
Elektroplanung: Fa. Elektro Weber,<br />
Weiden<br />
Brandschutzkonzept:<br />
weber+würschinger, Berlin<br />
<strong>Fassade</strong>nplanung: weber+würschinger,<br />
Berlin<br />
Porenbetonfassade: Hersteller Europor<br />
Massivhaus GmbH Boxberg, Montage<br />
Fa. Winkler Montagebau GmbH, Wöllstadt<br />
Aluminiumfassade: Fabrikat Schüco,<br />
Montage Fa. Wildner Metallbau,<br />
Wernberg<br />
Nutzer: Fa. Witt Weiden GmbH<br />
Fotos: Marcus Weidlich, Weiden<br />
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