Wellness · Gesundheit · Freizeit - St. Peter-Ording
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Tief hängende Wolken,<br />
hoch fliegende Gefühle<br />
Was als Spaziergang durch die Salzwiesen begann, wurde zur gedanklichen Einkehr<br />
Der Himmel ist grau, es beginnt zu nieseln. Ich kann mich nicht aufraffen,<br />
über die Seebrücke zum Meer zu gehen. Es ist Nachmittag und der<br />
Himmel verheißt so wenig Zuversicht, dass ich mich nicht zu weit vom<br />
Ort entfernen möchte. Andererseits steht mir angesichts der bedrückenden<br />
Wetterlage der Sinn nicht unbedingt nach Menschen. Herbst-<br />
Tristesse macht sich in mir breit.Vom Deich in Richtung Meer blickend<br />
kommt mir der Gedanke, einen Spaziergang durch die Salzwiesen zu<br />
machen. Ich habe gelesen, dass jene gern in Büchern abgebildeten<br />
Salzwiesen mit <strong>St</strong>randflieder und <strong>St</strong>randaster, mit Rotschwingel,<br />
Grasnelke oder Tausendgüldenkraut in ihrer üppigen Form selten<br />
geworden sind. Im Oktober sowieso. Als Botaniker bin ich heute aber<br />
nicht unterwegs.<br />
Ich nehme einen erlaubten Trampelpfad, der sich hinein schlängelt in<br />
die seltsame, menschenleere Landschaft zwischen Seebrücke und<br />
Südstrand. Noch immer in Reichweite zum Deich, wundert es mich, wie<br />
schnell ich in eine vollkommen andere <strong>St</strong>immung komme. Ist es die viel<br />
beschworene Lust an der Bewegung, die mich mitreißt und aufmuntert?<br />
Seit wann reißen einen die Glückshormone so früh mit? Es muss das<br />
Zusammenspiel verschiedener Kräfte sein. Die Wolken hängen tief und<br />
dennoch entsteht beim Gehen durch dieses botanische Wunderland ein<br />
unbeschreibliches Hochgefühl. Das Gras wiegt sich im Wind, der Regen<br />
knistert und benetzt meinen Friesennerz. Ich freunde mich mit ihm an.<br />
Muss ich wohl auch – er ist das Einzige, was ich höre. Ich gehe nicht alle<br />
Tage durch eine Salzwiese. Es ist ungewohnt. Ich muss über kleine<br />
Sandhügel balancieren, dann einen rutschigen Holzsteg passieren. Ich<br />
muss aufpassen, dass ich nicht in einen der Priele abrutsche. Mein<br />
Schuhwerk ist nicht das Beste. Das Gehen bindet meine<br />
Aufmerksamkeit. So bleibe ich bei mir, schweife nicht ab, wie es in einer<br />
wohlbekannten Umgebung der Fall wäre. Das Grübeln bekommt hier<br />
keine Chance. Und das, obwohl der Himmel so aussieht, als ob er jeden<br />
Moment einfallen würde. Ich bin froh, statt der Seebrücke die<br />
Salzwiesen gewählt zu haben. Im Bewusstsein, dass ich hier auf einem<br />
der fruchtbarsten Böden überhaupt spaziere, geht es nochmal so gut. Ich<br />
atme so tief durch, wie es die feuchte Luft erlaubt.<br />
Ich glaube, die Natur spürt man in diesem amphibischen, salzgetränkten<br />
Lebensraum stärker als am Meer. Das Spazieren vorne am Wasser,<br />
gegen den Wind, das man kennt – daran hat man sich gewöhnt. Dort<br />
wird die Landschaft zur Projektionsfläche, in die man sich selbst und<br />
seine Gedanken hineinspiegelt. An beiden Orten aber spürt man gleichsam,<br />
dass man dazugehört, zu dieser Welt, die diese unglaubliche Natur<br />
hervorgebracht hat. Der Mensch – ein Teil vom Großen und Ganzen.<br />
Man muss kein Goethe, kein von Eichendorff sein, um zu spüren, daß<br />
etwas dran ist an den Gefühlen, den Bildern, die direkt aus der Natur<br />
kommen und die den Menschen beeinflussen, seinem Leben mehr Sinn<br />
und Sinnlichkeit geben. Der Weg schlängelt sich weiter Richtung Südstrand.<br />
Mir begegnet ein einsamer Jogger. Ob der wohl die Einzigartigkeit<br />
der Umgebung wahrnimmt? Die Pfahlbauten rücken näher.<br />
Soll ich die Möglichkeit nutzen, einzukehren und mich zurückbegeben<br />
in die menschliche Gemeinschaft? Ich will für heute darauf verzichten.<br />
Lieber lasse ich das Zwiegespräch mit der Natur in mir nachschwingen.<br />
MAGAZIN ST. PETER-ORDING 13