Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst - Notfallseelsorge in ...
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Johannes Zepezauer <strong>Kirchliche</strong> <strong>Seelsorge</strong> <strong>im</strong> <strong>Rettungsdienst</strong><br />
sche<strong>in</strong>lichkeit, Transportfähigkeit und Behandlungsdr<strong>in</strong>glichkeit gesichtet und e<strong>in</strong>ge-<br />
ordnet werden. 342<br />
Zu den wohl unvergessenen Katastrophen der letzten Jahre <strong>in</strong> Deutschland gehören die<br />
Flugkatastrophe von Ramste<strong>in</strong> <strong>im</strong> August 1988 mit 70 Toten und ungefähr 1.000 Ver-<br />
letzten 343 und das Zugunglück von Eschede, bei dem <strong>im</strong> Juni 1998 unweit von Celle der<br />
Intercityexpress (ICE) Wilhelm Conrad Röntgen entgleiste und dabei 101 Menschen<br />
starben und 72 schwer verletzt wurden. 344 Eschede wurde „zum Synonym für die Hilf-<br />
losigkeit vieler E<strong>in</strong>satzkräfte angesichts der Katastrophe [...]. Die Bilder vom Unglück<br />
sitzen bei vielen Betroffenen tief <strong>im</strong> Innersten, e<strong>in</strong>gebrannt <strong>in</strong> die Seele, und lassen kei-<br />
ne Ruhe [...]. Für ke<strong>in</strong>en Helfer war dieser E<strong>in</strong>satz Rout<strong>in</strong>e, und kaum e<strong>in</strong>er hat sicher-<br />
lich so viel Hornhaut auf der Seele, dass ihn das Ereignis ‚kalt’ läßt.“ 345<br />
Die Katastrophen von Ramste<strong>in</strong> und Eschede haben wesentlich dazu beigetragen, dass<br />
die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>satznachsorge für Rettungskräfte <strong>im</strong>mer mehr erkannt und<br />
Möglichkeiten dieser Nachsorge entwickelt wurden. Nach Ramste<strong>in</strong> wurde damit auf<br />
kle<strong>in</strong>er Ebene begonnen und zehn Jahre danach wurde be<strong>im</strong> Unglück <strong>in</strong> Eschede die<br />
Nachsorge <strong>in</strong>stitutionalisiert e<strong>in</strong>gesetzt. 346<br />
342 Bei der Triage werden vier Behandlungskategorien unterschieden: T1 (= Immediate treatment: Patienten<br />
mit vital bedrohlicher Verletzung, aber Überlebenschance), T2 (= Delayed treatment: Patienten,<br />
die schnell zu stabilisieren s<strong>in</strong>d und Transportpriorität haben), T3 (= M<strong>in</strong><strong>im</strong>al treatment: Patienten,<br />
die gehfähig oder zum<strong>in</strong>dest sitzfähig s<strong>in</strong>d) und schließlich T4 (= Expectant treatment: Patienten,<br />
die unter Katastrophenbed<strong>in</strong>gungen kaum Überlebenschancen haben). Vgl. BITTGER: Großunfälle<br />
und Katastrophen, 86-88. Vgl. dazu auch BITTGER: Massenanfall von Verletzten, 755-758. Die Triage<br />
kann für betroffene E<strong>in</strong>satzkräfte unter Umständen zu e<strong>in</strong>em ethischen Problemfall werden, da <strong>in</strong>nerhalb<br />
kürzester Zeit unter Umständen sozusagen über Leben und Tod entschieden werden muss.<br />
Ohne Triage würden die Rettungsarbeiten aber unübersichtlich und die Prioritäten, die man gezwungenermaßen<br />
setzen muss, undurchschaubar werden. Zum ethischen Aspekt sei weiter verwiesen auf<br />
GRAF-BAUMANN / GORGAß: Werte und Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, 349f und ferner auf RUNGGALDIER:<br />
Ethik , bes. 864f.<br />
343 Vgl. Hartmut Jatzko, Sybille Jatzko und He<strong>in</strong>er Seidlitz <strong>in</strong> JATZKO: Katastrophen-Nachsorge, 9.<br />
344 Vgl. GIESEN: E<strong>in</strong>satznachbereitung nach dem ICE-Unfall <strong>in</strong> Eschede, 2.<br />
345 STEPAN: Eschede, 583. In Eschede waren damals übrigens mehr als 1.800 Hilfskräfte e<strong>in</strong>gesetzt. Vgl.<br />
HELMERICHS: E<strong>in</strong>satznachsorge, 119. Im Zusammenhang mit Ramste<strong>in</strong> soll Folgendes nicht unerwähnt<br />
bleiben: „E<strong>in</strong> großer Teil der Helfer leidet bis heute unter nicht verarbeiteten Erlebnissen. Drei<br />
Helfer sollen <strong>in</strong>folge posttraumatischer Depressionen Selbstmord begangen haben.“ (HÖLTERHOFF:<br />
Katastrophenseelsorge, 128.) Zahlreiche E<strong>in</strong>satzkräfte können ihren Beruf seit dem Unglück nicht<br />
mehr ausüben. Vgl. dazu auch die Berichte von betroffenen Helfern bei JATZKO: Katastrophen-<br />
Nachsorge, 79-86. An dieser Stelle soll auch nicht verschwiegen werden, dass die durch diese Katastrophe<br />
ausgelösten psychischen Leiden bei Opfern, Helfern und Angehörigen bis heute nicht durch<br />
e<strong>in</strong>e symbolische f<strong>in</strong>anzielle Entschädigung von politischer Seite anerkannt wurden. Vgl. dazu<br />
JATZKO: Katastrophen-Nachsorge, bes. 114 u. 210-213. Auch die TV-Sendung „Johannes B. Kerner“<br />
(ZDF) vom 20. Juni 2003 beschäftigte sich mit dieser Problematik.<br />
346 Vgl. JATZKO: Katastrophennachsorge, bes. 95-101 und vgl. HELMERICHS: E<strong>in</strong>satznachsorge. Jutta<br />
Helmerichs schreibt: „Das Zugunglück <strong>in</strong> Eschede und die damit hochbelastenden Aufgaben für die<br />
E<strong>in</strong>satzkräfte hat dazu geführt, daß sich <strong>im</strong> gesamten Bundesgebiet das Engagement, weitere Krisen<strong>in</strong>terventionsteams<br />
und <strong>Notfallseelsorge</strong>dienste aufzubauen, deutlich verstärkt.“ (HELMERICHS:<br />
E<strong>in</strong>satznachsorge, 121.) Zur E<strong>in</strong>satznachsorge bei Großschadensfällen allgeme<strong>in</strong> sei weiter verwiesen<br />
auf HERMANUTZ / FIEDLER: Nachbereitung, bes. 273-284.<br />
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