Mädchen und junge Frauen mit Behinderung - bifos e.V.
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ken. Ihre Bilder wirken irritierend <strong>und</strong><br />
schockierend. Sie eröffnen Einblicke<br />
<strong>und</strong> wahren kein Geheimnis. Alida<br />
lässt uns hinter die Fassade blicken,<br />
sie schiebt die Vorhänge beiseite,<br />
öffnet die Fenster <strong>und</strong> konfrontiert<br />
uns <strong>mit</strong> den „nackten“ Tatsachen.<br />
Alida Schaap wurde am 27. Oktober<br />
1960 geboren. Sie lebt in Den Haag<br />
<strong>und</strong> arbeitet seit dessen Gründung<br />
1995 im „Atelier de Haagse School“,<br />
einer Kunstwerkstatt für geistigbehinderte<br />
Menschen. Seit 1996 zeigte<br />
sie ihre Bilder bei Ausstellungen<br />
der Kunstwerkstatt in Den Haag <strong>und</strong><br />
Utrecht. Im Jahr 2000 hatte sie eine<br />
Einzelausstellung in Amsterdam am<br />
Theater „de Trust“ <strong>mit</strong> ihren „Zeichnungen<br />
über Dr. Bock“. Zuletzt waren<br />
ihre Bilder von November 2001<br />
bis Februar 2002 in der von der B<strong>und</strong>esvereinigung<br />
LEBENSHILFE organisierten<br />
Ausstellung „Femme enciente<br />
á l‘oiseau“ in Marburg zu sehen.<br />
Als ich <strong>mit</strong> der Bitte um Ver<strong>mit</strong>tlung<br />
an die Leiterin der Kunstwerkstatt<br />
schrieb <strong>und</strong> nähere Informationen<br />
über das Leben von Alida einholen<br />
wollte, bekam ich eine Absage. Alida<br />
war nicht da<strong>mit</strong> einverstanden,<br />
dass über sie ein Artikel geschrieben<br />
werden sollte, in einer Sprache,<br />
die sie nicht versteht. Sie hatte nach<br />
der Preisverleihung negative Erfahrungen<br />
<strong>mit</strong> der Presse gemacht. Ich<br />
kann diese Vorbehalte Alidas sehr<br />
gut verstehen <strong>und</strong> möchte deshalb<br />
hier ein Interview wiedergeben, das<br />
sie <strong>mit</strong> den beiden Leitern des „Atelier<br />
de Haagse School“, Lauri Kramer<br />
<strong>und</strong> Peke Hofmann, vor einiger<br />
Zeit geführt hat <strong>und</strong> das in drei Sprachen<br />
- Niederländisch, Deutsch <strong>und</strong><br />
Englisch - im Ausstellungskatalog zu<br />
fi nden ist: 2<br />
„Ich möchte gerne mein eigenes<br />
Atelier haben, später. Aber es ist noch<br />
viel zu tun. Zum Beispiel möchte ich<br />
besser Porträtieren lernen <strong>und</strong><br />
perspektivisches Zeichnen. Oder <strong>mit</strong><br />
Kollegen (Marianne) gemeinsam künstlerisch<br />
arbeiten, dann kann man richtig<br />
was auf die Beine stellen. Und das<br />
Thema ‚kleine Kinder‘. Ich liebe kleine<br />
Kinder. Und Landschaften wie das eine<br />
Mal bei der Projektwoche in Villers.<br />
Ich habe so viele Ideen <strong>und</strong> aus jeder<br />
Idee möchte ich etwas machen.“<br />
P.H.: „Alida, du malst gerne Porträts von<br />
Menschen, die gestorben sind.“<br />
A.S.: „Es ist eine wertvolle Erinnerung<br />
an diese Menschen, <strong>und</strong> es wird mir<br />
richtig warm ums Herz, wenn ich die<br />
Porträts anschaue.“<br />
L.K.: „Eine deiner bevorzugten Arbeiten<br />
ist das Porträt deines Vaters?“<br />
A.S.: „Es ist das Beste, was ich je gemacht<br />
habe. Es ist sehr schwer, die<br />
Hautfarbe hinzukommen <strong>und</strong> vom Hellen<br />
ins Dunkeln zu arbeiten. Das fi nde<br />
ich schwierig <strong>und</strong> brauche immer sehr<br />
lange dazu. Aber man kann gut sehen,<br />
dass es mein Vater ist, es gleicht ihm<br />
sehr. Es ist ein sehr persönliches Gemälde,<br />
denn so kann er immer bei mir <strong>und</strong><br />
bei meiner Mutter sein.“(Anmerkung:<br />
Der Vater ist gestorben. AM)<br />
L.K.: „Ein anderes von dir bevorzugtes<br />
Thema ist Pornografi e. Vor kurzem hast<br />
du an einem Projekt in Zusammenarbeit<br />
<strong>mit</strong> dem ‚Theater de Trust‘ in Amsterdam<br />
gearbeitet, wo du dieses Thema<br />
entwickelt hast.“ (Alida Schaap war von<br />
einem Charakter aus einem der Stücke<br />
inspiriert. Es handelt sich um Dr. Bock<br />
aus dem Stück „Die Hochzeit“ von Elias<br />
Canetti. Für sie ist Dr. Bock ein ganz gemeiner<br />
Mann. Er kann die <strong>Frauen</strong> nicht<br />
in Ruhe lassen <strong>und</strong> zwingt sie zu Sex.<br />
Alida benutzte ihre Phantasie <strong>und</strong> gab<br />
Dr. Bock ein Eigenleben. Sie machte ihn<br />
deshalb zum Besitzer eines Sexshops,<br />
der sonderbare Dinge verkauft.)<br />
A.S.: „Ich fi nde es lustig, Sexuelles zu<br />
zeichnen. Es ist spannend, gefährlich<br />
<strong>und</strong> vor allem auch spaßig.“<br />
„Berühmte“ behinderte <strong>Frauen</strong><br />
P.H.: „Gefahr, das ist ein anderer Begriff,<br />
der <strong>mit</strong> deinem Werk assoziiert werden<br />
kann. Deine Lieblingstiere sind Raubtiere<br />
wie Haie, Raubvögel, Würgeschlangen<br />
<strong>und</strong> Löwen.“<br />
A.S.: „Ich fi nde, das sind w<strong>und</strong>erbare<br />
Tiere. Es ist spannend, wenn Tiere so<br />
stark sind, das sie andere Tiere töten<br />
können.“<br />
P.H.: „Alida, du verwendest gerne ganz<br />
verschiedene Materialien, <strong>mit</strong> denen du<br />
dich in deiner Arbeit auszudrücken versuchst.<br />
Am Anfang deiner Arbeit hast<br />
du die Acrylfarbe für dich entdeckt, jetzt<br />
aber bevorzugst du Mischtechniken. In<br />
den letzten Jahren hast du Collagen<br />
für dich entdeckt. Wie kamst du dazu,<br />
<strong>mit</strong> verschiedenen Materialien zu experimentieren?“<br />
A.S.: „Ich mag Materialien wie Glas,<br />
Streichhölzchen, Spiegelscherben, Stoffe,<br />
Holz <strong>und</strong> Klebeplastik. Ich mag auch<br />
Überraschungen wie kleine Türen in<br />
meiner Arbeit, die man öffnen kann,<br />
wohinter sich ein Witz verbirgt. Mein<br />
Hobby ist, auf dem Flohmarkt zu bummeln.<br />
Mein Zimmer ist voll <strong>mit</strong> merkwürdigen<br />
Sachen, die ich auf dem Markt<br />
erstanden habe, wie Kuscheltiere, Sparschweine<br />
<strong>und</strong> mein größter Stolz ist eine<br />
Gießkanne, in Form eines Penis.“<br />
L.K.: „Bevor du endgültig ein Gemälde<br />
anfängst, machst du meistens eine Anzahl<br />
von Skizzen?“<br />
A.S.: „Im Atelier habe ich gelernt, Skizzen<br />
zu machen. Skizzen helfen, die guten<br />
Formen zu fi nden <strong>und</strong> eine Komposition<br />
zu machen. Aber es macht auch<br />
Spaß, gleich sauber zu arbeiten. Dann<br />
benutze ich ganz einfach viel meinen<br />
Radiergummi Meine Betreuer fi nden es<br />
nicht gut, wenn ich viel wegradiere. Ich<br />
verstehe eigentlich nicht warum sie das<br />
nicht gut fi nden.“<br />
L.K.: „Künstler zu sein bedeutet nun ja,<br />
mehr als nur regelmäßig ins Atelier zu<br />
gehen.“<br />
A.S.: „Im Kopf bin ich immer <strong>mit</strong> meiner<br />
Arbeit beschäftigt. Wenn ich abends zu<br />
Bett gehe, mache ich mir Gedanken<br />
über meine Gemälde. Welche Farben<br />
ich verwenden werde <strong>und</strong> wie ich es<br />
besser machen kann.“<br />
(Footnotes)<br />
1 Nähere Informationen über die Preisverleihung <strong>und</strong> diesjährige Ausstellung der Werke<br />
der nominierten KünstlerInnen vom 7.-25. August in der Galerie der Künste in München<br />
sind über die Kunstwerkstatt des HPCA. Klaus Mecherlein, Hirschplanallee 2, 85764<br />
Oberschleißheim zu erfragen oder über die homepage www.euward.de abzurufen<br />
2 Heilpädagogisches Centrum Augustinum: EUWARD XXXart. Alida Schaap – Edm<strong>und</strong><br />
Krengel – Adolf Beutler. 1. Europäischer Kunstpreis Malerei <strong>und</strong> Graphik von Künstlern<br />
<strong>mit</strong> geistiger <strong>Behinderung</strong>. Ausstellungskatalog. München 2000.<br />
‚info‘ - b<strong>und</strong>es organisationsstelle behinderte frauen<br />
Die Bilder sind Reproduktionen aus dem Ausstellungskatalog zum EUWARD, Heilpädagogisches Centrum Augustinum München, 2000<br />
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