Vom Wilhelmshof in die Fremde. Einblicke in die Lehre vom ...

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Torben Gülstorff: Vom Wilhelmshof in die Fremde. Einblicke in die Lehre vom Eigenen und Fremden an der Kolonialschule Witzenhausen.Ansätze eines interkulturellen Lernens? an der Gestaltung wie der Erforschung des interkulturellen Ansatzes einen bedeutenden Anteil. 10 Neben diesen eher „innergesellschaftlichen” Problemfeldern fand interkulturelles Lernen, im Zuge von Europäisierung und Globalisierung, 11 zunehmend auch in intergesellschaftlichen Problemfeldern, wie z.B. der Nord‐Süd‐ Problematik Verwendung. Der Ausschließlichkeitsanspruch der europäischen Kultur sollte so überwunden, 12 über konkrete „Begegnungen” neue Spielarten des interkulturellen Lernens erschlossen werden. 13 In einer multikulturellen Gesellschaft, einer globalisierten Welt, gewann der interkulturelle Lernansatz eine Bedeutung, die er sich bis heute hat bewahren können. Wie war es aber um das interkulturelle Lernen im Zeitalter der Nationalstaaten, in deren Boden kulturelle Unterschiede zu einem Politikum gedeihen konnten, 14 bestellt? Wie und inwieweit erfolgte Wissensvermittlung über „den Fremden” in Phasen des Imperialismus und Kolonialismus? Welchen Einfluss konnte ein um sich greifender Rassismus auf die Wissensvermittlung nehmen? Einen ersten Einstieg in die Beantwortung dieser Fragen soll die vorliegende Fallstudie zum Umgang mit Eigenem und Fremdem im Unterricht der Kolonialschule Wilhelmshof bei Witzenhausen zwischen 1899 und 1943 liefern. Auf ihr sollten landwirtschaftliche Fachkräfte für ein autarkes Arbeiten und Leben in der Fremde geschult werden. 15 Welche Kenntnisse den Schülern an die Hand gegeben wurden, um unter Fremden zu bestehen, welche Bedeutung diesem Wissen gegenüber demjenigen vom Eigenen beigemessen wurde und inwieweit schon hier „Vorstufen” des heutigen interkulturellen Lernens erkannt werden können, soll im Folgenden untersucht werden. Die Forschung zu dieser Problematik steckt noch in ihren Anfängen. Während zum interkulturellen Lernen rege publiziert wurde und wird, 16 sind Kolonial‐ und Missionspädagogik bisher eher oberflächlich angegangen worden. 17 Um die defizitären Blick auf Jugendliche mit Migrationshintergrund, IN: HARTUNG, Olaf ‐ Ivo Steininger, u.a. (Hg.): Lernen und Kultur. Kulturwissenschaftliche Perspektiven in den Bildungswissenschaften, Wiesbaden, 2010. 193‐218. hier 212). 10 vgl.: KOCH, Gertraud (Hg.): Kulturelle Vielfalt als Gestaltungsaufgabe. Ethnologische Beiträge aus diversen Praxisfeldern, St. Ingbert, 2009. 11 AUERNHEIMER, Georg: Einführung in die interkulturelle Pädagogik, Darmstadt, 2003³. 9. 12 SCHMIDT, Ulrich: Vorwort, In: SCHMIDT, Ulrich (Hg.): Kulturelle Identität und Universalität. Interkulturelles Lernen als Bildungsprinzip, Frankfurt am Main, 1987. 7‐12. hier 7. 13 FREISE, Josef: Interkulturelles Lernen in Begegnungen. Eine neue Möglichkeit entwicklungspolitischer Bildung?. Breitenbach, 1982. 13. 14 AUERNHEIMER: 2003³. 11. 15 LINNE, Karsten: Deutschland jenseits des Äquators? Die NS‐Kolonialplanungen für Afrika, Berlin, 2008. 33. 16 Eine kleine Auswahl der Publikationen: GOGOLIN, Ingrid ‐ Marianne KRÜGER‐POTRATZ: Einführung in die interkulturelle Pädagogik, Opladen, 2006. BERTELS, Ursula (Hg.): Fremdes Lernen. Aspekte interkulturellen Lernens im internationalen Diskurs, Münster u.a. 2007. HARTUNG, Olaf ‐ Ivo STEININGER ‐ Matthias C. FINK, u.a. (Hg.): Lernen und Kultur. Kulturwissenschaftliche Perspektiven in den Bildungswissenschaften, Wiesbaden, 2010. 17 vgl.: VAN DER PLOEG, Arie J.: Education in Colonial Africa: The German Experience, Comparative Education Review 21. 1977. Nr. 1, 91‐109. / 1993 gab die Zeitschrift „Bildung und Erziehung” ein 396
ÖT KONTINENS, az Új‐ és Jelenkori Egyetemes Történeti Tanszék közleményei, N o 2010, ELTE, BUDAPEST, 2011. Erforschung der „metropolitanen” „Kolonialpädagogik”, die auch an der Kolonialschule Witzenhausen zur Anwendung kam, ist es noch deutlich schlechter bestellt. 18 Die Kolonialschule selbst wurde bisher vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer Institutsgeschichte untersucht. Die Schulgeschichte Die „Deutsche Kolonialschule Wilhelmshof” (DKS) wurde 1899 in Witzenhausen an der Werra, im Nordosten Hessens, eröffnet. Entscheidenden Anteil an ihrer Gründung hatte der rheinische Verband des evangelischen Afrikavereins gehabt, der bestrebt war, sein konfessionelles Übergewicht in den Kolonien zu halten und auszubauen. Erster Direktor der DKS wurde der ehemalige Divisionspfarrer und Kolonialpropagandist Ernst Albert Fabarius. Fehlende Auslandserfahrungen konnte er durch koloniales Engagement und eine rege Publikationstätigkeit auffangen. 19 Sein Ausbildungskonzept, von ihm als „Kolonialpädagogik“ bezeichnet, 20 fand Lob wie Kritik, bei Schülern 21 wie Kolonialisten, 22 und sollte den Unterricht für viele Jahre Themenheft zu „Missions‐ und Kolonialpädagogik” heraus, welches die folgenden Aufsätze beinhaltete: MEHNERT, Wolfgang: Regierungs‐ und Missionsschulen in der deutschen Kolonialpolitik (1885‐1914), 251‐266. KRAUSE, Jürgen: Missionarische Schulpädagogik an Beispielen der Berliner Mission, 267‐282. ADICK, Christel: Muttersprachliche und fremdsprachliche Bildung im Missions‐ und Kolonialschulwesen, 283‐298. PRODOLLIET, Simone: Missionarinnen, Missionierte und das europäische Frauenideal, 299‐ 313. MERGNER, Gottfried: Missionsarchive und „säkulare“ Forschung am Beispiel der Erziehungswissenschaft, 315‐328. ADICK, Christel: Deutsche Missions‐ und Kolonialpädagogik in Dokumenten. Eine kommentierte Quellensammlung aus den Afrikabeständen deutschsprachiger Archive. 1884‐1914. Frankfurt am Main, 2001. 18 WOLFF, Peter: Tropenlandwirtschaftliche Ausbildungsstätten in Witzenhausen. Die Entwicklung von der Deutschen Kolonialschule Witzenhausen zum Fachbereich Internationale Agrarwirtschaft der Gesamthochschule Kassel, Witzenhausen, 1990. BAUM, Eckhard: Daheim und überm Meer: von der Deutschen Kolonialschule zum Deutschen Institut für Tropische und Subtropische Landwirtschaft in Witzenhausen, Witzenhausen, 1997. BÖHLKE, Jens: Zur Geschichte der Deutschen Kolonialschule in Witzenhausen: Aspekte ihres Entstehens und Wirkens, Witzenhausen, 1995. DJOMO, Esaïe: Eine Bildungsstätte für Kulturpioniere ohne Betätigungsfeld: Die Deutsche Kolonialschule zu Witzenhausen an der Werra in der Weimarer Republik,. IN: HALSE, Sven (Hg.): Worte, Blicke, Träume. Beiträge zum deutschen Kolonialismus in Literatur, Fotografie und Ausbildung, Kopenhagen, 2007. 165‐186. 19 Erst 1910 unternahm Fabarius eine Studienreise nach Deutsch‐Südwestafrika (SCHANZ, Moritz: Die deutsche Kolonialschule in Witzenhausen, Beihefte zum Tropenpflanzer, Jg. 11 (1910) Nr. 6, 395‐ 468, hier 429). Eine kleine Auswahl seiner Publikationen: FABARIUS, Ernst Albert: Deportation von Verbrechern nach den deutschen Kolonien, Berlin, 1896. FABARIUS, Ernst Albert: Eine Deutsche Kolonialschule. Denkschrift. Coblenz, 1897. FABARIUS, Ernst Albert: Neue Wege der deutschen Kolonialpolitik nach dem Kriege, Berlin, 1916. 20 Fabarius führte 1908 zu den Aufgaben der DKS aus: „Das, was man in der Kolonialschule will und treibt, was man hier als neue Aufgabe und Bestrebung erfaßt hat, läßt sich kurz kennzeichnen mit dem neuen Schlagwort «Kolonialpädagogik»“. (Bundesarchiv Berlin, R 8023, 980, 179). Auch die neuere Forschung würde Fabarius Pädagogik wohl in diesem Sinne verstehen. „Unter „Kolonialpädagogik” kann man summarisch die in einem, durch ein und für ein Kolonialsystem veranstalteten pädagogischen Handlungen und Institutionen verstehen” (ADICK, Christel: Praxis und Effekte der Kolonialpädagogik, IN: MÜLLER, Klaus E. (Hg.): Ethnopädagogik. Sozialisation und Erziehung in traditionellen Gesellschaften. Eine Einführung,. Berlin, 1992. 133‐160. hier 133). 21 Aufgrund „ungenügender Leistungen” und Infragestellens des Lehrbetriebes konnten im Schnitt 397
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