Freiwilligenbericht - Bundesministerium für Arbeit, Soziales und ...
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6. FREIWILLIGES ENGAGEMENT UND GENDER<br />
oftmals ausgeschlossen (Bixa et al. 2007). Jene Gruppen, deren soziale Integration nicht<br />
über den <strong>Arbeit</strong>smarkt verläuft (z. B. haushaltsführende, arbeitslose <strong>und</strong> pensionierte<br />
Personen), sind dagegen verstärkt im Bereich der nicht organisierten, also der informellen<br />
Freiwilligenarbeit tätig (Stadelmann-Steffen et al. 2007: 86). Zudem stellen Positionen in<br />
der Freiwilligenarbeit oft auch gewählte Funktionen dar, d. h. man muss von jemandem<br />
zur Wahl vorgeschlagen werden. Da Männer in der Erwerbsarbeit häufiger als Frauen<br />
Leitungspositionen innehaben, erhalten sie auch öfter das Angebot, eine leitende Funktion<br />
im Bereich der Freiwilligenarbeit zu übernehmen. 77 Die Privilegien reproduzieren sich<br />
dadurch, dass mit ehrenamtlichen Tätigkeiten oftmals die Möglichkeit verb<strong>und</strong>en ist, die<br />
eigenen Interessen zu vertreten, politischen Einfluss auszuüben sowie weitere soziale<br />
Kontakte zu knüpfen.<br />
Ein zweiter wesentlicher Erklärungsfaktor <strong>für</strong> die geschlechtsspezifischen Segregationsmuster<br />
in der Freiwilligenarbeit sind gesellschaftliche Rollenzuschreibungen, nach denen<br />
Frauen lange Zeit dem Privatbereich – <strong>und</strong> somit klassischen „non-decision Bereichen“<br />
(Blattert 1998: 18) – zugeordnet wurden <strong>und</strong> auch heute noch werden. Diese Bereiche<br />
sind gekennzeichnet durch wenig Mitsprache sowie wenig Möglichkeiten <strong>für</strong><br />
Entscheidungen <strong>und</strong> Mitgestaltung an gesellschaftlichen Prozessen.<br />
Non-decision Situationen können bewusst, aber auch unbewusst herbeigeführt werden.<br />
Beispielsweise war das gesetzliche Verbot der politischen Betätigung von Frauen, wie<br />
etwa im Vereinsgesetz (§30) von 1867, das Frauen die Mitgliedschaft in politischen<br />
Vereinen untersagte, eine bewusste Schaffung einer non-decision Situation. Frauen<br />
konnten dadurch ihre eigenen Interessen nicht artikulieren, sich nicht organisieren <strong>und</strong><br />
kein Lobbying da<strong>für</strong> betreiben (Friedrich 1995: 158ff.). Von unbewusst geschaffenen nondecision<br />
Situationen spricht man, wenn infolge institutioneller Praktiken <strong>und</strong> verfestigter<br />
Entscheidungsprozesse in der Politik neu auftauchende Probleme nicht berücksichtigt<br />
werden (können), da sie von den beteiligten Entscheidungsträgern <strong>und</strong><br />
Entscheidungsträgerinnen selbst nicht wahrgenommen werden. Solange Frauen also ihre<br />
Interessen nicht öffentlich artikulieren konnten <strong>und</strong> auch nicht selbst in<br />
Entscheidungsgremien vertreten waren, wurden ihre Interessen – wenn auch unbewusst –<br />
nicht berücksichtigt. Zwar hat sich in den letzten Jahren – insbesondere durch Gender<br />
Mainstreaming-Maßnahmen – viel verändert, von einer Gleichstellung kann aber bei<br />
Weitem noch nicht gesprochen werden.<br />
Zusammenfassend lassen sich verschiedene Thesen formulieren, die Erklärungsansätze<br />
<strong>für</strong> das unterschiedliche Engagement von Frauen <strong>und</strong> Männern in der Freiwilligenarbeit<br />
bieten: Einerseits wird das ehrenamtliche Engagement von den zeitlichen Belastungen<br />
eingeschränkt, die sich aus der Summe von Erwerbsarbeit, Haus- <strong>und</strong> Familienarbeit<br />
ergeben – wodurch <strong>für</strong> Frauen ein geringerer Aktivitätsrahmen entsteht. Andererseits sind<br />
Personen, die vor allem durch das Erwerbsleben stärker in soziale Netzwerke<br />
eingeb<strong>und</strong>en sind, häufiger freiwillig tätig. Insgesamt spiegelt das freiwillige Engagement<br />
von Frauen <strong>und</strong> Männern deren Positionen im privaten <strong>und</strong> erwerbsbezogenen Leben <strong>und</strong><br />
damit auch gesellschaftliche Rollenzuschreibungen wider.<br />
77 Beispielsweise haben in Deutschland 34% der Frauen, aber 46% der Männer ehrenamtliche Aufgaben über eine<br />
Wahl angenommen (Zierau 2001: 71).<br />
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