07.01.2013 Aufrufe

Er sah und glaubte - Una Voce Deutschland eV

Er sah und glaubte - Una Voce Deutschland eV

Er sah und glaubte - Una Voce Deutschland eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

überhaupt war. Das untrüglichste Kennzeichen<br />

seiner vielfältigen poetischen Produktion<br />

ist, wie Amselgruber richtig feststellt,<br />

sein eigenwilliger, echter Humor, der ihn bei<br />

allem sittlichen <strong>Er</strong>nst mit unverkennbar flügelleichtem<br />

Schritt auf ausgetretenen Pfaden<br />

wandeln lässt. In seinem poetischen Kosmos<br />

hat alles den ihm zukommenden Platz: Freude<br />

<strong>und</strong> Leid des menschlichen Daseins, der<br />

steile Weg der Tugend, die Fußangeln <strong>und</strong><br />

Fesseln des Lasters, Überhöhung aller dem<br />

Irdischen innewohnenden Vergänglichkeit<br />

durch den unverstellten Blick auf das Ewige<br />

<strong>und</strong> Göttliche.<br />

Neben vielen anderen beeindruckenden Interpretationen<br />

Baldescher Gedichte stellt Amselgruber<br />

unter der Zwischenüberschrift »Aspekte<br />

der Dichtung Baldes« die fünfzehnte<br />

seiner ein<strong>und</strong>zwanzig Epoden dem Leser vor<br />

Augen, die den Titel trägt »Descriptio Virginis,<br />

qualem in mentis excessu viderat«. Es handelt<br />

sich also um eine Marienvision, deren Hintergr<strong>und</strong><br />

die damalige politische Lage ist.<br />

Mit erstaunlichem Wissen um die gesamte<br />

literarische Tradition, die bei dieser Ekstasis<br />

mit all ihrem Topoi Pate gestanden hat, weiß<br />

Amselgruber doch die geniale Künstlerhand<br />

Baldes von vergleichsweise stereotypem barockem<br />

Kitsch abzuheben <strong>und</strong> erklärt fortlaufend<br />

einzelne Verse der Epode im Spiegelbild<br />

der entsprechenden Stellen in der Apokalypse,<br />

die den Kampf des Drachen mit der von<br />

der Sonne bekleideten Frau beschreiben.<br />

Der entscheidende Vers, der die Vision in<br />

ihrer Wirkung beschreibt, (S. 161 unten) muss<br />

allerdings metrisch anders gelesen werden,<br />

als der Autor es sich denkt, nämlich so:<br />

Út vidi, út stupuí,//ut mé metuénda volúptas.<br />

– d. h. das stupui wird keineswegs elidiert,<br />

sondern erhält den Iktus. Danach Cäsur<br />

(Penthemimeres!). Der Hiatus wird hier nicht<br />

beachtet (so des öfteren bei Vergil).<br />

Die ausgewogene <strong>und</strong> prof<strong>und</strong>e Darstellung<br />

Amselgrubers bietet übrigens, sowohl was<br />

Werk als auch Vita Baldes betrifft, auch stilistisch<br />

einen vollkommenen Lesegenuß, <strong>und</strong><br />

man glaubt zu spüren, dass durch die intensive<br />

<strong>und</strong> begeisterte Beschäftigung mit dem<br />

Dokumente, Briefe, Informationen 319<br />

Thema etwas vom Geist des großen Dichters<br />

auf den Interpreten übergegangen ist.<br />

Mit einem Plädoyer für einen der größten<br />

christlichen <strong>Er</strong>zähler deutscher Zunge spannt<br />

Stephan Walker den Bogen zur Neuzeit. Der<br />

vielfach bei den heutigen Lesern in Vergessenheit<br />

geratene <strong>und</strong> im gegenwärtigen Literaturbetrieb,<br />

dem alles genuin Christliche suspekt<br />

ist, an die Wand gedrückte Österreicher<br />

Adalbert Stifter verdient sicherlich einen hervorragenden<br />

Platz in dieser illustren Reihe.<br />

<strong>Er</strong>, der, von der Romantik ausgehend, vom<br />

klassischen Bildungsideal wie Goethe <strong>und</strong><br />

Schiller geprägt, aber im Gegensatz zu den<br />

Dichterfürsten tief im Religiösen verwurzelt<br />

ist, in seinem »sanften Gesetz«, im Stillen <strong>und</strong><br />

Schlichten, die bewahrende, alle leidenschaftlichen<br />

Bewegungen in Natur <strong>und</strong> Menschenleben<br />

bezwingende Kraft erkennt, wird von<br />

seinem Interpreten an Hand mehrerer Auszüge<br />

aus seinen <strong>Er</strong>zählungen, besonders aber<br />

aus seinem »Nachsommer«, einem Werk, das<br />

Nietzsche als eines der wenigen die Zeiten<br />

überdauernden rühmt, dem Leser in seinem<br />

innersten Wesen nahegebracht.<br />

»Wahre Dichtung <strong>und</strong> Interpretation bleiben<br />

nach Stifters Kunstverständnis ohne Bezug<br />

zu einem Göttlichen <strong>und</strong>enkbar«. Mit diesem<br />

Kernsatz seines Vortrages erhellt Walker<br />

die menschlich-einsame, gleichzeitig aber auch<br />

überzeitliche Größe eines Dichters, der ganz<br />

Auge ist für die vielfachen Schönheiten der Natur,<br />

das Wehen der Luft, das Rieseln des Wassers,<br />

genauso aber auch den Menschen in den<br />

Höhen <strong>und</strong> Tiefen seines Charakters durchschaut.<br />

Ob die Darstellung allerdings dem<br />

Menschen Stifter in allem gerecht wird, halte<br />

ich für fraglich. Sicher ist seine Basis das Religiöse,<br />

aber diesen Schatz trägt man nicht unangefochten<br />

wie einen unentreißbaren Besitz für<br />

immer durchs Leben. Stifter, der in asketischer<br />

Selbstüberwindung seiner Leidenschaft um die<br />

innere Harmonie ringt, ist zeitlebens, je später<br />

umso mehr, von einer tragischen Spannung,<br />

von einem heimlichen Kampf um die Bewahrung<br />

des Glaubens an Gottheit <strong>und</strong> Schönheit<br />

erfüllt, d. h. »Ich bin kein ausgeklügelt Buch,<br />

ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch«

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!