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Er sah und glaubte - Una Voce Deutschland eV

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Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der gregorianischen Semiologie<br />

305<br />

3. Möglichkeiten der gregorianischen Semiologie<br />

Die gregorianische Semiologie nimmt den melodischen Verlauf <strong>und</strong> die rhythmischen<br />

Hinweise der für jeden einzelnen Gesang verfügbaren ältesten Quellen in den Blick <strong>und</strong><br />

leitet daraus unmittelbare Schlüsse für die Interpretation ab. Es sind also vor allem die<br />

beiden Parameter Rhythmus <strong>und</strong> Melodie, auf die sich die semiologische Forschung<br />

<strong>und</strong> Aufführungspraxis konzentriert.<br />

3.1. Der Rhythmus des Gregorianischen Chorals nach den <strong>Er</strong>kenntnissen der gregorianischen<br />

Semiologie<br />

Die gregorianische Semiologie gründet auf dem Studium der frühen Quellen. Schon<br />

die Berücksichtigung mancher Nicht-Kurrenzen (Neumen <strong>und</strong> Sonderzeichen für<br />

nichtfließend zu singende Töne oder Tongruppen) in den rhythmischen Zeichen der<br />

Solesmes-Schule erschließt dem aufmerksamen <strong>und</strong> erfahrenen Sänger den musikalischen<br />

Sinn der Gesänge mehr als eine rein äqualistische Interpretation, die mit größerer<br />

Strenge an der gleichen Dauer der rhythmischen Einheiten festhält. Die gregorianische<br />

Semiologie geht jedoch weiter, da sie unmittelbar auf den Text der frühen<br />

Neumenquellen zurückgreift. 22 Sowohl Kurrenzen als auch Nicht-Kurrenzen können<br />

nun fein differenziert in der Interpretation durch Längen <strong>und</strong> Kürzen einzelner Töne<br />

oder Tongruppen umgesetzt werden. Der Sänger, vor allem aber der Leiter einer Schola,<br />

der sich mit den Gesängen intensiv vertraut macht, kann durch den Blick auf die<br />

rhythmische Bedeutung der Neumen jene tiefere <strong>Er</strong>kenntnis über die Melodien <strong>und</strong><br />

ihre Bewegung gewinnen, die bereits Jahrzehnte zuvor die Mönche von Solesmes zur<br />

rhythmischen Einrichtung des Quadratnotentextes veranlasst hat, die sich nun aber<br />

mit sehr viel größerer Konsequenz <strong>und</strong> Deutlichkeit verwirklichen läßt. Eine semiologisch<br />

f<strong>und</strong>ierte Rhythmisierung des Gregorianischen Chorals wird daher oft weit über<br />

die Grenzen der rhythmischen Differenzierung hinausgehen, die sich die traditionelle<br />

Aufführungspraxis selbst gesetzt hat. Tatsächlich zeichnet sich das Spektrum der semiologischen<br />

Interpretationen vor allem durch große Unterschiede in der Intensität<br />

der rhythmischen Differenzierung aus. Die rhythmische Gestalt eines Gesangs ist nun<br />

wesentlich davon abhängig, wie stark oder gemäßigt der semeiographische Bef<strong>und</strong> jeweils<br />

in die Interpretation eingeht. Es können also sehr unterschiedliche rhythmische<br />

Interpretationen des gleichen Gesangs hervortreten. Dies kann wiederum zu neuen<br />

<strong>Er</strong>kenntnissen anregen, z. B. im Bereich der Modalität oder des Verhältnisses von<br />

Wort <strong>und</strong> Ton.<br />

22 »Unmittelbar« ist hier wörtlich zu verstehen, da jeder Sänger parallel zum Quadratnotentext<br />

auch mindestens eine Neumennotation mitverfolgen <strong>und</strong> bei der rhythmischen Gestaltung<br />

berücksichtigen muß.

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